1.1 Wie Krebs entsteht
Um Krebs zu verstehen, ist sowohl ein Blick auf das Geschehen innerhalb der Tumorzelle notwendig, als auch auf ihr Verhalten anderen Zellen im Gesamtorganismus gegenüber. Dieser stellt ein System dar, dessen einzelne Mitglieder Zellen sind, die sich durch Zellteilung vermehren und in zusammenhängende Gewebe organisiert sind. Dementsprechend kann Krebs als mikroevolutionärer Prozeß verstanden werden, der durch Mutation, Wettbewerb und natürliche Selektion innerhalb der Population somatischer Zellen gekennzeichnet ist (Cairns 1975, Nowell 1976).
Ein Tumor ist definiert als abnorme Gewebsmasse, die aus einer autonomen, progressiven und überschießenden Proliferation körpereigener Zellen entsteht, sich weder strukturell noch funktionell in das Normalgewebe eingliedert und auch dann noch weiterwächst, wenn der auslösende Reiz nicht mehr wirksam ist. Gutartige ( benigne ) Tumoren sind lokalisierte und umschriebene Geschwülste, die nicht in die unmittelbare Tumorumgebung einwachsen, sich nicht in anderen Körperregionen absiedeln und dadurch gekennzeichnet sind, daß sie langsam, verdrängend und expansiv wachsen.
Im Gegensatz dazu werden Tumoren als bösartig (maligne) bezeichnet, wenn sie infiltrativ in ihre Umgebung einwachsen und die Fähigkeit besitzen, sich entlang bestimmter histologischer Leitstrukturen (z.B. Nervenscheiden) auszubreiten und in Lymph- oder Blutgefäße einzubrechen, so daß Tumorzellen in andere Organe verschleppt werden (Metastasierung).
Neben der Unterscheidung zwischen gut- und bösartigen Tumoren, kann man diese auch nach ihrem Ursprungsgewebe klassifizieren. So werden Tumoren, die aus Epithelgewebe entstehen, Karzinome genannt, während Sarkome aus Binde- oder Muskelgewebe stammen. Neoplasien, die nicht in eine dieser beiden Kategorien passen, beinhalten die verschiedenen Leukämien, Lymphome, Tumoren des Nervengewebes sowie Hauttumoren.
Ungefähr 90% der menschlichen Tumoren sind Karzinome, zum einen, weil sich der Großteil der Zellproliferationen im Epithelgewebe abspielt, zum anderen, weil dieses am ehesten den verschiedenen biologischen, physikalischen oder chemischen Reizen ausgesetzt ist, die Krebsentstehung begünstigen.
Selbst ein bereits metastasierter Tumor kann normalerweise auf einen Primärtumor zurückgeführt werden, der in einem identifizierten Organ durch Zellteilung einer einzigen Zelle entstand, die verschiedene Veränderungen erfahren hat. Man spricht daher von der Monoklonalität eines Tumors (Fearon et al. 1987, Fialkow 1976).
Wenn dieser aus einer einzelnen Zelle entstehen kann, so muß sie in der Lage sein, ihre Veränderungen an ihre Abkömmlinge weiterzugeben. Eine grundsätzliche Frage ist dabei, ob diese Veränderung der Ursprungszelle auf einem genetischen Ereignis, d.h. auf einer Veränderung der DNA-Sequenz beruht, oder durch ein epigenetisches Geschehen ohne direkte Sequenzänderung wie z.B. der Methylierung gewisser DNA-Abschnitte hervorgerufen wurde.
Es gibt gute Gründe dafür, direkte genetische Ereignisse für die Entstehung der meisten Tumoren verantwortlich zu machen. Erstens finden sich in Zellen eines individuellen Tumors häufig gleiche Veränderungen des Genoms und zweitens besteht eine starke Korrelation zwischen der Karzinogenese und der Mutagenese für drei verschiedene Reize:
Wenn mehrere, seltene und voneinander unabhängige genetische Ereignisse Krebs verursachen, so ist es äußerst unwahrscheinlich, daß man zwei genetisch identische Tumoren findet. Dennoch, allen Tumoren ist die unbeschränkte Zellproliferation gemeinsam, und in jeder Zelle gibt es eine endliche Anzahl von Möglichkeiten, durch die diese Beschränkungen aufgehoben sein können. Tatsächlich sind Veränderungen in einer -bezogen auf das gesamte Genom- relativ kleinen Anzahl von Genen ausreichend, um eine gesunde in eine tumoröse Zelle zu verwandeln. Die Identifikation und Charakterisierung vieler dieser Gene durch die Molekularbiologie gehört zu den großen Fortschritten innerhalb der Krebsforschung.
Gene, deren Produkte die Zellproliferation regulieren, können grob unterteilt werden in jene, die die Zellteilung stimulieren und in jene, die sie hemmen. Dementsprechend gibt es zwei Möglichkeiten, durch die eine Zelle in Richtung ungehemmtes, invasives Wachstum entarten kann.
Erstens kann ein stimulierendes Gen, ein sogenanntes Proto-Onkogen, hyperaktiv werden. Diese Art Mutation hat einen dominanten Effekt, d.h. nur eines der beiden Allele des Gens innerhalb der Zelle muß verändert werden und das mutierte Gen heißt nun Onkogen.
Zweitens kann ein inhibitorisches Gen inaktiv werden. Hierbei handelt es sich um eine rezessive Mutation, d.h. beide Allele des Gens müssen ausfallen, damit es zur Proliferation kommt. Diese Gene nennt man Tumor-Suppressor-Gene.
Abb.1 zeigt grob schematisiert die Signalwege, durch die eine Zelle in ihrem Wachstum reguliert wird. Im linken Kasten ist exemplarisch der Effekt eines mutierten Onkogens dargestellt, das für einen Wachstumsfaktorrezeptor codiert, während rechts die Folgen eines Tumor-Suppressor-Genausfalls gezeigt werden.
Abb.1 Wachstumsregulation der normalen Zelle
Wachstumsregulierende Signale werden in der normalen Zelle von der äußeren Oberfläche bis tief in den Nukleus übermittelt, wo die sog."cell cycle clock (s.u.)" diese Signale sammelt und entscheidet, ob sich die Zelle teilt. Tumorzellen wachsen oft exzessiv, weil Mutationen stimulierende Signalkaskaden aktivieren (s.linker Kasten) oder weil hemmende Mechanismen ausfallen (s.rechter Kasten, modifiziert nach Weinberg, 1996).
1.1.1 Onkogene
Welche Funktionen haben nun Proto-Onkogene und wie können sie zu den so verhängnisvollen Onkogenen aktiviert werden?
Die meisten der über 60 bisher bekannten Proto-Onkogene codieren für Faktoren, durch die Signale der Zellumgebung bis in die Zelle weitergegeben werden, die diese in Richtung Teilung, Differenzierung oder Tod (Apoptose, s.u.) steuern. Gemäß ihrer zellulären Funktion können Proto-Onkogene unterteilt werden in jene,
-Punktmutation: Bei den Onkogenen der ras-Familie reicht bereits eine Punktmutation (Austausch eines Nukleotids) in einer wichtigen funktionellen DNA-Domäne aus, um das Proto-Onkogen in ein transformationsaktives Onkogen umzuwandeln (Keohang et al. 1997).
-Genamplifikation: ist die Vervielfältigung identischer Gensequenzen eines Onkogens mit dadurch erhöhter Expressionsrate. In Neuroblastomen der Stadien III und IV liegt in ca. 30% eine N-myc-Amplifikation vor, die eindeutig mit einer schlechten Prognose korreliert (Schwab et al. 1984, Seeger et al 1985).
-Translokation : ist die Verlagerung eines Proto-Onkogens auf ein anderes Chromosom, wodurch eine erhebliche Modifizierung bzw. Deregulierung entsprechender DNA-Sequenzen stattfinden kann. Klinisch relevante Beispiele dafür sind die Translokationen von c-myc und c-abl. So wird beim Burkitt-Lymphom das c-myc vom Chromosom 8 in die Nähe eines Immunglobulin-Locus ( meist auf Chromosom 14) gebracht. Dadurch gelangt das Onkogen unter die Kontrolle von Immunglobulin-Sequenzen mit hoher Transkriptionsaktivität (Dalla Favera et al. 1982). Im Rahmen der sog. „Philadelphia-Chromosom"-Translokation kommt es bei der chronisch-myeloischen Leukämie regelmäßig zu einer Verlagerung des c-abl vom Chromosom 9 auf das Chromosom 22 mit konsekutiver Synthese eines onkogenen Fusionsproteins (Rabbits 1994).
-Virusinsertion: Es gibt zwei Möglichkeiten, wie ein Proto-Onkogen durch Virusinsertion aktiviert werden kann. Entweder die Gensequenz wird durch den Einbau der Virus-DNA verkürzt oder verändert, so daß ein Protein mit abnormaler Aktivität entsteht, oder die virale DNA bewirkt als Promoter-Enhancer-Element eine überschießende Expression des Genprodukts (zur Hausen 1991).
Wiederum muß hier betont werden, daß die Aktivierung eines einzelnen Onkogens per se nicht ausreicht, um eine gesunde Zelle in eine tumoröse zu transformieren und es sich daher hierbei nur um einen Teilschritt der Karzinogenese handelt. Dies wurde eindrucksvoll an transgenen Mäusen gezeigt, die entweder das aktivierte myc- oder ras-Onkogen besaßen und dennoch nur in den seltensten Fällen einen Tumor entwickelten. Tiere dagegen, die sowohl eine myc- als auch eine ras-Mutation in ihrem Genom aufwiesen, zeigten eine wesentlich höhere Tumorinzidenz (Adams et al. 1991).
Das synergistische Agieren zweier Onkogene nennt man „oncogene collaboration" (Hunter 1991). Dieses Phänomen läßt sich auch an menschlichen Tumoren beobachten. Das B-Zell-Lymphom z.B. scheint abhängig zu sein vom Zusammenspiel des myc und des bcl 2-Gens. Wenn myc überexprimiert wird, durchlaufen die Zellen zwar zu häufig den Zellzyklus (s.u.), entwickeln aber keinen Tumor, da sie apoptotisch werden. Erst wenn gleichzeitig bcl 2 überexprimiert wird, entgehen die Zellen dem programmierten Zelltod und das Lymphom beginnt, sich zu entwickeln (Fanidi et al. 1992).
Damit ist aber das komplizierte Geschehen der Krebsentstehung immer noch nicht vollständig charakterisiert, denn neben den Onkogenen spielen auch die Tumor-Suppressor-Gene eine entscheidende Rolle in der Karzinogenese, worauf im nächsten Abschnitt näher eingegangen werden soll.
1.1.2 Tumor-Suppressor-Gene
Tumor-Suppressor-Gene codieren für Proteine, die als negative Wachstumsregulatoren der ungehemmten Zellproliferation entgegenwirken. Im Gegensatz zu den Onkogenen haben Tumor-Suppressor-Gene einen rezessiven Charakter. Der Mutation eines Allels folgt in den meisten Fällen der Verlust oder, seltener, die Mutation des zweiten Allels.
Die Entdeckung der Tumor-Suppressor-Gene wurde auf zwei verschiedenen Wegen vorangetrieben. Erste Anhaltspunkte für ihre Existenz stammten aus somatischen Zellhybridisierungen. Fusionierte man gesunde Zellen mit Tumorzellen, verloren diese einige oder alle malignen Eigenschaften (Harris et al. 1969, Stanbridge 1976). Nach einiger Zeit erlangten einige Zellen ihr malignes Potential zurück und dieses korrelierte mit dem Verlust bestimmter Chromosomen bzw. bestimmter Chromosomenbruchstücke. Daher postulierte man, daß im Genom normaler Zellen Gene existieren, die der malignen Transformation der Zelle entgegenwirken und daß Mutationen dieser Gene rezessiven Charakter haben (Pereira-Smith et al. 1983).
Einen weiteren Hinweis auf die Existenz von Tumor-Suppressor-Genen lieferte ein seltener, kindlicher Tumor, das Retinoblastom. Dieser Tumor existiert in einer hereditären Form, bei der häufig beide Augen betroffen sind und in einer sporadischen Form mit der Beteiligung nur eines Auges. Knudson postulierte, daß zwei voneinander unabhängige Mutationen benötigt werden, um ein Retinoblastom entstehen zu lassen ( Knudson 1971). Gemäß seiner „two-hit"-Hypothese finden beim sporadischen Retinoblastom zwei somatische Mutationen innerhalb der Zelle statt, während bei der hereditären Form bereits eine Keimbahnmutation vorliegt und nur eine somatische Mutation benötigt wird, um den Tumor entstehen zu lassen.
Die Identifizierung des am Retinoblastom beteiligten Genlocus begann mit der Karyotypanalyse der Patienten mit hereditärem Tumor. Sichtbare Deletionen des langen Arms des Chromosoms 13 wurden häufig beobachtet (Yunis et al. 1978). Der darauf folgende Vergleich von Chromosom 13-DNA-Polymorphismen zeigte einen Verlust der Heterozygotie in Tumorproben verglichen mit Normalzellen des gleichen Patienten (Cavenee et al 1983, Godbout et al. 1983, Dryja et al 1986).
Diese Beobachtungen ließen vermuten, daß im Falle des Retinoblastoms das erste und zweite Ereignis im Sinne der „two-hit"-Hypothese in einem Verlust oder einer Mutation des genetischen Materials besteht, bei dem der gleiche Locus homologer Chromosomen betroffen ist. Daraus folgte, daß die komplette Inaktivierung eines einzelnen Genes der wahrscheinlichste Grund für die Entstehung des Retinoblastoms ist. Inzwischen gelang es, dieses Gen („Retinoblastoma-susceptibility-gen, RB1-gene") zu sequenzieren und seitdem gilt es als Prototyp des Tumor-Suppressor-Gens ( Friend et al 1986, Lee et al. 1987).
Abbildung 2 ( Albers et al. 1995) zeigt noch einmal die genetischen Mechanismen die dem Retinoblastom zugrunde liegen. Auf das RB1-Gen soll unter 1.2 ausführlicher eingegangen werden.
Abb.2 Zugrundeliegende genetische Mechanismen des Retinoblastoms
Bei der hereditären Form des Retinoblastoms fehlt allen Zellen eines der beiden Allele des Retinoblastom-Gens und ein Tumor entsteht, wenn das verbleibende intakte Allel verloren oder inaktiviert wird („second hit"). Bei der sporadischen Form besitzen zunächst alle Zellen zwei intakte Allele des RB-Gens. Zur Tumorentstehung kommt es, wenn koinzidentiell zwei somatische Mutationen innerhalb einer Zelle auftreten. (modifiziert nach Albers et al. 1993).
Ein weiteres Tumor-Suppressor-Gen von enormer Bedeutung für die Karzinogenese ist das sog. p53-Gen, das seinen Namen durch die Größe seines Proteins (53 kd) erhielt und in mehr als 50% aller menschlichen Tumoren inaktiviert ist (Harris 1993, Weinberg 1996).
Es wurde erstmals in Zellen entdeckt, die durch das Onkoprotein „SV 40 large T-antigene" (Produkt des DNA-Tumorvirus simian virus 40) transformiert wurden ( Lane et al. 1979, Linzer et al. 1979).
Weitere Bestätigung seiner Tumor-Suppressor-Gen-Funktion erhielt man anhand eines sehr seltenen Syndroms, dem sog. Li-Fraumeni-Syndrom (Li et al. 1969, Li et al. 1988). Menschen, die durch Vererbung nur ein funktionierendes Allel des p53-Gens besitzen, entwickeln mehrere, voneinander unabhängige Tumoren der unterschiedlichsten Art in einem relativ frühen Alter. Wie beim hereditären Retinoblastom haben Tumorzellen zwei defekte Kopien des Gens, hier p53, während die gesunden Zellen nur einen Defekt besitzen. Diese Beobachtungen sind typisch für Tumor-Suppressor-Gene, die ja rezessiven Charakter haben und in Bestätigung dieser vermuteten Rolle des p53-Gens wird eine Proliferation von Zellen mit aktiviertem ras und myc-Onkogen durch Transfektion mit intaktem p53 verhindert (Eliyahu et al 1989).
Im Gegensatz zum RB1-Gen findet man in Zellen unter normalen Bedingungen nur sehr wenig p53-Protein, auch für die normale Entwicklung wird es nicht benötigt: „Knock-out-Mäuse", denen beide p53-Allele fehlen, entwickeln sich artgerecht außer, daß sie im Alter von ca. drei Monaten Tumoren entwickeln (Donehower et al. 1992). Vermutet wird, daß p53 nur unter besonderen Bedingungen benötigt wird. Es soll Zellproliferation hemmen, indem es den Eintritt der Zelle in die Synthese-Phase des Zellzyklus verhindert und der Zelle damit Zeit gibt, eventuell aufgetretene DNA-Schäden zu reparieren oder die Apoptose einzuleiten (Lane 1992, White 1994).
Dieser programmierte Zelltod ist noch ein Schutzmechanismus der Zelle, der von Tumorzellen umgangen werden muß. Normalerweise führen Chromosomenschäden, Aktivierung von Onkogenen bzw. Inaktivierung von Tumor-Suppressor-Genen zum Zelluntergang, um den Gesamtorganismus vor den Auswirkungen dieser Zellveränderungen zu schützen. Tumoren entwickeln sich demnach aus einer Zelle, die aus bestimmten Gründen der Apoptose entgangen sind. Neben p53 sind auch das myc- sowie das bcl2-Onkogen an der Umgehung des programmierten Zelltods beteiligt ( Weinberg 1996, Dixon et al.1997).
1.1.3 Andere an der Karzinogenese beteiligte Faktoren
Neben Onkogenen und Tumor-Suppressor-Genen gibt es noch eine weitere Kategorie von Genen, die an bestimmten Formen der Krebsentstehung beteiligt sind, die sog. „DNA-processing-genes", die in erster Linie für die Reparatur von DNA-Schäden verantwortlich sind und alle einem autosomal-rezessiven Erbgang folgen. Dieses hocheffektive DNA-Reparatur-System ist einer der Gründe, warum es Jahrzehnte dauern kann bis alle für eine Zelltransformation notwendigen Mutationen in einer Zelle zusammentreffen und sich ein Tumor entwickelt (Ford et al. 1997). Die fatalen Folgen, die ein Ausfall dieses Systems hat, sind bei der Krankheit Xeroderma pigmentosum zu beobachten, bei der Zellen unfähig sind, durch UV-Strahlung induzierte DNA-Schädigung zu beheben und Patienten daher ein ca. 2000fach höheres Risiko haben, Hauttumoren zu entwickeln. Bisher konnten acht verschiedene Gene, die für diese Krankheit verantwortlich sind, identifiziert werden (Copeland et al. 1997).
Andere Beispiele für genetische DNA-Reparatur-Defekte sind die Fanconi-Anämie sowie die Ataxia teleangiectatica, die beide mit einem deutlich erhöhten Leukämierisiko einhergehen (Pritchard-Jones 1996). Auch beim „hereditary nonpolyposis colorectal cancer" (HNPCC) ist ein defektes DNA-Reparatur-Gen, das hMSH2-Gen ursächlich für die familiäre Häufung dieses Tumors (Lynch et al 1996).
Doch auch hiermit ist das komplexe Geschehen der Tumorentstehung noch nicht vollständig beschrieben. Es gibt DNA-Segmente am Chromosomenende, sog. Telomere, die während jeder Zellreplikation ein wenig gekürzt werden und die, sobald eine gewisse kritische Größe erreicht, d.h. eine bestimmte Anzahl von Duplikationen erfolgt ist, die Zelle in die Apoptose steuern. Die meisten Tumorzellen jedoch exprimieren ein Gen, das für das Enzym Telomerase codiert. Dieses Enzym, in den meisten gesunden Zellen nicht zu finden, ersetzt systematisch Telomersegmente, so daß das Apoptosesignal verhindert und eine endlose Replikation ermöglicht wird (Greider et al. 1996, Klingelhutz 1997).
Hat eine Zelle alle diese notwendigen Veränderungen erfahren und ist neoplastisch geworden, so muß eine weitere Bedingung erfüllt sein, damit ein Tumor weiterwächst: seine Blutversorgung muß sichergestellt sein. Dies erreicht er durch die gleichzeitge Ausschüttung stimulierender und inhibitorischer Angiogenesefaktoren, die in einem subtilen Zusammenspiel für die Neovaskularisation sorgen. Gerade hier ergeben sich in jüngster Zeit hoffnungsvollste Ansätze für die Therapie, denn es ist gelungen, zwei inhibitorische Faktoren, Angiostatin und Endostatin, zu isolieren. Rekombinantes Angiostatin bzw. Endostatin führt in Mäusen zu einer Regression des Tumors auf eine nur noch mikroskopisch nachweisbare Größe (O`Reilly et al. 1996, 1997).
Schlußendlich muß es zu weiteren Genmutationen kommen, damit ein Tumor metastasieren kann. So ist eine hohe Expression des erb-B2-Onkogens ein Indikator für Metastasierung in Mamma-Karzinomen, ebenso wie Veränderungen des E-cadherin-Gens und des nm23-Gens (Freije et al. 1996, Shiozaki et al. 1996).
Im nächsten Abschnitt soll nun das RB1-Gen, das Ziel dieser Untersuchung war, genauer dargestellt werden.
1.2. Das Retinoblastom-Gen (RB1)
Im vorherigen Kapitel wurde die Entdeckung des RB1-Gens beschrieben und seine Rolle als Prototyp des Tumor-Suppressor-Gens erläutert. Hier soll nun näher auf seine Struktur, seine Funktion und seine Beteiligung an anderen Tumoren eingegangen werden.
Nachdem verschiedene Anzeichen auf die Existenz eines rezessiven Tumor-Suppressor-Gens auf dem Chromosom 13q14 hinwiesen, gelang es schließlich Friend und Mitarbeitern das fragliche Gen zu isolieren ( Friend et al. 1986). Weitere Bestätigung seiner Existenz ergaben Beobachtungen, daß mRNA-Transkripte des isolierten Gens in Tumorzellen häufig fehlten oder in ihrer Größe reduziert waren (Fung et al. 1987). Außerdem wurde das Wachstum transformierter Zellen, denen RB1 fehlte, gestoppt, wenn das Gen in die Zellen eingebracht wurde ( Huang et al 1988, Bookstein et al. 1990).
Das RB1-Gen ist etwa 18o kb lang und besteht aus 27 Exons, die für eine 4,7 kb lange mRNA codieren (McGee et al. 1989). Der RB1-Promoter ist reich an Guanin und Cytosin und enthält zahlreiche sog. „CpG-rich-islands", die in methyliertem Zustand die Transkription des Genes verhindern ( Sakai et al. 1991, Ohtani-Fujita et al. 1993, Greger et al. 1994). Hierauf wird unter 1.5 näher eingegangen.
Das RB1-Genprodukt besteht aus einem Zellkern-Protein (p110RB1), das aus 928 Aminosäuren besteht, ein Molekulargewicht von 110 kd besitzt und in allen bisher untersuchten Geweben ubiquitär exprimiert wird (Lee et al. 1987a, 1987b, Goodrich et al. 1993).
Der Verlust des RB1-Gens spielt nicht nur beim Retinoblastom eine entscheidende Rolle, sondern auch in einer großen Anzahl anderer Tumoren. So überleben heute etwa 90% der Patienten das Retinoblastom, und Folgeuntersuchungen haben gezeigt, daß jene, die an der hereditären Form litten, ein gesteigertes Risiko haben, ein Zweitmalignom zu entwickeln und zwar in erster Linie ein Osteosarkom (Hansen et al.1985).
Aber auch ohne vorhergehende Keimbahnmutation ist der Verlust des RB1-Gens am Osteosarkom (Wadayama et al 1994), Harnblasenkarzinom (Ishikawa et al. 1991), Bronchialkarzinom (Xu et al. 1991), Mammakarzinom (T`Ang et al. 1988), Parathyroideakarcinom (Cryns et al 1994) und an anderen Tumoren beteiligt.
Weitere Experimente zeigten, daß RB1 auch für die normale embryonale Entwicklung von Bedeutung ist. So sterben „Knock-out"-Mäuse, denen beide RB1-Allele in der Keimbahn fehlen, bereits um den 16. Tag der Gestation mit Abnormalitäten des zentralen Nervensystems und des blutbildenden Systems (Lee et al. 1992, Jacks et al. 1992).
1.2.1 Funktion des RB1-Gens
Wenn der RB1-Ausfall so fatale Folgen sowohl in Bezug auf die Karzinogenese als auch für die embryonale Entwicklung hat, stellt sich natürlich die Frage nach der genauen Funktion des RB1-Gens. Um diese zu verstehen, muß hier kurz auf den in den letzten Jahren aufgekommenen Begriff der „cell cycle clock" eingegangen werden (Sherr 1996). Diese „Uhr" ist der entscheidende Taktgeber der Zelle und in allen Formen menschlicher Tumoren außer Kontrolle geraten. In der gesunden Zelle koordiniert die „cell cycle clock" alle wachstumsregulierenden Faktoren, die die Zelle aus ihrer Umgebung erhält und entscheidet, ob die Zelle in den Zyklus eintritt und sich teilt. Dieser ist in Abb.3 dargestellt und besteht aus vier Phasen.
Abb.3 Stadien des Zellzyklus
In der G1(gap 1)-Phase wächst die Zelle und bereitet sich auf die Duplikation der DNA vor, die in der nächsten sog. S(synthesis)-Phase stattfindet und dafür sorgt, daß jede neue Zelle wieder einen kompletten Chromosomensatz erhält. Darauf schließt sich eine G2(gap 2)-Phase an, während der sich die Zelle auf die letzte, sog. M(mitosis)-Phase vorbereitet, in der sich die Zelle schließlich in ihre zwei Tochterzellen teilt. Diese treten entweder sofort wieder für weitere Reduplikation in die G1-Phase ein oder sie verharren vorübergehend (G0-Phase) oder konstant in ihrem Zustand. Die „cell cycle clock" programmiert diese Abfolge von Ereignissen mit einer Vielzahl von Molekülen (modifiziert nach Weinberg 1996).
Während der G1-Phase gibt es einen kritischen Punkt, den sog. „restriction point" (Weinberg 1995, Bartek et al. 1996, Harrington et al. 1999), an dem die Zelle entscheidet, ob sie den Zyklus vollendet. Der entscheidende Mechanismus, durch den die Zelle vom „restriction point" in die Synthese-Phase gelangt, ist in Abb.4 dargestellt.
Abb.4 Phosphorylierung des RB1-Proteins
Sog. Cycline verbinden sich mit Enzymen, die „cyclin-dependent kinases"(cdk) genannt werden, zu einem aktiven Komplex. Dieser nun überträgt eine Phosphatgruppe auf das RB1-Protein, das die entscheidende Bremse der „cell cycle clock" darstellt. Unphosphoryliert blockiert das RB1-Protein den Zyklus, indem es bestimmte Transkriptionsfaktoren hemmt. In phosphoryliertem Zustand jedoch wird diese Hemmung aufgehoben, und die Transkriptionsfaktoren regen durch Aktivierung der RNA-Polymerase(pol)-II die Produktion neuer Proteine an, die für die Beendigung des Zellzyklus benötigt werden. Der Verlust des RB1-Proteins, also der entscheidenden Bremse, sorgt demnach dafür, daß die Zelle in die S-Phase eintritt und sich schließlich teilt, auch unter Umständen, die dies normalerweise verhindern würden (modifiziert nach Weinberg 1996).
Neueste Untersuchungen zeigen sogar, daß das RB1-Protein auch pol I und pol III hemmt und damit der bisher einzig bekannte Repressor aller drei RNA-Polymerasen ist (White et al. 1996, Nasmyth 1996). Diese Entdeckung, daß auch rRNA- und tRNA-Gene durch das RB1-Protein reguliert werden, ist eine weitere Erklärung dafür, daß ein RB1-Verlust einen so dramatischen Effekt auf die Zellproliferation hat.
Zusätzlich scheint RB1 sowohl eine Rolle in der Antiangiogenese (Chang et al.1995) als auch in der Tumorzellantigenität (Lu et al.1996) zu spielen.
Aufgrund der vielfältigen Eigenschaften des RB1-Proteins und den verheerenden Folgen seines Ausfalls, ist es nicht erstaunlich, daß erste Versuche unternommen wurden, ein ausgefallenes RB1-Protein im Rahmen einer Gentherapie zu ersetzen. Dabei gelang es bereits, durch das Einbringen des RB1-Gens via virale Vektoren, das Wachstum von Tumoren in RB1-defizienten Nacktmäusen zu stoppen (Xu 1997, Hayashi et al. 1999).
1.2.2 Möglichkeiten der RB1-Gen-Inaktivierung
Wie aber kann es nun zu einem vollständigen RB1-Verlust kommen? Abb.5 zeigt fünf verschiedene Möglichkeiten:
Abb.5 Möglichkeiten der RB1-Gen-Inaktivierung (Wagener 1996)
-Chromosomenverlust: entsteht durch Fehlverteilung,
d.h. durch das Nichtauseinanderweichen („non-disjunction") von Chromosomen
in der Mitose
-Translokation: ist die Verlagerung eines Gens
auf ein anderes Chromosom, wodurch eine erhebliche Modifizierung bzw. Deregulation
der Genfunktion entstehen kann
-Deletion: ist der Verlust eines oder mehrerer
Basenpaare
-Punktmutation: ist der Austausch eines einzelnen
Nukleotids
Zur Inaktivierung des RB1-Gens kommt es häufig auch beim Osteosarkom, auf das im nächsten Kapitel näher eingegangen werden soll.
1.3 Das Osteosarkom
1.3.1 Klinik und Diagnose
Das Osteosarkom ist der häufigste maligne Tumor des Skelettsystems. Er macht ca. 5% aller Tumoren im Kindes- und Jugendalter aus. Die Rate an Neuerkrankungen in Deutschland liegt bei etwa 150 Fällen jährlich (Bielack et al. 1996).
Prädilektionsalter ist das zweite Lebensjahrzehnt, in dem bei knapp 70% aller Osteosarkompatienten die Diagnose gestellt wird. Dieser Häufigkeitsgipfel korreliert deutlich mit der Phase des stärksten Längenwachstums der langen Röhrenknochen. Auch die Hauptlokalisationen der Primärtumoren lassen darauf schließen, daß eine starke Proliferation der knochenbildenden Matrix die Entstehung eines Osteosarkoms begünstigt.
Abb.6 zeigt die Lokalisation der Primärtumoren bei 279 Patienten.
Abb. 6 Lokalisation von 279 primären Osteosarkomen (Glasser et al. 1992)
Das Osteosarkom neigt zu früher Metastasierung. Bei Diagnosestellung finden sich bereits bei 20% aller Patienten manifeste Metastasen, deren Hauptlokalisation die Lunge ist. Seit der Verlängerung der Überlebenszeit wird auch eine vermehrte ossäre Metastasierung in das Skelettsystem beobachtet. Unter den sog. Skipmetastasen versteht man Absiedlungen des Osteosarkoms in einigen Zentimetern Entfernung vom Primärtumor, die durch Ausdehnung innerhalb der Markhöhle des Knochens entstehen (Meyers et al. 1993).
Man vermutet jedoch, daß selbst bei den Patienten, die initial frei von Metastasen erscheinen, in ca. 80% bereits eine okkulte Metastasierung vorliegt.
Symptomatisch werden Osteosarkome in den meisten Fällen durch Schmerzen, Schwellung und Wärmegefühl im Bereich des Tumors. Radiologisch finden sich sklerotische und osteolytische Herde infolge Kortikalisdestruktion, subperiostaler Ausbreitung und Weichteilinfiltration. Durch periostale Knochenneubildung kann ein sog. „Sonnenstrahlbild" entstehen, das durch Osteoidsporne zustande kommt, die senkrecht zur Kortikalis in das Weichteilgewebe einstrahlen. Außerdem sieht man häufig charakteristische Periostabhebungen, sog. „Codman- Dreiecke".
Als aussagekräftige Laborparameter lassen sich häufig eine beschleunigte BSG, sowie erhöhte Werte für die Alkalische Phosphatase sowie für die Laktatdehydrogenase feststellen.
Zum Ausschluß von Metastasen schließt sich eine Röntgenübersichtsaufnahme der Lunge, ein Lungen-CT sowie ein Knochenszintigramm an.
Weichteil- und Gefäßinfiltrationen des Tumors lassen sich durch intravenöse Kontrastmittelgabe im CT oder im NMR darstellen. Mit dem zweiten Verfahren ist es darüber hinaus möglich, das Ansprechen des Tumors auf die präoperative Chemotherapie abzuschätzen, da eine deutliche Korrelation zwischen der Kontrastmittelaufnahme durch den Tumor und sein Ansprechen auf die Chemotherapie besteht (Fuchs 1993).
1.3.2 Pathogenese
Man unterscheidet primäre von sekundären Osteosarkomen. Hier soll zunächst auf die sekundären Formen eingegangen werden.
1.Sekundäre Osteosarkome
a) Strahleninduzierte Osteosarkome: sind seit langem bekannt (Li et al. 1975, Meadows et al. 1980). Sie entwickeln sich nach einer Radiotherapie eines anderen Primärtumors und machen ca. 5% aller Osteosarkome aus. Die Latenz zwischen Bestrahlung und Manifestation des Tumors kann zwischen vier und vierzig Jahren variieren.
b) Paget-Osteosarkome: entstehen als seltene Komplikation der Osteitis deformans Paget, eines chronisch entzündlichen Knochenprozesses des höheren Lebensalters, und haben eine sehr schlechte Prognose.
c) Osteosarkome nach Retinoblastom: entwickeln sich sowohl in Knochen, die innerhalb als auch außerhalb des Bestrahlungsgebiets lagen, so daß außer der Strahlenbelastung ein weiterer Faktor eine Rolle spielen muß. Dieser Faktor besteht im RB1-Gen, dessen Verlust auch im sekundären Osteosarkom nachgewiesen werden konnte, so daß frühzeitig vermutet wurde, daß das RB1-Gen eine wesentliche Rolle in der Ätiologie der Osteosarkome spielt ( Friend et al. 1986, Benedict et al. 1988). Neuerdings wurde allerdings auf die Gefahr hingewiesen, die Rate an tatsächlichen Zweitmalignomen zu überschätzen, da eine Abgrenzung von einem Rezidiv häufig Schwierigkeieten bereitet (Dickmann et al. 1997). Auf das RB1-Gen wird nun bei den primären Tumoren näher eingegangen.
2.Primäre Osteosarkome
Bei den im Kindesalter auftretenden Osteosarkomen handelt es sich in der Regel um primäre, sporadische Osteosarkome.
Nach den o.g. Entdeckungen beim sekundären Osteosarkom nach Retinoblastom wurden auch beim primären Osteosarkom, d.h ohne vorherige Manifestation eines Retinoblastoms, Mutationen des RB1-Gens auf dem Chromosom 13q14 festgestellt (Toguchida et al. 1988, Scholz et al. 1992, Wadayama et al. 1994).
Zusätzlich propagieren neuere Untersuchungen zum einen die Beteiligung des RB1-Proteins an der sog. „multi drug resistance" sowie zum anderen die Möglichkeit, den Verlust der Heterozygotie des RB1-Gens als prognostischen Faktor zu nutzen (Li et al. 1995, Feugeas et al. 1996).
Da aber nicht alle Patienten mit hereditärem Retinoblastom an einem Osteosarkom erkranken, nicht in allen primären Osteosarkomen RB1-Veränderungen nachweisbar sind, müssen weitere Mutationen innerhalb der Zelle stattfinden, bevor es zur malignen Entartung des Osteoblasten kommt. Zunächst entdeckte man auch hier die Beteiligung des p53-Gens (Masuda et al. 1987).
Diese Beobachtungen konnten von verschiedenen Gruppen nachvollzogen werden ( Miller et al. 1990, Scholz et al. 1992, Lonardo et al. 1997). Auch Keimbahnmutationen des p53-Gens in Osteosarkomen wurden gefunden (Toguchida et al. 1992), ebenso wie Veränderungen des mit p53 assozierten MDM2-Genproduktes (Oliner et al. 1992, Ladanyi et al. 1993).
Weitere Untersuchungen zeigten, daß nicht nur auf den Chromosomen 13q (RB1) und 17p (p53) Allelverluste feststellbar waren, sondern auch auf 3q und 18q (Yamaguchi et al. 1992, Horstmann et al. 1997, Kruzelock et al. 1997). Dies legt die Beteiligung weiterer Tumor-Suppressor-Gene nahe.
Darüberhinaus wurden c-myc-Amplifikationen im Osteosarkom beschrieben (Ozaki et al. 1993), während eine erhöhte Expression des erb2-Onkoproteins sogar mit einer schlechten Prognose der Erkrankung einhergeht (Onda et al. 1996).
1.3.3 Histologische Klassifikation
Der Begriff Osteosarkom wird benutzt, um maligne Tumoren zu beschreiben, die durch Bildung osteoiden Gewebes charakterisiert sind. Er umfaßt ein weites Spektrum von Läsionen mit unterschiedlichen klinischen und pathologischen Eigenschaften, die auch das biologische Verhalten der Tumoren prägen. Für die Therapie der Wahl spielt dementsprechend die histologische Klassifizierung eine entscheidende Rolle, auch wenn sie alleine keine sichere Aussage über den klinischen Verlauf und die Prognose zuläßt.
Histologisch ist das Tumorgewebe in schachbrettartiger Anordnung aus einem sarkomatösen Stroma, Tumorosteoid, Tumorknochen und oft auch Tumorknorpel zusammengesetzt, so daß osteoblastische, chondroblastische, fibroblastische, teleangieektatische und histiozytische Osteosarkome unterschieden werden (Dahlin et al. 1986).
Die aktuelle Klassifikation der „World Health Organization" (WHO) unterteilt die Tumoren in zwei große Gruppen, nämlich in die zentralen (medullären) und in die oberflächlichen (peripheren) Osteosarkome, die jeweils noch bestimmte Subtypen bilden (Schajowicz et al. 1995).
1.Zentrale Osteosarkome
a) Konventionelle Osteosarkome:
sind die häufigsten Osteosarkome, die durch ausgeprägte Osteoidbildung und hohe Malignität gekennzeichnet sind. Je nach vorherrschender Grundsubstanz unterscheidet man weiter in osteoblastische, chondroblastische und fibroblastische Subtypen.
b) Teleangiektatische Osteosarkome
sind destruktiv-osteolytische Tumoren mit dominierender Wucherung der Tumorgefäße, zahlreichen zystischen Arealen und wenig Tumorosteoid.
c) Intraossäre gut-differenzierte (niedrig maligne) Osteosarkome
haben eine bessere Prognose als die konventionellen Osteosarkome und lassen sich manchmal nur schwer von benignen Knochentumoren (Fibröse Dysplasie, Desmoplastisches Fibrom) abgrenzen.
d) Rundzellige Osteosarkome
werden auch kleinzellige Osteosarkome genannt und haben große Ähnlichkeit mit dem Ewing-Sarkom.
2. Oberflächliche Osteosarkome
a) Parosteale (juxtacorticale) Osteosarkome
kommen überwiegend im jungen Erwachsenenalter vor, sind gut differenziert und haben von allen Osteosarkomen die beste Prognose.
b) Periosteale Osteosarkome
bilden häufig Knorpel und sind daher manchmal schwierig von Chondrosarkomen abzugrenzen. Sie betreffen fast immer die Diaphysen von Femur oder Tibia.
c) Hochmaligne oberflächliche Osteosarkome
entsprechen in ihrem histologischen Bild und ihrer Prognose den zentralen konventionellen Osteosarkomen.
1.3.4 Therapie und Prognose
Vor dem Einsatz von Chemotherapeutika in der Osteosarkombehandlung lag die Überlebensrate von Patienten ohne Metastasen zum Diagnosezeitpunkt bei 15%-20% (Dahlin et al. 1967). Nach Einführung hochdosierten Methotrexats in den siebziger Jahren (Jaffe et al. 1974) hat sie heute unter dem Einsatz einer Polychemotherapie ca. 70% erreicht.
Wichtigste Zytostatika sind dabei Doxorubicin (DOX, Adryamycin), Ifosfamid (IFO), Cisplatin ( cisDDP) und hochdosiertes Methotrexat mit Folsäurezusatz (Winkler et al. 1993, Provisor et al. 1997, Uchida et al. 1997).
Diese Behandlung besteht aus einer präoperativen (neoadjuvanten) Chemotherapie, einer Tumorextirpation nach 10-12 Wochen und einer postoperativen Chemotherapie. Vorteile dieses Verfahrens liegen in:
- einer Verbesserung der systemischen Tumorkontrolle, da die Chemotherapie nicht durch Wundheilungsprobleme verzögert wird
- einer Verbesserung der lokalen Tumorkontrolle durch Verkleinerung und bessere Demarkation des Tumors, wodurch häufiger extremitätenerhaltende Operationsverfahren möglich sind.
- einem Informationsgewinn durch in vivo Beobachtung des Tumorverhaltens unter Chemotherapie, die prognostische Aussagen zuläßt.
- der Möglichkeit, individuell aus dem Tumoransprechen die postoperative Chemotherapie zu planen.
In der Cooperativen Osteosarkomstudie ( COSS-96 ) der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Knochentumoren in Wien sollen nun drei Risikogruppen definiert werden, um die Chemotherapie zu optimieren. Als Parameter dienen dabei das initiale Tumorvolumen, ermittelt durch Nativröntgenaufnahmen in 2 Ebenen, und das Ansprechen auf die präoperative Chemotherapie, gemessen in folgenden Regressionsgraden nach Salzer-Kuntschik (Salzer-Kuntschik et al. 1983):
I keine vitalen Tumorzellen
II einzelne vitale Tumorzellen oder eine vitale Tumorinsel < 0.5 cm
III weniger als 10% vitales Tumorgewebe
IV 10-50 % vitales Tumorgewebe
V mehr als 50% vitales Tumorgewebe
VI kein Effekt der Chemotherapie
Daraus ergeben sich drei Risikogruppen:
a) Niedrigrisikogruppe (ca. 30% der Patienten):
Definition: Tumorvolumen < 70 ml unabhängig vom Regressionsgrad
Tumorvolumen 71-150 ml bei Regressionsgrad I oder II
b) Hochrisikogruppe (ca. 10% der Patienten):
Definition: Tumorvolumen >150 ml bei Regressionsgrad V oder VI
c) Standardrisikogruppe (ca. 60% der Patienten):
Definition: nicht in einer der anderen Gruppe, d.h.:
Tumorvolumen 71-150 ml bei Regressionsgrad III bis VI
Tumorvolumen >150 ml bei Regressionsgrad I bis IV
Diese beiden Parameter, initiales Tumorvolumen und Regressionsgrad, werden zur Bestimmung des Risikos herangezogen, da sie die beiden aussagekräftigsten prognostischen Faktoren sind ( Davis et al. 1994, Bieling et al. 1996). Nachteil dieser Einteilung ist jedoch, daß die Risikogruppen erst nach Beginn der Therapie festgelegt werden. Wünschenswert wären Kriterien, die man bereits bei Diagnosestellung zur Verfügung hätte. Die erfolgreiche chirurgische Lokalkontrolle ist dabei Voraussetzung für die Analyse weiterer prognostischer Faktoren, da ohne komplette chirurgische Sanierung eine praktisch infauste Prognose vorliegt (Bieling et al. 1996).
In der Literatur wird häufig über weitere prognostische Faktoren wie Alter, Geschlecht, Tumorlokalisation, LDH oder alkalische Phosphatase berichtet, die sich dann aber in weiteren Untersuchungen oft nicht bestätigen lassen (Davis et al. 1994).
In den letzten Jahren hat sich die Suche nach prognostischen Markern des Osteosarkoms immer mehr auf molekularbiologische Methoden konzentriert. Der große Vorteil dieser Methoden besteht darin, daß man bereits zum Diagnosezeitpunkt mit Hilfe einer Biopsie individuell je nach genetischen bzw. zellulären Veränderungen die Chemotherapie ansetzen könnte. Hier sollen nun vier Ergebnisse vorgestellt werden, die allerdings weiterer Bestätigung bedürfen.
Der Verlust der Heterozygotie des RB1-Gens, der in ca. 70% der untersuchten Osteosarkome feststellbar war, erwies sich als hochsignifikanter Marker für einen schlechteren Ausgang der Erkrankung (Wadayama et al. 1994, Feugeas et al. 1996).
Die Überexpression des erbB-2 Proteins korrelierte stark mit früher Metastasierung und kürzerer Überlebenszeit von Osteosarkompatienten (Onda et al. 1996).
Auch der immunhistochemische Nachweis erhöhter p-Glycoproteinspiegel, der wahrscheinlich an der „multidrug resistance" beteiligt ist, ging mit einer schlechten Prognose einher ( Baldini et al. 1995).
Die jüngste dieser Veröffentlichungen zeigt, daß die Expression des sog. „heat shock protein 27", das ebenfalls mit erhöhter Resistenz gegen Zytostatika assoziiert ist, auch einen ungünstigen Krankheitsausgang anzeigt (Uozaki et al. 1997).
1.4 DNA-Methylierung und Tumorentstehung
1.4.1 Normaler DNA-Methylierungsstatus
Eine der Basisfragen in der Biologie ist, wie die identische genetische Information in verschiedenen Geweben unterschiedlich exprimiert wird. Hier haben sich in den letzten Jahren durch die Entdeckung vieler gewebsspezifischer DNA-Bindungs- bzw. Transkriptionsfaktoren zahlreiche neue Erkenntnisse ergeben.
Nun gibt es zwei Mechanismen der Genregulation, bei denen nicht diese Faktoren, sondern ein anderer die entscheidende Rolle spielt, nämlich die DNA-Methylierung, und zwar beim "genomic imprinting" und bei der Inaktivierung eines X-Chromosoms bei der Frau.
Unter "genomic imprinting" versteht man das Phänomen, daß ein Allel eines Gens, das von einem Elternteil vererbt wurde aktiv ist, während das andere Allel des gleichen Gens, das vom anderen Elternteil vererbt wurde, inaktiv ist (Surani 1998, Derrane 1999).
Bei der X-Chromosominaktivierung der Frau werden fast alle Gene, die auf einem der beiden X-Chromosomen liegen, im Trophoblasten und später im primitiven Ektoderm inaktiviert, während das andere Allel des gleichen Gens auf dem anderen X-Chromosom aktiv ist (Migeon 1994).
Daß verschiedene Methylierungsvorgänge für das normale embryonale Wachstum essentiell sind, zeigen auch Versuche an "Knock-out-Mäusen", denen das Gen für die Methyltransferase fehlt und die damit nicht in der Lage sind, Teile ihres Genoms zu methylieren. Diese Mäuse sterben kurz nach der Gastrulation (Li et al. 1992).
Wie und wo spielt sich nun der Vorgang der Methylierung ab?
In höheren Eukaryonten ist DNA-Methylierung nur an der 5`-Position des Cytosins in CpG-Dinukleotiden zu finden (Clark et al. 1995). Diese methylierten CpG-Dinukleotide sind etwa um den Faktor fünf im Genom unterrepräsentiert, wahrscheinlich durch die einfache Umwandlung von methylierten Cytosinen in Thymidin durch Deaminierung und einer daraus resultierenden höheren Mutationsrate (Jones 1996), worauf später eingegangen wird.
Ungefähr 1%-2% des Genoms jedoch bestehen aus Inseln nicht methylierter DNA und diese Sequenzen zeigen die erwartete Frequenz der CpG-Dinukleotide, die sog. "CpG-rich islands". Diese sind ca. 1 kb lang und am 5`-Ende des Gens lokalisiert (Laird et al. 1994). Alle bekannten "housekeeping genes", also Gene, die ubiquitär exprimiert werden, haben assoziierte "CpG-rich-islands", die in der Nähe der Promoterregion liegen (Turker 1997).
"CpG-rich islands" sind in somatischen Zellen normalerweise nicht methyliert, mit Ausnahme des o.g. "genomic imprinting" und der X-Chromosominaktivierung.
Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, daß eine Veränderung des Methylierungsstatus mit einer Transformation der Zelle einhergeht. Da Hypomethylierung mit Genaktivierung, Hypermethylierung jedoch mit Geninaktivierung assoziiert ist, untersuchte man diese Phänomene an Onkogenen bzw. Tumor-Suppressor-Genen, deren Aktivierung bzw. Inaktivierung maßgeblich an der Tumorigenese beteiligt ist.
1.4.2 Hypomethylierung und Tumorentstehung
Eine Reihe von Untersuchungen hat gezeigt, daß Tumorzellen häufig insgesamt einen reduzierten Gehalt an methylierten Cytosinen aufweisen (Feinberg et al. 1983, 1988, Baylin 1998, Chen et al. 1998).
Auch die Hypomethylierung spezifischer Gene konnte gezeigt werden. So waren die ras- bzw. raf-Onkogene in Mäuselebergewebe methyliert, in deren Tumoren jedoch nicht (Ray et al. 1994).
Dennoch ist im Falle der Hypomethylierung die Kausalität noch sehr fraglich. Das Cytidin Analogon 5-Azacytidin (5-azaC) ist ein sehr potenter Inhibitor der DNA-Methylierung. Es wird während der Replikation in die DNA eingebaut und bindet anschließend kovalent an die Methyltransferase, also jenes Enzym, das die DNA-Methylierung katalysiert. Dadurch wird diese Reaktion gehemmt (Szyf 1996). 5-azaC verursacht also Hypomethylierung des Genoms. Die bisher erfolgten Untersuchungen mit 5-azaC zeigen ein widersprüchliches Bild. Einerseits konnte zuweilen im Tiermodell ein Tumor durch 5-azaC hervorgerufen werden, andererseits verhinderte gerade Hypomethylierung durch 5-azaC das Wachstum von Tumoren (Laird et al. 1995, Bender et al. 1998).
Während also die Hypomethylierung als Begleiterscheinung vieler Tumoren unstrittig ist, können über die Kausalität dieser Hypomethylierung noch keine sicheren Aussagen gemacht werden, im Gegensatz zur Hypermethylierung bestimmter Gene, die im nächsten Abschnitt besprochen werden soll.
1.4.3 Hypermethylierung und Tumorentstehung
Da die Inaktivierung von Tumor-Suppressor-Genen die Veränderung beider Allele innerhalb einer Zelle voraussetzt, ein im Rahmen der normalen Mutationsrate sehr seltenes Ereignis, wurde ein Modell entwickelt, in dem epigenetische Ereignisse, also z.B. Hypermethylierung das zweite Allel ausschalten (Scrable et al. 1989, Baylin 1998).
Seitdem wurde gezeigt, daß eine Reihe von Tumor-Suppressor-Genen tatsächlich in einigen Fällen durch Hypermethylierung, ohne ersichtliche Veränderung der DNA-Sequenz, herunterreguliert werden. Dies ist unter anderem der Fall beim p16-Gen in diversen Tumoren (Merlo et al. 1995, Esteller et al. 1999), beim p15- und c-abl-Gen in Leukämien (Issa et al. 1997, Aggerholm et al. 1999), beim VHL-Gen in Renalzellkarzinomen (Herman et al. 1994), beim hMLH1-Gen in Colon- und Magenkarzinomen (Kane et al. 1997, Leung et al. 1999), beim p53-Gen in Colon- und anderen Karzinomen ( Rideout et al. 1990, Tornaletti et al. 1995, Schmutte et al. 1996, Schroeder et al. 1997) und beim RB1-Gen bisher nur beim Retinoblastom (Sakai et al. 1991, Greger et al. 1994, Ohtani-Fujita et al. 1997), auf das unter 1.5 gesondert eingegangen wird.
Neueste Untersuchungen zeigen sogar, daß es mit Hilfe des Methylierungsnachweiseses von Tumor-Suppressor-Genen möglich sein könnte, frühzeitig einen Tumor oder ein Rezidiv zu erkennen, indem man im Blut zirkulierende Tumor-DNA und deren veränderten Methylierungsstatus nachweist. Dies gelang kürzlich beim hepatozellulären Karzinom und beim nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinom, bei denen häufig das p16-Gen hypermethyliert ist. Wiesen die Tumoren diese Hypermethylierung auf, so konnten in 73% bzw. in 81% der Fälle auch in DNA, die aus dem Serum extrahiert wurde, diese Veränderungen nachgewiesen werden. Umgekehrt wurde in Serum-DNA bei Patienten, deren Tumor keine Hypermethylierung des p16-Gens aufwies, auch keine dementsprechenden Veränderungen gesehen (Wong et al. 1999, Esteller et al. 1999).
Das Phänomen der Inaktivierung durch Hypermethylierung ist nicht auf Tumor-Suppressor-Gene beschränkt. So wird beispielsweise in Prostatakarzinomzellen die Expression des CD44-Antigens und des Androgen-Rezeptors durch Hypermethylierung herunterreguliert (Jarrard et al 1998, Verkaik et al. 1999).
Hypermethylierung kann auch zu Veränderungen des normalen "genomic imprinting"-Status führen. Auch dies ist mit Tumorentstehung assoziiert (Suzuki et al. 1994, Taniguchi et al. 1995, Derrane 1999). Umgekehrt führte eine Behandlung mit 5-azaC, also eine Demethylierung, in Tumorzellen mit abnormen "imprinting" zu einer Wiederherstellung des regulären Zustandes (Barletta et al. 1997, Bender et al. 1998).
Kürzlich wurde ein neues Tumor-Suppressor-Gen ( HIC-1, Hypermethylated in cancer-1) entdeckt, das von p53 aktiviert und ubiquitär in normalem Gewebe exprimiert wird, jedoch in verschiedenen Tumorzellinien, in denen es in hypermethyliertem Zustand vorliegt, supprimiert ist ( Makos-Wales et al. 1995).
Nickel, ein potentes Karzinogen, schaltet Gene durch Hypermethylierung und spezifische Chromatinkondensation ab, ein weiteres Indiz für die Beteiligung dieser Mechanismen an der Tumorgenese (Lee et al. 1995).
Ein letztes klinisch relevantes Beispiel ist die Methylierung von "CpG-rich-islands" des Östrogen-Rezeptor-Gens in Mammakarzinomen, die mit einer Hormonresistenz einhergeht (Ottaviano et al. 1994).
Wie kommt es nun zur DNA-Hypermethylierung und welches ist der genaue Mechanismus, mit dem sie an der Karzinogenese beteiligt ist ? Diese Fragen sind noch ungeklärt, und daher sollen hier nur kurz die aktuellen Hypothesen vorgestellt werden.
Momentan favorisiert man die Hyperaktivierung der Methyltransferase als Erklärung für die Hypermethylierung gewisser Genomsequenzen. Dafür spricht, daß in vielen Tumorzellen eine erhöhte Menge des Enzyms festgestellt wurde (el-Deiry et al. 1991), daß gesteigerte Methyltransferaseaktivität Zellinien hypermethyliert und transformiert (Wu et al. 1993) sowie ein frühes Ereignis in karzinogen-induzierten Lungentumoren der Maus ist (Belinsky et al. 1996). Außerdem wird die Expression des Methyltransferase-Gens über die potentiell onkogene ras-Signalkaskade reguliert. Veränderungen innerhalb dieser Kaskade führen zu abnormer Expression des Gens (Szyf 1996). Kürzlich wurde nun gezeigt, daß ein gegen die mRNA des Methyltransferase-Gen gerichtetes "antisense oligodeoxynucleotide" Tumorwachstum in vitro und in vivo hemmt (Ramchandai et al. 1997).
Nicht nur die Ursache der Hypermethylierung, sondern auch ihre Effekte sind zur Zeit noch Gegenstand der Forschung. Es kristallisieren sich jedoch zwei verschiedene Erklärungen heraus.
Die erste hebt die höhere Mutationsrate innerhalb methylierter CpG-Inseln hervor. Obwohl methyliertes Cytosin nur ca. 1% aller Basen im menschlichen Genom ausmacht, ist es mutmaßlich an etwa einem Drittel aller Mutationen beteiligt, die zu genetischen Erkrankungen und Krebs führen (Jones et al. 1996). Im p53-Gen sind sechs verschiedene sog. "hot spots" bekannt, in denen ca. 25% aller Mutationen liegen. Fünf dieser sechs "hot spots" beherbergen "CpG-rich islands". Im Colon-Karzinom liegen sogar 50% aller Mutationen des p53-Gens in methylierten Bereichen (Greenblat et al. 1994). Der Grund hierfür liegt in der spontanen oder enzym-katalysierten Deaminierung des mCytosins in Thymidin, woraus nach der nächsten Replikation ein Austausch des Basenpaares CG in AT resultiert.
Abb.7 zeigt eine weitere Möglichkeit, wie Hypermethylierung zur Inaktivierung von Tumor-Suppressor-Gen beitragen kann.
Abb 7 Modell der Inaktivierung von Tumor-Suppressor-Genen durch Hypermethylierung
„CpG-rich-islands" innerhalb des Promoters (PRO), die normalerweise nicht methyliert sind, werden durch zufällige Fehler methyliert. Dies führt zu reduzierter Genexpression, wodurch diese Zellen klonal selektioniert werden (modifiziert nach Jones 1996)
Jones und Mitarbeiter gehen davon aus, daß die de novo Methylierung der CpG-Inseln nicht auf einem aktiven Wege wie während der Embryonalentwicklung geschieht. Eher seien zufällige Methylierungen bisher unmethylierter Sequenzen verantwortlich, die dazu führten, daß diese Zellen dann wegen einiger herunterregulierter Gene selektioniert werden.
Dementsprechend wären Tumor-Suppressor-Gene, die CpG-Inseln enthalten, empfindlich für zufällige Methylierungsfehler, die zu partieller Methylierung bisher unmethylierter Inseln führt. Dies würde wiederum zu verminderter Expression von wachstum-unterdrückenden Genen und dadurch zu einer gesteigerten Wachstumsrate und daraus folgender klonaler Selektion führen,
Es gibt Hinweise, die dieses Modell stützen. So ist die de novo Methylierung ein frühes Ereignis in der Transformation von Zellinien (Jones et al. 1990, Antequera et al. 1990). Zudem ist gesichert, daß Methylierungsfehler in CpG-Inseln des Östrogen-Rezeptor-Gens in normalem Colonepithel älterer Individuen stattfinden, was auch Hinweis auf ein präkanzerogenes Geschehen ist (Issa et al. 1994). Belinsky et al. (1998) zeigten im Tiermodell, daß zunehmende Tumorprogression mit einer Progredienz der p16-Hypermethylierung einhergeht. Während bei Adenokarzinomen der Lunge zu 75% eine Hypermethylierung feststellbar war, fand sich beim Carcinoma in situ nur zu 50%, bei der Metaplasie nur in 24% und bei einer Hyperplasie nur in 17% der Fälle eine Hypermethylierung des p16-Gens.
Der Grad der transkriptionalen Repression hängt eindeutig von der Methylierungsdichte ab, ebenso wie zunehmende Heterochromatisierung (Boyes et al. 1992, Hsieh 1994). Dies wurde bisher erst bei der schrittweisen Immortalisierung und Transformation von Zellinien gezeigt, so daß endgültige Bestätigungen noch ausstehen (Rideout et al. 1994).
Gesichert hingegen ist die Beteiligung der DNA-Methylierung an der „multi drug resistance". Diese kommt dadurch zustande, daß diejenigen Gene zufällig methyliert und inaktiviert werden, deren Produkte an der Aktivierung der zytotoxischen Chemotherapeutika beteiligt sind, so daß ein Selektionsvorteil für diese Zellen entsteht (Nyce 1997).
Wie umgekehrt die Hypermethylierung Ziel von Therapeutika sein kann, soll im nächsten Abschnitt erläutert werden.
1.4.4 DNA-Methylierung als therapeutischer Angriffspunkt
Einige Eigenschaften des abnormen Methylierungsstatus in Tumorzellen machen diesen zu einem interessanten Ziel therapeutischer Intervention.
Dennoch gibt es eine Vielzahl von Gründen, die den Einsatz dieses Medikaments deutlich erschweren.
Toxizität.
1.5 Hypermethylierung des RB1-Gens
Bis heute wurden 241 Retinoblastome in Bezug auf hypermethylierte CpG-Inseln des RB1-Gens untersucht (Greger et al. 1989, Sakai et al. 1991, Greger et al. 1994, Stirzacker et al. 1997, Ohtani-Fujita et al.1997).
140 dieser Retinoblastome stammten von Patienten mit einseitigen, unifokalen Tumoren, 101 von Patienten mit hereditärem Retinoblastom. In 14 Tumoren, alle aus der Gruppe der sporadischen Retinoblastome, konnte eine Hypermethylierung des Rb1-Gens nachgewiesen werden, also in 10% dieser Gruppe.
Da das RB1-Gen in den peripheren Blutzellen dieser Patienten nicht hypermethyliert war, ist die Hypermethylierung wahrscheinlich somatischen Ursprungs.
Die hypermethylierte Region umfaßt den RB1-Promoter und das Exon 1 des RB1-Gens. Dies steht in Einklang mit den in Abschnitt 1.4.1 näher erläuterten Beobachtungen, daß diese Regionen regulatorische Funktionen haben und normalerweise in somatischen Zellen nicht methyliert sind (Turker 1997).
Um zu prüfen, ob die Hypermethylierung kausal oder akzessorisch an der RB1-Inaktivierung beteiligt ist, wurde die Sequenz der hypermethylierten Region bestimmt, in der sich keine Mutationen feststellen ließen (Sakai et al. 1991). Zudem wurde eine deutlich reduzierte RB1-mRNA in den hypermethylierten Tumoren gefunden (Greger et. al. 1994). Dies spricht beides für eine ursächliche Beteiligung der Hypermethylierung an der Geninaktivierung.
Weitere Hinweise darauf lieferten in vitro Methylierungen des RB1-Promoters, die die Genexpression auf 8% im Vergleich zur unmethylierten Kontrolle reduzierte (Ohtani-Fujita et al. 1993). Zusätzlich berichtete diese Gruppe, daß die beiden Transkriptionsfaktoren RBF1 und ATF nicht gebunden wurden, wenn die CpG-Inseln in methyliertem Zustand vorlagen. Ähnliche Befunde ergaben sich in einer weiteren Arbeit, in der festgestellt wurde, daß auch der Transkriptionsfaktor Sp1 nicht gebunden wurde, wenn das RB1-Gen methyliert war (Clark et al.1997).
Diese zahlreichen Beobachtungen waren Anlaß und Grundlage dieser Arbeit, in der geprüft werden sollte, ob das RB1-Gen auch im Osteosarkom durch Hypermethylierung inaktiviert ist. Darauf soll im folgenden Abschnitt genauer eingegangen werden.