5. Diskussion

Die Inaktivierung von Tumor-Suppressor-Genen ist an der Entstehung vieler Tumoren beteiligt. Eine Möglichkeit, diese Gene zu inaktivieren, besteht in der Methylierung regulatorischer Sequenzen. Das Retinoblastom-Gen, als gut bekanntes Tumor-Suppressor-Gen wurde bisher ausschließlich in Retinoblastomen in Bezug auf Hypermethylierung untersucht. Diese fand sich bisher nur in sporadischen Retinoblastomen und zwar in 10% aller untersuchten Fälle, während in hereditären Retinoblastomen bis heute keine Hypermethylierung feststellbar war (Greger et al. 1994, Ohtani-Fujita 1997).

In dieser Arbeit sollte erstmals der Methylierungsstatus des Retinoblastom-Gens in Osteosarkomen untersucht werden, da bekannt ist, daß der Ausfall des RB1-Gens ein häufiges Ereignis in diesen Tumoren ist (Wadayama et al. 1994). Dazu wurden 3 Osteosarkomzellinien und 27 Tumoren untersucht.

Die bisher gefundenen Hypermethylierungen des Retinoblastom-Gens in sporadischen Retinoblastomen (Greger et al. 1989, 1994, Sakai et al. 1991, Ohtani-Fujita 1997) waren alle im Promoterbereich und in Exon 1 lokalisiert (s.Abb.9).

5.1 Amplifikation der p123-Sonde

Um diesen Abschnitt im Southern Blot untersuchen zu können, mußte zunächst die Genprobe p123 mittels „Polymerasen-Ketten-Reaktion" (PCR) 4amplifiziert werden. Diese Gensonde ist 923 bp lang und umfaßt den Promoterbereich sowie Exon 1 (s.Abb.8). Sie wurde auch bei der Detektion o.g. Hypermethylierungen des RB1-Gens benutzt, so daß sichergestellt war, daß die richtigen Sequenzen des RB1-Gens mit dieser Sonde hybridisieren.

Mit Hilfe der Primer 1re ( 5`-GCG AAT TCG GCC CCT GGC GAG GAC GGG TC ) und Oli (5`- GCG AAT TCC CAA AAG GCC AGC AAG TGT CTA AC) gelang es, p123 mittels PCR zu amplifizieren (s.Abb.11, 4.1). Anhand eines Größenvergleiches mit dem j X-Marker und dessen definierten Fragmentgrößen wurde festgestellt, daß die Größe des PCR-Produktes der bekannten Größe von p123 entspricht.

Nach der Extraktion des PCR-Produkts aus dem Agarosegel, stand p123 für die Hybridisierungen zur Verfügung. Getestet wurde die Sonde an Placenta-DNA, nachdem diese zunächst mit der Restriktionsendonuklease SacI und anschließend jeweils mit den methylierungsensitiven Restriktionsendonukleasen SmaI, SacII oder BssHII geschnitten worden war.

Die in Abb.12 (s. 4.2) gezeigten Ergebnisse belegen, daß die amplifizierte Gensonde p123 geeignet ist, die entsprechenden Gensequenzen innerhalb des Retinoblastom-Gens zu detektieren.

5.2 Methylierungssensitive Restriktion der Placenta-DNA

Alle bisher entdeckten Hypermethylierungen des Retinoblastom-Gens wurden mit Hilfe methylierungssensitiver Restriktionsenzyme und anschließendem Southern Blotting gefunden, nachdem in einem ersten Schritt mit der Restriktionsendonuklease SacI (Erkennungssequenz GAGCT/C) ein 6.1 kb-Fragment, das den Promoterbereich und Exon 1 umfaßt, aus dem insgesamt 180 kb langen Retinoblastom-Gen geschnitten wurde. (Greger et al. 1989, 1994, Sakai et al. 1991).

In dieser Arbeit sollte dazu das aus obigen Arbeiten bekannte Enzym SacI sowie die methylierungssensitiven Restriktionsenzyme SacII ( Erkennungssequenz CCGC/GG), SmaI (CCC/GGG) und BssHII (G/CGCGC) benutzt werden. Das Prinzip dieser methylierungssensitiven Restriktionsenzyme besteht darin, daß sie ihre Schnittstellen nur erkennen können, wenn diese nicht methyliert sind.

In Vorversuchen mit Placenta-DNA erwiesen sich diese Enzyme als geeignet, da das 6,1 kb-SacI-Fragment der unmethylierten Placenta-DNA durch SacII, SmaI und BssHII jeweils vollständig in kleinere Fragmente weitergeschnitten wurde, wie auf Abb. 12 unter 4.2 zu sehen ist.

Damit war nicht nur der Gebrauch der Enzyme etabliert, sondern die Placenta-DNA stand auch als Negativ-Kontrolle zur Verfügung.

5.3 Methylierungsstatus der Osteosarkom-DNA

Zunächst wurde der Methylierungsstatus der drei Zellinien TE 85, U2OS und KHOS untersucht. Auch hier kamen die Enzyme SacI, SacII, SmaI und BssHII zum Einsatz.

Wie in Abb.13 (4.3) zu sehen ist, konnte in keiner der drei Zellinien eine Hypermethylierung nachgewiesen werden, obwohl bekannt ist, daß in Zellkulturen eine DNA-Methylierung begünstigt ist (Shmookler-Reis and Goldstein 1982).

Anschließend wurden die ersten Patienten-Osteosarkome auf Hypermethylierung der Promoterregion untersucht. Da die Menge an Patienten-DNA begrenzt war und BssHII nur eine Schnittstelle innerhalb des 6,1 kb-SacI-Fragments besitzt, wurde auf dieses Enzym zunächst verzichtet.

In den ersten Versuchen mit Tumor-DNA ( Abb.14 und 15) verblieben Restbanden des 6,1 kb-SacI-Fragments nach dem Verdau mit den methylierungssensitiven Restriktionsenzymen bei fast allen untersuchten Tumoren, was auf eine Hypermethylierung bestimmter Schnittstellen hätte hindeuten können.

Da aber angesichts der o.g. Ergebnisse eine Hypermethylierung einer derart hohen Prozentzahl von Tumoren unwahrscheinlich erschien, wurden die Versuche unter geänderten Bedingungen wiederholt, was dazu führte, daß das SacI-Fragment nun vollständig in die jeweils kleineren Fragmente weitergeschnitten wurde, d.h. die Schnittstellen der methylierungssensitiven Enzyme waren nicht methyliert. Dies ist in den Abb. 15 und 16 zu sehen.

Auch in den übrigen der insgesamt 27 Osteosarkome konnte keine Hypermethylierung der entsprechenden RB1-Gen-Region festgestellt werden, was exemplarisch in den Abb.15 bis 19 erkennbar ist.

Zwei Hauptgründe kommen nun als Erklärung für diese Ergebnisse in Frage:

a) Die Methode ist zum Nachweis von Hypermethylierungen des RB1-Gens nicht geeignet.

oder

b) Der untersuchte Bereich des RB1-Gens ist in Osteosarkomen nicht hypermethyliert.

Es ist äußerst unwahrscheinlich, daß die Methodik Grund für die nicht gefundenen Hypermethylierungen ist. Folgendes spricht dagegen:

-Das als Positivkontrolle benutzte hypermethylierte RB1-Gen, das aus einem Retinoblastom stammt und dessen Methylierungsstatus durch Southern Blot und methylierungssensitive PCR bestätigt wurde, ließ sich durch die methylierungssensitiven Restriktionsenzyme SacII und SmaI nicht in kleinere Fragmente zerschneiden, während die gleichzeitig aufgetragene Osteosarkom-Probe durch die gleichen Enzyme geschnitten wurde (s.Abb20). Dies belegt, daß mit dieser Methodik methylierte von unmethylierter DNA unterschieden werden kann.

-Alle bisher nachgewiesenen Hypermethylierungen des RB1-Gens wurden mit methylierungssensitiven Restriktionsenzymen gefunden. Dabei benutzten beide Arbeitsgruppen um Greger und Sakai die Enzyme SacII und SmaI. Greger et al. untersuchten die Retinoblastome zunächst sogar nur mit SacII und benutzten weitere methylierungssensitive Restriktionsenzyme nur, wenn sie mit SacII eine Hypermethylierung nachweisen konnten. In dieser Arbeit wurde jedoch von Anfang an jeder Tumor sowohl mit SacII als auch mit SmaI inkubiert.

-Eine neue Untersuchung (Stirzacker et al. 1997) weist nach, daß die gesamten CpG-reichen Inseln innerhalb der Promoterregion und Exon 1 des RB1-Gens in den untersuchten Retinoblastomen hypermethyliert sind. Zudem waren 13 der 14 bisher entdeckten hypermethylierten RB1-Gene an mindestens zwei SacII-Schnittstellen methyliert (Ohtani-Fujita et al. 1997). Daher wäre es äußerst unwahrscheinlich, daß innerhalb dieses Bereichs keine der insgesamt 7 Schnittstellen für SacII und SmaI im 6,1 kb-SacI-Fragment methyliert ist. Zudem wurden auch in jener Untersuchung die Tumoren mit SmaI auf Hypermethylierung gescreent, bevor eine genauere Untersuchung der methylierten Region stattfand.

Auf der anderen Seite bieten die bisher bekannten anderen Möglichkeiten, eine Hypermethylierung festzustellen, keine Vorteile gegenüber dem bewährten Southern Blot.

Als erstes ist hier die Kombination von methylierungssensitiver Restriktion und anschließender PCR zu nennen. Nach dem Verdau der DNA durch die Enzyme wird das Restriktionsfragment nur dann von entsprechenden Primern amplifiziert, wenn der Schnitt der DNA wegen Hypermethylierung nicht erfolgte. Hier werden aber ebenso wie beim Southern Blot nur die Erkennungssequenzen der Restriktionsenzyme auf Hypermethylierung geprüft. Zusätzlich muß der Restriktionsschnitt der unmethylierten DNA komplett sein, da jedes ungeschnittene DNA-Fragment amplifiziert wird und ein falsch positives Resultat in Bezug auf die Methylierung liefern würde ( Herman et al. 1996).

Die chemische Modifizierung von Cytosin zu Uracil durch die Behandlung mit Bisulfit ist eine andere Möglichkeit, DNA-Methylierung zu untersuchen ( Frommer et al. 1992). Bei dieser Methode werden alle Cytosine in Uracil umgewandelt, außer jenen, die methyliert sind, also als 5`-Methylcytosin vorliegen. Diese modifizierte DNA kann dann amplifiziert und sequenziert werden und liefert so detailierte Information über den Methylierungsstatus innerhalb der amplifizierten Region. Diese Methode ist jedoch technisch sehr aufwendig und ohne Klonierung des amplifizierten Produkts ist diese Technik weniger sensitiv als der Southern Blot, da ungefähr 25% aller Allele zur Detektion methyliert sein müssen ( Gonzalgo et al. 1997).

Auch die von Herman et al. entwickelte neue methylierungssensitive PCR, bei der Primer zwischen methylierter und unmethylierter DNA nach Bisulfit-Behandlung unterscheiden können, wurde bisher erst an Normalgewebe, Zellinien und Tumorgewebe erprobt, deren Methylierungsstatus durch vorheriges Southern Blotting bekannt war ( Merlo et al. 1995, Herman et al. 1996). In dieser Arbeit wurde jedoch auch gezeigt, daß diese Methode die untersuchten methylierten Gensequenzen des p16-Gens sensitiver erfaßte als der Southern Blot.

Hier böte sich also die Möglichkeit, durch eine sensitivere Methode noch einmal den Methylierungsstatus der in dieser Arbeit untersuchten Osteosarkome zu prüfen. Dazu müßte es allerdings zunächst gelingen, diese Methode zu etablieren und Primer zu designen, die nach vorheriger Bisulfit-Behandlung methylierte von unmethylierten Sequenzen innerhalb des RB1-Gens unterscheiden und entsprechend amplifizieren können.

Die wahrscheinlichere Möglichkeit ist also, daß tatsächlich keine Hypermethylierung der Promoterregion und des Exons 1 in den untersuchten Osteosarkomen vorliegt.

Ein möglicher Grund hierfür wäre eine falsche Stichprobenauswahl. Es wäre etwa denkbar, daß nur bestimmte histologische Subtypen des Osteosarkoms eine Hypermethylierung des RB1-Gens aufweisen. Da die überwiegende Anzahl der Osteosarkome osteoblastisch sind, stammten auch die meisten der untersuchten Tumoren aus dieser Gruppe. Geprüft wurden jedoch auch chondroblastische, teleangiektatische, fibroblastische, sklerosierte und periosteale Osteosarkome ( s.Tab.1, 3.1).

Auch der Möglichkeit, daß Hypermethylierung kein initiales, sondern ein spätes Ereignis in der Tumorigenese ist und daher nicht in den Primärtumoren zu finden ist, wurde dadurch begegnet, daß zahlreiche Rezidive und Metastasen in die Untersuchung einbezogen wurden (s.Tab.1).

Eine weitere mögliche Ursache könnte in einer zu geringen Fallzahl liegen. Von den bisher untersuchten 140 sporadischen Retinoblastomen, wiesen 14 Tumoren, also 10% eine Hypermethylierung auf. Überträgt man diese Ergebnisse auf das Osteosarkom, so wären in dieser Untersuchung mit 27 Tumoren statistisch gesehen 2,7 Fälle mit hypermethyliertem RB1-Gen zu erwarten.

Auch wenn in dieser Arbeit kein Tumor eine Hypermethylierung aufwies, müssen weitere Osteosarkome daraufhin untersucht werden, um eine Beteiligung dieses Mechanismus an der Entstehung dieses Tumors auszuschließen, da bei 27 Fällen noch keine signifikante Aussage möglich ist.

Die Tatsache, daß bisher sowohl in hereditären Retinoblastomen als auch jetzt in Osteosarkomen keine Hypermethylierung nachweisbar waren, könnten darauf hinweisen, daß dieses Ereignis spezifisch für sporadische Retinoblastome ist. Da bekannt ist, daß das RB1-Gen in vielen anderen Tumoren inaktiviert ist (Harnblasen-, Bronchial-, Mamma-, Parathyroideakarzinom u.a., s.1.2), wäre es interessant, auch diese Tumoren in Bezug auf den Methylierungsstatus des RB1-Gens zu untersuchen, um festzustellen, ob die Hypermethylierung des RB1-Gens tatsächlich auf sporadische Retinoblastome beschränkt ist.

Es ist bekannt, daß während der normalen embryonalen Entwicklung zahlreiche Veränderungen der Genommethylierungen stattfinden. So folgt einer genomweiten Demethylierung während des Morulastadiums eine Hypermethylierung des gesamten Genoms während der Gastrula-Phase (Razin and Kafri 1994). Ebenso gesichert ist die Beteiligung der Methylierung am „genomic imprinting", bei dem das Allel eines Elternteils inaktiviert wird. Auch die Beteiligung des fehlerhaften „genomic imprinting" an der Entstehung einiger Tumoren ist bekannt (Feinberg 1993).

Denkbar wäre nun, daß die Hypermethylierung des RB1-Gens in Retinoblastomen, die in einem sehr frühen Lebensalter auftreten, Ausdruck eines fehlerhaft aufrechterhaltenen Methylierungsstatus bestimmter DNA-Sequenzen während der normalen embryonalen Entwicklung ist bzw. auf fehlerhaftes „genomic imprinting" zurückgeht. Dies könnte allerdings nur erklären, warum Hypermethylierung im früh auftretenden Retinoblastom, nicht jedoch im erst später entstehenden Osteosarkom eine Rolle spielt. Unbeantwortet bliebe die Frage, warum Hypermethylierung in sporadischen, aber nicht in hereditären Tumoren auftritt.

Noch ein Grund spricht gegen die Vermutung, daß die Hypermethylierung auf falsch aufrechterhaltenem embryonalen Status beruht, denn auch in zahlreichen Tumoren des Erwachsenenalters beobachtet man Hypermethylierungen von Tumor-Suppressor-Genen, wie beim p53- und hMLH1-Gen im Colonkarzinom oder beim VHL-Gen in Renalzellkarzinomen.

Grundlage von Hypermethylierungen ist nach heutigem Erkenntnisstand eine Überaktivierung der Methyltransferase, also des Enzyms, das die DNA-Methylierung katalysiert. Die Expression des Methyltransferase-Gens wird über die ras-Signalkaskade reguliert. Insofern wäre es denkbar, daß Hypermethylierung als Folge einer übermäßig exprimierten Methyltransferase ein sog. „downstream"-Ereignis ist, dessen Ursache in einer Aktivierung der onkogenen Signalkaskade zu suchen wäre. Dementsprechend wären Hypermethylierungen nur in solchen Tumoren zu finden, in denen die onkogene ras-Signalkaskade aktiviert wurde. In Osteosarkomen ist die Beteiligung des ras-Gens nicht wahrscheinlich, da Antillon-Klussmann et al. in 96 Osteosarkomen keine Mutationen im ras-Gen fanden ( Antillon-Klussmann et al. 1995). Hier könnte eine weitere Erklärung dafür liegen, daß in dieser Arbeit keine Hypermethylierung des RB1-Gens feststellbar war.