7 Untersuchungsergebnisse der Curriculumkonferenzen in Nicaragua und Venezuela |
Im folgenden sollen die wichtigsten Resultate aus der qualitativen und quantitativen Analyse der Diskussionen in den drei bzw. vier Gruppen in Nicaragua und Venezuela während des ersten Treffens dargestellt werden. Weder in der Diskussion selbst noch in der Auswertung der Daten bestand die Intention, Antworten auf zuvor gestellte spezifische Fragen oder einhellige Reaktionen zu den zur Diskussion gestellten Problemen zu erhalten. Ebensowenig ging es um eine Verifizierung der Ergebnisse aus der Befragung; vielmehr sollte in einem Prozeß der Problematisierung und Klärung in Zusammenarbeit mit den Expertinnen und Experten, die von den endogenen und exogenen Faktoren direkt betroffen sind, ein erster Anstoß zur Entwicklung eines kritischen didaktischen Konzepts für den Mathematikunterricht gegeben werden. In den Diskussionen wurde eine Vielzahl von Aspekten berührt, aus denen sich zahlreiche Schlußfolgerungen ableiten ließen, hier sollen jedoch nur die wichtigsten und relevanten Kategorien nach Zahl der Aussagen und der Teilnehmerinnen und Teilnehmer aufgeführt werden.
In der Diskussion ging es um die folgenden sechs Schwerpunkte, die den Teilnehmerinnen und Teilnehmern eine Woche zuvor zusammen mit der Einladung bekanntgegeben wurden:
Die ersten drei Punkte wurden in beiden Ländern während des ersten Treffens diskutiert, der vierte und fünfte beim zweiten Treffen, und der sechste war nur in Nicaragua Thema ebenfalls des zweiten Treffens. Während des dritten Konferenztages wurden in Nicaragua aus didaktischer Sicht einige spezifische Fragen der Grundschulbildung behandelt (siehe Abschnitt 7.5). Vor allem wegen der organisatorischen Übereinstimmung des ersten Treffens in beiden Ländern sowie des Umfangs und der Komplexität der gewonnenen Daten wurden die Resultate zu den ersten drei Themen in einem Block ausgewertet. Die anderen Seminare wurden einzeln und ohne Vergleiche zwischen beiden Ländern analysiert, da die Dynamik und die Entwicklung der Diskussionen sowie die Charakteristika der daraus resultierenden Kategorien es nicht anders zuließen.
7.1 Auswertung der ersten Curriculumkonferenz in Nicaragua und Venezuela |
Die qualitative und quantitative Analyse der Informationen wurde nach Gruppen getrennt und unter Wahrung der Organisation und der Diskussionsergebnisse vorgenommen, um alle diskutierten Fragen und die Aussagen aller Beteiligten zu berücksichtigen. Die Gruppen 1 und 2 in Nicaragua entwickelten jeweils 16 Kategorien, die dritte Gruppe 21, so daß die Gesamtzahl der Kategorien 26 beträgt. Aus der Diskussion der fünf Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Gruppe 1 in Venezuela ergaben sich 16 Kategorien, die zweite und dritte Gruppe erarbeiteten jeweils 12 Kategorien. Für Venezuela beträgt die Gesamtzahl der Kategorien 21.
Die insgesamt 29 Kategorien (Abb. 40) wurden in sechs Dimensionen unterteilt (Abb. 43, 44 und 45), wobei an erster Stelle die Beziehungen zwischen den diskutierten Themen unabhängig von Übereinstimmungen und an zweiter Stelle die Sequenz Problem - Ursachen - Konsequenzen sowie mögliche Lösungen aus politischer Sicht und unmittelbare Empfehlungen die Grundlage bildeten. Die Dimension D1 umfaßt die Kategorien K1 und K2, Dimension D2 K3-K16, D3 K17-K19, D4 K20-K22, D5 K23-K25 und D6 K26-K29. Die Dimensionen D2, D3 und D4 bilden die endogenen und exogenen Einflußfaktoren für den Mathematikunterricht. Es wurde bereits darauf verwiesen, daß das Hauptziel nicht darin bestand, die Resultate aus den Einzelbefragungen zu überprüfen. Hier ist aber darauf aufmerksam zu machen, daß alle Kategorien mit den im ersten Teil der empirischen Studie analysierten Punkten übereinstimmen. Die 29 Kategorien werden im folgenden in sechs Gruppen geordnet.
7.1.1.1 Zur aktuellen Situation des Mathematikunterrichts (D1)
7.1.1.2 Die wichtigsten externen Faktoren, die Einfluß auf die Problematik des Mathematikunterrichts haben (D2)
7.1.1.3 Lehrbücher, Lehrmethoden und Lehrpläne für Grund- und Sekundarstufe als endogene Faktoren von außerordentlicher Bedeutung für die Problematik des Mathematikunterrichts (D3)
7.1.1.4 Einfluß der fehlenden ökonomischen Mittel auf den Mathematikunterricht (D4)
7.1.1.5 Notwendigkeit einer Revision des Mathematikunterrichts anhand einer politischen und kritischen Bildungskonzeption (D5)
7.1.1.6 Notwendige Maßnahmen für die Innovation des Mathematikunterrichts nach den genannten Aspekten (D6)
7.1.2 Gemeinsame, in beiden Ländern diskutierte Schwerpunkte |
Abb. 40 weist 18 konvergierende Kategorien für beide Länder auf, was die große Ähnlichkeit der behandelten Themen zeigt. In Nicaragua wurden davon K3 und K11 nur von einer Gruppe und mit geringer Signifikanz im Hinblick auf Aussagen und Teilnehmerinnen und Teilnehmer diskutiert, in Venezuela waren es K20, K22, K26, K27 und K28. Für die übrigen Kategorien gilt doppelte Konvergenz, da sie in jedem Land in mindestens zwei Gruppen thematisiert wurden. Nach der Verteilung der in Abb. 40 dargestellten Resultate werden im folgenden die 18 konvergierenden Kategorien nach Aussagen und Land klassifiziert.
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Legende für Abb. 40 (s.
Abb. 40):K1: Der Mathematikunterricht als schwerwiegendes Problem aller am Prozeß Beteiligten
K2: Ablehnung des Mathematikunterricht durch Lernende und die Bevölkerung allgemein
K3: Ursprung der Schwierigkeiten in der didaktischen Ausbildung der Lehrenden
K4: Vernachlässigung des Bildungssystems trifft vor allem die Grundschullehrenden
K5: Ausweitung privater Bildungseinrichtungen und ihre Konsequenzen
K6: Differenzen zwischen Ausbildung und Zielsetzungen des Lehrerberufs
K7: (nur Vzla.) Mangelhafte Supervision des Mathematikunterricht durch das Bildungsministerium
K8: Lernängste und Ablehnung des Mathematikunterricht wegen Strafen und Selektion
K9: Rolle des Sprachgebrauchs im Mathematikunterricht, besonders in der Grundschule
K10: Frontalunterricht im Mathematikunterricht
K11: Unzureichende Vermittlung von Geometrie
K12: Einschränkungen des Taschenrechnergebrauchs
K13: Ungünstiger Einfluß der Industrieländer auf den Bildungssektor
K14: Stadt-Land-Gefälle im Bildungsbereich
K15: Mathematische Ausbildung hat Verbesserungen erfahren
K16: Förderung des Mathematikunterricht im informellen Bildungssektor
K17: Mangel an guten Mathematiklehrbüchern in ausreichender Zahl
K18: Die angewandte methodische Konzeption ist ungeeignet
K19: Diskussion und Überarbeitung der Lehrpläne für Grund- und Mittelstufe
K20: Einfluß der Armut aller Beteiligten auf den Mathematikunterricht
K21: Ungenügende Mittel für Mathematikbildungsforschung seitens staatlicher Stellen
K22: Verlust an Sozialprestige der Lehrenden aufgrund geringen Einkommens
K23: Lernen und Lehren von Mathematik ist politisch und müssen auch so betrachtet werden
K24: Impulse des Mathematikunterrichts auf Grundlage einer kritischen Bildungskonzeption
K25: Alltags Probleme im Mathematikunterricht, wie z.B. wirtschaftliche und umweltbedingte
K26: In in Mathematikunterricht involvierten, größeren Personengruppen Gespräche initiieren
K27: Umfassende curriculare Veränderung
K28: Förderung gemeinsamer Arbeit im Bildungssystem, besonders im Primarbereich
K29: Verbesserung der Aus- und Weiterbildung der Lehrenden
Abb. 40 weist außerdem 11 divergierende Kategorien aus, 8 in Nicaragua und drei in Venezuela, sieben davon, ausgenommen die Kategorien K5, K7, K8 und K21, wurden jeweils nur von einer Gruppe diskutiert. Geordnet nach ihrer Bedeutung handelt es sich für Nicaragua dabei um folgende Kategorien: Bewertung der Lernergebnisse in Mathematik (K8); nötige Mittel für Forschung in der Mathematikdidaktik (K21); die Mathematiklehrenden der Grundschule in Nicaragua sind am stärksten von der Vernachlässigung des Bildungssystems betroffen, obwohl sie große Verantwortung für die ersten Kontakte der Kinder zur Mathematik haben (K4); Mathematikunterricht im informellen Bildungssystem (K15); die Ausbildungsprogramme für Mathematiklehrende müssen dringend überarbeitet werden (K6); der ständige Einfluß der Industrieländer auf den Mathematikunterricht ist nicht günstig (K13); zwischen Stadt und Land gibt es beim Mathematikunterricht große Unterschiede (K14). Für Venezuela sind es folgende drei Kategorien: Die Supervision des Mathematikunterrichts durch das Bildungsministerium (K7); Ausweitung privater Bildungseinrichtungen (K5); der Sprachgebrauch spielt im Mathematikunterricht vor allem in den ersten Jahren der Grundschule eine große Rolle (K9). In den Abbildungen 41 und 42 wird gezeigt, welche Schwerpunkte in den Arbeitsgruppen mit welcher Intensität diskutiert wurden und auch die Zuordnung der Themen zu den Gruppen.
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7.1.4 Zusammenfassende Darstellung der thematischen Schwerpunkte
Abb. 43 (Abb. 44 nur Venezuela und Abb. 45 nur Nicaragua) zeigt die 6 Dimensionen, die aus der Unterteilung der Kategorien nach Beziehungen untereinander resultieren. Im folgenden werden die sechs Dimensionen nach den quantitativen Ergebnissen verglichen:
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Abb. 40 zeigt auch die Proportionalität zwischen Teilnehmern und Aussagen für jede Kategorie. Auch die nur vereinzelt genannten Kategorien sind von Bedeutung, wie bereits vermerkt, und nicht alles sollte quantifiziert werden. Man kann jedoch feststellen, daß die konvergierenden Kategorien für beide Länder mit mehr als 54% der Teilnehmer auf den ersten acht Rängen folgende sind: Die im Mathematikunterricht angewandten Methoden sind ungeeignet; Mathematikunterricht ist ein politisches Problem und muß auch so betrachtet werden; Entwicklung des Mathematikunterrichts auf der Grundlage einer kritischen Bildungskonzeption; Im Mathematikunterricht müssen Alltagsprobleme behandelt werden (Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Umwelt); Mangel an guten Lehrbüchern für den Mathematikunterricht. Bei der Feststellung dieser Resultate auf der Grundlage der Dimensionen (Abb. 43) zeigt sich, daß D5 zu den politischen Aspekten des Mathematikunterrichts für beide Länder die bedeutendste Dimension ist. Schließlich kann man in Abbildungen 46 und 47 die Verteilung der Teilnehmer und Teilnehmerinnen nach der Menge der Aussagen in beiden Ländern betrachten.
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