3.4 Qualitative Inhaltsanalyse

 

3.4.1 Qualitative Inhaltsanalyse nach der Partizipation - Aktionsforschung

In den beiden vorangegangenen Abschnitten wurde betont, daß ein Ziel der PAF der systematische und geordnete Rückfluß der Informationen zu den Beteiligten ist. Das darf sich jedoch nicht darauf reduzieren, eine Unmenge von Daten in natürlicher Form, ohne Auswertung, Analyse und Kommentar zurückzureichen, vielmehr muß ein Mechanismus gefunden werden, der eine Systematisierung der Konvergenzen und Divergenzen in der Gesamtheit der von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern im Forschungsprozeß gelieferten Meinungen ermöglicht. Ergebnis muß dabei die endgültige, geordnete und verständliche Präsentation der analysierten Resultate sein, die die Möglichkeit eröffnet, Forschungslinien innerhalb des Themas oder angrenzender Bereiche fortzuführen, bei denen die noch nicht verallgemeinerten Gedanken und Fragen der Untersuchung den Ausgangspunkt bilden (96). Fals-Borda (1985, 112) wiederholt, daß "die Pflicht (besteht), die verarbeiteten Informationen den legitimen Eigentümern "zurückzugeben", das ist gegenseitige Bereicherung durch eine Art respektvoller und qualitativ guter Popularisierung." Wie können nun die Daten so ausgewertet werden, daß die Äußerungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in einem verständlichen und qualitätsvollen Prozeß einfließen? Wie können bestimmte Textpassagen im Augenblick der Analyse und Interpretation der Meinungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer reproduziert werden? Welche Methode ist angemessen, um den Widerspruch zwischen Subjektivität und Objektivität in der Auswertung aufzuheben?

Diese Fragen stellen sich bei der Suche nach der adäquaten Form der Auswertung. Sie muß von den gleichen Charakteristika ausgehen, die auch die Aktionsforschung auszeichnen und die im ersten Teil dieses Kapitels beschrieben sind. Das heißt, "bei Handlungsforschungsprojekten steht der gesamte Forschungs- und Handlungsprozeß im Mittelpunkt der Auswertung und nicht nur, wie sonst häufig, eine zu prüfende Hypothese oder die Gewinnung von Daten" (Huschke-Rhein 1993, 212). Moser (1995, 178) erläutert dazu: "Ziel des Forschungsprozesses ist es nun aber, diese Texte zu interpretieren, d. h. sie auf wesentliche Gesichtspunkte hin zu analysieren, Gemeinsamkeiten und Unterschiede festzustellen, auf das darin zum Ausdruck kommende Verhalten der Untersuchten rückzuschließen etc." Diese Meinungen entsprechen den konzeptionellen Linien, an denen sich die vorliegende Untersuchung orientierte.

Für die Analyse und Interpretation der in den Dokumentationen I und II zusammengefaßten Texte wird wiederum auf Autoren wie Freire und López zurückgegriffen, die sich ebenfalls zu Subjektivität und Objektivität in der Präsentation wissenschaftlicher Erkenntnisse äußerten. In den erkenntnistheoretischen Erläuterungen Freires (1975) zu subjektiven und objektiven Erkenntnistheorien finden sich die Grundpfeiler der Pädagogik der Unterdrücker, deren Verständnis den Weg freimacht zu einer Pädagogik der Unterdrückten (López 1986). Freire kritisierte die Tatsache, daß sowohl bei der Entwicklung von Theorien anhand der sozialen Phänomene als auch der Bildung der Mensch und sein Verhältnis zur Welt und zur Geschichte voneinander losgelöst betrachtet werden. Aber "der Mensch ist ein bewußter Körper. Sein "auf die Welt zielendes" Bewußtsein ist immer das Bewußtsein einer ständigen Bewegung zur Realität. Daher ist es dem Menschen eigen, immer in Beziehung zur Welt zu stehen. In einer Beziehung, in der die Subjektivität, die in der Objektivität ihre Form annimmt, mit dieser eine dialektische Einheit bildet, aus der heraus solidarisches Wissen zu solidarischem Handeln wird und umgekehrt. Darum können subjektivistische und objektivistische Erklärungen, die mit dieser Dialektik brechen und dichotomisieren, was nicht dichotomisierbar ist, das nicht erfassen." (Freire 1975, zitiert und kommentiert von López 1986, 29).

Es gibt daher eine ständige Beziehung zwischen dem Menschen und der Welt in jeglichem "menschlichen Handeln" und damit auch in der Erziehung. Es besteht ein konstanter und permanenter Einfluß zwischen "der objektiven Welt als einer entstehenden Welt" und dem Menschen, der in einer historischen und kulturellen Welt lebt, in der er durch seine Handlungen und Überlegungen direkt oder indirekt greifbare Dinge und Abstraktionen, d.h. Vorstellungen oder Ideen über andere Ideen oder materielle Dinge, modifiziert und verändert. Im wissenschaftlichen Handeln, das ebenfalls kreatives (edukatives) und menschliches Handeln ist, sind Subjektives und Objektives gleichzeitig präsent. Das Eine darf das Andere nicht überlagern oder auf Grund des eigenen Weltverständnisses völlig außer acht gelassen werden, vielmehr muß der Widerspruch zwischen ihnen verringert werden, um zu einem Gleichgewicht zwischen beiden zu kommen, das Erkenntnis, Interpretation und Transformation unter dem Gesichtspunkt der auf sie bezogenen Bedingungen und Kontexte erst gestattet.

Die Analyse der Mathematikleistungen in einem bestimmten Land oder die Überprüfung der Effizienz einer bestimmten Lehrmethode (Jank / Meyer 1994) unterliegt einer Reihe von externen und internen Variablen, die in der konkreten Situation kaum zu kontrollieren und/oder nach subjektiv oder objektiv zu differenzieren sind. Ein zyklischer Forschungsprozeß ist erforderlich, der beide Prinzipien sowohl bei der Umsetzung des Forschungsprojekts als auch bei der Analyse und Auswertung der gewonnenen Informationen miteinander verbindet. Unterstützt wird diese Sichtweise durch die Schematisierung von Széll (1984, 26):

"Diese Abbildung, die sogar nur zweidimensional versucht, gesellschaftliche Prozesse schematisch wiederzugeben, muß notwendigerweise verkürzen und damit verfälschen (...) zu unterscheiden sind dabei die subjektiven und die objektiven Faktoren in ihrem Wechselverhältnis, die sich als Widersprüche auf höherer Ebene in der Anwendung der richtigen Theorie, der Synthesis, aufheben" (1984, 27). Nach Auffassung Freires und seiner Mitarbeiter erfordert jede theoretische Überlegung vor allem zur Erziehung eine Kombination von Elementen der bewußten Subjektivität und der analytischen Objektivität, was erreicht werden könnte durch den ständigen Austausch zwischen den Betroffenen - um immer besser zu verstehen (Theorie) - und durch die möglichen und notwendigen Veränderungen (Aktion), die ihrerseits als neuer Ausgangspunkt innerhalb des unendlichen Zyklus von Reflexion und Forschung dienen können. Die realen Widersprüche, denen Personengruppen ausgesetzt sind, lassen sich nur durch objektive Messung aller Variablen - meist von einem externen Punkt aus - weder in all ihren Erscheinungen betrachten noch tiefgreifend analysieren. Auch reicht es nicht, sie mittels rein subjektiver Interpretation zu untersuchen, da Wechselbeziehungen zwischen den Variablen, die den Forschungsgegenstand bestimmen, außer acht gelassen würden, die in der Lage sind, andere ähnliche Situationen zu erklären und Prioritäten für Veränderungen innerhalb und im Anschluß an den Forschungsprozeß zu setzen.

Für die Auswertung von Informationen gibt es eine Reihe von Versuchen, die Differenzen zwischen beiden Interpretationen auszugleichen. Einige Forscher haben eine Kombination zwischen Verstehen und Erklären hergestellt und eigene Vorschläge auf der Grundlage ihrer konkreten Erfahrungen und theoretischen Überlegungen unterbreitet (z. B. Bos 1989, Huschke-Rhein 1993, Flick 1995, Christmann / Scheele 1995). In der Literatur ist wie im Falle der Forschungsparadigmen eine Tendenz zur Verknüpfung qualitativer und quantitativer Techniken zur Analyse von Aussagen zu verzeichnen (Huber 1989 und Villar / Marcelo 1992). Hier soll nochmals davor gewarnt werden, die Aufmerksamkeit auf rein technisch-experimentelle (97) und oberflächliche Elemente zu konzentrieren und die Wurzeln der Widersprüche und damit die bestimmenden Ursachen der untersuchten Erscheinung außer acht zu lassen. In der Bildungsforschung trennen Educación Popular und PAF den Menschen nicht von der Welt und der Vielfalt der Einflüsse, denen er ständig ausgesetzt ist. Eine bestimmte Aussage zu Lernen und Lehren erhält ihre wahre Bedeutung erst, wenn man die Bedingungen und Parameter, in deren Kontext sie gemacht wurde, einbezieht. Über die Schwierigkeiten der Lernenden im Mathematikunterricht zu sprechen, kann für jemanden größere Bedeutung haben als für andere, die von den Bedingungen des ersteren nicht betroffen sind. Daher wird auch die Analyse der Informationen von den internen und externen Bedingungen beeinflußt, die den Gegenstand der empirischen Untersuchung bestimmen (Ibañes, 1982).

Dieses Thema kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht vertieft werden, die Einführung vermittelt jedoch eine Orientierung im Hinblick auf die Kriterien der Inhaltsanalyse als Methode der Auswertung der Aussagen. Es gibt in diesem Zusammenhang eine Diskussion über die Beziehung zwischen qualitativer und quantitativer Analyse sowie zu Aspekten der Bedeutung spezifischer kultureller und kontextueller Situationen. Hierzu sind weitere Überlegungen nötig, ohne dabei die Bedeutung theoretischer und historischer Elemente des ebenfalls umfassenden Themas der Inhaltsanalyse (Bos / Tarnai 1989, Mayring 1993, Groeben / Rustemeyer 1995, u. a.) zu unterschätzen.

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Endnote:

(96) Siehe Anlage der empirischen Untersuchung in 3.2.1.1.

(97) Obwohl in dieser Studie Begriffe wie Versuchspersonen, Zufallsprinzips, Informationsgewinnung, Datenaufbereitung..., die Ausdruck einer nicht mit der PAF zu vereinbarenden experimentellen Forschungskonzeption sind, vermieden werden, konnte auf andere Begriffe wie z.B. Population oder Information nicht verzichtet werden. Sie weisen jedoch eine andere gnoseologische Konnotation auf.

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