Laut Bos / Tarnai (1989, 1) widmet sich die Inhaltsanalyse vor allem der Untersuchung des Inhalts bestimmter Informationen in Texten "jeder Art, von der Zeitungsmeldung bis zur Transkription von Interviews, von Bildbeschreibungen bis zu Gedächtnisprotokollen psychoanalytischer Sitzungen. (...) Die Grundannahme jeglicher Inhaltsanalyse ist, daß sich die kulturellen Ausdrucksformen im weitesten Sinne in Text fassen lassen, die Inhaltsanalyse von Texten sich also mit gesellschaftlicher Wirklichkeit beschäftigt und dementsprechend auch in ihren Ergebnissen und deren Interpretation von dieser abhängig ist".
Zu dieser Thematik haben sich offensichtlich drei unterschiedliche Auffassungen entwickelt (Huschke-Rhein 1993, 141):
Eine davon bezieht sich auf die sogenannte Häufigkeitstheorie, die sich vor allem mit der Zählung und Gruppierung der Wörter, Begriffe, Aussagen, Äußerungen, etc. beschäftigt. Die Arbeit von Mühlfeld / Windolf / Lampert / Krüger (1981) unter dem Titel "Auswertungsprobleme offener Interviews" schlägt ein praktisches und einfaches Modell für die Durchführung dieser Arbeit vor; dieses wurde von Kuckartz (1992, 22) und Moser (1995, 190) zur Analyse offener Interviews unter der Perspektive der Zählung der Aussagen wiederaufgenommen und leicht modifiziert, das den Anlaß und die theoretischen Elemente zur Entwicklung der in der vorliegenden Untersuchung angewandten Methode lieferte.
Die zweite basiert auf der Informationstheorie (98). Hier richtet sich das Interesse vorrangig auf den Kommunikationsprozeß zwischen zwei oder mehr Personen, "Lehrer - Schüler oder Schüler - Schüler, schriftlich oder auch mündlich" (Beyer 1995, 29). Hier findet sich ein starker Bezug zum klassischen Schema der Kommunikationstheorie, das von dem russisch-nordamerikanischen Linguisten Roman Jakobson (99) entwickelt wurde. Dieses Schema läßt sich wie folgt zusammenfassen:
Dieses Schema wird von anderen Autoren (z.B. Eco 1988) aufgegriffen und modifiziert, wobei sie dem Kriterium der Transmission von Erkenntnis in nur einer Richtung folgen, das Freire (1973, 58) kritisiert. Sie gehen davon aus, daß einer spricht, im Falle der Bildung der Lehrende, und in einem Interview der Befragte, der jemandem antwortet, der nur fragt - kommentiert und hört, Botschaften aus nur einer Richtung entgegennimmt, so daß kein Dialog und kein Rückfluß stattfinden. Für tatsächliche Kommunikation fehlt im obigen Schema der Rückfluß einer zweiten Botschaft an den Ausgangspunkt, erst so entsteht ein kommunikativer Prozeß. Es gibt natürlich bedeutende Unterschiede zwischen Informationstheorie und Kommunikationstheorie, die heute häufig unterschiedslos verwendet (100), hier aber nicht im Einzelnen behandelt werden.
Alle Komponenten dieses klassischen Schemas spielen eine wichtige Rolle für die Inhaltsanalyse, die in der vorliegenden Arbeit vorgenommen wurde. Daher soll die Aufmerksamkeit nicht nur auf den "Code" gerichtet werden, wie es bei der qualitativen Forschung häufig geschieht (Flick 1995), obwohl die Botschaft in ihm tatsächliche (Eco 1988, 22) Bedeutung für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Kommunikationsprozesses erhält. Die Botschaft, die hier in den Aussagen zum Ausdruck kommt (Gruppierung von Worten mit eigenem Sinn und eigener Bedeutung), war Basis der Analyse, und nicht z.B. die einfache Zählung einzelner Worte und Korrelationen, die in einem Kommunikationsprozeß, in dem die Verwendung bestimmter Begriffe im Verhältnis zu anderen Worten der Aussage und zur verwendeten grammatikalischen Struktur steht, unterschiedliche Bedeutungen annehmen können. Der "Code" wurde auch nicht zur Suche nach bestimmten Aussagen in Sätzen oder Abschnitten benutzt, um diese in Memos oder Memofamilien für spätere Vergleiche zu gruppieren. Er war, der oben erläuterten Methode folgend, eine Hilfe bei der Identifizierung von Aussagen.
Die dritte von Huschke-Rhein (1993) benannte Linie bezieht sich auf die Sprachwissenschaft. Der Code erhält als Alphabet mit gewissen Einschränkungen eine Bedeutung, wenn seine Kombinationen mit Hilfe der Linguistik eine klare und präzise Konstruktion von für die Dialogpartner signifikanten Aussagen und Äußerungen zulassen. Hier ist eine ganze Theorie eingeschlossen, in der Syntax und Semantik eine wichtige Rolle für das Verständnis einer bestimmten Aussage spielen. Groeben / Rustemeyer (1995, 523f) schreiben: "Der klassische Schwerpunkt der Inhaltsanalyse liegt sicherlich im semantischen Bereich sprachlicher Kommunikation, d.h. in der Beschreibung der durch Texte übermittelten Bedeutung; allerdings sind dabei implizit oder explizit nicht selten pragmatische Perspektiven mitgemeint bzw. mitthematisiert, z.B. in Form von Inferenzen auf Kommunikationsteilnehmer."
Unabhängig von ihrer Parteinahme für die eine oder andere spezifische Form (Bos / Tarnai 1989) beziehen sich alle Autoren auf diese drei Linien (Häufigkeitstheorie, Informationstheorie und Linguistik). Auf Grund ihrer Bedeutung für die Aussagen wurden Elemente aller drei Richtungen genutzt, um die Methode für die Analyse der Dokumentation in der vorliegenden Untersuchung zu erarbeiten. Die Methode besteht also darin, die Aussagen aus dem Dialog von zwei oder mehr Personen zu gruppieren und zu zählen, wobei die Bedeutung der Codes (Worte und andere linguistische Symbole) und ihrer Kombinationen (Sätze mit eigenem Sinn) entsprechend der Typologie des in León und Caracas gesprochenen Spanisch und die Signifikanz der Aussagen im Kontext der spezifischen Realität jedes Teilnehmers Berücksichtigung finden.
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Endnote:
(98) Siehe insbesondere die Arbeit von Saldern (1989) über die kommunikationstheoretische Grundlage der Inhaltsanalyse. Vgl. Wersig (1968).
(99) Vgl. Holenstein (1992).
(100) Dieses Thema gewinnt mit den Fortschritten der Telematik immer mehr an Bedeutung. In Venezuela ist ein spürbares Anwachsen von Vorhaben und Konferenzen zu diesem Thema zu verzeichnen. Leider ist hier nicht der Ort für weitergehende Betrachtungen.