III. Ecological Economics und Steady-State

5. Dalys Steady-State-Konzept

5.1. Steady-State – Stationary State – Stationarität

"It does not so greatly matter what name

we select by which to call a concept.

The important matter is to select for consideration

those concepts which are fruitful in scientific analysis."

(Fisher 1965, 65; seine Hervorhebungen)

Eine Steady-State-Ökonomie ist bei Daly eine Wirtschaft, die kein physisches Wachstum aufweist. Diese einfache Definition birgt mehr konzeptionelle Probleme, als es zunächst den Anschein hat. Für die folgende Untersuchung des Steady-State-Konzepts ist es deshalb erforderlich, einige terminologische Probleme aus dem Weg zu räumen. Das Adjektiv "stationary" kann mit stehend übersetzt werden, "steady" mit fest, stabil, ruhig, aber auch mit stetig. Webster's New World Dictionary (1988) vermerkt unter "stationary" u.a. "not moving or not movable; fixed or still" und "unchanging in condition, value, etc.; not increasing or decreasing", wobei die zweite Formulierung ökonomischer Terminologie schon recht nahe kommt. Im selben Wörterbuch findet sich unter "steady": "that does not shake, tremble, totter, etc.; firm, fixed, stable", "constant, regular, uniform, or continuous; nor changing, wavering", "not given to sudden changes in behaviour, loyality, disposition etc." und "habitual or regular". Stationary steht also für Stillstand, steady darüber hinaus auch für Gleichmäßigkeit und Stetigkeit. Für die meisten Leser ist das Hauptwort "Stationarität" wahrscheinlich ungewohnt. Falkinger (1986, 68) verwendet es, und auch in Schumpeters Geschichte der ökonomischen Analyse taucht dieser Begriff auf. Im Original (Schumpeter 1967, 56) heißt es "stationarity", in der deutschen Übersetzung "Stationarität" (Schumpeter 1965, 95; s. auch 1965, 1175). Von "stationarity" sprechen auch Caravale (1989, 113, En. 23), Oakley (1994, 229) und Lecomber (1979, 127f.). Üblicher ist allerdings der Begriff der "stationariness" (s. z.B. Heilbroner/Allentuck 1972, 205f.; Hicks 1979, 119; Machlup 1963d, 32; Pigou 1935, 8; Robbins 1930, 199, 206). In der deutschen Fassung von Solows Growth Theory ist von "stetigen Zuständen" die Rede (Solow 1971, 7ff.), der Begriff der Stetigkeit wird allerdings ansonsten selten verwendet. "Stationariness" könnte gewiß auch mit "Stationärheit" übersetzt werden, ich halte Stationarität für den eindeutig besseren Begriff. Stationarität bezeichnet einen stationären Zustand, ein stationärer Zustand ist identisch mit Stationarität.

Ich folge Autoren wie Daly und Renshaw (1976), die Stationary und Steady State synonym verwenden. Wenn im folgenden von "stationären Konzepten" die Rede ist, bezieht sich dies auf theoretische Ansätze, in denen Stationarität entweder als theoretisches Konstrukt oder prognostische Aussage eine zentrale Stellung einnimmt. Als ökologische Steady-State-Konzepte werden solche bezeichnet, die sich auf ökologische Zielsetzungen beziehen, wie z.B. das von Daly. Der Begriff des "historischen Steady-State" bezieht sich auf die These, die Menschheit habe bis zur Zeit der industriellen Revolution in einem stationären Zustand gelebt. Ob Stationarität sich auf wertmäßige, physische oder sonstige Parameter bezieht, ist im folgenden zunächst einmal unerheblich. Eine andere Klassifizierung von Steady-State, stationary state und Stationarität ist allerdings überaus hilfreich, nämlich dahingehend, ob sich diese Begriffe auf rein analytische Konstruktionen beziehen oder auf "Eigenschaften der Welt".

Ich unterscheide deshalb analytischen und ontologischen Steady-State (in Anlehnung an Halevi et al. [1992a, 4], die zwischen methodologischem und analytischem Steady-State differenzieren). Ein ontologischer Steady-State liegt vor, wenn er sich auf die wirtschaftliche Realität bezieht, auch wenn diese Realität in ferner Zukunft erwartet wird. Ein ontologischer Steady-State liegt also bei der z.B. ökologisch begründeten Forderung nach Stationarität ebenso vor wie im Falle der Prognose, daß Wirtschaftswachstum früher oder später in einem stationären Zustand enden müsse. Der Steady-State als analytisches Konstrukt dagegen ist eben nur dieses: Ein Konstrukt zur Analyse bestimmter Entwicklungen innerhalb eines Modells (unabhängig davon, "wie hoch" der Realitätsanspruch des jeweiligen Modells ist). Ein analytischer Steady-State liegt vor, wenn Stationarität als Annahme analytischer Arbeit fungiert. Dieser Steady-State ist eine "helpful auxiliary hypothesis" (Marshall 1961n, 50) – nicht weniger, aber eben auch nicht mehr.

Robbins (1930, 204), für den der (J.B.) Clarksche "statische Zustand" repäsentativ für das ist, was hier als analytischer Steady-State bezeichnet wird, bringt die Unterscheidung wie folgt auf den Punkt: "It is perfectly true that in both the Clarkian and the classical construction the quantities of the factors of production are constant. But (...) in the one, this constancy is the condition of equilibrium; in the other, it is simply one of the resultants of the equilibrating process. In the Clarkian state, population and capital are to be constant – they are not allowed to vary. In the classical constructions, population and capital are constant, but this is because, together with wages and interest, etc. they have reached a position of rest" (seine Hervorhebungen). Anders formuliert: Beim analytischen Steady-State ist Stationarität eine grundlegende Annahme der Untersuchung, beim ontologischen dagegen das Ergebnis – einmal steht die Stationarität ganz am Anfang, einmal ganz am Ende der Analyse. Auch nach Robbins (1930, 206) müssen zwei "statische Zustände" differenziert werden: "the classical conception in which the condition of stationariness is the resultant of the balancing of forces tending to change, and the Clarkian in which the factors of production are stationary by hypothesis, and equilibrium is attained within these conditions" (s. auch Georgescu-Roegen 1977c, 266).

Brandis (1989, 71) gibt ein Beispiel für in meinem Sinne ontologische Stationarität, denn er meint mit Stationary State "the notion of an economy whose end-point of development is one in which capital accumulation has ceased because the profit-rate has fallen so low that there is no further incentive to accumulate capital", er bezieht sich auf den stationären Zustand als "a predictive model, that is, one that not only had analytical uses but also was believed to have the power to predict the real-world future of an economy" (meine Hervorhebungen). Schumpeter (1952, 91, Fn. 2) nennt dies eine "'hypothetische Prognose'", und dies scheint mir eine treffende Bezeichnung zu sein. Dieser prognostizierte "Ruhezustand" muß vom "ideellen, momentanen Ruhezustand des Gleichgewichts der modernen Theorie" (Schumpeter 1952, 91, Fn. 2) unterschieden werden. Nun ist die "moderne Theorie" heute eine andere als zu Schumpeters und Robbins Zeiten. Eine Unterscheidung zwischen hypothetischer Prognose und dem Steady-State als analytisches Hilfsmittel bleibt allerdings sinnvoll.

Zur Konkretisierung des analytischen Steady-State: Meade (1965) verwendet den stationären Zustand in The Stationary Economy als Analyseinstrument. Es geht dort um die Auseinandersetzung mit einer "extremely simple economy in which the two original factors of production, land and labour, are used directly to produce various goods for individual consumption and in which the underlying conditions are unchanging so that a stationary self-perpetuating equilibrium state is reached. (...) Such a society is, of course, horribly unrealistic" (Meade 1965, 25; meine Hervorhebungen). In seiner Rezension von Meades Stationary Economy bemerkt Frey (1965, 740), daß "eine Theorie der stationären Wirtschaft nur eine didaktische Vorstufe zur Betrachtung einer sich entwickelnden Wirtschaft sein kann."

Gablers Wirtschafts-Lexikon (1988) grenzt den Steady State und den stationären Zustand voneinander ab. Der Steady State ist dort definiert als "Zustand einer Wirtschaft, bei dem alle ökonomischen relevanten Größen, wie Konsum, Investitionen, Bruttoproduktion, Arbeitsmenge, im Zeitablauf relativ zueinander konstant sind (entweder mit derselben Rate wachsen oder konstant sind)." Anschließend wird auf die stationäre Wirtschaft als Sonderfall des Steady State verwiesen. Stationäre Wirtschaft wird dort als synonym mit einer statischen Wirtschaft bezeichnet und definiert als "Begriff der makroökonomischen Theorie: Volkswirtschaft in einem langfristigen Gleichgewichtszustand unter gleichbleibenden Umweltbedingungen (konstante Bevölkerung, kein technischer Fortschritt, unveränderte Konsumgewohnheiten), wobei sich in jeder Periode alle wirtschaftlichen Aktivitäten wiederholen (stationäres Gleichgewicht bzw. statisches Gleichgewicht). Alle Variablen (z.B. Verbrauch, Einkommen, Kapitalstock, Preise, Zinsen) weisen im Zeitablauf eine Veränderungsrate von Null auf. Das stationäre Gleichgewicht ist als Fiktion Erklärungszwecken dienlich" (Hervorhebungen dort).

Beim ontologischen Steady-State kann zwischen "positiver" und "normativer" Stationarität unterschieden werden: Positive Stationarität liegt dann vor, wenn ein Zustreben der Wirtschaft auf einen stationären Zustand erwartet wird (Steady-State als unausweichliches Ergebnis von Wachstum). Positive Stationarität liegt also dann vor, wenn die Wirtschaftsentwicklung ohne Steuerungsleistungen Stationarität erreicht bzw. erreichen wird. Normative Stationarität bezieht sich auf die Auffassung von Autoren, die politische Steuerungsmaßnahmen für notwendig halten, um einen stationären Zustand zu erreichen, z.B. aus sozialen oder ökologischen Gründen (ein solcher Steady-State ist "erwünscht"). Eine weitere Unterscheidung ist hinsichtlich der Bewertung von Stationarität möglich: Es kann zwischen "positivem" und "negativem" stationären Zustand differenziert werden. Dies bezieht sich auf die Bewertung der erhofften bzw. befürchteten Folgen eines stationären Zustands. "Normative Stationarität" wird logischerweise mit der Bewertung von Stationarität als "gut" einhergehen.

Zur Übersicht:

Steady-State

ontologisch / analytisch - Art

 normativ / positiv - Ursachen

"positiv" / "negativ" - Bewertung

 

5.2. Dalys "Wurzeln"

"I claim no originality, not even for those few ideas which seem to me to be my own.

Too many times I have rediscovered 'my most original ideas' in pages of books that

I had read five or ten years ago, underlined, with my

enthusiastic, but forgotten, comments in the margin."

(Daly 1977b, x)

Die Ökonomen, von denen Daly (1977b, x) nach eigener Einschätzung am meisten gelernt hat, sind Georgescu-Roegen (dessen Student er war), Boulding, Fisher und die klassischen Ökonomen, insbesondere Malthus und J.S. Mill (Ehrlich [1989, 9] nennt als für Dalys Analysen grundlegende Autoren Mill, Boulding und Georgescu-Roegen). Georgescu-Roegen und Boulding gelten heute – gemeinsam mit Daly selbst – als Gründerväter der Ecological Economics, sie haben wie wenige andere die voranalytische Vision dieses Paradigmas geprägt (s. auch Abschnitt 4.1.). Fisher ist insbesondere für Dalys Überlegungen zu Kapital und Einkommen bedeutsam. Malthus, Mill und andere Klassiker sind nicht nur eine wichtige Inspiration für Dalys Steady-State-Konzept, sondern entscheidende Grundlagen seines Denkens. Daly sieht sich als Vertreter einer klassischen Tradition. Dies ist auch bedeutend für seinen dezidiert normativen Ansatz, den er mit der Klassik identifiziert und den er gegen die neoklassische Ökonomik abgrenzt (s. z.B. Daly 1986a, 86, 88).

In diesem Abschnitt werden Dalys (wirtschafts-)wissenschaftliche Wurzeln nicht ausführlich referiert. Statt dessen wird auf die jeweiligen Autoren dort eingegangen, wo sie inhaltlich relevant sind. Aus diesem Grund tauchen Boulding, Georgescu-Roegen und Fisher insbesondere in Kapitel 4 auf, und deshalb werden Malthus und Mill im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem stationären Zustand der ökonomischen Klassik ausführlich gewürdigt. Vor allem in Teil IV wird darüber hinaus auf Autoren einzugehen sein, deren Beiträge für das Steady-State-Konzept relevant sind. In ökonomisch-ökologischer Hinsicht ist hier vor allem Ciriacy-Wantrup zu nennen, in (makro-)ökonomischer Hinsicht Page, im Hinblick auf die soziale Dimension des Konzepts Mishan sowie Galbraith und Hirsch. (30) An dieser Stelle ist allerdings kurz auf zwei Autoren hinzuweisen, die weniger eine direkte wissenschaftliche Inspiration, sondern einen Hintergrund des Steady-State-Konzepts bilden.

John Ruskin gilt als einer der bedeutendsten Kunstkritiker des 19. Jahrhunderts und hat sich auch als Schriftsteller und Sozialphilosoph betätigt. Er hat sich intensiv mit sozioökonomischen Fragen beschäftigt (vor allem in Unto this last). Er hat früh und als einer der ersten die mit der Industrialisierung verbundenen Umweltprobleme wahr- und vor allem ernstgenommen (Kemp 1989, 39). Daly bezieht sich bisweilen auf Ruskins Kritik der Wirtschaft(swissenschaft)(1991b, 27, 168, 233) und auf dessen Diktum, daß "there is no wealth but life" (Daly 1979, 68; 1993a, 18). (31) Für Kemp (1989, 57, 58) war Ruskin "ein Vorkämpfer einer ökologisch orientierten Wirtschaftsreform" und gar "neben Marx der erfolgreichste Programmatiker der Nationalökonomie des 19. Jahrhunderts – erfolgreich, wohl gemerkt, im 20. Jahrhundert." (32) Schumpeters (1965, 514) Bewertung Ruskins ist weniger schmeichelhaft: Dessen Beliebtheit basiere auf seiner "leidenschaftlichen und dilettantischen Kritik der Sünden des Kapitalismus", und auf dem Gebiet der Ökonomik habe sich Ruskin darauf beschränkt, "halbverstandene Bemerkungen und unverdaute und bruchstückhafte Lektüre mit einer ehrlichen Entrüstung zu verbinden."

Ruskin war auch ein wichtiger Einfluß auf Soddy (Daly 1996a, 175, 187), eine andere Wurzel von Dalys Denken. Soddy, ein mit dem Nobelpreis ausgezeichneter Chemiker, ist als Ökonom wenig bekannt. Im Rahmen der ökologisch-ökonomischen Diskussion hat Soddy aber unter Wirtschaftswissenschaftlern an Prominenz gewonnen, vor allem durch Dalys erstmals 1980 in der History of Political Economy erschienenen Artikel (Daly 1996a, Ch. 12) und durch ein Kapitel über Soddys Kritik der Theorie des Wirtschaftswachstums in Martinez-Aliers (1987, Ch. 9) vielzitierter Geschichte der ökologischen Ökonomie. Folgendes Zitat aus Cartesian Economics (Soddy 1922, 10) deutet an, daß Soddys Auffassungen für die aktuelle Diskussion durchaus Relevanz besitzen: "The fundamental fact underlying this civilisation is that whilst men can lighten their external labours by the aid of fuel-fed machinery, they can only feed their internal fires with new sunshine and then only through the good offices of the plant." Der Unterschied zwischen geologischen und solaren Energiequellen ist für Soddys ökonomisches Denken ebenso charakteristisch wie die von ihm behauptete Verwechslung von Schulden und Wohlstand. Soddy war unter Ökonomen alles andere als unumstritten, er hat aber, wie Daly (1996a, 186) meint, einige grundlegende Einsichten von Georgescu-Roegen und Boulding vorweggenommen.

 

5.3. Wachstumskritik als Begründung für den Steady-State

5.3.0. Vorbemerkung

"You can ask: Is growth desirable? Or you can ask: Is growth possible? I suppose that if continued economic growth is not possible, it hardly matters whether or not it's desirable. But if it is possible,

it's presumably not inevitable, so we can discuss whether we should want it. But they are

separate questions, and an answer to one of them is not necessarily an answer to the other."

(Solow 1973, 40)

Daly sieht in der Dominanz des Wachstumsziels in Politik und Wissenschaft ein manisches Verhältnis zu Wirtschaftswachstum: "Economic growth is held to be the cure for poverty, unemployment, debt repayment, inflation, balance of payment deficits, pollution, depletion, the population explosion, crime, divorce, and drug addiction. (...) This is growthmania" (Daly 1991b, 183). Wirtschaftswachstum sei "the most universally accepted goal in the world", weil es die Aussicht auf "more for all with sacrifice by none" eröffne (1991b, 8). Daly kritisiert dies: "The growth ideology is extremely attractive politically because it offers a solution to poverty without requiring the moral discipline of sharing" (Daly 1989a, 74). Er spricht auch von einer Kultur, die exponentielles Wachstum als Norm akzeptiert habe (Daly/Cobb 1994, 408, 414).

Eine Vision, die über eine nur ökonomische Perspektive hinausgeht und "letzte Ziele und Mittel" in den Blick nimmt, kommt laut Daly zu einer anderen Einschätzung von Wirtschaftswachstum. Wenn man davon ausgehe, daß es letzte Ziele gebe (diese also nicht unbegrenzt seien) und die Mittel beschränkt seien (durch die Grenzen der Umweltnutzung), führe dies unmittelbar zu einer negativen Einschätzung von Wirtschaftswachstum: "The nature of the Ultimate End does in fact limit the desirability of continual economic growth, and the nature of the ultimate means does in fact limit the possibility of continual growth" (Daly 1991b, 21; seine Hervorhebungen). Anders formuliert: "The absolute scarcity of ultimate means limits the possibility of growth (...). The competition from other ends, which contribute more heavily at the margin toward the Ultimate End, limits the desirability of growth (...)" (Daly 1993a, 22; seine Hervorhebungen; s. auch 1979, 72). Zusammengenommen bilden diese Unmöglichkeit und Unwünschbarkeit von Wachstum die ökonomische Grenze des Wachstums (Daly 1993a, 22). (33) Ausgehend von der Notwendigkeit der Zusammenführung ökologischer, ethischer und ökonomischer Erwägungen gelangt Daly zu einer Kritik der wirtschaftlichen Praxis und Theorie: Er hinterfragt Sinn und Möglichkeit von Wachstum, und er kritisiert die Annahmen und Ergebnisse des ökonomischen Mainstream. Aus dieser Kritik heraus konzipiert er seine Vorstellung einer Steady-State-Wirtschaft.

 

5.3.1. Ökologische Wachstumsgrenzen: Knappheit der Mittel und der Abbau von "Naturkapital"

5.3.1.1. Biophysikalische Wachstumsgrenzen

Die Physik und insbesondere die Thermodynamik diktieren für Daly eine Begrenztheit der Mittel, die zum Wirtschaften zur Verfügung stehen (1991b, 21 - 26). Folglich müsse das Reden von freien und nicht erschöpflichen Geschenken der Natur aufhören und der Material- und Energiedurchsatz in das Zentrum ökonomischer Betrachtung gerückt werden (1991b, 24f.). Die biophysikalischen Grenzen des Wachstum ergeben sich für Daly (1991b, 187, 225f.; 1996a, 33.) aus drei miteinander zusammenhängenden Bedingungen: Endlichkeit des Ökosystems, Entropie und ökologische Interdependenz. Alle drei Bedingungen wurden bereits in Kapitel 4 dargestellt, ihre Berücksichtigung ist zentraler Bestandteil der voranalytischen Vision der Ecological Economics. Daly geht von der Existenz objektiver, naturwissenschaftlich identifizierbarer Wachstumsgrenzen aus. Die drei Grenzen (Endlichkeit, Entropie, ökologische Interdependenz) hängen eng zusammen. Endlichkeit wäre kein Problem, wenn komplettes Recycling möglich wäre (was aufgrund des Entropiegesetzes nicht der Fall ist), und Entropie wäre umgekehrt kaum problematisch bei Unendlichkeit von Quellen und Senken. Beides wirkt sich auf die Lebenserhaltungsfunktion der natürlichen Umwelt aus (Daly 1991b, 226; 1996a, 33).

Auf die Problematik des "Imports" des Entropiekonzepts in die Ökonomik wurde bereits in Abschnitt 4.2. hingewiesen. Das Phänomen der Entropie hat auch wichtige Implikationen für die technischen Möglichkeiten eines "schonenderen Umgangs" mit der natürlichen Umwelt. Das Entropiegesetz, so Daly (1991b, 79), beschränkt technologische Möglichkeiten für eine effizientere Nutzung natürlicher Quellen und Senken. Niedrige Entropie sei "the ultimate means upon which all technologies depend" (Daly 1991b, 123). Zu berücksichtigen sei auch, daß es zwei Quellen niedriger Entropie gebe, die fundamental unterschiedliche Eigenschaften haben, nämlich solare Energie und mineralische Ressourcen (Daly 1979, 74; 1991b, 34). Auch hier liege mithin eine Wachstumsgrenze. Unbegrenzte technologische Möglichkeiten könnten zu einer dauerhaften Entkoppelung von Wirtschaftsaktivität und Umweltbelastung führen. Daß dies nicht unbegrenzt möglich sei, resultiere aus der Gültigkeit des Entropiegesetzes.

Die Interdependenzen innerhalb der natürlichen Umwelt spielen ebenso wie die Berücksichtigung der Thermodynamik eine wichtige Rolle in der voranalytischen Vision der Ecological Economics. Die Thermodynamik wird von Daly, wie gerade gezeigt, sehr hervorgehoben. Für die ökologischen Interdependenzen gilt dies weit weniger. Daly erwähnt sie, einen prominenten Platz in seinem Argumentationsgang nimmt dieses Problem jedoch nicht ein. Eine physisch größere Wirtschaft greift immer mehr in ökologische Zusammenhänge ein, und dies führt zu immer stärkeren Rückkopplungsreaktionen innerhalb dieser Umwelt, die durch erhebliche Unsicherheiten gekennzeichnet sind (Daly 1991a, 38; Daly/Cobb 1994, 60). Die Überschreitung ökologischer Schwellen (Thresholds) kann zu Zusammenbrüchen führen. Diese Schwellen begrenzen auch den maximal möglichen Material- und Energiedurchsatz, der zur Erhaltung der Anthroposphäre erforderlich ist (Daly 1993a, 29f.).

 

5.3.1.2. Von der leeren zur vollen Welt

Daly verweist immer wieder auf den Übergang von der leeren zur vollen Welt, der nach seiner Ansicht stattgefunden hat (z.B. Daly 1992a, 192; 1992d; 1996a, 7f., 109; Daly/Cobb 1994, 237, 247). Dieser Übergang vom "Wirtschaften in einer leeren Welt zum Wirtschaften in einer vollen Welt" markiert für Daly (1992d, 29) einen "historischen Wendepunkt in der Wirtschaftsentwicklung". Folge des Wachstums der Anthroposphäre in Relation zu ihrer natürlichen Umwelt sei ein "fundamentaler Wandel in den Knappheitsstrukturen" (Daly 1992d, 29). Da menschengemachtes und natürliches Kapital sich komplementär zueinander verhalten und also keine Substitute sind (s. Abschnitt 4.3.; Daly 1992d; 1995a), übt die Akkumulation menschengemachten Kapitals immer größeren Druck auf den Naturkapitalstock aus (Daly 1992d, 31). Heute sei nicht menschengemachtes Kapital oder Arbeit der knappe Faktor, sondern Naturkapital. Wirtschaftliche Logik, so wird Daly nicht müde zu betonen, erfordere die Erhöhung der Produktivität des knappsten Faktors und die Steigerung der zur Verfügung stehende Menge dieses Faktors.

Wachstum selbst hat also dazu geführt, daß sich die Knappheitssituation der Menschheit verändert hat – durch die immer stärkere Nutzung des Naturkapitals und den daraus resultierenden Abbau ist Naturkapital zum knappen und begrenzenden Faktor geworden. Gewissermaßen sei diese Knappheitssituation durch Nachfrage- und Angebotsseite gleichermaßen beschleunigt worden. Ein immer höheres Niveau der wirtschaftlichen Aktivitäten führe zu einer immer höheren "Nachfrage" für Naturkapital (auf der Quellen- und Senkenseite). Das Angebot an Naturkapital werde durch den Abbau nichterneuerbarer Ressourcen, die Übernutzung regenerierbarer Rohstoffe und die Überlastung natürlicher Senken reduziert, im Bereich der nichterneuerbaren Ressourcen werde dies noch dadurch verschärft, daß mit zunehmender Nutzung die physikalischen und auch ökonomischen Kosten überproportional ansteigen, weil die Nutzung weniger "reiner" Vorkommen den Einsatz von immer mehr Material und Energie erfordere. Knappheit ist nach dieser Argumentation also kein zeitloses Phänomen, die Frage nach dem knappsten Produktionsfaktor "changes with the historical context, with technological evolution, and with the ethical time and space horizons of the community" und auch mit der Definition der Produktionsfaktoren (Daly 1986a, 88). Knappheit im allgemeinen und die Frage des knappsten Produktionsfaktors im besonderen hängt also von folgenden Faktoren ab: Beanspruchung der Produktionsfaktoren durch das Niveau der Wirtschaftsaktivität, technologischer Entwicklungsstand, ethische Präferenzen und Definitionen. Alle diese Faktoren sind nicht zeitlos, sondern historisch kontingent.

Auf Dalys Beitrag zur Debatte über Naturkapital wurde bereits in Kapitel 4 eingegangen. Dort wurde auch dargelegt, warum die Annahme der Komplementarität von menschengemachtem und natürlichem Kapital in der Tat plausibler ist als die Vermutung, Naturkapital könnte durch von Menschen hergestellte Artefakte ersetzt werden. Diese Situation impliziert für Daly auch die Einschränkung politischen Gestaltungsspielraums durch objektive biophysikalische Grenzen (Daly 1981, 180f.; Goodland/Daly 1992a, 37). Politische "Wunder" seien jedenfalls wahrscheinlicher als biophysikalische (Goodland/Daly 1992b, 71). Eine durch die Gefahr der ökologischen Grenzüberschreitung geprägte "volle Welt" habe nicht dieselben Entwicklungsoptionen wie eine "leere Welt", in der ökologische Knappheiten kaum eine Rolle spielen. Dies hat unterschiedliche Folgen für die Industriestaaten und die Länder der Dritten Welt. In einer "vollen Welt" ist das Niveau des Umweltverbrauchs nicht global übertragbar (Daly 1992c, 36).

 

5.3.2. Ethische Wachstumskritik: Der Abbau "moralischen Kapitals" und die Frage richtiger Ziele

"Though a belief in prophecies of ultimate ecological doom and love of the natural environment

alone do not logically entail opposition to economic growth, an extreme concern for maintaining group relationships, for achieving psychological states that are incompatible with economic and

scientific advance, or, perhaps, for avoiding the risk of new kinds of action which might have unexpected side effects, can consistently lead to a no-growth policy."

(Olson et al. 1973, 240)

5.3.2.1. Religiosität und der Wert der Gemeinschaft

Daly begründet die Begrenztheit von Zielen nicht zuletzt religiös, und seine religiöse Motivation betont er auch im Hinblick auf die Zielsetzung des Steady-State: "The first view of man as fallible creature, ultimately dependent on his Creator, is the view that underlies the SSE. It is the traditional wisdom of the ages, taught by the great religions" (Daly 1991b, 26; meine Hervorhebung). Diese Sichtweise ist nicht entscheidend für die ökonomische und ökologische Plausibilität des Steady-State. Aber für das Verständnis von Dalys Steady-State-Konzept ist dieser Hintergrund bedeutsam. Religiöse Positionen haben in Dalys Arbeiten stets eine Rolle gespielt, selten allerdings so explizit wie in Beyond Growth und For the Common Good, dessen letztes Kapitel den Titel The Religious Vision trägt (Daly/Cobb 1994, Ch. 20). Dort erfährt der Leser, daß "(t)he knowledge of good and evil that destroyed our innocence must now function to guide us through the fallen world. (...) We think that deepening the knowledge of good and evil even now can put our situation into perspective that makes possible choices to reduce if not avoid the catastrophes toward which history hastens" (Daly/Cobb 1994, 395f.). Teil VII von Beyond Growth heißt Ethics, Religion, and Sustainable Development, die darin enthaltenen Kapitel tragen die Titel A Biblical Economic Principle and the Sustainable Economy und Sustainable Development: From Religious Insight to Ethical Principle to Public Policy (Daly 1996a, Ch. 14 u. 15). Daly vertritt die Auffassung, daß "(e)nvironmentalists and advocates of sustainable development really must face up to deep philosophical and religious questions about why their efforts ultimately make sense" (Daly 1996a, 22). Sustainable Development bedeute die Veränderung fundamentaler Grundsätze, folglich sei diese Veränderung "essentially religious whether we call it that or not" (1996a, 201). Zwar seien Autoren wie Rawls, Nozick und Sen "academic vogue", da aber die meisten in den USA geltenden gesellschaftlichen Prinzipien "straight from the Bible" kämen, beziehe er sich auf die Bibel (Daly 1996a, 202). Daly leitet aus der Bibel das Verbot einer krassen Ungleichverteilung privaten Vermögens ab und stellt den Suffizienzgedanken in diesen Kontext (1996a, 208). Daly beklagt, daß "political correctness" eine antireligiöse Haltung impliziere. Er hält dieses Thema – den Beitrag der Religion zur Frage der "letzten Ziele" – für äußerst wichtig, ist sich aber auch klar, daß dieser Teil von Beyond Growth der umstrittenste sein würde (1996a, 23).

Daly bekennt sich explizit zu seinem Glauben ("I am a Christian"; 1996a, 216) und verwendet regelmäßig religiöse Begriffe wie Schöpfer (1991b, 26, 46; 1996a, 174), die Schöpfung (1991b, 268; 1996a, 22), Teufel (1996a, 205; Daly/Townsend 1993c, 155) und Gott (1979, 77; 1991b, 26, 188; 1993b, 380; 1995b, 624; 1996a, 218; Daly/Cobb 1994, 239, 391, 393, 400; Daly/Townsend 1993c, 155; s. auch Daly 1997a). Dieser Glaube erscheint als wichtiger Teil seiner voranalytischen Vision. (34) Bisweilen haben seine Ausführungen den Charakter von Glaubensbekenntnissen: "I believe that God the Creator exists now, as well as in the past and future, and is the source of our obligation to Creation, including other creatures, and especially including members of our own species who are suffering" (Daly 1996a, 221). Und: "We believe that human life is lived most richly and most rightly when it is lived from God and for God" (Daly/Cobb 1994, 400). Eine Zerstörung der Tragekapazität der natürlichen Umwelt durch wirtschaftliche Aktivitäten ist aus dieser Perspektive denn auch nicht nur ökologisch gefährlich oder ökonomisch unvernünftig, sondern auch Sünde: "If it is a sin to kill and to steal, then surely it is a sin to destroy carrying capacity – the capacity of the earth to support life now and in the future" (Daly 1996a, 222).

Daly (1996a, 163) geht davon aus, daß "real people live in communities, and in communities of communities. Their very individual identities are constituted by their relations in community." Eine "gesunde Gemeinschaft" sei eine, in der "mutual concern among the members of a political system" bestehe (Daly/Cobb 1994, 269; meine Hervorhebung). Eine politische Gemeinschaft könne nicht "gesund" sein, "it cannot exercise a significant measure of control over its economic life" (Daly/Cobb 1994, 174). Politische Macht, die nicht die wirtschaftliche Ordnung zu beeinflussen vermag, sei uneffektiv. Daß Macht möglichst in den kleinsten Einheiten ausgeübt werden soll, gilt deshalb auf politischer und wirtschaftlicher Ebene: "Hence we tie political decentralization to economic decentralization" (Daly/Cobb 1994, 174).

Gemeinschaft sei kein feststehender Begriff, Dalys und Cobbs (1994, 169) grundlegende Überzeugung ist, daß "persons are internally related to one another (i.e. their relationships define their identities as persons) so that any view of people that treats them as self-contained individuals falsifies the real situation." Die Kunstfigur des homo oeconomicus ist aus Dalys Sicht folglich ein denkbar schlechter und unangemessener Ausgangspunkt für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit sozioökonomischen und ökologischen Fragen, diese Orientierung der Mainstream-Ökonomik ist für ihn ein weiter Fall der "fallacy of misplaced concreteness". Der Titel des achten Kapitels von For the Common Good ist in dieser Hinsicht programmatisch: From Individualism to Person-in-Community (Daly/Cobb 1994, 159 - 175). Menschen seien durch ihre Beziehungen zu anderen Menschen konstituiert, das Bild des Menschen als isolierter homo oeconomicus sei grundfalsch (Daly/Cobb 1994, 161). Menschen seien Teil von Gemeinschaften, und dies sei auch von der Ökonomik zur Kenntnis zu nehmen, denn "the individualistic model of economic theory leads to advocating policies that weaken existing patterns of social relationships" (Daly/Cobb 1994, 163). Es müsse – auch in der ökonomischen Theorie – zur Kenntnis genommen werden, daß "the well-being of a community as a whole is constitutive of each person's welfare" (Daly/Cobb 1994, 164).

Die "Bedrohung der Gemeinschaft" spielt auch in Dalys Kritik der Globalisierung eine entscheidende Rolle (die hier nicht im Mittelpunkt steht, aber nicht unerwähnt bleiben soll). Internationaler Wettbewerb führe zu einem Sinken von Standards und "thereby destroys community life based on those higher standards" (1996a, 147; S: auch 1993d). Es gilt aus dieser Sicht also, die Standards (z.B. im Arbeits- und Umweltbereich) der Industriestaaten aufrechtzuerhalten. Erwerbslosigkeit, Kriminalität, Drogenprobleme und "irresponsible procreation" – all das führt Daly (1996a, 148) auf die beschleunigte Globalisierung zurück. Daraus ergibt sich für Daly folgende Forderung, die er an die Weltbank richtet (wobei er sich klar ist, daß sie dort auf Empörung stoßen wird), die aber seine Position zur Handelspolitik gut wiedergibt: "Move away from the ideology of global economic integration by free trade, free capital mobility, and export-led growth and toward a more nationalist orientation that seeks to develop domestic production for internal markets as the first option, having recourse to international trade only when clearly much more efficient" (Daly 1994a, 186; seine Hervorhebung).

 

5.3.2.2. Sozioethische Wachstumsgrenzen

Aus Dalys Sicht spricht vieles dafür, daß weiteres Wirtschaftswachstum in einer begrenzten Umwelt nicht möglich ist. Daly meint aber, daß zur Unmöglichkeit weiteren Wachstums noch dessen Unwünschbarkeit kommt: "Ethicosocial conditions limit the desirability of growth even in cases where growth is still possible" (Daly 1991b, 187; s. auch 1996a, 35). Selbst wenn also die biophysikalischen Grenzen Wachstum nicht verhindern würden, sprechen aus dieser Perspektive immer noch "sozioethische Grenzen" gegen weiteres Wachstum. Diese Grenzen machen Wachstum nicht unmöglich, aber unerwünscht – ein Adjektiv, das den normativen Charakter dieser Argumentation verdeutlicht. Während es bei den biophysikalischen Grenzen um naturwissenschaftliche Tatbestände geht, zielt die Behauptung sozioethischer Wachstumsgrenzen auf die normative Bewertung dieser und anderer Tatbestände ab.

In Beyond Growth führt Daly vier "ethicosocial limits" für Wachstum an (s. auch 1991b, 186f., 229ff.). Erstens sei die Wünschbarkeit von Wachstum, das auf dem Abbau von Naturkapital basiere, durch die dadurch zukünftigen Generationen aufgebürdeten Kosten begrenzt (1996a, 35f.). Die Interessen zukünftiger Generationen sind bekanntlich der Ausgangspunkt für den Diskurs über Sustainable Development und müssen hier nicht wiederholt werden. Daly (1996a, 36) leitet hieraus die Forderung ab, daß "the basic needs of the future should take precedence over the extravagant luxury of the present." Zweitens sei durch die Inanspruchnahme von Lebensraum "finanziertes" Wachstum durch die Reduzierung oder Ausrottung empfindungsfähiger nicht-menschlicher Arten begrenzt (Daly 1996a, 36). Dies ergebe sich sowohl aus dem instrumentellen Wert dieser Arten für den Menschen also auch durch den intrinsischen Wert dieser Arten. Daly geht damit über eine anthropozentrische Ethik hinaus. In For the Common Good wird dies besonders deutlich formuliert: "Living things, individually and collectively, deserve consideration in their own right and should not be viewed merely as instrumental to human purposes. (...) (T)heir intrinsic value as well as their instrumental value must be considered" (Daly/Cobb 1994, 201). Daly/Cobb (1994, 203) befürworten eine biozentrische Vision. Mit der Deep Ecology stimmen sie in vielen Punkten überein, nicht allerdings hinsichtlich der Bewertung menschlichen und nichtmenschlichen Lebens. Während die Deep Ecology davon ausgeht, daß Menschen und andere Lebewesen den gleichen intrinsischen Wert haben, glauben Daly/Cobb (1994, 384), daß "there is more intrinsic value in a human being that in a mosquito or a virus." Dalys und Cobbs biozentrische Ethik geht also von einer Sonderstellung menschlichen Lebens aus, impliziert aber, daß andere Lebewesen nicht nur instrumentellen, sondern auch intrinsischen Wert haben. Damit gehen sie über den hier zugrundegelegten Ausgangspunkt hinaus, nach der eine anthropozentrische Ethik zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen hinreicht (s. 3.2.1.).

Diese zwei sozioethischen Argumente hängen mit den genannten biophysikalischen Grenzen unmittelbar zusammen: Die Folgen ökologischer Grenzüberschreitungen werden als negativ bewertet. Daly nennt zwei weitere sozioethische Grenzen, die sich auf die Wachstumseffekte innerhalb der Gesellschaft beziehen und insofern weitgehend unabhängig von den ökologischen Wachstumsfolgen sind. Drittens nämlich sei die Wünschbarkeit von Wachstum begrenzt durch die "self-canceling effects on welfare" (Daly 1996a, 36). Diese Effekte seien auf die Unterschiede zwischen absoluten und relativen Bedürfnissen zurückzuführen. Viertens, und für Dalys Denken repräsentativ: "The desirability of aggregate growth is limited by the corrosive effects on moral standards resulting from the very attitudes that foster growth, such as glorification of self-interest and a scientistic-technocratic worldview" (1996a, 37; seine Hervorhebung; s. auch 1991b, 188). Dieser "Abbau moralischen Kapitals" ist für Daly (1991b, 236ff.) eine entscheidende Wachstumsgrenze. Gier und Habgier ("greed and acquisitiveness") stimulierten das Wachstum auf der Nachfrageseite, auf der Angebotsseite proklamiere technokratischer Szientismus die Möglichkeit unbegrenzter Expansion (Daly 1996a, 37; s. auch 1991b, 238f.). Technokratischer Szientismus sei vielleicht als Forschungsprogramm geeignet, "but as a worldview it leaves no room for purpose, much less for any distinction between good and bad purposes. 'Anything goes' is a convenient moral slogan for the growth economy because it implies that anything also sells. To the extent that growth has a well-defined purpose, then it is limited by the satisfaction of that purpose" (Daly 1996a, 37).

Fragen der normativen Bewertung können für Daly in ökonomischen Überlegungen nicht ausgeklammert bleiben. Moderne Ökonomik reduziere Ethik auf die Ebene persönlichen Geschmacks: "No questions are asked about whether individual priorities are right or wrong, or even about how they are formed. The same goes for collective priorities. Whatever happens to interest the mass public is assumed to be in the public interest" (Daly 1979, 77). Eine größere Distanz zum ökonomischen Mainstream ist kaum vorstellbar: Dort sind Präferenzen gegeben, und ob diese richtig oder falsch sind, kann aus dem Selbstverständnis des Mainstream heraus nicht einmal gefragt werden. Ganz anders Daly: "Gute" Werte und "richtige" Bedürfnisse müssen aus seiner Sicht bestimmbar sein.

 

5.3.2.3. Objektive Werte und absolute Bedürfnisse

Die Auffassung, daß eine Entscheidung über "vernünftige Werte" und "richtige Zwecke" möglich sein müsse und vor allem auch möglich sei, steht in Zusammenhang mit Dalys religiösen Anschauungen. Als Minimaldefinition beschreibt er vernünftige Werte als solche "that do not promote the indiscriminate destruction of terrestrial life" (Daly 1991b, 169). Daly (1991b, 171) besteht darauf, daß "true values" existieren und spricht von "our perverse values and goals" (1991b, 169). Eine Hierarchisierung von Zielen müsse schon deshalb möglich sein, weil sonst von Effizienz gar nicht geredet werden könne. Effizienz erfordere, daß wichtigere Ziele nicht wegen der Erreichung weniger wichtiger Ziele aufgegeben würden (Daly 1991b, 170). Dies gilt für Daly (1995b, 624) entsprechend für die Differenzierung von intrinsischem und instrumentellem Wert: "Unless we have a notion of intrinsic value then there is nothing to which instrumental value can be instrumental. And unless we have a notion of instrumental value, we have no operational means of serving intrinsic value." Man könne intrinsischen und instrumentellen Wert nicht gegeneinander ausspielen. Vernünftige Werte und richtige Zwecke, so Daly (1991b, 169), müssen identifizierbar sein: "If we believe that sound values and right purposes cannot be defined and agreed upon, that such knowledge is impossible of attainment, then we are in serious trouble indeed." Ethik könne nur Bestand haben, wenn sie mehr sei als soziale Konvention: "It must have some objective transcendental authority" (Daly 1991b, 237). Wenn "besser" und "schlechter" keine objektive Bedeutung haben, könne Politik "only be arbitrary and capricious" (Daly 1991b, 237) sein, ja, sie sei dann "nonsense" (Daly 1993e, 358).

Auch eine pluralistische Gesellschaft ist nach Dalys Auffassung also auf objektive Werte angewiesen: "Ultimately, the possibility of moral consensus presupposes a dogmatic belief in objective value. (...) Only real objective values can command consensus in a sophisticated self-analytical society" (Daly 1993e, 357; meine Hervorhebung). Daly ist sich darüber klar, daß "the very words 'dogmatic belief in objective value' automatically shut the minds of most modern intellectuals" (1993e, 358; seine Hervorhebungen). Dies sei so, weil diese Begriffe mit Absolutismus und Intoleranz konnotiert seien. Dies seien falsche Konnotationen, wie er mit einem Chesterton-Zitat zu belegen sucht, in dem es u.a. heißt, daß "the dogmatist is interested only in the truth, and only in the truth because it is true" (zit. in Daly 1993e, 358). Wissen über Ziele – über objektiven Wert und richtigen Zweck – sei heute "considered 'forbidden knowledge' by the priests of the scientistic inquisition" (Daly 1993e, 359). Solange dieser Fehler nicht korrigiert werde, mache die Beschäftigung mit Ökonomik keinen Sinn. "Indeed, if our ends are perversely ordered, then it is better that we should be inefficient in allocating means to their service" (Daly 1993e, 359; seine Hervorhebung). Das mag so sein oder nicht, die entscheidende Frage bleibt, wer darüber bestimmt, was "objektive Werte", "richtige Zwecke" und "perverse Ziele" sind.

Daly läßt, wie gezeigt, wenig Zweifel an der Rolle, die er hierbei der Religion zumißt. Nach Dalys (1991b, 237) Ansicht, "the attitudes of scientific materialism and cultural relativism actively undercut belief in transcendental basis for ethical value, which undercuts moral consensus, which undercuts the minimum moral restraint on self-interest presupposed by Adam Smith and most of his followers." Daly verwahrt sich auch gegen Auffassungen, die die Existenz des Menschen zum evolutionären Zufall erklären: "For mind, value, and purpose to be real, they must, in an evolutionary perspective, already be present to some degree in the world out of which humans evolved, or else they must be the object of a special creation" (Daly 1996a, 20). Daly (1996a, 20) fragt (rhetorisch), ob es möglich sei, "to love an accident". Religiöser Glaube ist ihm unverzichtbare Grundlage für "wahre" Werte und richtige moralische Entscheidungen.

Die Auffassung, daß es eine Hierarchie zwischen Bedürfnissen gibt und daß absolute und relative Bedürfnisse unterschieden werden können, ist für Dalys Denken von zentraler Bedeutung. Daly (1991b, 40; 1996a, 36) verweist in diesem Zusammenhang oft auf Keynes, der menschliche Bedürfnisse einteilt in "those needs which are absolute in the sense that we feel them whatever the situation of our fellow human beings may be, and those which are relative in the sense that we feel them only if their satisfaction lifts us above, makes us feel superior to, our fellows" (Keynes 1972c, 326). Die Befriedigung dieser relativen Bedürfnisse sei ein Nullsummenspiel, weshalb diese Bedürfnisse durch Wachstum nicht befriedigt werden könnten. Aufgrund dieser "self-canceling effects" sei Wachstum auch weniger produktiv als gemeinhin angenommen. Wachstum zur Befriedigung relativer Bedürfnisse sei auf Kosten zukünftiger Generationen, anderer Arten usw. gegangen, und dies müsse sich in Zukunft ändern. Daly (1991b, 40) wirft der ökonomischen Theorie vor, die Unterscheidung zwischen absoluten und relativen Bedürfnissen nicht zu machen, um die Diskussion von Wertentscheidungen zu vermeiden. Die Neoklassik habe Werte und Ethik zu "mere matters of personal taste" reduziert, über die es nicht zu streiten lohne (Daly 1991b, 172). Aus Sicht des ökonomischen Mainstream sei die Unterscheidung zwischen niederen und höheren Werten elitär – manche Menschen genießen Shakespeare, andere Pornofilme, der Ökonomik stünden hier keine Werturteile zu (Daly/Cobb 1994, 92). Daly hält dieser Auffassung entgegen, daß "(i)t is a brute fact (...) that there is such a thing as absolute scarcity, and there is such a thing as purely relative and trivial wants" (Daly 1991b, 41; seine Hervorhebung; s. auch 1973a, 254f.; 1974, 18; Daly/Cobb 1994, 76).

 

5.3.3. Ökonomische Wachstumskritik: Mittel und Ziele

"Long before we have reached ultimate biophysical limits to growth

in the scale of our economy, we will have passed the economic limit

beyond which the marginal costs of growth exceed the marginal benefits."

(Daly 1996a, 215).

Während der ökonomische Mainstream von relativer Knappheit und nicht zu bewertenden Bedürfnissen ausgeht, insistiert Daly (1991b, 39ff.) darauf, daß absolute Knappheit und eine Differenzierung zwischen absoluten und relativen Bedürfnissen ein realistischer Ausgangspunkt für ökonomische Analyse seien. Ziel- und Mittelargumente führen gemeinsam zu einer Kritik der Wachstumsmanie: "Growth chestnuts have to be placed on the unyielding anvil of biophysical realities and then crushed with the hammer of moral argument", sagt Daly (1993a, 22) in unnachahmlicher Rhetorik. Und: "The entropy law and ecology provide the biophysical anvil. Concern for future generations and subhuman life and inequities in current wealth distribution the moral hammer" (1993a, 22f.). Beide Argumentationslinien wurden in den letzten beiden Abschnitten erläutert: Biophysikalische Gegebenheiten (die Mittel) begrenzen die Möglichkeit von Wachstum, ethische Erwägungen (die Ziele) die Wünschbarkeit von Wachstum. Interpretiert man die Ökonomik als Wissenschaft von der Verwendung knapper Mittel für konkurrierende Ziele, ergeben beide Grenzen zusammengenommen eine ökonomische Wachstumsgrenze: "(T)he interaction of desirability and possibility provides the economic limit to growth, which is the most stringent, and should be the governing, limit" (Daly 1993a, 22; seine Hervorhebung; auch 1979, 72). Angesichts seiner eindeutigen Betonung der ökologischen und ethischen Grenzen überrascht die Auffassung Dalys, die ökonomische Grenze sei die strengste und letztlich die bestimmende Grenze. Dies ergibt sich aber daraus, daß diese Grenze ja erst aus der Kombination biophysikalischer und ethischer Erwägungen resultiert. (35)

Letztlich sei der Sinn von Wirtschaftswachstum also nicht durch die Erreichung letzter Ziele oder den Verbrauch letzter Mittel begrenzt, sondern durch das Zusammenspiel von Zielen und Mittel. Dabei greift Daly auf ein wohlbekanntes ökonomische Argument zurück: "It is not necessary that marginal benefits fall all the way to zero nor that marginal costs rise to infinity but only that the two should become equal. The limit that results from their intersection, from the interaction of desirability and possibility, is the economic limit to growth" (Daly 1991b, 28; seine Hervorhebung; s. auch 1979, 78f.). Da die wichtigsten Ziele zuerst verwirklicht würden und die am leichtesten zugänglichen Mittel zuerst genutzt würden, sei von sinkendem Grenznutzen und steigenden Grenzkosten auszugehen. Wachstum sollte nur bis zu dem Punkt gehen, an dem Grenzkosten gleich dem Grenznutzen sind (Daly 1991b, 28).

Daly (1991b, 29, 101) selbst weist auf einen naheliegenden Einwand gegen diese Betrachtung von Grenzkosten und -nutzen hin, nämlich daß sie zu statisch ist: Weder die den Grenznutzen repräsentierende Kurve ist unbeweglich, noch die Grenzkostenkurve. Technischer Fortschritt kann die Kostenkurve verschieben, veränderte Bedürfnisse die Nutzenkurve. Dagegen wendet Daly ein, daß es zum einen nicht sicher sei, in welcher Weise die Kurven dabei verschoben würden (da es um eine Marginalbetrachtung geht, kommt es auf die Steigung der Kurven an). Wachstumsbefürworter würden nicht plausibel machen, warum die Veränderungen durch technischen Fortschritt und Bedürfniswandel die Kurven immer so verändert, daß weiteres Wachstum "ökonomisch" bleibe. Zum zweiten gäbe es Grenzen im Hinblick darauf, wie weit die Kurven verschoben werden könnten. Ressourcenknappheit und Entropie, so Daly (1991b, 29), begrenzen Effizienzverbesserungen und damit die Möglichkeiten zur Verschiebung der Kostenkurve. Und beschränkte "letzte Ziele" führten dazu, daß der durch materielle Produktion erzielte Nutzen nicht unbegrenzt gesteigert werden könne. Entscheidend für Dalys Argumentation ist also auch hier die Auffassung, daß sowohl die Ziele des Wirtschaftens als auch die zur Erreichung dieser Ziele zur Verfügung stehenden Mittel begrenzt sind. Die Betrachung von marginalem Nutzen und marginalen Kosten des Wachstums müsse dies berücksichtigen: "If marginal benefits of physical growth decline while marginal costs rise (as elementary economic theory would indicate), there will be an intersection beyond which further growth is uneconomic" (Daly 1991b, 100; meine Hervorhebung). Daly (1996a, 11) spricht hier auch von "antieconomic growth mascerading as economic growth", das die Gesellschaft ärmer und nicht reicher mache.

 

5.4. Das Konzept

5.4.1. Zwei Definitionen: Konstante Bestände oder Flüsse

Drei physikalische Größen sind zentral für die Definition des Steady-State: Der Bestand an Artefakten, die Bevölkerungsgröße und der Material- und Energiedurchsatz (Daly 1991b, 16), also zwei Bestände und ein Fluß. Für die Betrachtung des Durchsatzes ist es von entscheidender Bedeutung, daß dieser eine quantitative Größe darstellt. Gegenüber qualitativen Eigenschaften wie Toxizität ist die Verwendung des Begriffs des Throughput indifferent. Es geht um die Menge des Material- und Energiedurchsatzes, der durch die Anthroposphäre fließt. Qualität spielt nur insofern eine Rolle, als In- und Output der Anthroposphäre in entropischer Hinsicht unterschiedlich sind.

In Dalys Arbeiten finden sich zwei Definitionen des Steady-State, die sich aber hinsichtlich ihrer ökologischen Forderungen nicht unterscheiden. Lange Zeit rekurrierte Daly auf eine "bestandsorientierte" Definition, wie beispielsweise in Steady-State Economics: Daly definiert den Steady-State hier als "an economy with constant stocks of people and artifacts, maintained at some desired, sufficient levels by low rates of maintenance 'throughput', that is, by the lowest feasible flows of matter and energy from the first stage of production (depletion of low-entropy materials from the environment) to the last stage of consumption (pollution of the environment with high-entropy wastes and exotic materials). It should be continually remembered that the SSE is a physical concept" (Daly 1991b, 17; seine Hervorhebungen; s. auch 1974, 15; 1993e, 325).

Dieser Definition liegt eine "Durchsatzperspektive" zugrunde, die Wirtschaften als industriellen Metabolismus sieht. Daly (1982, 252) spricht auch vom Durchsatz als "metabolic flow of matter and energy through the digestive track of the economy". Konstant (stationär) ist in diesem Metabolismus die Bevölkerungszahl und der Bestand von menschengemachtem Kapital (damit meint Daly hier alle von Menschen geschaffenen Artefakte und nicht nur Kapitalgüter im engeren Sinne). Daly betont, daß in einer solchen Wirtschaft kein Wachstum, aber Entwicklung stattfinde und daß außer Bevölkerungs- und Kapitalbestand nichts konstant gehalten werde: "The culture, genetic inheritance, knowledge, goodness, ethical codes, and so forth embodied in human beings are not held constant. Likewise, the embodied technology, the design, and the product mix of the aggregate total stock of artifacts are not held constant" (Daly 1991b, 16f.; ähnlich 1991b, 182; s. auch 1993e, 326). Bevölkerungszahl und Kapitalbestand sollen auf einem "desired, sufficient" Niveau konstant gehalten werden, und zwar mit einem möglichst geringen Material- und Energiedurchsatz. An anderer Stelle formuliert Daly (1993e, 325), daß Kapital und Bevölkerung auf einem für ein gutes Leben hinreichenden und langfristig nachhaltigen Niveau konstant gehalten werden sollen (s. auch 1991b, 37).

Es ist eindeutig, daß schon die bestandsorientierte Steady-State-Definition die Senkung bzw. Stabilisierung des Durchsatzes zum Ziel hat. Darauf deutet auch folgender Satz hin: "We are concerned to minimize throughput because that increases the ratio stock/throughput, or the maintenance efficiency of the throughput" (Daly 1991b, 38). Der Durchsatz ist ein Kostenfaktor, und dieser soll auf niedrigem Niveau stabilisiert werden. Dennoch schreibt Daly in einem Aufsatz, dem die bestandsorientierte Definition zugrundeliegt, daß "a steady-state economy, as here defined, does not imply constant throughput" (1974, 16; meine Hervorhebung). Im gleichen Text betont er allerdings, daß der von ihm vorgeschlagene Ressourcenabbauquotenplan "limits aggregate throughput" (1974, 20). Der Argumentationsgang seiner Texte belegt eindeutig, daß es Daly um die Begrenzung des Durchsatzes geht. Höchst bemerkenswert ist eine Äußerung, die Daly zur Rolle des technischen Fortschritts macht (fast ebenso bemerkenswert ist der Umstand, daß sie in einer Fußnote gemacht wird). Daly (1991b, 17; Fn. *) weist nämlich – im Kontext der bestandsorientierten Definition – darauf hin, daß der Kapitalbestand ein heterogene Dinge umfassendes Aggregat ist, dies aber unproblematisch sei, weil "we do not really need an operational measure of aggregate stock". Er fährt mit Formulierungen fort, die von entscheidender Bedeutung für die Interpretation der bestandsorientierten Steady-State-Definition ist: "We can control throughput and let the stock grow to whatever maximum size can be supported by the limited throughput. Control over aggregate throughput will result from controls (depletion quotas) on particular resources. If, thanks to technical progress, it becomes possible to support a larger stock with the same throughput, that is all to the good and should be allowed to happen" (Daly 1991b, 17; Fn.*; meine Hervorhebung; s. 5.6.2.2.). Der Kapitalstock darf also solange wachsen, wie der dazu erforderliche Durchsatz die vorgesehene Grenze nicht überschreitet. Ein bestimmter Durchsatz bedeutet nur bei stationärer Technologie einen konstanten Kapitalstock. Es zeigt sich also, daß die strategische Größe im Steady-State-Konzept der Material- und Energiedurchsatz ist.

Mittlerweile findet man in Dalys Schriften eine "flußorientierte" Definition, nach der eine Steady-State-Economy eine Wirtschaft ist, "whose throughput remains constant at a level that neither depletes the environment beyond its regenerative capacity, nor pollutes it beyond its absorptive capacity" (Daly 1992b, 333; meine Hervorhebung). In Beyond Growth schreibt Daly (1996a, 31), daß in einer Steady-State-Economy "the aggregate throughput is constant, though its allocation among competing uses is free to vary in response to the market". Wie gesagt, beide Versionen laufen auf ein und dasselbe Ziel hinaus: die Stabilisierung des Material- und Energiedurchsatzes der Anthroposphäre, des Throughput, und auf einem ökologisch nachhaltigen Niveau (Daly 1996a, 32). Diesen definiert Daly (1996a, 31) als "a process in which low-entropy raw materials [einschließlich der Energieträger; FL] are transformed into commodities and then, eventually, into high-entropy wastes. Throughput begins with depletion and ends with pollution." Den Umfang dieses Throughput bezeichnet Daly auch als Scale. Eine Steady-State-Economy ist also eine Wirtschaft, in der der Throughput/Scale konstant ist.

Daly (1996a, 31f.) weist darauf hin, daß nach seiner (hier: flußorientierten) Definition "even the stocks of artifacts or people may occasionally grow temporarily as a result of technical progress that increases the durability and repairability (longevity) of artifacts. The same maintenance flow can support a larger stock if the stock becomes longer-lived. The stock may also decrease, however, if resource quality declines at a faster rate than increases in durability-enhancing technology." Dem ist hinzuzufügen, daß aus dieser Definition auch folgt, daß der Bestand bei konstantem Durchsatz dann ansteigen kann, wenn die Güter nicht langlebiger sind, sondern mit weniger Durchsatz hergestellt werden oder im Betrieb weniger Material oder Energie verbrauchen. Ebenso wie bei der bestandsorientierten Definition geht Daly also auch hier davon aus, daß eine Steigerung des Kapitalbestands auch im Steady-State möglich ist, solange dies durch technologische Verbesserungen mit einem konstanten Durchsatz vereinbar ist.

 

5.4.2. Ein Ziel: Nachhaltiges Flußgleichgewicht der Anthroposphäre

Wie gezeigt wurde, hat Daly Anfang der 1990er Jahre einen Übergang von einer "bestandsorientierten" zu einer "flußorientierten" Definition vollzogen. Hinsichtlich ihrer Zielsetzung unterscheiden sich diese Definitionen jedoch nicht: Ziel der Steady-State-Wirtschaft ist es, den physischen Umfang wirtschaftlicher Aktivitäten auf einem Niveau konstant zu halten, das die Carrying Capacity der natürlichen Umwelt nicht überlastet. Deshalb sind sowohl die von Daly genannten Begründungen für die Steady-State-Ökonomie als auch seine institutionellen Vorschläge für beide Versionen des Steady-State relevant. Beide Definitionen sind für Daly hinsichtlich ihrer Zielsetzung also nicht zu unterscheiden. Dafür spricht auch, daß nach der Veröffentlichung der flußorientierten Definition (1992b) ein Beitrag (wieder)veröffentlicht wurde, der auf eine bestandsorientierte Definition abstellt (1993e). Entscheidend ist das Ziel, die Umweltbelastung durch den Material- und Energiedurchsatz möglichst auf einem "sustainable level" zu stabilisieren. Daly bemerkt an verschiedenen Stellen, daß eine Steady-State-Wirtschaft vor allem auf erneuerbare Ressourcen zurückgreifen sollte. Solarenergie solle die wichtigste Energiequelle einer solchen Wirtschaft sein (Daly 1991b, 146).

Entscheidend für die Umweltwirkungen wirtschaftlicher Aktivitäten ist der Throughput und nicht die Bevölkerungsgröße oder der Kapitalbestand. Durchsatzwachstum ist für Daly (1996c, 113) die Hauptursache von Umweltzerstörung. Bevölkerungsgröße und Kapitalbestand entfalten ihre Umweltrelevanz vor allem dadurch, daß ihre Erhaltung Material- und Energiedurchsatz erfordert, der seinerseits zu Umweltwirkungen führt. Durchsatzunabhängig ist die Wirkung von Bevölkerung und Kapitalbestand nur im Hinblick auf den Flächenverbrauch. Eine hohe Bevölkerung und ein hoher Kapitalbestand können selbst bei einem niedrigen Material- und Energiedurchsatz zu einer Überlastung der Carrying Capacity führen, wenn die beanspruchte Fläche zur Verdrängung von Ökosystemen führt, die ihrerseits wichtig für die Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems sind.

Stationäre Bevölkerung und stationärer Kapitalstock können sowohl mit einem niedrigen als auch einem sehr hohen Durchsatz erhalten werden. Die Konstanz erfordert die Identität von Input und Output der Anthroposphäre, also ein Flußgleichgewicht – und dies kann sich auf hohem oder niedrigem Niveau befinden. Daly sieht diesen Zusammenhang: Bevölkerung und Kapital müssen – auch wenn sie stationär sind – "maintained by a rate of inflow (...) equal to the rate of outflow (...). But this equality may obtain, and stocks remain constant, with a high rate of throughput (equal to both the rate of inflow and the rate of outflow) or with a low rate. Our definition of the steady state is not complete until we specify the rates of throughput by which the constant stocks are maintained. For a number of reasons we specify that the rate of throughput should be as low as possible" (1993a, 29). Hier wird nun allerdings ein nicht unerheblicher Unterschied zwischen beiden Definitionen deutlich. Bei der bestandsorientierten Definition geht es um die Erhaltung eines gewünschten Bevölkerungs- und Kapitalniveaus mit möglichst niedrigem Durchsatz. Bei der flußorientierten Definition liegt das Ziel darin, den Durchsatz auf einem konstanten, nachhaltigen Niveau zu halten und aus diesem Durchsatz möglichst viel Dienstleistungen "herauszuholen". Nach der ersten Definition wird also bei Konstanz von Bevölkerung und Kapital der Durchsatz minimiert, nach der zweiten werden bei Konstanz des Durchsatzes die Dienstleistungen maximiert.

Für Daly ist der Steady-State zweifelsohne Grundlage eines Sustainable Development. Die Definition als nachhaltiges Flußgleichgewicht führt zur begrifflichen Identität von Steady-State und ökologischer Nachhaltigkeit. Den Kern bildet die Konstanz des entscheidenden Faktors für die Umweltbelastungsintensität des Wirtschaftens, nämlich des Material- und Energiedurchsatzes. Mit der definitorischen Erhebung des Steady-State zur conditio sine qua non einer nachhaltigen Entwicklung ist aber die Frage nach der tatsächlichen Identität von Flußgleichgewicht und Nachhaltigkeit noch nicht abschließend positiv beantwortet. Zwar weist auch Daly immer wieder auf den letztlich notwendigen Übergang zur Nutzung erneuerbarer Ressourcen hin und baut damit die Nachhaltigkeit i.S.d. "ökologischen Managementregeln" (s. Abschnitt 4.4.) gewissermaßen in die Steady-State-Definition ein. Dennoch ist zu fragen, wie denn ein Flußgleichgewicht zwischen Anthroposphäre und Umwelt mit der Beachtung dieser Regeln in Einklang zu bringen ist. Darüber hinaus ist zu problematisieren, inwieweit ein Steady-State – wenn er die ökologischen Nachhaltigkeitskriterien erfüllt – mit den beiden anderen Dimensionen von Sustainable Development, wirtschaftliche und soziale Nachhaltigkeit, kompatibel ist (s. Kapitel 9 ff.). Zunächst aber zu den theoretischen Implikationen der Zielsetzung einer Steady-State-Wirtschaft.

 

5.5. Theorie des Steady-State: Ökologische Makroökonomik

5.5.0. Vorbemerkung

"Policy Outruns Theory"

(Daly 1996a, 52)

Im folgenden steht zunächst die wirtschaftstheoretische Basis des Steady-State im Vordergrund, die sich aus den genannten ökologischen, ethischen und ökonomischen Argumenten ergibt. Im Anschluß daran geht es um die Trennung von Allokation, Verteilung und Scale der Wirtschaft sowie die Bedeutung dieses Scale für Dalys ökologische Makroökonomik. In den darauffolgenden Abschnitten wird gefragt, welche politischen Folgerungen sich hieraus ergeben. Dies scheint eine "natürliche" Vorgehensweise zu sein: Erst wird die Theorie expliziert, anschließend die politischen Schlußfolgerungen ("policy implications" ist sicher eine der häufigsten Zwischenüberschriften in englischsprachigen wirtschaftswissenschaftlichen Texten). Daly selbst hat sich allerdings schwerpunktmäßig zuerst der Politik zugewandt und erst dann der Theorie. Dies mag daran liegen, daß es Daly vor allem um die Veränderung der wirtschaftlichen Realitäten geht, was auch in folgendem Zitat zum Ausdruck kommt: "As Marx said, the goal is not just to interpret the world but to change it. And he was right" (Daly 1993a, 15f.). Da die Arbeiten zu Politik mit denen zur Theorie miteinander vollkommen kompatibel sind, hat Daly quasi im Nachhinein theoretische Unterfütterungen seiner vorher formulierten Politikvorschläge geliefert. Im folgenden wird aber, um diese Zwischenbemerkung abzuschließen, zuerst die Theorie behandelt, dann die Politik.

 

5.5.1. Scale als Schlüsselgröße einer ökologischen Makroökonomik

Umweltökonomik – zumindest diejenige neoklassischer Provenienz – ist bekanntlich mikroökonomisch fundiert und orientiert, Umweltfragen werden als Allokationsprobleme verhandelt. Diesen normalökonomischen Ansatz hält Daly für nicht angemessen. Insbesondere in einer "vollen Welt" sei auch eine optimale Allokation nicht ausreichend: "An optimal allocation, in a growth regime that has already overshot the optimal scale, is just a way of always making the best possible adjustment to an ever-worsening situation" (Daly/Cobb 1994, 241). Eine volle Welt in Richtung Nachhaltigkeit zu beeinflussen, heißt also, den Scale zu senken. Allokative Veränderungen – z.B. durch internalisierte Externalitäten – reichen nicht aus. Daly setzt der allokativen Orientierung den Vorschlag einer ökologischen Makroökonomik entgegen, in deren Zentrum der Scale steht, also der Umfang des Material- und Energiedurchsatzes. (36) In einer begrenzten Umwelt ist aus Dalys Sicht die Größe der Wirtschaft im Verhältnis zu dieser Umwelt von entscheidender Bedeutung. Daraus ergibt sich der Themenbereich der ökologischen Makroökonomik: "The physical exchanges crossing the boundary between the total ecological system and the economic subsystem constitute the subject matter of environmental macroeconomics. These flows are considered in terms of their scale or total volume relative to the ecosystem, not in terms of the price of one component of the total flow relative to another" (Daly 1991a, 35; seine Hervorhebung). Eine begrenzte Umwelt diktiert, daß es einen "proper scale" des Subsystems Anthroposphäre gibt, denn kontinuierliches Wachstum des Scale wäre nur dann möglich, wenn auch die Umwelt unbegrenzt wachsen könnte (Daly/Cobb 1994, 143).

Daly definiert den Scale der Wirtschaft als "'the physical scale or size of the human presence in the ecosystem, as measured by population times per capita resource use'" (Daly 1991a, 35; siehe auch Daly 1992b, 337). An anderer Stelle schreibt Daly, daß Scale "refers to the physical volume of the throughput, the flow of matter-energy from the environment as low-entropy raw materials, and back to the environment as high-entropy wastes" (Daly 1992a, 186; s. auch 1996c, 114). Und: "The product of population and per capita resource use at any point in time represents the scale of the human presence in the biosphere – the rate of total resource throughput" (Daly 1996a, 221; seine Hervorhebung). Als gesamtwirtschaftliches und auf die Tragekapazität der Umwelt bezogenes Konzept ist Scale "a macro level problem of total human resource use relative to the carrying capacity of the environment" (Foy/Daly 1992, 294). Scale ist der Umfang des Material- und Energiedurchsatzes des industriellen Metabolismus. Scale bezieht sich auf die Quantität des Throughput, und da ein Steady-State nichts anderes ist als die Konstanz des Throughput, ist ein stabilisierter Scale Kennzeichen eines stationären Zustands. Die Zielsetzung eines Steady-State ist von der theoretischen Betrachtung des Scale nicht zu trennen. So wie aus Dalys Perspektive der Zusammenhang von Anthroposphäre und Umwelt die physische Begrenzung der Wirtschaft notwendig macht, weil Internalisierungsstrategien nicht hinreichend sind, so ist es in theoretischer Hinsicht notwendig, die physische Dimension des Wirtschaftens in den Blick zu nehmen, weil allokationstheoretische Erwägungen eine adäquate theoretische Repräsentation der Umwelt nicht leisten können.

Der Scale definiert also den Umfang der Anthroposphäre im Verhältnis zu ihrer Umwelt. Wie "groß" die "Sphäre des Menschen" in Relation zur Umwelt ist, definiert sich mithin durch den Umfang der anthropogenen Material- und Energieströme. Es ist also nicht der Bestand an menschengemachtem Kapital und die Bevölkerungszahl, die die Größe der Anthroposphäre bestimmen, sondern der zur Erhaltung dieser Größen erforderliche Material- und Energiedurchsatz. Dies ist deshalb hervorzuheben, weil erstens intuitiv die Definition der Größe als "Kapital plus Menschen" naheliegend erscheint. Die Größe eines Gartens oder eines Haushalts wird immerhin nicht durch den Material- und Energiedurchsatz bestimmt, sondern die Fläche bzw. die Ausstattung mit Geräten und die Anzahl der Haushaltsmitglieder. Zweitens legen Dalys graphische Darstellungen eindeutig die Vermutung nahe, daß eine "volle" Welt nicht durch den Material- und Energiedurchsatz, sondern durch den Bestand an menschengemachtem Kapital definiert ist (z.B. Daly 1994c, 24f.; Goodland/Daly 1993, 89).

Da der Scale in der ökonomischen Theorie bisher keine Rolle spielt, ist das Verhältnis zu anderen ökonomischen Zielsetzungen wie effizienter Allokation und gerechter Verteilung zu klären. Erst die Zusammenschau dieser drei Zielsetzungen ermöglicht die theoretische Einordnung des Scale in eine Makrotheorie und die Bewertung der politischen Implikationen eines "optimalen Scale" (s. 8.2.2.). Allokation soll effizient und Verteilung gerecht sein – was aber macht den "richtigen" Scale aus? Dies wirft zunächst die Frage der Messung auf: Wie kann man den Scale der Wirtschaft messen? Daly nimmt hier eine widersprüchliche Position ein. In zwei Veröffentlichungen aus dem Jahre 1991 nennt er die menschliche Aneignung der Photosyntheseprodukte als "(p)robably the best index of the scale of the human economy" (1991a, 37; 1991b, 245) und schlägt gleichzeitig "Carrying capacity as a tool of environmental macroeconomics" vor (1991a, 42), 1992 nennt er das reale Bruttosozialprodukt als "(p)erhaps the best index of scale of throughput" (1992a, 186), 1996 wiederum übernimmt er das Photosynthese-Kriterium aus 1991a (1996a, 57). Daß das Bruttosozialprodukt kein Indikator für den Durchsatz und damit für den Scale ist, ist an anderer Stelle (Abschnitt 9.1.) ausführlich zu erörtern. Die Photosyntheseaneignung ist demgegenüber ein physischer Indikator, der allerdings erhebliche Meßprobleme aufwirft (s. auch Vitousek et al. 1986) und außerdem nicht den Durchsatz direkt mißt. Zweifelsfrei ist die Aneignung der Photosynthese ein Indiz für den Umfang wirtschaftlicher Aktivitäten im Verhältnis zur begrenzten Umwelt, sie spiegelt aber weder "Bevölkerung * Ressourcenverbrauch" noch den "physischen Umfang des Durchsatzes" wider, also den Scale, wie Daly ihn definiert. Daly legt also keinen geeigneten Vorschlag vor, wie der Scale gemessen werden könnte.

 

5.5.2. Die Trennung von Allokation, Verteilung und Scale

Welche Kosten und Nutzen des Wachstums von unterschiedlichen Generationen getragen oder genossen werden, ist für Daly kein Allokations-, sondern ein Verteilungsproblem. In der Zukunft lebende Menschen können auf heutigen Märkten nicht "mitbieten", und folglich können Markte die Bedürfnisse zukünftiger Generationen nicht berücksichtigen. "There is no objective market criterion for determining proper intergenerational allocation nor, consequently, for speaking of misallocation. In any case the proper word is 'misdistribution'" (Daly 1991b, 124; s. auch 1981, 178). Obwohl auch die Neoklassik zwischen Allokation und Verteilung trenne, differenziere sie nicht zwischen intertemporaler Allokation (Allokation durch eine Person im Laufe ihres Lebens) und intertemporaler Verteilung (Verteilung zwischen heute und in Zukunft lebenden Menschen). Intertemporale Verteilung sei "a question of ethics, not a function of the interest rate" (Daly 1993e, 329; meine Hervorhebung). Da kommende Generationen andere Menschen seien als die heute lebenden, gehe es beim Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen um Verteilung, nicht um Allokation (Daly 1992a, 192; s. auch 1996a, 56). Allokation und Verteilung sind also zu unterscheidende Probleme, hier geht Daly mit dem ökonomischen Mainstream konform. Im Kontext einer ökonomischen Auseinandersetzung ist aber eben noch eine weitere Größe zu berücksichtigen, die in der Mainstream-Ökonomik nicht einmal existiert: nämlich der Umfang des Material- und Energiedurchsatzes, also der Scale. Daly (1991a, 35) betont, daß der Markt das Allokationsproblem durch die Bereitstellung von notwendigen Informationen und von Anreizen sehr gut löse. Der Markt könne aber weder Verteilungs- noch Scale-Probleme lösen. Allokation, Verteilung und Scale sind für Daly voneinander unabhängige Probleme (Daly 1989a, 77ff.; 1991a, 36; 1991b, 244ff.; 1992a, Daly/Cobb 1994, 144f.).

Die Differenz zwischen Allokation und Scale verdeutlicht dies mit einer Metapher (die wohl eine der erfolgreichsten und meistzitierten der jüngeren Ecological Economics-Literatur ist): "The micro allocation problem is analogous to allocating optimally a given amount of weight in a boat. But once the best relative location of weight has been determined, there is still the question of the absolute amount of weight the boat should carry. This absolute optimal scale of load is recognized in the maritime institution of the Plimsoll line. When the watermark hits the Plimsoll line the boat is full, it has reached its safe carrying capacity. Of course, if the weight is badly allocated, the water line will touch the Plimsoll mark sooner. But eventually as the absolute load is increased, the watermark will reach the Plimsoll line even for a boat whose load is optimally allocated. Optimally loaded boats will still sink under too much weight – even though they may sink optimally! It should be clear that optimal allocation and optimal scale are quite distinct problems. The major task of environmental macroeconomics is to design an economic institution analogous to the Plimsoll mark – to keep the weight, the absolute scale, of the economy from sinking our biospheric ark" (Daly 1991a, 35; seine Hervorhebung). Die Belastung der Umwelt durch die Wirtschaft muß also durch eine "Wasserlinie" begrenzt werden, weil auch eine optimale Allokation zu einer Überlastung der Umwelt führen kann. Eine solche "Linie" zu entwerfen, ist Aufgabe einer ökologischen Makroökonomik.

Aus der Differenzierung zwischen Scale, Verteilung und Allokation folge, daß jedes Politikziel ein eigenes Politikinstrument erfordere: "We have three independent optima requiring three independent policy instruments. In each case an optimum is formally defined by the equality of rising costs and falling benefits at the margin" (Daly 1992a, 190). Daly postuliert (in Anlehnung an Tinbergen 1955), daß zwei Ziele nicht mit einem Instrument erreicht werden können (s. auch Daly/Townsend 1993a, 1). Für Effizienz und Verteilungsgerechtigkeit sei dies in der Ökonomik schon lange ein akzeptierter Tatbestand. Im vorliegenden Fall geht es aber nicht um zwei, sondern um drei Ziele: Allokation (Effizienz), Verteilung (Gerechtigkeit) und Scale (Nachhaltigkeit)(Daly 1991a, 36). Auf die Ähnlichkeit dieser drei Ziele mit den drei in Abschnitt 3.3. erörterten Dimensionen nachhaltiger Entwicklung (wirtschaftlich, sozial, ökologisch) wird noch zurückzukommen sein. Hier ist zunächst der entscheidende Punkt zu betonen, daß aus Dalys Sicht die Optimalität des Scale ebenso wie Verteilungsgerechtigkeit, Vollbeschäftigung und Preisniveaustabilität ein makroökonomisches Ziel ist (Daly 1991a, 37). Und dieses steht zu anderen wirtschaftspolitischen Zielen nicht in einem harmonischen Verhältnis. Sowohl Beschäftigungsprobleme als auch Verteilungsfragen wurden bisher durch Wirtschaftswachstum zu "lösen" versucht, und sobald weiteres Wirtschaftswachstum zu einem zu großen Scale führt, entsteht ein Zielkonflikt: "Conventional macroeconomic goals tend to conflict, and certainly optimal scale will conflict with any goal that requires further growth once the optimum has been reached" (Daly 1991a, 37; s. auch 1992a, 187).

Daly verdeutlicht die Unabhängigkeit von Allokation, Verteilung und Scale – in bemerkenswerter Abweichung von seinem Insistieren auf der Überlegenheit von Ressourcenabbauquoten (s. 5.6.2.3.) – am Beispiel von handelbaren Verschmutzungsrechten. Entscheidend dabei ist die Abfolge der Einzelschritte. Zuerst müsse die Anzahl der Zertifikate und damit eine Art "Wasserlinie" auf nachhaltigem Niveau festgelegt werden. Danach müßten diese Zertifikate auf verschiedene Personen verteilt werden. Erst dann kommt der Markt ins Spiel: "Only in third place, after having made social decisions regarding an ecologically sustainable scale and an ethically just distribution, are we in a position to allow reallocation among individuals through markets in the interests of efficiency" (Daly 1992a, 188). Der Zertifikatspreis ergibt sich auf dem Markt, aber erst nach der Festlegung von Menge und Verteilung der Zertifikatsmenge. Weder Scale noch Verteilung sind durch Preise bestimmt, sondern durch gesellschaftliche Entscheidungen, die ökologische Grenzen und Gerechtigkeitskriterien widerspiegeln (Daly 1992, 188). "Protecting the range of options for the future has to be a macro, social decision, effected through a macro policy such as limiting the scale of throughput" (Daly 1996a, 15f.). Sustainable Development erfordert also politische Entscheidungen, die den Bereich des Marktes einschränken. Der Markt selbst verfügt über kein Kriterium zur Begrenzung der Wirtschaft gegenüber der Umwelt (Daly 1991b, 202; Daly/Cobb 1994, 144). Allokation bleibt zwar den dezentralen marktlichen Entscheidungen überlassen, aber die "scale decision must be a collective, social decision" (Daly 1991b, 221), die Erreichung des optimalen Scale erfordere "collective action by the community" (1989a, 74). Demnach ist die Regierung nicht nur dafür zuständig, für faire Rahmenbedingungen zu sorgen, innerhalb derer der Markt arbeiten kann, sondern auch für "setting the overall size (scale) of the market" (Daly/Cobb 1994, 14). "Imposed boundary conditions" zur Erreichung eines optimalen bzw. nachhaltigen Scale sind deshalb notwendig (Daly/Cobb 1994, 144). Dies gilt auch deshalb, weil Individuen die Gegenwart höher als die Zukunft bewerten ("present-value maximization"), was ein Fall von "micro rationality adding up to macro irrationality" sei (Daly/Cobb 1994, 157).

Die Unterscheidung zwischen preisbestimmten und preisbestimmenden Entscheidungen bringt dies gut auf den Punkt. Der Scale der Wirtschaft müsse eine ökologische, die Verteilung eine ethische Entscheidung sein. Und diese Entscheidungen "of course will and should influence market prices, but the whole point is that these ecological and ethical decisions are price-determining, not price-determined" (Daly 1993b, 375; seine Hervorhebungen). Aufgrund der Defizite des Marktmechanismus im Hinblick auf Verteilungsfragen und die Scale-Problematik können diese Bereiche nach Dalys Auffassung also nicht dem Preismechanismus überlassen werden. Auch weil Diskontierung keine verläßliche Methode für die Berücksichtigung zukünftiger Bedürfnisse sei, sei es besser, Nachhaltigkeit durch direkte Maßnahmen wie z.B. quantitative Beschränkungen zu garantieren (Daly/Cobb 1994, 152; s. auch Daly 1981, 178).

Daly (1992a, 189) weist auf eine naheliegende neoklassische Kritik hin: Ein Wachstum des Scale ergibt sich aus einer Vielzahl von Mikroentscheidungen, bei denen die Individuen aufgrund ihrer Präferenzen bereit sind, die ökologischen Grenzkosten eines größeren Scale zu zahlen, weil sie diese Kosten als geringer erachten als den Grenznutzen ihrer Entscheidungen. Das Problem mit dieser Betrachtungsweise, so Daly (1992a, 190), liege aber darin, daß Preise – auch bei internalisierten externen Kosten – "do not balance marginal ecosystem services sacrificed against marginal social benefit" einer größeren Bevölkerung oder eines höheren Pro-Kopf-Ressourcenverbrauchs, denn dies erfordere die Berechnung und Durchsetzung von Schattenpreisen des Ressourcenverbrauchs, die der üblichen monetären Bewertung von Gütern entsprächen. Zu glauben, daß Preise ökologische Kosten – z.B. einer Scale-Erweiterung – widerspiegeln könnten, "requires heroic assumptions about our knowledge of the external costs resulting from ecosystem disruption, and how these costs are imputed to the micro decisions that gave rise to them. (...) Discontinuities, thresholds, and complex webs of interdependence make a mockery of the idea that we can nicely balance smoothly increasing ecosystem costs with the diminishing marginal utility of production at the macro level" (Daly 1992a, 190). Die Vorstellung, daß man mit aus kollektivem Verhalten resultierenden Kosten am besten dadurch fertig wird, daß jedes Individuum seine Zahlungsbereitschaft zur Vermeidung dieser Kosten bestimmen könne und solle, sei mit Indoktrination durch den methodologischen Individualismus erklärbar.

 

5.5.3. Nachhaltigkeit und Optimalität

Daly unterscheidet zwischen nachhaltigem und optimalem Scale: "A good scale is one that is at least sustainable, that does not erode environmental carrying capacity over time" (Daly 1992a, 186f.; s. auch Daly/Cobb 1994, 142f.). Entscheidendes Kriterium für die Nachhaltigkeit des Scale ist also die Nicht-Überlastung der Tragekapazität natürlicher Quellen und Senken. Der maximale Scale ist entweder durch die Regenerationsfähigkeit der Quellen oder die Absorptionskapazität der Senken begrenzt, je nachdem, welcher Faktor knapper ist. Dieses Kriterium unterscheidet sich von dem der Optimalität: "An optimal scale is at least sustainable, but beyond that it is a scale at which we have not yet sacrificed ecosystem services that are at present worth more at the margin than the production benefits derived from further growth in the scale of resource use" (Daly 1992a, 187) – es geht um den Ausgleich von Grenzkosten und Grenznutzen. Dieses Kriterium liegt gleichsam "unter" dem Nachhaltigkeitskriterium, dies ist in jedem Fall zu erfüllen. Daly (1989a, 79) ist sich bewußt, daß ein optimaler Scale nur schwer zu identifizieren ist, und meint deshalb, daß "for the time being we can devote our practical policies toward sustainability, while we puzzle over the deeper philosophical issues of optimal scale." Auch hinsichtlich der "Optimalität" von Bevölkerungsgröße und Kapitalbestand weist Daly (1991b, 52) darauf hin, daß es sehr schwierig sei, ein solches optimales Niveau zu bestimmen. Allerdings: "Stability and viability are more important than, and logically independent of, questions of optimality. (...) We must learn to be stable at existing or nearby levels, simply because that is where we are. Later we can chase the optimum" (s. auch Daly 1992a). Solange Grenzkosten und -nutzen nicht gemessen werden könnten, "satisficing will for a long time remain a better strategy than optimizing" (Daly 1993e, 331). Laut Daly sind politische Anstrengungen also zunächst auf die Erreichung eines nachhaltigen Scale zu richten, während die theoretischen Überlegungen zu einem optimalen Scale weitergehen müssen (die ihrerseits wieder in Politik umzusetzen wären). Schon sehr früh hat Daly (1976, 33) im Hinblick auf die optimale Wachstumsrate der Wirtschaft die Ansicht vertreten, daß "(s)tability is more important than optimality."

Dalys Verwendung des ökonomischen common-sense-Arguments des Ausgleichs von Grenzkosten und Grenznutzen ist, wie in Abschnitt 5.5.3. gezeigt, Grundlage seiner ökonomischen Wachstumskritik. Dieses Argument spielt auch dort eine Rolle, wo es um die Bestimmung des "richtigen Scale" geht. Daly (1996a, 223) weist darauf hin, daß "scale too has its limits. It has a maximum, and well before the maximum it has an optimum – a point beyond which further growth costs more than it is worth." Diese Betrachtungsweise bezieht Daly (1991b, 99) aber auch explizit auf das Wachstum des Sozialprodukts: "Growth in GNP should cease when decreasing marginal benefits become equal to increasing marginal costs". Der Ausgleich von Grenzkosten und Grenznutzen bestimmt den Punkt, an dem die Wirtschaft ihre optimale Größe erreicht hat. "Equality of marginal costs and benefits define the optimal scale, beyond which further growth in scale (total consumption) would be antieconomic" (Daly 1996a, 67; ähnlich 1991b, 100). Wenn die durch den Umfang des Material- und Energiedurchsatzes verursachten Kosten schneller ansteigen als der Nutzen, kann mit Wachstum auch Armut nicht überwunden werden. "Beyond this point, which we have, in all likelihood, already passed, further growth makes us poorer, not richer" (Daly 1996a, 166). Diese Situation erfordere den Verzicht auf Wachstum. Armut müsse dann durch Umverteilung und durch qualitative Verbesserung der Ressourcennutzung überwunden werden statt durch eine weitere quantitative Steigerung des Ressourcendurchsatzes. Den optimalen Scale bezeichnet Daly (1996a, 67f.) auch als "mature scale". Wenn dieser Punkt erreicht sei, "production is no longer for growth but for maintenance" (1996a, 67) – ein optimaler Scale soll erhalten werden: Dies ist die Steady-State-Wirtschaft. Je größer die Wirtschaft bis dahin gewachsen ist, desto größer sind allerdings die Kosten für die Erhaltung: "The larger something has grown, the greater, ceteris paribus, are its maintenance costs" (Daly 1996a, 68; kursiv von ihm).

Die optimale Größe der Wirtschaft könne der Markt aus sich heraus nicht sicherstellen. Ausgangspunkt für Dalys Marktkritik ist die Auffassung, daß Märkte zwar relative Knappheit widerspiegeln, absolute Knappheit aber nicht anzuzeigen vermögen. Knappheiten im Verhältnis verschiedener Güter zueinander werden also auf dem Markt in entsprechende Preise umgesetzt, die absolute Knappheit der natürlichen Umwelt dagegen nicht. Pareto-Optimalität ist völlig unabhängig vom physischen Umfang der Wirtschaft, vom Scale. Märkte können Allokationseffizienz herstellen, ökologische und ethische Kriterien spielen auf Märkten jedoch keine Rolle (Daly 1996a, 32). Relative Knappheit könne durch Substitution umgangen werden, absolute Knappheit jedoch nicht. Letztere "refers to the scarcity of resources in general, the scarcity of ultimate means" (Daly 1991b, 39). Jegliches Wachstum von Bevölkerung oder Pro-Kopf-Verbrauch verschärfe diese Knappheit. Daß der Markt aus seiner Sicht bestimmten Zielen nicht zu dienen vermag, verdeutlicht Daly mit der Metapher vom unsichtbaren Fuß, durch den Privatinteressen das Gemeinwohl schädigen und der im wesentlichen eine Metapher für externe Effekte ist: "Adam Smith's invisible hand leads private self-interest unwittingly to serve the common good. The invisible foot leads private self-interest to kick the common good to pieces. Private ownership and private use under a competitive market give rise to the invisible hand. Public ownership with unrestrained private use gives rise to the invisible foot" (Daly 1993a, 34). An anderer Stelle spricht Daly (1996a, 196) auch vom "intergenerational 'invisible foot'", um die mögliche Schädigung kommender durch frühere Generationen zu verdeutlichen.

Da Preise nur relative Knappheit widerspiegeln können, sind auch Strategien nicht ausreichend, die die Umwelt durch die Internalisierung externer Kosten schützen wollen (Daly 1991b, 43, 69, 123). Diese Strategie ist bekanntlich Dreh- und Angelpunkt der Umweltökonomik, die sich damit in einer Welt absoluter Knappheit als defizitär erweist. Absolute Knappheit erfordere "(a)ggregate physical limits (...) on the causative factors of population and per-capita consumption growth, with the price system achieving the finetuning adjustment within those limits" (Daly 1991b, 43; meine Hervorhebung). Dies ist ein entscheidender Punkt im Rahmen von Dalys Steady-State-Konzeption: Der Preismechanismus soll innerhalb bestimmter Grenzen operieren, der Markt selbst ist nicht in der Lage, ökologische Probleme angemessen zu berücksichtigen – auch nicht bei internalisierten externen Kosten.

Daly weist darauf hin, daß die Vorstellung eines "optimalen Scale" einzelner Aktivitäten in der Ökonomik bekannt ist, Mikroökonomik sei kaum etwas anderes als die Auseinandersetzung mit genau diesem Thema. Für einzelne Aktivitäten (Herstellung von Schuhen, Genuß von Eiscreme) werde eine Nutzen- und eine Kostenfunktion definiert, und "(g)ood reasons are given for believing that marginal costs increase and marginal benefits decline as the scale of the activity grows. The message of microeconomics is to expand the scale of the activity in question up to the point where marginal costs equal marginal benefits, a condition which defines the optimal scale" (Daly 1991a, 40; meine Hervorhebung). In der Tat hängen Grenznutzen und -kosten mit dem Umfang z.B. einer Konsumhandlung zusammen. Ein beliebtes Grundkurs-Beispiel macht dies deutlich: Mehr Bier (mehr "Throughput") steigert nicht nur den Blutalkoholwert, sondern senkt auch den Grenznutzen des Biergenusses.

Daß ein grundlegendes Konzept der Mikroökonomik in der Makroökonomik nicht einmal existiert, ist für Daly (1991a, 40) eine "glittering anomaly". Was für Teile des Ganzen gelte, müsse nicht notwendigerweise für das Ganze gelten, oft sei das aber der Fall, und hier eben auch: Ein optimaler Scale existiere auch für die Makroebene, und daß die Mainstream-Ökonomik dies nicht sehe, sei auf ihre voranalytische Vision (Wirtschaft als isoliertes System) zurückzuführen (Daly 1991a, 40). Kann aber diese Betrachtungsweise auf makroökonomische Fragen übertragen werden? In der Mainstream-Makroökonomik jedenfalls spielt die Vorstellung einer "optimalen Größe" der Wirtschaft, so Daly (1991a, 40) keine Rolle, es gibt in der Theorie keine Kosten- oder Nutzenfunktionen für die Gesamtwirtschaft. Daly hält dies für einen entscheidenden theoretischen Fehler und kontert einen naheliegenden Einwand sogleich mit folgenden Worten: "If I am told in reply that the reason [für diesen Fehler; FL] is that the constraint on any one activity is the fixity of all the others and that when all economic activities increase proportionally the restraints cancel out, then I will invite the economist to increase the scale of the carbon cycle and the hydrologic cycle in proportion to the growth of industry and agriculture" (Daly 1991a, 40). Solange das Ökosystem nicht unbegrenzt wachsen könne, sei dies auch nicht für die Wirtschaft möglich.

Daly unterscheidet zwischen anthropozentrischem und biozentrischem Optimum. Einfach formuliert, ist ein anthropozentrisch optimaler Scale für die Menschen am besten, ein biozentrisch optimaler Scale für alle Lebensformen (Daly/Cobb 1994, 255f.; s. auch Daly 1991a, 41; 1992b, 337). Genauer formuliert: Ein anthropozentrisches Optimum des Scale ist dadurch gekennzeichnet, daß der Grenznutzen für Menschen, der durch zusätzliches menschengemachtes Kapital entsteht, gleich den Grenzkosten für Menschen ist, die durch die Zerstörung natürlichen Kapitals entstehen. Andere Lebewesen und ihre Lebensräume werden dabei nur insoweit berücksichtigt, als deren instrumenteller Wert für Menschen in die Betrachtung eingeht, der Eigenwert anderer Spezies bleibt dagegen unberücksichtigt. Das biozentrische Optimum geht darüber hinaus: Pflanzen, Tiere und ihre Lebensräume werden hier auch dann berücksichtigt, wenn ihre Existenz nicht zur Verhinderung ökologischer Zusammenbrüche notwendig ist – der Eigenwert dieser Arten findet über den instrumentellen Wert hinaus Berücksichtigung. Der biozentrisch optimale Scale ist deshalb geringer als derjenige, der das Kriterium anthropozentrischer Optimalität erfüllt (Daly 1991a, 41; s. auch Daly 1994c, 37; Daly/Cobb 1994, 203f.).

 

5.6. Politik des Steady-State: Institutionelle Reformen und "moralisches Wachstum"

5.6.1. Ausgangspunkte

Der von Daly vorgeschlagenen Trennung von Allokation, Verteilung und Scale entspricht der Vorschlag dreier unterschiedlicher "Politikinstrumente": Die relativen Preise des Marktes determinieren die Allokation von Ressourcen, nachdem die Verteilung durch eine entsprechende Institution geregelt ist und vor allem der Scale durch die Vergabe von Zertifikaten festgelegt wurde. Der Zertifikatsvorschlag findet sich schon in Steady State Economics und leitet sich aus der bekannten Tatsache ab, daß Mengenlösungen über eine ökologische Zielgenauigkeit verfügen, die sich durch Preislösungen nicht erreichen läßt. Eine Steady-State-Wirtschaft erfordert aus Dalys (1991b, 2) Sicht eine Veränderung des Wachstumsparadigmas und der sie unterstützenden Werte und drastische institutionelle Reformen (1991b, 2). Eine Steady-State-Wirtschaft impliziere institutionelle Veränderungen dergestalt, daß "people become autonomous and technology is not abandoned, but is demoted to its proper accommodating role" (Daly 1991b, 6).

Daly (1976, 34) geht davon aus, daß "(m)erely reversing growth policies will no more attain a SSE than flying an airplane backwards will allow it to land. Landing is not the mechanical and directional reverse of taking off." Eine Steady-State-Wirtschaft, so Daly (1991b, 2), erfordere "radical, but nonrevolutionary" institutionelle Reformen. Daly macht institutionelle Vorschläge zur Verwirklichung einer Steady-State-Wirtschaft (1991b, 50 - 76; geringfügig kürzer, aber inhaltlich identisch in 1993e, 331 – 354). Die vorgeschlagenen Institutionen, so Daly (1991b, 51), bauen auf den existierenden Institutionen von Preissystem und Privateigentum auf und sind insofern "fundamentally conservative", allerdings werden beide erweitert, und zwar auf die Bereiche Bevölkerung und Material- und Energiedurchsatz. Daly (1991b, 51) nennt drei Grundsätze, nach denen die Institutionen ausgestaltet sind. Der wichtigste ist das Ziel "to provide the necessary social control with a minimum sacrifice of personal freedom, to provide macrostability while allowing for microvariability, to combine the macrostatic with the microdynamic" (s. auch 1991b, 191). Die Mikroebene sei der Bereich der Unbestimmtheit, des Neuen und der Freiheit, die Makroebene der Bereich der Bestimmtheit, Vorhersagbarkeit und der Kontrolle. Nach dem zweiten Grundsatz soll "considerable slack between the actual environmental load and the maximum carrying capacity" erreicht werden. Der dritte Grundsatz lautet, daß die Institutionen einen Übergang zum Steady-State ermöglichen sollen, was dadurch erreicht werden soll, daß von heute bestehenden Bedingungen ausgegangen wird, die graduell "verengt" werden können. Allerdings solle möglichst rasch mit den institutionellen Reformen begonnen werden, denn "(t)he sooner we begin to slow down the longer braking distance we have and the more gradually we will be able to make adjustments" (Daly 1976, 33). Auf Basis dieser Grundsätze macht Daly drei Vorschläge, die die Konstanz von Bevölkerungszahl und physischem Kapitalbestand bei möglichst niedrigem Material- und Energiedurchsatz sicherstellen sollen. Die institutionellen Vorschläge basieren also auf der "bestandsorientierten" Steady-State-Definition. Da diese, wie gezeigt, wie die "durchsatzorientierte" Definition an der Senkung bzw. Stabilisierung des Material- und Energiedurchsatzes ausgreichtet ist, "passen" die Vorschläge auch zu dieser anderen Definition. Dies zeigt sich besonders deutlich bei der Institution der Ressourcenabbauquoten, die explizit ein Instrument der Durchsatzsteuerung ist.

 

5.6.2. Institutionen einer Steady-State-Wirtschaft

5.6.2.1. Staatliche Begrenzung von Einkommens- und Vermögensunterschieden und die Vergabe von "Geburtszertifikaten"

Zunächst zur Regelung der Einkommens- und Vermögensverteilung, die Daly (1991b, 53) als "critical institution" ansieht. Eine Begrenzung des Scale erfordere die Begrenzung der Ungleichheit im Hinblick auf Einkommensverteilung (Daly 1981, 184). Oben wurde bereits auf Dalys Gedanken hingewiesen, eine ökonomische Implikation der Bibel sei, daß Vermögensungleichheit begrenzt werden müsse. Dieser Gedanke ist auch für seine Vorstellung vom Steady-State bedeutsam, denn "(e)stablishing the principle of limited inequality is a necessary, but not sufficient, condition for achieving a modern steady state" (Daly 1996a, 210). Ohne eine Begrenzung von Einkommen und Vermögen würden Privateigentum und die Marktwirtschaft insgesamt ihre "moralische Grundlage" verlieren, und die Erweiterung des Marktes auf Bevölkerungsentwicklung und Ressourcennutzung würde ohne eine solche Begrenzung auf schwachen Füßen stehen. "(I)n the steady-state paradigm there must be an upper limit to the total, and consequently an upper limit to per-capita income as well. A minimum wealth limit is not feasible, since we can always spend our wealth and could hardly expect to have it restored year after year" (Daly 1991b, 54). Dalys Vorschlag sieht also vor, von staatlicher Seite aus massiv in die Einkommens- und Vermögensverteilung einzugreifen. Entscheidend seien dabei nicht die genauen Grenzen von Maximaleinkommen und Vermögen, sondern, daß solche Grenzen überhaupt gezogen werden müssen (1991b, 73). Die Verteilungsinstitution ist der Versuch, einen Ausweg aus dem Problem zu finden, wie ein nicht wachsender "Kuchen" verteilt werden kann, ohne soziale Konflikte hervorzurufen.

Da ein Steady-State auch die Stabilisierung der Bevölkerung einschließt, ist laut Daly eine Institution erforderlich, die die Zahl der Geburten auf Reproduktionsniveau hält. Er greift dabei auf einen Plan Bouldings zurück, der dieses Niveau durch die Vergabe von Zertifikaten über das Recht zur Reproduktion (sic!) "regelt". Boulding wie Daly sind sich der meist empfundenen "Absurdität" dieses Planes bewußt, halten ihn jedoch angesichts des drängenden Problems des Bevölkerungswachstums für die beste Lösung. Boulding (wie auch Daly) betont, daß es aus seiner Sicht keine funktionsfähige Alternative zu diesem Plan gebe: "I think in all seriousness (...), that a system of marketable licenses to have children is the only one which will combine the minimum of social control necessary to the solution to this problem [Bevölkerungswachstum, FL] with a maximum of individual liberty and ethical choice" (Boulding 1964, 135; meine Hervorhebung). Nach Bouldings (und Dalys) Ansicht würde dieser Plan neben dem bevölkerungssteuernden Effekt den Vorteil einer langfristigen Tendenz zur Schaffung von Einkommensgleichheit haben, da "the rich would have many children and become poor and the poor would have few children and become rich" (Boulding 1964, 136). Daly und Boulding schreiben dem Plan also positive distributive Wirkungen zu.

Eine Möglichkeit sei, an jede Frau Geburtszertifikate in Höhe von 2,1 "decichild" auszugeben (Daly 1991b, 57), was ungefähr der Reproduktionsrate und damit einem Nullwachstum entspräche. Die Aufteilung in "Zehntel-Kinder" erleichtere den Handel mit diesen Zertifikaten, der Besitz von zehn Zehnteleinheiten würde zur Geburt eines Kindes "berechtigen". Der Handel würde auf einem für die Zertifikate eingerichteten Markt stattfinden. Die Zertifikate können also verkauft, erworben oder verschenkt und angenommen werden. Die ursprüngliche Verteilung erfolgt strikt nach dem Gleichheitsprinzip, die Allokation auf dem Markt freilich würde nach Zahlungsfähigkeit erfolgen.

Dem Einwand, daß Reiche hier im Vorteil seien, begegnet Daly mit dem Verweis auf die ausgleichende Verteilungswirkung (s.o.) sowie mit dem Hinweis, daß "the rich always have an advantage" (1991b, 57; seine Hervorhebung; s. auch 1992a, 189, wo sich dieser lakonische Hinweis auf die Vergabe von Verschmutzungszertifikaten bezieht). Ungerechtigkeit sei hier nicht auf Bouldings Plan zurückzuführen, sondern auf die Existenz von Arm und Reich. Ernster nimmt er das Problem der Durchsetzung. "Illegitime" Kinder, so Daly, könnten zur Adoption freigegeben werden (Sic! Es geht hier um die Darstellung, nicht die Bewertung dieses Vorschlags). Davon abgesehen, "(l)ike any other law breakers, the offending parents would be subject to punishment" (Daly 1991b, 58). Wichtig sei in jedem Fall die Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln und die Beeinflussung von Reproduktionsentscheidungen. Daly (1991b, 59) bezieht sich positiv auf eine Äußerung von Davis (1973, 28), der behauptet, daß Bevölkerungskontrolle und Reproduktionsfreiheit definitionsgemäß unvereinbar seien. Dalys Ansicht nach in die Reduktion des Bevölkerungswachstums aufgrund des Übergangs zur "vollen Welt" unumgänglich. In dieser vollen Welt müsse das Recht auf Reproduktion nicht als freies, sondern als knappes Gut angesehen werden (Daly/Cobb 1994, 245). An der Bevölkerungsfrage sei auch der Konflikt zwischen Individualismus und "person-in-community" besonders deutlich, denn reproduktive Freiheit könne inakzeptable soziale Konsequenzen haben (Daly/Cobb 1994, 236).

 

5.6.2.2. Begrenzung der Ressourcennutzung durch Zertifikate

Während die beiden genannten institutionellen Vorschläge sich aus ganz unterschiedlichen Gründen recht weit vom wissenschaftlichen und politischen Diskussionsstand bewegen (von der Vorstellung einer Grundsicherung abgesehen), befindet sich Daly mit dem Vorschlag, den Abbau von Ressourcen durch die Vergabe von Quoten zu regeln, in der guten Gesellschaft der Diskussion um adäquate Instrumente zur Reduzierung der Umweltnutzung. Zertifikate sind bekanntlich ein Instrument der Mengensteuerung und Preislösungen hinsichtlich ihrer ökologischen Zielgenauigkeit bei weitem überlegen. Auch Daly (1991b, 62) begründet seinen Quotenvorschlag damit, daß Zertifikate im Gegensatz zu einer Steuerlösung "definitely limit aggregate throughput". Der "strategische Punkt" zur Reduktion des Material- und Energiedurchsatzes durch den Einsatz von Zertifikaten ist für Daly (1991b, 61) "the rate of depletion of resources, particularly non-renewable resources. If we limit aggregate depletion, then, by the law of conservation of matter and energy, we will also indirectly limit aggregate pollution" (s. auch 1991b, 64). Ausgangspunkt des Vorschlags ist also das Bild eines industriellen Metabolismus, der der Umwelt Material und Energie entnimmt, teilweise Material akkumuliert und "den Rest" an die Umwelt zurückgibt (s. Abschnitt 4.2.). Die Kontrolle des Ressourcenabbaus sei einfacher als die der Verschmutzung. Daly begründet dies damit, daß der Input des Metabolismus niederentropisch ist und der Output hochentropisch. In der Tat gibt es weniger Minen und Ölquellen als Schornsteine und Müllhalden, und dies spricht dafür, daß die Quellennutzung sich leichter kontrollieren läßt als die Senkenbelastung.

Das Setzen der Quoten soll sich laut Daly (1991b, 64) nach dem "Ise-Principle" richten, dem zufolge nichterneuerbare Ressourcen entsprechend der Kosten des nächsten Substituts bepreist werden sollen (s. Ise 1925, 285). Die Ressourcenabbauquoten für erneuerbare Ressourcen sollten folglich am nachhaltigen Ertrag dieser Ressourcen orientiert werden. Die Quoten für nichterneuerbare Ressourcen mit Substituten sollten so festgelegt werden, daß der resultierende Preis mindestens dem des nächsten Substituts entspräche. Abbauraten für nichterneuerbare Ressourcen ohne Substitute müßten aufgrund ethischer Erwägungen bestimmt werden. In der Einführungsphase sollten die Quoten an den bestehenden Abbauraten orientiert werden, um den Abbau zu stabilisieren und sie dann in Richtung einer nachhaltigen Nutzung zu senken (Daly 1991b, 65).

Daly (1991b, 71) sieht das Problem, daß die außenwirtschaftliche Situation eines Landes, das diesen Plan einführt, sich gegenüber solchen Ländern, die keine Quoten vergeben, verschlechtern würde: Die Importe verbilligen sich, die Exporte verteuern sich. Bei freien Wechselkursen würde dies kein großes Problem sein, weil die Verteuerung ausländischer Währungen zu einem neuen Gleichgewicht führen würde: "The balance of payments can take care of itself" (Daly 1991b, 71). Daß ein derartiger Plan negative Folgen für primärgüterexportierende Entwicklungsländer habe, sei so klar nicht. Eher würden diese Länder als Folge einer solchen Maßnahme gezwungen, selbst mehr Güter zu produzieren als lediglich Rohstoffe zu exportieren. Ohnehin sei es nicht gut, die Ressourcen dieser Länder aufzubrauchen. Durch die Festlegung der Abbauquote soll der technische Fortschritt in Richtung der Nutzung von Solarenergie und erneuerbaren Ressourcen beeinflußt werden (Daly 1991b, 70). Dies wird dadurch erreicht, daß die Quotenvergabe den Preis vor allem nichterneuerbarer Ressourcen erhöht. Daly (1991b, 68) ist hinsichtlich der Auswirkungen der Preiserhöhungen sehr optimistisch: "Of course, the major increase in efficiency would result directly from higher resource prices, which would give incentives to develop resource-saving techniques of production and patterns of consumption."

Daly (1991b, 70) geht davon aus, daß seine institutionellen Vorschläge funktionieren würden, wenn das Ziel eines Steady-State und die Institutionen von der Bevölkerung akzeptiert würden. Ihm ist freilich klar, daß seine Vorstellungen kurzfristig kaum akzeptiert werden dürften, er hofft aber auf den "not-too-long run". Denn trotz der radikalen Implikationen basierten die Institutionen auf Privateigentum und dem Markt, die Zielsetzung der Ressourcenabbauquoten sei die Beeinflussung des technischen Fortschritts und insofern für technologische Optimisten und Pessimisten attraktiv, die Funktionsfähigkeit des Marktes für Abbauzertifikate "would present no great problems" (Daly 1991b, 71). Schließlich seien die Institutionen in der Lage, einen graduellen Übergang zum Steady-State zu ermöglichen. Mit der Zeit, so Daly (1979, 90), würden die von ihm vorgebrachten Konzepte und Argumente sowie die ziel- und mittelbezogenen Wachstumskritiken "look more appealing and will themselves be sharpened as the real facts of life push the growth paradigm into ever greater anomalies, contradictions, and practical failures."

 

5.6.3. "Moral Growth"

Dalys Insistieren auf der Notwendigkeit "moralischen Wachstums" ist nicht wie seine institutionellen Vorschläge ein wirtschaftspolitisches Thema im engeren Sinn. Die in einer Gesellschaft wichtigen Werte und Normen, das sieht auch Daly, sind nicht in gleicher Weise politischer Gestaltung zugänglich wie wirtschaftliche Rahmenbedingungen (z.B. Steuern und Zertifikate). Dennoch wird "moral growth" hier unter "Politik des Steady-State" rubriziert, weil Werteveränderungen Daly als Voraussetzung für die politische Umsetzung des Steady-State-Konzepts gilt. Die Darstellung Dalys ethischer Grundposition und seiner "sozioethischen" Wachstumskritik hat gezeigt, daß er schon unabhängig von den ökologischen Wachstumsfolgen einen Wertewandel für notwendig hält. Daly läßt aber keinen Zweifel daran, daß aus seiner Sicht darüber hinaus ein solcher Wertewandel und "moralisches Wachstum" notwendige Bedingungen für einen Steady-State sind. Logik und Notwendigkeit seien nicht ausreichend für die Umsetzung sozialer Reformen, wie Daly sie mit seinen institutionellen Regelungen vorschlägt. So logisch und notwendig der Steady-State auch sei, bei "static morality" sei er "nothing but a dream" (Daly 1993e, 354). Auch gegenseitiger Zwang ("mutual coercion") könne moralisches Wachstum nicht ersetzen, sondern setze genau dieses voraus (Daly 1993e, 355). Es müsse anerkannt werden, daß im Bereich der politischen Ökonomie Probleme existieren, die keine technische, sondern "moralische" Lösungen erfordern (Daly (1991b, 2).

Daly (1991b, 75) meint, daß zum gegenwärtigen Zeitpunkt kaum mit einer breiten Akzeptanz seiner Vorschläge zu rechnen ist, und geht davon aus, daß "(n)othing will work unless we break our idolatrous commitment to material growth." Dies ist eine schwerwiegende Aussage mit weitreichenden Implikationen für die Frage, ob der Steady-State Grundlage einer nachhaltigen Entwicklung sein kann. Denn Dalys Aussage bedeutet, daß Veränderungen in den Werthaltungen nicht ein Bestandteil von für ein Sustainable Development notwendigen Umgestaltungen ist, sondern Voraussetzung für den angestrebten Wandel. Daly geht zwar von der Notwendigkeit von Veränderungen bei Institutionen und Werthaltungen aus, bewertet letztere als den kritischeren Punkt: "A physical steady state, if it is worth to be living in, absolutely requires moral growth. Future progress simply must be made in terms of the things that really count rather than the things that are merely countable. Institutional changes are necessary but insufficient. Moral growth is also necessary but insufficient. Both together are necessary and sufficient, but the institutional changes are relatively minor compared to the required change in values" (Daly 1991b, 75; s. auch 1993e, 354). Ein Steady-State würde weniger Anforderungen an Umweltressourcen stellen, aber größere Anforderungen an moralische Ressourcen (Daly 1993a, 35).

"Moral growth" konkretisiert sich vor allem durch das Konzept der Suffizienz. Aus seinen Überlegungen zu Ethics, Religion, and Sustainable Development folgt für Daly (1996a, 224) daß "sustainability, not growth, should become the ruling ethic for a Creation-centered economy. In this vision, along with sustainability, the associated values of sufficiency, equity, and efficiency become the central organizing principles of the economy" (meine Hervorhebung). Wenn Sustainable Development das Ziel sei, könne das Thema Suffizienz nicht länger vermieden werden (Daly/Cobb 1994, 76). Suffizienz als Ergänzung zu "Effizienz" gehört seit einiger Zeit zu den Gemeinplätzen im Diskurs über Sustainable Development. Bis heute steht eine akzeptierte Definition und Konkretisierung dieses Begriffs aber aus. Auch Daly (1993e, 361) ist sich klar, daß eine Definition von Suffizienz ebenso wie der "Einbau" dieses Konzepts in wirtschaftliche Theorie und Praxis problematisch ist. Dennoch sei eine Umorientierung der ökonomischen Theorie in dieser Hinsicht unerläßlich: "Satisficing should play a larger role in economic theory, and maximizing a correspondingly smaller role" (Daly 1979, 78). Der Begriff des satisficing ist aus der Mikroökonomik bekannt, und für Daly bedeutet er dasselbe wie Suffizienz, nämlich "to seek enough rather than the most. The concept of enough is difficult to define, but even more difficult to deny" (Daly 1979, 78, Fn. 3).

 

5.7. Zwischenbetrachtung I

Ausgehend von seiner ökologischen, ethischen und wirtschaftlichen Wachstumskritik entwickelt Daly sein Konzept eines Steady-State, der ausdrücklich als Alternative zur Wachstumswirtschaft präsentiert wird. Dalys Argumente gegen Wachstum und für den Steady-State sind von positiven und normativen Aussagen gleichermaßen getragen. Auch die ökologische Begründung – Unmöglichkeit von permanentem Wachstum in einer endlichen Welt – basiert auf dem normativen Postulat, daß biophysikalische Grenzen deshalb beachtet werden sollen, weil sonst unerwünschte Folgen unvermeidlich sind. Davon ausgehend ist dieser Begründungsstrang ein positiver: Daly argumentiert, daß die Abhängigkeit der Anthroposphäre von begrenzten "Umweltdienstleistungen" eine unbegrenzte Ausweitung dieser Anthroposphäre unmöglich mache. Darüber hinaus verdeutlicht er, daß, sobald die natürliche Umwelt in das Blickfeld der ökonomischen Theorie gerät, dies nicht folgenlos für die Konstruktionsbedingungen und -möglichkeiten dieser Theorie bleibt. Die Umwelt ist begrenzt, in dieser Umwelt ist unbegrenztes physisches Wachstum unmöglich, und dies führt dazu, daß die Herangehensweise der Mainstream-Ökonomik hier defizitär ist. Daly betont allerdings immer wieder, daß aus seiner Sicht diese positive Begründung nicht hinreicht. Ganz wesentlich für seine Begründung des Steady-State sind deshalb normative Forderungen, in denen die Frage richtiger Ziele und der Schutz der Gemeinschaft einen prominenten Platz einnehmen.

Ein Kernpunkt von Dalys Steady-State-Paradigma ist die Auffassung, daß der Markt bestimmte Koordinationsleistungen nicht zu erbringen vermag, und zwar insbesondere im Hinblick auf die Gemeinschaft (Gerechtigkeit) und auf die Umwelt (Nachhaltigkeit). Die Begrenzung des Scale durch staatliche Rahmensetzungen wird ihm zum Dreh- und Angelpunkt wirtschaftspolitischer Notwendigkeiten in einer "vollen Welt". Daly läßt aber keinen Zweifel daran, daß er – gewissermaßen "unterhalb" der notwendigen Rahmensetzungen – von der Überlegenheit des Marktes als Koordinationsmechanismus für die Allokation überzeugt ist. Die "durchgängige" Berücksichtigung der Umwelt und der Vorrang der Politik vor dem Marktmechanismus spiegelt sich auch in Dalys institutionellen Vorschlägen wieder: Der Staat setzt hier nicht nur ordnungspolitische Rahmenbedingungen, sondern macht quantitative Vorgaben für Einkommens- und Vermögensverteilung, Bevölkerungsgröße und Ressourcennutzung. Daly sieht allerdings auch, daß derartige Vorschläge ohne einen substantiellen Wertewandel nicht funktionieren können. Wertewandel und staatliche Maßnahmen sind aus dieser Perspektive unerläßliche Bedingung für eine nachhaltige Entwicklung.

Sowohl Dalys Begründungen für den Steady-State als auch die von ihm formulierten Ziele der Wirtschaftspolitik decken sich mit der ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Dimension von Sustainable Development: Daly führt ökologische, soziale und wirtschaftliche Gründe für die Notwendigkeit und Wünschbarkeit des Steady-State an. Wirtschaftspolitik zielt aus Dalys Sicht auf drei Größen ab: Scale (Ökologie), Verteilungsgerechtigkeit (Soziales) und Allokationseffizienz (Wirtschaft). Aus Dalys Sicht ist der Steady-State notwendige Voraussetzung für ein Sustainable Development und folglich dessen unabdingbare Grundlage. In Teil IV wird das Steady-State-Konzept auf die jeweiligen Dimensionen von Sustainable Development bezogen. In den folgenden Kapiteln dieses Teils geht es jedoch zunächst um die "historische" Dimension des Steady-State. Das nächste Kapitel behandelt die Frage, ob Wachstum als "Übergangsphänomen" angesehen werden kann und Stationarität insofern eine historische Normalität darstellt. Kapitel 7 beschäftigt sich ausführlich mit der Geschichte der Begriffe stationärer Zustand und Steady-State in der ökonomischen Theorie.