IV. Steady-State und Sustainable Development
8. Durchsatz, Wachstumsgrenzen und Nachhaltigkeit: Die ökologische Dimension des Steady-State
8.1. Ist Scale operationalisierbar?
8.1.1. Durchsatz, Scale und Material Input
"The concept of throughput (...) is too amorphous to be measured."
(Sagoff 1995, 617)
Sustainable Development wird nur bei Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen verwirklicht. Die Frage ist, inwieweit diese ökologische Dimension nachhaltiger Entwicklung durch einen Steady-State abgesichert ist. Dalys Steady-State-Konzept zielt auf die Stabilisierung des Scale auf nachhaltigem Niveau ab. Es ist eine konkrete Schlußfolgerung aus der Auffassung, daß nur eine Begrenzung des Durchsatzes ökologische Nachhaltigkeit sichern kann. Daly geht von der Existenz objektiver Wachstumsgrenzen aus, deren Einhaltung Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung ist. Der Scale muß reduziert bzw. stabilisiert werden, um Sustainable Development möglich zu machen.
Eine entscheidende Frage für den Beitrag dieses Konzepts für ein Sustainable Development ist deshalb seine ökologische Plausibilität. Ein fundamentaler Einwand gegen Dalys Konzept ist der Vorwurf, Scale – und damit auch der Steady-State – sei nicht operationalisierbar. Duchin (1996b) hält Scale für eine Metapher, die keine Struktur für empirisches Arbeiten hergebe. Bliebe es bei der Metapher des Scale, wäre zwar "voranalytisch" der richtige Schritt getan, analytisch jedoch noch nicht viel gewonnen. Träfe Duchins Kritik zu und wäre Scale tatsächlich nicht operationalisierbar, wäre ein Schritt über die Erkenntnis hinaus, daß "Scale matters", kaum denkbar. Daly (1989a, 86) fordert zwar, das Durchsatz-Konzept zu operationalisieren, legt selbst aber keinen konkreten Vorschlag zur Operationalisierung vor. Sowohl die politische als auch die theoretische Weiterentwicklung dieses Konzepts erfordern aber eine solche Operationalisierung. Wenn Scale nicht "meßbar" ist, läuft die Forderung nach seiner Reduzierung ebenso ins Leere wie der Ruf nach einer ökologischen Makroökonomik in Dalys Sinne.
Scale bezieht sich auf den Durchsatz des industriellen Metabolismus: Der Material- und Energiedurchsatz, der von natürlichen Quellen durch die Anthroposphäre zurück zu natürlichen Senken "fließt", markiert die ökologische Größe der Wirtschaft im Verhältnis zu ihrer Umwelt. Dabei spielt, wie oben gezeigt, die Qualität dieses Durchsatzes zunächst einmal keine Rolle. Es geht um die Quantität der anthropogenen Material- und Energieströme. Politisch ist es notwendig, über eine beeinflußbare und meßbare Größe zu verfügen. In theoretischer Hinsicht wäre es von Vorteil, einen "eindimensionalen" Indikator zu haben, also eine Größe, die sich in einer bestimmten Maßeinheit abbilden läßt. Beide Kriterien, so wird im folgenden zu zeigen sein, werden durch den Indikator Material Input (MI) erfüllt, der sowohl in ökologischer (Schmidt-Bleek 1994) als auch in ökonomischer Hinsicht (Hinterberger et al. 1996) ein praktikables Instrument zur Abbildung der Umweltbelastungsintensität wirtschaftlicher Aktivitäten ist. (81) Der mittlerweile prominente MIPS-Indikator bildet den Material Input pro Serviceeinheit ab, er ist also ein "mikroökonomisches" Maß für die Materialintensität von Gütern und Dienstleistungen. Hier interessiert allerdings der gesamtwirtschaftliche Material Input. Dieser ist kalkulierbar, und erste Applikationen auf Volkswirtschaften liegen bereits vor (Behrensmeier/Bringezu 1995; Femia 1996). Mit Hilfe des Konzepts des Material Inputs kann der Durchsatz/der Scale des Wirtschaftssystems abgebildet werden (Luks 1998c). Legt man den Material Input als Indikator für den Scale zugrunde, kann eine Steady-State-Economy als Wirtschaft definiert werden, in welcher der Material Input konstant ist.
Der Material Input berücksichtigt Energieträger und bildet folglich das Gesamtvolumen des Material- und Energiedurchsatzes ab. (82) Dies impliziert einen Zusammenhang, der für die folgende Argumentation von entscheidender Bedeutung ist: Durchsatz, Scale und MI sind konzeptionell identisch und weisen mithin dieselben Stärken und Schwächen auf. Defizitäre Eigenschaften des MI-Ansatzes gelten folglich mutatis mutandis auch für den Scale und damit für den Steady-State (Luks 1998c). Die folgende Auseinandersetzung mit den Vorzügen und Nachteilen des MI-Ansatzes leistet deshalb gleichzeitig eine Auseinandersetzung mit der ökologischen Plausibilität des Steady-State-Ansatzes. Außerdem, so sei schon hier hervorgehoben, ist eine Politik der Reduzierung des Materialinputs (Dematerialisierung durch ökologische Wirtschaftspolitik) eine Politik der Scale-Reduktion und insofern identisch mit einer Politik, die im Dalyschen Sinne auf eine Stabilisierung des Material- und Energiedurchsatzes auf nachhaltigem Niveau abzielt. Ökologische Wirtschaftspolitik ist dasselbe wie eine Politik der Scale-Reduktion (Luks 1997b).
Der "Erfinder" der MI-Methode, Schmidt-Bleek, gibt keine theoretischen Vorläufer an, ein Blick in die Literatur läßt aber deutliche Bezüge zu anderen Autoren erkennen. Der MI-Ansatz bezieht sich auf den "Weg" von Materialien durch die Anthroposphäre, und als "cradle-to-grave"-Ansatz weist er deutliche Bezüge zu Arbeiten von Boulding (1973c), Ayres/Kneese (1969), Kneese et al. (1972) und Ayres (1978) auf. Daly/Townsend (1993a, 4) sehen einen "need for a 'cradle-to-grave' approach", und Daly ist gewiß ein früher "Vorfahre" dieses Ansatzes. Besonders deutlich sind die Bezüge zum Materialbilanzen-Ansatz. Dieser verdeutlicht nicht zuletzt, daß jede Aktivität, und zwar auch solche zum Schutz der Umwelt, mit Materialbewegungen verbunden ist, die potentiell die Umwelt belasten. Hier setzt das MI-Konzept an.
8.1.2. Der Material Input als Richtungsindikator
Ziel des MI-Ansatzes ist es, einfache und richtungssichere Informationen über das Umweltbelastungspotential wirtschaftlicher Aktivitäten zu liefern. Wie andere Arbeiten zur Carrying Capacity steht dabei die Belastung der Umwelt im Vordergrund und nicht deren Belastbarkeit – es geht im Sinne des PSR-Ansatzes der OECD also um die "pressure". Die konkrete Anwendung und Methodik dieses Ansatzes ist nach wie vor als work in progress anzusehen. (83) Der Versuch, die Umweltbelastungsintensität wirtschaftlicher Aktivitäten abzubilden, verdeutlicht einmal mehr, daß nicht nur die Interpretation, sondern schon die Konzeption von Indikatoren normative Entscheidungen erfordert. Da der gesamte Durchsatz an Material berücksichtigt werden soll, muß beispielsweise darüber entschieden werden, in welcher Weise die Grenze zwischen Anthroposphäre und Umwelt gezogen wird. Diese Systemgrenze ist in keiner Weise "natürlich" gegeben. Umwelt und Anthroposphäre sind in vielerlei Hinsicht miteinander verwoben, und deshalb muß z.B. darüber entschieden werden, ob die Konstruktion der Systemgrenze nach geographischen oder funktionalen Gesichtspunkten erfolgt.
Im Rahmen des MI-Konzepts erfolgt die Grenzziehung zwischen Anthroposphäre und Umwelt also nicht geographisch (also z.B. regionenbezogen wie bei Baccini/Brunner 1991) sondern funktional (Adriaanse et al. 1997, 5; Bringezu 1996a, 205; Bringezu/Schütz 1995, 33; Lehmann/Schmidt-Bleek 1993, 414). In diesem Sinne ist die Grenze zwischen Anthroposphäre und Umwelt eine "imaginary boundary" (Adriaanse et al. 1997, 33). Ein Schlüsselbegriff ist in diesem Zusammenhang die aktive Bewegung (oder aktive Entnahme), die immer dann vorliegt, wenn zur Materialbewegung Energie, Werkzeuge oder technische Geräte verwendet werden (Schmidt-Bleek 1996, 78). Nach diesem Abgrenzungskriterium ist die "Grenze zwischen Ökosphäre und Technosphäre (...) auf der Eingangs(Input)seite gegeben durch die aktive Entnahme und Bewegung von Massen mit Hilfe von Werkzeugen und technischen Geräten. Sie ist demnach funktional und erst in zweiter Linie räumlich oder geographisch zu verstehen" (Schmidt-Bleek 1996, 23). Auf der Outputseite ist die Grenze durch Verlagerungen von Materialien, durch Emissionen und durch dissipative Verluste definiert (Schmidt-Bleek 1996, 23). Nach dieser Abgrenzung zwischen Anthroposphäre und Umwelt (bzw. Technosphäre und Ökosphäre) sind z.B. Nutztiere Teil der Anthroposphäre, während wildlebende Tiere der Umwelt zugeordnet werden. Land- und forstwirtschaftlich genutzter Boden gilt bis zur Bewirtschaftungstiefe als Teil der Anthroposphäre (Schmidt-Bleek 1996, 34, 36). Entsprechend der Unterscheidung von Anthroposphäre und Umwelt kann auch zwischen ökosphärischen Inputs und technosphärischen In- und Outputs unterschieden werden. Nur die ökosphärischen Inputs gehen in die MI-Berechnung ein. Technosphärische In- und Outputs, also nicht-primäre Materialien sind solche, die selbst Produkt anderer Prozesse sind (Schmidt-Bleek 1996, 13).
Außerdem ist zu entscheiden, welche Materialbewegungen berücksichtigt werden sollen. Auch hier wird nicht in gleichsam natürlicher Weise vorgegeben, was zu zählen sein sollte. Ob z.B. das von Schiffsschrauben bewegte Wasser Teil des Durchsatzes ist, kann nicht wissenschaftlich bestimmt werden. Auch wenn das Wasser hier der Natur nicht aktiv entnommen wird, so stellt dieser Fall doch eindeutig einen anthropogenen Eingriff in die Umwelt dar. Dabei ist zu berücksichtigen, daß durch eine extreme Zunahme von Schiffsverkehr diese Wasserbewegungen durchaus ökologische Folgen zeitigen können (durch die Zu- und Abführung von Gasen). Dieses Wasser wird im Rahmen von MAIA nicht gezählt, weil es nicht aktiv der Natur entnommen wird (Schmidt-Bleek 1996, 41).
Die Materialströme, die nicht in der Energieproduktion aufgehen, sind akkumulierbar und können in Form von "material stocks" "angehäuft" werden. Diese Eigenschaft ist letztlich die materiale Grundlage für Wirtschaften: Infrastrukturen, Produktionsmittel, aber auch Konsumgüter bestehen aus Material und sind somit (mindestens kurzfristig) material stocks. Schmidt-Bleek (1994, 127) bezeichnet diese Bestände als in die einer Region "eingefrorene Menge Umwelt." Diese Akkumulation ergibt sich aus der Differenz zwischen materiellem Input und Output der Anthroposphäre: "The difference between the material input and output for a region in a certain time is the amount of frozen mass into the infrastructure and long living products" (Lehmann/Schmidt-Bleek 1993, 418; ihre Hervorhebung). Eine dauerhafte Ausweitung dieser akkumulierten Stoffströme kann aber schon allein aufgrund der begrenzten Erdoberfläche nicht nachhaltig sein. Bringezu (1993, 441) weist auf diesen Umstand hin und betont, daß "any economy which is physically growing cannot be regarded as sustainable, because unlimited expansion of area, which e.g. is covered by buildings or roads, leads to a steady decrease of area, which can be used for purposes like agriculture, and to further shrinkage of natural habitats" (seine Hervorhebung), was einmal mehr auf den engen Zusammenhang zwischen Ressourcennutzung und Flächenverbrauch verweist. Übersteigt der MI den Output der Anthroposphäre, hat das langfristig Auswirkungen auf die Flächenbelegung durch anthroposphärische Stoffstromakkumulation, was sich auch unmittelbar auf die Möglichkeiten zur Nutzung erneuerbarer Ressourcen auswirkt.
Hinsichtlich der von der Anthroposphäre aufgenommenen Stoffströme kann folglich zwischen Durchflußströmen und Speicherströmen unterschieden werden (Bringezu 1996a, 200; Bringezu 1996b, 157ff.). Durchfluß- oder Durchsatzströme werden vor allem durch die Produktion und den Konsum kurzlebiger Güter hervorgerufen, bei denen zwischen Materialentnahme und Materialabgabe an die Umwelt ein relativ kleiner Zeitraum liegt. Während hier eine enge zeitliche Nähe zwischen In- und Output besteht, gilt dies nicht für die Speicherströme. Zwischen Materialbewegung auf der Inputseite und Abgabe an die Umwelt auf der Outputseite der Anthroposphäre liegt hier ein längerer Zeitraum. Diese Ströme werden für einen längeren Zeitraum in der Anthroposphäre gespeichert, z.B. in Form von Infrastrukturanlagen. Die Speicherströme schaffen das, was von Daly als Kapital bezeichnet wird, also die Kapital- und Konsumgüter. Speicherströme führen zu Materialbeständen, die als Kapital zur Produktion von Dienstleistungen erforderlich sind.
Eine ganze Reihe von Material- und Energieströmen wird genau an der Grenze zwischen Anthroposphäre und Umwelt bewegt, ohne daß die funktionale Grenze dauerhaft überschritten wird. Diese Ströme müssen bewegt werden, um wirtschaftlich nutzbares Material zu gewinnen, gehen selbst aber in den Wirtschaftsprozeß nur ein, indem sie bei der Gewinnung benötigter Rohstoffe bewegt werden. Mögen diese Stoffströme auch wirtschaftlich irrelevant sein, können sie aber ökologisch erhebliche Folgen nach sich ziehen. Aus ökologischer Sicht ist es nämlich völlig unerheblich, welche wirtschaftliche Bedeutung eine Materialbewegung hat. Der Wert eines Stoffstromes ist für sein ökologisches Gefährdungspotential absolut irrelevant. Sollen die ökologischen Folgen wirtschaftlicher Aktivitäten abgeschätzt werden, müssen diese Stoffströme deshalb berücksichtigt werden. Der Material Input umfaßt deshalb alle durch menschliche Aktivitäten verursachten Bewegungen von Material (einschließlich von Energieträgern), und zwar auch die "ökologischen Rücksäcke". Der ökologische Rucksack umfaßt diejenigen Materialien, die in dem betrachteten Gut selbst nicht enthalten sind, aber zur Produktion, Gebrauch, Recycling und Entsorgung (endgültige und dauerhafte Lagerung) dieses Gutes notwendig sind (Schmidt-Bleek 1996, 10). Der ökologische Rucksack schließt also den lebenszyklusweiten MI abzüglich der Eigenmasse des Gutes ein. Bei nicht-materiellen Gütern (z.B. Strom oder Wärme) entspricht der MI den Rucksäcken, die systemweit eingesetzt werden, um das Gut verfügbar zu machen (Schmidt-Bleek 1996, 11).
Die Rucksäcke spielen quantitativ eine wichtige Rolle. Sie umfassen auch solche Stoffströme, die gleichsam nur für eine "logische Sekunde" in die Anthroposphäre eintreten. Abraum- und Extraktionsmassen, die bei der Gewinnung fossiler Energieträger oder von Mineralien anfallen, zählen hierzu ebenso wie die durch die Gewinnung erneuerbarer Ressourcen induzierte Bodenerosion. "Diese Inputs überschreiten die Systemgrenze [zwischen Umwelt und Anthroposphäre; FL] und werden sofort wieder zu Outputs, bzw. sie werden unmittelbar an der Systemgrenze verursacht" (Bringezu/Schütz 1995, 35f.). Diese Rucksäcke sind gleichsam hinter dem betrachteten Wirtschaftsprozeß "versteckt", weshalb "hidden flows" (Adriaanse et al. 1997, 1) eine treffende englische Übersetzung dieses Begriffs ist. Ökologische Rucksäcke sind für die Bewertung anthropogener Umwelteingriffe bedeutsam, denn "(j)edes Produkt, das wir nutzen, jede Dienstleistung, die wir uns leisten, trägt einen Rucksack von Stoffen mit sich herum, die bewegt und umgewandelt werden mußten, um dieses Produkt oder diese Dienstleistung zu schaffen" (Schmidt-Bleek 1994, 19). Hier könnte eingewandt werden, MI berücksichtige "zuviel", weil eben nicht nur der Durchsatz im engeren Sinne gemessen wird. Aus ökologischer Sicht ist es unerläßlich, auch die Materialströme zu berücksichtigen, die nur als Rucksäcke derjenigen Ströme bewegt werden, die einen längeren Weg "durch die Wirtschaft" zurücklegen. Die vorgeschalteten und "versteckten" Ströme unberücksichtigt zu lassen, würde bedeuten, einen höchst bedeutsamen Faktor menschlicher Umweltnutzung auszublenden. Bei Importen aus anderen Regionen umfaßt der Rucksack all die Stoffströme, die "von der Wiege bis zur Grenze" bewegt werden, ohne in das Importgut selbst einzugehen (Bringezu 1996b, 159).
Der Direct Material Input (DMI) umfaßt diejenigen Materialströme, die zur weiteren Bearbeitung in die Anthroposphäre eintreten, also z.B. Getreide, Petroleum, Metalle, Holz (Adriaanse et al. 1997, 8). Das Total Material Requirement (TMR) bezieht sich auf die Summe von MI und Rucksäcken, und zwar "including deliberate landscape alterations. It is the total material requirement for a national economy, including all domestic and imported natural resources. The TMR gives the best overall estimate for the potential environmental impact associated with natural resource extraction and use" (Adriaanse et al. 1997, 8). Aus der Addition von DMI und den Rucksächen ergibt sich also der TMR.
Die Kalkulation des ökologischen Rucksacks kann auch dazu dienen, die "ökologischen Kosten" des Recyclings abzuschätzen. Wenn die Berechnung des MI ergibt, daß der ökologische Rucksack des rezyklierten Stoffs schwerer wiegt als die jeweiligen Primärmaterialien, ist Recycling ökologisch gesehen unsinnig (Schmidt-Bleek 1994, 165). Grundsätzlich ist die Tatsache zu berücksichtigen, daß viele Materialien überhaupt nicht rezyklierfähig sind. Schmidt-Bleek (1994, 165) schätzt, daß dies für die Hälfte aller anthropogenen Massenbewegungen gilt. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Erreichbarkeit einer nachhaltigen Umweltnutzung. Bodenerosion und dissipative Verluste sind Beispiele für nicht recyklierfähige Stoffströme. Diese Materialbewegungen sind irreversibel. Mit Hilfe der MI-Methodik können die Anteile der einzelnen Kategorien am Gesamtdurchsatz ermittelt werden. Eine eher instrumentelle Stärke des MI-Ansatzes liegt darin, daß Daten über potentielle Umweltschäden auf der Inputseite grundsätzlich leichter erfaßbar sind als die Folgen von hunderttausenden Einzelstoffen auf der Outputseite (Hinterberger/Welfens 1996, 31). Darüber hinaus liegt eine Stärke des MI-Ansatzes in seiner "Übersetzbarkeit" in Indikatorensysteme, die sowohl auf mikroökonomischer (MIPS) als auch auf makroökonomischer (MI bspw. eines Landes) Ebene anwendbar sind. Das Gesamtaggregat Material Input läßt sich in folgende Kategorien aufteilen (Schmidt-Bleek 1996, 30ff.):
I. Abiotische Rohmaterialien
a) mineralische Rohstoffe (verwertete Rohförderung, z.B. Erze einschließlich Uranerz, Sand, Kies, Schiefer und Granit)
b) fossile Energieträger (z.B. Kohle, Erdöl, Erdgas, Torf)
c) nicht verwertete Rohförderung (z.B. Abraum)
d) bewegte Erde (z.B. Aushub und Ausbaggerungen)
II. Biotische Rohmaterialien
a) pflanzliche Biomasse aus Bewirtschaftung
b) Biomasse aus nicht bewirtschafteten Bereichen
III. Bodenbewegungen (Land- und Forstwirtschaft)
a) mechanische Bodenbearbeitung
b) Erosion
IV. Wasser
a) Oberflächenwasser
b) Grundwasser
c) Tiefengrundwasser
V. Luft
a) Verbrennung
b) Chemische Umwandlung
Bringezu/Schütz (1995, 36ff.) kommen in einer Analyse der deutschen intraregionalen Stoffstrombilanz u.a. zu folgenden Ergebnissen (s. auch Bringezu 1996b, 157ff.; Bringezu 1996a202ff.): Wasser ist der mengenmäßig bedeutsamste Stoffstrom; Boden- und Gesteins-Outputs der Anthroposphäre übersteigen andere Anfälle um mehr als eine Größenordnung; die Rohmaterialinputs sind mit einem In- und Output an Boden und Gestein in gleicher Größenordnung verbunden; der Input nichterneuerbarer Rohstoffe übersteigt denjenigen an erneuerbaren Rohstoffen um das Vierfache. Diese Ergebnisse zeigen zum einen, daß eine Differenzierung innerhalb des Inputs anstrebenswert erscheint. Weder der Wasserdurchsatz noch die ökologischen Rucksäcke spielen bisher in der ökologisch-ökonomischen Diskussion über Sustainable Development eine wichtige Rolle, die Zahlen sprechen aber für die Notwendigkeit der Berücksichtigung dieser Stoffströme. Gleichzeitig erscheint es fraglich, ob der Wasserdurchsatz hinsichtlich seiner qualitativen Dimension mit abiotischen und biotischen Rohstoffen gleichzusetzen ist. Dasselbe gilt für Boden und Gestein. Neben diesen konzeptionellen Implikationen zeigen die Ergebnisse der intraregionalen Stoffstrombilanz zwei Dinge sehr deutlich: Erstens müssen ökologische Rucksäcke allein aufgrund ihrer Masse endlich "ernstgenommen" werden; zweitens muß konstatiert werden, daß die deutsche Wirtschaft angesichts der Dominanz nichterneuerbarer Inputs von einer nachhaltigen Quellennutzung noch weit entfernt ist. Darüber hinaus verdeutlicht die Bilanz, daß In- und Output von Durchflußströmen dominiert werden, also jenen MIs, die nach relativ kurzer Zeit die Anthroposphäre wieder verlassen. Speicherströme, die relativ lange in der Anthroposphäre verbleiben, spielen demgegenüber eine geringere Rolle: "Die Metapher der 'Durchflußgesellschaft' erscheint insofern durchaus gerechtfertigt" (Bringezu/Schütz 1995, 38).
8.1.3. MIPS und Ressourcenproduktivität
Durch den Bezug des MI auf Dienstleistungseinheiten kann für Prozesse, Produkte, Infrastrukturen und Dienstleistungen deren Material- und Energieintensität berechnet werden. Dienstleistung bezieht sich dabei auf Nutzungseinheiten. Bei Prozessen, die unterschiedliche Dienstleistungen generieren, muß nach funktionalen Kriterien differenziert werden (Schmidt-Bleek 1996, 26). Der MI-Wert wird durch die Dienstleistungs- oder Funktionseinheiten des Gutes dividiert: Dies ist dann die MIPS des jeweiligen Produktes (Schmidt-Bleek 1994, 126f.). MI zeigt alle für eine Dienstleistung erforderlichen materiellen Inputs an, MIPS die Materialintensität dieser Dienstleistung: "Das Maß für Umweltbelastungsintensität ist die das ganze Produktleben umspannende Material-Intensität Pro Serviceeinheit, also der Materialverbrauch von der Wiege bis zur Wiege pro Einheit Dienstleistung oder Funktion – die MIPS" (Schmidt-Bleek 1994, 108; kursiv von ihm; es muß allerdings Material Input pro Serviceeinheit heißen, erst durch den Bezug des MI auf die S ergibt sich die Materialintensität; so auch Schmidt-Bleek 1996, 7). (84) Der MI wird also auf Dienstleistungen bezogen, und hier stellt sich das erhebliche konzeptionelle Problem, wie Dienstleistungseinheiten operationalisiert werden können. Serviceeinheiten können allgemein definiert werden als "Nutzungen, die mit der Verfügung (Eigentum, Besitz oder Nutzungsrechte) über ein Gut verbunden sind" (Schmidt-Bleek 1996, 58). (85) Die Bestimmung der Serviceeinheit erfolgt entweder als eine Nutzung (z.B. 1 Personenkilometer, 1 kg gewaschene Wäsche), als Nutzungsdauer oder als Kombination von beidem (z.B. "MI pro qm und Jahr"). Für Verbrauchsgüter gilt also: S = 1, für dauerhafte Güter: S = n*m, wobei n für die Anzahl der Nutzungen steht und m für die Anzahl der das Produkt nutzenden Personen (Hinterberger et al. 1994, 11). Dabei sind die kleinsten definierbaren Dienstleistungseinheiten zu bestimmen, z.B. Personenkilometer mit unterschiedlichen Verkehrsmitteln (Schmidt-Bleek 1996, 58). Bei nur einmal genutzten oder nutzbaren Produkten ist die Serviceeinheit gleich der Produkteinheit, z.B. 1 Glas Orangensaft oder 1 Haarschnitt (Schmidt-Bleek 1996, 60). Die Zahl der Serviceeinheiten erhöht sich, wenn ein Produkt bei identischer Lebensdauer von mehreren Personen genutzt wird. In diesen Fällen ist der MI auf die Anzahl der Nutzungsjahre und die Anzahl der gleichzeitigen Nutzer zu beziehen (Schmidt-Bleek 1996, 60). Mit dieser Betrachtungsweise kann gezeigt werden, daß der vorzeitige Ersatz noch gebrauchsfähiger Güter mit hohen MIPS durch solche einer neuen Generation mit niedrigen MIPS oft ökologisch kontraproduktiv sein kann (Schmidt-Bleek 1996, 62).
Der MIPS-Indikator hebt auf die "Serviceeinheiten" ab, die pro Einheit Material Input erzielt werden. In dieser Perspektive ist also nicht der Bestand an Gütern entscheidend für den Nutzen, sondern die aus diesem Bestand generierten Dienstleistungen. Produkte werden im Rahmen des MIPS-Konzepts als "Dienstleistungserfüllungsmaschinen" interpretiert (Schmidt-Bleek 1994, 179; Schmidt-Bleek 1996, 58; Hinterberger et al. 1994). Güter dienen dazu, bestimmte Bedürfnisse zu erfüllen – sie sind Mittel zum Zweck. Es ist vor allem diese Kapazität zur Bedürfnisbefriedigung, die zum Lebensstandard beiträgt (Schmidt-Bleek 1993, 410; Hinterberger 1993, 428). Nun ist diese Sichtweise nicht immer angemessen, denn oft sind tatsächlich die Produkte selbst die Dienstleistung: Luxusautos sind hierfür ebenso Beispiele wie teure Armbanduhren. Ostentatives Darstellen von Wohlstand entzieht sich der Sichtweise, nach der Produkte nur Dienstleistungserfüllungsmaschinen sind. Als problematisch erweist sich der Umstand, daß Menschen auch funktional identische Dienstleistungen durchaus unterschiedlich bewerten. Manche Menschen werden 100 Personenkilometer in einem S-Klasse Mercedes vorziehen, auch wenn dies ökologisch ungünstiger ist als 100 Personenkilometer im 1. Klasse-Abteil eines ICE. Dies wird auch im Rahmen der MI-Methodik anerkannt: Bei der Definition der Serviceeinheiten "ist klar, daß verschiedene Personen den Nutzen verschiedener Produkte i.d.R. unterschiedlich bewerten. Da aber ein Vergleich unterschiedlicher subjektiver Bewertungen wissenschaftlich nicht möglich ist, stellt die Festlegung von vergleichbaren Serviceeinheiten einen pragmatischen und praktikablen Kompromiß dar. Sind die Unterschiede zweier Reisealternativen pro Personenkilometer bekannt, verbleibt es dem Konsumenten, sich je nach der eigenen Präferenz für die eine oder andere Alternative zu entscheiden (so wie er auch unterschiedliche Preise ins Kalkül zieht)" (Schmidt-Bleek 1996, 58f.). Viele Produkte stellen nur eine Dienstleistung zur Verfügung, während dauerhafte Produkte mehrere Dienstleistungen bereitstellen, die überdies von mehreren Personen genutzt werden können. Insbesondere Infrastrukturen sind gleichzeitig Endnutzung und Vorleistung, z.B. Straßen und Gebäude. Energie ist ein ähnlicher Fall: Sie dient sowohl als Input für die Produktion als auch als Endprodukt für Haushalte. Hier müssen die MI zur MIPS-Berechnung anteilsmäßig zugerechnet werden (Schmidt-Bleek 1996, 59).
Das Inverse der MIPS (S/MI) ist die Ressourcenproduktivität (Schmidt-Bleek 1993, 411; 1994, 118; 1996, 73), also die verfügbaren Dienstleistungseinheiten pro lebenszyklusweitem Materialverbrauch. "Dematerialisierte Technologien" sind dann solche, die bei gleichem oder abnehmendem Material Input mehr Dienstleistungen produzieren (Schmidt-Bleek 1994, 118). Anders formuliert: Wenn bei gleichbleibendem MI der S-Wert steigt oder bei konstantem S der MI sinkt, steigt die Ressourcenproduktivität bzw. sinkt die MIPS. MI kann auf Regionen bezogen werden. Die Ressourcenproduktivität kann z.B. dadurch ermittelt werden, daß ein regionaler MI durch das BIP dieser Region dividiert wird. Das Inverse der volkswirtschaftlichen Materialintensität (TMR/BIP) ist die Materialproduktivität des BIP (also BIP/TMR). Dabei müssen Im- und Exporte einer Region berücksichtigt werden, wobei auch die Rucksäcke von im- und exportierten Gütern einbezogen werden müssen. Der betrachtete Wirtschaftsraum kann jede Wirtschaftseinheit sein (z.B. Haushalt, Firma, Region, Nationalstaat). Tendenziell werden dabei die Rucksäcke von Im- und Exporten um so wichtiger sein, je kleiner die betrachtete Einheit ist (Schmidt-Bleek 1996, 21).
Es ist mit der MI-Methodik möglich, den Material- und Energiedurchsatz einer Wirtschaft und damit auch die Scale-Intensität einer Wirtschaft bzw. die Produktivität des Scale zu berechnen. Der TMR ist mit dem Material- und Energiedurchsatz und damit mit dem Scale der jeweiligen Region bzw. Wirtschaft identisch. Scale ist operationalisierbar. Eine zentrale Bedingung für die theoretische Weiterentwicklung und praktische Applikation der ökologischen Makroökonomik bzw. der Politik einer Scale-Beeinflussung ist damit erfüllt. Eine weitere zentrale Frage ist jedoch die nach der von Daly und anderen behaupteten ökologischen Relevanz des Scale.
8.2. Ist Scale eine ökologisch relevante Größe?
8.2.1. Volumen und Struktur: Quantität und Qualität des Material- und Energiedurchsatzes
Schmidt-Bleek (1996, 120f.) selbst nennt folgende Nachteile des MIPS-Konzepts: Es berücksichtigt die Probleme Flächenverbrauch, Toxizität und Biodiversität nicht. Auch Lärmemissionen oder die potentiellen Folgen gentechnischer Eingriffe werden nicht berücksichtigt (Schmidt-Bleek 1996, 74). Aber, so Schmidt-Bleek (1994, 122): "Wenn Stoffströme systematisch verringert werden, dann zieht das automatisch geringere Abfallmengen, weniger Energieverbrauch, weniger Transport und auch weniger Flächenverbrauch nach sich." Gleichwohl ist Material Input ein rein quantitatives Maß. Es berücksichtigt nicht die Qualität von Materialströmen, z.B. ihre Toxizität. Die Entwicklung des MI-Ansatzes ist nicht zuletzt eine Reaktion auf die Erfolglosigkeit herkömmlicher schadstofforientierter Ansätze in der Umweltpolitik: "Offensichtlich hat die Menschheit (...) mit ihren Einzelerfolgen die Dynamik der Umweltveränderung nicht gestoppt. Niemand aber kann bis heute sagen, was und wieviel getan werden muß, um diese Dynamik zu stoppen" (Schmidt-Bleek 1994, 70). Normale Umweltpolitik setzt an Einzelproblemen an, ohne den Material- und Energiedurchsatz zu senken. Der Material- und Energiedurchsatz als Gesamtgröße war bis in die 1990er Jahre hinein praktisch kein Thema für die praktizierte Umweltpolitik (Hinterberger/Welfens 1996, 25). Trotz aller unbestrittenen Einzelerfolge ist es dieser Umweltpolitik bis heute nicht gelungen, die Dynamik der anthropogenen Umweltveränderungen einzuschränken oder gar aufzuhalten (Schmidt-Bleek 1994, 70). Aus diesem Grunde wird im Rahmen des MI-Ansatzes das Gesamtvolumen des Durchsatzes in den Blick genommen.
Von Akkumulationen abgesehen sind In- und Output der Anthroposphäre quantitativ identisch, aber als Folge der vom Entropiegesetz beschriebenen Eigenschaften natürlicher Prozesse sind sie in qualitativer Hinsicht höchst unterschiedlich (s. Abschnitt 4.2.). Der MI-Ansatz berücksichtigt dies ausdrücklich nicht. Material Input ist mithin explizit kein Indikator für Entropiezunahmen. Implizit spielt der entropische Charakter jeder Materialbewegung allerdings eine Rolle. Wie schon dargelegt, postuliert Georgescu-Roegen mit seinem "vierten Satz der Thermodynamik" eine materialorientierte Version des Entropiesatzes. Schmidt-Bleek (1994, 165) argumentiert in eine ähnliche Richtung; "Grundsätzlich behindert jede Verdünnung und Vermischung die Wiederverwertung mehr oder weniger stark; das gilt auch für feste Stoffe. Bei jeder Verwendung wird ein Teil eines Rohstoffes so stark mit anderen vermischt, daß er vom Recycling ausgenommen werden muß. Hundertprozentige Wiederverwertung gibt es nicht. Man könnte dies als 'Entropieprinzip' der Materie bezeichnen" (meine Hervorhebung). Eine Nähe zu Georgescu-Roegens Version verrät auch folgende Äußerung: "Das Ende aller Entropievermehrung ist der 'Wärmetod' des Weltalls oder, auf Stoffe übertragen, die gleichmäßige Vermischung aller Stoffe zu einer nie mehr nutzbaren 'Materialpampe'" (Schmidt-Bleek 1994, 166; meine Hervorhebung). Schmidt-Bleek macht sich aber nicht die pessimistische Auffassung Georgescu-Roegens zu eigen. Er weist darauf hin, daß die genannte Entwicklung sehr langsam verläuft und heute kein Anlaß bestehe, "aus der Unausweichlichkeit der Entropievermehrung eine Endzeitstimmung abzuleiten" (Schmidt-Bleek 1994, 166). Das Problem der Materialbewegungen sei nicht der in weiter Ferne liegende Wärmetod, sondern die aktuellen Folgen auf die natürliche Umwelt, die die Erde schon heute zu einer "menschenfeindlichen Umgebung" machten (Schmidt-Bleek 1994, 166). Dieses Stadium sei aufgrund der Geschwindigkeit der anthropogenen Materialbewegungen nicht mehr sehr fern.
Globale Umweltveränderungen sind nicht nur auf das Produktionsniveau, sondern eben auch auf die Produktionsstruktur zurückzuführen (WBGU 1993, 137). Im Hinblick auf den Material- und Energiedurchsatz kann zwischen Stoffflußvolumen und Stoffflußstruktur unterschieden werden (Klemmer 1996, 315). Der erste Begriff bezieht sich auf den Scale, der zweite auf die Qualität des Material- und Energiedurchsatzes. Politische Maßnahmen, die auf die Beeinflussung der Stoffströme gerichtet sind, können mithin Scale-Effekte und Struktureffekte zeitigen (Femia et al. 1996; s. auch Junkernheinrich/Klemmer 1991, 8; und die Enquete-Kommission 1993, 26, 63). Diese Unterscheidung ist auch wichtig für die Unterscheidung von "normaler Umweltpolitik" und einer "Politik der Scale-Reduktion". Normale Umweltpolitik ist auf die Bekämpfung der Umwelteffekte von Einzelstoffen gerichtet, weshalb diese Politik auch als "Chemiepolitik" charakterisiert wurde. In diesem Sinne ist Umweltpolitik auch Stoffpolitik. Eine Politik der Scale-Reduktion unterscheidet sich fundamental von dieser Perspektive, wie auch Klemmer (1996, 317) hervorhebt: "Einen völlig anderen Charakter bekommt die Stoffpolitik hingegen, wenn die (...) Einzelstoffbetrachtung zurücktritt und dafür generell die allgemeine Beeinflussung der Input- oder Outputseite zum umweltpolitischen Ziel erklärt wird."
"Normale Umweltpolitik", wenn sie auf die Bekämpfung von Schadstoffen gerichtet ist, vernachlässigt den "umweltrelevanten Lebensweg" von Materialien und Produkten. Dabei bleibt unberücksichtigt, daß outputorientierte Maßnahmen – Filter, Katalysatoren, Kläranlagen – ihrerseits Materialströme induzieren, die wiederum nicht ohne ökologische Folgen bleiben. "Die Betonung der Emissionsproblematik verstellt den Blick auf die wichtigen vorgeschalteten Stoffströme" (Hinterberger/Welfens 1996, 37). Nimmt man in diesem Zusammenhang die Stoffströme in den Blick, folgt daraus, daß "die zerstörerische Kraft von menschengemachten, zunächst 'neutral' scheinenden Stoffströmen" in umweltpolitische Konzepte einzubeziehen sind und nicht nur die Toxizität von Einzelstoffen (Schmidt-Bleek 1994, 18). Jeder Stoffstrom unterliegt nach dieser Sichtweise also dem "Anfangsverdacht", ökologisch negative Folgen zu zeitigen: "Nicht nur einzelne, sondern alle (auch die scheinbar 'umweltneutralen') Stoffströme, die von Menschen im 'industriellen Metabolismus' bewegt werden, haben Auswirkungen auf die Umwelt" (Hinterberger et al. 1996, 77).
Für die Betrachtung des Gesamtdurchsatzes – also die Konzentration auf sein Volumen – spricht nicht nur die Unkontrollierbarkeit der unzähligen Einzelstoff-Bewegungen, sondern auch das Problem, daß eine an einzelnen (schädlichen) Stoffen orientierte Politik oft nur zu Verschiebungen der Umweltbelastungen von einem Umweltmedium zum anderen führt. Betrachtet man den Wirtschaftsprozeß umfassend als einen "industriellen Metabolismus", so zeigt sich aus dieser Perspektive, daß "narrowly conceived environmental policies over the past 20 years and more have largely shifted waste emissions from one form (and medium) to another, without significantly reducing the totals" (Ayres 1994, 17; meine Hervorhebung). Die "totals" sind nichts anderes als der Material- und Energiedurchsatz. Statt Umweltbelastungen von einem Umweltmedium aufs andere zu verschieben, senkt eine Reduktion des Scale das umweltschädigende Potential wirtschaftlicher Aktivitäten. Darüber hinaus muß berücksichtigt werden, daß "Umweltschutzmaßnahmen" selbst nicht ohne Umweltverbrauch realisierbar sind, denn "almost every anti-pollution measure entails pollution in another form and requires space, raw materials and energy" (Hueting 1980, 187; s. auch Lecomber 1975, 45; Ophuls/Boyan 1992, 177f.).
Die Kritik am durchsatzorientierten umweltpolitischen Ansatz bezieht sich in erster Linie auf die Bedeutung der Stoffstromstruktur, die nicht vernachlässigt werden dürfe. Huber (1995, 139) z.B. konzediert zwar, daß es "im geogenen und anthropogenen Metabolismus grundsätzlich keinen Stoff [gibt], der für die menschliche Öko-Nische per se unbedenklich wäre. Keine Qualität kann ihren quantitativen Begrenzungen entrinnen. Aber statt wie die Effizienzstrategie jegliche Quantitäten unbesehen maximal zu verringern, möchte eine Strategie der konsistenten Stoffströme zuerst möglichst vorteilhafte Stoffstromqualitäten schaffen." Gegenüber der Strategie der Scale-Reduktion – die Huber als Effizienzstrategie bezeichnet – setzt sich die Konsistenz-Strategie also letztlich mit einem Effizienzargument ab. Dies verdeutlicht auch der Hinweis darauf, es gehe darum, die Grenzen des Wachstums "nicht willkürlich (und damit voraussichtlich ebenso tyrannisch wie falsch) zu setzen, sondern sie aus einem optimierenden Innovations- und Entwicklungsprozeß hervorgehen zu lassen, in dem die kreativen und produktiven Handlungskapazitäten der modernen Gesellschaft voll ausgeschöpft werden" (Huber 1995, 149).
Folgerichtig hält Huber eine umfassende Reduzierung des MI (s. unten) für eine verfehlte Zielsetzung: "Die geforderte Verringerung der Materialintensität in den reichen Ländern um den Faktor 10 wird im einzelnen anhand von speziellen Stoffströmen und ökologischen Kriterien nicht qualifiziert. (...) Die schiere Masse beeindruckt, aber erklärt nicht, warum was und wieviel davon für wen oder was unter welchen Umständen wie schädlich ist. Stattdessen wird, das Vorsorgeprinzip strapazierend, einem 'sicherheitshalber' nahegelegt, am Existenzminimum maximal suffizient zu sein. (...) (A)uch wenn man für den Nutzen griffiger Parolen ein gewisses Verständnis aufbringt, darf man doch Argumente erwarten, die über das Plausibilitätsniveau 'irgendwie ist alles viel zu viel' hinausgehen. (...) Eine Pauschalreduzierung aller Stoffströme um den Faktor 10 ist nicht nur unrealistisch, sondern in mancherlei Hinsicht wohl auch unnötig" (Huber 1995, 136f.; seine Hervorhebung). Huber (1995, 138ff.; s. auch 1998) setzt dem die Strategie "Konstistente Stoffströme durch Innovation" entgegen. Konstistenz, so Huber (1995, 138), "bezieht sich auf die Beschaffenheit von Stoffen" – also auf die Qualität (z.B. Toxizität) von Materialströmen: Es gehe darum, "die ökologische Qualität der Stoffströme zu verbessern" (Huber 1995, 139). Damit solle auch Verteilungsspielraum für die weltweite Nutzung von Quellen und Senken erreicht werden. Die Konsistenzstrategie zielt also nicht auf das Stoffflußvolumen, sondern auf die Stoffflußstruktur, oder, in Hubers (1995, 140) Worten: "Es geht somit weniger um die vorrangige Verringerung, als vielmehr um die vorrangige Änderung vorhandener Stoffströme, es geht um die Substitution ökologisch problematischer Stoffströme, und überhaupt um Innovationen bei den Stoffstromqualitäten" (seine Hervorhebungen).
"Erhebliche Bedenken" gegen den MI-Ansatz bringt aus ähnlichen Gründen der SRU (1996, Rdnr. 24) vor: Mit dem Begriff der Materialintensität werde in Zukunftsfähiges Deutschland "ein Maßstab zugrundegelegt, der heterogenes zusammenbindet, notwendige Differenzierungen nivelliert und so das Sustainability-Konzept der Tendenz nach vorrangig auf ein Verzichtsmodell des Umgangs mit Natur verkürzt." An anderer Stelle heißt es, und gewiß zielt der SRU (1996, Rdnr. 862) hier auch auf die Dematerialisierung: "Ein reines, zugleich undifferenziertes Minimierungsgebot, wie es vielfach als beherrschendes Prinzip gefordert wird, löst sich notwendig vom Wirkungsbezug. Damit orientiert es sich nicht mehr am Prinzip der Verhältnismäßigkeit von Risiken." Spiller (1996, 444) hält die Gleichsetzung von Wasser-, Luft- und Materialverbrauch für problematisch, zumal die MI-Berechnungen deutlich von Wasser- und Luftbewegungen dominiert sind. Allerdings (das sieht auch Spiller) wird mittlerweile zwischen unterschiedlichen Masseströmen differenziert. Schmidt-Bleek (1994, 121) hat von Anfang an betont, daß eine Differenzierung unterschiedlicher Ströme (z.B. Wasser, Boden, Luft) nötig sein könnte, weil "MIPS nicht unbedingt gleich MIPS" sei. Gleichwohl bleibt die grundsätzliche Frage, ob ein so hochaggregierter Indikator wie der MI relevant ist. Auch Sagoff (1995, 615) kritisiert die qualitative Indifferenz des Scale-Ansatzes und bemerkt, daß "the most efficient way to limit scale might be to cut back on water, but no one believes that we would thereby greatly protect the environment. One would cry over a gallon of spilled mercury but not over a gallon of spilled milk." Daly (1995b, 623) hält dem entgegen, daß zwar natürlich "a different pattern of throughputs may be more environmentally benign. But a scale increase in that, or any other, pattern would still increase the environmental load relative to what it was. Sagoff mixes scale increase with pattern change" – also Mengen- und Struktureffekt.
In der "konsequenten Ausblendung aller toxikologischen Fragen" (Spiller 1996, 442; seine Hervorhebung), die die MIPS-Methodik beispielsweise von Produkt-Ökobilanzen unterscheidet, liegt in der Tat eine Schwäche des MI-Ansatzes. "Eine Tonne Uranerz geht in dem Indikator dem Prinzip nach mit dem gleichen Gewicht ein wie eine Tonne Sand, allerdings erfordert die Gewinnung von Uran ungleich größere Materialbewegungen und erhält daher eine höhere MIPS-Belastung" (Spiller 1996, 442; seine Hervorhebung). Die qualitative Differenz zwischen Uran und Sand wird durch die Rucksackbetrachtung allerdings nur indirekt berücksichtigt. Zwei Stoffe mit unterschiedlichen toxikologischen Eigenschaften und einem ähnlichen Rucksack würden nach diesem Ansatz als Stoffe mit ähnlichem Umweltbelastungspotential bewertet. Deshalb kann mit der Ausblendung qualitativer Aspekte in der Tat "ein systematisch verzerrter Steuerungsimpuls" verbunden sein (Spiller 1996, 443; seine Hervorhebung). Auch O'Connor betont die Bedeutung der Stoffstromqualität. Versuche zur Konzeptualisierung von Umweltschäden "based on some sort of aggregate physical flow parameter" hält O'Connor (1991, 110) für problematisch, also z.B. den Materialbilanzen-Ansatz oder die Verwendung von Entropie als Indikator. Auch wenn derartige Ansätze "may signal the existence of waste flows, such parameters inevitably fail to signify the differential significance of different types of materials, fail to distinguish amongst the classes of transformations that are at play in environmental disruptions, and for these reasons cannot give many clues at all as to the gravity of the cascading changes that this or that pollutant flux might induce" (seine Hervorhebung).
Organische Materialien spielen im Wirtschaftsprozeß seit der industriellen Revolution eine weitaus geringere Rolle als vor drei Jahrhunderten (s. Kapitel 6). Bei der Beurteilung von Materialströmen ist zu berücksichtigen, daß im Hinblick auf die Senkenkapazität der Umwelt ein großer Unterschied besteht, ob organische oder anorganische bzw. synthetische Materialien an die Umwelt abgegeben werden (Dietz/van der Straaten 1988, 76). "Generell gilt, daß von einem 'unnatürlichen Stoff' wesentlich geringere Mengen ausreichen, ökologische Veränderungen anzustoßen, als wenn der Mensch 'natürliche Stoffe' und Materialien in Bewegung setzt, so wie etwa Sand, Wasser oder CO2" (Schmidt-Bleek 1994, 133). So wie bei Inputs zwischen erneuerbaren und nichterneuerbaren Ressourcen unterschieden wird, kann man folglich auch beim Output dahingehend unterscheiden, ob dieser in der Umwelt regeneriert oder lediglich aufgenommen wird (Bringezu/Schütz 1995, 29f.).
Das – immer wieder bemühte – Sand-Plutonium-Beispiel kann noch weiter getrieben werden: Wenn der Plutoniumverbrauch einer Volkswirtschaft um 1000% steigt, der Verbrauch von Sand aber um 1% sinkt, kann der MI-Indikator aufgrund der sehr unterschiedlichen quantitativen Ausgangsgrößen eine "ökologische Verbesserung" anzeigen. Es muß aber darauf hingewiesen werden, daß kein Vertreter dieses Ansatzes diese Problematik nicht sieht. Niemand plädiert dafür, die (z.B. ökotoxikologische) Qualität der Materialströme nicht zu berücksichtigen. Der entscheidende Punkt ist, daß diese Berücksichtigung Wissen voraussetzt, das sehr häufig nicht vorhanden ist. Im Sand-Plutonium-Fall ist dieses Wissen vorhanden, und kein Mensch schlägt vor, den Sandverbrauch zu senken, um den Plutoniumverbrauch steigern zu können. Dasselbe gilt für Technologien mit unbekannten Folgen für Mensch und Umwelt. Die Biotechnologie beispielsweise birgt erhebliche Potentiale zur Dematerialisierung von Produktionsprozessen – niemand behauptet freilich, daß dies das einzige Kriterium zur Bewertung der Biotechnologie sein könne (s. auch Hinterberger et al. 1996, 89). Dematerialisierung kann mit einer Erhöhung des Risikoniveaus einhergehen, z.B. wenn statt Kohle mehr Kernkraft eingesetzt wird (Jänicke 1994, 11). Es ist deshalb völlig abwegig, Stoffstromvolumen und -struktur gleichsam gegeneinander ausspielen zu wollen. Es geht nicht darum, auf Basis allein des MI-Indikators Entscheidungen zu treffen – kein Indikator kann in dieser Weise als Entscheidungskriterium fungieren, wie auch O'Connor et al. (1996, 237) betonen: "If emissions of CO2 diminish while those of SO2 rise, how can one decide whether the state of the environment has improved, got worse, or stayed the same? No single numeraire can capture the diversity of perspectives and valuations that are present in any issue concerning the environment" (kursiv von ihnen).
Auch wenn eine Reduktion des Scale zunächst indifferent gegenüber den qualitativen Eigenschaften des Material- und Energiedurchsatzes ist, spricht alles dafür, daß eine solche Reduktion auch zu einer Verminderung der qualitativen Belastung der Umwelt durch wirtschaftliche Aktivitäten führen wird. Darüber hinaus – und dies ist von entscheidender Bedeutung – muß berücksichtigt werden, daß eben auch das Volumen der Stoffströme erhebliche ökologische Wirkungen hat. Dies hängt mit der Beziehung zwischen Volumen und Struktur, zwischen Quantität und Qualität zusammen: Der Zusammenhang zwischen Schädigungspotential und Umfang des Durchsatzes entspricht dem "Erfahrungssatz von Paracelsus, wonach die Dosis bestimmt, was giftig wirkt. Übertragen auf die Umwelt heißt dies, daß je größer die Mengen, die in die Umwelt eingetragen werden, desto größer das damit verbundene Wirkungsrisiko" (Bringezu 1994, 13, Fn. 25). Zyankali ist unterhalb eines bestimmten Wertes für Menschen ebenso ungefährlich wie die "harmlosen" Stoffe Salz und Zucker ab einer bestimmten Dosis tödlich wirken. Deshalb haben auch vermeintlich "neutrale" Stoffströme teilweise desaströse Umweltfolgen. Ein einfaches Gedankenexperiment macht allerdings deutlich, wie wichtig die quantitative Dimension des Material- und Energiedurchsatzes ist (BUND/Misereor 1996, 29; Luks 1998c). Angenommen, eine industrialisierte Volkswirtschaft würde vollkommen ohne Schadstoffe i.S.v. "giftigen" Stoffen produzieren – nur "guten" Durchsatz auf dem heutigen Niveau –: Würde dies dazu führen, daß diese Wirtschaft nachhaltig wäre? Mitnichten, denn Abfallprobleme, der Anteil des Landes am Treibhauseffekt (CO2 ist kein Giftstoff), Bodenerosion, Verlust an Artenvielfalt würden nicht aufhören zu existieren, denn all diese Probleme sind vor allem durch das Volumen des Material- und Energiedurchsatzes bestimmt. Eine Reduktion des Gesamt-MI wird darüber hinaus dazu führen, daß zunehmend über Substitutionsmöglichkeiten zwischen Materialien entschieden werden müßte. Auch insofern würde eine quantitative Reduktion des Durchsatzes Chancen eröffnen, besonders gefährliche Stoffe durch weniger gefährliche zu ersetzen (Bringezu 1996b, 162).
8.2.2. Die Differenz zwischen Material und Energie
Der Energieverbrauch als solcher wird bei der MI-Methodik nicht berücksichtigt. Hier liegt der Einwand nahe, daß eine ökologisch entscheidende Größe nicht hinreichend berücksichtigt wird. Dies ist nicht der Fall, denn alle mit Energienutzung verbundenen Umweltschädigungen lassen sich auf den Materialstrom der Energieträger zurückführen. "Der Verbrauch von Energie (...) ist (...) ökologisch von untergeordneter Bedeutung. Es sind die mit dem Transport, der Umwandlung und dem Verbrauch von Energie verbundenen Stoffströme, welche die wesentlichen Umweltauswirkungen hervorrufen. (...) Energie-'Verbrauch' wird (...) über den Umweg der Stoffströme, die damit verbunden sind, umweltwirksam" (Schmidt-Bleek 1994, 15, 39; s. auch 76ff.). Solarenergie macht hier keine Ausnahme: Sonneneinstrahlung und Wind verursachen zwar keine Materialströme, die für deren Nutzung erforderlichen Anlagen ("Kapital") sind jedoch ohne MI nicht herzustellen.
Oft wird die Auffassung vertreten, Energieverbrauch sei die entscheidende Determinante der Umweltfolgen wirtschaftlicher Aktivitäten (s. z.B. Simonis 1994, 34). Templet (1995, 154) geht davon aus, daß der Energieverbrauch zum Materialverbrauch in etwa proportional sein müsse, weil Energie zur Umwandlung von Material in Produkte erforderlich sei. M. Binswanger (1993, 3) hält den Energieverbrauch deshalb für den bedeutsamsten Indikator im Hinblick auf die Diskussion über die Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Zunahme des Umweltverbrauchs, weil sich Energie weit weniger als Materialien im Produktionsprozeß substituieren lasse. Materialien seien untereinander oft substituierbar, für Energie als grundlegenden Produktionsfaktor gelte dies nicht. Der Verbrauch von Energie sei letztlich nur durch Einsparungsmaßnahmen reduzierbar, nicht aber durch Substitutionsprozesse. Das ist richtig, dem ist aber entgegenzuhalten, daß Energieträger – die höchst unterschiedliche Materialintensitäten aufweisen – untereinander substituiert werden können: Hierauf verweist der Begriff "Energiemix".
Daly (1993a, 31) meint, daß die zwei Formen des Durchsatzes, Material und Energie, unterschiedliche ökologische Kosten haben. Die ökologischen Wirkungen seien abhängig davon, ob Material oder Energie einen größeren Anteil am Gesamtdurchsatz haben. Wenn man berücksichtigt, daß auch Energie erst durch die Wirkungen der Bewegung von Energieträgern wirksam wird, ist dies so nicht richtig. Dennoch: Recycling vermag den Materialverbrauch zu senken, führt aber unweigerlich zu einem höheren Energieeinsatz (Daly 1993a, 31). Der Energieanteil am Durchsatz hängt also nicht zuletzt vom Umfang des Materialrecyclings ab: "If we recycle none of our used material goods, then we must expend energy to replace those goods from raw materials, and this energy expenditure is in many instances greater than the energy needed to recycle the product. (...) The mere expenditure of energy is not sufficient to close material cycles, since energy must work through the agency of material implements" (Daly 1993a, 31). Georgescu-Roegen (1977c, 268) weist darauf hin, daß "no conversion of energy is achieved without material support", und daß "(t)here are no everlasting material structures because matter just as energy continuously and irrevocably dissipates." Einer der Aufsätze, in dem Georgescu-Roegen seinen "vierten Hauptsatz" formuliert, heißt Matter Matters, Too (1977b). Dort betont Georgescu-Roegen (1977b, 295): "In the real world every process involves both energy and matter" (seine Hervorhebung). Georgescu-Roegen (1981a, 57) macht an anderer Stelle darauf aufmerksam, daß "[w]e can never handle energy without a material lever, a material receptor, or a material transmitter." Materialströme können nur mit Hilfe von Energie in Bewegung gehalten werden, und dieser Energieverbrauch induziert wiederum Materialbewegungen. Energie und Material sind im Wirtschaftsprozeß komplementäre Größen.
8.2.3. Die Differenz zwischen biotischen und abiotischen Rohstoffen und die Bedeutung der Flächennutzung
"We cannot double the produce of the soil, time after time, ad infinitum."
(Jevons 1965, 195; kursiv von ihm)
Der MI-Ansatz differenziert zunächst nicht zwischen erneuerbaren und nichterneuerbaren Ressourcen. Im Hinblick auf die Zielsetzung eines Sustainable Development ist eine solche Differenzierung aber unerläßlich, da Nachhaltigkeit langfristig die Beschränkung auf nachwachsende Rohstoffe impliziert. Behandelt man biotische und abiotische Stoffströme als Gesamtgröße, kann ein sinkender Scale durchaus mit einer nicht-nachhaltigen Entwicklung einhergehen. Eine Dematerialisierung wäre immer ein Beitrag zur Entlastung der Senken, beschränkte sie sich jedoch auf abiotische Rohstoffe, bliebe die Problematik der nachhaltigen Quellennutzung ungelöst. Im Hinblick auf die Regeln zum Erhalt des Naturkapitals besteht ein fundamentaler Unterschied zwischen biotischen und abiotischen Stoffen: Ein "sustainable yield" ist überhaupt nur bei erneuerbaren Ressourcen möglich. Die ökologischen Kosten auch dieser Ressourcen verdeutlichen erneut, daß die Regeln zum Erhalt des Naturkapitals nicht unabhängig voneinander zu sehen sind. Diese Interdependenz wird noch dadurch verstärkt, daß die Nutzung erneuerbarer Ressourcen mit einer hohen Flächenintensität verbunden ist (Schmidt-Bleek/Liedtke 1995, 22). Dies wirft die Frage auf, ob die zur Verfügung stehenden Flächen überhaupt ausreichen, um einen Umstieg von nichterneuerbaren zu erneuerbaren Ressourcen zu bewerkstelligen. Wenn dies nicht der Fall ist, muß schon allein deshalb die Reduktion des Material- und Energiedurchsatzes angestrebt werden, wenn Sustainable Development das Ziel ist. Dazu kommt, daß "(r)enewable resource systems cannot be maintained without replenishment. This implies that maintaining productivity with harvesting will require some reverse subsidies from exhaustible resources and that we must be even more cautious about maintaining productivity of 'renewable' resources than is at first apparent in the term" (Christensen 1991, 85). Auch die Nutzung erneuerbarer Ressourcen ist also zu einem gewissen Maß auf die Nutzung nichterneuerbarer Ressourcen angewiesen.
Bringezu/Schütz (1995, 30) weisen auf die ökologischen Folgen der Nutzung erneuerbarer Ressourcen hin – diese Nutzung basiert vor allem auf der Land- und Forstwirtschaft, und die hier generierten Ströme setzen "eine erhebliche Umstrukturierung der natürlichen Umwelt voraus." Außerdem sei auch die Nutzung erneuerbarer Rohstoffe stets mit nicht regenerierten Inputs und dem Verlust von Stoffen verbunden. Die Verwendung fossiler Brennstoffe in der modernen Landwirtschaft belegen dies ebenso wie die erheblichen Masseströme, die in Form von Bodenerosion auf das Konto landwirtschaftlicher Aktivitäten gehen. Die Übernutzung erneuerbarer Ressourcen ist heute ein ebenso drängendes Problem wie die Erschöpfung nichterneuerbarer Ressourcen (Heijman 1991, 179). In den letzten Jahren hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß aus erneuerbaren Ressourcen durch einen übermäßigen Abbau schnell unwiederbringlich nicht mehr erneuerbare Ressourcen werden können (Beispiele sind die Rodung von Regenwäldern oder die Überfischung von Fischpopulationen).
Der Flächenverbrauch wirtschaftlicher Aktivitäten wird durch die Durchsatzbetrachtung nicht berücksichtigt und spielt im Steady-State-Ansatz praktisch keine Rolle. Dabei ist es aber gerade der Flächenverbrauch, der eindeutig vor Augen führt, daß in einer begrenzten Umwelt beliebige Ausweitung nicht möglich ist. So wie man den MI quantifizieren und auf "Dienstleistungen" beziehen kann, wäre eine ähnliche Methodik auch für den Flächenverbrauch denkbar, z.B. als Flächenintensität pro Serviceinheit (FIPS) (Schmidt-Bleek 1994, 151ff.), oder besser als Flächenverbrauch pro Serviceeinheit. Im Rahmen des MI-Ansatzes wird versucht, den Flächenverbrauch in die Betrachtung mit einzubeziehen, in dem die Verbräuche neben den MI-Werten festgehalten und den betrachteten Produkten zugeordnet werden. Die Berücksichtigung des Flächenverbrauches ist nach wie vor ein Problem. Zwar ist es "prinzipiell denkbar, die belegten Flächen mit in die MI als 'Flächenrucksack' einzurechnen, wenn es gelänge, eine ökologisch plausible Umrechnung von Fläche auf Masse als Konvention zu vereinbaren" (Schmidt-Bleek 1996, 26) – eine solche Umrechnung ist aber nicht in Sicht und zur Zeit auch schwer vorstellbar. MI und Flächenverbrauch sind zu heterogene Kategorien, um eine Umrechnung von Fläche auf Masse vornehmen zu können. Das Fehlen der Umrechenbarkeit von Flächenverbrauch auf Materialintensität ist problematisch, insbesondere im Hinblick auf landwirtschaftliche Aktivitäten (Spiller 1996, 444).
Es wird also zurecht darauf hingewiesen, daß auch erneuerbare Ressourcen nicht zum "ökologischen Nulltarif" (Schmidt-Bleek 1994, 166; Schmidt-Bleek/Liedtke 1995, 22; Bringezu/Schütz 1995, 37) zu haben sind: "Sie müssen auf gepflügten Äckern angebaut und bewässert, sie müssen transportiert und verarbeitet werden (...). Auch hier kommt es zu einem beträchtlichen Energie- und Stoffdurchsatz" (Hinterberger/Welfens 1996, 27: s. auch Schmidt-Bleek 1994, 166). Insbesondere bei landwirtschaftlich hergestellten Ressourcen sind Erosion und andere Erdmassenbewegungen Faktoren von höchster ökologischer Relevanz und müssen bei der Abschätzung der Nachhaltigkeit der Nutzung dieser Ressourcen berücksichtigt werden. Schon die Berücksichtigung von Erosion im Rahmen des MI-Ansatzes macht deutlich, daß erneuerbare Ressourcen bereits in unverarbeiteter Form Materialintensitäten haben, die in der Größenordnung mit MI-Werten von Kunststoffen oder sekundär erzeugten Metallen vergleichbar sind (Schmidt-Bleek 1996, 28). Jedenfalls macht diese Betrachtung sehr deutlich, daß die Ressourcenproduktivität auch bei erneuerbaren Ressourcen berücksichtigt werden muß und daß diese Ressourcen in der Tat nicht zum "ökologischen Nulltarif" zu haben sind, auch nicht bei nachhaltiger Bewirtschaftung. Berücksichtigt man Erosion und Bodenbewegungen, zeigt sich, daß die Ressourcenproduktivität vieler landwirtschaftlicher Produkte heute durchschnittlich keine höheren Werte als nichterneuerbare Ressourcen erreicht, insbesondere dann, wenn der MI der Weiterverarbeitung berücksichtigt wird (Schmidt-Bleek 1996, 29, s. auch 36). Mechanische Bodenbearbeitung ist ein erheblicher Eingriff in die ökologische Funktion des Bodens und ist in der Bundesrepublik, wo über 70% der Fläche land- oder forstwirtschaftlich genutzt werden, ein wichtiger Aspekt der Umweltfolgen wirtschaftlicher Aktivitäten und müsse deshalb, so Schmidt-Bleek (1996, 30, Fn. 16), "zumindest ein vergleichbares Umweltbelastungspotential unterstellt werden wie auf der qualitativen Seite, also etwa toxische Wirkungen bei der Anwendung von Pestiziden."
8.2.4. Das Problem des implicit theorizing
"(V)ery misleading conclusions may be drawn if the investigator forgets that he deals with a composite of resources, and that an increase in rates of use from the composite may be perfectly compatible with a decrease in the contribution by one or even several of the components."
(Ciriacy-Wantrup 1952, 55)
Duchin (1996b, 286) betont die Notwendigkeit zur Bewertung verschiedener Entwicklungsstrategien – dabei müsse Theorie auch quantitative Berechnungen ermöglichen, da die Tradeoffs zwischen Strategien empirische Analyse erforderten und nicht nur die Anwendung abstrakter Grundsätze. In ihrer Auseinandersetzung mit Dalys ökologischer Makroökonomik vertritt Duchin (1996b, 289) die Auffassung, daß "[r]ather than providing a conceptual framework for analyzing the underlying reality, Daly as theorist is putting the burden of interpreting what scale really means in any concrete situation on the empirical analyst." Duchins Kritik bezieht sich nicht lediglich auf den Inhalt von Dalys Ansatz, sondern auch auf seinen methodologischen Stil. Leontiefs (1966) Kritik des "implicit theorizing" und der Verwendung nichtoperationaler Theorien (die zuerst dem Keynesianismus galt und später auch gegen die Neoklassik gerichtet wurde [Leontief 1971]), so Duchin (1996b, 289), ließe sich auch auf Dalys ökologische Makroökonomik anwenden: "Leontief would call Daly's concept of scale a 'theoretical index number' (...). It is an evocative metaphor, a short-cut discription of a complex reality. But scale (like affluence or technology in the IPAT equation) is not an operational variable" (meine Hervorhebung). In diesem Sinne ist MI gewiß eine "short-cut discription of a complex reality". Indexzahlen sind für Leontief (1966, 68) "the typical form in which so many an implicit concept enters economic theory".
In ähnlicher Hinsicht ist auch der MI als ökologisches Konzept eine problematische Größe, weil dadurch, daß keine Differenzierungen zwischen verschiedenen Stoffströmen vorgenommen werden (also keine ausdrückliche Gewichtung stattfindet), eine implizite Gewichtung heterogener Ströme vorgenommen wird. Dies verweist auf den wichtigsten Kritikpunkt an diesem Konzept, nämlich der Unterschlagung unterschiedlicher ökologischer Qualitäten von Stoffströmen. Diese Eigenschaft ist von entscheidender Bedeutung für die ökologische Bedeutsamkeit des Scale. Allein die im Rahmen der Forderung nach Sustainable Development fundamentale Unterscheidung zwischen erneuerbaren und nichterneuerbaren Ressourcen erfordert eine Differenzierung und damit Dissaggregation des MI-Indikators. Die Differenzierung in fünf MI-Kategorien berücksichtigt diesen Unterschied. Nicht berücksichtigt werden allerdings nach wie vor die qualitativen Unterschiede zwischen verschiedenen Stoffen. Eine zu tiefe Differenzierung würde das Konzept aber offensichtlich in Frage stellen – es gilt, in Zukunft einen praktikablen Mittelweg zu finden. Innerhalb eines Kontinuums zwischen der Mega-Kategorie "MI" und der üblichen Einzelstoffbetrachtung muß diese Lösung aber eindeutig in der Nähe des MI bleiben, um seine hier erläuterte Relevanz nicht zu verlieren. Offensichtlich bedarf die MI-Analyse der Weiterentwicklung, und zwar sowohl im Hinblick auf umfassendere "Konten" für mehrere Länder als auch – ganz besonders – bezüglich der qualitativen Differenzierung und angemessener Gewichtungskriterien (s. auch Adriaanse et al. 1997, 19f.). Dennoch ist klar, daß die in den letzten Jahren erzielten Fortschritte dazu geführt haben, daß der Scale der Wirtschaft eine relativ zuverlässig abschätzbare Größe ist. Klar ist darüber hinaus, daß es sich beim Scale – trotz aller Einschränkungen v.a. im Hinblick auf die Qualität der Stoffströme und den Flächenverbrauch – um eine ökologisch relevante Größe handelt. Um die Frage zu beantworten, ob ein Steady-State und also ein stabilisierter Scale Grundlage ökologischer Nachhaltigkeit sein kann, muß diese ökologische Dimension im Hinblick auf den begrenzenden Charakter der natürlichen Umwelt, die damit verbundenen Wissensprobleme und den adäquaten Umgang mit diesen Problemen eingehender erörtert werden.
8.3. "Ökologisches Gleichgewicht", Wachstumsgrenzen und Wissensprobleme
8.3.1. Ökologisches Gleichgewicht, Stabilität und Resilienz
Intakte natürliche Systeme "include mechanisms of self-maintenance and self-regulation that, in some cases, produce a relatively stable balance or dynamic equilibrium. (...) Ecologists conceive of the biosphere as an open system in a steady state that is driven by the fairly constant input of energy from the sun and in which a finite stock of material is constantly recycled. (...) The biosphere is a dynamic and open steady-state system; ecosystems always contain the latent capacity to change in response to external or internal perturbations" (Ophuls/Boyan 1992, 24f., 30) – was heißt dies für die ökologische Relevanz eines Konzepts, das einen Steady-State der anthropogenen Stoffströme anstrebt? Ökologische Kreisläufe sind "cybernetically self-governed, dynamically maintaining a steady state condition of indefinite duration" (Commoner 1972, 31; meine Hervorhebung). In der Ökologie bezeichnet Steady State ein Flußgleichgewicht, bei dem Zu- und Abflüsse sich die Waage halten (Odum 1991, 144f.). Der Entwicklungsprozeß von Ökosystemen führt zu einem "steady-state maximum as the ecological structure reaches such size and complexity that all captured energy is used for operation of the biological processes and maintenance of the biological structure. This steady-state system is called the climax ecosystem" (Hannon et al. 1993, 254; meine Hervorhebungen). Hier läuft ein Prozeß also auf einen Endpunkt zu, ab dem nur noch "Bestandserhaltung", aber kein Wachstum mehr stattfindet. Stationarität und Gleichgewicht spielen auch in der Thermodynamik eine Rolle: Wenn im Inneren eines offenen Systems die Zunahme von Entropie durch den Zufluß an niedriger Entropie kompensiert wird, sich die Gesamtentropie also nicht verändert, wird dies als stationärer Zustand bzw. Steady-State bezeichnet – Bertalanffy nennt diesen Zustand Fließgleichgewicht (M. Binswanger 1992, 61). M. Binswanger (1992, 62) betont, daß dieser Gleichgewichtsbegriff "keinesfalls mit dem thermodynamischen Gleichgewicht verwechselt werden (darf). Das Fliessgleichgewicht (oder Steady State) beschreibt die Erhaltung des Systems auf einem bestimmten Entropieniveau und entspricht tatsächlich einem thermodynamischen Ungleichgewicht" (meine Hervorhebung; s. auch 1994, 163; Georgescu-Roegen 1976a, 23; Khalil 1990, 165). Der stationäre Zustand ist in diesem Kontext also nicht mit Stabilität zu verwechseln, denn: "Beim Überschreiten eines kritischen Wertes in einer bestimmten Entfernung des Systems vom stationären Zustand kann sich ein qualitativ völlig neuer Zustand herausbilden. Es entstehen neue stationäre Zustände, die weiter vom thermodynamischen Gleichgewicht entfernt sind" (M. Binswanger 1994, 165).
Von Daly und auch von anderen Autoren wird der Steady-State immer wieder auch als (dynamisches und/oder ökologisches) Gleichgewicht bezeichnet (s. z.B. Pearce 1973, 267; Randers/Meadows 1973, 301; Renshaw 1976, 231). Für Ophuls/Boyan (1992, 15) beispielsweise ist eine Steady-State-Gesellschaft "one that has achieved a basic, long-term balance between the demands of a population and the environment that supplies its wants", für sie sind Steady-State-Society, Stationary-State-Society und Equlibrium Society synonyme Begriffe. Douthwaite (1992, 286) meint gar, daß "(t)he only sustainable society is one in which all forces are in equilibrium and consequently, while there will be constant change as births replace deaths and buildings decay and are rebuilt, there will be no movement in any direction" (meine Hervorhebung). Deshalb sei eine nachhaltige Gesellschaft nur in einem Steady-State verwirklichbar. Im ökologischen Diskurs der 1970er wird oft auf das Ziel eines ökologischen Gleichgewichts rekurriert (s. z.B. Harte/Socolow 1971; Meadows et al. 1990; Pearce 1973; Randers/Meadows 1973, 301f.; Watt et al. 1977, 44). In einer der bekanntesten Studien dieser Zeit – dem Blueprint for Survival – heißt es beispielsweise: "We depend for our survival on the predictability of ecological processes. (...) Fortunately, ecological processes are predictable (...). (...) By stability is meant the ability to return to the original position after any change – and hence the predictability – instead of being forced into a totally different pattern" (Goldsmith et al. 1972, 8f.). Die Stable Society ist das wichtigste Ziel des Blueprint, und hierin ist er repräsentativ für eine Reihe ähnlicher Arbeiten.
Heilbroner/Allentuck (1972, 205) halten die "tendency to identify a stationary state as a necessary or sufficient condition for ecological balance" für überaus problematisch. Sie schließen aus ihrer Analyse des Zusammenhangs zwischen Stationarität und ökologischem Gleichgewicht, daß "a stationary state does not by itself assure even the most easily attained ecological balance, while it may be excessively restrictive for most kinds of ecological balance. The quality of ecological balance which can be achieved, if any can be achieved at all, depends on technical innovation and on the difference between the socially stabilized level of population and that which would have been imposed by environmental resistance" (Heilbroner/Allentuck 1972, 211). Die Gleichsetzung von Steady-State, Gleichgewicht und Nachhaltigkeit ist in der Tat problematisch.
Die natürliche Umwelt hat die Eigenschaft, (anthropogene) Belastungen gleichsam abzufedern, was aber nicht mit Stabilität zu verwechseln ist: "Unter dem Begriff der Belastbarkeit ist im Unterschied zur Stabilität die Befähigung eines Ökosystems zu verstehen, einen bestimmten Grad an Belastungen zu tolerieren, ohne daß seine systemimmanenten oder vom Menschen geschaffenen Strukturen und Funktionen verändert werden" (SRU 1994, Rdnr. 103; mit Referenz zu Guderian und Braun; s. auch Abschnitt 4.2.3.). Die natürliche Umwelt als selbstorganisierendes und evolvierendes System befindet sich folglich nicht in einem determinierten Stabilitätszustand, sondern ist durch sich ständig neue einstellende Fließgleichgewichte gekennzeichnet (SRU 1994, Rdnr. 10). Resilienz und Gleichgewicht hängen eng zusammen, sind aber nicht als "Stabilität" der Natur mißzuverstehen. Es kann unter unterschiedlichen Bedingungen verschiedene Gleichgewichte geben, die nicht notwendigerweise mit den biologischen Eigenschaften des Menschen "zusammenpassen". Im Lichte neuerer naturwissenschaftlicher Erkenntnisse erscheinen natürliche Prozesse als "nonrepeatable, fleeting events within an ever-changing, ever-developing, 'open' system" (Norton 1992, 31; s. auch Enquete-Kommission 1994, 53). Die Vorstellung einer "Stabilität" der Natur wird damit zur Illusion und steht geradezu im Widerspruch zur Zielsetzung der Resilienz: "(S)ustainability captures the idea of stability, but only in a long-term perspective. The idea that an ecosystem should also exhibit a short-term stability is in contrast with the morphogenetic nature of ecosystems. (...) (A)ll systems of earth are developing, a policy aimed at a short-term stability of an ecosystem might endanger a long-term sustainability of this system, as its capacity for resilience with respect to other systems might decline" (Nijkamp/Soeteman 1988, 96). Planmäßige Eingriffe in die Natur können folglich auf Kosten der Resilienz gehen: "Management directed at minimizing the variance of some target variable has a Holling-stability goal. But (...) there is overwhelming evidence that historical attempts to stabilize ecosystems in this sense, while frequently successful in terms of the short run variance of the target variable, have led to qualitative changes in the nature of the wider system – often with adverse implications for the resilience of that wider system" (Common/Perrings 1992, 18, mit Bezug zu Holling).
Gleichwohl spielen Vorstellungen von Gleichgewicht und Stabilität im Diskurs über Sustainable Development eine wichtige Rolle, und zwar im normativen Sinne. Dies mag daran liegen, daß die Begriffe Gleichgewicht und Stabilität "eine hohe psychologische Attraktivität (genießen), weil sie offenbar der Sehnsucht des Menschen nach einem festen Haltepunkt entgegenkommen" (SRU 1994, Rdnr. 100). Damit enthalten diese Begriffe auch eine "versteckte normative Komponente" (SRU 1994, Rdnr. 100), wenn sie nicht in den Kontext des gemeinten ökologischen Bezugssystems und des Zeithorizonts gestellt werden. Normative Komponenten hat auch der ökonomische Gleichgewichtsbegriff, wie Machlup (1963b, 59) kritisch anmerkt: "Equilibrium is not a Good Thing, and disequilibrium is not a Bad Thing. Nor is the reverse association justified: equilibrium stands neither for the status quo nor for laissez faire, as some dissident economists have been inclined to think. (...) (I)f a sad situation is disliked and deemed intolerable, to call it disequilibrium on that account helps neither in analysing it nor in developing the best policy for improving it" (kursiv von ihm). Dennoch wird "Gleichgewicht" auch in der Ökonomik oft als normativer Begriff verwendet, Machlup (1963b, 60ff.) spricht hier von "disguised politics". "Verkleidete Politik" in diesem Sinne ist auch im Diskurs über Sustainable Development zu beobachten, wo Begriffe wie Stabilität, Gleichgewicht, Evolution und Diversität immer wieder scheinbar "kontextfrei" verwendet werden, ohne den impliziten Bezug zu sozioökonomischen Werten und Interessen herzustellen. Altvater/Mahnkopf (1996, 504) beispielsweise stellen in einem Abschnitt über die unbestreitbaren Umweltfolgen der wirtschaftlichen Globalisierung fest: "Ein Zusammenbruch der Evolution ist nicht mehr ausgeschlossen, noch bevor das letzte Barrel Öl aus der Erde geholt worden ist." Evolution als natürlicher Entwicklungsprozeß kann aber nicht zusammenbrechen. Was in der Tat "passieren" kann, ist ein Evolutionsprozeß, in dessen Verlauf menschliche (Über-)Lebensbedingungen so geschädigt werden, daß Menschen auf der Erde nicht mehr existenzfähig sind. Dies bedeutet aber kein Ende der Evolution, es sei denn, man folgt einem gleichsam "normativen Evolutionsbegriff". Die Evolution würde auch stattfinden, wenn es keine Menschen mehr gäbe, ebenso wie die Evolution vor dem Entstehen des Menschen voranging.
Der SRU (1994, Rdnr. 26*) betont, daß Ziele hinsichtlich der anzustrebenden Umweltqualität sich nicht allein aus naturwissenschaftlichen Ergebnissen ableiten lassen. "Denn nach wie vor bleibt die nur durch Einführung expliziter Werturteile zu entscheidende Frage, welche Natur eigentlich die umweltpolitisch zu schützende sei" (meine Hervorhebung; s. auch BUND/Misereor 1996, 54). Umweltqualitätsziele sind nach Auffassung des SRU (1996, Rdnr. 727) notwendig, um Umweltstandards abzuleiten, also "quantitative Festlegungen zur Begrenzung verschiedener Arten von anthropogenen Einwirkungen auf den Menschen und/oder die Umwelt" (s. auch Lippold 1997, 153). Schon die Bildung von Indikatoren erfordert normative Entscheidungen: "Sowohl die Setzung nicht empirisch bestimmbarer Wichtungsfaktoren als auch die Auswahl, welche empirisch bestimmbaren Merkmale zu Indikatoren aggregiert werden sind normative Grundsatzentscheidungen, die letztlich nicht wissenschaftlich, sondern politisch begründet werden müssen, auf denen aber die gesamte weitere Kalkulation aufbaut" (Spangenberg 1996, 208; meine Hervorhebungen). Daß die "gesamte weitere Kalkulation" auf normativ-politischen Entscheidungen und eben nicht auf wissenschaftlich entscheidbaren Positivitäten aufbaut, hat fundamentale Konsequenzen auch für den Beitrag der Ökonomik zu diesem Problembereich. Die Vorläufigkeit von Aussagen sollte deshalb ebenso offengelegt werden wie deren normativer Gehalt (Wink 1996, 450). Wenn aber normative Probleme in der Bestimmung des Verhältnisses von Umwelt und Anthroposphäre eine so große Rolle spielen, stellt sich die Frage, ob es so etwas wie natürliche Wachstumsgrenzen überhaupt geben kann.
8.3.2. Kann "die Natur" Grenzen setzen?
Zur Beantwortung der ökologischen Frage, so Huber (1995, 72f.), können wir "nicht irgendeinen konkret-historischen, stets im Fluß befindlichen Naturzustand als den maßgeblichen heranziehen. (...) Ökologische Stabilität bleibt als allgemeingültiger Begriff genauso unbestimmbar wie zum Beispiel die Gesundheit eines Organismus und wird näher bestimmbar immer nur im Handlungskontext empirisch konkreter und raum-zeitlich genau abgegrenzter Einzelaspekte von Einzelfällen. (...) Was bleibt, ist ein wissenschaftlich mehr oder minder begründeter Common Sense, der zu gewissen gemeinsam geteilten Einstellungen führt" (seine Hervorhebung). So wie die Natur und deren Wahrnehmung historischen Wandlungen unterworfen sind, sind auch Begriffe wie Stabilität oder Gleichgewicht in diesem Sinne kontingent: "In der Geschichte finden wir keine stabilen Ursprünge, sondern einen endlosen Ablauf von Prozessen, in denen letztlich alles in Fluß gerät. Dies gilt nicht nur für die bewegte Geschichte politischer Ereignisse, gesellschaftlicher Verhältnisse oder kultureller Formationen, sondern auch für Elemente der Natur, für Ökosysteme oder für Landschaften. Das Maß der Stabilität oder Wandelbarkeit hängt von den Zeiträumen ab, die der Betrachter ins Visier nimmt" (Sieferle 1997, 12; meine Hervorhebung). Darüber hinaus hängt die Wahrnehmung der Umwelt als intakt "stets von den spezifischen Bedürfnissen und Interessen desjenigen ab, der diesen Lebensraum als seine Umwelt betrachtet und nutzen will" (SRU 1994, Rdnr. 91). Neben dieser historischen Dimension muß berücksichtigt werden, daß Umweltwahrnehmung in erheblichem Maße eine Frage gesellschaftlicher Kontexte und insbesondere der Ausgestaltung gesellschaftlicher Institutionen ist (Zein-Elabdin 1996, 933ff.). Daß die Wahrnehmung von Umweltproblemen durch gesellschaftliche und politische Prozesse wesentlich geprägt ist, haben im Kontext der deutschen Diskussion nicht zuletzt Becks (1986) Risikogesellschaft und Luhmanns (1990) Ökologische Kommunikation gezeigt.
Dennoch: Der "unverbildete menschliche Verstand" sieht "in den Beschränkungen, die eine 'gegebene' physische Umgebung der menschlichen Tätigkeit auferlegt, etwas ungemein Zwingendes" (Schumpeter 1965, 335). Mit dieser intuitiven Plausibilität hängt sicher auch die Vehemenz zusammen, mit der einige Wissenschaftler für einen stationären Zustand plädieren. "Die Warner vor den Grenzen des Wachstums haben einen Begriff von Natur als endlicher Größe, an die der sich Mensch anzupassen hat, und rufen deshalb zur Selbstbeschränkung auf, indem sie an die Vernunft oder nicht selten auch religiös motivierten Verzicht appellieren" (Mertens 1993, 142; meine Hervorhebung). (86) Proponenten einer Scale-Reduktion wie Schmidt-Bleek (1994, 28f.) gehen von natürlichen Grenzen aus, die nicht überschritten werden dürfen: "Es geht um die Entwicklung einer Wirtschaftspolitik, die uns den größtmöglichen Spielraum zur Entfaltung und Mehrung von Wohlstand im Rahmen der von der Natur gesetzten Grenzen gewährt" (meine Hervorhebung). Daly (1996a, 219) spricht gar von "scientifically verifiable limits of the natural world" (s. auch Ophuls/Boyan 1992, 14). Es sei notwendig, "to shift the emphasis toward ecological adaptation, that is, to accept natural limits to the size and dominion of the human household, to concentrate on moral growth and qualitative improvement rather than on the quantitative imperialist expansion of man's dominion" (Daly 1991b, 12). Wenn aber schon Gleichgewicht und Stabilität äußerst problematische Begriffe sind – ist dann die Annahme solcher Grenzen plausibel?
Nicht nur die "Schönheit der Natur" ist ein äußerst relativer Begriff, weshalb über die ästhetische Qualität einer zu schützenden Umwelt kaum Konsens zu erzielen ist (s. auch Abschnitt 4.4.). Diese Kontingenz gilt auch für andere Eigenschaften der Umwelt, über die nicht durch den Rekurs auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse "entschieden" werden kann. Begriffe wie Natur und Zivilisation haben in unterschiedlichen Kulturen gewiß unterschiedliche Bedeutungen (Redclift/Woodgate 1994, 60), und dies gilt auch für Begriffe wie Umwelt und Ressourcen. Die Umwelt hat sich (von regionalen Unterschieden einmal abgesehen) buchstäblich seit Menschengedenken verändert – mit und ohne Zutun des Menschen –, ebenso wie die Bedeutung des Begriffs selbst. Auch Carrying Capacity-Berechnungen können nicht auf naturwissenschaftliche Fragestellungen beschränkt werden, weil Bewertungen Grundlage schon der Kalkulationsmethoden sein müssen: "For human beings we cannot speak of carrying capacity in terms of population alone, but we must specify some average level of per capita consumption ('standard of living'), and some degree of inequality in the distribution of individual consumption levels around that average, and some given level or range of technology" (Daly/Cobb 1994, 136; s. auch Farber 1995, 107). Sagoff (1995, 618) stellt aus diesem Grund das Konzept der Carrying Capacity selbst in Frage und meint, daß "the so-called carrying capacity of the earth for human beings is not a scientific concept and cannot be measured by biologists. It is an elastic notion and depends on social, economic, technological, and cultural progress and practices."
Auf den Umstand, daß Carrying Capacity im Hinblick auf anthropogene Nutzungen problematisch ist, hat ("in view of the recent spread of the neo-Malthusian doctrine") schon früh Ciriacy-Wantrup (1952, 29) hingewiesen: "Land is a physically given constant for a deer herd. Here it is sound ecological reasoning to compute 'carrying capacities' and to strive for an adjustment of size of herd to these limits. The same reasoning applied to human populations overlooks that land and other resources are interdependent variables in the ends-means scheme. Which are regarded as dependend and which as independent variables, which ones are held constant and which are varied in a partial analysis, is not determined by some fixed physical characteristic of a resource but by the objectives of the study" (meine Hervorhebungen). Die Tragekapazität der Umwelt kann im Hinblick auf Nutzungen durch den Menschen mithin nicht ohne die Berücksichtigung von Zielen wirtschaftlicher Handlungen kalkuliert werden, und damit hängt die Frage der Wachstumsgrenzen – wie schon die Frage nach relevanten Zeiträumen – von der Idee des guten Lebens ab: "The issue of limits must be restated in terms of the cultural carrying capacity of a territory for human beings, living the sort of life they want to live (which is, of course, a matter of opinion)" (Hardin 1991, 55; seine Hervorhebung)
Im gewissen Sinne sind Ressourcen kulturelle Artefakte, die zunächst einmal als solche definiert werden müssen, bevor sie als nützlich oder wertvoll angesehen werden (s. auch Enama 1994). "A resource (...) is a highly relative concept changing with the ends-means scheme – that is, with the planning agent, with his objective, with the state of technology, and with existing social institutions. (...) 'Exhaustible' and 'inexhaustible' are concepts that are meaningful only if employed in the economic sense" (Ciriacy-Wantrup 1952, 28, 33). In der Tat war z.B. Petroleum keine Ressource, bevor es entdeckt war und ökonomisch nutzbar gemacht werden konnte (Watt et al. 1977, 17). Die Produktionsfaktoren selbst "existieren" erst, seit sie ökonomisch bedeutsam und wissenschaftlich konzeptualisiert wurden. Laut Heilbroner (1986, 27f.) konnte die Welt bis zum 16./17. Jahrhundert gar nicht "envisage the market system for the thoroughly sound reason that Land, Labor, and Capital - the basic agents of production which the market system allocates - did not yet exist" (meine Hervorhebungen). Die Frage ist freilich, ob aus der "Relativität" der Umwelt in diesem Sinne auf eine Nicht-Existenz "natürlicher" Wachstumsgrenzen geschlossen werden kann, wie dies Barnett/Morse (1963, 7) tun, die darauf hinweisen, daß "(r)esources can only be defined in terms of known technology. (...) The notion of an absolute limit to natural resource availability is untenable when the definition of resources changes drastically and unpredictable over time." Barnett/Morse (1963, 46) zitieren Zimmermans Aussage, daß "(r)esources are highly dynamic functional concepts; they are not, they become, they evolve out of the triune interaction of nature, man and culture, in which nature sets outer limits, but man, and culture are largely responsible for the portion of physical totality that is made available for human use. (...) The problem of resource adequacy for the ages to come will involve human wisdom more than limits set by nature" (seine Hervorhebung; s. auch Mokyr 1990, 297; Beckerman 1974, 230).
Aus all dem folgt dennoch, daß "(t)here is nothing 'natural' about natural resources to begin with – this property is socially determined in any given environment" (Redclift 1987, 46). Folglich gibt es nicht "die Natur", sondern gewissermaßen mehrere "Naturen", und "such natures are historically, geographically and culturally constituted. Hence there are no natural limits as such, but each depends on particular historical and geographical determinations, as well as on the very processes by which 'nature' is culturally constructed and sustained, particularly by reference to the 'other'. (...) And the project of determining what is a natural impact becomes as much a social and cultural project as it is 'purely' scientific" (Macnaghten/Urry 1995, 207f.). Auch für Norgaard (1995, 130) existieren natürliche Wachstumsgrenzen nur als Metapher: "From a co-evolutionary perspective, there are no limits. (...) The metaphor of limits says that if we 'control' ourselves more and nature less, living within nature's bounds, we will have a greater chance of survival." Norgaards (1994, 213) Kritik an Daly ist denn auch nicht zuletzt eine rhetorische: "Daly, in effect, is presenting steady state and limits metaphors because he sees no other way to implement environmental management within existing understanding and institutions which have coevolved around these understandings" (meine Hervorhebung). Hierin sei Daly absolut im Recht, aber die Annahme objektiver Wachstumsgrenzen sei überaus problematisch.
Norgaard (1994, 75ff.) kritisiert zwei "maladaptive determinisms", die aus seiner Sicht die Diskussion über das Verhältnis von Mensch und Umwelt bestimmt haben: Umweltdeterminismus und Kulturdeterminismus. Umweltdeterministen gehen, so Norgaard, von einer gegebenen Umwelt aus, an die sich der Mensch anzupassen hat. Kulturdeterministen dagegen betonen die Erfolge des Menschen, sich mit technischen Hilfsmitteln die Umwelt anzueignen. Folglich haben Kulturdeterministen mehr Vertrauen in gesellschaftlichen Fortschritt als die Umweltdeterministen. Insofern entspricht Norgaards Einteilung der Grenzlinie zwischen technologischen Optimisten (Kulturdeterministen) und Pessimisten (Umweltdeterministen). Dazu paßt auch, daß Norgaard (1994, 209f.) Malthus, Ricardo und Jevons' Coal Question sowie die Meadows' dem Umweltdeterminismus zuordnet, und Barnett/Morse und Beckerman als Vertreter des Kulturdeterminismus ansieht. Aus Norgaards (1994, 78) koevolutionärer Perspektive sind beide Sichtweisen einer komplexen Welt nicht angemessen, weil "(n)either school of thought recognizes and emphasizes the complex maze of reciprocal causation between environment and culture." Die gegenseitige Beeinflussung von Umwelt und Kultur – ihre Koevolution – müsse aber berücksichtigt werden, um zu einem angemessenen Bild der Mensch-Umwelt-Interaktion zu kommen (s. auch Abschnitt 4.2.).
Innerhalb des Umweltdeterminismus, so Norgaard (1994, 79, 209ff.), könne zwischen mechanistischem und entropischem Determinismus unterschieden werden. Mechanistischer Determinismus wurzele in einer atomistisch-mechanistischen Interpretation der Natur, während entropischer Determinismus aus einer Fehlinterpretation des Entropiegesetzes folge. Mechanistischer Determinismus gehe von identifizierbaren Grenzen, Schwellen und Systemzuständen aus. Manche Umweltdeterministen, so Norgaard (1994, 212), "premise their position on the belief that environmental systems have identifiable limits, thresholds, or system states which can be identified and which if exceeded will entail consequences which no right-minded person or society would wish upon themselves or their heirs. (...) Adherents to this view will also admit that we cannot know the system perfectly hence margins of error are appropriate. To believe in limits is to presume that environmental systems are composed of unchanging parts in fixed relations, to posit that they are basically mechanical in nature, but with thresholds or break points beyond which their continued benevolent operation can no longer be assured." Diese Sichtweise, die die Umwelt als System von stabilen Teilen und bestimmten Relationen sehe, führe oft zu der Maxime: "Define the rules and let's get on with the game" (Norgaard 1994, 212). Hier wird erneut deutlich, daß aus der koevolutionären Perspektive, die diese mechanistische Sichtweise zurückweist, die Bestimmung von "Nachhaltigkeitsregeln" ein äußerst problematisches Unterfangen ist. Auch Dalys Auffassung, daß der Material- und Energiedurchsatz gesenkt werden muß, ist aus dieser Sicht problematisch.
Norgaard (1994, 212) konzediert, Daly habe mit seinem Insistieren auf der Unmöglichkeit unendlichen Wachstums einen wichtigen Beitrag geleistet – er habe aber auch "popularized the term 'steady-state economy' with its connotations of a machine running in equilibrium. (...) His analogies to steady-state systems and to plimsoll lines are static limits which presumably can be determined by objective environmental criteria" (meine Hervorhebung). Freilich sehe auch Daly, daß ökologische Systeme kaum bestimmte Schwellenwerte haben, bei deren Überschreitung sie vollständig zusammenbrechen. Es sei einfach, Daly darin zuzustimmen, daß die Umweltnutzung auf heutigem Niveau nicht aufrechterhaltbar sei. Norgaard (1994, 213) fürchtet aber, daß Dalys "treatment of ecosystem as something that can be objectively defined apart from people and from which a fixed amount can be used in any time period is an inadequate model from which to derive policy." Insofern sei auch Georgescu-Roegens Kritik an Daly berechtigt. In der Tat trifft sich hier Norgaards Kritik mit derjenigen, die Georgescu-Roegen schon in den 1970er Jahren geäußert hat. Auch Georgescu-Roegens Steady-State-Kritik hängt eng mit der Kritik am mechanistischen Paradigma der Mainstream-Ökonomik zusammen. Für Georgescu-Roegen (1977c, 266f.) sind alle Steady-State-Vorstellungen, von der Klassik über die Neoklassik bis zu Daly, mechanistisch. (87)
Georgescu-Roegen (1976a, 5) weist auf den kumulativen Charakter menschlicher Naturnutzung hin, die auch durch Stationarität nicht zu umgehen sei: "The myth is that a stationary world, a zero-growth population, will put an end to the ecological conflict of mankind." Kein Wirtschaftssystem könne ohne einen kontinuierlichen Input von Energie und Material überleben und es könne niemals ein geschlossener Steady-State sein (Georgescu-Roegen 1977c, 269). Konsequent zuende gedacht, führt die Kritik der ökonomischen Kreislaufbetrachtung, die von so entscheidender Bedeutung für Dalys Argumentation ist, auch zu einer Kritik des Steady-State. Georgescu-Roegen (1976a, 4) betont, daß "the economic process is not an isolated, self-sustaining process. This process cannot go on without a continuous exchange which alters the environment in a cumulative way" (meine Hervorhebungen).
Georgescu-Roegen kritisiert das Steady-State-Paradigma als "myth of ecological salvation (...). The crucial error consists in not seeing that not only growth, but also a zero-growth state, nay, even a declining state which does not converge toward annihilation, cannot exist forever in a finite environment. (...) (C)ontrary to what some advocates of the stationary state claim [Referenz u.a. zu Daly], this state does not occupy a privileged position vis-à-vis physical laws" (Georgescu-Roegen 1976a, 23). Mit einer einfachen, an die IPAT-Formel erinnernden Rechnung, zeigt Georgescu-Roegen (1976a, 23) die Begrenztheit auch einer stationären Existenz (S = Ressourcen; Pi = Bevölkerung; si = Pro-Kopf-Ressourcenverbrauch; i = Jahr; L = kumulierte Leben). Hiermit ließe sich die maximale Lebenszeit der menschlichen Spezies berechnen (sic). Darüber hinaus gelte es, die Carrying Capacity zu berücksichtigen, die von einer Reihe von Faktoren (u.a. si) abhänge: "This capacity sets a limit on any single Pi. But this limit does not render the other limits, of L and n, superfluous. It is therefore inexact to argue – as the Meadows group seems to do [Referenz zu Meadows et al. 1990] – that the stationary state can go on forever as long as Pi does not exceed that capacity. The proponents of salvation through the stationary state must admit that such a state can have only a finite duration" (Georgescu-Roegen 1976a, 23; kursiv von ihm). Außerdem, so Georgescu-Roegen (1976a, 24), "a world with a stationary population would (...) be continually forced to change its technology as well as its mode of life in response to the inevitable decrease of resource accessibility" – hier fällt ein wesentlicher Bestandteil von Dalys voranalytischer Vision, nämlich der entropische Charakter wirtschaftlicher Aktivitäten, als Gegenargument auf ihn zurück. Und in der Tat führt die Gerichtetheit des Wirtschaftsprozesses dazu, daß kein Steady-State wie der andere sein kann: Die irreversible Veränderung des Zustands von Quellen und Senken läßt sich auch durch stationäres Wirtschaften nicht umgehen.
Es ist schlicht die Endlichkeit der Existenz der Menschheit, die Georgescu-Roegen (1971, 296) betont, wenn er darauf hinweist, daß "even with a constant population and a constant flow per capita of mined resources, mankind's dowry will ultimately be exhausted if the career of the human species is not brought to an end earlier by other factors" (seine Hervorhebung). Georgescu-Roegen weist letztlich nur nach, daß ein Steady-State eine unbegrenzte Existenz des Menschen auf der Erde nicht sicherstellt – wahrlich ein triviales Ergebnis. Georgescu-Roegens (1976a, 24) "reasons against believing that mankind can live in a perpetual stationary state", enthalten jedenfalls keine Erkenntnisse, die gegen einen Steady-State sprechen. Aus Georgescu-Roegens Sicht ist die Menschheit dem Untergang geweiht, und eben dadurch wird Georgescu-Roegens Kritik trivial: Niemand behauptet, die Menschheit könne ewig existieren.
Während aus Norgaards Sicht also Daly dem mechanistischen Determinismus huldigt, sitzt Georgescu-Roegen einen anderen Determinismus auf, nämlich dem entropischen. Entropischer Determinismus, der zu einer pessimistischen Zukunftsperspektive und damit einer Ablehnung eines umfassenden Fortschrittsglaubens führt, beruht aus Norgaards Sicht auf einer Fehlinterpretation der Thermodynamik. Diese Kritik trifft selbstverständlich nicht nur Georgescu-Roegen, sondern auch andere Vertreter der "thermodynamischen Schule" und damit auch Daly, der sich, wie gezeigt, äußert stark an Georgescu-Roegen orientiert. Der entscheidende Fehler des entropischen Determinismus liegt für Norgaard (1994, 216) in der Übertragung eines für geschlossene Systeme geltenden Naturgesetzes auf offene Systeme. Was Norgaard damit meint, ist die Nichtübertragbarkeit eines für isolierte Systeme geltenden Gesetzes auf ein geschlossenes System, nämlich die Erde. Nur wenn es den energetischen Input der Sonneneinstrahlung nicht gäbe, würde der zweite Hauptsatz der Thermodynamik für die Erde gelten: "The argument of the alarmists might then be redirected solely to the problem of the use of stock resources" (Norgaard 1994, 216).
Abgesehen davon, daß die Nutzung dieser Ressourcen seit der industriellen Revolution in der Tat eine entscheidende Determinante des Mensch-Umwelt-Verhältnisses ist: Norgaard ist grundsätzlich entgegenzuhalten, daß die Annahme natürlicher Grenzen anthropogener Expansion eben nicht notwendigerweise mit dem mechanistischen Glauben einhergeht, Belastungsgrenzen bestimmen und Stoffströme kontrollieren zu können. Es gibt "Grenzen des Wachstums", aber wo diese liegen, ist menschlichem Wissen nicht zugänglich. Genau deshalb ist eine "soziale Konstruktion" ökologischer Grenzen erforderlich: Ein sozialer Konsens über eine Reduzierung des Umweltverbrauchs dient dazu, ein Überschreiten der Grenzen und damit "ökologische Überraschungen" zu verhindern. Es ist daher nicht sinnvoll, im Sinne eines "naiven Realismus" von objektiv feststellbaren Wachstumsgrenzen auszugehen. Ebensowenig ist es nützlich, in dekonstruktivistischer Manier das Kind "ökologische Belastungsgrenzen" mit dem Bade "Wissensprobleme" auszuschütten. Rees/Wackernagel (1994, 387) betonen, daß "whatever one's ideological persuasion, there is a biophysical reality 'out there' that is totally indifferent to human habit or preferences, important dimensions of which will always remain inaccessible to understanding. Our models and paradigms can only ever be more or less reliable descriptions of mere particles of nature." In der Tat hängen die realen Auswirkungen von Umweltproblemen wie anthropogener Treibhauseffekt oder Schädigung der Ozonschicht nicht davon ab, "ob über sie kommuniziert wird oder nicht" (Metzner 1989, 880). Die Frage ist, inwieweit Grenzen in einer Weise bestimmt werden können, durch die sie sich auf gesellschaftliche und wirtschaftliche Handlungen auswirken können.
8.3.3. Über die Unmöglichkeit, Belastungsgrenzen zu bestimmen
Es gibt ökologische Gleichgewichte, die von den Menschen "präferiert" werden, und zwar jene, innerhalb derer sich der Mensch im Laufe der Evolution entwickelt hat. Unter hiervon stark abweichenden Umweltbedingungen ist der Mensch nicht (über-)lebensfähig ist. Ein "ökologisches Gleichgewicht" könnte sich auch bei einer Durchschnittstemperatur von minus 20 oder plus 40 Grad Celsius einstellen. Dies wäre ein "Gleichgewicht" – aber eines, in dem Menschen nicht überleben könnten. Barnett/Morse (1963, 118) weisen zurecht darauf hin, daß "(t)here is an infinite number of possible ecological balances. To speak of certain ones as 'damaged,' involves a normative judgment" (meine Hervorhebung). Ähnlich Heilbroner/Allentuck (1972, 209), die auf die Problematik hinweisen, den Begriff des ökologischen Gleichgewichts zu bestimmen. Nach einer von ihnen genannten Definition ist das ökologische System "in 'balance' if the economic activities of a given population do not impair the sum of nature's generative and absorbtive capabilities so as to require either a decline in human numbers or in the general quantity and quality of output. Note that this definition of ecological balance hinges solely by its effect on human consumption" (meine Hervorhebung). Dies alles ändert nichts daran, daß die Belastbarkeit der natürlichen Umwelt sich begrenzend auf die Möglichkeiten sozioökonomischer Entwicklung auswirkt.
Die entscheidende Frage bleibt dabei die nach der Anpassungsfähigkeit: "The real question is not, can the biosphere adapt to change (which it has done constantly), but rather, how can it adapt to an enormous increase in the rapidity of change?" (Boulding 1991, 25). Der Mensch ist heute die wichtigste Ursache für Veränderungen der natürlichen Umwelt (Ophuls/Boyan 1992, 13). Diese Veränderung geht vor allem auf das Konto eines wachsenden Scale: "Die massiven und schnell anwachsenden, durch den Menschen verursachten Materialverschiebungen verändern die evolutionäre Balance" (Schmidt-Bleek 1994, 37; meine Hervorhebung). Die Geschwindigkeit der durch anthropogene Materialbewegungen induzierten Umweltveränderungen ist "gegenüber dem Tempo von Erdgeschichte und Evolution ungeheuer beschleunigt" (Schmidt-Bleek 1994, 19). Dies kann nicht nur die Resilienz der Umwelt überfordern, sondern auch die (Über-)Lebensfähigkeit des Menschen gefährden. Der Mensch als biologisches Wesen ist das Ergebnis eines langen und langsamen Evolutionsprozesses. Auch die geistigen Fähigkeiten des Menschen sind das Ergebnis eines Koevolutionsprozesses, der biologische und kulturelle Evolution umfaßt (Kanitscheider 1992, 125). Durch die Wirkungsmächtigkeit anthropogener Eingriffe kann sich die Umwelt so verändern, daß der Mensch mit den in der Evolution erworbenen Eigenschaften nicht mehr in diese Umwelt "hineinpaßt" (Schmidt-Bleek 1994, 40f.; Hinterberger 1994a, 72; Hinterberger et al. 1996, 73). Ähnliches gilt für Tiere und Pflanzen: Ein rascher Temperaturanstieg in der Erdatmosphäre kann z.B. dazu führen, daß Tier- und Pflanzenarten sich nicht anpassen können und aussterben (Wallace/Norton 1992, 112). Dabei ist unbekannt und kann nicht gewußt werden, ob, wann und mit welchen Folgen die die Gesellschaft und die Wirtschaft tragende Ökosphäre aus dem Ruder läuft (Schmidt-Bleek 1994, 21; Hinterberger et al. 1996, 77; Lehmann/Schmidt-Bleek 1993, 413). Dabei ist zu berücksichtigen, daß Reaktionen der Umwelt auf menschliche Eingriffe oft erst mit erheblicher Zeitverzögerung wirksam bzw. für den Menschen wahrnehmbar werden. Der Zeitpunkt der Symptomerkennung kann mit solcher Zeitverzögerung eintreten, daß Gegenmaßnahmen unter Umständen "zu spät" kommen (Schmidt-Bleek 1994, 43). Darauf weisen auch Gowdy/McDaniel (1995, 187) hin: "Sooner or later (...) the expansion of human-created economic systems will be constrained by biological laws because the human economic enterprise cannot exceed the limits that all biological systems obey. (...) (B)y the time we know what is going to happen in these complex environmental situations, it will most likely be too late to take meaningful corrective action."
Die bekannten Umweltprobleme sind lediglich "Symptome einer in ihrer Gesamtheit nicht erfaßbaren Veränderung des globalen Ökosystems" (Bringezu/Schütz 1996, 433). Aufgrund der Komplexität der ökosystemischen Zusammenhänge und der hunderttausenden von im Wirtschaftsprozeß geschaffenen Stoffe muß man "es als illusorisch erkennen, mit Hilfe der schrittweisen Untersuchung von Einzelsubstanzen jemals komplexe Umweltprobleme erklären, geschweige denn verläßlich vorhersagen zu können. (...) Wissenschaftstheoretisch ist es naheliegend, daß der Mensch niemals in der Lage sein wird, alle denkbaren Folgen, alle Synergismen und Antagonismen von Stoffen und Stoffkombinationen in der Umwelt und schon gar nicht die Auswirkungen dieser Zusammenhänge in Raum und Zeit so vorherzusehen, daß politisch rechtzeitig gegengesteuert werden kann" (Schmidt-Bleek 1994, 63ff; s. auch Bimboes/Tjaden 1992, 64).
Man kann also sicher sein, daß "eventually resource scarcity will prove to be a binding check on economic growth but it is foolish to make predictions as to when that will occur" (Gowdy 1994, 160) – definitive Belastungsgrenzen der Ökosysteme sind nicht bestimmbar (s. auch Gowdy/McDaniel 1995, 187; Huber 1995, 71f.). Die Quellen von Resilienz und Adaptionsfähigkeit von Ökosystemen sind nicht bis ins letzte bekannt (Allen 1994, 98), und schon deshalb ist deren Gefährdung durch menschliche Aktivitäten nicht exakt bestimmbar. Diese Unbestimmtheit gilt auch für einen nachhaltigen Scale. Denn ein "sustainable throughput" wäre einer, der die carrying capacity der Umwelt nicht übersteigt, und zwar weder auf der Quellen- noch auf der Senkenseite. Doch was diese Tragekapazität betrifft, "(n)o one knows what that is, and attempts to measure it must rely on very gross assumptions", weshalb "we will only know what the carrying capacity was after we have passed it" (Underwood/King 1989: 333; ihre Hervorhebung). Die Komplexität natürlicher Prozesse macht solche Voraussagen unmöglich, worauf auch Hueting (1980, 144) nachdrücklich hinweist: "In deriving environmental standards from the natural sciences particularly great difficulties are experienced. For the natural sciences will be able to indicate standards only for a number of specific functions, such as drinking water or water for swimming. However, science is not able to indicate what measures have to be taken to prevent a collapse of the environment and where exactly the thresholds lie that may not be crossed. This applies above all to the stability and the carrying capacity of the biosphere" (meine Hervorhebungen).
Kleine Schwankungen können zu drastischen Veränderungen des Verhaltens makroskopischer Systeme führen (Prigogine/Stengers 1993, 23). Dies impliziert auch, daß schon kleine Unsicherheiten über Anfangsbedingungen nach kurzer Zeit eine weitgehende Unkenntnis über den Systemzustand zur Folge haben (Ebeling 1994, 32f.). Darüber hinaus führen diese Eigenschaften selbstorganisierender Systeme zu "sprunghaften" Gleichgewichtswechseln, die für Pflanzen, Tiere und Menschen negative Folgen haben können. Sogenannte Threshold-Effekte können dazu führen, daß das Überschreiten kritischer Schwellen den Verlust von Resilienz und Selbstorganisationsfähigkeit zur Folge hat (Perrings/Pearce 1994, 13). Dieser Umstand ist besonders bedeutsam für den Schutz der Artenvielfalt (Perrings/Opschoor 1994, 3f.; Perrings/Pearce 1994). Chaotische und unverhersagbare Reaktionen von Ökosystemen sind oft auf anthropogene Eingriffe zurückzuführen (Golley 1993, 197; s. auch Goudie 1993, 353, 372f., 387). Bimboes/Tjaden (1992, 60) meinen, der "Wahn der Naturbeherrschung" sei "durch die Erkenntnisse der modernen Chaosphysik endgültig desavouiert". Einer Politik der Scale-Reduktion liegt die Auffassung zugrunde, daß die Komplexität der Natur eine erfolgreiche Politik der Einzelstoffbetrachtung ausschließt. Diese Sichtweise ist als "chaostheoretische Argumentation" (Klemmer 1996, 323) bezeichnet worden. Und in der Tat spielt eine solche Argumentationsweise in der Begründung der Scale-Reduzierung eine wichtige Rolle: "Das Problem globaler Umweltveränderungen liegt (...) darin, daß die Grenzen der natürlichen Anpassungsmöglichkeiten kaum vorherzusehen sind. Neue Theorien zur Beschreibung und Erklärung des Verhaltens komplexer Systeme, sogenannte Selbstorganisations- oder Chaos-Theorien, machen uns dies sehr deutlich" (Hinterberger et al. 1996, 73; s. auch O'Connor 1994a, 66).
Gerade wenn die "ökologische 'Meßlatte' zur Bewertung wirtschaftlichen Handelns von den Naturwissenschaften nicht zu bestimmen ist", ist das Vorsichtsprinzip von großer Bedeutung (Kosz 1995, 28) – diese Unbestimmbarkeit ist, wie gezeigt, charakeristisch für die ökologische Situation. Marshalls (1961) den Principles of Economics vorangestelltes Motto, die Natur mache keine Sprünge ("Natura non facit saltum"), erweist sich als falsch: Die Natur macht Sprünge, z.B. bei Threshold-Effekten und chaotischen Reaktionen auf äußere Einwirkungen. Die Komplexität natürlicher Prozesse macht es unmöglich, Wachstumsgrenzen exakt zu bestimmen oder erfolgreich steuernd einzugreifen. Diese Unmöglichkeit hängt mit dem zusammen, was Vatn/Bromley (1994, 133; ihre Hervorhebung) "functional transparency" nennen, also dem Umstand, daß viele Umwelt-"Güter" durch "quintessential invisibility" charakterisiert sind. "(T)he environment properly comprehended consists of interrelated functions that cannot be casually isolated or separated. (...) Functional transparency means that the precise contribution of a functional element in the ecosystem is not known – indeed is probably unknowable – until it ceases to function" (Vatn/Bromley 1994, 133). Belastungsgrenzen lassen sich nicht definitiv bestimmen, und ein Ansatz, bei dem diese Mengen "als naturwissenschaftlich determinierte Zielwerte zwingend vorgegeben" sind (Vornholz 1993, 167), läuft demnach zumindest im Hinblick auf die Zielwerte ins Leere.
Dazu kommt, daß die Berechnung von Reduktionsimperativen, deren Ziel ja in der Verhinderung von Grenzüberschreitungen liegt, selbst Ergebnis eines komplexen wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses ist, der seinerseits nicht in einem politikfreien Raum stattfindet (vgl. auch Macnaghten/Urry 1995, 208ff.; Luks 1996). Anders formuliert: "Welche Natur als wünschenswert zu gelten hat, unterliegt der politischen Entscheidung der Gesellschaft und kann Gegenstand von Konflikten sein" (Mertens 1993, 149). Die Annahme, Umweltprobleme ließen sich durch die Erweiterung wissenschaftlicher Erkenntnisse und darauf basierenden Gegenmaßnahmen verhindern, kann deshalb in der Tat als "naiver Realismus" bezeichnet werden (Macnaghten/Urry 1995, 210). Ebenso naiv ist es allerdings, die Bedeutung von Wachstumsgrenzen gänzlich zu ignorieren und die Entscheidung über die Expansion der Anthroposphäre auf frei zu fällende politische Entscheidungen zu reduzieren. Jede Entscheidung über die Nutzung der Umwelt und über Maßnahmen zu deren Schutz hat immer auch politischen Charakter – die politischen Entscheidungen im Zusammenhang mit Sustainable Development müssen aber die – ex ante letztlich nicht bestimmbaren – Wachstumsgrenzen zur Kenntnis nehmen. Die entscheidende Frage ist, was (umwelt-)politisch aus dieser Situation folgt.
8.4. Vorsichtsprinzip, Reduktionsimperative und "Slack"
8.4.1. Das Vorsichtsprinzip
Wissenschaftliche Arbeit hat eine Reihe von Erkenntnissen über die verschiedensten Umweltprobleme zu Tage gefördert (z.B. Treibhauseffekt oder Ozonschichtzerstörung) und oft erst deren Kenntnis ermöglicht – und im übrigen ist ja auch das Wissen um Nichtwissen eben Wissen. Ohne diese Kenntnisse gäbe es den Diskurs über zukunftsfähige Entwicklung wohl kaum. Das Wissen über bestehende und zukünftige Umweltprobleme ist jedoch begrenzt und in vielen Fällen durch Unsicherheit und Nichtwissen gekennzeichnet. Bei Ungewißheit liegen für das Eintreten zukünftiger Ereignisse keine objektiven Wahrscheinlichkeiten vor, es können aber subjektive Wahrscheinlichkeiten (nach dem subjektiven Überzeugungsgrad einer Person) gebildet werden. Sicherheit bezeichnet demgegenüber einen Ungewißheitsgrad, bei dem nur eine einzige Zukunftslage für möglich gehalten wird – also keine Ungewißheit. Risiko meint einen Unsicherheitsgrad, bei dem für das Eintreten zukünftiger Ereignisse objektive Wahrscheinlichkeiten vorliegen. Unsicherheit kennzeichnet dagegen einen Ungewißheitsgrad, der auf der Unvorhersehbarkeit zukünftiger Ereignisse basiert. Es wird zwischen Unsicherheit erster und zweiter Ordnung unterschieden. Bei Unsicherheit erster Ordnung sind keine Wahrscheinlichkeiten für den Eintritt zukünftiger Ereignisse bekannt, sondern nur, daß bestimmte Ereignisse eintreten können. Unsicherheit zweiter Ordnung ist darüber hinaus dadurch gekennzeichnet, daß nicht bekannt ist, welche Ereignisse in Zukunft überhaupt auftreten können (Gablers Wirtschafts-Lexikon 1988).
Bei Umweltproblemen liegt oft Unsicherheit zweiter Ordnung vor, also "true uncertainty" (vgl. auch Costanza 1994, 397ff.; s. auch Vercelli 1995, 252; Georgescu-Roegen 1966, 63). Dies hängt mit den Eigenschaften natürlicher Systeme (Selbstorganisation, Auftreten von Schwelleneffekten, Koevolution) zusammen (s. Abschnitt 4.2.). Häufig herrscht völliges Nichtwissen über die Konsequenzen anthropogener Natureingriffe. Folglich sind neue und überraschende Entwicklungen nicht auszuschließen. Dabei stellt die Irreversibilität dieser Folgen ein besonderes Problem dar: "Irreversibility implies that the consequences of mistakes have a much higher value that may be virtually boundless (in the case of catastrophes) and that cannot be reliably evaluated in advance" (Vercelli 1995, 260; meine Hervorhebung). Wätzold/Simonis (1997, 4f.) unterscheiden verschiedene Arten der ökologischen Unsicherheit nach ökologischen Eigenschaften, dem Ausmaß der Unsicherheit und der Zahl der Emittenten. Im Hinblick auf das Ausmaß differenzieren sie zwischen Ungewißheit und Risiko, wobei Ungewißheit dem entspricht, was hier Nichtwissen genannt wird. Mit Blick auf die ökologischen Eigenschaften wird nach Schadensunsicherheit, Synergieunsicherheit, Akkumulationsunsicherheit sowie räumlicher und zeitlicher Diffusionsunsicherheit unterschieden.
Die menschlichen Kenntnisse über die Funktionsfähigkeit natürlicher Prozesse sind stets begrenzt (Hinterberger et al. 1996, 72ff.), und es ist eben nicht zu erwarten, daß sich dies ändern wird. Die Enquete-Kommission (1994, 432f.) weist darauf hin, daß Wissen über stoffliche Wirkungen auf natürliche Systeme "nur fragmentarisch" sein kann und nennt dafür folgende Gründe: Relative Begrenztheit des Standes von Wissen und Forschung, Ungenauigkeiten bei der Messung naturwissenschaftlicher Größen, Komplexität von Systemen, der gegenwärtige Horizont der Problemwahrnehmung sowie die Problematik von Prognosen. Beim Umgang mit Stoffströmen, so auch die Enquete-Kommission (1994, 433), sei diesen Wissensproblemen "im Sinne der Vorsorge Rechnung zu tragen", was aber auch dazu verpflichte, "den Wissensstand über die Auswirkungen von Stoffströmen kontinuierlich voranzubringen." Die Notwendigkeit, auch naturwissenschaftliche Arbeit über die Umweltfolgen menschlichen Handelns voranzubringen, ist wohl kaum anzuzweifeln. Zu klären ist aber das Verhältnis wissenschaftlicher Erkenntnisfortschritte zur Auslegung dessen, was Vorsorge konkret heißen soll. Der SRU (1994, Rdnr. 12) betont den "notwendigen inneren Verweisungszusammenhang" zwischen Sustainable Development und Vorsorgegebot.
Ein Vorsichtsprinzip ergibt sich mithin nicht zuletzt aus der Berücksichtigung von ökologischem Nichtwissen (Hinterberger et al. 1996, 78ff.). Kombiniert man das Wissen über Nichtwissen mit einem vernünftigen technologischen Skeptizismus, legt dies einen "vorsichtigen Umgang mit der Natur" nahe, der auch eine "Abkehr von der Illusion des Machbarkeitsglaubens heutiger Politik" impliziert (Hinterberger et al. 1996, 82). Daraus folgt eine Politik, die auf die Vermeidung potentieller Schäden gerichtet ist, ergo nicht lediglich die Bekämpfung bereits entstandener Schäden anstrebt. Die übliche Definition des Vorsorgeprinzips geht davon aus, daß Maßnahmen zum Umweltschutz dann gerechtfertigt sind, wenn Unsicherheiten hinsichtlich der Gefährdung bestehen und wenn irreversible Schäden nicht auszuschließen sind. Implizit wird dabei oft angenommen, daß die Unsicherheit ein "temporary matter of imprecision" ist, "which will be eradicated when enough research has been devoted to the questions" (Wynne 1994, 180). Ökologisches Nichtwissen und ökologische Unsicherheit lassen sich jedoch nicht einfach durch mehr Forschung beseitigen, womit die Hoffnung auf eine wissenschaftlich fundierte "Lösung" der Wissensprobleme unrealistisch wird (s. Hinterberger et al. 1996, 78ff.; Luks 1996; Wätzold/Simonis 1997, 3; Wynne 1994, 183).
8.4.2. Die Erhaltung von Entwicklungspotential durch die Vermeidung von Umweltbelastungspotential
Wenn also Wachstumsgrenzen naturwissenschaftlich nicht bestimmbar sind und also "jede Haltung gegenüber den Grenzen des Wachstums eine Frage der kulturellen Übereinkünfte ist und eine Sache der Wahl, des freien Willens und möglicherweise der Vernunft" (van Dieren 1995, 25; meine Hervorhebung) – was folgt dann aus dem Problem, daß der Scale heute aller Plausibilität nach zu hoch und deshalb mit einer nachhaltigen Entwicklung nicht kompatibel ist? Welche politischen Implikationen ergeben sich aus der Forderung nach Sustainable Development? Man kann hier in Anlehnung an Jacob (1994, 238) zwei Positionen unterscheiden. Die eine geht davon aus, daß politische Maßnahmen erst dann einzuleiten sind, wenn wissenschaftlich gesichertes Wissen über die in Rede stehenden Zusammenhänge (z.B. anthropogener Treibhauseffekt) vorliegt. Die andere Position insistiert darauf, daß mit konkreten Schritten in Richtung Sustainable Development angesichts der drängenden Umweltprobleme nicht "gewartet" werden kann. Die Komplexität ökologischer und ökonomischer Systeme auf der einen Seite, die Irreversibilität von Handlungsfolgen auf der anderen: Dies sind die geradezu "klassischen" Begründungen für Vorsorge- bzw. Vorsichtsstrategien (s. z.B. Olson et al. 1973, 237 sowie die gesamte Naturkapital-Debatte). "Wie" vorsichtig mit der Umwelt umgegangen werden soll, ist aber eine Wertentscheidung, die sich wiederum auch in der Determination von Grenzen niederschlägt: Man kann also in der Tat von "Naturgrenzen als Funktion der Risikobereitschaft" (BUND/Misereor 1996, 55) sprechen: "Selbst in den Fällen, die das Auftragen einer Ursache-Wirkungs-Kurve erlauben, kann auf der Basis dieser Kurve allein noch nicht entschieden werden, welches Niveau der Umweltauswirkung gerade noch zukunftsfähig ist und welches nicht mehr. Auch in den gut untersuchten Fällen ist eine normative Entscheidung darüber unumgänglich, welches Ausmaß an Umweltauswirkungen und Umweltschäden die Gesellschaft hinnehmen will. Die Frage, wo denn der 'Grenzwert' für Zukunftsfähigkeit liegt, ist also immer direkt an die Frage gekoppelt, welches (Umwelt-)Risiko die Gesellschaft zu tragen bereit ist." Wenn eine risiko-averse Strategie verfolgt wird, legen die dargelegten Wissensprobleme im Hinblick auf anthropogene Umwelteingriffe nahe, bei diesen Eingriffen eine "Vorsichtsstrategie" zu verfolgen, d.h. das umweltschädigende Potential menschlicher Handlungen zu reduzieren (vgl. zu diesem Vorsichtsprinzip und einer "konstruktivistischen" Begründung dieses Prinzips Hinterberger et al. 1996, 78ff.). Um einen Ausschluß von Gefahren kann es dabei nicht gehen, denn: "There are, after all, no utterly risk-free options for any individual or society" (Olson et al. 1973, 241).
Zwar sind in der Tat "Anerkennung und Bestimmung ökologischer Tragbarkeits-Grenzen (...) zweierlei. Die vorschnelle Anerkennung 'absoluter Grenzen' steht stets unter dem Vorbehalt ungesicherten Wissens, lediglich regionaler oder temporärer Geltungsansprüche oder anderen Kautelen der Analyse" (Gawel 1996, 68). Daß die Unsicherheit über Wachstumsgrenzen ein wichtiges Problem ist, wird auch in der Ecological Economics nicht bestritten (Costanza 1989, 5). Es besteht aber eine fundamentale Asymmetrie hinsichtlich des Umgangs mit Nichtwissen im Hinblick auf Wachstumsgrenzen. Es sei hier nochmals an die Fundierung des technologischen Skeptizismus erinnert, daß "it is irrational to bank on technology's ability to remove resource constraints. If we guess wrong then the result is disastrous - irreversible destruction of our resource base and civilization itself. We should, at least for the time being, assume that technology will not be able to remove resource constraints. If it does, we can be pleasantly surprised. If it does not, we are still left with a sustainable system" (Costanza et al. 1991, 7; ihre Hervorhebungen). Eine ähnliche Auffassung hat schon früh Georgescu-Roegen (1976a, 19) vertreten: "(N)either faith nor assurance from some famous academic chair [Referenz zu Beckerman 1972] could alter the fact that, according to the basic law of thermodynamics, mankind's dowry is finite. Even if one were inclined to believe in the possible refutation of these principles in the future, one still must not act on that faith now" (Georgescu-Roegen 1976a, 19; meine Hervorhebung). An anderer Stelle insistiert Georgescu-Roegen (1986, 14) darauf, daß "any rational program we may offer today must be based only on our present knowledge, not on some wishful futurist exercise." Dazu kommt, daß Zeitverzögerungen erforderliche Anpassungsleistungen in erheblichem Maße erschweren können. Lecomber (1979, 165) hebt hervor, daß "the object of cutting resource use now is to avoid being forced to cut back later if, for example, technology should falter. Such a forced cutback would be unexpected and from a higher initial level. However serious the problems of a slow transition now, the problems of a larger more rapid transition later would be indefinitely worse."
Die Erkenntnis, daß bei der Umsetzung politischer Maßnahmen für eine zukunftsfähige Entwicklung auf "sicheres Wissen" nicht gefahrlos gewartet werden kann, hat mittlerweile auch Eingang in offizielle Politikdokumente gefunden. So schreibt das BMU (1996, 8): "Auf zweifelsfreie wissenschaftliche Erkenntnisse zu warten heißt oft, irreparable Schäden in Kauf zu nehmen." Das BMU (1996, 14, 16) stellt denn auch die Forderung auf nach der "Minimierung von Eingriffen in Natur und Landschaft" (meine Hervorhebung) und der "Verminderung von Stoffströmen". In diese Richtung zielt auch Schmidt-Bleeks (1994, 122, 166) Interpretation des Vorsichtsprinzips: "Um auf der sicheren Seite zu sein, sollten natürliche Systeme so wenig und so langsam wie möglich durch menschliche Aktivitäten verändert werden. Darin liegt der Sinn des Vorsorgeprinzips. (...) Da wir nichts, aber auch gar nichts ohne den Einsatz von Stoffen und Energie erledigen können, sollten wir MIPS bei jeder Gelegenheit so klein wie möglich machen, die Ressourcenproduktivität so weit wie irgend möglich erhöhen – in allem, was wir tun" (meine Hervorhebung). Die Reduzierung des Potentials der Umweltfolgen wirtschaftlichen Handelns ist also eine Strategie, die dem Vorsichtsprinzip Rechnung trägt. Umweltbelastungspotential kann in diesem Zusammenhang definiert werden als die "Potenz, durch den lebenszyklusweiten Verbrauch von Materialien Veränderungen der Ökosphäre hervorzurufen" (Schmidt-Bleek 1996, 85). Auf Wirtschaftsräume bezogen heißt dies: Umweltbelastungspotential ist die Potenz zur Veränderung der natürlichen Umwelt, die durch den gesamten MI einer Region hervorgerufen werden kann. Diese zu reduzieren, ist der Kern des Steady-State-Ansatzes, wie sich im folgenden zeigen wird.
Wenn das heutige Niveau des Material- und Energiedurchsatzes mit nachhaltiger Entwicklung nicht vereinbar ist, reicht ein Steady-State für die Sicherung einer ökologisch nachhaltigen Umweltnutzung nicht aus, und für diese Situation spricht einiges: "(T)here is mounting empirical evidence that suggests we are approaching – or may have already breached – the Plimsoll line for some key environmental services" (Cleveland/Ruth 1997, 217). Auch Gowdy meint, daß der Umweltverbrauch vor der Stabilisierung zunächst gesenkt werden muß: "At current levels the human population and its associated economic activity is adversely affecting natural processes on a global scale. The implication is that even a 'steady state' economy, based on current levels of output, is not environmentally sustainable. Ultimately, the only viable option is a declining state, a reduction in the number of humans and a reduction in human use of the earth's limited resources. (...) There is convincing evidence that the present level of economic activity is overwhelming the biosphere. If the present level of human activity is incompatible with environmental sustainability then the current level of activity must be reduced. Since this is the case the transition to the steady state must be a declining state economy" (Gowdy 1994, 14; 190 s. auch 22, 182).
8.4.3. Der "Faktor 10"
"Glaubwürdigkeit ist die Voraussetzung einer breiten politischen Akzeptanz von
Umweltstandards. Glaubwürdigkeit setzt unter anderem Überschaubarkeit,
Verständlichkeit, Plausibilität und Offenlegung der Vorgehensweise voraus."
(SRU 1996, Rdnr. 863)
Die heutige Umweltsituation ist nicht nachhaltig, erfordert also eine Reduktion anthropogener Umwelteingriffe. Um die Reduktionserfordernisse bei einzelnen gefährlichen Substanzen geht es hier nicht, weil die Relevanz des Scale das Thema ist. Zu fragen ist also, wie weit der Scale reduziert werden muß, um zu einer ökologisch nachhaltigen Entwicklung zu kommen? Insbesondere in Arbeiten der Abteilung Stoffströme und Strukturwandel des Wuppertal Instituts wird immer wieder vorgebracht, daß der Material Input auf globaler Ebene um die Hälfte und in den Industriestaaten um den Faktor 10, also um 90 Prozent gesenkt werden muß, soll ein Sustainable Development erreicht werden (Schmidt-Bleek 1994, 161ff.; Bringezu 1996a, 200; Factor 10 Club 1995; 1996; 1997; Hinterberger et al. 1996, 84ff.). In der Studie Zukunftsfähiges Deutschland (BUND/Misereor 1996, 80) werden als langfristige (bis 2050) Reduktionsziele für Material und Energie 80 bis 90% angegeben (und für die Nutzung von Siedlungs- und Verkehrsflächen eine Stabilisierung, d.h. ein Nullwachstum). Der "Faktor 10" ist eine Schlußfolgerung aus der Feststellung, daß der Material- und Energiedurchsatz der Industriestaaten nicht verallgemeinerbar, also auch nicht auf den Rest der Welt übertragbar ist. Das Faktor 10-Postulat beansprucht, plausibel zu sein. Niemand kann sagen, ob eine Reduzierung des Durchsatzes des industriellen Metabolismus um 90 Prozent "genug" ist. Eine exakte naturwissenschaftliche Herleitung ökologischer Belastungsgrenzen ist grundsätzlich nicht möglich, dies sehen auch Vertreter des Faktor 10-Postulats wie Schmidt-Bleek (1996, 68). Andere Autoren kommen im Hinblick auf Reduktionserfordernisse zu ähnlichen Ergebnissen. Unter der Annahme, daß die Weltbevölkerung sich um den Faktor 2 bis 2,5 vergrößert und das Wirtschaftswachstum in den Industrie- und Entwicklungsländern 2,5 bzw. 3,5 Prozent pro Jahr beträgt, kommen Weterings/Opschoor (1992, 33) zu dem Ergebnis, daß "reductions in different types of environmental impact are necessary which generally speaking will be of the order of 60 to 95% to achieve a sustainable level by the year 2040."
Entscheidend für das Verständnis des Faktor 10 - Postulats ist die Tatsache, daß es sich hier um eine normative Forderung handelt und nicht um eine nur naturwissenschaftlich begründbare Aussage über Reduktionsimperative. Ein Blick auf die Herleitung dieses Faktors verdeutlicht, daß es sich hier nicht um ein naturwissenschaftlich definiertes Ziel, sondern um eine auf Plausibilitätsargumenten basierende normative Forderung handelt. Die wichtigste Quelle ist hier Schmidt-Bleeks (1994) Wieviel Umwelt braucht der Mensch?, in dem der Faktor 10 begründet wird. Dort heißt es zunächst im Fußtext zu einer Graphik, die ein globales Stoffstromszenario unter Berücksichtigung der Unterschiede zwischen Industrie- und Entwicklungsländern zeigt: "Der Pro-Kopf-Zugriff auf globale Stoffströme als Grundlage des materiellen Wohlstands ist heute ungleich verteilt zwischen 'Süd und Nord'. Bei Angleichung des Verbrauches und Verdoppelung der Bevölkerung in der Dritten Welt wären auf der Basis der heutigen Materialintensität der westlichen Wirtschaften im Jahre 2050 siebenmal so viel Ressourcen vonnöten. Um auf eine Stabilisierung der Ökosphäre hinzuwirken, sollte der heutige Weltverbrauch hingegen halbiert werden. Dies würde eine Dematerialisierung der westlichen Wirtschaften um einen Faktor von ungefähr 16 erfordern" (Schmidt-Bleek 1994, 26; meine Hervorhebung). Ausgangspunkt ist also die Notwendigkeit, die globalen Stoffströme um ca. 50% zu reduzieren. Unter Berücksichtigung der globalen Ungleichverteilung und des Bevölkerungswachstum kommt Schmidt-Bleek hier auf den Faktor 16.
Später heißt es: "Angenommen, wir akzeptieren, daß alle Menschen prinzipiell gleiches Recht auf den Zugriff auf die natürlichen Ressourcen dieser Erde haben. Und weiterhin angenommen, wir wollten uns deshalb der ökonomischen Entwicklung der überwiegenden Mehrheit der Menschen nicht in den Weg stellen: Dann müßten die Wirtschaften der stoffstromreichen Länder im Mittel um rund einen Faktor 10 dematerialisiert werden, um eine globale Stoffstromreduktion von fünfzig Prozent zu ermöglichen" (Schmidt-Bleek 1994, 168, s. auch 171). Aus dem Faktor 16 ist der Faktor 10 geworden. Der Fußtext in der graphischen "Herleitung" des notwendigen Reduktionserfordernisses gibt Aufklärung: "Um die Darstellung nicht unübersichtlich zu machen, wurde die Zunahme der Weltbevölkerung in dieser Zeit nicht berücksichtigt" (Schmidt-Bleek 1994, 169). "In dieser Zeit" bezieht sich auf einen Zeitraum von 50 Jahren. Postuliert wird also, daß innerhalb der nächsten 50 Jahre die Stoffströme auf globaler Ebene um 50% und in den Industriestaaten um 90% reduziert werden müssen, wenn Sustainable Development das Ziel ist. Dieser Zeitraum wird allerdings nicht hergeleitet. Für die Reduktion der Stoffströme, so Schmidt-Bleek (1994, 169), wurde "willkürlich ein Zeitraum von etwa 50 Jahren angesetzt" (meine Hervorhebung).
Der Wechsel vom Faktor 16 zum Faktor 10 durch die Nicht-Berücksichtigung des Bevölkerungswachstums zeigt ebenso wie die willkürliche Wahl des Betrachtungszeitraums, wie "vage" das Faktor 10-Postulat begründet ist. Es besteht Grund zu der Annahme, daß die Formel "Faktor 10 in 50 Jahren" nicht zuletzt aufgrund ihrer rhetorischen Griffigkeit gewählt wurde. (88) Ebenso wie die Weizsäckersche (Weizsäcker et al. 1995) Formel Doppelter Wohlstand – halbierter Naturverbrauch (die zum "Faktor 4" führt) zeichnet sich das Faktor 10-Postulat nicht zuletzt dadurch aus, daß es nicht nur halbwegs plausibel gemacht werden kann, sondern auch "griffig" und leicht zu merken ist – ein Beispiel für die "externe", auf politische Wirksamkeit gerichtete Rhetorik im ökologischen Diskurs (s. auch Luks 1998b). Der Faktor 4 wird von seinen Proponenten als plausibel angenommen, auch er gilt als "Mindestmaß" (Weizsäcker et al. 1995, 18). Es sollte übrigens berücksichtigt werden, daß auch der Faktor 4 eine 75%ige Steigerung der globalen Ressourcenproduktivität ergibt und der "halbierte Naturverbrauch", wenn er auf die globale Ebene bezogen wird, letztlich identisch mit dem Ausgangspunkt von Schmidt-Bleeks Erwägungen ist.
Das Faktor 10-Postulat basiert auf drei Prämissen. Erstens sollten die Stoffströme auf globaler Ebene um 50% reduziert werden. Dies ist ein naturwissenschaftliches Argument, das sich auf die Differenz von tatsächlichen und plausiblerweise als nachhaltig anzunehmenden Stoffströmen bezieht. Zweite Grundlage ist ein Gerechtigkeitsargument: Alle Menschen haben das gleiche Recht auf Umweltnutzung. Dies geht konform mit ethischen Erwägungen, wie sie im Diskurs über Sustainable Development angestellt werden. Schließlich basiert der Faktor 10 auf einem "Umweltraum-Argument", das Dalys Argument ähnelt, der Norden müßte "Ecological Space" für den Süden "freimachen": Da der Süden weiter wachsen soll, muß die Reduktion der Stoffströme in den Industriestaaten entsprechend höher ausfallen als auf der globalen Ebene. Schmidt-Bleek ist sich vollkommen bewußt, daß der Faktor 10 eine Schätzgröße ist. Die Formulierung "Ökologischer Sicherheitsfaktor 10" (Schmidt-Bleek 1994, 171; seine Hervorhebung; s. auch Schmidt-Bleek 1993, 487f.) verdeutlicht dies: Es geht um eine plausible Schätzgröße, um einen Sicherheitsfaktor, der menschliches Nichtwissen über ökologische Zusammenhänge berücksichtigt, ja geradezu zum Ausgangspunkt macht. Der Faktor 10 ist kein streng naturwissenschaftlich herleitbarer Imperativ, sondern ein auf naturwissenschaftlichen und ethischen Erwägungen beruhender Orientierungswert.
8.4.4. "Slack" – Redundanz als Sicherheitsfaktor
"Da wir die Bedingungen ökologischer Stabilität nicht schlüssig präzisieren können, bleibt
letztlich offen, ob wir mit den geltenden Umweltstandards genügend Sicherheitsabstand
zu jenen unbekannten Grenzen schaffen, die wir keinesfalls überschreiten dürfen."
(van den Daele; zit. in Huber 1995, 73)
"(I)t is better to be approximately right than precisely wrong!"
(Robertson, zit. in El Serafy 1989, 18, En. 7)
Sachs (1994, 18) zeigt, daß man auf der Grundlage von Dalys Boot-Metapher (Ladebegrenzung vs. "optimaler Untergang", s. Abschnitt 5.5.2.) ein noch grundlegenderes Problem veranschaulichen kann, und zwar "den tiefsitzenden Widerstreit der Grundorientierungen im heutigen Umweltdenken": "Denn die Besatzung des Schiffes, auch nachdem sie sich darauf verständigt hat, sich nicht selbst durch immer weitere Zuladung zu versenken, hat zwei Möglichkeiten. Entweder sie versucht, bei jedem Wetter, bei allen Strömungen und bei jedem Wellengang das Schiff so voll wie gerade noch möglich zu packen. Sie wird dafür das Schiff zum Beispiel mit einem satellitengestützten System der Meeresbeobachtung ausrüsten, im Schiffsbauch und auf Deck Sensoren und Überwachungsapparaturen installieren, systemisch denkendes Personal einstellen, und Kabinen und Aufbauten kontinuierlich so umbauen, daß das Schiff immer bis haarscharf an der Grenze seiner Tragekapazität bleibt. Oder aber die Besatzung verliert das Interesse daran, immer hart bis an die Grenze der Belastbarkeit ranzufahren, und richtet sich auf dem Schiff nach ihrem Gutdünken und ihrer Lebensphilosophie so ein, daß man sich nur am Rande über Belastungsgrenzen zu kümmern braucht, also weder die ganze Einrichtung auf optimale Nutzung zuschneiden, noch eine Kybernetik der Selbstbeobachtung aufbauen muß." Dieser Gedankengang hat wichtige Implikationen für die Frage, was unter einem vorsichtigen Umgang mit Umweltrisiken zu verstehen ist.
Es spricht schon aus ökologischen Gründen einiges dafür, nicht den Versuch zu unternehmen, den anthropogenen Umweltverbrauch immer knapp an den Belastungsgrenzen zu halten. In einem seiner wichtigsten Texte (The Steady-State Economy: Toward a Political Economy of Biophysical Equilibrium and Moral Growth) weist Daly (1993e, 331) auf die Bedeutung eines gewissen Sicherheitsabstands zwischen Belastbarkeit und tatsächlicher Nutzung der Umwelt hin: "Freedom is in large measure a function of slack, of the distance between maximum carrying capacity and actual load. A system operating at its carrying capacity has no room for error or for the freedom that permits error" (meine Hervorhebungen). Neben der Kombination von Makrokontrolle mit Mikroflexibilität und der "Übergangsfähigkeit" nennt Daly als Kriterium für die institutionelle Ausgestaltung des Steady-State (s. Abschnitt 5.6.1.) die Wahrung eines solchen Sicherheitsabstands als Kriterium. "A second design principle, closely related to the first [Verbindung von Makrokontrolle mit Mikroflexibilität; FL], is to maintain considerable slack between the actual environmental load and the maximum carrying capacity. The closer the actual approaches the maximum the less is the margin for error, and the more rigorous, finely tuned, and microoriented our controls will have to be. We lack the knowledge and ability to assume detailed control of the spaceship, so therefore we must leave it on 'automatic pilot,' as it has been for eons. But the automatic pilot only works when the actual load is small relative to the conceivable maximum" (Daly 1991b, 51; meine Hervorhebung; vgl. oben 5.6.1.; s. auch Hauser 1992, 384).
Die Studie Zukunftsfähiges Deutschland argumentiert durchaus ähnlich: "Bei dem Versuch, Ziele für die Umweltpolitik zu formulieren, stößt man auf die Frage, welche Risiken noch als vertretbar betrachtet werden sollen und welche nicht mehr. Als Antwort darauf wird immer eine Bandbreite von Belastungen für Mensch und Umwelt angegeben, etwa in dem Sinne, daß oberhalb einer bestimmten Belastung Auswirkungen mit Sicherheit zu erwarten sind und unterhalb einer anderen, niedrigeren Schwelle mit einiger Sicherheit ausgeschlossen werden können." (BUND/Misereor 1996, 31). Beispiele seien Vorschriften über die Qualität von Lebensmitteln oder über Arbeitssicherheit. "Auch die kritischen Belastungsgrenzen der Ozonschicht, der Erdatmosphäre, von Ökosystemen und der meisten erneuerbaren Ressourcen sind in Bandbreiten bekannt, die jeweils größere oder kleinere Risiken ausdrücken" (BUND/Misereor 1996, 31). Die Fähigkeit der Wissenschaft, Umweltziele zu formulieren, sei "angesichts der Komplexität der Natur und der Vielzahl der Stoffeinträge sicherlich begrenzt", und deshalb sei ein neuer Ansatz erforderlich und die Maxime von Zukunftsfähiges Deutschland: "Die Umsätze von Energieträgern und Stoffen müssen deutlich abgesenkt werden" (BUND/Misereor 1996, 30).
Zukunftsfähiges Deutschland nennt "Leitlinien für die Ressourcennutzung", und zwar solche für die Nutzung von Quellen und Senken ("Regenerations-Leitlinien") und für den Material- und Energiedurchsatz: "Die Umsätze von Energie und Stoffen müssen auf ein risikoarmes Niveau abgesenkt werden" (BUND/Misereor 1996, 31; meine Hervorhebung). Für diese Formulierung des Umsatz-Zieles spreche das Vorsorgeprinzip, der Schutz der Schwachen (Gruppen, die besonders auf den Schutz vor negativen Umweltauswirkungen angewiesen seien) und schließlich ein Grund "politischer Art. Viele Ökonomen erwarten von den Naturwissenschaften möglichst exakte Aussagen zu Grenzwerten oder Standards, um eine optimale Kostenallokation ermitteln zu können. Produktionsprozesse oder ganze Volkswirtschaften können nach dieser Vorstellung hart am Rande des Optimums gefahren werden", z.B. im Klimabereich (BUND/Misereor 1996, 32). Es dürfe aber, so heißt es an anderer Stelle (BUND/Misereor 1996, 35), "kein Ziel sein, die Umwelt stets bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit zu nutzen. Deshalb wäre es eine Anmaßung, mittels 'erkennungsdienstlicher' Methoden alle Wirkungszusammenhänge und Reaktionen in der Natur verstehen und vorhersagen zu wollen." Dies wäre in der Tat anmaßend, die Kausalität läuft m.E. aber in eine andere Richtung: Nicht die Wertentscheidung, man solle die Natur nicht "bis an die Grenzen" nutzen, ist hier entscheidend und vor allem nicht ursächlich dafür, daß Versuche, die Natur "verstehen" zu wollen, anmaßend wären. Weil diesed Verständnis nicht möglich ist, kann die Belastung nicht an exakten Grenzen orientiert sein.
Es erscheint also als eine sinnvolle Konkretisierung des Vorsichtsprinzips, einen gewissen Sicherheitsabstand zwischen Belastungsgrenzen und tatsächlicher Nutzung zu halten. In Anlehnung an Daly verwende ich für diesen "Sicherheitsüberschuß" den englischen Begriff Slack. Slack bezeichnet hier einen Spielraum zwischen maximal möglichem und tatsächlich realisiertem Material- und Energiedurchsatz, also eine Form von Redundanz. Dieser Terminus spielt auf betrieblicher Ebene eine Rolle, wo er als "Überschuß der verfügbaren über die aktuell genutzten Ressourcen" (Grabher 1994, 51) auftritt. Die Schaffung eines Slack trägt dem Umstand Rechnung, daß bei allen Operationalisierungsversuchen im Hinblick auf ökologische Nachhaltigkeit berücksichtigt werden muß, daß "das 'schwächste Glied der Kette' die Leitlinie für die Ausrichtung des Projektes oder der Maßnahme vorgibt" (Kosz 1995, 24). Verläßlichkeit durch Redundanz schlägt sich beispielsweise auch in Konstruktionsprinzipien der Ingenieurwissenschaften nieder, und diese "Konstruktionsprinzipien orientieren sich alle mehr oder weniger an dem zentralen Theorem, wonach die Wahrscheinlichkeit eines Fehlers exponentiell mit zunehmender Redundanz fällt. (...) Im unmißverständlichen Ton der Ingenieurwissenschaft: 'Die Zuverlässigkeit eines Serien-Systems ist immer kleiner oder höchstens gleich der Zuverlässigkeit des unzuverlässigsten Elementes" (Grabher 1994, 26, mit Referenz zu Zeep 1968). Im ingenieurwissenschaftlichen Bereich werden also Safe Minimum Standards eingesetzt, und dasselbe gilt in der Gesundheitsplanung und Arbeitssicherheit: "For example, a bridge is commonly designed with a safety factor of three or more to accomodate the unexpected and the unknown" (Goodland/Ledec 1987, 40; meine Hervorhebung). Redundanz oder "Slack" wird in vielen Bereichen aus Sicherheitsgründen eingesetzt: "Vorratshaltung, vielfältige Landwirtschaft, Reparaturhandwerk sind uralte Formen des Umgangs mit Fehlern, Wetter und Unfällen. Knautschzonen, Sollbruchstellen, elektrische Sicherungen, Notstromaggregate, Kopiloten, sowie jede Art von eingebauter Redundanz sind modernere Beispiele für Vorsorge gegen Unfälle oder Schadensbegrenzung oder das Überbrücken von Ausfällen" (Weizsäcker/Weizsäcker 1984, 192). Auch die Biologie betont, daß Redundanz Verläßlichkeit und Fehlertoleranz erhöht (Grabher 1994, 25).
Der Slack entspricht dem, was Sieferle/Müller-Herold (1996, 138) als "'Strategie maximaler Ruinvermeidung'" bezeichnen. Der Gedanke des Sicherheitsabstands spielt auch in Lecombers (1975, 38f.) Überlegung eine Rolle, beim Anstreben eines maximum sustainable yield (MSY) eine "margin of error" zu berücksichtigen. Es geht um das Erreichen eines "ökologisch tragfähigen Korridors" (Bringezu/Schütz 1996b, 433). Schmidt-Bleek (1994, 28) spricht von ökologischen Leitplanken, an die das Wirtschaftssystem angepaßt werden müsse. Die Wirtschaft brauche, so Schmidt-Bleek (1994, 234), "verläßliche Peilungen dafür, wie weit die strukturellen Veränderungen gehen müssen, damit zukünftige Entwicklungen im Rahmen der von der Ökosphäre vorgegebenen Leitplanken bleiben" – genau hierauf bezieht sich die Forderung nach einem "'ökologischen Sicherheitsfaktor 10'" (meine Hervorhebung). In diesen Formulierungen kommt zum Ausdruck, daß hier mit Leitplanken etwas "natürliches" gemeint ist und nicht von Menschen errichtete politische oder institutionelle Veränderungen zum Schutz der Umwelt. Ich meine mit Leitplanken dagegen die von Menschen erdachten Mechanismen, die ein Überschreiten ökologischer Grenzen verhindern. "Konstruierte" Grenzen müssen errichtet werden, um die Überlastung "natürlicher" Grenzen zu verhindern. Woeste (1995, 57) verwendet den Leitplankenbegriff in diesem politischen Sinne: "Ökologische Leitplanken sind (...) politisch festzulegende Grenzen des gesamtgesellschaftlichen Materialinput, die einen Handlungsrahmen beschreiben, innerhalb dessen das Handeln der individuellen, wirtschaftlichen und institutionellen Akteure stattfinden sollte" (seine Hervorhebung)(s. auch Hinterberger et al. 1996, 264). Leitplanken sind also die institutionelle Konkretisierung des Slack.
Grabher (1994, 27) unterscheidet die Redundanz von Teilen, Funktionen und Beziehungen. Beim ökologischen Slack geht es um die Redundanz von Umwelt-Inanspruchnahme, die unterhalb des möglichen Potentials bleibt. Aufgrund der funktionalen Transparenz wird dabei oft unklar bleiben, ob damit Teile-, Funktions- oder Beziehungsredundanz impliziert ist. Dies ist etwas anderes als die den genannten Redundanzen ähnlichen ökologischen Anpassungsprozessen, die Grabher (1994, 29) nennt: Der Redundanz von Teilen und Funktionen entspreche die konstitutive und induzierbare Anpassungsfähigkeit, der Beziehungsredundanz das ökologische Konzept der selektiven Anpassungsfähigkeit. Konstitutive Anpassungsfähigkeit liegt vor, wenn mögliche Verhaltensweisen durch die konstituierenden Systemstrukturen bestimmt sind. Induzierbare Anpassungsfähigkeit bezieht sich auf den Umgang mit zeitlich längerfristigen Einflüssen. Wenn derartige Einflüsse lange genug dauern, führt diese Anpassungsfähigkeit zu strukturellen Systemveränderungen. Die selektive Anpassungsfähigkeit schließlich "erweitert das begrenzte Spektrum umweltinduzierter Reflexe durch eine Erhöhung der internen Komplexität, die durch eine Durchmischung des 'Genpools' vorangetrieben wird" (Grabher 1994, 29).
Ein Sicherheitsabstand dient – der Name sagt es – vor allem der Sicherheit. Es geht um die Vermeidung irreversibler Schäden, und in der Schadensvermeidung liegt, wie gezeigt, auch der Sinn des Vorsichtsprinzips. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß nicht genau bestimmt werden kann, wo die Grenzen liegen, die für dieses Ziel unterschritten werden müssen: "The truth, however unpleasant, is that the most we can do is to prevent any unnecessary depletion of resources and any unnecessary deterioration of environment, but without claiming that we know the precise meaning of 'unnecessary' in this context" (Georgescu-Roegen 1976a, 19; meine Hervorhebung). Die konsequente Anwendung des Vorsichtsprinzips erfordert deshalb, einen "sicheren Abstand" zwischen diesen Grenzen und der tatsächlichen Nutzung anzustreben. Es ist evident, daß auch der Slack selbst unter dem Vorbehalt des unsicheren Wissens steht: Wenn Belastungsgrenzen nicht genau bestimmt werden können, kann auch nicht gewußt werden, wie groß der jeweilige Sicherheitsabstand zu diesen Grenzen ist oder sein soll. Die Differenz zwischen diesen Grenzen und der tatsächlichen Belastung kann nicht ermittelt werden. In diesem Sinne kann die Slack-Lösung lediglich beanspruchen, einen plausiblen Ausweg aus den Wissensproblemen zu zeigen – selbstverständlich ohne diese Probleme zu beseitigen. Wissenschaftler müssen sich aus dieser Perspektive ebenso wie politische Entscheidungsträger damit abfinden, daß bestimmte Sachverhalte menschlichem Wissen unzugänglich sind. Daß Wachstumsgrenzen eben nicht eindeutig bestimmbar sind, ist ein Argument für den Slack-Ansatz und damit auch für die Zielsetzung, den Scale zu reduzieren und zu stabilisieren. Dasselbe gilt für das Problem der ökologischen Steuerung: Wenn diese nicht möglich ist, spricht dies für das Einhalten eines Sicherheitsabstands zwischen vermuteter Carrying Capacity und tatsächlicher Umweltbelastung.
8.4.5. Das Steuerungsproblem
Es geht beim Steady-State Konzept also darum, den Material- und Energiedurchsatz zu stabilisieren. Damit ist jedoch noch nichts über die Möglichkeit der Kontrolle des Durchsatzes gesagt: "Such [steady-state, FL] strategies are no more capable of exercising complete control over the environmental effects of economic activity than the market solution, but by minimizing the stress that is placed on the environment by human activity, they minimize the potential for unanticipated future effects" (Perrings 1987, 147; meine Hervorhebung). Dieses Potential wird folglich zwar minimiert, aber eben nicht ausgeschaltet (Perrings 1987, 150). Die Minimierung des Potentials für "ökologische Überraschungen" ist laut Perrings ein Kennzeichen des "stationary state in primitive economies". Eine Art Safe Minimum Standard hat es also schon lange vor der Herausbildung von Umweltpolitik gegeben: "In societies that have existed in the same environments over long periods of time, habit patterns have frequently been 'selected' that safeguard a particular state of conservation – a state that is of great interest when studying the influence of uncertainty in the social economics of conservation. This particular state we may call a 'safe minimum standard' of conservation" (Ciriacy-Wantrup 1952, 127; meine Hervorhebungen). "Primitive" Gesellschaften sind oft als Überflußgesellschaften gekennzeichnet worden. Dies liegt nicht zuletzt daran, daß sie Ressourcenströme nicht aktiv beeinflussen wollten, sondern versuchten, "sich auf die zu erwartenden Fluktuationen des natürlichen Ressourcenflusses einzustellen, indem sie gewissermaßen einen Sicherheitsabstand zu einem möglichen Versorgungsminimum einhielten" (Sieferle 1997, 43; meine Hervorhebung; s. auch 73 und Sieferle/Müller-Herold 1996). Dies änderte sich mit dem Übergang zur Landwirtschaft, durch den allerdings auch der Kontrollaufwand für die Ressourcennutzung zunahm (s. auch Kapitel 6). Die Unternutzung von Ressourcen, also das Sich-Einschalten in vorhandene Ressourcenströme ist eine Strategie im Umgang mit Risiken, die als Risikominimierung charakterisiert werden kann (Sieferle/Müller-Herold 1996). Beim Slack ergibt sich ggf. ein geringerer Steuerungsaufwand als bei Strategien, die – z.B. durch ein "Entlangfahren" an Grenzwerten oder durch die Konzentration auf technischen Fortschritt – auf eine maximale Ausnutzung ökologischer Quellen- und Senkenkapazitäten setzen. Ist diese Strategie aber hinreichend, um eine nachhaltige Umweltnutzung sicherzustellen?
Dabei ist nicht zuletzt zu berücksichtigen, daß sich durch dauernde (Über-)Nutzung von Quellen und Senken kumulative Effekte einstellen: "(T)he environmental crisis is not a series of discrete problems; it is a set of interacting problems that exacerbate each other through various kinds of threshold, multiplicative, and synergistic effects. Thus the difficulty and complexity of managing the ensemble of problems grow faster than any particular problem" (Ophuls/Boyan 1992, 167). Dabei sind Wissensprobleme im Hinblick auf Senken wichtiger als bei Ressourcenvorkommen. So ist der Effekt eines neuen Schadstoffes auf die Umwelt im Gegensatz zur Nutzung einer Rohstoffquelle zunächst einmal völlig unbekannt. Folglich, "there exists an inherent asymmetry in the recognition of problems of natural resource depletion and the degradation of the environment; this is so because of different forms of ignorance. Hence an attitude that is appropriate for the treatment of resource problems may be completely inappropriate for pollution problems" (Faber et al. 1992, 90f.). Mit der Zunahme von Umfang und Komplexität der Anthroposphäre wird ökologische Steuerung zunehmend problematisch, was ein Vertrauen in diese Steuerung konterkarieren könnte: "As population grows and civilization becomes more complex, it will require much more effort and skill for us to cope with this increasing vulnerability to disorder (entropy) and failure. But to count on perfect design, skill, efficiency, or reliability in any human enterprise is folly" (Ophuls/Boyan 1992, 171; meine Hervorhebung). Je mehr Ressourcen von Menschen genutzt werden und je mehr anthropogene Eingriffe in die Umwelt vorgenommen werden, desto geringer wird der Fehlerspielraum: "As it decreases a more and more independent, elaborate, and fail-safe organization is required simply to prevent the system from collapsing at the first perturbation" (Ayres/Kneese 1971, 21). Ob eine solche "kontrollierte Umweltnutzung" möglich ist, erscheint angesichts der Komplexität ökologischer Prozesse unwahrscheinlich.
O'Connor leitet aus seiner Interpretation des ökonomischen Prozesses die Unmöglichkeit eines Steady-State ab: "All life is catastrophic (deaths and new births, misfortune, succession). Our human destiny is unlikely to be any sort of steady-state; and pursuit of sustainability conceived as a strategy of catastrophe avoidance is probably vain. The 'crisis' that we face is primarily a moral one" (O'Connor 1993b, 415; meine Hervorhebungen). O'Connors "baudrillardsche" Rede vom katastrophischen Charakter menschlicher Existenz steht sehr offensichtlich quer zum Diskurs über Sustainable Development, aber in der Betonung des moralischen Aspekts liegt auch eine Nähe zu Dalys Vorstellungen. Ansonsten aber vertritt O'Connor vehement die Auffassung, daß ein Steady-State weder anstrebenswert noch möglich sei. Er verweist auf das Problem der Kontrolle der Material- und Energieströme: "In general, controlled technological change simply is not possible in the environment in the same way as within an industrial plant, and human societies are unable to control fully the disposal of material and energetic surpluses within the environment or their effects" (O'Connor 1993b, 437). Die "conservative logic" auch des Steady-State-Ansatzes sei problematisch: "the inclination to conjoin temporal irreversibility with an image of invariance or continuity. This risks mistaking desire for reality. At a social level, we know well that civilisations rise and fall. Moreover, it is possible to view the catastrophic inclination of our civilisation as a very 'natural' phenomenon, in the sense that our own sciences of natural history (population biology, biology, ecology) permit us to give axiomatic and paramount significance to uncontrolled innovation as an inherent and uneliminable feature of nature" (O'Connor 1993b, 447; seine Hervorhebungen). O'Connor vertritt die Auffassung, daß eine vollständige Kontrolle der Abgabe von Material und Energie an die Umwelt nicht möglich sei wie technischer Wandel in einem Industriebetrieb (O'Connor 1993b, 437). "The physics and biology of complex systems increasingly admits the impossibility in practice of total control of inter-process exchanges, and the sensitivity of most production processes to small pertubations. This implies, very simply, that we cannot hope to control the destinations and effects of all waste surpluses" (O'Connor 1993b, 451; seine Hervorhebung). Auf biophysikalischer Ebene hätte das Steady-State-Konzept einen "very static character. Also, it is not as far apart as might be supposed, from the technological optimists's fantasy of controlled transformation of the planet" (O'Connor 1993b, 447).
Diese Einwände sind m.E. allerdings eher ein Argument für Strategien von Scale-Reduktion und Steady-State (s. auch Luks 1997b) und besonders für den Slack. Die Unkontrollierbarkeit der Qualität des Durchsatzes führt zur Forderung, die Quantität zu limitieren, um damit das umweltgefährdende Potential wirtschaftlicher Aktivitäten zu senken. Es ist in der Tat zu berücksichtigen, daß bestimmte natürliche Prozesse – auch in der Landwirtschaft – sich der steuernden Manipulation durch Menschen entziehen (Benton 1989, 67f.). Daß eine erfolgreiche "ökologische Steuerung" nicht möglich ist, spricht aber nicht gegen eine Strategie der Durchsatzreduzierung, sondern verweist auf die Probleme bestehender Ansätze: "Die Umwelt läßt sich nach einer Überlastung nicht einfach wieder in einen gewünschten Zustand zurückbringen. Genau dieses ignoriert die 'real existierende' Umweltpolitik. (...) Heutige Umweltpolitik basiert auf einer folgenreichen doppelten Illusion. Zum einen wird schlicht erst dann gehandelt, wenn die Probleme offensichtlich oder Zusammenhänge exakt und wissenschaftlich nachweisbar sind, das heißt wenn die Notwendigkeit zum Handeln nicht mehr geleugnet werden kann. (...) Zum anderen herrscht in der Umweltpolitik noch immer eine weitere Machbarkeitsillusion vor: Schäden erkennen, Maßnahmen treffen, Verantwortliche zur Haftung heranziehen – darin wird nicht selten die Strategie der Zukunft vermutet" (Hinterberger et al. 1996, 74f.; ihre Hervorhebung). Dabei sind derartige Eingriffe oft kontraproduktiv: "There is mounting evidence that attempts to control nature only makes things worse. It is becoming apparent that we understand very little about the consequences of our actions" (Gowdy 1994, 197; meine Hervorhebung).
8.5. Steady-State und nachhaltige Umweltnutzung
Die Beeinflussung des Scale ist eine Strategie, die durch Stabilisierung bzw. Reduzierung des Material- und Energiedurchsatzes zur Verwirklichung intergenerativer Gerechtigkeit beitragen soll. Im Gegensatz zur gegenwärtigen Umweltnutzung soll also die Verteilung dieses Durchsatzes in der Zeit verändert werden. Die Bedeutung dieses Zeitaspekts für den Umweltschutz hat Ciriacy-Wantrup (1952, 51) schon früh hervorgehoben: "'(C)onservation' and its logical corollary but economic opposite, 'depletion,' are defined in terms of changes in the intertemporal distribution of use. In conservation, the redistribution of use is in the direction of the future; in depletion, in the direction of the present. Conservation always implies comparison of two or more time distributions of use" (seine Hervorhebung). Die Frage ist, ob der Steady-State hinreicht, um eine nachhaltige Umweltnutzung sicherzustellen. Für Daly ist, wie gezeigt, der Steady-State als Flußgleichgewicht der Anthroposphäre notwendige Bedingung einer nachhaltigen Entwicklung.
Bringezu (1996a, 200), drückt dies in der MI-Terminologie wie folgt aus: "Eine ökologisch zukunftsfähige Situation würde ein Fließgleichgewicht von Material Input und Material Output auf deutlich niedrigerem Niveau als dem derzeitigen voraussetzen sowie eine Konstanz der Flächennutzung", wobei er letztere Bedingung als "Konstanz der Flächenanteile der Kategorien gleicher Nutzungsintensität" konkretisiert. Das Verhältnis von Input und Output der Anthroposphäre kann man mit Bringezu/Schütz (1995, 28f.) in drei Kategorien einteilen: Wenn der Input den Output übersteigt, also Speicherungen in der Anthroposphäre stattfinden, liegt eine Wachstumsphase (im Hinblick auf die Bestände, nicht den Material- und Energiedurchsatz!) vor; wenn Input und Output pro Zeiteinheit den gleichen Umfang haben, ein Flußgleichgewicht, bei keine Materialspeicherung stattfindet; wenn der Output den Input übersteigt, liegt eine Abbauphase vor. Im Hinblick auf Sustainable Development ist diese Unterscheidung von entscheidender Bedeutung: "Da weder eine Wachstumsphase (I>O) noch eine Abbauphase (O>I) per se auf Dauer durchgehalten werden können, zeichnet sich eine zukunftsfähige Wirtschaft in stofflicher Sicht durch ein Fließgleichgewicht (I=O) aus. Jede Abweichung davon bedeutet, daß diese eine Randbedingung von Zukunftsfähigkeit (noch) nicht erfüllt ist" (Bringezu/Schütz 1995, 31; meine Hervorhebung; I = Input, O = Output). Das Vorliegen eines solchen Gleichgewichts sagt aber nichts über den Umfang des Durchsatzes aus. Ebenso wenig ist damit der Anteil der erneuerbaren bzw. nichterneuerbaren Ressourcen bestimmt. Auch über die (toxikologische) Qualität des Durchsatzes sagt ein derartiges Gleichgewicht wenig (Bringezu/Schütz 1995, 31).
Welche Implikationen hat also der Scale und seine Veränderungen für die ökologische Dimension eines Sustainable Development? Anders formuliert: Wie verhält sich der Steady-State zu den Regeln, die ökologische Nachhaltigkeit sichern sollen? Diese Regeln lauten (s. 4.4.1.):
1. Erneuerbare Ressourcen dürfen nicht über ihre Regenerationsfähigkeit hinaus genutzt werden ("sustainable yield"), außerdem sind im Bereich erneuerbarer Ressourcen Substitute für den Abbau nicht-erneuerbarer Ressourcen zu schaffen.
2. Nicht-erneuerbare Ressourcen dürfen nur in dem Maße abgebaut werden, in dem Substitute für die abgebaute Menge geschaffen werden.
3. Die Senken dürfen nur so weit belastet werden, daß ihre Funktions- und Regenerationsfähigkeit nicht zerstört wird.
4. Die unmittelbare Nutzung von Fläche durch Menschen darf nicht zunehmen.
5. Großgefahren sind zu vermeiden.
6. Die Biodiversität muß erhalten werden.
7. Der ästhetische Wert der natürlichen Umwelt muß geschützt werden.
Die sich auf Quellen und Senken beziehenden ersten drei Regeln sind in einem Flußgleichgewicht erfüllbar, ein solches Gleichgewicht sichert aber keinesfalls deren Einhaltung – entscheidend ist das Niveau des Steady-State und die Qualität des Durchsatzes. Daly (1993b, 379) betont zwar, daß "(t)he SSE seeks to guide the economy toward maximum feasible reliance on solar energy and renewable resources and away from the current unsustainable practice of living largely on accumulated geological capital" – eine Beeinflussung des Scale reicht hierfür aber nicht aus. Die Auswirkung des Steady-State auf den Flächenverbrauch hängt mit der Einhaltung der ersten quellenbezogenen Regeln zusammen, da eine verstärkte Nutzung erneuerbarer Ressourcen auch bei konstantem Durchsatz tendenziell zu einem erhöhten Flächenbedarf führen wird. Gleichzeitig wirkt ein Flußgleichgewicht ceteris paribus in Richtung einer konstanten Flächennutzung, da der in der Anthroposphäre gespeicherte Materialbestand bei einem solchen Gleichgewicht konstant ist. Regel 5 kann praktisch auf jedem Scale-Niveau eingehalten oder mißachtet werden. Die Sicherung von Artenvielfalt und der Schutz der "Schönheit der Natur" sind innerhalb eines Flußgleichgewichts der Anthroposphäre eher zu verwirklichen als bei einem Wachstum des Scale – ein Steady-State allein sichert aber nicht die Erreichung dieser Ziele.
Wie oben gezeigt wurde, existieren in der Tat ökologische Grenzen der Ausweitung des Material- und Energiedurchsatzes. Im Hinblick auf die Erhaltung des Naturkapitals und die Einhaltung der Sustainability-Regeln hat der Steady-State deshalb den Charakter einer zu erfüllenden Rahmenbedingung. Mit dauerhaftem physischen Wachstum, also einer permanenten Ausweitung des Material- und Energiedurchsatzes ist eine Einhaltung der Regeln und mithin der Erhalt des Naturkapitals nicht möglich. Der Steady-State ist Grundlage ökologischer Nachhaltigkeit, er ist notwendige Bedingung für diesen Aspekt nachhaltiger Entwicklung. Daß er aber keine hinreichende Bedingung ist, ein Steady-State also nicht – entgegen der Auffassung von Daly – mit Nachhaltigkeit gleichgesetzt werden kann, ist offensichtlich. Ein Flußgleichgewicht ist mit einer Verletzung aller genannten Nachhaltigkeitspostulate "vereinbar". Doch auch ein Steady-State, in dem die Quellen- und Senkenbelastung auf einem nachhaltigen Niveau stabilisiert ist, verhindert keinesfalls notwendigerweise eine nicht-nachhaltige Ausweitung der Flächennutzung, einen drastischen Rückgang der Artenvielfalt oder die Zerstörung ästhetischer Qualitäten der Umwelt. Aufgrund der begrenzten Umwelt ist aber keine der genannten Regeln (mit der möglichen Ausnahme der auf Großgefahren bezogenene Regel) bei unbegrenztem Wachstum des Material- und Energiedurchsatzes einzuhalten. Ohne den Steady-State wird aber aufgrund der Begrenztheit der natürlichen Umwelt Nachhaltigkeit nicht zu verwirklichen sein. Die Grenzen der Umwelt sind freilich nicht exakt bestimmbar, weshalb die Zielsetzung nachhaltiger Entwicklung die Einhaltung eines gewissen "Slack" zwischen dem als maximal für möglich erachteten und dem tatsächlichen Material- und Energiedurchsatz nahelegt. Außerdem ist es angesichts der aktuellen globalen Ungleichverteilung dieses Durchsatzes aus ökologischer Sicht unerläßlich, daß die Industriestaaten ihren Material- und Energiedurchsatz senken, wobei der Faktor 10 ein plausibler Richtwert ist. Zwischen der heutigen Durchflußwirtschaft und dem Ziel des Steady-State liegt also der Declining State, also eine durch einen Rückgang des Scale gekennzeichnete Entwicklung.
Um Grundlage nicht nur ökologischer Nachhaltigkeit, sondern auch von Sustainable Development zu sein, muß der Steady-State auch mit der wirtschaftlichen und sozialen Dimension dieser Zielsetzung vereinbar sein. Dabei wird es von entscheidender Bedeutung für Möglichkeiten und Folgen der Scale-Reduktion und -Stabilisierung sein, ob ein ökologischer Declining und Steady-State auch zu einem Sinken bzw. einer Stabilität des Sozialprodukts führen würden. Wie sich im folgenden zeigen wird, ist im Hinblick auf die ökonomische Dimension noch ein anderes Problem berührt: Was bedeutet angesichts der hier beschriebenen Umwelteigenschaften und der Anforderungen an eine ökologisch nachhaltige Entwicklung der wirtschaftliche Zentralbegriff Effizienz?
9. Wirtschaftswachstum und Effizienz: Die ökonomische Dimension des Steady-State
9.1. Was wächst?
9.1.1. Scale, Sozialprodukt, Lebensqualität
Das Verhältnis von Scale und Sozialprodukt ist ein zentrales Problem für die Möglichkeit nachhaltiger Entwicklung, gleichwohl ist eine klare Beziehung zwischen Wachstum und Umweltzustand nicht einfach zu bestimmen: "In trying to determine the causal relationship, assess the trade-offs, and strike a reasoned cost-benefit balance between economic growth and environmental integrity, we constantly run into the unknown and unknowable (or even the unthinkable), into the unmeasured or unmeasurable (or even the infinite)" (Heller 1972, 3f.). Es ist deshalb sinnvoll, sich über den Wachstumsbegriff genauer klar zu werden.
Ich verwende den Begriff des Wirtschaftswachstums in der üblichen Weise für die Zunahme des Bruttoinlands- bzw. –sozialprodukts – Wirtschaftswachstum ist die Zunahme der in einer Volkswirtschaft in einem Jahr geleisteten Produktion von Gütern und Dienstleistungen. Diese Größe ist bis heute – trotz aller wissenschaftlichen Kritik an diesem Indikator – wichtigste Zielgröße von Wirtschaftspolitik. Die Frage nach Wachstumsgrenzen impliziert stets auch die Frage danach, welche Art von Wachstum begrenzt ist (Ekins 1993, 270). Ökologischen Grenzen kann das Sozialprodukt dann "entkommen", wenn es sich vom physischen Produktionswachstum abkoppelt (Ekins 1993, 272). Man kann zwischen drei Arten des Wachstums unterscheiden (Ekins 1993, 270; Ekins/Jacobs 1994, 1) (89):
Die ökologische Relevanz des Durchsatzes wurde ausführlich erörtert, hier geht es um das Verhältnis jenes Durchsatzes zum Wachstum der Wirtschaft. In Kapitel 10 wird es um die Auswirkungen des Wirtschaftswachstums auf Bedürfnisbefriedigung und damit auf die Wohlfahrt gehen. Zwischen Durchsatz-, Wirtschafts- und Wohlfahrtswachstum besteht keine starre Beziehung: Sie können sich "entkoppelt" voneinander entwickeln. Im Hinblick auf die Zielsetzung einer nachhaltigen Entwicklung ist zu berücksichtigen, daß es hier auf menschliches Wohlbefinden ankommt und nicht auf das Wachstum des Sozialprodukts. Die entscheidende Frage ist demnach die Vereinbarkeit von ökologischer Nachhaltigkeit und menschlichem Wohlbefinden (Ekins/Jacobs 1994, 2; Femia et al. 1996).
Wie in Abschnitt 3.1. erörtert, lassen Wachstum und Entwicklung sich zwar konzeptionell voneinander abgrenzen, tatsächliche Wachstumsprozesse sind jedoch praktisch niemals nur quantitative Veränderungen, sondern stets mit qualitativem Wandel verbunden. Wachstum schließt technologische Veränderungen ebenso ein wie Substitutionsprozesse im Hinblick auf den Einsatz von Produktionsfaktoren. Die Frage der Substitutionsmöglichkeiten zwischen den Produktionsfaktoren ist hier erneut von entscheidender Bedeutung. Inwieweit Substitutionen mittel- und langfristig möglich sind, bestimmt in erheblichem Ausmaß die Möglichkeiten der Entkoppelung zwischen Wirtschaftswachstum und Zunahme der Umweltbelastung. Perman et al. (1996, 296f.) unterscheiden hier zwei Extrempositionen, die an die Debatte über das angemessene Nachhaltigkeitskriterium erinnern: Auf der einen Seite argumentieren einige Autoren, daß ein funktionierender Preismechanismus letztlich jede feste Beziehung zwischen wirtschaftlichen Aktivitäten und Umweltverbrauch zerstöre. Viele Vertreter des neoklassischen Paradigmas lassen eine derartige Sichtweise erkennen, die die Entkoppelungsmöglichkeiten als praktisch unbegrenzt ansieht. Auf der anderen Seite wird argumentiert, daß nur begrenzte Substitutionsmöglichkeiten existierten und folglich eine äußerst enge Kopplung von Wirtschaftswachstum und Zunahme der Umweltbelastung bestehe. Daly und viele andere Vertreter der Ecological Economics sind hier einzuordnen. Einige Autoren gehen von einer direkten Kopplung von Wirtschaftswachstum und sinkender Umweltqualität aus: "Continued economic growth will mean continued degradation of the planet's life support systems. (...) The basic problem is that all production uses scarce resources and generates pollution. (...) (A)ll economic activity produces pollution and uses scarce resources" (Gowdy 1994, 155, 159; s. auch Kosz 1995, 23). Dies gilt aber nur, wenn die Wertschöpfung nicht von der "Schadschöpfung" durch Material- und Energiedurchsatz abgekoppelt werden kann. Nach dem Stand der Dinge ist nicht davon auszugehen, daß Wertschöpfung sich gänzlich von biophysikalischen Grundlage abzukoppeln vermag, denn: "The throughput of materials and energy is the base on which value can be added, as Boulding (1966) and Georgescu-Roegen (1971) (...) and later Daly pointed out. If this base shrinks, so will the opportunity to grow. If technology can squeeze more value added from a given throughput via productivity enhancement and through the restructuring of final demand, nothing will be wrong with growth. But this is not the way the world economy has been expanding." (El Serafy/Goodland 1996, 118)
9.1.2. Daly über Steady-State und Wirtschaftswachstum
Daly ist ein technologischer Skeptiker. Er hält das Potential technologischer Lösungen für begrenzt und verwirft insbesondere die Vorstellung, technischer Fortschritt könne zu nachhaltigem Wachstum führen. Dennoch sieht auch Daly, daß das Ziel eines Sustainable Development ohne technische Verbesserungen im Hinblick auf die Umweltnutzung nicht erreicht werden kann. Technischer Fortschritt, so betont er (Daly 1992d, 34f.), müsse auf die Steigerung der Produktivität natürlichen Kapitals gerichtet werden und nicht auf eine immer weitergehende Erhöhung der Arbeitsproduktivität. Daly (1981, 166) meint, daß "those growth economists who argue that 'exponential growth in technology' will free economic growth from material and energy constraints should explain how technical progress itself can be made without material and energy investments in research." Hier liegt ein entscheidendes Argument: Nicht nur sind auch Dienstleistungen an einen Durchsatz an Material und Energie gebunden, sondern auch jene Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten, die die umweltentlastenden Innovationen voranbringen sollen.
Der Steady-State ist für Daly (1993a, 24) das Gegenteil einer wachsenden Wirtschaft. Wachstumskritik ist der Ausgangspunkt seiner Konzeption. Wachstum ist für Daly quantitative Zunahme, unter Entwicklung versteht er qualitative Verbesserung und die Verwirklichung von Potential (1996a, 13; s. auch 1993c, 267f.; Daly/Townsend 1993d, 245f.). Wachstum bezieht sich bei Daly auf pyhsikalische Größen, Entwicklung auf qualitative Verbesserungen nichtphysikalischer Parameter (1991b, 225; s. auch 1996c, 113). In Beyond Growth definiert Daly Wachstum als "an increase in the physical scale of the matter/energy throughput that sustains the economic activities of production and consumption of commodities" (1996a, 31). Entwicklung ist demgegenüber "(q)ualitative improvement in the use made of a given scale of throughput, resulting either from improved technical knowledge or from a deeper understanding of purpose" (Daly 1996a, 31). Dies läßt unklar, ob Wirtschaftswachstum Entwicklung oder Wachstum bedeutet: Eine Zunahme des Sozialprodukts ist zwar eine quantitative Veränderung, doch erstens bezieht diese sich nicht auf eine physikalische Größe und zweitens ist Wachstum des Sozialprodukts stets mit qualitativen Veränderungen verbunden (s. Abschnitt 3.1.). Wenn Wirtschaftswachstum bei konstantem Durchsatz zu qualitativen Verbesserungen führt, ist dies nach Dalys Terminologie Entwicklung, wenn die Zunahme des Sozialprodukts lediglich zu einer Steigerung des Material- und Energiedurchsatzes führt, ist dies nach Daly Wachstum. Ein höheres Sozialprodukt, das zu einer Erhöhung der Lebensqualität führt und gleichzeitig zu einem erhöhten Energie- und Materialverbrauch, wäre dann Wachstum und gleichzeitig Entwicklung. Der Zusammenhang von Wachstum und Entwicklung ist dann nicht zuletzt eine Funktion der technischen Möglichkeiten. Das Reden vom "nachhaltigen Wachstum" beispielsweise basiert auf der Annahme, daß Entwicklung und Wachstum (in Dalys Sinne) voneinander abgekoppelt werden können und daß nachhaltiges Wachstum und also nachhaltige Entwicklung mit einer weiteren Steigerung des Sozialprodukts – Wirtschaftswachstum – einhergehen. Technologie, so die implizite oder explizite Grundlage der These von der Möglichkeit nachhaltigen Wachstums, wird eine Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Zunahme der Umweltbelastung ermöglichen.
Dalys Auffassungen liegt eine mindestens problematische Interpretation des Indikators "Sozialprodukt" zugrunde: "GNP is an index of throughput, not welfare" (1996a, 41). Zwar ist das Bruttosozialprodukt in der Tat kein Index für Wohlfahrt, es ist aber auch ganz gewiß kein Indikator für den Material- und Energiedurchsatz einer Wirtschaft. Das Bruttosozialprodukt gibt den Wert der in einem bestimmten Gebiet in einem bestimmten Zeitraum hergestellten Güter und Dienstleistungen an. An anderer Stelle sagt Daly (1991b, 17), daß Wirtschaftswachstum, "(a)s currently measured by real GNP, which is a value index of a physical flow, (...) is strictly tied to physical quantities" (kursiv von ihm, fett von mir; s. auch 1974, 16). Das Bruttosozialprodukt könne zwar nicht in einfachen physikalischen Einheiten gemessen werden, aber "it remains an index of physical quantities and therefore should be very much subject to laws of physics" (Daly/Townsend 1993b, 51f.; s. auch Daly 1993a, 15 u. 44, En. 5).
Daly ist sich zwar darüber im klaren, daß das Bruttosozialprodukt den Wert von Gütern und Dienstleistungen mißt (Preis * Menge). Weil das reale Bruttosozialprodukt aber Mengenveränderungen zeige, sei dies "(p)erhaps the best index of scale of throughput" (1992a, 186). Er übersieht aber den entscheidenden Umstand, daß, wenn einzelne Güter mit weniger Material- und Energiedurchsatz hergestellt und betrieben werden (z.B. aufgrund technischen Fortschritts), eine höhere Gütermenge einen niedrigeren Durchsatz bedeuten kann. Sicher ist, daß hier keine unmittelbare Koppelung der Menge der produzierten und konsumierten Güter und Dienstleistungen an den Umweltverbrauch besteht. Daly (1991b, 206) widerspricht sich hier außerdem selbst, wenn er – fälschlicherweise! – davon ausgeht, daß wenn "the throughput lags behind the circular flow, then we get inflation". Denn eine solche Entwicklung wäre bei fixer Technologie gar nicht denkbar. Solange die Ressourcenproduktivität unverändert bleibt, steigt mit dem Bruttosozialprodukt zwar der Umweltverbrauch. Diese Produktivität ist aber keine fixe Größe, und Daly selbst argumentiert für Maßnahmen zu deren Verbesserung. Ein Wachstum des Bruttosozialprodukts muß nicht notwendigerweise mit einem Anstieg der Umweltbelastung einhergehen. Doch selbst wenn eine strikt proportionale Beziehung bestünde: Das Bruttosozialprodukt ist kein Indikator für den Material- und Energiedurchsatz einer Wirtschaft.
Wie schon ausgeführt (s. Abschnitt 4.1.), machen sich die meisten Vertreter der Ecological Economics die Perspektive eines vernünftigen technologischen Skeptizismus zu eigen. Daly, der diese Position mitformuliert hat (Costanza et al. 1991), wendet diese Sichtweise auch auf den Zusammenhang von Wirtschaftswachstum und Material- und Energiedurchsatz an. Daly (1996a, 42) wendet sich vehement gegen die Vorstellung, durch die zunehmende Bedeutung von Wissen im Wirtschaftsprozeß könnte man biophysikalischen Grenzen entkommen (s. auch 1993a, 46f., En. 32; s. auch 1973a, 273). Daly geht von einer Kopplung des Dienstleistungssektors an die Güterproduktion aus. Auch Wissen sei an Material- und Energiedurchsatz "gekoppelt", die Anwendung von Wissen ist stets an menschengemachtes Kapital gebunden (naheliegende Beispiele sind Computer und Bibliotheken). Folglich: "No low-entropy matter/energy, no capital – regardless of knowledge" (Daly 1996a, 66). Kapital sei, wie schon Boulding festgestellt habe, in physischen Strukturen "gefrorenes" Wissen, Entropie "schmelze" diese Strukturen. "Knowledge, to mean anything for the economy, must be imprinted on the physical world" (Daly 1995b, 622). Wissen und niederentropisches Material und Energie seinen deshalb "fundamentally complements" (Daly 1995b, 622). Cleveland (1987, 69) weist also zurecht darauf hin, daß für "Daly and other biophysical analysts, the seeds of technological change are sown in the human mind, but it's roots are firmly planted in the biophysical world."
Wenn eine strikte Kopplung von Sozialprodukt und Durchsatz bestünde, implizierte dies im Umkehrschluß eindeutig, daß ein Steady-State (Konstanz des Durchsatzes) sofort zu wirtschaftlichem Null-Wachstum (Konstanz des Sozialprodukts) führt. Daly weist darauf hin, daß die Steady-State-Ökonomie ein physisches Konzept ist und daß sie "is not defined in terms of gross national product. It is not to be thought of as 'zero growth in GNP'" (1996a, 32; meine Hervorhebung; auch 1991b, 183). An anderer Stelle spricht Daly aber von der "stationary, no-growth economy" (1971c, 226), der "steady, stationary, or no-growth economy" (1993a, 24; meine Hervorhebung), von der "zero-growth or steady-state economy" (1982, 251; meine Hervorhebung) und von der Steady-State-Wirtschaft als "no-growth economy, but not a no-development economy" (1976, 38). Und schließlich: "The concept of a SSE is independent of GNP, and what happens to GNP in the SSE simply does not matter. The best thing to do with GNP is to forget it" (Daly 1993e, 330; meine Hervorhebung; s auch 1976, 17). Dazu ist anzumerken, daß die Auswirkungen eines Steady-State auf das Bruttosozialprodukt für den "Erfolg" einer stationären Wirtschaft ganz gewiß nicht "egal" sind (s. Kapitel 10f.).
Daly macht einige Aussagen, die eindeutig auf die Identität von Steady-State und Null-Wirtschaftswachstum hinauslaufen. "The antithesis of the steady-state economy", so Daly (1977b, ix), "is the growth economy, which is still defended by a large majority of economists and politicians." Die Steady-State-Ökonomie sei eine "alternative to growthmania" (1991b, 180). Ökonomen und Politiker sind aber bekanntlich nicht an einer Steigerung des Material- und Energiedurchsatzes interessiert, sondern am Wachstum des Bruttosozialprodukts. Wenn man den Begriff der Manie (Besessenheit, Sucht, krankhafte Leidenschaft) bemühen will, geht es hier ganz sicher um "Wirtschaftswachstumsmanie" und nicht um "Material- und Energiedurchsatzwachstumsmanie". Und: Wenn Wachstum die "moralischen Grundlagen" einer Gesellschaft untergräbt, wie Daly nicht müde wird zu betonen (s. Abschnitt 5.3.2.), bezieht sich diese Einschätzung gewiß auf Wirtschaftswachstum und nicht auf Durchsatzwachstum. Und auch folgende Aussage spricht für die Identität von Steady-State und Nullwachstum: "In a steady state, if the rich get richer the poor must get poorer, not only relatively but absolutely" (Daly 1996a, 214). Arm und reich bemißt sich nicht (nur) nach dem Anteil am Material- und Energiedurchsatz der Anthroposphäre, sondern vor allem nach dem Anteil an Einkommen und Vermögen – an monetären Größen. Schließlich beruhen die institutionellen Vorschläge zur Regelung von Einkommens- und Vermögensverteilung eindeutig auf der Prämisse, daß das Sozialprodukt in einem physischen Steady-State nicht wachsen wird.
Um zusammenzufassen:
Darüber, ob die gelegentlichen Hinweise, daß Steady-State und Nullwachstum nicht gleichzusetzen seien, "politisch-taktisch" motiviert sind, soll hier nicht spekuliert werden. Plausibel erscheint die Annahme, daß Daly mit Nachdruck darauf hinweisen will, daß ein Steady-State ein physisches Konzept ist und daß die Reduzierung/Stabilisierung des Material- und Energiedurchsatzes das entscheidende Kriterium für den Steady-State ist. Ausgangspunkt ist die Beeinflussung des Durchsatzes, Senkung/Ende des Wirtschaftswachstums ist die Folge einer Politik, die auf die Reduzierung und Stabilisierung des Durchsatzes gerichtet ist. Aus ökologischer Sicht ist für Daly ein Steady-State notwendig. Daß dies mit einem Ende des Wirtschaftswachstum einhergeht, ist für Daly allerdings nicht ein bedauernswerter Nebeneffekt, sondern eine zu begrüßende Entwicklung. "Nicht-Wachstum" heißt bei Daly also Stationarität von Sozialprodukt und physischen Größen.
Daly (1993c, 267) hält Sustainable Growth folglich für ein "bad oxymoron". Diese Auffassung fußt auf seiner Unterscheidung zwischen Wachstum und Entwicklung, aber auch Daly muß sehen, daß mit Sustainable Growth niemals das nachhaltige Wachstum des Material- und Energiedurchsatzes gemeint ist, sondern stets die Zunahme des Sozialprodukts bei gleichzeitiger Erhaltung der Umweltqualität. Dalys Terminologie ist deshalb aus zwei Gründen auf Sustainable Growth gar nicht anwendbar: Erstens meint dies stets Wirtschaftswachstum, zweitens basiert die These vom nachhaltigen Wachstum auf einer Betrachtung von Einzelstoffen und -gefahren und nicht auf der Analyse des Gesamt-Material- und Energiedurchsatzes. In Dalys Terminologie wäre Sustainable Growth identisch mit Sustainable Development – wenn man berücksichtigt, daß Sustainable Growth sich stets auf das Sozialprodukt bezieht. Daly allerdings kritisiert die These vom nachhaltigen Wachstum und betont, daß dieses mit nachhaltiger Entwicklung aus seiner Sicht nichts zu tun hat. Sustainable Growth sei nur "one more adjustment to the standard view", Sustainable Development dagegen sei eine "alternative to the standard growth ideology and is incompatible with it" (1996a, 167), gerade die Nicht-Nachhaltigkeit von Wachstum gebe dem Konzept des Sustainable Development seine Dringlichkeit (Daly 1993c, 268).
9.1.3. Die Aufklärung eines entscheidenden "Mißverständnisses"
Folgt man Dalys Sichtweise bzw. dem "Wuppertaler Ansatz", kommt es darauf an, den gesamten Material- und Energiedurchsatz zu reduzieren. Anders formuliert: Sustainable Development erfordert eine Reduktion und Stabilisierung des Scale bzw. der Total Material Requirements – global können 50%, für die Industrieländer 90% als plausibler (aber nicht zwingender) Zielwert angenommen werden. Es sind absolute und nicht relative Veränderungen, auf die es unter dem Aspekt der ökologischen Zukunftsfähigkeit ankommt. (s. auch Kraemer 1994). Die Unterscheidung zwischen Ressourcenproduktivität und –gesamtdurchsatz bzw. MIPS und MI wird oft nicht hinreichend berücksichtigt. Ein besonders deutliches Beispiel für dieses Problem verdeutlicht die Interpretation des Faktor 10-Ziels durch Adriaanse et al. (1997, 16), für die diese Zielsetzung "is equivalent to a tenfold reduction of the ratio TMR/GDP, through both decreases in absolute levels of materials requirements and increases in economic activity" (meine Hervorhebung). Diese Aussage ist selbstverständlich korrekt: Ein Wirtschaftswachstum von 90% bei konstantem TMR bedeutet eindeutig eine Steigerung der Ressourcenproduktivität um 90%. Gleichzeitig bedeutet eine solche Situation, daß das Umweltbelastungspotential um exakt 0 % abgenommen hat. Eine ähnliche Konfusion scheint hinsichtlich des Bevölkerungswachstums zu bestehen: Bei Adriaanse et al. (1997) wird "meaningful dematerialization" auf Seite v als "an absolute reduction in per capita use of natural resources" (meine Hervorhebung) bezeichnet, auf Seite 2 aber als "absolute reduction in natural resource use". Eine Rückführung des Pro-Kopf-Verbrauchs führt nur dann zu einer absoluten Reduktion des Ressourcenverbrauchs, wenn sie nicht durch Bevölkerungswachstum (über-)kompensiert wird.
Im MAIA wird Dematerialisierung folgendermaßen definiert (Schmidt-Bleek 1996, 79): In Bezug auf Produktlinien bedeutet Dematerialisierung die lebenszyklusweite Verringerung des MI in die Wirtschaft einschließlich von Energieträgern und ökologischen Rucksäcken für die Befriedigung bestimmter Bedürfnisse. Im Hinblick auf Wirtschaftsräume heißt Dematerialisierung die Verringerung von MI pro Kopf in einem bestimmten Wirtschaftsraum über einen bestimmten Zeitraum. Selbst wenn eine Reduktion des globalen MI um den Faktor 10 hinreichende Bedingung für ökologische Nachhaltigkeit wäre und beide genannten Dematerialisierungen verwirklicht würden, hieße dies noch nicht, daß Nachhaltigkeit erreicht wäre. Die produktbezogene Dematerialisierung kann durch Wirtschaftswachstum "aufgefressen" werden, die regionenbezogene durch Bevölkerungswachstum. Notwendige Bedingung für Nachhaltigkeit ist aber eine absolute Reduktion des MI. Orientiert man sich am Faktor 10-Postulat, muß Dematerialisierung also wie folgt definiert werden: Dematerialisierung ist die absolute und dauerhafte Reduktion des globalen MI um 90%.
Schmidt-Bleek betont wiederholt die Notwendigkeit, die Ressourcenproduktivität zu erhöhen (z.B. Schmidt-Bleek 1994, 170f.). Die Publikationen des Wuppertal Instituts legen immer wieder die Identität von Ressourcenproduktivitätssteigerung und absoluter Stoffstromreduktion nahe. An einer wichtigen Stelle in Wieviel Umwelt braucht der Mensch? schreibt Schmidt-Bleek (1994, 171) allerdings, daß es keinen Sinn habe, "Produkte zu dematerialisieren und dann mehr davon zu verkaufen. (...) Die technisch machbare Erhöhung der Ressourcenproduktivität muß ergänzt werden durch eine mehr und mehr selbstverständliche Genügsamkeit der Menschen im Umgang mit materiellen Dingen." Mit anderen Worten: Steigerungen der Ressourcenproduktivität müssen durch Suffizienz ergänzt werden, soll das Ziel einer Stoffstromreduktion in den Industriestaaten um den Faktor 10 erreicht werden. Eine Steigerung der Ressourcenproduktivität um 90% reduziert die Stoffströme nur dann um den gleichen Wert, wenn weder Wirtschaft noch Bevölkerung wachsen. Sehr oft wird in diesem Zusammenhang von "Effizienzrevolution" gesprochen. Dieser Begriff wurde vor allem von von Weizsäcker in die Diskussion gebracht. Richtig ist aber, von Produktivität anstatt von Effizienz zu sprechen. "Ressourcen-Produktivitätsrevolution" mag eine "grausige Wortschöpfung" (Schmidt-Bleek 1994, 171) und weniger griffig als "Öko-Effizienzrevolution" sein, beschreibt die Sache aber richtig. Im MAIA-Handbuch heißt es entsprechend unter dem Stichwort "Produktivitätsrevolution: drastische Dematerialisierung der Wirtschaft oder drastische Erhöhung der Ressourcenproduktivität mit technischen Mitteln" (Schmidt-Bleek 1996, 83).
Der MI ist der gesamte Materialinput (z.B. einer Volkswirtschaft). Für auf Sustainable Development gerichtete Maßnahmen ist dieser Input die entscheidende Variable: Ziel ist die Senkung des Throughputs bzw. des Scale (s. Abschnitt 8.1.). Ist das normative Ziel eine Senkung des Gesamt-MI um den Faktor 10, ist die Steigerung der Ressourcenproduktivität (oder die Senkung der MIPS) nur dann hinreichend, wenn die Anzahl der S-Einheiten nicht steigt. Bezogen auf die volkswirtschaftliche Materialintensität – TMR/BIP – bedeutet dies, daß eine MI-Senkung um den gewünschten Faktor durch Steigerungen der Ressourcenproduktivität nur unter der Voraussetzung einer monetär stationären Wirtschaft erreicht wird (s. auch Luks 1994).
9.2. Grenzen des Wachstums oder Wachstum der Grenzen?
9.2.1. Entkoppelung: "Environmental Kuznets Curve" ...
Im Hinblick auf das Steady-State-Konzept ist die Frage, ob sich Wirtschaftswachstum vollziehen kann, ohne daß gleichzeitig der Scale wächst (s. zum folgenden Friends of the Earth Europe 1995, 137ff.). Nichtentkoppeltes Wachstum in diesem Sinne würde bedeuten, daß die Stoffströme in gleichem oder höherem Maße ansteigen als die Wirtschaftsleistung, oder:
d BIP < d MI
Von relativer Entkoppelung kann gesprochen werden, wenn die Wachstumsrate der Stoffströme geringer ist als die der Wirtschaftsleistung, die Stoffströme jedoch nach wie vor konstant bleiben oder ansteigen, also:
d BIP > d MI und MIt+1 > MIt
Als absolute Entkoppelung kann bezeichnet werden, in der die Wachstumsrate der Stoffströme geringer ist als die der Wirtschaftsleistung, im Gegensatz zur relativen Entkoppelung die Stoffströme aber zurückgehen. Formal ausgedrückt bedeutet dies:
d BIP > d MI und MIt+1 < MIt
Im Steady-State bedeutet Wirtschaftswachstum, daß
BIPt+1 > BIPt und MIt+1 = MIt
Da, wie gezeigt, eine Reduzierung der Stoffströme um den Faktor X als notwendige Bedingung für eine in ökologischer Hinsicht nachhaltige Entwicklung anzusehen ist, ist es diese und nur diese Art von Entkoppelung, die zu einer Kompatibilität von Steady State und Wirtschaftswachstum führen könnte. Mit de Bruyn/Opschoor (1997, 258) kann analog zwischen schwacher und starker Dematerialiserung differenziert werden. Fallende Materialintensität wäre in diesem Sinne eine schwache Dematerialisierung. Starke Dematerialisierung liegt dann vor, wenn der tatsächliche absolute Materialverbrauch abnimmt.
Eine ganz andere Auffassung als Daly über den Zusammenhang von ökologischen Problemen und Entwicklung wird z.B. von der Weltbank (1992, 25) vertreten, die von einer "false dichotomy" zwischen Umwelt und Entwicklung spricht und dabei mit Entwicklung auch wirtschaftliches Wachstum meint. Damit einher geht oft die Auffassung, im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung werde die Umweltbelastung zwar zunächst zunehmen, ab einem bestimmten Niveau des Bruttosozialprodukts aber wieder zurückgehen. Seit einiger Zeit wird dies in der Ökonomik unter der Überschrift "Environmental Kuznets Curve" (EKC) diskutiert – eine Debatte, die für manche Autoren mit dem ökologischen Diskurs der 1970er Jahre vergleichbar ist, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen: "The Environmental Kuznets Curve is, to the proponents of economic growth, what the Limits to Growth was to the proponents of environmental conservation." (N.N. 1996, 103). In der Tat liegt die Bedeutung des EKC-Arguments darin, daß – wenn der Zusammenhang tatsächlich bestünde – "economic growth is a means by which environmental protection can be pursued, rather than a cause of environmental degradation" (Perman et al. 1996, 304). Das Kuznetskurven-Argument muß ernstgenommen werden, denn wenn wirtschaftliche Entwicklung gleichsam automatisch zu substantiellen Umweltentlastungen führen würde, hätte dies Auswirkungen, die Notwendigkeiten (und Möglichkeiten) von Umweltpolitik. Von entscheidender Bedeutung für die Interpretation von Entkoppelungstendenzen ist die Frage, ob eine Entkoppelung zu einem absoluten Rückgang der Umweltbelastung führt (s. z.B. M. Binswanger 1993; Jänicke et al. 1992; Simonis 1994), und dies gilt auch für die EKC. Zunächst aber zu der Frage, was die Ursache für den genannten Zusammenhang sein könnte.
Die Position, daß Wachstum nicht notwendigerweise zu erhöhter Umweltbelastung führen muß, sondern sich im Gegenteil positiv auf die Umweltqualität auswirken kann, wird vor allem von der Weltbank vehement vorgetragen (World Bank 1992, 9ff., 36ff.). Diese Position basiert auf drei Annahmen (Perman et al. 1996, 302ff.). Erstens auf der wohlbekannten Vermutung, daß technologische Veränderungen, Substitutionsprozesse und veränderte Nachfragestrukturen im Laufe der Zeit (und mithin im Laufe des Wachstumsprozesses) dazu führen, daß die Kopplung zwischen Wirtschaftswachstum und Zunahme der Umweltbelastung an Bedeutung verliert. Zweitens wird argumentiert, daß empirische Untersuchungen einen langfristig negativen Zusammenhang zwischen wirtschaftlichen Aktivitäten und Umweltbelastungen zeigen. Dies gilt bisher freilich lediglich für bestimmte Emissionen. Ob der Gesamtdurchsatz einem derartigen Zusammenhang unterliegt, ist aber eine entscheidende Frage. Drittens, auch dies ein wohlbekanntes Argument, sei eine Reihe von Emissionsreduktionen schon durch veränderte Anreizstrukturen (relative Preise) in erheblichem Umfang zu realisieren.
Der Begriff "Environmental Kuznets Curve" bezieht sich auf Kuznets' Beobachtungen im Hinblick auf den Zusammenhang von Sozialprodukt und Einkommensverteilung. Danach hat das Verhältnis zwischen Niveau des Pro-Kopf-Einkommens und Ungleichheit der Einkommensverteilung die Form eines umgedrehten Us ("inverted U"). Bei steigendem Pro-Kopf-Einkommen steigt also zunächst die Ungleichverteilung, erreicht ein Maximum bei mittlerem Pro-Kopf-Einkommen und geht zurück, wenn ein Land die Charakteristika eines Industrielandes erreicht. Kuznets These beruhte auf fragmentarischen Daten, gilt aber als durch spätere Untersuchungen insofern bestätigt, als daß ein dem umgedrehten U ähnelnder Zusammenhang bei Vergleichen zwischen Ländern mit niedrigem, mittlerem und hohem Pro-Kopf-Einkommen zu erkennen ist. Die Anwendung auf einzelne Länder erscheint aber begrenzt (Gillis et al. 1987, 84ff.). Insbesondere in einigen asiatischen Ländern stehen die Daten im Widerspruch zur Kuznets-These (Gillis et al. 1987, 86; James et al. 1989, 201ff.).
In der Diskussion über die "Environmental Kuznets Curve" wird dieser Gedanke auf den Zusammenhang zwischen Einkommen und Umweltbelastung übertragen. Die "ökologische Kuznets-These" lautet also: Bei steigendem Pro-Kopf-Einkommen steigt zunächst die Umweltbelastung, erreicht ein Maximum bei mittlerem Pro-Kopf-Einkommen und geht zurück, wenn ein Land die Charakteristika eines Industrielandes erreicht (Perman et al. 1996, 304). Damit ist die Vorstellung impliziert, daß Länder mit geringem Pro-Kopf-Einkommen im Laufe ihrer Entwicklung eine Phase der steigenden Umweltbelastung durchlaufen, die aber temporärer Natur ist. Für die heutigen Industriestaaten bedeutet dieser Zusammenhang, daß sie sich schon in einer Phase sinkender Umweltbelastung befinden müßten. Daraus könnte gefolgert werden, daß "economies would pass through 'stages of development,' in which at least some aspects of environmental quality first deteriorate and then improve" (Selden/Song 1994, 147; meine Hervorhebung). Die Kuznets-These gemahnt also in nicht geringem Maße an Rostows (1960) Stadientheorie. Es geht dabei um die Möglichkeit, daß Wirtschaftswachstum notwendiger Bestandteil einer Entwicklung hin zu besserer Umweltqualität sein könnte und die "hypothesis that as an economy's per capita income increases, the total amount of environmental impact of economic activity initially grows, reaches a maximum, and then falls" (Perman et al. 1996, 304; s. auch Arrow et al. 1995).
Der "Kuznets-Zusammenhang" sagt nichts über die zugrundeliegenden Mechanismen, die für einen solchen Zusammenhang verantwortlich sein könnten. Mögliche Ursachen für einen derartigen Zusammenhang sind eine erhöhte Nachfrage nach Umweltqualität durch höheres Einkommen, Veränderungen in der Zusammensetzung des Outputs, verbesserte Bildung und damit einhergehendes erhöhtes Umweltbewußtsein, eine daraus resultierende höhere öffentliche Nachfrage nach Umweltqualität sowie offenere politische Systeme (Grossman/Krueger 1996, 120; Selden/Song 1994, 147; s. auch Grossman 1995). Die Frage nach der Existenz eines solchen Zusammenhangs wirft mehrere Probleme auf (s. z.B. Perman et al. 1996, 304ff.). Bisher konnte ein Zusammenhang im Sinne der EKC nur für bestimmte Umweltbelastungen gezeigt werden, für andere Umweltbelastungen zeigt sich ein solcher Zusammenhang nicht. Eine Einzelschadstoffbetrachtung ist jedoch, wie oben ausführlich dargelegt, nicht angemessen. Aus der hier vorgeschlagenen Perspektive ist die entscheidende Frage, ob eine EKC für den gesamten Umfang des Material- und Energiedurchsatzes zu beobachten ist. Anders formuliert: Besteht zwischen Durchsatz und Einkommen ein Zusammenhang, der drei Stadien der Entwicklung – z.B. progressive state, declining state, steady state – plausibel erscheinen läßt? Nur dann wäre im Sinne einer umfassenden Betrachtung die Hoffnung berechtigt, daß mit steigendem Einkommen langfristig auch eine Reduzierung des Umweltverbrauchs verbunden ist. Problematisch bleibt auch die Frage, ob auf verschiedene Länder bezogene Querschnittsanalysen auf verschiedene Zeitpunkte bzw. für Zeiverläufe übertragen werden können (Perman et al. 1996, 299).
Ein entscheidendes Problem liegt also in der Auswahl der angemessenen Indikatoren. "There is an emerging consensus that at least some forms of pollution exhibit inverted-U, or 'Kuznets,' relationships with economic development. That is, while industrialization and agricultural modernization may initially lead to increased pollution, other factors may cause an eventual downturn, at least for some pollutants" (Selden/Song 1994, 147; meine Hervorhebungen). Es ist also zu berücksichtigen, daß der beobachtete Zusammenhang nicht in gleicher Weise für alle Indikatoren gilt, und für einige Indikatoren überhaupt nicht (s. auch Grossman/Krueger 1996, 120). Zu berücksichtigen ist zudem, daß die Kurvenverläufe sowohl durch Verschiebungen zwischen Umweltmedien ebenso wie zwischen Regionen hervorgerufen werden können (Grossman/Krueger 1996, 121). Die Verschiebung von Belastungen zwischen den Umweltmedien ist bei der Durchsatzbetrachtung kein Problem, weil der gesamte Material- und Energiedurchsatz berücksichtigt wird. Entlastungen in Regionen zuungunsten anderer Regionen können aber auch diese Art der Betrachtung verzerren. Verschiebungen in der internationalen Arbeitsteilung können zu ökologischen Kuznetskurven führen, wenn z.B. "schmutzige" Industrien in Entwicklungsländer abwandern und in Industriestaaten gleichzeitig "sauberere" Industrien an Bedeutung gewinnen, ohne daß Konsummuster sich verändern (de Bruyn/Opschoor 1997, 262).
De Bruyn/Opschoor (1997) untersuchen in Anlehnung an die Studie von Jänicke et al. (1992) die Frage nach der Kuznets-Kurve anhand der Perioden 1966-72, 1972-78, 1978-84, 1984-90 und kommen zu dem Ergebnis, daß die letzte Periode gerade nicht auf einen Kuznets-Zusammenhang hindeutet. Statt den umgedrehten Us könnte der Zusammenhang die Form eines N annehmen, also auf einen erneuten Anstieg des Umweltverbrauchs hindeuten (de Bruyn/Opschoor 1997, 266; s. auch Jänicke 1988, 20f.). Betrachtet man die Durchsatzintensitäten von 1989 im Vergleich mit 1986, so zeigt sich für Belgien-Luxemburg, Italien, Japan, Spanien, Großbritannien und die (alte) Bundesrepublik "an upswing in their throughput intensities" (de Bruyn/Opschoor 1997, 265). Die von Jänicke et al. (1992) beobachteten Trends, die eine Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Zunahme des Umweltverbrauchs erkennen ließen, setzten sich in den 1980er Jahren nicht fort. Zusammenfassend stellen de Bruyn/Opschoor (1997, 266) fest, daß "delinking does not appear as a process which prevails or persists under conditions of sustained economic growth. If this conclusion holds, then there is no reason to feel assured that this process of growth will induce developments such that the economic process will adhere to environmental constraints. Sustained growth is not necessarily sustainable."
Eine weitere Frage ist die des "Wendepunktes", also ob die Pro-Kopf-Belastung z.B. bei 5.000 US$ oder 8.000 US$ zu sinken beginnt. Hier ist von entscheidender Bedeutung, daß dieser Wendepunkt bei einem Einkommensniveau liegt, das eine nachhaltige Schädigung der Umwelt impliziert und global nicht übertragbar ist. Selden/Song (1994, 161) kommen selbst unter optimistischen Annahmen zu der Prognose, daß "emissions will not return to current levels before the end of the next century unless concerted actions are taken that move us away from the historical emissions-GDP relationship. This is in large part because much of the world's population has yet to reach the turning points for emissions." El Serafy/Goodland (1996, 116f.) betonen, daß "(i)t should be obvious that most people in the world survive on an average income well below what has been claimed to be a threshold necessary, but by no means sufficient, to trigger environmental consciousness, and it is most unlikely that enough people in the developing countries will even in the next half-century attain a level of per capita income that would propel them up this putative and slippery curve. Well before such an imaginary income rise could occur, the deterioration of the environment at the national, regional and global levels will have seriously advanced, possibly beyond repair."
Problematisch ist, inwieweit aus vergangenen Entwicklungen Schlüsse auf die Zukunft gezogen werden können. Die EKC könnte ein temporäres Phänomen sein, das lediglich Ausdruck bestehender technischer und Substitutionsmöglichkeiten ist. Dies impliziert in keiner Weise, daß derartige Möglichkeiten auch in der Zukunft bestehen (Perman et al. 1996, 307). Korrelation ist bekanntlich nicht Kausalität (s. zum Problem "blinder" Extrapolation auch Ayres 1978, 10f.). Und das Problem, daß vergangene Entwicklungen letztlich nichts über zukünftige sagen, ist von "Optimisten" genauso zu beachten wie von "Pessimisten" (s. auch Beckerman 1974, 219). Es ist mithin zu berücksichtigen, daß "(p)ast patterns of environmental degradation are not inevitable" (World Bank 1992, 41). Dies liegt nicht zuletzt an der Offenheit technologischer Entwicklungen, wie Lecomber (1979, 32) hervorhebt: "The only certain feature of the resource situation is its inherent uncertainty. No examination of past experience can yield much insight into future technical possibilities, which are so crucial to any assessment of resource scarcity." Vergangene Entwicklungen können also nicht einfach in die Zukunft extrapoliert werden, und dies gilt für den grundlegenden EKC-Zusammenhang ebenso wie für die Position der Schwellenwerte: "(T)here is nothing inevitable about the relationship between growth and the environment that has been observed in the past. A more rapid and widespread diffusion of modern and clean technologies could contribute, for example, to a situation where some environmental indicators begin to show improvement at lower levels of national income than previously observed. Political reforms that make governments more responsive to the environmental concerns of their citizenry could do likewise" (Grossman/Krueger 1996, 121; ihre Hervorhebung).
9.2.2. ... oder Durchsatzwachstum?
Resource Flows: The Material Basis of Industrial Economies (Adriaanse et al. 1997) ist die umfassendste und aktuellste Studie über den Umweltverbrauch von Industrieländern, die sich auf den Material- und Energiedurchsatz und nicht auf einzelne Substanzen bezieht. Diese Studie basiert auf dem MI-Ansatz. Da dieser, wie oben argumentiert, eine Operationalisierung des Scale leistet, ist sie die erste systematische Untersuchung über den Scale mehrerer Volkswirtschaften. Adriaanse et al. analysieren den Scale der deutschen, japanischen, niederländischen und U.S.-amerikanischen Wirtschaft für den Zeitraum von 1975 bis 1994 (vgl. zu den folgenden Abschnitten Adriaanse et al. 1997, 11 - 18). Mit der Berücksichtigung der Rucksäcke geht die Studie gleichsam zwei Schritte über die übliche Debatte über die EKC hinaus. Zum einen wird der Gesamt-Scale berücksichtigt, zum anderen werden auch die ökologischen Rucksäcke berücksichtigt, als derjenige Ressourcenverbrauch, "that does not enter the monetary economy, but is nonetheless a direct consequence of economic activity, the hidden flows. Thus, this analysis makes it possible to more accurately characterize the overall material intensity of an economy" (Adriaanse et al. 1997, 9f.).
Ein grundlegendes Ergebnis der Studie ist, daß der Scale (also der mit der MI-Methodik festgestellte Material- und Energiedurchsatz) der vier untersuchten Länder ein erhebliches Ausmaß mit ebenso erheblichen ökologischen Folgen hat: "The 45 to 85 metric tons of natural resources per person per year required in these modern and advanced industrial economies translates into an enormous amount of extractive activity, landscape rearrangement, soil erosion, and direct consumption of natural resources to maintain current levels of industrial activity and lifestyles" (Adriaanse et al. 1997, 15). Alle vier Länder weisen sehr ähnliche allgemeine Trends im Ressourcenverbrauch auf. Im Zeitablauf konvergieren die TMRs von Deutschland, Japan und der USA und haben sich Mitte der 1990er Jahre bei 75 bis 85 Tonnen pro Kopf und Jahr eingependelt. Japans TMR-Verlauf ähnelt dem der Niederlande und Deutschlands, jedoch auf deutlich geringerem Niveau bei ca. 45 Tonnen pro Kopf und Jahr. Trotz der Ähnlichkeiten zwischen den drei Ländern weist das Muster des Ressourcenverbrauchs ebenso erhebliche Unterschiede auf wie die Zusammensetzung des TMR. In allen Ländern ist der Verbrauch fossiler Energieträger von entscheidender Bedeutung: In den U.S.A. und Deutschland ist diese Kategorie die bei weitem wichtigste, in den Niederlanden und Japan die zweitwichtigste. Japans vergleichsweise geringer Pro-Kopf-Verbrauch an fossilen Energieträgern ist im übrigen der Hauptgrund dafür, daß der TMR pro Kopf und Jahr in diesem Land am niedrigsten ist. Auffällig ist der hohe Anteil erneuerbarer Materialien am TMR der Niederlande. Hier sind vor allem die Futtermittelimporte wie Tapioca aus Thailand und Weizen aus Kanada von großer Bedeutung. Bedeutsam sind auch die ökologischen Rucksäcke, also die hidden flows. Diese dominieren den TMR und machen 1991 zwischen 55 und 75% (sic!) des TMR aus. In den U.S.A. und Deutschland ist dieser Anteil wichtiger als in Japan und den Niederlanden. Der enorme Umfang der Rucksäcke macht einmal mehr deutlich, daß diese bei der Abschätzung des Umweltbelastungspotentials wirtschaftlicher Aktivitäten nicht unberücksichtigt bleiben können.
Die Betrachtung der Anteile der Importe am TMR der einzelnen Länder legt für Adriaanse et al. (1997, 13) die Generalisierung nahe, daß "the smaller an industrial country, the larger in proportion its transboundary material flows and the greater the separation of the environmental effects of its natural resource use from their consumption benefits." Dafür spricht u.a. die schon erwähnte große Bedeutung der niederländischen Futtermittelimporte. Im Fall der Niederlande ist aber auch zu berücksichtigen, daß über dieses Land viele Importe nach Europa abgewickelt werden (Adriaanse et al. 1997, 52). Allerdings istauch für die vergleichsweise große Bundesrepublik der Import ein ökologisch höchst relevanter Faktor. Dabei ist insbesondere der ökologische Rucksack zu berücksichtigen. Dieser Rucksack ist bei den deutschen Importen signifikant höher als bei den im Inland gewonnenen Materialien. Ein dominanter Faktor sind hier die fossilen Energieträger (Adriaanse et al. 1997, 34f.). Demgegenüber sind die Materialströme der japanischen Wirtschaft durch den Bausektor dominiert. Sowohl DMI und inländischer TMR gehen zu fast 90% auf das Konto dieses Sektors. Adriaanse et al. (1997, 48) führen diesen hohen Anteil auf eine mangelhafte Infrastruktur der japanischen Wirtschaft zurück. Auch ein großer Anteil der importierten Materialien wird im Bausektor verwandt, also für den Aufbau und die Verbesserung z.B. von Gebäuden, Straßen und Wasserwegen. Daß eine ausbau- bzw. modernisierungsbedürftige Infrastruktur zu hohen Materialströmen führt, läßt sich mit den Überlegungen zur "Environmental Kuznets Curve" verbinden: Wenn eine moderne Infrastruktur besteht und deren Erhaltung bzw. Modernisierung weniger Materialströme erfordert als der Aufbau einer Infrastruktur, könnte dies die Notwendigkeit steigenden Material- und Energiedurchsatzes im Entwicklungsprozeß erklären. Japan ist im übrigen ein Beleg dafür, daß die topographischen Eigenschaften eines Landes für seinen TMR nicht folgenlos bleiben. Japan als gebirgiges Land muß für Verkehrswegebau und Stadtentwicklung tendenziell überproportional viel Material bewegen (Adriaanse et al. 1997, 48). Die Materialströme der U.S.-amerikanischen Wirtschaft sind fast ausschließlich auf inländische Materialbewegungen zurückzuführen – nur 5% der Materialströme hängen mit dem Import von Rohmaterialien und Halb- und Fertigprodukten zusammen (Adriaanse et al. 1997, 55). Dabei ist die Bodenerosion mit 3 - 4 Milliarden Tonnen pro Jahr ein wichtiger Faktor (Adriaanse et al. 1997, 60).
Die Studie macht deutlich, daß "declining pattern of materials intensity in all countries, supporting the conclusion that a modest decoupling is taking place" (Adriaanse et al. 1997, 13). Dennoch hat in allen Ländern der Pro-Kopf-Verbrauch während des betrachteten Zeitraums zugenommen, wenn auch langsam (eine Ausnahme ist hier die Bodenerosion in den USA, die abgenommen hat). Die zu beobachtenden Entkoppelungstendenzen geben nach Ansicht von Adriaanse et al. (1997, 16) aber zu Hoffnung Anlaß: "The most hopeful finding reported here is that natural resource requirements did not rise as rapidly as economic activity as measured by the GDP, but this analysis does not support the conclusion that direct input materials intensity, which most closely tracks industrial practices, is continuing to decline." In den letzten Jahren sei diese Intensität weitgehend kostant geblieben.
Aus Sicht von Adriaanse et al. (1997, 16f.) verdeutlichen die Ergebnisse der Studie, daß das Verhältnis von wirtschaftlichem Fortschritt und Umweltnutzung neu überdacht werden muß. Daß die meisten Materialströme gar nicht direkt in Güter eingehen und folglich in ökonomischen Kalkulationen keine Rolle spielen, verdeutliche, daß "many strictly economic indicators give misleading signals. One widely-acknowledged example is the tendency to associate GDP growth unambigously with economic progress", obwohl viele wirtschaftliche Aktivitäten die Grundlage zukünftigen wirtschaftlichen Fortschritts untergraben könnten (Adriaanse et al. 1997, 17). Außerdem verdeutliche die Studie, daß die normale, auf Emissionen und Abfälle konzentrierte Umweltpolitik nicht hinreichend ist: "(I)f more than half (and as much as three-fourth) of the natural resources used occur at the front end of the cycle (...), then efforts to reduce environmental impacts must also focus there" (Adriaanse et al. 1997, 17).
9.2.3. Strukturwandel und Innovationen
Innovationen – und damit deren umweltentlastendes Potential – sind nicht vorhersagbar: "There is a nonexistence theorem about the prediction of the future of knowledge and discovery: that if we could predict it, we would know it now, we would have discovered it now, and we would not have to wait. All genuinely new information or knowledge has to be in some degree surprising; otherwise, it is not new knowledge" (Boulding 1977, 123; meine Hervorhebung). Dies impliziert, daß eine halbwegs realistische Einschätzung von Innovationen erst dann möglich ist, wenn sie stattgefunden haben: "(N)eue Niveaus der technologischen Entwicklung werden im Ablauf eines irreversiblen historischen Prozesses erreicht und sind uns so lange verborgen, bis sie tatsächlich erreicht worden sind" (Schumpeter 1965, 337; meine Hervorhebung). So nimmt es auch nicht Wunder, daß "technical problems invariably seem easier ex post than ex ante" (Mokyr 1990, 153). Über Innovationen kann ex ante deshalb nicht viel gewußt werden: "(T)echnology is not a continuous process; a limited number of key advances are crucial to growth – and perhaps to survival. (...) The central feature of technical advance is indeed its uncertainty" (Lecomber 1975, 45; s. auch Mokyr 1990, 301). Jede Äußerung über die Möglichkeiten dieses Fortschritts sind deshalb spekulativer Natur. Es spricht in der Tat nichts dafür, daß der technische Fortschritt plötzlich "aufhören" könnte – dies schließt aber keinesfalls aus, daß der Beitrag dieses Fortschritts zur Lösung ökologischer Probleme und zur Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Zunahme der Umweltbelastung begrenzt sein könnte. Angesichts dieser Eigenschaften des technischen Fortschritts erscheint ein unbegrenztes Vertrauen in seine Möglichkeiten halbwegs rückwärtsgewandt, denn: Die Hoffnung auf technische Problemlösungen speist sich vor allem aus Erfolgen, die in der Vergangenheit liegen. Nordhaus (1992a, 38) hat zwar gewiß recht mit der Einschätzung, daß "for the past two centuries, technology has been the clear victor in the race with depletion and diminishing returns." Die entscheidende Frage bleibt, was aus dieser Erfahrung für den aktuellen Umgang mit Problemen zu schließen ist.
Im Laufe des Wachstums- und Entwicklungsprozesses werden ständig Produkt- und Prozeßinnovationen generiert, die ja zu einem erheblichen Teil Ursache weiteren Wachstum sind. Infrastrukturen und Ausstattungen werden kontinuierlich, wenn auch in unterschiedlichen Zeiträumen, ausgewechselt. Daraus folgt, daß sich industrielle Produktionsprozesse grundlegend verändern (Duchin et al. 1995, 187) – intrasektoraler Strukturwandel. Bis zum Jahr 2100 werden z.B. die kommerziellen Energieausrüstungen weltweit mindestens zweimal ersetzt werden, wodurch grundlegende Veränderungen des Energiesystems auch ohne frühzeitige Abschreibungen des Kapitalbestands möglich sind (Brack/Grubb 1996, 8). Technischer Fortschritt wird erst über neues Kapital Teil des Produktionsprozesses, weshalb eine hohe Investitionsquote zu einer schnelleren Realisierung technischen Fortschritts führen kann (Solow 1988b, 314f.).
Inter- und intrasektoraler Strukturwandel bergen in der Tat ein Potential für umweltentlastende Entwicklungen, ein durch hohes Wachstum forcierter struktureller Wandel könnte also positive Auswirkungen auf die Umwelt haben (SVR 1989, 280). Der Sachverständigenrat betont, "daß das hohe Investitionstempo einer wachsenden Wirtschaft eine entsprechend schnelle Verjüngung des Kapitalstocks ermöglicht. Das bedeutet zugleich eine schnelle Umsetzung umweltfreundlicher Technologien" (SVR 1989, 281). Eine im Hinblick auf den Output eines einzelnen Schadstoffs "umweltfreundliche" Technologie kann bei Berücksichtigung des gesamten MI (und damit letztlich des Gesamtoutput) kontraproduktiv sein. Wird der Scale in den Blick genommen, läßt sich eben nicht "eindrucksvoll (...) belegen", daß "Wirtschaftswachstum mit einer Verbesserung der Umweltbedingungen einhergehen kann, ja sogar erst die Voraussetzungen dafür schafft" (SVR 1992, Rdnr. 272; meine Hervorhebung). Der Unterschied zwischen der einzelstofforientierten Schadstoffbetrachtung und der umfassenderen Durchsatzperspektive muß betont werden: Die Einführung einer neuen Technologie kann in vielen Fällen einerseits eine Rückführung des (toxischen) Output ermöglichen, gleichzeitig aber zu einer Steigerung des Gesamtdurchsatzes führen und sich insofern als "ökologisch kontraproduktiv" erweisen.
9.2.4. Technologie und die Grenzen der Entkoppelung
"(T)he power of compound interest over two hundred years
is such as to stagger the imagination."
(Keynes 1972c, 323)
Zweifelsohne ist Scarcity and Growth (Barnett/Morse 1963) für die neoklassische Auseinandersetzung mit ökologischen Fragen stilbildend gewesen. Dieses Werk ist im Prinzip nichts anderes als eine ausführliche Kritik der Vorstellung, daß "natural resources are scarce; that the scarcity increases with the passage of time; and that resource scarcity and its aggravation impair levels of living and economic growth" (Barnett/Morse 1963, 49). Gleichzeitig formuliert Scarcity and Growth einen technologischen Optimismus, der bis heute ein Kennzeichen der neoklassischen Auseinandersetzung mit ökologischen Problemen ist. Im wissenschaftlichen Zeitalter, so Barnett/Morse (1963, 10), "(c)hanges in relative costs, shifts of demand, the wish to develop broader markets – all aspects of growth – create problems which then generate solutions. Technological progress is no longer a mere byproduct of man's efforts to win a decent living; it is an inseparable, organic component of that process" (meine Hervorhebungen). Es gibt im wesentlichen drei Wege zur Steigerung der Ressourcenproduktivität: Veränderungen in der Zusammensetzung des Output, Faktorsubstitution und technologischer Fortschritt (Lecomber 1975, 41f.) Wenn diese Faktoren zusammen einen größeren Effekt haben als das Wachstum, "then the limits to growth are put back indefinitely" (Ekins 1993, 271). Diese theoretische Möglichkeit sagt aber noch nichts darüber aus, ob ein "endloses Wachstum ermöglichende Entkoppelung" auch tatsächlich eintritt.
Die Reduktion des Scale ist begrenzt. Es ist aus heutiger Sicht unmöglich, "etwas aus nichts" zu produzieren, und es spricht nichts dafür, daß dies einmal anders sein könnte. Um ein Beispiel zu nennen: Es wird niemals möglich sein, ein Automobil zu bauen, das ohne Treibstoff auskommt (sei es Benzin oder Elektrizität) – nicht zu sprechen von dem Material, das definitiv nötig ist, um ein solches Automobil zu bauen. Zweitens beziehen sich Entkoppelungen nur auf Veränderungen der von Periode zu Periode anfallenden Ströme. Dies sagt aber noch nichts über den "akkumulierten Bestand" der Umweltbelastung aus und verweist auf die Notwendigkeit, die bereits vorhandene Belastung der Umwelt zu berücksichtigen. Wenn die Tragefähigkeit von Ökosystemen überlastet ist, muß das Unterschreiten dieser Tragefähigkeit Zielsetzung sein, und diese wird durch eine Entkoppelung nicht per se gewährleistet. Schließlich können zu Entkoppelung führende Effizienzgewinne stest durch die Wachstumsraten des Sozialprodukts überkompensiert werden. Eine "entkoppeltes" Wachstum kann in einem solchen Fall mit einer steigenden Umweltbelastung einhergehen (s. auch Luks 1994; BUND/Misereor 1996, 371; Friends of the Earth Europe 1995, 143ff.).
In der alten Bundesrepublik bedeutete ein BIP-Wachstum um 1% folgende Zunahmen (in Preisen von 1985): 1950: 972 Mio. DM; 1960: 3,072 Mrd. DM; 1970: 6,753 Mrd. DM; 1980: 14,72 Mrd. DM; 1990: 24,18 Mrd DM (nach Statistisches Bundesamt 1993, 680; s. auch Friends of the Earth 1995, 145). Legt man das Jahr 1990 zugrunde, hätte absolut entkoppeltes Wachstum bedeutet, daß 24.180.000.000 DM mehr erwirtschaftet worden wären, ohne mehr Material und Energie zu verbrauchen. Wenn Scale und Sozialprodukt als relevante Größen angesehen werden, und weiterhin von der Notwendigkeit ausgegangen wird, daß der Scale in den nächsten 50 Jahren um 90% reduziert werden muß, kann man – zugegebenermaßen in sehr statischer Manier – die "technischen" Reduktionserfordernisse angeben (unter der Annahme konstanter Wachstumsraten und konstanter Bevölkerung)(s. Luks 1994; Friends of the Earth Europe 1995, 145, 157):
Fall |
BIP-Wachstumsrate |
Reduktion von TMR/BIP in % |
Faktor der TMR/BIP-Reduktion |
I |
- 1,0 |
84 |
6,25 |
II |
0 |
90 |
10,00 |
III |
1,0 |
94 |
16,66 |
IV |
2,0 |
96,3 |
27,03 |
V |
3,0 |
97,8 |
45,5 |
Bei einer monetär stationären Wirtschaft erfordert die Faktor-10-Dematerialisierung eine jährliche Dematerialisierung von ca. 4,5% pro Jahr. Anders formuliert: Eine Wirtschaft ohne BIP-Wachstum muß 50 Jahre lang jedes Jahr eine Steigerung der Ressourcenproduktivität von 4,5% zustandebringen, um eine Scale-Reduktion von 90 zu erreichen. Bei einer Wachstumsrate von 2% muß die Ressourcenproduktivität um einen Faktor von mehr als 27 reduziert werden, also um über 96%. Im Steady-State entsprechen die notwendigen Produktivitätssteigerungen genau den Raten des Wirtschaftswachstums. Mit all dem ist natürlich in keiner Weise bewiesen, daß dauerhafte Entkoppelung unmöglich ist. Aus technologisch-skeptizistischer Warte erscheint es aber überaus unplausibel, von der Möglichkeit einer solchen dauerhaften Entkoppelung auszugehen.
Oft wird argumentiert, Wachstum schaffe die (finanziellen) Ressourcen für besseren Umweltschutz. Wenn man die ökologischen Folgewirkungen des Wachstums berücksichtigt, kann sich dieses Argument in sein Gegenteil verkehren. Das Gesetz vom abnehmenden Grenzertrag gilt auch für Umweltschutzmaßnahmen (s. Junkernheinrich/Klemmer 1991, 9). Bei Wachstum erfordert auch nur die Erhaltung eines bestimmten Umweltstandards immer schärfere – outputorientierte – Begrenzungen. Folglich werden bei Wirtschaftswachstum "die Anforderungen an den Umweltschutz und damit auch der Aufwand, der für den Umweltschutz getrieben werden muß, immer größer, nur um den gleichen Umweltstandard aufrechzuerhalten!" (Binswanger 1991a, 107; seine Hervorhebung). Bei Wirtschaftswachstum steigen die Aufwendungen für Umweltschutz überproportional, woraus Binswanger (1991a, 107) schließt: "Die Anforderungen an den Umweltschutz steigen bei wirtschaftlichem Wachstum stärker als die Mittel, die sich aus dem Wachstum ergeben. Die Wachstumsstrategie des Umweltschutzes muß daher zu einem Leerlauf führen, in dem schließlich das Wachstum des BSP nur noch dazu verwendet werden müßte, die Folgen dieses Wachstums wieder zu korrigieren" (s. zu diesem "Leerlauf-Phänomen" auch Binswanger 1991b, 132ff.). Dabei ist zu berücksichtigen, daß Binswanger in seiner Wachstumskritik außerdem noch einzelstoff- und nicht durchsatzorientiert argumentiert. Es ist also in der Tat "einfach falsch (...) zu behaupten, eine Wirtschaft müsse nur weiterwachsen, um sich jede Schadstoffbeseitigung leisten zu können. Tatsächlich treibt Wachstum die Wirtschaft entlang einer nichtlinearen Kostenkurve bis zu dem Punkt, an dem weitere Schadstoffbeseitigung unbezahlbar wird" (Meadows et al. 1992, 220). Zu berücksichtigen ist auch, daß bei nichterneuerbaren Ressourcen normalerweise der Aufwand für deren Gewinnung mit zunehmendem Abbau ansteigt (s. z.B. Ayres 1978, 46; Faber et al. 1983, 111). Da dieser Aufwand selbst wiederum zu einem Anstieg des pro Ressourceneinheit erforderlichen Energie- und Materialaufwands führt, besteht ein "positive feedback between decreasing quality (negentropy) of the remaining resources and the rate of extraction" (Ayres 1978, 47; seine Hervorhebung).
9.3. Die Umwelt als knappes Gut
9.3.1. "Ricardianische" und "malthusianische" Knappheit
Knappheit bezieht sich auf die Differenz zwischen Zielen und Mitteln, oder anders formuliert: zwischen Bedürfnissen und den zur ihrer Befriedigung bereitstehenden Ressourcen (s. z.B. Falkinger 1986, 11; Hueting 1980, 6). Wenn es weniger Mittel gibt, als zur vollen Zielerreichung erforderlich sind, besteht Knappheit. Seit Barnett und Morses Scarcity and Growth (1963) wird zwischen malthusianischer (absoluter) und ricardianischer (relativer) Knappheit natürlicher Ressourcen unterschieden. Diesem Werk wird der Urspung dieser Unterscheidung zugeschrieben (Barbier 1989, 1). Für Barnett/Morse (1963, 51) sind moderne Vorstellungen über den Zusammenhang von natürlichen Ressourcen und Wirtschaftswachstum "variations on the scarcity doctrine developed by Thomas Malthus and David Ricardo in the first quarter of the nineteenth century and elaborated later by John Stuart Mill."
Der entscheidende Unterschied zwischen malthusianischer und ricardianischer Knappheit liegt darin, daß erstere eine absolute Grenze darstellt, während letztere lediglich impliziert, daß die Qualität der nutzbaren Ressourcen abnimmt, ohne daß eine absolute Grenze besteht. Im Falle malthusianischer Knappheit "there is an absolute limit to resources, beyond which they cease to be available" (Barnett/Morse 1963, 4). Ricardianische Knappheit ist für Barnett/Morse (1963, 4) demgegenüber dadurch gekennzeichnet, daß "resources are unlimited in quantitiy, but not homogeneous" (meine Hervorhebung). Im Laufe des Wachstumsprozesses werden bei ricardianischer Knappheit Ressourcen verwendet, die andere Eigenschaften aufweisen als die bereits verbrauchten. Barnett/Morse (1963, 4) gehen im Falle ricardianischer Knappheit davon aus, daß "society possesses both the knowledge and the will to use resources in order of declining economic quality" und unterschiedliche Knappheiten sich in den relativen Preisen widerspiegeln. Außerdem gehen sie davon aus, daß bei technischem Fortschritt die Vorstellung von malthusianischer Knappheit nicht angemessen ist (Barnett/Morse 1963, 7). Die Annahme, daß das Wissen und der Wille existieren, Ressourcen in der Reihenfolge ihrer Qualität zu nutzen, ist ebenso folgenreich wie voraussetzungsvoll. Nicht minder wichtig ist die Annahme, daß nach Abbau von Ressourcen stets auf andere Ressourcen zurückgegriffen werden kann. Dies erweist sich im Hinblick gerade auf die Senkenfunktion als überaus problematische Annahme, und einmal wird die die Frage der Substitution zum Dreh- und Angelpunkt des Arguments. Die Funktionen der Erdatmosphäre beispielsweise sind nach heutigem Wissen nicht substituierbar.
Im Falle ricardianischer Knappheit sind Ressourcen also reichlich vorhanden, aber eben nur unter Bedingungen sinkender Qualität. Barnett/Morse (1963, 62) sprechen von einer ricardianischen Treppe, bei der "(e)ach riser on the stairway represents a Malthusian type of increasing cost due to the (temporary) constancy of land input. That is, on the risers, the model is temporarily Malthusian, because land of the given qualities is all employed, and increases in output involve more intensive cultivation" (meine Hervorhebung). Diese Phase sei aber von begrenzter Dauer, da es sich ab einem bestimmten Punkt lohnt, Land mit geringerer Qualität zu bewirtschaften. So werden sukzessive immer schlechtere Böden bewirtschaftet. Allerdings sehen auch Barnett/Morse (1963, 63), daß ab einem bestimmten Punkt "all land is in use, and expansion of output becomes Malthusian." In einem bestimmten Sinne ist die ricardianische Perspektive pessimistischer als die malthusianische, weil in diesem Falle Knappheit sofort wirksam wird, während die malthusianische Knappheit z.B. bei geringerer Bevölkerung lange Zeit überhaupt nicht wirksam werden könnte. In einem anderen – wichtigeren – Sinne ist die malthusianische eindeutig die pessimistische Perspektive. Der Grund dafür liegt darin, daß im ricardianischen Bild absolute Knappheit gar nicht existiert: "(T)here seems always to be for Ricardo a resort to additional, if lower-quality, resources. (...) An absolute limit is perhaps conceivable in a Ricardian world but it is certainly not definable" (Barnett/Morse 1963, 63). In der Realität wird eher eine Mischung aus beiden Knappheitsformen zu beobachten sein. Höchst problematisch ist die Annahme, daß im Falle ricardianischer Knappheit stets und immer auf noch "übriggebliebene" Ressourcen zurückgegriffen werden könne. Für viele Rohstoffe gilt sicherlich, daß zunächst keine absolute Grenzen relevant sind, also ricardianische Knappheit zu beobachten ist. Es ist jedoch plausibel anzunehmen, daß ab einem bestimmten Punkt die ricardianische Knappheit sich in malthusianische Knappheit verwandelt. Es kommt zu einer Veränderung der Knappheitsstrukturen. Dies ist ein entscheindender Punkt, denn er deutet darauf hin, daß in einer begrenzten Welt ricardianische Knappheit letztlich nur ein Übergangsphänomen auf dem Weg zu malthusianischer Knappheit ist. Relative Knappheit (z.B. von Boden) muß in einer begrenzten Welt bei permanenter Ausweitung unweigerlich in absolute Knappheit münden. Dalys These vom Wandel der Knappheitsstrukturen behauptet genau diesen Zusammenhang. Durch den Übergang von der leeren zur vollen Welt ist nicht relative, sondern absolute Knappheit das Problem.
Äußerst problematisch ist die Annahme, daß "owing to the heterogeneous composition of the resource environment, qualitative changes in the physical composition of the resource input will occur more or less continually as the scale of social output expands" (Barnett/Morse 1963, 107; meine Hervorhebung). Unangemessen ist die Annahme einer kontinuierlichen Verschlechterung der Ressourcenqualität, insbesondere im Hinblick auf natürliche Senken. Nun könnte man vorbringen, daß die Senkenproblematik Mitte der sechziger Jahre kein wichtiges Thema war. Allerdings weisen Barnett/Morse selbst auf das US-amerikanische Conservation Movement hin, dessen Vorstellungen nicht auf die Quellenfunktion der natürlichen Umwelt reduziert waren. Barnett/Morse sehen also, daß sich mit Einbeziehung des "ökologischen Gleichgewichtsproblems" die Frage der Knappheit anders stellt als bei einer auf Inputfaktoren reduzierten Betrachtungsweise.
Barnett/Morse betonen den technischen Fortschritt als wesentliche Determinante von (Nicht-)Knappheit: "Nature imposes particular scarcities, not an inescapable general scarcity. (...) Science, by making the resource base more homogeneous, erases the restrictions once thought to reside in the lack of homogeneity. In a neo-Ricardian world, it seems, the particular resources with which one starts increasingly become a matter of indifference" (Barnett/Morse 1963, 11). Daly (1991b, 40) kommentiert hierzu: "In sum, absolute scarcity is dismissed from further consideration, and even relative scarcity is deemed likely to be vanquished by the march of science. This is the dominant view of current orthodox economic theory: only relative scarcity matters." Daly (1991b, 42) dagegen sieht in thermodynamischen Gesetzmäßigkeiten eine Begrenzung von Substitutionsmöglichkeiten und deshalb absolute Knappheit: "Substitution is always of one source of low entropy for another. There is no substitute for low entropy itself, and low entropy is scarce."
Absolute Knappheit ergibt sich also aus der Begrenztheit von Substitutionsmöglichkeiten. Da aber die Vision des ökonomischen Mainstream durch das Substitutionsparadigma geprägt ist, gerät absolute Knappheit kaum in deren Blickfeld, wie auch Gowdy (1994, 7) betont: "Because the principle of substitution is so ingrained in the minds of most economists they find absolute scarcity to be almost inconceivable." Der Begriff der relativen Knappheit bezieht sich auf "the scarcity of a particular resource relative to another resource, or relative to a different (lower) quality of the same resource. The solution to relative scarcity is substitution" (Daly 1991b, 39). Absolute Knappheit bezieht sich demgegenüber auf "the scarcity of resources in general, the scarcity of ultimate means. Absolute scarcity increases as growth in population and per-capita consumption push us ever closer to the carrying capacity of the biosphere" (Daly 1991b, 39). Eine solche Knappheit kann durch Substitution nicht umgangen werden. Während Barnett/Morse davon ausgehen, daß es immer nur bestimmte, relative, "punktuelle" Knappheiten gibt, sieht die Ecological Economics (vor allem Georgescu-Roegen und Daly) absolute Knappheit im Hinblick auf die natürliche Umwelt. Ehrlich (1989, 13) spricht hier von "meta-resource depletion – that is, the reduction of the total number of Earth's exploitable resources through the extermination of populations and species of other organisms, the destruction of forests, the poisoning of aquifers, the erosion of soils, the using up of high-grade ores, and so on." Es zeigt sich also, daß das Substitutionsparadigma der Neoklassik auch für ihren Knappheitsbegriff von entscheidender Bedeutung ist: Absolute Knappheit liegt überhaupt nur dann vor, wenn Substitutionsmöglichkeiten nicht vorliegen. So lange Substitute zugänglich sind, kann der Knappheit ausgewichen werden. Mutatis mutandis gilt hier also die aus der Operationalisierungsdebatte vertraute Dichotomie.
9.3.2. Ökologische und ökonomische Knappheit
"Evolutionary uncertainty will not succumb to the economists' rational attack."
(Norgaard 1985, 386)
Die Behandlung der Umwelt als Gut ist theoretischen Notwendigkeiten geschuldet, denn "the commoditization of environmental goods can be looked upon as a product of the felt need to value them. It is not immediately obvious to many – other than economists – that environmental goods and services are 'commodities.' Nor is it apparent to non-economists why it is necessary to characterize environmental attributes in this way" (Vatn/Bromley 1994, 137). Dieser "disciplinary need to create commodities" (Vatn/Bromley 1994, 137), führt freilich dazu, daß die ökonomische Theorie sich dem Problem mit einem Instrumentarium nähert, das dem Gegenstand nicht angemessen ist (s. auch Abschnitt 4.1.) Wie bereits dargelegt, ist die Umweltfrage nie Ausgangspunkt des normalökonomischen Paradigmas gewesen: Deshalb versucht die Neoklassik, ihren Gegenstand so anzugehen, daß er zu ihrem allokationsorientierten Werkzeugkasten paßt: "At heart, the neoclassical approach to environmental economics has one aim: to turn the environment into a commodity which can be analysed just like other commodities" (Jacobs 1994, 69). Problematisch an dieser Herangehensweise ist zunächst der Umstand, daß dadurch wichtige Unterschiede zwischen Umwelt und anderen Gütern aus dem Blick geraten: "The neoclassical project regards the environment as a set of commodities, ultimately no different from other goods and services consumed in the economy" (Jacobs 1994, 74). Daraus folgt auch, daß neoklassische Ökonomen "are analysing what might happen if the environment were a set of commodities and consumers and producers had to make market choices. They are therefore not examining and making policy recommendations on the basis of people's actual preferences but on the basis of what those preferences might be if circumstances were different" (Jacobs 1994, 75; seine Hervorhebungen). Damit ist auch der Blick verstellt für die Eigenschaften der Umwelt: "A fundamental danger with the commodity fiction is that the commoditized environment thereby becomes a contrived artifact of itself. (...) Denying the commodification of the environment forces one to try to comprehend environmental goods and services in a more holistic way – although economists tend to reject holism because it undermines the presumption of the analytical sufficiency of a world usefully defined as consisting of atomistic agents acting on atomistic objects" (Vatn/Bromley 1994, 137).
Die genannten Abstraktionen von den Eigenschaften der Umwelt gehen mit einer – wie sich zeigen wird: folgenschweren – Differenzierung zwischen physischer und ökonomischer Knappheit einher. Mit Blick auf die Grenzen des Wachstums stellt Kaysen (1972, 663) fest, daß "(r)esources are properly measured in economic, not physical, terms" und daß "once the problem is recognized as one of cost limits, not physical limits, it appears in a different light." Wie aber bereits klar geworden ist, sind es nicht die – ggf. prohibitiv hohen – Kosten des "Umweltschutzes", die der Expansion der Anthroposphäre Grenzen setzen, sondern in der Tat die biophysikalischen Eigenschaften der natürlichen Umwelt. Daß ökologische Knappheiten eben nicht in ökonomische Knappheit "übersetzt" werden, ist gerade Teil des Problems. Daraus freilich – wie der ökonomische Mainstream – zu schließen, die richtigen Preise seien das einzige Problem, ist ebenfalls unangemessen.
Barnett/Morse (1963) zeigen, daß die Preise für fast alle von ihnen untersuchten Ressourcen im Laufe der Zeit gefallen sind, und schließen daraus auf eine verminderte Knappheit dieser Ressourcen; ihre Studie ist hier nach wie vor steter Referenzpunkt neoklassischer Beiträge zum Thema. Man könnte aus dem beobachteten Zusammenhang freilich ebenso schließen, daß der Marktmechanismus seine Aufgabe nicht erfüllt und bestehende Knappheiten nicht anzeigt. Nicht zu unterschätzen ist auch die Möglichkeit, daß die Preissignale die Sichtbarkeit zunehmender Knappheit lediglich verschieben: "Technical advances in exploitation simply serve to keep down product prices thus encouraging rapid exploitation rather than economy in use. Short-run scarcity is thereby alleviated, but the exhaustion dates may well be brought forward" (Lecomber 1975, 43). Gleichwohl ist die Auffassung überaus weit verbreitet, daß ökonomische Knappheit reflektierende Preise ökologische Schäden verhindern können: "Even for those goods whose scarcity could not be ignored, the economic significance of scarcity has been assumed, in general, to be adequately grasped through concepts such as the economic cost of acquisition" (Benton/Redclift 1994, 3; ihre Hervorhebung). Nordhaus (1992b, 843) beispielsweise meint, daß "if some future environmental apocalypse occurs, it will be the result of a failure of markets to incorporate the appropriate signals of scarcity into prices."
Baumol zeigt anhand einer einfachen Beispielrechnung, wie ökonomische Knappheit trotz physischem Abbau zurückgehen kann, z.B. durch eine Senkung der Abbaukosten. Sein Beispiel zeigt, daß "despite the 5 percent decline in the physical quantity of the resource remaining on our planet, its availability to consumers in the current and all future generations together will have increased by more than half. A price fall in these circumstances is surely not difficult to explain" (Baumol 1986, 170; meine Hervorhebung). In der Tat, die Frage ist aber, ob der ökonomische Überfluß nicht durch eine ökologische Knappheit auf Dauer überkompensiert wird, und ob Preise dies anzuzeigen vermögen. Der Abbau von Ressourcen wird Kosten von Abbau und Produkten beeinflussen, und dies wird üblicherweise auch berücksichtigt. "But the effect may be expected to build up over time as the resource becomes increasingly scarce. That over the period explored this effect was small enough to be outweighed by technical advance is little guide to the future" (Lecomber 1975, 44).
Daly und andere ökologische Ökonomen schließen aus der Begrenztheit der Welt dagegen unmittelbar auf die Knappheit der natürlichen Umwelt. Barnett/Morse (1963, 55) betonen, daß eine begrenzte Welt nicht automatisch ökonomische Knappheit natürlicher Ressourcen zur Folge habe: "To be economically scarce, the amount of fixed natural resources must be small relative to the labor, capital, and sociotechnical knowledge available for putting the resources to work." Eine begrenzte Welt berge immer das Potential für Knappheit, ob diese tatsächlich auftrete, hänge aber mit einer Reihe von Bedingungen zusammen. Selbstverständlich seien die physikalischen Eigenschaften der natürlichen Umwelt gegeben, "but the economically useful properties of the natural environment depend on what is known, is wanted, and can be produced" (Barnett/Morse 1963, 55; s. auch 61).
"Ökologische Knappheit" ist mithin nicht gleichsam automatisch mit dem identisch, was als ökonomische Knappheit erscheint. Hueting (1980, x f.) betont den Knappheitaspekt des Ökologieproblems und beschreibt die Umweltzerstörung als "a rapidly spreading new variety of scarcity. This scarcity is caused by the increasing calls made on the functions (possible uses) of the environment, on which man is entirely dependent. A conflict is being waged between growth of production and population on the one hand and the environment on the other. (...) (S)carcity in the environment does not occur until functions are in competition with each other." Hueting definiert ökologische Knappheit also über die Umweltfunktionen. Der Verlust von Umweltfunktionen bedeutet eine neue Form der Knappheit (Hueting 1980, 1). Ökologische Knappheit ist bei Ophuls/Boyan (1992, 175) ein umfassendes Konzept, das Wachstumsgrenzen ebenso einschließt wie die Kosten weiteren Wachstums. "Ecological scarcity is indeed ultimately grounded on the physical scarcity inherent in the earth's finitude, but it is manifested primarily by the multitude of interacting and interdependent limits to growth that will prevent us from ever testing the finitude of the biosphere and its resources" (Ophuls/Boyan 1992, 178). Ökologische Knappheit, so Ophuls/Boyan (1992, 10) umfasse nicht "nur" malthusianische Überbevölkerung, man müsse sich auch über die Energie- und Materialversorgung Sorgen machen – und darüber hinaus über "pollution and other limits of tolerance in natural systems, about such physical constraints as the laws of thermodynamics, about complex problems of planning and administration, and about a host of other factors Malthus never dreamed of. Ecological scarcity is thus an ensemble of separate but interacting limits and constraints on human action, and it appears to pose problems far surpassing those presented to our ancestors by scarcity in its classical form" (meine Hervorhebungen). Dalys Steady-State-Konzept liegt ein dieser Argumentation nicht unähnliches Bild vom Wandel der Knappheitsstrukturen zugrunde. Die entscheidende Schlußfolgerung Dalys liegt in der Notwendigkeit der Begrenzung des Markts innerhalb eines ökologsischen Rahmens.
9.4. Ein nachhaltiger Rahmen für den Wirtschaftsprozeß
"Optimality is nice, but feasibility is essential."
(Daly 1991b, 52)
9.4.1. Kapazitätserhaltung vor Effizienz und Umweltschutz als makroökonomisches Problem: Ciriacy-Wantrup und Page
Für Hampicke (1992, 308) muß Ciriacy-Wantrup neben "alten" Autoren wie Mill "als der wichtigste Pionier der ökologischen Ökonomie angesehen werden. Es gehört zu den weniger erfreulichen Einzelheiten der ökonomischen Dogmengeschichte, daß sein Werk vom Mainstream jahrzehntelang ignoriert und totgeschwiegen wurde." Ciriacy-Wantrups Bedeutung – gerade im Hinblick auf den Steady-State – liegt insbesondere in der Formulierung des Primats ökologischer Sicherheit über ökonomische Effizienz. Sein Safe Minimum Standard (SMS) zielt auf Vermeidung von irreversiblen Folgen wirtschaftlicher Aktivitäten für die Nutzung von Flußressourcen ab. Anwendbar ist dieser Standard auf Ressourcen, die durch die Existenz einer kritischen Zone charakterisiert sind, u.a. Boden, Wasser, Pflanzen und Tiere (Ciriacy-Wantrup 1952, 252; s. auch 42f.) – also auf die wichtigsten Ressourcenströme. Ein SMS soll nicht zuletzt – und dies ist höchst relevant für die Debatte über Wege zu einem Sustainable Development – Entwicklungsoptionen offenhalten. In den Worten von Ciriacy-Wantrup (1952, 252): "From a certain degree onward – for example, if more and more acres of land or species of plants and animals are affected – irreversibility in the depletion of critical-zone resources limits opportunities of adaptation and narrows the potential development of a society" (meine Hervorhebung). Dabei besteht niemals Sicherheit darüber, ob der Abbau einer Ressource sich tatsächlich auch in der Zukunft als ökonomisch irreversibel erweisen wird. Die kritische Zone kann definiert werden "in terms of a certain flow rate and of some corresponding use rate."
Die Erhaltung einer bestimmten Nutzungsrate ist nicht Ziel des SMS: "(A)ctual maintenance of any particular use rate is not the primary objective of a safe minimum standard but merely a by-product. The primary objective is to maintain the economic possibility of halting and reversing a decrease of flow and use" (Ciriacy-Wantrup 1952, 254). Ciriacy-Wantrup (1952, 257) weist darauf hin, daß eine Definition eines Standards in Form einer Flußrate für jede einzelne Resource nicht praktikabel ist: "It is more practical to define a safe minimum standard in terms of conservation practices designed to avoid the critical zone. Such a definition may be in terms of conditions to be maintained" (meine Hervorhebung). Eine "optimale" Lösung wird mit dem SMS nicht angestrebt: "(W)ith critical-zone resources, conservation policy should focus on a safe minimum standard as its first objective, rather than on the social optimum" (Ciriacy-Wantrup 1952, 302; meine Hervorhebung). Ähnlich wie bei Dalys Primat des nachhaltigen Scale über Verteilungs- und Allokationsaspekte erfolgt die Einrichtung des SMS vor der Berücksichtigung ökonomischer Aspekte. Dabei geht es um die Vermeidung irreversibler Schäden: "A safe minimum standard of conservation should be generally adopted as a social objective and should actually be realized under all conditions as a kind of economic base level in conservation policy. (...) (T)he economic rationale for adopting a safe minimum standard defined in physical terms is allowance for uncertainty; actual realization of a safe minimum standard is subject to the economic requirement of minimum total social costs" (Ciriacy-Wantrup 1952, 261f.).
Es gilt also, zwischen "Environmental Policy and Economic Optimizing" (Ciriacy-Wantrup 1971, 38ff.) zu differenzieren. Der SMS zielt explizit nicht auf optimale Abbau- oder Verschmutzungsraten ab, sondern auf die Vermeidung irreversibler Schäden. Ciriacy-Wantrup (1971, 40) vergleicht Umweltschutzpolitik mit einer Versicherung gegen nichtquantifizierbare Schäden: "There the objective is not to maximize a definite quantitative net economic yield but to choose premium payments and benefits in such a way that maximum possible losses are minimized." Der SMS sei ein Spezialfall einer solchen Strategie, und er sei regelmäßig ein geeignetes Kriterium für Umweltpolitik. Der SMS-Ansatz ist explizit Teil einer Vorsichtsstrategie und nicht auf Optimierung gerichtet: "The emphasis of this approach is on avoiding overuse rather than on achieving optimal use, on establishing base levels rather than on locating peaks, on not entering dead-end streets and on keeping direction rather than on computing the shortest distance, and on mobility and adaptibility of productive factors rather than on their optimum combinations" (Ciriacy-Wantrup 1971, 40; meine Hervorhebungen).
Ein anderer Autor, der für die Begrenzung marktlicher Prozesse aus ökologischen Gründen plädiert, ist Page. Die Konzeption Pages ähnelt vor allem im Hinblick auf das Verhältnis von mikro- und makroökonomischer Ebene Dalys Ansatz. Im Vorwort zu Pages (1977) Conservation and Economic Efficiency heißt es: "Page advocates using the market and microeconomic policy instruments to enhance and maintain an efficient utilization of natural resources, and macroeconomic policy and government intervention to ensure an equitable distribution of the resource base into the distant future" (Spofford 1977, xiii). Duch Eingriffe auf makroökonomischer Ebene soll also eine gerechte intergenerative Ressourcenverteilung erreicht werden. Page geht es um die Verwirklichung intergenerativer Gerechtigkeit durch eine Kombination von Effizienz und Umweltschutz. "By modifying the flows across the boundary between the environment and the economy, myopic markets can be encouraged to be consistent with long-range social goals. In estimating possible future dangers in order to modify the boundary flows, there is no discounting and no simple adding of utilities or social welfare functions across generations; within the boundary, inside the economy proper, there is discounting as is usal with markets" (Page 1977, 204; meine Hervorhebungen). Dem Markt wird ein bestimmter Bereich "zugewiesen", in dem er seine Funktion erfüllen kann, dies erfolgt aber innerhalb eines nicht marktlich determinierten Rahmens. Das Umweltschutz-Kriterium ("permanent livability") sieht Page (1977, 204) als weiteres makroökonomisches Ziel, das neben Zielen wie Vollbeschäftigung und Preisniveaustabilität steht. Der Bereich, in dem Markteffizienz erreicht werden soll, wird politisch gesetzt. "The conservation criterion functions at the macroeconomic level establishing a context for markets; the present value criterion functions at the microeconomic level of market efficiency" (Page 1977, 205; meine Hervorhebung). Wie Daly hebt Page (1977, 211) auf die grundsätzliche Schwäche marktlicher Lösungen ab: "The resource base is shared intergenerationally, and the questions are: Will it be shared fairly? In its use of materials how can the economy be kept from drifting in unlivable futures? Even perfect markets could not answer these questions." Grundlegend für Pages (1977, 9) Ansatz ist die Auffassung, daß "markets cannot be expected to solve the problem of what is a fair or equitable distribution of wealth, either among different people at a point in time (intratemporally) or among different generations (intertemporally). The questions of depletion and generation of long-lived wastes are fundamentally questions of equitable distribution of burdens across generations."
Die Begründung für die Begrenzung wirtschaftlicher Aktiviäten im Rahmen des Steady-State-Ansatzes lautet ähnlich (s. auch Kapitel 5): "Conservative limits are set within which the market can safely function, and then the market is left alone. (...) It would be a foolish waste of effort and an intolerable imposition of microcontrol to refuse to use the market. But to trust the market to make decisions that are truly beyond its range can be suicidal. (...) Benefits and costs that do not register themselves as conscious short-run pleasure or pain at an individual level but that are organic, with interdependencies far exceeding market relationships, must be dealt with outside the market and must result in constraints on the market" (Daly 1991b, 89). Eine wichtige Frage im Hinblick auf dieses Vorgehen ist die nach der ökonomischen Plausbilität dieses Ansatzes. Hier ist auch die Kritik des Ansatzes der Dematerialisierung bzw. der ökologischen Wirtschafspolitik zu berücksichtigen, die, wie in Kapitel 8 gezeigt, eine Politik der Scale-Reduktion ist.
9.4.2. Wie "unökonomisch" ist die Beeinflussung des Scale?
Bekanntlich ist vollkommenes Wissen eine Standardbedingung für einen perfekten Markt (Lecomber 1979, 132). Wenn dieses Wissen aber gar nicht erreichbar ist, hat dies grundsätzliche Folgen für die Fähigkeit des Marktes, zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise beizutragen. Schon hieraus schließen viele Autoren die Notwendigkeit von Begrenzungen: "The formidable obstacles to devising an economy with prices devised for sustainability suggest an alternative 'safety first' approach in which physical and ecological boundaries are observed" (Pearce 1987, 17). Damit ist nun nicht impliziert, daß ökonomische Allokationsmechanismen nicht zu nutzen sind. Die Notwendigkeit der Begrenzung wirtschaftlicher Aktivitäten z.B. zum Schutz der Artenvielfalt bedeutet nicht, daß auf die Nutzung von ökonomischen Anreizen oder der Markteffizienz verzichtet werden muß. Es kommt darauf an, die Gefahr der Schwellenüberschreitung auszuschließen, "within the boundaries established by such instruments, markets should be permitted to work" (Perrings/Opschoor 1994, 11).
Vornholz (1995, 111) sieht in einer derartigen Begrenzung einen zentralen Aspekt von Sustainable Development: "Der Ansatz der ökologisch tragfähigen Entwicklung führt zu wissenschaftlich und ethisch begründeten Restriktionen; dabei lassen sich die ökologischen Ziele bestimmen. Aufgrund dieses Ansatzes kann jedoch nicht entschieden werden, wie die maximal zur Verfügung stehenden Nutzungsmöglichkeiten der Natur für die unterschiedlichen Verwendungsmöglichkeiten eingesetzt werden" (s. auch 1997, 40f.). Nachdem also die Grenzen der Naturnutzung einmal festgelegt sind, tritt die Neoklassik auf den Plan, denn "die Allokation ist entsprechend den wohlfahrtsökonomischen Gesichtspunkten durchzuführen" (Vornholz 1995, 111). Das Schlüsselproblem liegt hier aber darin, daß gerade diese Grenzen der Naturnutzung nicht bestimmbar sind, sondern im politischen Prozeß gesetzt werden müssen. Seit Baumol/Oates' (1971) Standard-Preis-Ansatz, so Gawel (1996, 61), gelte "der Verzicht auf eine präferenzgeleitete marktendogene Lösung des Umweltallokationsproblems weitgehend als Allgemeingut." Daß mit der Zielsetzung einer Effizienz ohne Optimalität eine "Reduzierung des allokativen Anspruchsniveaus" stattgefunden hat und daß seit langem "die anzustrebende Umweltqualität anderen Normgebern überantwortet" wurde (Gawel 1996, 61f.), ist sicher richtig. Der Ansatz von Baumol/Oates (1971, 42) strebt ausdrücklich keine optimale Ressourcenallokation an. Dieser Ansatz "involves the selection of somewhat arbitrary standards for an acceptable environment", und die Standards "amount to a set of constraints that society places on these activities. They represent the decision-maker's subjective evaluation of the minimum standard that must be met in order to achieve what may be described in persuasive terms as 'a reasonable quality of life'" (Baumol/Oates 1971, 44f.; meine Hervorhebungen). Die Scale-Reduktion setzt auf eine langfristig absehbare Senkung des Material- und Energiedurchsatzes, der Standard-Preis-Ansatz setzt dagegen – z.B. zum Schutz eines Flusses – auf eine Art Trial-and-Error-Verfahren, denn "if necessary, the information needed for iterative adjustments in tax rates would be easy to obtain: if the initial taxes did not reduce the pollution of the river sufficiently to satisfy the preset acceptability standards, one would simply raise the tax rates" (Baumol/Oates 1971, 45). Der Ansatz von Baumol/Oates (1971) ist deshalb nicht identisch mit dem der Scale-Reduktion. Die entscheidende Differenz liegt in der Zielsetzung einer präventiven Verhinderung von Umweltschäden (Hinterberger et al. 1996, 168ff.) – wenn der Baumol-Oates-Ansatz gewiß auch für eine dem Vorsichtsprinzip verpflichteten Umweltpolitik nützlich sein kann. Während es bei Baumol/Oates nicht zuletzt um ein Herantasten an die ökologischen Belastungsgrenzen geht, setzt ökologische Wirtschaftspolitik als Strategie der Scale-Reduzierung auf die umfassende Reduktion des umweltschädigenden Potentials wirtschaftlicher Aktivitäten: "Eine an dem Vorsichtsprinzip orientierte präventive Strategie würde angesichts des Nichtwissens über die Umweltfolgen wirtschaftlicher Aktivitäten versuchen, potentielle Schäden zu vermeiden, indem der Umweltverbrauch insgesamt gesenkt wird" (Hinterberger 1996, 83).
Auch Söllner (1996, 184) plädiert für die Errichtung von Grenzen, innerhalb derer sich der Wirtschaftsprozeß abspielt, es sei "eine makroökonomische Ergänzung der mikroökonomisch orientierten konventionellen Umweltökonomie und -politik notwendig. Auf der Makroebene wird bewußt auf die Anwendung des üblichen Optimierungs- bzw. Wirtschaftlichkeitskalküls verzichtet, dessen Einsatz auf die Mikroebene beschränkt wird; stattdessen wird die Aufrechterhaltung der für die Menschheit wichtigen Funktionen des ökologischen Systems, hauptsächlich mittels veränderter rechtlicher Rahmenbedingungen, angestrebt." Im Hinblick auf die Neoklassik ergeben sich aus seiner Sicht zwei Probleme: "Erstens wird der Geltungsbereich und Erklärungsanspruch der Ökonomie wesentlich eingeschränkt, indem wichtige Probleme, die mit dem neoklassischen Instrumentarium nicht zu bewältigen sind, in die politische Sphäre abgeschoben werden. (...) Zweitens kommt für den Fall dieser Makrosteuerung ein weiterer schwerwiegender Kritikpunkt hinzu. Das 'sustainability'-Prinzip kann nicht durch nutzentheoretische Überlegungen, sondern nur durch die Einbeziehung von Rechten bzw. Pflichten gerechtfertigt werden. (...) Die Makrosteuerung ist durch die Neoklassik konzeptionell nicht erfaßbar: Diese ist paradigmatisch auf das Leitbild des Marktes festgelegt, an dessen grundsätzlicher Eignung zur Lösung aller Allokationsprobleme kein Zweifel besteht, in den nur eingegriffen werden darf, um Abweichungen vom Ergebnis des vollkommenen Marktes zu korrigieren, aber dem keinesfalls absolute Grenzen gesetzt werden dürfen" (Söllner 1996, 187f.; seine Hervorhebungen). In der Tat: In dieser Hinsicht sind Steady-State als makroökonomische Rahmensetzung und die neoklassische Markt- und Effizienzorientierung nicht vereinbar.
Es trifft deshalb den Kern des Problems, wenn Gawel (1996, 65) postuliert, daß "es doch unter Ökonomen selbstverständlich sein [sollte], daß sich pauschaler Effizienzverzicht nicht als unneoklassisch, sondern schlicht als unökonomisch darstellt" (meine Hervorhebung). In eine ähnliche Richtung geht die Kritik Klemmers (1996, 325), der zwar die "großen Schwierigkeiten" sieht, mit denen angesichts der Eigenschaften der natürlichen Umwelt jede Risikoerfassung und -bewertung verbunden ist, diese aber für unerläßlich hält. Nutzen-Kosten-Vergleiche seien, "will man im echten Sinne Risiko-Management betreiben, unumgänglich. Sie erfordern letztlich ökonomische und gesellschaftliche Maßstäbe, die bislang noch fehlen und – was noch wichtiger ist – wahrscheinlich nie in befriedigender Form zeit- und raumunabhängig definiert werden können. Auch hier kommt man zumeist nur zu variablen Leitplanken, die den jeweiligen Nutzungsspielraum der Wirtschaft definieren sollen. Eine Schrankensetzung ist jedoch unumgänglich, da es sich zumeist um die Lösung eines Kollektivgutproblems handelt, bei dem der Markt überfordert ist." Klemmer (1996, 327) hält an einer Scale-Reduktion orientierte Ansätze für verfehlt, denn hier werde "unter Ausblendung der ökonomischen und sozialen Auswirkungen der Weg zum relevanten Ziel erklärt. Durchgesetzt werden soll dies über eine systematische Verteuerung des Ressourceneinsatzes, die nicht mehr der selbst schon schwierigen Internalisierung externer Kosten, sondern der pauschalen Stoffflußsteuerung dient. Letztlich kommt dies, wie bereits bei extremen Interpretationen des klassischen Vorsorgeprinzips der Umweltpolitik beobachtet werden kann, einer Entmachtung der Ökonomie gleich, die auch im Widerspruch zu marktwirtschaftlichen Überlegungen steht" (meine Hervorhebungen).
Wenn kritisiert wird, "ein ökonomisch rationales Stoffstromstruktur-Management" sei "nicht einmal in Ansätzen erkennbar" (Gawel 1996, 71; seine Hervorhebung), ist dies zunächst einmal ernstzunehmen – gleichzeitig ist zu fragen, was im Kontext gegebener ökologischer Bedingungen (s. Kapitel 4 und vor allem 8) ökonomische Rationalität überhaupt zu bedeuten hat. Außerdem – und das muß betont werden – impliziert die Orientierung am Effizienzkriterium selbstverständlich ein Werturteil, worauf auch Jacobs (1994, 76f.) hinweist: "To privilege optimality is (...) to make a straightforwardly normative value judgement that this is in some way the best or most appropriate criterion. This is, of course, a perfectly legitimate thing for economists to do, but in doing so no claims should be made to ethical neutrality. Nor should the economist expect society to regard his or her judgement as having any greater authority than that of anyone else." Es ist entgegen einer äußerst weit verbreiteten Auffassung eben nicht evident, daß wirtschaftliche Effizienz ein alternativloses Kriterium ist. Das Effizienzkriterium ist eines unter vielen anderen denkbaren Kriterien, das Bestehen auf diesem Kriterium impliziert eine Wertentscheidung: "The importance of optimality is simply a value judgement" (Jacobs 1994, 77).
Die Betonung der Notwendigkeit einer Vorsichtsstrategie ist natürlich ebensosehr ein Werturteil. Dies gilt es aber zur Kenntnis zu nehmen: Weder die eine noch die andere Sicht der Dinge ergibt sich aus wissenschaftlichen Erkenntnissen sondern aus der Entscheidung darüber, was als wichtig erachtet wird. Auch Wätzold/Simonis (1997, 13f.) stellen fest, daß "Unsicherheiten tendenziell Ineffizienzen in umweltpolitische Entscheidungen hineintragen. (...) Je breiter die Anwendbarkeit – wie bei der innovationsorientierten Umweltpolitik –, um so weniger sind präzise Aussagen zur Effizienz der Konzeptionen möglich. Je genauer aber die Effizienz zu bestimmen ist – wie beim Haftungsrecht –, um so kleiner ist der Anwendungsbereich der Konzeptionen bei ökologischer Unsicherheit. Die Umweltpolitik – die Gesellschaft – muß wählen, was ihr wichtiger ist" (meine Hervorhebung). Zur innovationsorientierten Umweltpolitik zählen die Autoren den Ansatz der vorsorgeorientierten Umweltpolitik (Simonis 1988) und die von einer "pro-aktiven Perspektive" ausgehenden Autoren wie Schmidt-Bleek (1994) und Weizsäcker et al. (1995)(Wätzold/Simonis 1997, 11, Fn. 26). Der Bezug auf "vage gesellschaftliche 'Bewertungsoptionen'" mag "wenig konsistent und überdies unökonomisch" (Gawel 1996, 74) erscheinen – eine Alternative zu genau dieser Art von Bewertung scheint nicht in Sicht. Dies impliziert nun keinesfalls, daß der Vorwurf des unökonomischen nicht ernstzunehmen ist. Die Frage ist, welche Prioritätensetzung begründet erscheint – und dies gilt nicht zuletzt, wenn man die soziale Dimension nachhaltiger Entwickung in den Blick nimmt. Gawel (1996, 65) weist auf den Beitrag effizienten Wirtschaftens zur Bedürfnisbefriedigung hin: "Im Ringen um Nachhaltigkeit fahrlässig die Effizienzdividende zu versetzen bedeutet auch, den gesellschaftlichen Transformationsraum zu verkürzen, aus dem konkurrierende intra- und intertemporale Konsumwünsche befriedigt werden können. Eine nachhaltige Wirtschaftsweise wird gewiß nur diejenige Gesellschaft realisieren und durchsetzen können, die beim Einsatz von Ressourcen zumindest keine Verschwendung zuläßt." Daß angesichts der Komplementarität von menschengemachtem und natürlichem Kapital ein Steady-State erforderlich ist, um zukünftige Bedürfnisbefriedigung zu sichern, wurde bereits gezeigt. Stellt sich die Frage, ob der Steady-State als im normalökonomischen Sinne "ineffiziente" Strategie auf Kosten aktueller Bedürfnisbefriedigung geht.
10. Stationarität, Bedürfnisbefriedigung und Verteilung: Die soziale Dimension des Steady-State
10.1. Ökonomische Stationarität und Bedürfnisbefriedigung
"Intertemporal comparisons of an individual's state of mind do rest on
technically vulnerable ground. Who can say for sure that the deprivation
which afflicts him with hunger is more painful than the deprivation which
afflicts him with envy of his neighbor's new car? In the time that has passed since
he was poor, his soul may have become subject to a new and deeper scaring."
(Galbraith 1971, 146).
Der Steady-State ist in ökologischer Hinsicht Grundlage einer nachhaltigen Entwicklung in dem Sinne, daß er notwendige Voraussetzung für Nachhaltigkeit ist (Kapitel 8). Ein Steady-State vermag zur Erhaltung produktiver Kapazitäten für zukünftige Generationen dadurch beizutragen, daß er zu einer Reduzierung von Umweltbelastungspotential führt. Die Kapazitätserhaltung führt allerdings dazu, daß Wirtschaftswachstum, verstanden als die jährliche Zunahme der in einer Wirtschaft produzierten Güter und Dienstleistungen, zurückgehen und früher oder später ein Ende finden wird: Der ökologische Steady-State führt zu ökonomischer Stationarität (Kapitel 9). Dieser Punkt verlangt besondere Aufmerksamkeit bei der Frage, ob ein Steady-State mit der sozialen Dimension von Sustainable Development vereinbar ist. Denn auch wenn ein Steady-State ein unabdingbarer Beitrag zu intergenerativer Gerechtigkeit sein mag: Wenn dies zu Lasten heutiger Generationen geht, widerspricht dies dem Leitbild der nachhaltigen Entwicklung, das ja auch aktueller Bedürfnisbefriedigung verpflichtet ist. Anders formuliert: Wenn die durch die Vermeidung von Umweltbelastungspotential erreichte Sicherung des produktiven Potentials für kommende Generationen zu Lasten der Bedürfnisbefriedigung heute lebender Menschen geht, kann ein Steady-State nicht Grundlage einer nachhaltigen Entwicklung sein. Verhindert ein Steady-State aufgrund seiner Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum, daß heute lebende Menschen ihre Bedürfnisse befriedigen können? Dabei geht es ausdrücklich nicht um hier so naheliegende Probleme wie die Kritik der Konsumkultur, die Frage nach der "Unersättlichkeit" menschlicher Bedürnfisse oder die Relevanz sozialer Indikatoren. Es geht schlicht darum, ob Wachstum für aktuelle Bedürfnisbefriedigung nötig ist. Die folgenden Erörterungen basieren also auf der in Kapitel 9 hergeleiteten These, daß ein Steady-State ein Ende des Wirtschaftswachstums impliziert. Wie (in Abschnitt 1.3.) gesagt: Es geht in dieser Arbeit um die Industrieländer und nicht um Entwicklungsländerprobleme und Globalisierungsfragen. Über die Problematik dieser Aufteilung bin ich mir ebenso bewußt wie über die höchst unterschiedlichen Wohlstandswirkungen von Wirtschaftswachstum in Industrie- und Entwicklungsländern. Auch Daly bestreitet nicht, daß Entwicklungsprobleme in manchen Regionen nur mit Wirtschaftswachstum zu lösen sind. Davon abgesehen: Die wohlfahrtssteigernde Wirkung von Wirtschaftswachstum in Industriestaaten dient regelmäßig als Begründung für die Notwendigkeit dieses Wachstums.
Daly argumentiert, daß es sozioethische Wachstumsgrenzen gibt und ein Ende des Wirtschaftswachstums schon deshalb zu begrüßen sei – eine Vorstellung, die auch im wachstumskritischen Diskurs der 1970er Jahre oft geäußert wurde. Barnett/Morse (1963, 83) berichten über einige vom U.S.-amerikanischen Conservation Movement behaupteten sozialen Folgen von Ressourcenknappheit: "As the result of scarcity, major portions of the population are unnecessarily separated from livelihood on the land and close association with nature – with resulting evil social consequences. (...) There is damage to the ethical system. (...) There is psychic damage - to the individual, the family, the community, and the nation." Hier wird deutlich, daß die von Daly geäußerten Befürchtungen hinsichtlich des Wachstumsprozesses durchaus Vorläufer haben. Der wichtigste Vorläufer in dieser Hinsicht ist aber zweifellos Mishan, der zwar auch die ökologischen Folgen des Wachstums thematisiert, sich aber auf die sozialen Implikationen konzentriert. Das erste Kapitel der Costs of Economic Growth trägt den Titel Growthmania (Mishan 1967, 3ff.). (90) Mishan (1967, 103) problematisiert "the immeasurable destructive potential of indiscriminate economic growth." Nutzinger/Radke (1995a, 25) sehen in Mishan einen Vertreter der Theorie sozialer Wachstumsgrenzen; diese Theorie – deren wichtiger Vertreter wohl Hirsch (1976) ist (s. Abschnitt 10.4.1.) – könne als "soziales Pendant" zur ökologischen Nachhaltigkeitskonzeption verstanden werden. Mishans Hauptthese ist, daß Wachstum seine sozialen Grenzen überschritten hat und nicht mehr wohlfahrtssteigernd wirkt.
Mishan (1967, 174) meint, daß "if men are concerned primarily with human welfare, and not primarily with productivity conceived as a good in itself, they should reject economic growth as a prior aim of policy in favour of a policy of seeking to apply more selective criteria of welfare." Mishan (1977, 255) beklagt einen "waning influence of religion and moral restraint in a predominantly science-based civilisation and, as a corollary perhaps (especially in the open and commercial societies of the West), the rising influence of the erotic and pornographic in modern literature and entertainment" (s. auch Mishan 1967, 151ff.). Mishan (1967, 156f.) kritisiert außerdem, daß "we no longer live in a stable society, much less a mature one, but a society being rent apart by the torrential forces of modern technology and commerce, and one already torn wide open by modern communications, a society in a state of rapid dissolution." Wie Daly betont auch Mishan (1967, 165) den Wert der Gemeinschaft, und auch er kritisiert vehement den von ihm so empfundenen "Werteverfall": "Accepting the proposition that the enjoyment of liberty is not possible without adherence to a moral code, and that social life can be enhanced by a far-reaching consensus on appropriate forms of behaviour – on what is right and wrong, what is proper and improper, and what is good taste and bad taste – then any dissolution of the moral code or the social consensus threatens the enjoyment of liberty and social life. This dissolution of consensus is, however, one of the byproducts of continuing economic growth, at least in already affluent and liberal societies" (Mishan 1977, 206; s. auch 208f.).
Mishan ist also ein prominenter Vertreter derjenigen, die die soziale Wünschbarkeit von Wachstum bezweifeln (s. auch Falkinger 1986, 135), er betont die Unausweichlichkeit von Wertentscheidungen und kritisiert das Festhalten des ökonomischen Mainstream an der Forderung nach Wertfreiheit (Mishan 1967, xvii). An Dalys Forderung nach "moral growth" erinnert Mishans (1977, 264) Auffassung, daß ohne "growing public awareness, without a growing disbelief in the prevailing attitude that, by and large, all is well – or, with some modest adjustments, could be made well – the little hope that there is would dwindle to nothing." Mishan, so Johnson (1973, 179), "is guilty of debating the issues in terms of values that, for all their humaneness, ignore the concerns of the poor. He challenges economic growth policies because he questions values deeply rooted in Western society." In The Costs of Economic Growth, so Hueting (1980, 74), "Mishan makes a highly personal attack on the spirit of the present time, an attack which incidentally is concerned only in part with the environmental problem." In seiner "wertkonservativen" Attacke ähnelt Mishans Argumentation Dalys Wachstumskritik vor allem dort, wo Daly auf religiöse Überzeugungen und den Wert der Gemeinschaft rekurriert (s. Abschnitt 5.3.2.1.). Im Hinblick auf die von Daly konstatierten sozioethischen Wachstumsgrenzen (5.3.2.2.) ist darüber hinaus Hirschs These von Interesse, nach der es soziale Wachstumsgrenzen gibt, die im Laufe des Wachstumsprozesses an Bedeutung gewinnen.
10.2. "Wie Atheisten in der Kirche": Die Ökonomik und "sozioethische" Wachstumsgrenzen
"It is clear on the one hand that scarcity is easily reduced if everybody is ascetic, and
on the other hand that it is impossible to reduce if 'enough' means 'more than others have'.
It is therefore necessary to consider the social processes by which wants are generated
and even the normative question whether one can distinguish 'good' and 'bad' wants.
Economists feel uncomfortable in a discussion of these problems, like atheists in church,
but a few hardy doomsmen and growthmen have taken the plunge."
(Rosenbluth 1975, 364)
Dalys Wachstumskritik basiert nicht zuletzt auf normativen Bewertungen der "sozioethischen" Wachstumsfolgen. Wie gezeigt, meint Daly zwischen Mittelverwendungen mit hohem (Armutsbekämpfung) und niedrigem (Luxusgüter) Nutzen unterscheiden zu können und verwendet dies auch als Argument für seine Forderung nach Transferzahlungen an die Dritte Welt. Diese Haltung widerspricht der allgemeinen Auffassung, nach der ein interpersoneller Nutzenvergleich nicht möglich ist. Für Daly ist sie aber geradezu selbstverständlich, weil er von der eindeutigen Trennbarkeit zwischen grundlegenden und trivialen Bedürfnissen ausgeht. Daß die Ökonomik nicht nur über die Verwendung knapper Mittel etwas zu sagen hat, sondern auch über die Ziele, die mit diesen Mitteln erreicht werden sollen, ist ein zentrales Charakteristikum von Dalys Vision. Aus dieser Position heraus kritisiert Daly die sozialen Folgen des Wachstums: "A continued increase in growth and consumption beyond any need, for the sake of filling an existential void with more hours of senseless employment to produce more items of senseless consumption, plus the avoidance of sharing as the true cure of poverty" (Daly 1991b, 172; meine Hervorhebungen).
Problematisch ist in diesem Kontext die Auffassung, die "Berechtigung" von Bedürfnissen sei in irgendeiner Weise – sei es nun "wissenschaftlich" oder nicht – begründbar. Leiss (1978, viii) z.B. versucht nach eigenem Anspruch zu zeigen, daß "individuals are led to misinterpret the nature of their needs and to misunderstand the relationship between their needs and the ways in which they may be satisfied." Und Anderson (1977, 43) meint, daß Kapital "forces more goods on to people who don't really need them" (meine Hervorhebung). Wie bei Daly stellt sich auch hier die Frage, wer denn bestimmt, was Menschen "wirklich" wollen. Es besteht weitgehende Einigkeit, daß dies niemand zu bestimmen vermag – auch Ökonomen nicht. Glück ist eine Kategorie, die sich wirtschaftswissenschaftlicher Analyse weitgehend entzieht: "The pursuit of happiness is admirable as a social goal. But the notion of happiness lacks philosophical exactitude; there is agreement neither on its substance nor its source" (Galbraith 1971, 311). Dies impliziert zumindest auf Seiten der Ecological Economics nicht, sich Werturteilen im Hinblick auf die Differenzen zwischen Bedürfnissen zu enthalten (s. Abschnitt 4.1.3.), und hier liegt ein entscheidender Unterschied zur Mainstream-Ökonomik.
Robbins (1984a, 141) insistiert bekanntlich darauf, daß interpersonelle Nutzenvergleiche nicht möglich sind, zumindest nicht "wissenschaftlich" (s. auch Zeckhauser 1973, 108). Keine ökonomische Analyse könne zur Bewertung von Zielen beitragen: "Economic analysis can simply point out the implications as regards the disposal of means of production of the various patterns of ends which may be chosen" (Robbins 1984a, 144f.). In diese Richtung argumentiert auch Beckerman (1974, 92): "There is obviously no way of settling disputes about what needs are good or bad and how far some needs add to welfare or subtract from it. The rival views on this subject are not rival propositions about the way the world behaves; they are simply rival definitions of 'good' and 'bad', 'better' and 'worse'" (meine Hervorhebung: s. auch 1995b, 118). Der Status von Bedürfnissen ist in diesem Kontext also eine normative Frage, die aus Sicht der meisten (Mainstream-)Ökonomen wissenschaftlich nicht zu beantworten ist. Ganz anders Daly (1991b, 41): "It is a brute fact (...) that there is such a thing as absolute scarcity, and there is such a thing as purely relative and trivial wants. And, if these aspects are dominant at the margin, the implication is the opposite of growthmania, namely, the steady-state economy." Von entscheidender Bedeutung ist der zutreffende Einwand, daß der ökonomische Mainstream durch seinen "Verzicht" auf Werturteile selbstverständlich auch – implizite – Werturteile macht: "Modern economic theory treats wants in general as insatiable, and refuses to make such distinctions as the above [Keynes' Unterscheidung von absoluten und relativen Bedürfnissen; FL] in order not to introduce value judgments into economic theory, thereby jeopardizing its coveted status as a 'positive' science. Even wants created by advertising are granted absolute status, Galbraith being the exceptional economist who proves the rule. By treating all wants on equal footing we are not, of course, avoiding value judgments." (Daly 1991b, 40f.) In der Tat: Die Ablehnung interpersoneller Nutzenvergleiche heißt nicht, und dies ist hervorzuheben, daß damit Werturteile umgangen werden. Die Gleichbehandlung des Bedürfnisses nach der Benutzung eines 18-Loch-Golfplatzes mit dem Bedürfnis nach einer Grundversorgung mit Nahrungsmitteln ist ein Werturteil – und wohl eines, dem nur wenige Menschen zustimmen würden. Ein Rekurs auf verbreitete Gerechtigkeitsvorstellungen – z.B. daß Nahrung wichtiger ist als Golfspielen – gilt in diesem Kontext bekanntlich als außerordentlich unwissenschaftlich: "Nothing in economics so quickly marks an individual as incompetently trained as a disposition to remark on the legitimacy of the desire for more food and the frivolity of the desire for a more elaborate automobile" (Galbraith 1971, 142).
10.3. Entkoppelung II: Wachstum und Bedürfnisbefriedigung
Aus der normalökonomischen Perspektive ist auch klar, daß "no science can tell us whether modern man is happier than mankind a hundred years ago, or even ten years ago" (Beckerman 1974, 63). Weil Wohlstandsvergleiche interpersonelle Nutzenvergleiche implizieren, kann nicht einmal eine Beziehung zwischen Einkommen und Wohlfahrt hergestellt werden. In den Worten Beckermans (1995b, 110): "There can never be any scientific demonstration of the relationship between income levels and welfare. For the concept of 'welfare' is not one that can be scientifically established; different people can hold different views as to what constitutes welfare." Kein Ökonom wird ernsthaft behaupten, das Sozialprodukt sei ein Indikator für Wohlbefinden. Das Sozialprodukt ist kein Wohlstandsindikator, und ökonomischer Wohlstand ist nur ein Teil des Gesamtwohlstands. Die vermutete Korrelation aber hat lange Zeit die Auffassung legitimiert, ein Sozialproduktanstieg sei mit Wohlstandswachstum identisch: "Economists have relied (...) on a practical judgment, namely, that a change in economic welfare implies a change in total welfare in the same direction, if not in the same degree" (Abramovitz 1979, 4). Während die Steigerung des Lebensstandards seit der industriellen Revolution zumindest für die Menschen im Norden selten bestritten wird, zeigt eine Reihe von Studien allerdings, daß seit einiger Zeit ein steigendes Sozialprodukt nicht (mehr) mit steigender Lebensqualität einhergeht. Daly beispielsweise hat gemeinsam mit Cobb versucht, die Wohlstandswirkungen des Wirtschaftswachstums zu zeigen. Das Ergebnis dieser Arbeit wird ausführlich im Annex von For the Common Good (Daly/Cobb 1994, 443 - 507) dargestellt: Der Index of Sustainable Economic Welfare (ISEW). Dieser soll – im Gegensatz zum Bruttosozialprodukt – den Wohlstand eines Landes abbilden. Der ISEW berücksichtigt Komponenten wie Einkommensverteilung, Umweltschäden, Freizeitaktivitäten, unbezahlte Hausarbeiten und dergleichen mehr. Für die USA für den Zeitraum von 1954 bis 1990 ergibt sich, daß trotz wirtschaftlichen Wachstums "(e)conomic welfare has been deteriorating for a decade, largely as a result of growing income inequality, the exhaustion of resources, and unsustainable reliance on capital from overseas to pay for domestic consumption and investment" (Daly/Cobb 1994, 507). (91) Daly/Cobb kommen also zu dem Ergebnis, daß Wachstum von Sozialprodukt und Wohlstand – bei Zugrundelegung des ISEW – sich in dem Sinne entkoppelt hat, daß Wirtschaftswachstum nicht mehr zu einem Anstieg des Wohlstands führt.
Easterlins (1974) Beitrag über den Zusammenhang von Einkommen und Glücksempfinden und die Social Limits to Growth von Hirsch (1976) sind geradezu "klassische" Studien zum Verhältnis von Bedürfnisbefriedigung und Einkommenswachstum, auf die sich auch Daly (1991b, 233ff.; 1996a, 36f.) bei der Auseinandersetzung mit den "self-cancelling effects" des Wachstums bezieht. Hirsch und Easterlin stellen aber im Gegensatz zu Daly nicht auf die "Berechtigung" unterschiedlicher Bedürfnisse ab, sondern bringen positive Argumente gegen die Auffassung vor, daß Wirtschaftswachstum eine verbesserte Bedürfnisbefriedigung ermöglicht. Es geht dort also nicht um normative Argumente gegen weiteres Wirtschaftswachstum, sondern zunächst einmal nur um die Frage, ob, wie es im Titel von Easterlins Beitrag heißt, Wirtschaftswachstum das menschliche Los verbessert. Easterlin (1974) untersucht das Verhältnis zwischen Einkommen und Glücksempfinden ("happiness"). Easterlins Text gilt als "Standardbeleg dafür, daß das subjektive Glücksempfinden nicht vom Wohlstandsniveau eines Landes bestimmt wird" (Falkinger 1985, 201, Fn. 3). Er betrachtet die Aussagen mehrerer empirischer Studien zu dieser Frage und kommt zu dem Ergebnis, daß zwar innerhalb eines Landes zu einem bestimmten Zeitpunkt ein positiver Zusammenhang zwischen Einkommen und Glücksempfinden besteht, dieser Zusammenhang bei Vergleichen zwischen Ländern mit unterschiedlichem Einkommensniveau aber ebenso wenig zu beobachten ist wie innerhalb eines Landes im Zeitablauf. Easterlin (1974, 113) meint, daß die Bedeutung des relativen Einkommens eine plausible Erklärung für den (Nicht-)Zusammenhang von Einkommen und Glück ist (die "Relative-Income-Hypothesis" geht bekanntlich auf Duesenberry zurück).
Beckerman (1974, 96) meint, die Relative-Income-Hypothesis sei "a double-edged weapon in the hands of those who are concerned about the pollution of the environment. For if a person's welfare is entirely a matter of his relative position, then extra pollution is of no importance to society as a whole" (seine Hervorhebung). Freilich behauptet niemand, daß Wohlfahrt nur von der relativen Position der Individuen abhängt. Wenn aber Wohlfahrt von der relativen Position eines Individuums und von der absoluten Menge der ihm zur Verfügung stehenden Güter und Dienstleistungen abhänge, so Beckerman (1974, 96), dann müsse Wachstum des letzteren auch zu einer Wohlfahrtssteigerung führen. Es gebe also zwei Möglichkeiten: Wohlfahrt hängt nur von der relativen Position ab, dann ist Wachstum unerheblich, aber auch Schrumpfung würde hier nichts ändern. Oder: Wohlfahrt hängt von beidem ab, dann trägt Wachstum zum Anstieg des Wohlbefindens bei. Aus all dem folgt für Beckerman (1974, 96), daß "the 'relative income hypotheses' (...) has very little force as an anti-growth argument in general, and, in particular, if pushed too far it could constitute an argument for complete indifference to the increase in overall pollution" (s. auch 1995b, 119). Beckerman geht allerdings von einem völlig statischen Bild sozioökonomischer Entwicklung aus. Denn Bedürfnisse wie Umwelt verändern sich, und folglich auch das Verhältnis von relativen und absoluten Bedürfnissen.
Absolute Bedürfnisse müssen stets befriedigt werden, hierin liegt eine notwendige Bedingung dafür, daß relative Bedürfnisse überhaupt ins Blickfeld geraten. Indifferenz gegenüber Umweltverschmutzung ist langfristig schon deshalb nicht "durchhaltbar", weil ein bestimmter Zustand der natürlichen Umwelt Voraussetzung für die Befriedigung von Grundbedürfnissen ist: "It is only by adopting a metaphysical view of economic growth that we are able to forget the environmental conditions and consequences of affluence. To assert that prosperity is conductive to the spread of postmaterialist values, implies forgetting the very material roots of prosperity" (Martinez-Alier 1995, 2). Im Hinblick auf die Wirkungen des Wirtschaftswachstums liegt der entscheidende Punkt darin, daß es einerseits zur Befriedigung absoluter Bedürfnisse ebenso beitragen kann wie zur Verhinderung dieser Befriedigung (durch die Schaffung neuer Bedürfnisse), andererseits relative Bedürfnisse durch Wachstum niemals befriedigbar sind. Zwischen absoluten und relativen Bedürfnissen besteht mithin keine Substitutionsbeziehung, wie Beckermans Argument nahelegt.
Nicht vergessen werden sollte gleichwohl der Umstand, daß viele Menschen Einkommenssteigerungen und Wirtschaftswachstum in der Tat wollen. "The vast majority of the ordinary working people in the developed countries", hebt Beckerman (1992, 481) hervor, "appreciated only too well the improvements in their living standards that technological advance could bring." Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) betont diesen Zusammenhang ebenfalls und sieht das "entscheidende Argument für eine das Wachstum der Produktionsmöglichkeiten fördernde Wirtschaftspolitik" darin, "daß die Menschen (...) steigende Einkommen wollen und auch bereit sind, sich dafür anzustrengen. Nur bei steigenden Realeinkommen können sich die Menschen an materiellen Wünschen erfüllen, was ihnen bisher versagt geblieben ist. Ärmere möchten sich das leisten können, was heute zum durchschnittlichen Lebensstandard gerechnet wird, aber auch Haushalte mit höherem Einkommen haben zumeist noch viele Kaufwünsche offen. (...) So lange die Menschen es der Mühe wert finden, sich für eine reichhaltigere Versorgung anzustrengen, so lange bleibt es Aufgabe der Wirtschaftspolitik, für günstige Wachstumsbedingungen zu sorgen" (SVR 1987, Rdnr. 247). Der SVR argumentiert vehement nicht nur für eine Förderung der Wachstumsmöglichkeiten, sondern implizit auch für die Ausnutzung des Wachstumspotentials – die Ausweitung von Produktionsmöglichkeiten ergibt als politisches Ziel nur dann Sinn, wenn die Möglichkeiten ausgeschöpft werden sollen. In einer sich unter staatlichen Rahmensetzungen entfaltenden Wettbewerbswirtschaft, so der SVR (1989, Rdnr. 269), sei von der Grundvermutung auszugehen, "daß wirtschaftliches Wachstum im Einklang mit den Präferenzen der Menschen steht und damit deren Wohlergehen fördert." In der Tat kann nicht übersehen werden, daß Wirtschaftswachstum Voraussetzung für das heute von breiten Bevölkerungsschichten erreichte Maß an Güterversorgung war.
Es ist kaum zu bestreiten, daß Wachstum zumindest für sehr lange Zeit zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen beigetragen hat. Das Problem liegt darin, daß die industrielle Revolution "turned into a chase. There was one leader, Britain, and all the rest were pursuers. The lead has since changed hands, but the pursuit goes on in what has become a race without a finishing line" (Landes 1969, 538; meine Hervorhebung). Wachstum ist ein gleichsam "nach vorne offener" Prozeß, der in ökologischer Hinsicht überaus problematische Konsequenzen hat. Wie Mokyr (1990, 3) zurecht feststellt: "To say (...) that a country is rich is to say that it experienced economic growth in the past." Ausgebaute Bildungs- und Gesundheitssysteme beispielsweise gehen meist mit einem hohen Sozialprodukt einher. Die Frage ist, ob Wachstum ab einem bestimmten Wohlstandsniveau wirklich zu einer weiteren Verbesserung der Lebensbedingungen führt und ob die Befriedigung bestimmter Bedürfnisse durch Wachstum überhaupt möglich ist.
10.4. Wachstum erzeugt Knappheit: Die "Möbiusschleifen der Ökonomie"
"The flaw in the affluent society lies not in the false values of affluence
but in its false promise."
(Hirsch 1976, 110)
Für Hirsch (1976, 175) gibt es zwei soziale Grenzen des Wachstums: "First – the paradox of affluence – economic growth in advanced societies carries some elements of built-in frustration: the growth process, when sustained and generalized, fails to deliver its full promise. The growth process runs into social scarcity. Second – the reluctant collectivism – continuation of the growth process itself rests on certain moral preconditions that its own success has jeopardized through its individualistic ethos. Economic growth undermines its social foundations" (meine Hervorhebung). Daß die Bedürfnisbefriedigung durch Güter und Dienstleistungen zunehmend nicht nur von eigenem, sondern auch vom Konsum durch andere abhängt, ist ein zentrales Argument der Social Limits to Growth. (Hirsch 1976, 2). Hirsch führt das Konzept der gesellschaftlichen oder sozialen Knappheit ("social scarcity") ein: "It expresses the idea that the good things of life are restricted not only by physical limitations of producing more of them but also by absorptive limits on their use. Where the social environment has a restricted capacity for extending use without quality deterioration, it imposes social limits to consumption" (Hirsch 1976, 3). Die Nähe dieses Knappheitskonzepts zur ökologischen Knappheit ist evident: Hier wie dort führt die zunehmende Nutzung einer begrenzten Kapazität zu Knappheit. Von entscheidender Bedeutung ist, daß beide Knappheiten nicht durch Expansion bekämpft werden können.
Damit greift Hirsch auf einen vielzitierten Artikel von Harrod (1958, 208) zurück, in dem dieser zwischen demokratischem und oligarchischem Wohlstand unterscheidet: "The first principle of democratic wealth is that it is impossible for one man, however high the democratic standard of living has been raised, to engage in any one year the services of more than one man-year of the labour of others. This puts a severe limitation upon the range of possible satisfactions achievable through a democratic increase of income." Bestimmte Dinge sind in einer Weise knapp, die einen demokratischen Konsum verhindern. "A young man may have the ambition that, when he grows rich, he will live in the choicest part of New York, have good seats at all the best plays and operas, go to the most select nightclubs, buy fine old masterpieces or patronize the best living artists. And he may get all these things, if he grows rich oligarchically. But democratic wealth can never achieve them" (Harrod 1958, 209; meine Hervorhebung). Ausgangspunkt von Harrods Überlegungen sind die Wachstumserfolge der US-amerikanischen Wirtschaft. Diese Erfolge haben zu einem Wohlstandsniveau geführt, mit dem sich die Wohlstandswirkungen des Wachstums im Gegensatz zur Vergangenheit verschieben. Auch hier ist die Nähe zum Problem der ökologischen Knappheit evident: Auch hier hat Wachstum zu einer Veränderung der Knappheitsstrukturen geführt.
Demokratischer Wohlstand ist grundsätzlich für jeden zugänglich, oligarchischer Wohlstand dagegen nur für wenige, aber nie für alle. Hirsch (1976, 27ff.) unterscheidet materielle und positionelle Güter. Diese Unterscheidung, so Hirsch (1976, 26), "suggests that the interacting process between the material economy in a state of growth and the positional economy in a stationary state has important implications for the pattern of economic growth, for the connection between growth and the distribution of economic resources, and for the relationship between what individuals expect and what they get" (meine Hervorhebung). Die (Harrods demokratischem Wohlstand entsprechende) materielle Ökonomie wirft aus Sicht Hirschs unter dem Aspekt des Wirtschaftswachstums kein Problem auf. Problematisch ist für Hirsch (1976, 27) die positionelle Ökonomie: "The positional economy, which is the basis of Harrod's oligarchic wealth, relates to all aspects of goods, services, work positions, and other social relationships that are either (1) scarce in some absolute or socially imposed sense or (2) subject to congestion or crowding through more extensive use." Die positionelle Wirtschaft ist stets – geradezu definitionsgemäß – stationär.
Hirsch (1976) nennt mehrere Beispiele für die Problematik positioneller Güter: Zugang zu ästhetisch reizvollen Landstrichen (32ff.), Überfüllung z.B. von Vorstädten (36ff.) und der Markt für Führungspositionen (41ff.), die Hirsch (1976, 183) für den wichtigsten positionellen Sektor hält. All diese Fälle sind Beispiele für "everyone in the crowd standing on tiptoe and no one getting a better view" (Hirsch 1976, 49). Die Menschenmenge, in der niemand besser sieht, wenn alle sich auf die Zehenspitzen stellen, ist wohl das beliebteste Beispiel für soziale Knappheit. Andere Beispiele sind Staumeldungen im Radio oder "Bewerbungstips" für Erwerbslose: Die simple Tatsache, daß alle Betroffenen von diesen Leistungen Gebrauch machen können, macht sie wirkungslos (man ist versucht hinzuzufügen: eine verbreitete Form der Fehlallokation). Wenn z.B. höhere Qualifikationen für die Bekleidung von Führungspositionen notwendig werden, bekommen Hochschulabsolventen kaum einen Vorteil, wenn sehr viele andere ebenfalls im Besitz dieser Qualifikationen sind. Tourismus ist ein weiteres Beispiel für ein positionelles Gut, das Hirsch (1976, 37) nennt. In ähnlicher Weise argumentiert Mishan (1967, 105): "Geographical space, the choicest bits of it anyway, form one of the strictly limited resources of this now tiny planet. And – as in so many other things – what a few may enjoy in freedom the crowd necessarily destroys for itself."
Hirsch (1976, 20) verdeutlicht – unter Vernachlässigung der ökologischen Problematik (92) – den relevanten Unterschied zwischen materieller und positioneller Wirtschaft mit folgendem Beispiel: "An acre of land used for the satiation of hunger can, in principle, be expanded two-, ten-, or a thousand-fold by technological advances. (...) By constrast, an acre of land used as a pleasure garden for the enjoyment of a single family can never rise above its initial productivity in that use." Dieses Beispiel gilt nur unter Hirschs technikoptimistischen Annahmen, macht aber einen wichtigen Unterschied zwischen ökologischer und sozialer Knappheit deutlich: Ökologische Knappheit kann zumindest prinzipiell durch technische Faktoren beeinflußt werden, für soziale Knappheit ist dies nicht der Fall. Wenn aber für die Gesellschaft nicht erreichbar ist, was für den Einzelnen möglich ist – was folgt daraus? Hirsch (1976, 110) beklagt – auch hier in technologisch-optimistischer Manier –, daß "there is no analogue to the technological advance that keeps physical limitations at bay in the material sector." In Anlehnung an Easterlin verweist Hirsch (1976, 111ff.) auf die Bedeutung der relativen Position der Individuen und meint, daß "(r)elative position affects what we get, as well as what we feel." Der Wunsch nach positionellen Gütern, so also das grundlegende Agument von Hirschs Analyse, kann durch Wirtschaftswachstum nicht befriedigt werden. Die Erwartung, daß Wirtschaftswachstum zu einer verbesserten Bedürfnisbefriedigung führt, muß deshalb notwendigerweise enttäuscht werden, Hirsch (1976, 32) spricht von einer "false hope of what economic growth means for the individual." In allen Fällen wird positioneller Wettbewerb durch materielles Wachstum intensiviert. Positioneller Wettbewerb aber ist ein Nullsummenspiel: Was die eine gewinnt, verliert der andere. Es sei, als ob Kohle mit gleichbleibender Effizienz verbrannt würde, aber die Außentemperatur gesunken sei (Hirsch 1976, 53). Daraus folgt, daß "individual demand for positional goods seeks the undeliverable" (Hirsch 1976, 54). Insofern könnte man – zumal Hirsch selbst das Kohle-Beispiel verwendet – von einem "sozialen Rebound-Effekt" sprechen.
Hirsch (1976, 60f.) weist auf den Umstand hin, daß Bedürfnisse und Geschmäcker sich im Laufe der wirtschaftlichen Entwicklung verändern. Bekanntermaßen spielt z.B. die Versorgung mit grundlegenden Gütern in armen Gesellschaften eine zentrale Rolle, während mit steigendem Lebensstandard die Nachfrage nach Luxusgütern zunimmt (Hirsch 1976, 66). Der Prozeß wirtschaftlichen Wachstums bringt also selbst eine Veränderung von Konsumentenwünschen hervor, die ihrerseits zu einem weiteren Wachstum beitragen können. Unerfüllte Wünsche werden also nicht notwendigerweise durch Wachstum erfüllt, Wachstum hat ab einem bestimmten Punkt gerade den gegenteiligen Effekt: "Instead of alleviating the unmet demands on the economic system, material growth at this point exacerbates them" (Hirsch 1976, 67). Dies hat, so Hirsch (1976, 84), einen "commodity bias" zur Folge, der impliziert, daß "an exessive proportion of individual activity is channeled through the market so that the commercialized sector of our lives is unduly large."
Es gibt nach dieser Argumentation also sozioethische Wachstumsgrenzen, aber nicht in Dalys Sinne: Nicht die Bewertung unterschiedlicher Aktivitäten ist entscheidend, sondern die Unmöglichkeit, die Befriedigung bestimmter Bedürfnisse durch Wachstum zu erreichen: Relative Verbesserungen für alle sind eine logische Unmöglichkeit. Daß "the members of a community cannot all be made better off relative to others" (Mishan 1977, 102; seine Hervorhebung; s. auch 120), ist eben kein Werturteil. Bleibt aber die Frage, wie wichtig relativer Status wirklich ist. Und hier muß konstatiert werden, daß in der Tat für viele Menschen Bedürfnisse unbefriedigt sind, die mit relativem Status rein gar nichts zu tun haben: Dies gilt innerhalb der Industriestaaten und noch mehr in vielen Entwicklungsländern. Es kann dennoch nicht übersehen werden, daß im Laufe des Wachstumsprozesses die Wirkungen des Wirtschaftswachstums sich verändern.
Wachsender Wohlstand, zunehmende Enttäuschung ist ein Bericht Miegels (1998) betitelt, und diese Skizze des Verhältnisses von West- und Ostdeutschland sagt einiges über das Verhältnis von absoluten und relativen Größen im Wirtschafts- und Wachstumsprozeß. Miegel (1998, 431) macht auf das enorme Wachstum in der alten und der neuen Bundesrepublik aufmerksam und konstatiert: "Eine solche Wachstums- und Wohstandsexplosion, wie sie seit 1950 in West- und seit 1990 in Ostdeutschland zu beobachten ist, hat in der Geschichte keine Parallele." Daß sich dennoch Unzufriedenheit breit mache, liege im Osten an dem Vergleich mit dem relativ reicheren Westen, im Westen dagegen am Frust darüber, daß dieser ohne Transfer in den Osten noch reicher wäre. Wirtschaftswachstum und Wohlstandszunahme haben sich also "mental weitgehend getrennt" (Miegel 1998, 432).
Während die gleichen Wachstumsraten auf höherem Niveau immer größere absolute Zuwächse bringen, müssen diese Raten erstens sehr groß sein, um überhaupt wahrgenommen zu werden (1.000 DM Zuwachs waren in den 1950er Jahren spürbarer als am Jahrhundertende). Dazu kommt zweitens, daß der Nutzen der Zuwächse zurückgeht. Wer eine Wohnung über 100qm, zwei Wagen und drei Urlaubsreisen pro Jahr habe, so Miegel (1998, 432), nehme diese Dinge gerne, wolle sich aber nicht dafür anstrengen. Dies sei aber keine Sättigung: "Zum einen wachsen junge Generationen mit veränderten Bedürfnissen heran, und zum anderen schieben sich neue Bedürfnisse in den Vordergrund, wenn alte befriedigt worden sind. Doch ist Bedürfnis nicht gleich Bedürfnis" (Miegel 1998, 432). Auch wenn Miegel aufgrund von Durchschnittswerten die Lebenswirklichkeit der Bundesrepublik in etwas zu fröhlichen Farben zeichnet, nicht zuletzt aufgrund der Vernachlässigung des Verteilungsaspekts, kann doch nicht übersehen werden, daß die Differenzierung von Bedürfnissen innerhalb reicher Gesellschaften ein entscheidender Faktor für die Wachstumswirkungen ist: "Was bedeutete der erste warme Wintermantel nach dem Kriege im Vergleich zu einem Computerspiel heute oder das erste eiegene Auto im Vergleich zu einer Weltreise zur Jahrtausendwende! Das Wachstum der Wirtschaft mag jeweils gleich sein. Die Wachstumsempfindungen der Menschen sind es nicht" (Miegel 1998, 433).
Bedürfnisse sind – entgegen der Annahmen der Mainstream-Theorie – nicht "gegeben". Kulturelles Umfeld und Gruppenzugehörigkeiten bestimmen die Gestalt von Bedürfnissen ebenso wie die relative Stellung der Individuen im Vergleich zu anderen, und zwar im Hinblick auf das Einkommen ebenso wie auf den Konsum (Albert 1967c, 165). Menschliche Bedürfnisse sind in hohem Maße historisch und kulturell kontingent (Gould 1978, 9f.; Hueting 1980, 188; Matthaei 1984, 86) und deshalb auch veränder- und beeinflußbar. Easterlin (1974, 121) kommt in seiner schon zitierten Studie zu der Einschätzung, daß (wenn seine Ergebnisse stimmen) "economic growth does not raise a society to some ultimate state of plenty. Rather, the growth process itself engenders ever-growing wants that lead it ever onward." Deshalb sei es auch zweifelhaft, ob eine Affluent Society je erreicht werden könne.
Auf die knappheitsfördernde Wirkung des Wirtschaftsprozesses weist der SRU (1994, Rdnr. 44) hin: "Moderne Wirtschaft vermag entsprechend den ihr zur Verfügung stehenden technisch-rationalen Mitteln fortschreitend neue, bisher unbekannte Güter zu entwickeln und bereitzustellen, mit denen sie zwar an gegebene Bedürfnisse anknüpft, diese aber damit auch ständig fortentdlt. Insofern ist sie also nicht nur auf Bedarfsdeckung, sondern auch auf Bedarfsweckung ausgelegt. Sie bewältigt nicht nur Knappheit, sondern stellt sie auch immer neu her" (meine Hervorhebung). Wachstum kann Knappheit deshalb nie "überwinden", und damit ergibt sich ein "vicious circle of expanding productivity and expanding wants" (Leiss 1978, 10). Von besonderer Bedeutung ist also der Umstand, daß der Wachstumsprozeß selbst zu immer neuen Bedürfnissen führt: "Economic growth goes hand in hand with new products and new technologies, and these in turn produce changes in society and in its yardsticks for evaluating its own welfare" (Zeckhauser 1973, 115). Wachstum verändert die Maßstäbe der Beurteilung von Wohlstandsentwicklung ebenso wie es die "Erwartungen" im Hinblick auf die Wohlfahrtswirkungen nicht erfüllen kann. In den Worten von Easterlin (1974, 116): "Material aspirations or tastes vary positively with the level of economic development. (...) This upward shift in standards (tastes) tends to offset the positive effect of income growth on well-being that one would expect on the basis of economic theory." Easterlin (1974, 120) weist darauf hin, daß dieser Zusammenhang insbesondere im Hinblick auf die Frage langfristigen Wachstums nicht ignoriert werden kann. In der Tat – vor allem bei Berücksichtigung der ökologischen Grundlagen dieses Prozesses.
Rawls (1971, 259) weist darauf hin, daß "the social system shapes the wants and aspirations that its citizens come to have. It determines in part the sort of persons they want to be as well as the sort of persons they are. Thus an economic system is not only an institutional device for satisfying existing wants and needs but a way of creating and fashioning wants in the future." Wenn das Wirtschaftssystem aber immer neue Bedürfnisse schafft, kann Knappheit niemals an ihr Ende kommen – ergo kann die Bekämpfung von Knappheit kein Argument für Wirtschaftswachstum sein. Der "Prozeß permanenter Mangelproduktion", so Gerschlager (1996, 48), hängt damit zusammen, "daß alles wirtschaftliche Tun in einem unaufhörlichen Kampf gegen vorgegebene Knappheiten besteht. Jede Produktionssteigerung ist wiederum Ausgangspunkt für eine neue Mangelerfahrung auf einer höheren Ebene der Produktion. Dieser Prozeß setzt sich fort. Solange die positive Rückkopplung von Begehren und ökonomischer Produktion nicht unterbrochen wird, zieht nämlich jedes befriedigte Bedürfnis ein anderes nach sich, und produktive Mangelbehebung ist gleichzeitig Mangelproduktion" (meine Hervorhebungen). Dazu komme noch die Selbstreferenzialität des Kapitals. "Beides sind Möbiusschleifen der Ökonomie. Sie etablieren Systeme, die von selbst zu laufen scheinen" (Gerschlager 1996, 48; ihre Hervorhebung). Daß Wachstum durch die Schaffung neuer Bedürfnisse zu weiterem Wachstum führt, ist ein zentrales Argument eines frühen wachstumskritischen Werkes, das immer wieder mit Mills stationärem Zustand in Verbindung gebracht wird: In The Affluent Society heißt es, daß "if production creates the wants it seeks to satisfy, or if the wants emerge pari passu with the production, then the urgency of the wants can no longer be used to defend the urgency of the production. Production only fills a void that it has itself created" (Galbraith 1971, 147; kursiv von ihm; s. auch xxviii). Galbraiths Argument ist hier nicht zuletzt deshalb von Interesse, weil er die Bedeutung dieses Zusammenhangs für die ökonomische Theorie problematisiert.
Galbraith (1971, erstmals 1958) setzt sich in der Affluent Society mit den Folgen der Überwindung der Knappheit auseinander, wie sie noch zu Zeiten der Klassiker geherrscht hat. Dalys und Hirschs Argumentation ähnelt Galbraiths These insofern, als sie sich auf einen Wandel der Knappheitstrukturen bezieht – allerdings mit einem entscheidenden Unterschied: Während Daly die Bedeutung ökologischer Knappheit betont und Hirsch auf das zunehmende Problem sozialer Knappheit hinweist, vertritt Galbraith die Auffassung, daß Knappheit im Laufe der Geschichte seit der industriellen Revolution an Bedeutung verloren hat. Und damit trifft sich Galbraith mit Daly und Hirsch: Hier wie dort wird argumentiert, die Ökonomik habe eine Veränderung der Knappheitsstrukturen nicht realisiert: "(T)he experience of nations with well-being is exceedingly brief. Nearly all, throughout all history, have been very poor. (...) The ideas by which the people of this favoured part of the world interpret their existence, and in measure guide their behavior, were not forged in a world of wealth. These ideas were the product of a world in which poverty had always been man's normal lot, and any other state was in degree unimaginable" (Galbraith 1971, 1; meine Hervorhebung; s. auch Kapitel 6 oben). Gerade die Tatsache, daß der stationäre Zustand der Klassiker (siehe Abschnitt 7.3.) nicht eingetreten ist, hat diese Ideen aber obsolet werden lassen. Damit haben sich auch die Bedürfnisse geändert, nämlich erweitert: "In the world into which economics was born, the four most urgent requirements of man were food, clothing and shelter, and an orderly environment in which the first three might be provided" (Galbraith 1971, 129) – mit der Überwindung der Armut auf breiter Front sind diese Bedürfnisse noch immer essentiell, haben aber keine ökonomische Priorität mehr. Die Güterproduktion selbst verliert deshalb aus Galbraiths (1971, 168) Sicht an Dringlichkeit: "Production for the sake of the goods produced is no longer very urgent. The significance of marginal increments (or decrements) in the supply of goods is slight. We sustain a sense of urgency only because of attitudes that trace to the world not of today but into which economics was born." (meine Hervorhebung).
10.5. Wachstum, Umverteilung und noch einmal Rawls
"One reason why the progressive state is 'cheerful' is that social conflict is diminished by it.
In a progressive state, the poor can become richer without the rich becoming poorer."
(Boulding 1973d, 95)
Die Verbesserung der Lebensbedingungen vieler Menschen ist durch Wachstum erreicht worden, nicht durch Umverteilung (s. auch Galbraith 1971, 93 und oben Kapitel 6). Ein entscheidendes Argument für die Wünschbarkeit von Wirtschaftswachstum ist die Auffassung, Wachstum sei zur "Lösung" des Verteilungsproblems notwendig. Ein Ende des Wirtschaftswachstums wird möglicherweise – und bei Fehlen entsprechender politischer Kompensationsmechanismen gewiß – zu Lasten derjenigen gehen, die nicht über die Macht zur Interessendurchsetzung verfügen. Darauf weist auch Boulding (1972, 149f.) hin: "In the progressive state, conflicts can be resolved fairly easily by progress itself. The poor can get richer without the rich getting poorer. In the stationary state, if the poor are to get richer, then the rich must get poorer, and what is even more frightening, if the rich are to get richer, they can only do so by increasing their exploitation of the poor, and since the rich may be the most powerful, they may have strong incentives to do this." Ist der Steady-State deshalb unmöglich? Dalys Forderung nach "moralischem Wachstum" basiert nicht zuletzt auf der Einsicht, daß in einem Steady-State Verteilungsfragen nicht durch permanentes Wachstum "gelöst" werden könnten: "With a limited scale of throughput, redistribution and population control must replace aggregate growth as the cure for poverty" (Daly 1991b, 221). Folglich könne auch Armutsbekämpfung nicht auf Wachstum beruhen: "Elimination of poverty, in the absence of growth (which so far has failed to reduce poverty anyway), will have to come from greater sharing, more population control, and development in the sense of the term here defined", also durch qualitative Verbesserung (Daly 1996a, 15). In einem Steady-State werde Umverteilung deshalb unumgänglich, und dies erfordere mehr als die staatliche Regelung der Einkommens- und Vermögensverteilung: "If we are serious about helping the poor, we shall have to face up to the moral issue of redistribution and stop sweeping it under the rug of aggregate growth" (1991b, 8). Armut – die Existenz unerfüllter absoluter Bedürfnisse – sei ein Argument für Umverteilung und nicht für weiteres Wachstum (1991b, 44).
Mit Rawls' (1971, 274) Theory of Justice können die Konturen eines gerechten Wirtschaftssystems formuliert werden. Wie ein Wirtschaftssystem gestaltet ist (Eigentumsverhältnisse, Anreizstrukturen, Zugriff auf die natürliche Umwelt etc.), ist für die Umweltfolgen wirtschaftlicher Aktivitäten und damit die Nachhaltigkeit des Wirtschaftens von großer Bedeutung. Rawls' Überlegungen spielen für die Begründung der Forderung nach Sustainable Development eine entscheidende Rolle (s. Abschnitt 3.2.1.). Diese Konzeption beinhaltet die Vorstellung eines stationären Zustands, in dem die gerechte Gesellschaft verwirklicht ist und – ganz im Dalyschen Sinne – Bestandserhaltung die Notwendigkeit von Sparen und Wachstum ablöst, wie folgende Äußerung von Rawls (1971, 287) verdeutlicht: "Eventually once just institutions are firmly established, the net accumulation required falls to zero. At this point a society meets its duty of justice by maintaining just institutions and preserving their material base" (meine Hervorhebungen). Der Spar- und Wachstumsprozeß ist aus Sicht der Rawlschen Gerechtigkeitstheorie also ein endlicher Prozeß: "The just savings principle can be regarded as an understanding between generations to carry their fair share of the burden of realizing and preserving a just society. The end of the savings process is set up in advance, although only the general outlines can be discerned. Particular circumstances as they arise will in time determine the more detailed aspects. But in any event we are not bound to go on maximizing indefinitely" (Rawls 1971, 289). Es geht Rawls um die Weitergabe gerechter Institutionen, Wirtschaftswachstum ist dafür nicht unbedingt erforderlich.
Dies impliziert nicht, daß alle Gesellschaften vor Erreichen des stationären Zustands nur als Übergangsphänomene interpretiert werden: "The significance of the last stage of society should not, however, be misinterpreted. While all generations are to do their part in reaching the just state of things beyond which no further net saving is required, this state is not to be thought of as that alone which gives meaning and purpose to the whole process" (Rawls 1971, 289; meine Hervorhebung). Gerechtigkeit erfordert ausdrücklich nicht ein hohes Maß an Wohlstand: "The last stage at which saving is required is not one of great abundance. This consideration deserves perhaps some emphasis. Further wealth might not be superfluous for some purposes; and indeed average income may not, in absolute terms, be very high. (...) It is a mistake to believe that a just and good society must wait upon a high material standard of life. (...) In fact, beyond some point it is more likely to be a positive hindrance, a meaningless distraction at best if not a temptation to indulgence and emptiness" (Rawls 1971, 290; meine Hervorhebungen).
Rawls' Konzeption einer Theory of Justice beinhaltet im Hinblick auf die gesellschaftliche Entwicklung also die Vorstellung eines stationären Zustands (s. auch Penn 1990, 229). Damit sieht eine der meistzitierten philosophischen Grundlagen der Forderung nach Sustainable Development die Möglichkeit eines stationären Zustands vor. Dies gilt, obwohl Rawls biophysikalische Grenzen im Dalyschen Sinne nicht erörtert: "Although Rawls does not describe a biophysically bounded economy, his concept of a stable, just society – one that does not experience continually escalating demands for energy – is a recognition of the moral limits to growth" (Penn 1990, 240). Diese Grenze impliziert eine auch biophysikalische Restriktion, sie ist aber nicht der Ausgangspunkt für Rawls. Man kann aufgrund von Gerechtigkeitserwägungen in Anlehnung an Rawls nicht nur für ein Sustainable Development plädieren, sondern auch in der Tat für einen Steady-State (s. auch Luks/Rampf 1998).
Es geht hier nicht um die Vorstellung eines erdlichen Paradieses, das seine Knappheitsprobleme endgültig löst und gleichsam an einem Endpunkt der Geschichte ankommt. Auch soll nicht in Abrede gestellt werden, daß die Möbiusschleife aus Bedürfnisbefriedigung, Wachstum und Bedürfnisschaffung selbstverständlich von vielen Menschen als Lebensqualität empfunden wird. Worauf es im Hinblick auf das Verhältnis von Steady-State und Sustainable Development ankommt, ist folgendes:
V. Schlussfolgerungen
11. Über nachhaltiges Wirtschaften
11.1. Ist der Steady-State Grundlage nachhaltiger Entwicklung?
"Steady-Statists challenge the fundamental notion that an unguided insivible hand will maximize social welfare over time and argue that nontraditional policy contraints must be integrated into traditional economic decision making. In their view, policy must establish constraints upon the working of the market in order to ensure that the intertemporal level of economic activity leads
to a sustainable pattern of resource use. This policy challenges the fundamental
metaeconomic basis of neoclassical analysis – the primacy of the invisible hand"
(Underwood/King 1989, 326)
Für Daly (1993b, 31) ist der Steady-State unzweifelhaft die Grundlage und die notwendige Bedingung eines Sustainable Development: "Sustainable Development (...) means a radical shift from a growth economy and all it entails to a steady-state economy, certainly in the North, and eventually in the South as well" (meine Hervorhebung). Daly (1993b, 368) macht sehr deutlich, daß ein Steady-State nicht selbst ein Ziel ist, sondern nur ein Mittel zum Zweck, "a constraint imposed by the ends of justice, sustainability, and participation, as well as by the approximate steady-state nature of the total ecosystem of which the economy is a part." Dalys Argumentation im Hinblick auf ökologische Wachstumsgrenzen ist plausibel. Problematisch ist seine Annahme, diese Grenzen ließen sich exakt bestimmen. Es gilt aber, daß es Wachstumsgrenzen gibt. Daß diese nicht genau zu bestimmen sind, ist, wie in Kapitel 8 gezeigt, ein Argument für und nicht gegen einen Steady-State. Eine nachhaltige Entwicklung erfordert, den Scale auf einem als ökologisch durchhaltbar vermuteten Niveau zu stabilisieren. Dieser Scale ist als Material Input operationalisierbar.
Bei Dalys sozioethischen Wachstumsgrenzen zeigt sich, daß man nicht auf Werturteile zurückgreifen muß, um die sozialen Folgen des Wirtschaftswachstums in Zweifel zu ziehen: "Consumer wants can have bizarre, frivolous, or even immoral origins, and an admirable case can still be made for a society that seeks to satisfy them. But the case cannot stand if it is the process of satisfying wants that creates the wants" (Galbraith 1971, 147; meine Hervorhebung). Es geht nicht um die Bewertung von Bedürfnissen, sondern um das Problem, daß der Wachstumsprozeß immer neue schafft und diese "Möbiusschleife" in einer begrenzten Umwelt nicht nachhaltig sein kann. Eine wichtige Schlußfolgerung aus den Arbeiten von Harrod, Easterlin und Hirsch ist, daß man die wohlfahrtssteigernde Wirkung von Wirtschaftswachstum in wichtigen Aspekten beurteilen kann, ohne daß ein Werturteil über die (un-)befriedigten Bedürfnisse notwendig ist. Ohne auf die moralische Argumentation Dalys angewiesen zu sein, läßt sich vor dem Hintergrund dieser Arbeiten feststellen, daß Wachstum zumindest ab einem bestimmten Punkt keine wohlfahrtssteigernden Wirkungen im Sinne eines Sustainable Development entfaltet. Es geht nicht darum, daß Distinktion kein legitimes Bedürfnis wäre, sondern um den Tatbestand, daß dieses Bedürfnis durch Wachstum kaum zu befriedigen ist. Jaeger (1995, 49) weist darauf hin, daß "there is at least one dimension of individual and social well-being for which some qualifications to economic methods may be made without resorting to judgements about the relative legitimacy or weight to accord different kinds of human aspirations: the desire to raise one's own relative position, or standing, within society" (seine Hervorhebung). Jaeger (1995, 50) meint gar, daß "consumption in the pursuit of higher standing must be treated differently from the other categories or sources of satisfaction because standing within society is zero-sum and therefore the adding up of an individual's willingness to pay for purely positional goods is invalid" (seine Hervorhebung). Daß die positionelle Wirtschaft eine stationäre ist, ist von Hirsch gezeigt worden. Wenn aufgrund beschränkter Wachstumsmöglichkeiten viele sozioökonomische Prozesse zu "Nullsummenspielen" werden, nehmen diese zunehmend die Eigenschaften der positionellen Wirtschaft an: Ein Mehr an einer Stelle ist dann stets mit einem Weniger an anderer verbunden. In diesem Sinne wirkt ein Steady-State zweifellos knappheitssteigernd.
Die drei Dimensionen nachhaltiger Entwicklung entsprechen den "Bauteilen" des Dalyschen Steady-State-Konzepts: Wachstumsgrenzen, wirtschaftspolitische Ziele und Institutionen. Der sozialen Dimension von Sustainable Development entsprechen Dalys sozioethische Wachstumsgrenzen, das Ziel der gerechten Verteilung und die Institution zur Regelung von Einkommens- und Vermögensverteilung; auf die ökologische Dimension zielen die beiden anderen Institutionen ab, hier ist das Ziel ein nachhaltiger Scale, der ein Überschreiten ökologischer Wachstumsgrenzen verhindern soll; der wirtschaftlichen Dimension schließlich entspricht Dalys Vorstellung, nach der die Institutionen dem Markt einen Rahmen setzen sollen, innerhalb dessen er des Ziels einer effizienten Allokation dient und damit auch dazu beitragen soll, die ökonomischen Wachstumsgrenzen nicht zu überschreiten. Im Hinblick auf die ökonomische Zielsetzung einer möglichst "optimalen" Ausschöpfung von Nutzungsmöglichkeiten entspricht der Steady-State nicht üblichen Vorstellungen von Wirtschaftlichkeit. Gleichwohl zeigt sich, daß der Steady-State als Vorsichtsstrategie deshalb nicht "unökonomisch" ist. Mit dieser Strategie das "Naturkapital" erhalten zu wollen, entspricht im Gegenteil grundlegender ökonomischer Vernunft, nach der Einkommen nur das genannt werden kann, was zukünftiges Potential zur Bedürfnisbefriedigung nicht zerstört (s. Abschnitt 3.2.2.).
Daly plädiert, wie gezeigt, für eine Neubewertung von Mitteln und Zielen. Im selben Sinne vertritt Sachs (1993, 69) die Auffassung, man könne einer naturverträglichen Gesellschaft "nur auf zwei Beinen näherkommen: durch eine intelligente Rationalisierung der Mittel wie durch eine kluge Beschränkung der Ziele. Mit anderen Worten: Die 'Effizienzrevolution' bleibt richtungsblind, wenn sie nicht von einer 'Suffizienzrevolution' begleitet wird. Nichts ist schließlich so irrational, als mit einem Höchstmaß an Effizienz in die falsche Richtung zu jagen" (meine Hervorhebung; s. auch Sachs 1995, 26). Dies könnte aber genau die Folge von Optimierungsstrategien sein, die die ökologischen Unsicherheiten, die gerade den Kern des Umweltproblems ausmachen, aus theoretischen Gründen ignorieren. Grabher (1994, 13) betont für die Entwicklung von Regionen "Verschwendung als Entwicklungsressource", und hier liegt ein Bezug sowohl zum Steady-State-Konzept als auch zum Ziel eines Sustainable Development. Das beste "Gegengift" gegen die "Gefahr einer kontinuierlichen Perfektionierung von Unzulänglichkeiten" sei, so Grabher (1994, 13), "der Verzicht auf Maximaleffizienz und Optimalität". Unterschiedliche Entwicklungspfade offenzuhalten, erhöhe die Anzahl verschiedener Entwicklungsoptionen. Grabhers Arbeit mit dem scheinbar explizit anti-ökonomischen Titel Lob der Verschwendung zielt darauf ab, "die im Offenhalten unterschiedlicher Entwicklungspfade angelegte regionale Anpassungsfähigkeit im Konzept der Redundanz theoretisch zu erfassen" (Grabher 1994, 13; seine Hervorhebungen). Hier geht es um ein anderes, freilich mit dieser Zielsetzung verwandtes Anliegen: Slack bringt ökologische Anpassung im Sinne einer Durchsatzsenkung und -stabilisierung auf den Begriff. Der Slack als Vorsichtsstrategie ist ein genuin ökonomisches Problem, da Begriffe wie Knappheit und Effizienz Dreh- und Angelpunkte des ökonomischen Denkens auch über Umweltprobleme sind. Wenn aber Sustainable Development vor allem das Offenhalten von Entwicklungsoptionen – gleichsam die Erhaltung verschiedener möglicher Zukünfte – bedeutet, gleichzeitig aber unüberwindbare Wissensprobleme eine "effiziente" Anpassung an natürliche Gegebenheiten verunmöglichen, hat ein Konzept wie Slack einen zentralen Platz im Verhältnis von Sustainable Development und Steady-State.
11.2. Dalys Beitrag zur Theorie nachhaltigen Wirtschaftens
Steady-State-Economics ist für Daly, wie der Untertitel der ersten Auflage des gleichnamigen Buches (1977b) verrät, die Economics of Biophysical Equilibrium and Moral Growth. Daly sieht sich, wie er immer wieder betont, in klassischer Tradition. Dieses Bekenntnis zur Klassik und die Abgrenzung von der Neoklassik hängen eng zusammen: "(T)he moral science of political economy has degenerated into the amoral game of politic economics. Political economy was concerned with scarcity and the resolution of social conflicts engendered by scarcity. Politic economics tries to buy off social conflict by abolishing scarcity – by promising more things for more people, with less for no one, forever and ever – all vouchsaved by the amazing grace of compound interest" (Daly1979, 67; s. auch 1993a, 19). Obwohl er den neoklassischen Begriff Steady-State verwendet und nicht den klassischen des Stationary State, begründet Daly auch seine Begriffswahl mit dem Rekurs auf die Klassik: "The term stationary state (steady state) is used here [im Einleitungstext zu Essays toward a Steady-State Economy; FL] in its classical sense" (Daly 1993a, 27; seine Hervorhebung). Daly verwendet die Begriffe Steady-State und Stationary State synonym, der Begriff "Steady-State" sei in der Physik üblich, Stationary State in Ökonomik und Bevölkerungswissenschaft (1993a, 24; s. auch 1974, 16). Daly (1993a, 45, Fn. 21) meint, daß der Begriff Stationary State "has been burdened with two distinct meanings in economics". In der Klassik sei er ein "teleological or eschatological concept" in der Neoklassik dagegen "entirely mechanistic – an epistemologically useful fiction like an ideal gas or frictionless machine" (Daly 1993a, 45, Fn. 21). Die Neoklassik, so Daly (1993b, 366), habe "redefined the term". Man sei "almost led to suspect a conspiracy among growth economists to find every term in the English language that is in any way descriptive of nongrowth and redefine it to refer to some special case of growth. (...) The one word the growth economists have reserved for expressing nongrowth is, of course, stagnation, with its strong connotations of foulness, dullness, and putrefaction." Die Analyse der Bedingungen gleichgewichtigen Wachstums in der Neoklassik, so Daly (1973d, 117), gehe von nichtphysikalischen Quantitäten aus "and inquires how the physical variables of quantities produced and resources used must be adjusted to fit an equilibrium (or an 'equilibrium rate of growth') determined by these nonphysical parameters. The nonphysical conditions are given, and physical magnitudes must adjust" (meine Hervorhebung). Allerdings, so ist dem entgegenzuhalten, geht es der Wachstumstheorie letztlich nicht um physische Größen, auch wenn Güter und Produktionsfaktoren selbstverständlich physische Dimensionen haben – daß diese keine Rolle spielen, ist in ökologischer Hinsicht gerade ein Kernproblem dieses Ansatzes.
Der Begriff des Steady-State hat natur- wie wirtschaftswissenschaftliche Bedeutung. Sehr früh hat Daly (1968, 392) auf die Gemeinsamkeiten von Biologie und Ökonomik im Hinblick auf Stationarität und Evolution hingewiesen. Daly hofft, mit der Übernahme des Steady-State-Begriffs aus den Naturwissenschaften Verwirrung zu vermeiden. "This seemed a happy choice, because I was arguing from biophysical first principles anyway and because the term steady state meant to physical scientists very nearly what the term stationary state had meant to the classical economists before the neoclassicals redefined it" (Daly 1993b, 366). Der wichtigste Unterschied sei, daß der Begriff in der Physik quantitative und qualitative Konstanz bedeute, während die Steady-State-Wirtschaft nach Dalys Definition nur mengenmäßige Konstanz mit der Offenheit für qualitative Veränderung impliziere. Dennoch sei die Anlehnung an den naturwissenschaftlichen Steady-State-Begriff angemessen: "A steady-state economy fits easily into the paradigm of physical science and biology – the earth approximates a steady-state open system, as do organisms" (Daly 1993a, 17). In einem frühen Aufsatz (1971b) hatte Daly noch von der Stationary State Economy gesprochen. Mit der Verwendung des eher naturwissenschaftlich inspirierten Steady-State-Begriffs war inhaltlich aber keine Änderung verbunden. Führt man sich allerdings die "klassisch-ökonomische" und die "modern-naturwissenschaftliche" Definition von Stationary bzw. Steady-State vor Augen, "paßt" der Wechsel vom einen zum anderen Begriff, den Daly in den frühen 1970er Jahren vollzog, zu einem definitorischen Wechsel, den er erst ca. 20 Jahre später vollzog: Denn die Definition des Steady-State in terms von stationärer Bevölkerung und Kapital entspricht der klassischen Stationarität ebenso wie das im Hinblick auf den Material- und Energiedurchsatz definierte Flußgleichgewicht dem naturwissenschaftlichen Begriff des Fließgleichgewichts entspricht (s. Abschnitt 5.4.1.).
Ich habe argumentiert, daß Optimalität im Kontext der Scale-Beeinflussung ein nachrangiges Ziel ist. Daly hält aber, wie gezeigt, an der Vorstellung eines anzustrebenden Optimums fest (Schröder [1995, 164] spricht von "Daly's idea of maximum scale"). Diese Vorstellung eines optimalen Material- und Energiedurchsatzes erweist sich als problematisch. Dalys ökonomische Wachstumskritik, die ökologische und sozioethische Einwände gegen die Wirkungen des Wirtschaftswachstums verknüpft, ist im Hinblick auf die Verbindung von steigenden ökologischen Grenzkosten und sinkenden sozialen Grenznutzen zwar auf den ersten Blick sinnvoll, bei näherer Betrachtung ist aber nicht zu sehen, wie diese "Kosten" und "Nutzen" operationalisierbar gemacht werden könnten. Dies heißt nicht, daß Dalys Argument nicht plausibel gegen die ökonomische Sinnhaftigkeit weiteren Wirtschaftswachstums spricht – unter Berücksichtigung makroökonomischer Kosten- und Nutzenkurven aber einen "optimalen Scale" bestimmen zu wollen, ist nicht weniger unrealistisch als die Auffassung, umfassende Internalisierung sei möglich und reiche zur Bekämpfung von Umweltproblemen aus. Daly bringt zwar ökologisch-ökonomische Effizienzkriterien in die Diskussion, diese sind aber ebenso unrealistisch wie Versuche, Umwelt-"Güter" und -schäden monetarisieren zu wollen.
Einen optimalen Scale zu ermitteln, ist unmöglich. Um Dalys (1992b, 337) Begriffe zu verwenden: Weder ein anthropozentrisches Optimum (Abgleichen von marginalen Kosten und Nutzen) noch ein biozentrisches Optimum (das den intrinsischen und Gebrauchswert anderer Arten berücksichtigt) lassen sich berechnen. Bei einer skeptischen und vorsichtigen Haltung impliziert dies eine Reduktion des Scale, ohne genau zu wissen, wo Optimalität liegen könnten. Selbstverständlich impliziert dies die Vorstellung eines bestimmten Lebensstandards. Ein unteres Level ist schon durch die Interessen der heute lebenden Menschen gegeben (Daly 1991b, 221). Dies gilt besonders für diejenigen in den Entwicklungsländern. Daly macht sich auch Gedanken über Effizienz und über alternative ökologisch-ökonomische Effizienzkriterien (s. z.B. Daly 1974, 15; 1979, 80; 1991b, 36; 1993e, 326; 1996a, 69). Dabei steht das Verhältnis von Dienstleistungen, Bestandsgrößen und Material- und Energiedurchsatz im Vordergrund. Die "overall ecological-economic efficiency" ergibt sich für Daly (1992b, 334) aus dem Verhältnis von dem aus menschengemachtem Kapital gewonnenen Dienstleistungen und den geopferten Naturkapital-Dienstleistungen. Bei der "Umwandlung" von Naturkapital in menschengemachtes Kapital kommt es nach Dalys Auffassung darauf an, die aus dem höheren Bestand gewonnenen Dienstleistungen zu maximieren, und den Verlust an Dienstleistungen durch den Abbau von Naturkapital zu minimieren. Dieser Effizienzgedanke weist über die Entscheidungen über Naturkapitalinvestitionen hinaus und hat Implikationen für den Scale der Wirtschaft, denn die Umwandlung von Naturkapital in menschengemachtes Kapital "will itself reach an economic limit, an optimal scale of the economic subsystem beyond which further expansion would increase costs faster than benefits" (Daly 1994c, 36). Das ökonomische Kriterium des Ausgleichs von Grenznutzen und Grenzkosten wird also auch für die Bestimmung des optimalen Scale zugrundegelegt. Dieses Kriterium geht üblicherweise von kontinuierlich sinkenden Grenznutzen und kontinuierlich steigenden Grenzkosten aus. Die erste Annahme ist aus Dalys Sicht unproblematisch, die Annahme kontinuierlich steigender Grenzkosten dagegen nicht, denn "(a)s the human niche has expanded, the stresses on the ecosystem have increased, but there has been no rational ordering by human or providential intelligence to ensure that the least important ecosystem services are always sacrificed first. We appear to be sacrificing some vital services rather early" (Daly 1994c, 37). Bei Berücksichtigung der ökologischen Dienstleistungseffizienz könne erwartet werden, so Daly (1994c, 37), daß begonnen würde, zuerst die am wenigsten wichtigen Dienstleistungen zu opfern und die wichtigsten zuletzt. Dies würde "justify the economist's usual assumption of gradually rising marginal costs" (Daly 1994c, 37).
Dies ist eine problematische Annahme, denn es gilt zu berücksichtigen, daß "severe ecological disruptions imposed by environmental degradation are not likely to resemble the 'normal' Ricardian scarcity effect of well-behaved, gradually decreasing environmental quality but rather take the form of sudden, often discontinuous and less predictable threshold effects" (Barbier 1989, 98). Das gilt im übrigen schon für den im Vergleich zur Senkenproblematik vergleichsweise "einfachen" Fall der Quellennutzung. Das Wissen, das zur Nutzung natürlicher Ressourcen in Reihenfolge ihrer Qualität vonnöten wäre, ist nämlich regelmäßig nicht vorhanden. Norgaard (1990, 23) nennt dies das "Mayflower Problem": "If the Pilgrims knew where the best places for an agricultural colony were, they would not have gone to Plymouth Rock. The history of North America, the focus of all of the empirical studies [über Ressourcenknappheit; FL] to date, is a history of using low quality resources before learning led to the exploitation of higher quality, less costly resources. Many generations passed before American agriculture shifted from the relatively poor soils of the east coast to the more productive midwest." Carey hat, wie gezeigt, schon früh auf dieses Problem verwiesen (s. Norgaard 1990, 24 und oben 7.3.4.1).
Entscheidend an Dalys Effizienzkriterium ist, daß darin die "ökologischen Kosten" in einem umfassenden Sinne zur Kenntnis genommen und berücksichtigt werden. Ökonomische Effizienzkriterien sind üblicherweise an der Aussagekraft von Preisen orientiert und berücksichtigen ökologische Kosten und Nutzen nur ungenügend. Die ökologisch-ökonomischen Effizienzkriterien sind deshalb ein Schritt in Richtung "Ökologisierung der Ökonomie" und bieten zumindest erste Anhaltspunkte für eine Orientierung ökonomischen Denkens und Handelns auch an ökologischen Knappheiten. Sie könnten Anhaltspunkte für die Bestimmung des "richtigen Scale" bieten, auch wenn Daly selbst keinen Versuch unternimmt, diese Effizienzkriterien mit konkreten Werten zu berechnen und so zu einer Abschätzung eines angemessenen Scale zu kommen.
Daly gilt heute als der wichtigste Vertreter einer ökologisch begründeten Steady-State-Wirtschaft, sein Werk gehört zum Kernbestand der Ecological Economics. Hinsichtlich der Originalität theoretischer Äußerungen ist es grundsätzlich problematisch, das "first statement" zu lokalisieren (Stigler 1965b, 2). Das gilt auch für den "ökologischen" Steady-State. Daly war einer der ersten, der dieses Konzept zur Sprache gebracht hat, der erste war er sicher nicht. Im Hinblick auf das Kriterium für Originalität meint Stigler (1965b, 4), daß wenn ein Autor "opens their eyes [seiner Zeitgenossen] to new ideas or to new perspective on old ideas, he is an original economist in the scientifically important sense". Nach diesem Kriterium ist Daly ein "original economist": Er hat in der Tat eine neue Perspektive auf eine alte Idee (den stationären Zustand) eröffnet und daraus eine neue Idee (den "ökologischen" Steady-State) entwickelt. Jochimsen/Knobel (1971, 35f.) weisen darauf hin, daß es "dogmenhistorisch nicht unüblich [ist], Ideen mit den Namen von Autoren zu bezeichnen, die nicht nur autonome Pionierleistungen erbracht, sondern neben ihrem originalen Beitrag durchgesetzt haben, daß bestimmte wissenschaftliche Ideen in den Mittelpunkt des Interesses und der Praxis gerückt wurden" (ihre Hervorhebung). Die Idee des Steady-State ist von Daly in das Zentrum einer sich konstituierenden ökologisch-ökonomischen Theorie gerückt worden. Daly, der "radikale Kritiker der herrschenden Wachstumsphilosophie" (Leipert 1989, 36) und "hero to ecologists" (Ehrlich 1989, 15), galt schon in den siebziger Jahren als ein "leading advocate" of a steady-state-economy" (Stark 1976, IV; Lecomber 1979, 127) des stationären Zustands und wird heute bereits als "'Klassiker' der dauerhaften Wirtschaftsweise" (Weizsäcker 1990, 273) angesehen. Daly ist zweifelsohne die "most eloquent voice for a steady state economy" (Gowdy 1991, 83). Auch andere Autoren haben, wie gezeigt, zum Steady-State-Konzept beigetragen. Der wichtigste und einflußreichste Vertreter dieser Idee ist aber zweifellos Daly. Für seine Arbeit ist er in der letzten Zeit übrigens mit verschiedenen Auszeichnungen bedacht worden (s. Costanza 1997; Right Livelihood Award Foundation 1996), was gewiß auch für die zunehmende Akzeptanz der Steady-State-Idee spricht.
11.3. Wirtschaftspolitik der nachhaltigen Entwicklung: Innovationen und Institutionen
"The ultimate question of whether a stationary state would be bearable, or even
stable, depends a great deal on the human capacity for social invention."
(Boulding 1972, 151).
Gerade weil Knappheit ein so wichtiges Phänomen wird, ist ein im üblichen Sinne effizienter Umgang mit Umwelt nicht möglich. Die Slack-Strategie bedeutet kein Risiko der Ineffizienz – denn sie ist nach üblichen Kriterien ineffizient. In dieser Hinsicht besteht eine Zielkonkurrenz zwischen ökologischer und wirtschaftlicher Dimension einer nachhaltigen Entwicklung. Der übliche ökonomische Zugang zum Problem setzt Wissen voraus, das nicht vorhanden ist: Bei allen Optimierungsstrategien muß aber berücksichtigt werden, daß "optimisation requires insight into the effects of alternative actions on nature – or into the availability of natural resources – with a probability bordering on certainty" (Dietz/van der Straaten 1988, 74). Im Kontext der Diskussion von Wachstumsgrenzen (Abschnitt 8.3.) wurde hierauf schon hingewiesen, und bei der ökonomischen Problembewältigung wird dies erneut zum Schlüsselproblem: "(W)e have to face a situation that ecologists can almost never, or only in some cases, objectively determine the ecological space that can safely be used in sustainability. Whether one is actually inside or outside this ecological space, or whether one is before or behind the ecological limiting conditions is often not known. Then, striving for an optimum exploitation of nature seems in many cases similar to groping in the dark" (Dietz/van der Straaten 1988, 77; meine Hervorhebung). Viele Unsicherheiten (z.B. im Bereich der Klimaveränderungen) "overwhelm the careful weighing of costs and benefits that give cost-benefit analysis its aura of scientific method" (Ekins 1996, 140; s. auch O'Connor et al. 1996, 231).
Im ökologisch aufgeklärten ökonomischen Diskurs ist es mittlerweile ein Gemeinplatz, daß optimale Allokation mit ökologisch katastrophalen bzw. nicht-nachhaltigen (und damit ethisch problematischen) Entwicklungen vereinbar sein kann (s. z.B. Barbier/Markandya 1990, 665; Ekins 1996, 132, 141; Goodland/Ledec 1987, 21; Maier-Rigaud 1992, 39f.; Pearce et al. 1993, 9; Radke 1995a, 289; 1995b). Bevor "Optimalität" ermittelt wird, ist deshalb die Grundlage des Wirtschaftsprozesses zu erhalten. Angesichts der Eigenschaften der natürlichen Umwelt plädieren immer mehr Ökonomen, möglichst wenig in diese Umwelt einzugreifen (s. z.B. Maier-Rigaud 1992, 42) und zu diesem Zweck dem Wirtschaftsprozeß Grenzen zu setzen (s. z.B. Opschoor/van de Straaten 1993, 215; Pearce 1987, 17; Perrings/Opschoor 1994, 10; Victor et al. 1995, 88; Vornholz 1997, 41). Hampicke (1992, 307) sieht hier den Kern der Ecological Economics: "Die entscheidende Forderung der ökologischen Ökonomie besteht darin, daß Grenzen aufgerichtet werden, innerhalb derer sich alles Wirtschaften nur abspielen darf. Diese Grenzen müssen die ökologische Substanz der Erde schützen."
In der bereits in Kapitel 3 erwähnten Onomatologia forestalis-piscatoria-venatoriae Supplementum oder Beyträge und Verbesserung des Vollständigen Forst-Fisch- und Jagd-Lexicon aus dem Jahre 1780, die die erste lexikalische Erwähnung des Forstbegriffs "nachhaltig" enthält, findet sich unter dem Stichwort "nachhaltig Holz hauen" folgende Erklärung: "Diese Redensart bedeutet mehrers als mancher sich vorbildet. Die Eintheilung eines Waldes in gewisse jährliche Schläge, macht die Sache lange nicht aus: die Natur arbeitet nicht nach unserem Dessein" (zit. in Kehr 1993, 599; meine Hervorhebung). Nunmehr zeigt sich, wie relevant dies für die Möglichkeit einer nachhaltigen Entwicklung im allgemeinen und für den Stellenwert des Steady-State im besonderen ist. Weil die Natur eben nicht nach menschlichem Design funktioniert, erweist sich der Steady-State als notwendige Vorsichtsstrategie. Faber et al. (1992, 92) fordern, daß "the emergence of novelty and the admission of ignorance should not be an 'add-on' to policymaking but rather, its cornerstone and central tenet." Sie schlagen einen neuen Ansatz zum Umgang mit Umweltproblemen vor: "We are suggesting a new approach to environmental policy in which economic activities are conceived as embedded in open ecological systems and in which these systems develop and maintain their own self-organization. Therefore economic activities are acceptable only to the extent that they do not destroy the health – the capacity for self-organizing activity – of the ecological system within which the economy operates. (...) What is called for in this new approach is not more and more futile attempts to control natural systems but more and more wisdom in terms of accepting our radical ignorance" (Faber et al. 1992, 92f.; meine Hervorhebungen). Der Steady-State, der sich nicht an der Optimierung, sondern an der Wahrung eines nachhaltigen Material- und Energiedurchsatzes orientiert, stellt einen solchen Ansatz dar. Die Strategie der ökologischen Wirtschaftspolitik geht genau in diese Richtung.
Dabei ist es "nicht nur eine komplizierte, sondern auch unnötige Frage, welche Steigerung der Ressourcenproduktivität exakt nötig ist, um weltweit ein ökologisches Gleichgewicht zu erreichen. Umweltpolitisch geht es vor allem um die von den Industrieländern vorzuexerzierende Trendwende beim Ressourcenverbrauch" (Jänicke 1994, 11; meine Hervorhebung; s. auch Luks 1995). Derartige Richtungsentscheidungen sind weder natur- noch wirtschaftswissenschaftlich zu treffen – sie müssen politisch entschieden werden. Wirtschaftliche Resilienz als wichtige Komponente ökonomischer Nachhaltigkeit ist dabei zu berücksichtigen. Dabei ist von entscheidender Bedeutung, daß die "Minimierung der menschlichen Interventionen in das komplexe System Natur (eine Reduzierung des gesamten Materialinputs in unsere Gesellschaft, ein Zurückschrauben des Flächenverbrauchs etc.) (...) ohne eine Intervention in das komplexe System Wirtschaft nicht zu erreichen [ist]" (Hinterberger et al. 1996, 142; ihre Hervorhebungen). Deshalb sind auch nicht die drakonischen Institutionen Dalys der Weg zu einer Steady-State Wirtschaft, sondern eine ökologische Wirtschaftspolitik, die durch verschiedene Instrumente versucht, den Scale der Wirtschaft zu senken. Einigen ist aber selbst diese Version der Scale-Reduktion noch zu "unökonomisch". Voss (1997, 20f.) beispielsweise bringt erhebliche Bedenken im Hinblick auf eine Reduzierung des MI um den Faktor 10 zum Ausdruck: "Letztlich ist das Maß willkürlich gewählt, weil es weder ökologisch noch ökonomisch begründet, sondern in erster Linie entwicklungs- und sozialpolitisch motiviert ist. In letzter Konsequenz läuft dieses Konzept auf eine Bewirtschaftung eines willkürlich quantitativ abgegrenzten Ressourcenbestandes hinaus" (Voss 1997, 20f.; meine Hervorhebung; s. auch Jakubowski et al. 1997)(s. auch Abschnitt 9.4.2.).
Bei Strategien zur Scale-Reduktion muß berücksichtigt werden, daß Innovationen vor ihrem Eintreten definitionsgemäß unbekannt sind (ein Umstand, der im politischen Diskurs niemanden davon abzuhalten scheint, in Innovationen das Allheilmittel für gesellschaftliche Probleme zu erblicken). Die Bedeutung von Innovationen für eine nachhaltige Entwicklung wird immer wieder hervorgehoben. "Die Nutzung der Innovationsfähigkeit ist der geeignetste Weg zur Verwirklichung des Leitbildes einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung. Damit kann die Verwendung von bestimmten Ressourcen technisch und ökonomisch unnötig gemacht werden und eine Verminderung des Ressourcenverbrauchs insgesamt erreicht werden" (Enquete-Kommission 1994, 50). Es zeigt sich aber, daß auch Innovationen kein Füllhorn sind, das unendliche wirtschaftliche Expansion ermöglicht. Insbesondere ist zu berücksichtigen, daß Nachhaltigkeit zunächst einmal eine drastische Reduktion des Scale erfordert und selbst danach jegliches Wirtschaftswachstum durch entsprechendes Wachstum der Ressourcenproduktivität kompensiert werden muß, soll ein Steady-State nicht zum Ende des Wirtschaftswachstums führen. Folglich ist Opschoors (1997, 281) Einschätzung zuzustimmen, daß "what is needed is not just innovation and substitution, but sufficient amounts of these things to counter the environmental and resource repercussions of on-going economic growth" (meine Hervorhebung). Die Hoffnung auf eine ökologische Stadientheorie erscheint nicht begründet: Es zeigt sich, daß es nicht nur Entkoppelungstendenzen im Sinne des Kuznets-Zusammenhangs gibt, sondern für bestimmte Regionen und Zeiten durchaus (Wieder-)Koppelung beobachtet werden kann.
Innovationen und die damit verbundenen Wachstumswirkungen können dazu führen, daß auch zunächst als "umweltfreundlich" einzuschätzende Innovationsprozesse selbst dazu beitragen, daß Wirtschaftswachstum die positiven Effekte (über-)kompensiert. Allerdings wäre ein gewisser technischer Fortschritt im Steady-State auch dann notwendig, wenn die Gesellschaft sich mit einem konstanten Sozialprodukt "zufriedengeben" würde. Im Hinblick auf die Nutzung nichterneuerbarer Ressourcen ist nämlich der bereits erwähnte Umstand zu berücksichtigen, daß der fortgesetzte Abbau zu einer Nutzung von Vorkommen mit zunehmend schlechterer Qualität führt. Für einen Steady-State bedeutet dies, daß zu seinem Erhalt immer mehr Ressourcen für den Abbau von Rohstoffen verwendet werden, die dann aber nicht für die Rohstoffverarbeitung zur Verfügung stehen (Booth 1994, 5). Da außerdem die Substitution zwischen Arbeit/Kapital und Energie/Material begrenzt ist, gilt, daß "technological progress in the efficiency of energy/matter use is imperative simply to maintain steady state matter/energy throughput rates" (Booth 1994, 5; meine Hervorhebung).
Im Hinblick auf die Vorstellung einer dauerhaften Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Zunahme der Umweltbelastung spricht Daly (1991b, 118f.; 1993c, 270) von "angelized GNP". Die Idee einer umweltfreundlichen Dienstleistungswirtschaft sei auch deshalb irreführend, weil gerade Armutsbekämpfung physischer Inputs bedarf. Grundlegende Güter (Nahrung, Kleidung, Wohnung), so Daly (1993c, 270), haben eine irreduzible physische Dimension und die Bereitstellung dieser Güter erfordere Wachstum statt Entwicklung, auch wenn Entwicklung durch verbesserte Effizienz hilfreich sei. Folglich, "(a)ngelized GNP will not feed the poor. Sustainable development must be development without growth – but with population control and wealth redistribution – if it is to be a serious attack on poverty" (Daly 1993c, 270). Selbst Dienstleistungen würden stets als der Gebrauch "of something or somebody for a period of time" gemessen, "and these things and persons require physical maintenance; more of them require more physical maintenance" (Daly 1991b, 17f.; seine Hervorhebung). Den Begriff der Dematerialisierung hält Daly (1996a, 28) für problematisch: "Many people speak of the 'dematerialization of the economy' and the possibility that GNP can grow forever without encountering physical limits, because it is measured in value units rather than in physical units." Davon abgesehen befürwortet allerdings auch Daly (1996a, 28) den Ansatz der Dematerialisierung: "To the extent that 'dematerialization' is just an extravagant term for increasing resource productivity (reducing the throughput intensity of service) then by all means we should push it as far as we can."
Es kommt darauf an, die Richtung des Entwicklungsprozesses zu beeinflussen, und zwar durch dauerhafte Anreize (s. auch Ring 1997). Dabei ist zu berücksichtigen, daß eine den Slack einbeziehende Vorsichtsstrategie nicht notwendigerweise eine "effiziente" Strategie zur Sicherung ökologischer Nachhaltigkeit ist. Die Enquete-Kommission (1994, 489) hält es für wichtig, beim Umgang mit Stoffströmen "nicht ausschließlich auf Optimierungen zu setzen, sondern die Krisenfestigkeit und Anpassungsfähigkeit der Wirtschaft in den Vordergrund zu stellen. Eine Krisenanfälligkeit und damit mangelnde Resilienz ist nicht nur in ökologischer Hinsicht zentral, sondern ihr kommt in ökonomischer und sozialer Perspektive ebenfalls eine große Bedeutung zu." Zwischen Optimierungsbestrebungen und Resilienz besteht ein nicht zu unterschätzender Zusammenhang: Perfekte Anpassung kann beispielsweise auf der Ebene der Regionalentwicklung zu deren Blockade führen. Der Niedergang von Regionen, die sich perfekt an ihre Umwelt angepaßt haben, "veranschaulicht (...) auf nachdrückliche Weise, daß diese perfekte Anpassung nur um den Preis einer verminderten regionalen Anpassungsfähigkeit zu haben war. Je mehr die Regionen den 'fit' in ihre Umwelt optimierten, um ihre Effizienz zu steigern, desto mehr verloren sie ihre Anpassungsfähigkeit" (Grabher 1994, 15; seine Hervorhebungen). Effizienzorientierung kann also auf Kosten der Resilienz gehen, und eine zu gute Anpassung kann in Verlust der Anpassungsfähigkeit münden.
Daly (1991a, 38) weist darauf hin, daß "most of the matter-energy transformations of the ecosystem are not subject to human control either by prices or by central planning" (meine Hervorhebung; s. auch Daly/Cobb 1994, 60). Die Notwendigkeit einer Scale-Reduktion bzw. -Stabilisierung läßt sich deshalb nicht zuletzt mit den begrenzten Steuerungsmöglichkeiten begründen: "Our limited managerial capacities should be devoted to institutionalizing an economic Plimsoll line that limits the macroeconomy to a scale such that the invisible hand can function in both domains [Wirtschaft und Umwelt; FL] to the maximum extent" (Daly 1991a, 39). Aus Dalys (1991b, 69) Sicht bietet die Kombination der von ihm vorgeschlagenen Institutionen "a nice reconciliation of efficiency and equity and provides the ecologically necessary macrocontrol of growth with the least sacrifice in terms of microlevel freedom and variability. The market is relied upon to allocate resources and distribute incomes within the imposed ecological and ethical boundaries. The market is not allowed to set its own boundaries, but it is free within those boundaries" (meine Hervorhebung). Der Markt soll also als Diener fungieren, nicht als Meister.
Der Ressourcenabbauquotenplan ist aus ökologischer Sicht völlig plausibel und aufgrund seiner Inputorientierung mit dem Dematerialisierungsansatz kompatibel. Quoten sind aufgrund ihrer ökologischen Zielgenauigkeit theoretisch gesehen das beste Mittel, um ökologische Leitplanken zu institutionalisieren. Vom bürokratischen Aufwand einmal abgesehen, dürfte die "Eingriffstiefe" dieses Instruments aber dafür sorgen, daß es auf politischer Ebene nicht einmal erwogen wird. Auch was die anderen Institutionen angeht, ist kaum damit zu rechnen, daß sie in absehbarer Zeit eine bedeutsame Rolle im politischen Diskurs spielen werden. Tietenberg (1992, 621f.) bezeichnet Dalys Vorschläge als "forced transition". Tietenberg (1992, 624) meint mit Blick auf den Ressourcenabbauquotenplan, daß eine solche Regelung bürokratisch und ökonomisch aufwendig sei und historisch bisher nur in Kriegszeiten akzeptiert worden sei. Die bürokratischen Probleme ergeben sich auch bei den "Geburtsquoten", und hier kommen noch ernste moralische Fragen hinzu, auf die auch Tietenberg (1992, 624) hinweist. Die – auch hier theoretisch zweifelsohne vorhandene – Plausibilität des Arguments, eine begrenzte Welt erfordere die Begrenzung von Bevölkerungswachstum, ändert an der Abstrusität dieses Vorschlags gar nichts. Nicht unerwähnt bleiben sollte übrigens, daß Boulding (1973d, 93), auf den sich Daly ja beruft, davon spricht, er habe diesen Vorschlag "a little tongue in cheek" gemacht. Dieser Vorschlag mag als Hinweis auf die Bedeutung der Bevölkerungsfrage zur Kenntnis genommen werden – seine Umsetzung erscheint in jeder Hinsicht unakzeptabel (s. auch Douthwaite 1992, 295ff.; Luks 1997b, 50f.). Interessant ist, daß sein großes Vorbild Mill in dieser Hinsicht vor 150 Jahren weitaus "fortschrittlicher" argumentiert als Daly: "The same reasons which make it no longer necessary that the poor should depend on the rich, make it equally unnecessary that women should depend on men (...). The ideas and institutions by which the accident of sex is made the groundwork of an inequality of legal rights, and a forced dissimilarity of social functions, must ere long be recognised as the greatest hindrance to moral, social, and even intellectual improvement. On the present occasion I shall only indicate, among the probable consequences of the industrial and social independence of woman; a great diminution of the evil of over-population" (Mill 1965, 765f.).
Die Institution zur Regelung von Einkommens- und Vermögensverteilung ist zwar sozioökonomisch höchst plausibel, was die Notwendigkeit angeht – politisch nicht von dieser Welt, so scheint es. An diesem Vorschlag zeigt sich vielleicht der utopische Charakter des Dalyschen Konzepts am deutlichsten, der seine Arbeiten für viele sicherlich faszinierend erscheinen läßt, der aber eben einer (umwelt-)ökonomischen Praktibilität nicht notwendigerweise zuträglich ist. Gleichzeitig ist es unbestreitbar, daß ein Steady-State staatliche Steuerungsleistungen zur Sicherung von Verteilungsgerechtigkeit weitaus mehr erfordert als eine Wachstumswirtschaft (s. Abschnitt 10.5.). Wachstum ist lange Zeit ein politisch überaus erfolgreiches Substitut für die Auseinandersetzung mit Verteilungsfragen gewesen (s. z.B. Hirsch 1976, 7; Ophuls/Boyan 1992, 239). Wenn ein Steady-State also Wachstum vermindert, wird dies dazu führen, daß die Bedeutung der Verteilungsfrage im politischen Raum eine neue Dimension erreichen wird (s. auch Luks/Stewen 1998). Dies gilt um so mehr, als das Verteilungsproblem ohnehin an Bedeutung zu gewinnen beginnt: "Das vermeintlich gelöste Verteilungsproblem war durch hohe Wachstumsraten allenfalls überdeckt worden. Nun drängt es vor dem Hintergrund abnehmender Wachstumsraten wieder mit Nachdruck an die Oberfläche" (Reuter 1997b, 727; s. auch Bartmann 1994, 172). Dies gilt insbesondere für die großen Probleme Armut und Erwerbslosigkeit. Für die Industriestaaten stellt sich schon heute die Frage, "wieviel soziale Ungleichheit letztlich eine reiche Gesellschaft verträgt, bevor der Kitt, der sie zusammenhält, brüchig wird. Solange nicht grundsätzliche Fragen der Entwicklungsmöglichkeit fortgeschrittener Industriegesellschaften in den Blick kommen und solange die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik sich weiterhin an der Illusion der Machbarkeit ewigen Wachstums orientiert und hiernach ihre Instrumente ausrichtet, sind wir auf dem besten Wege, in diese Grenzbereiche vorzustoßen." (Reuter 1997a, 13). Reuter (1997a, 13) zieht aus seinen Betrachtungen zu Arbeitslosigkeit bei ausbleibendem Wachstum die "zentrale Schlußfolgerung (...), daß Gesellschaft und Staat zukünftig nicht umhin kommen werden, sich wesentlich stärker auf Verteilungs- statt auf Wachstumsfragen zu konzentrieren."
Problematisch an Dalys Scale-Konzept ist die Tatsache, daß "[r]ather than being impressed by the strong interdependencies among policies and their effects" (Duchin 1996b, 288), Daly für jedes Politikziel ein Politikinstrument vorschlägt. Stewen (1998) betont die Interdependenz von Allokation, Verteilung und Scale und betont, daß das wirtschaftspolitische Ziel der Stabilität berücksichtigt werden müsse, das Daly letztlich durch das Scale-Ziel ersetze. Stewen (1998) nennt einige Fälle der Interdependenz: Eine Begrenzung des Scale wirkt sich auf die Funktionsfähigkeit der Märkte und damit auch auf die sozioökonomische Stabilität aus; die Scale-Begrenzung selbst ist auch von dieser Funktionsfähigkeit abhängig; eine solche Begrenzung bleibt außerdem nicht folgenlos für intragenerative Verteilung (intergenerative Verteilungsgerechtigkeit ist das Ziel der Scale-Beeinflussung); die "ökologische" Verteilung (Möglichkeiten zur Nutzung natürlicher Ressourcen) wird direkt durch den Scale beeinflußt; tatsächlich oder erwartete intragenerative Verteilungswirkungen haben erheblichen Einfluß auf politische Entscheidungsprozesse; Marktprozesse wirken auf Verteilungsmechanismen, wie umgekehrt Umverteilungsmaßnahmen die Allokationseffizienz beeinflussen. Auf eine ähnliche Kritik von Prakash/Gupta (1994, 89) konzediert Daly (1994d, 90f.), daß "perhaps I should have said three separable problems instead of three independent problems" (seine Hervorhebung), beharrt aber auf der Tinbergenschen Regel, daß jedes Politikziel eines eigenen Politikinstruments bedarf.
11.4. Steady-State oder "Unsteady State": Nachhaltigkeit vs. Wachstumszwang?
Maier-Rigaud (1991, 90) betont, daß in der Ecological Economics "the overwhelming dynamism of the capitalist machinery" nicht unterschätzt werden sollte. Verunmöglicht diese Dynamik einen ökologisch motivierten Steady-State? Der Wissenschaftliche Beirat "Globale Umweltveränderungen" (WBGU) weist auf die Wachstumsdynamik des marktwirtschaftlichen Systems hin, vertritt aber gleichzeitig die Auffassung, daß es "im Gegensatz zu mancher Behauptung – falls die ökologischen Rahmenbedingungen dies erzwingen – im Prinzip auch mit dem Gedanken des Null-Wachstums vereinbar [ist]. Wirtschaftswachstum ist nämlich das kaum vorhersehbare und darum auch kaum prognostizierbare Ergebnis einzelwirtschaftlicher Entscheidungen. Wenn die einzelnen Wirtschaftseinheiten bei ihrer Einschätzung der Handlungsbedingungen per Saldo zum Ergebnis gelangen würden, daß Wachstum einzelwirtschaftlich nicht mehr möglich ist, müßte sich dies als ein Einschwenken der Volkswirtschaft auf einen stationären Entwicklungspfad bemerkbar machen" (WBGU 1993, 138f.). Priewe (1998, 35) zeigt sich hier weit weniger optimistisch: Es sei unklar, "wie eine marktwirtschaftlich-kapitalistische Ökonomie bei ständigem Nullwachstum funktioniert – ob sie überhaupt funktionieren kann. Schließlich gehört Wirtschaftswachstum ebenso wie ständige Profitsteigerung zur Funktionslogik kapitalistischer Geldwirtschaften. Vieles spricht dafür, daß eine stagnierende Marktwirtschaft außerordentlich instabil wäre, noch viel instabiler als eine wachsende Volkswirtschaft."
Gibt es im Kapitalismus einen den Steady-State verunmöglichenden Wachstumszwang? Vieles spricht in der Tat für das Vorliegen eines derartigen Zwangs – zumindest ist eine Wachstumstendenz unübersehbar (s. hierzu im Kontext der aktuellen Ökologiedebatte z.B. H.C. Binswanger 1991a; 1994a; 1994b; M. Binswanger 1995). M. Binswanger (1995, 18) stellt unmißverständlich fest: "Es besteht ein Wachstumszwang, da wir es heute mit Geldwirtschaften zu tun haben, in welchen das heutige Geldvermögen von zukünftigen Wachstumserwartungen abhängt. Eine Abkehr vom Wirtschaftswachstum ist somit ohne grundlegende Änderung der Wirtschaftssysteme nicht möglich" (meine Hervorhebung). Ähnlich H.C. Binswanger (1994b, 81), für den Geld der "alles dominierende Faktor der modernen Wirtschaft" ist. Diese Wirtschaft sei "zum Wachstum 'verurteilt'" (H.C. Binswanger 1994b, 118; s. auch 1991b; Anderson 1977; Altvater 1992a; 1992b; 1993) und habe die Wahl zwischen Wachstum oder Schrumpfung, eine stationäre Stabilisierung sei aber aufgrund des Zusammenhangs zwischen Geld- und Kreditschöpfung und Wachstumszwang nicht möglich. Damit rücke die Qualität des Wachstums in das Zentrum des Interesses (H.C. Binswanger 1991a, 108; 1994b, 119). Schumpeters Entwicklungstheorie bringt wie wenige andere auf den Punkt, wie sich Entwicklung und stationärer Zustand unterscheiden – Schumpeter sieht in beiden diametrale Konzepte. (Kapitalistische) Entwicklung ist für ihn das Gegenteil von Stationarität (s. Abschnitt 7.5.). Entwicklung ist für Schumpeter aber, wie gezeigt, nicht notwendigerweise mit Wachstum identisch. Ob ein ökologischer Steady-State also durch kapitalistische Entwicklungsdynamik unmöglich wird, ist eine offene Frage. Hier kann diesem Problem, das der Frage gleichkommt, ob der Kapitalismus nachhaltig sein kann, nicht nachgegangen werden (s. O'Connor 1994d). Sicher ist, daß die Kombination von Wachstumsdynamik und Entkoppelungsgrenzen ein Problem für die Erreichbarkeit einer nachhaltigen Entwicklung ist.
Von der Eigendynamik der Wirtschaft abgesehen, ist zu berücksichtigen, daß viele gesellschaftliche Institutionen auf der Prämisse dauerhaften Wirtschaftswachstums beruhen. Renten- und Sozialversicherung sind hier zu nennen (Ayres 1996, 119). Vorschläge wie der, die Rentenversicherung auf ein Kapitaldeckungsverfahren umzustellen, würden weitere Schritte in diese – aus ökologischer Sicht gewiß falsche – Richtung bedeuten. Die Qualität der Umwelt ist in der Tat "Voraussetzung für ökonomischen Erfolg, und nicht in erster Linie dessen wohlfahrtstheoretisches Substitut" (Nutzinger/Radke 1995b, 243). Auch das sollte hier deutlich geworden sein, und die Debatten über die Qualität von Wirtschafts-"Standorten" täten gut daran, dies zur Kenntnis zu nehmen. Unbestritten dürfte sein, daß ein Abschwächen des Wirtschaftswachstum als Folge der Scale-Beeinflussung dazu führen wird, daß auch der (finanzielle) Handlungsspielraum des Staates eingeschränkt wird und auch hier die Verteilungsfrage an Bedeutung gewinnt. Wenn der ökonomische Prozeß den Charakter eines Nullsummenspiels bekommt, bleibt das für kaum einen Bereich folgenlos. Wachstum muß zwangsläufig zu Schrumpfung an anderen Stellen führen: "With economic expansion restricted in the aggregate, competition for resources between old and new forms of economic activity will intensify, impinging on the growth of the new" (Booth 1994, 13). Hierin kann man aber auch eine Abschwächung der "Dramatik" des Steady-State sehen. Sowohl physisch als auch ökonomisch sind im Steady-State Wachstumsprozesse so lange nicht ausgeschlossen, wie sie durch Schrumpfungsprozesse in anderen Bereichen der Wirtschaft kompensiert werden können.
Angesichts der aktuellen Arbeitslosenquoten wäre es in der Tat "nicht vertretbar, das augenblicklich aufgrund der krisenhaften Ökonomie ungenügende Wirtschaftswachstum mit dem Verweis auf die Umwelt und kürzere Arbeitszeiten achselzuckend zu akzeptieren" (Priewe 1998, 31f.). Wirtschaftswachstum erscheint unter den gegebenen und zu verändernden Bedingungen als notwendige Bedingung der Beschäftigungssicherung und -schaffung. Zwar können gleiche Wachstumsraten unterschiedliche Beschäftigungswirkungen haben, hohe Wachstumsraten bieten aber größere Chancen für eine Ausweitung der Beschäftigung. Diese Auffassung wird durch die Entwicklung der letzten Jahre in der Tat bestätigt: "Jobless growth" – beschäftigungsloses Wachstum – gibt es eben nicht, sondern lediglich Wachstum, daß die Arbeitslosigkeit nicht beseitigt (s. Hermann 1997; Weeber 1995). Dies ist ein wesentlicher Unterschied. Hermann (1997, 346) stellt am Ende seines Beitrages Zum Zusammenhang von Wachstum und Beschäftigung fest, daß weiterhin davon ausgegangen werden sollte, "daß der enge Zusammenhang zwischen Wachstum und Beschäftigung auch gegenwärtig besteht, daß aber die gegenwärtigen Wachstumsraten zu niedrig sind, um beschäftigungswirksam zu sein" (meine Hervorhebung). "Nullwachstum" führt in diesem Kontext unweigerlich zu einem Anstieg der Arbeitslosenquote (s. auch Weeber 1995, 600ff.). Wachstum allein beseitigt mithin keine Arbeitslosigkeit, Nullwachstum macht die Beseitigung dieses Problems aber mit Sicherheit schwieriger. Auch wenn der SRU (1996, Rdnr. 1271) mit seiner Auffassung zweifellos recht hat, "daß es umweltintensive Arbeitsplätze in einer am Leitbild der dauerhaft-umweltgerechten ausgerichteten Wirtschaft nicht geben kann", ist doch unklar, was dies für die aktuelle Arbeitsmarktsituation und für einen "nachhaltigen" Umgang damit bedeutet – auch wenn es unübersehebar ist, "daß der zurückgehenden privatwirtschaftlichen Nachfrage nach Erwerbsarbeit ein wachsender Bedarf an gesellschaftlich notwendiger Arbeit im Sozial-, Umwelt-, Kultur- und Bildungsbereich gegenübersteht" (Reuter 1997a, 13).
"Normale" makroökonomische Themen hat die Ecological Economics im allgemeinen und Dalys ökologische Makroökonomik im besonderen kaum in den Blick genommen. Dies gilt vor allem für die Frage, wie in einem ökologisch motivierten Steady-State mit dem Problem der Erwerbsarbeitslosigkeit umgegangen werden soll. Daly behauptet zwar immer wieder – und zunächst ist dies nicht mehr als eine Behauptung – daß zwischen einer rezessiven Wachstumswirtschaft und einer Steady-State-Wirtschaft ein fundamentaler Unterschied bestehe: "No one denies that the failure of a growth economy to grow brings unemployment and suffering. It is precisely to avoid the suffering of a failed growth economy (we know growth cannot continue) that we advocate a SSE. The fact that an airplane falls to the ground if it tries to remain stationary in the air simply reflects the fact that airplanes are designed for forward motion. It certainly does not imply that a helicopter cannot remain stationary" (Daly 1991b, 126; s. auch 1993b, 373f.). Das belegt aber noch nicht, daß ein Steady-State nicht zu erheblichen wirtschaftlichen Problemen führen wird. Außerdem wirft gerade der von Daly betonte Unterschied zwischen wachsender und stationärer Wirtschaft erhebliche Übergangsprobleme auf, die ihrerseits mit erheblichen ökonomischen und sozialen Kosten verbunden sein könnten. Auf diesen Defekt an Dalys Konzept macht Proops (1989, 66f.) aufmerksam: "Dangers lie in taking a utopia and making it a concrete objective. For example, the notion of the 'steady-state economy', enunciated by Daly (...) is such a utopia. It gives a discription of a world as it might be, under certain strong assumptions. (...) If only men were sensible, if only social institutions were just and forward looking, if only politicians were less shortsighted and avaricious, if only! The expectation is that we are unlikely to achieve a steady-state economy by rational and beneficial policies" (meine Hervorhebung). In der Tat, in vielerlei Hinsicht scheinen zwischen der aktuellen Wachstumswirtschaft und Dalys Vorstellungen über eine nachhaltige Wirtschaft Welten zu liegen. Dies gilt insbesondere, wenn man die Probleme der Dritten Welt in den Blick nimmt.
In Kapitel 10 wurde argumentiert, daß aktuelle Bedürfnisbefriedigung in "reichen" Ländern auch ohne weiteres Wirtschaftswachstum möglich ist und ein Steady-State in dieser Hinsicht nicht mit der sozialen Dimension nachhaltiger Entwicklung kollidieren muß. Diese Arbeit beschränkt sich, wie gesagt, auf die Implikationen des Steady-State für den "Norden", dennoch drängt sich die Frage nach den Folgen für die Länder des Südens auf: "Die Sorge um die Luft der Kinder von morgen ist berechtigt, aber nicht besonders glaubwürdig, solange man die Babies heute verhungern lässt" (Maxeiner/Miersch 1996, 305; s. auch 312f.). In der Tat: Ist es denkbar, daß eine Generation, die im Hinblick auf die Probleme der Entwicklungsländer so wenig intragenerative Solidarität aufbringt, sich zu Maßnahmen aufrafft, die intergenerative Solidarität beweisen würden? Und ist es nicht nachgerade zynisch, sich angesichts der bitteren Armutsprobleme in weiten Teilen der Welt über positionelle Güter den Kopf zu zerbrechen?
Hier sehen viele den entscheidenden Mangel von Strategien, die zu "Nullwachstums" führen: "Anti-growth advocates are embarrassingly silent or unrealistic on how they would solve problems of poverty and unemployment" (Pearce et al. 1993, 4). Wenn, wie Daly selbst immer wieder betont, ein Steady-State letztlich mit einem Ende des Einkommenswachstums verbunden ist, kann er angesichts der bitteren Armut in weiten Teilen der Welt Grundlage einer nachhaltigen Entwicklung sein, die ja nicht nur inter- sondern auch weltweite intragenerative Gerechtigkeit verwirklichen soll? Wie soll Armut ohne Wirtschaftswachstum bekämpft werden? Dalys (1996a, 7) Antwort ist "painfully simple: by population control, by redistribution of wealth and income, and by technical improvements in resource productivity. In sum, not by growth, but by development." Diese Antwort mag "schmerzhaft" sein, aber sicher nicht "einfach": Weder Bevölkerungswachstum noch Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums noch die Richtung des technischen Fortschritts lassen sich so steuern, wie es angesichts der ökologischen Wachstumsproblematik wünschenswert sein mag.
Die Länder der Dritten Welt haben ein fundamentales Interesse an Wirtschaftswachstum: "Trotz aller Einschränkungen im Hinblick auf die sozialen und bereits spürbaren ökologischen Kosten des raschen industriellen Wachstums wird dieser Prozeß doch in praktisch allen der längerfristig wirtschaftlich erfolgreichen Länder als eine Entwicklung gesehen, die zu mehr Wohlstand und – im internationalen Vergleich – zu mehr Macht führt" (Hein 1994a, 648). Wirtschaftswachstum wird in den allermeisten Ländern als Wohlstandszunahme wahrgenommen. Insofern kann es auch nicht überraschen, daß das Leitbild für die Entwicklung in diesen Ländern nach wie vor industrielles Wachstum ist und nicht eine an ökologischer Vorsicht orientierte Strategie (Hein 1994a, 648; Jacob 1994, 243). In diesem Zusammenhang steht auch das Argument, nach dem die Staaten des Nordens ihr Durchsatzwachstum beenden müssen, um dem Süden Umweltraum für seine Entwicklung "freizuhalten". Arme Länder zum Verzicht auf Entwicklung aufzufordern, so argumentiert auch Daly, sei weder ethisch vertretbar noch hilfreich für die Umwelt. Armutsbekämpfung in den Entwicklungsländern erfordere Entwicklung und auch beträchtliches Wachstum. Daraus folge: "Development by the rich must be used to free resources (source and sink functions of the environment) for growth and development so urgently needed by the poor" (Goodland/Daly 1992a, 38; s. auch Goodland/Daly 1993, 88; Daly/Goodland 1994, 84). Pearce et al. (1993, 4) halten diesen Ansatz für völlig verfehlt: "Fanciful ideas abound, including one that suggests that economic growth in the 'North' should be sacrificed for the benefit of the 'South', as if not demanding goods and services in the rich countries would somehow release them for poor countries. The actual outcome, of course, is that they would not be produced at all, and everyone loses." Dem muß aber entgegengehalten werden, daß erstens das Engine-of-Growth-Theorem des Brundtland-Berichts sich bisher nicht als stichhaltig erwiesen hat und – weitaus wichtiger – globale nachholende Industrialisierung ein angesichts begrenzter Quellen und Senken nicht durchführbares Projekt ist. Die globale ökologische Interdependenz bedeutet nämlich, daß die Scales der unterschiedlichen Volkswirtschaften oder Regionen nicht unabhängig voneinander zu beurteilen sind. Wenn Entwicklung im Süden einen größeren Scale erfordert – das tut sie –, erfordert dies eine Reduktion des Material- und Energiedurchsatzes der reichen Volkswirtschaften (s. auch Luks 1998a). Dies ist, wie gezeigt, die Begründung für die Forderung nach einer Reduktion des Scale um den Faktor 10.
11.5. Ökologische Knappheit als ökonomisches Problem
"A space ship society does not preclude, I think, a certain affluence, in the sense that man will
be able to maintain a physical state and environment which will involve good health, creative
activity, beautiful surroundings, love and joy, art, the pursuit of the life of the spirit, and so on.
This affluence, however, will have to be combined with a curious parsimony.
Far from scarcity dissappearing, it will be the most dominant aspect of the society."
(Boulding 1973b, 320; meine Hervorhebung)
Es gibt verschiedene Ziele, aber nur beschränkte Mittel – das ökonomische Problem (s. z.B. Robbins 1984a, 12f.). Robbins (1984a, 15) geht in seinem berühmten Aufsatz von einer quasi-universellen Gültigkeit des Knappheitsproblems aus: "We have been turned out of paradise. We have neither eternal life nor unlimited means of gratification. Everywhere we turn, if we choose one thing we must relinquish others which, in different circumstances, we would wish not to have relinquished. Scarcity of means to satisfy ends of varying importance is an almost ubiquitous condition of human behaviour" (meine Hervorhebungen). Wie Daly aber – wie gezeigt wurde: zu Recht – argumentiert, haben sich die Knappheitsstrukturen gewandelt. Das übliche Knappheitsproblem hat, wie Galbraith überzeugend gezeigt hat, in den westlichen Industriestaaten an Bedeutung verloren, während eine bis dato kaum berücksichtigte Knappheit neu aufgetaucht ist, die man als ökologische Knappheit bezeichnen kann.
Der wohl wichtigste Bruch in der ökonomischen Dogmengeschichte hat, wie gezeigt, auch eine Bedeutungsverschiebung im Hinblick auf Stationarität mit sich gebracht (s. Abschnitt 7.4.3.), allerdings auch für die Behandlung von Knappheit: "Am Ende des 19. Jahrhunderts formiert sich ein ganz anderer Ansatz in der Ökonomie, der das Knappheitsproblem völlig neu formuliert. (...) Dieser Bruch 'reinigte' die Ökonomie vom Gesellschaftlichen und ist der Siegeszug der Neoklassik über die politische Ökonomie. (...) Im Gegensatz zu Adam Smith, der sich noch die Frage stellt, ob die neue Ruhelosigkeit der Menschen tatsächlich einem nützlichen Ziel dienen kann, erfolgt die Reflexion der Neoklassik zu diesem Problem jenseits der Frage, ob dies nun von Nutzen oder Schaden sei" (Gerschlager 1996, 45, 47). Für den aktuellen ökonomischen Mainstream ist Knappheit bekanntlich der Ausgangspunkt jeder analytischen Arbeit (s. auch Gerschlager 1996, 47). Es besteht freilich eine entscheidende Differenz zwischen dem neoklassischen und dem ökologisch-ökonomischen Knappheitsbegriff: Während die Neoklassik von "ricardianisch-ökonomischer" Knappheit ausgeht, steht im Zentrum des ökologisch-ökonomischen Erkenntnisinteresses "malthusianisch-ökologische" Knappheit.
Georgescu-Roegen (1986, 11) spricht vom "principle, traditional in modern economics, of ignoring the scarcity of natural resources completely. The mainstream view is that there is only superficial scarcity, because anything is obtainable if one is prepared to invest the necessary capital in labor and equipment. The much stronger thesis that technological innovations can always do away with scarcity of any item ([Referenz zu Barnett/Morse 1963]) has become the first article of economic faith of virtually all economists" (meine Hervorhebung). Daß der normalökonomischen Vision nur diese "oberflächliche" Knappheit in den Blick gerät, ist ein wichtiger Bestandteil des Ökologieproblems. Dabei ist das Substitutionsparadigma ebenso problematisch wie der technologische Optimismus und die Vorstellung, Preise zeigten Knappheit an. Letztere Prämisse hält schon deshalb nicht, weil eine perfekte Internalisierung externer Kosten unmöglich ist. Doch selbst im Falle natürlicher Quellen kann der Preis die Knappheit einer Ressource nicht widerspiegeln. Streng genommen, und dies ist wahrlich ein ernstes Problem, können Preise schon aus rein logischen Gründen Knappheit nicht abbilden, denn: "Economic indicators of long-run scarcity are rooted in the models of Ricardo or Hotelling which assume that resources are scarce, assume that resource allocations are informed of the scarcity, and then deduce cost and price paths. If resource allocators are not informed, the cost and price paths their decisions generate are as likely to reflect their ignorance as reality. To control for whether or not allocators are informed, however, we would have to know whether resources are scarce. Since this is the original question, the exercise is logically impossible" (Norgaard 1990, 19f.). Norgaard (1990, 23) schließt hieraus: "Quite simply, if the conditions necessary for the economic analysis of scarcity existed, there would be much less reason to undertake economic analysis of scarcity." Insofern zeigen Preise nicht Knappheit, sondern die soziale Wahrnehmung von Knappheit an. Aus Sicht Martinez-Aliers (1995, 4, Fn. 2) zeigt Norgaard hier, daß "prices are indicators, not of scarcity, but of the social perception of scarcity." Nun ist es gewiß nichts ungewöhnliches, daß ein ökonomischer Indikator die soziale Wahrnehmung eines Tatbestandes wiedergibt. Worauf es hier ankommt, ist die Tatsache, daß diese Wahrnehmung systematisch von "oberflächlicher" Knappheit ausgeht und folglich die absolute Knappheit der natürlichen Umwelt nicht zur Kenntnis zu nehmen vermag. Für den "ökonomischen" Umgang mit natürlichen Quellen und Senken ist dies, wie gezeigt, folgenreich.
Normalökonomisch betrachtet geht es stets darum, zur Verfügung stehende Mittel möglichst effizient zur Erreichung gegebener Ziele einzusetzen. Die Ziele selber sind dabei sakrosankt. Diese Sichtweise ist im Sinne des Wortes grenzenlos. "Mit der Produktionslogik der Ökonomie, die sich nur das Wachstum zum Ziel gesetzt hat, läßt sich der Mangel nicht überwinden. Denn dieser ist dem Reichtum, den sie hervorbringt quasi inhärent. Er ist die elende Seite des Reichtums selber. Die Überschußproduktion der modernen Industriegesellschaften ist im Mangel fundiert" (Gerschlager 1996, 24). Kapitel 10 hat diese Diagnose theoretisch bestätigt. Praktisch zeigt sie sich vor allem im (wirtschafts-)politischen Diskurs: "Geringes oder ausbleibendes Wachstum des Sozialprodukts wird nicht als Erfolg und Indikator einer wachsenden Überwindung von Knappheiten und einer steigenden Bedürfnisbefriedigung verstanden, wie es viele Ökonomen in der Vergangenheit gesehen haben, sondern erscheint als das eigentliche Übel, das es zu überwinden gilt" (Reuter 1997b, 723; s. auch 1997a, 10).
Einige Autoren wundern sich – nicht zuletzt auch wegen der Bedeutung von Knappheit für beide Bereiche – darüber, daß ein Konflikt zwischen Wirtschaft und Umwelt konstruiert werde: "Only misguided economists can construct a conflict between man's efforts to save the natural conditions of life and to improve material wealth. Both are intrinsic to economic interests. (...) Conflicts between ecology and economy are nothing but highly abstract and false creations of economists since the days of Adam Smith" (Maier-Rigaud 1991, 86, 88; s. auch 1992, 28ff.; Busch-Lüty 1992, 8; Hueting 1980; 1996). Diese Situation erstaunt vor allem, wenn man ökologische Knappheit in den Blick nimmt. Daß ökologische Knappheit vom wirtschaftswissenschaftlichen Mainstream nicht wahrgenommen wird, hängt mit seiner Vision zusammen. Underwood/King (1989, 325) meinen, daß "the steady-state and the neoclassical approaches to resource use and environmental quality stand in fairly stark contrast to each other. Their differences can be isolated using their metaeconomic roots." Ist also eine veränderte Vision notwendig, ist es Zeit für einen Paradigmenwechsel? Wie in Abschnitt 2.1. gezeigt, sind Forderungen nach einem Paradigmenwechsel in der Ökonomie gerade im ökologischen Kontext oft zu hören – Paradigmenwechsel sind aber an schwer zu erfüllende "Bedingungen" geknüpft. Gleichwohl zeigt sich, daß eine Vision, die ökologische Knappheit berücksichtigt, notwendige Bedingung für den Beitrag der Ökonomik zu einer nachhaltigen Entwicklung ist. Sich dabei der klassischen Wurzeln zu erinnern, würde sich hier als hilfreich erweisen, wie die Auseinandersetzung mit dem klassischen stationären Zustand in Kapitel 7 deutlich gemacht hat.
Keines der in Kapitel 7 untersuchten "stationären Konzepte" legt den Material- und Energiedurchsatz zugrunde, unter einem stationären Zustand wird üblicherweise die Konstanz von Kapital und Bevölkerung verstanden. Der für Dalys Steady-State eindeutig wichtigste Ökonom ist zweifellos John Stuart Mill. Mills Bedeutung geht aber über den Text On the Stationary State hinaus, wie die Auseinandersetzung mit Mill in Abschnitt 7.3.4. gezeigt hat. Insbesondere müssen Mills Vorstellungen im Kontext seiner Ansichten über die Reformfähigkeit der Gesellschaft gesehen werden. Mills Glaube daran, die Verteilung in einer Gesellschaft ließe sich unabhängig von der Produktion arrangieren, ist hier hervorzuheben und findet seine Entsprechung in Dalys Vorstellung, mit drei Institutionen Wirtschaft und Gesellschaft in Richtung Steady-State steuern zu können. Die Grenzen der Regelung von Einkommen und Vermögen sind von entscheidender Bedeutung für die Frage, inwieweit der Kapitalismus reformfähig ist (Heilbroner 1986, 130f.).
Ihren Titel als "dismal science" verdankt die Ökonomik den klassischen Aussagen zur Unausweichlichkeit des stationären Zustandes. Carlyle erfand ihn, nachdem er Malthus' Essay gelesen hatte (s. Abschnitt 7.3.2.). Diesen zweifelhaften Ehrentitel verdankt sie aber auch der Beschäftigung mit einem Gegenstand, der nach Auffassung vieler Wirtschaftswissenschaftler ihr einziger sein sollte, nämlich Knappheit: "Economics is first and foremost the science of scarcity. Its problems only arise if there is not enough to go around. This is why it is a dismal science. Now, there is a fundamental conflict, which has gone on through almost all of recorded history, between the heroic and the economic, between greatness and prudence, between extravagance and sobriety, between glory and common sense. Economics is the good, gray, rational science" (Boulding 1973b, 313). Slack – eine Form der Redundanz – muß vielen Ökonomen als Ausgeburt des Un-Ökonomischen erscheinen. Effizienz ist in der Tat geradezu definitionsgemäß die Abwesenheit von Slack: "(A)n optimal position may be interpreted as one that does not contain any 'slack', inasmuch as there is no way of reorganizing production and distribution as to make everyone better off than he his" (Mishan 1967, 45f.; meine Hervorhebung). Die Beseitigung exisitierenden Slacks trägt zu Wirtschaftswachstum bei (s. auch Boulding 1973b, 314).
Vom ökonomischen Mainstream scheint der Steady-State ebenso weit entfernt wie von den aktuellen politischen Realitäten. Andererseits: Braucht sozioökonomische Entwicklung nicht auch über den Tag und das Jahr (und die Legislaturperiode) hinausweisende Orientierungspunkte, und kann nicht auch die Ökonomik hier eine wichtige Rolle spielen? Nolte/Schaaff (1994, 307) finden die Auseinandersetzung mit Keynes' stagnationstheoretischen Vorstellungen (s. 7.6.1.) deshalb interessant, "weil heute angesichts der kumulierenden Probleme in Wirtschaft und Gesellschaft der Blick für das langfristig Wünschbare und Machbare verlorengegangen ist. Es fehlen das mittel- und langfristige Handeln leitende Visionen. Ziellosigkeit bedeutet aber letztlich Handlungsunfähigkeit." In genau diesem Kontext mag man die Bedeutung von Dalys Arbeiten zum Steady-State erkennen – auch wenn man seiner Motivation und seinen institutionellen Vorstellungen sehr kritisch gegenübersteht. Der Diskurs über Sustainable Development ist zwar unzweideutig (sehr) langfristig orientiert, die wirtschaftswissenschaftlichen Lösungsvorschläge bleiben aber fast immer myopisch. Dalys Vorstellungen dagegen scheinen oft derart zukunftsorientiert zu sein, daß deren Anschlußfähigkeit an real existierende Verhältnisse kaum denkbar erscheint. Leontiefs (zit. in Kuh/Meyer 1952, 457) Auffassung, daß "the classical approach suffers from what might be called theoretical faresightedness – the ability to appraise correctly the long-run trends, coupled with a singular inability to explain or even to describe the short run changes and fluctuations" (meine Hervorhebung), sollte der Ecological Economics im allgemeinen und den Befürwortern des Steady-State im besonderen vielleicht eine Warnung sein.
12. Ausblick: Das Ende des Fortschritts?
Wachstum ist aus Sicht des Steady-State-Paradigmas obsolet, denn angesichts der Wirkungen des Wachstums kann es Entwicklung nur ohne Wachstum geben. Nachhaltige Entwicklung ist danach nicht mit physischem und folglich langfristig auch nicht mit wirtschaftlichem Wachstum vereinbar. In Politik wie Wissenschaft herrscht aber die Meinung vor, daß Entwicklung Wachstum erfordert und daß es ohne Wachstum keinen Fortschritt geben kann. Daly (1996a, 13) dagegen insistiert darauf, daß "(t)he path of future progress is development, not growth." Daly (1996a, 201) verteidigt vehement den normativen Begriff des Fortschritts und kritisiert, daß häufig nur von Veränderung statt Fortschritt gesprochen werde. Für Daly eröffnet der Steady-State einen Entwicklungspfad, der mit gesellschaftlichem Fortschritt gerade deswegen vereinbar ist, weil er kein weiteres Wachstum erfordert.
"(D)ie Auseinandersetzung über zukünfige Wirtschaftsstile", so Schefold (1995, 34f.), sei "nicht dann bedeutend, wenn die Überlegenheit eines 'Stils' nach allen denkbaren Kriterien durch eine Kosten-Nutzen-Analyse nachgewiesen werden kann oder wenn eine Strategie nachweislich mit Notwendigkeit ungangbar ist, weil sie in eine Sackgasse führt, sondern wenn echte, schrittweise zu vollziehende, unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten der Zukunft offenbar werden." Daß Kosten-Nutzen-Analyse gerade im Bereich zwischen Ökologie und Ökonomie so gut wie nie irgend etwas "nachweisen" kann und die Menschen in diesem Sinne mit "Ineffizienzen" zu leben lernen müssen, ist für die Steady-State-Strategie von entscheidender Bedeutung. Es ist (auch und gerade: ökonomischer!) Unsinn, auf Kosten der Umwelt ökonomische Probleme "lösen" zu wollen. Es gibt viele ökonomische Probleme, die den Blick für die ökologische Dimension des Wirtschaftens zu verstellen scheinen. Die Sicherung der Sozialsysteme, die bessere Verteilung von Arbeit und ähnliche Probleme werden sich aber nicht auf Kosten der Umwelt lösen lassen. Jedenfalls nicht nachhaltig.
In den Vorbemerkungen zu den Principles of Political Economy schreibt Mill (1965, 4): "It often happens that the universal belief of one age of mankind – a belief from which no one was, nor without any extraordinary effort of genius and courage, could at that time be free – becomes to a subsequent age so palpable an absurdity, that the only difficulty then is to imagine how such a thing can ever have appeared credible" (seine Hervorhebungen). Daß Fortschritt in der Zukunft nicht mit Wachstum einhergehen wird, erscheint heute nicht wenigen als wahrscheinliche Zukunftsperspektive. Eine wichtige Erkenntnis aus der Theoriegeschichte liegt darin, daß die Selbstverständlichkeit, mit der Wachstum heute als notwendige Bedingung für Entwicklung und Fortschritt gesehen wird, sich sehr wohl als ein Übergangsphänomen erweisen kann. Weitzman (1992, 54) weist darauf hin, daß nicht nur alle Klassiker von der Unausweichlichkeit eines stationären Zustandes überzeugt waren, sondern daß viele andere Ökonomen von langfristigen Sättigungstendenzen ausgingen. Die Vision, daß Menschen dann weniger arbeiten und mehr Freizeit genießen würden, findet sich, wie gezeigt, in den Schriften von Mill, Marx, Keynes und anderen. Es sei möglich, so Weitzman, daß alle diese Autoren das Potential technischen Fortschritts unterschätzt oder die menschliche Natur nicht richtig verstanden hätten. Es sei aber auch denkbar, daß "it is we who are now overestimating the potential of technical change or it is we who do not really understand human nature. If we mainstream economic thinkers reversed ourselves so strongly over the last century, why shouldn't we reverse ourselves again over the next century?" Es gibt also Hoffnung. Und ohne die geht es nicht.