Der Einfluß von Retinsäure
auf Struktur und CD44-Expression
bei Zellinien neurogener Tumoren
des Menschen
Falko
Rhody
Aus der Abteilung für Neuropathologie
Institut für
Pathologie
Universität Hamburg
Direktor Prof. Dr. Mult. D. Stavrou
Der Einfluß von Retinsäure
auf Struktur und
CD44-Expression
bei Zellinien neurogener Tumoren
des
Menschen
D i s s e r t a t i o n
zur Erlangung des Grades
eines Doktors der Medizin
dem Fachbereich Medizin der Universität Hamburg
vorgelegt
von Falko Rhody
aus Aarau / Schweiz
Hamburg 2000
Das Antigen CD44 wird von etlichen Tumoren exprimiert, unter anderem
auch von Gliomzellen (STAVROU et al., 1986, 1989, 1990). Die Tatsache,
daß Retinsäure, ein Vitamin A Derivat, an Migrations- und Differenzierungsvorgängen
beteiligt ist, wurde in letzter Zeit bei vielen Untersuchungen belegt (BOLLAG,
1996). Auch die Beteiligung des Zelladhäsionsrezeptors CD44 an Migrationsvorgängen
und Differenzierung wird angenommen (LESLEY et al., 1993).
GROSS et al. (1995) gelang es, die Antigendichte des Zelloberflächenrezeptors
CD44 bei Neuroblastomzellinien durch den Einfluß von Retinsäure
zu steigern. Dies Ergebnis konnte mit einer höheren Differenzierung
und günstigeren Prognose in Zusammenhang gebracht werden.
Es ist also von Interesse, weitere Erkenntnisse über den Einfluß
von Retinsäure auf Hirntumoren, vor allem auf die CD44 Expression,
zu gewinnen. Dies könnte auch für die künftigen Therapiekonzepte
von Bedeutung sein, zumal Retinsäure bereits in der Therapie der akuten
promyelozytischen Anämie (APL) beim Menschen eingesetzt wurde (CHOMIENNE
et al., 1990).
CD44 ist ein weit verbreitetes Glykoprotein der Zellmembran. Es
wurde unter einer Vielzahl von Namen bekannt und konnte schließlich
mit der Bezeichnung CD44 funktionell zusammengefaßt werden (Gallatin
et al., 1991; Haynes et al., 1989). Einige Untersuchungen belegen, daß
CD44 mit der Klasse der Hermes "Lymphozyte Homing" Rezeptoren (Picker et
al., 1989), Pgp-1 Antigen (Omary et al., 1988) und dem Rezeptor für
extrazelluläre Matrix, ECMR III (Gallatin et al., 1989) identisch
ist.
CD44 kommt in verschiedenen Isoformen vor, wovon die am weitesten verbreitete,
die hämatopoetische oder Standardform (CD44H) mit einem Molekulargewicht
von 85-95 kDa (PICKER et al., 1989) ist. Im menschlichen Gehirn erscheint
neben CD44H auch die epitheliale Form (CD44E) mit einem Molekulargewicht
von 150 kDa (SY et al., 1991; Stamenkovic et al., 1989, 1991; Brown et
al., 1991).
Die große Vielfalt der Isoformen kann durch alternatives Splicing
von mindestens 10 unterschiedlichen Exons und posttranslationale Modifikation
erklärt werden (Brown et al., 1991; Jackson et al., 1992; Screaton
et al., 1992; Tolg et al., 1993).
Das CD44 Glykoprotein konnte schon auf vielen Zellen und in vielen Geweben
nachgewiesen werden. Ursprünglich wurde es vorwiegend im lymphatischen
Gewebe und im Gehirn beschrieben, sowie in seiner löslichen Form im
menschlichen Plasma und Serum (Dalchau et al., 1980; Stoll et al., 1989).
CD44 wird von B und T Lymphozyten, von Granulozyten, Monozyten und
Makrophagen sowie Erythrozyten exprimiert (HALE et al., 1989; Übersicht
in Haynes et al., 1989; Stamenkovic et al., 1991). Im ZNS ist CD44 an die
weiße Substanz, aber vor allem an Astrozyten und andere Gliazellen
gebunden (McKenzie et al., 1982; Flanagan et al., 1989; Girgrah et al.,
1991a,b; Vogel et al., 1992). CD44H ist die auf Blutzellen am weitesten
verbreitete Form, wurde aber auch auf Fibroblasten und Melanomzellen nachgewiesen
(Stamenkovic et al., 1989; Aruffo et al., 1990; He et al., 1992).
Beschreibt man die Funktion von CD44 als Zelladhäsionsrezeptor,
der bei vielen Migrationsvorgängen eine Rolle spielt (Lit. bei Lesley
et al., 1993), ist an erster Stelle die Bindung an seinen Hauptliganden,
Hyaluronsäure zu nennen (UNDERHILL et al., 1987, 1992; ARUFFO et al.,
1990; CULTY et al., 1990; LESLEY et al., 1990a; MIYAKE et al., 1990b; Stamenkovic
et al., 1991). Hyaluronsäure, ein Proteoglykan der extrazellulären
Matrix, ist in der Umgebung der meisten Basalmembranen anwesend (UNDERHILL,
1989). Neben anderen Komponenten der extrazellulären Matrix ist Hyaluronsäure
an vielen der Funktionen von CD44, die sich bisher herauskristallisiert
haben, beteiligt (HIRO et al., 1986; Lesley et al., 1990a; Knudson &
Knudson, 1991).
Funktionen an denen das Oberflächenglykoprotein CD44 beteiligt
ist, können wie folgt zusammengefasst werden:
Zellmigration (WILLERFORD et al., 1989; FAASSEN et al., 1992;
CAMP et al., 1993b),
Lymphozytenentwicklung (Trowbridge et al.,
1982; LYNCH & CEREDIG, 1989; HORST et al., 1990a; KANSAS et al., 1990;
Miyake et al., 1990a) und Lymphozytenaktivierung bei der Immunantwort
(BUDD et al., 1987a, b; HAYNES et al., 1989, 1991; RODRIGUES et al., 1992;
KOOPMAN et al., 1993), Lymphocyte Homing (LESLEY et al.,
1985a; JALKANEN et al., 1986; BERGH et al., 1989)und Adhäsion
an Komponenten der extrazellulären Matrix (CARTER & WAYNER, 1988;
KANSAS et al., 1990; JALKANEN & JALKANEN, 1992).
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß CD44 eine Rolle spielt,
sobald Zellen entweder migrieren oder sich an Komponenten der extrazellulären
Matrix anheften. Das wird bei der Betrachtung der Hämatopoese besonders
deutlich: Die vorwiegend CD44 positiven pluripotenten Stammzellen oder
Progenitorzellen (TROWBRIDGE et al., 1982; HORST et al., 1990b; KANSAS
et al., 1990) werden im Laufe der Differenzierung CD44 negativ (LESLEY
et al., 1990b; HORST et al., 1990b) und sie erlangen bei der Ausreifung
wieder das Oberflächenantigen (LYNCH & CEREDIG, 1989; LESLEY et
al., 1988; HORST et al., 1990b).
In Zusammenhang mit der Bedeutung des CD44-Moleküls bei der Zelladhäsion
und Migration ist seine Rolle bei der Tumormetastasierung zu sehen.
Die Wichtigkeit von CD44 bei Kontakten zwischen Zellen und der extrazellulären
Matrix lenkt das Augenmerk auf eine zu fordernde Regulation dieser Vorgänge;
schließlich kommen die Liganden von CD44 ubiquitär vor. Daß
die Expression und Funktion von CD44 geregelt wird, kann angenommen werden,
da beispielsweise nicht alle CD44 exprimierenden Zellen an Hyaluronsäure
binden (LESLEY et al., 1990a). So wurde eine Reihe von Regulationsmechanismen
der CD44 Expression beschrieben, zu denen auch die posttranslationale Modifikation
zählt.
Bei CD44H positiven Zellen sind drei Aktivierungszustände bekannt,
die in einem langsamen Differenzierungsprozeß ineinander übergehen
können (LESLEY & HYMAN, 1992; HE et al., 1992). 1. Nicht aktivierbar,
d.h. CD44H kann nicht an Hyaluronate (HA) binden. 2. Aktivierbar, d.h.
die Bindungsfähigkeit an HA kann hergestellt werden (Lesley et al.,
1992). 3. Aktiv, d.h. CD44H kann an HA binden (MURAKAMI et al., 1990).
Während der Differenzierung von Plasmazellen zu Immunglobulin
sezernierenden Zellen werden diese drei Aktivierungszustände durchlaufen
(COFFMANN, 1982).
Ein weiterer Angriffspunkt für Regulationsvorgänge ist die
Modifikation der extrazellulären Domäne, von der unterschiedliche
Glykosilierungsmuster beschrieben wurden (OMARY et al., 1988; BROWN et
al., 1991). So ist zum Beispiel CD44E eine modifizierte Form von CD44,
die von menschlichen Keratinozyten und Plattenepithel-Karzinomzellen der
Lunge exprimiert wird. Die Unterschiede im Molekulargewicht einzelner CD44
Isoformen ist in erster Linie auf Karbohydratgruppen und Sulfatgruppen,
wie asparaginverbundene Glykopeptide, Chrondroitinsulfate und Heparansulfate
zurückzuführen (BROWN et al., 1991). FAASSEN et al. (1992) fanden
heraus, daß die Migration einer Melanomzellinie (K1735 M4) in kollagener
Matrix von der Anwesenheit eines durch Chondroitin modifizierten Zelloberflächenglykoproteins
abhängig war. Das nach Chondroitinaseverdauung übrigbleibende
110 kDa Coreprotein wurde von CD44-spezifischen Mikroantikörpern erkannt,
so daß das untersuchte Zelloberflächenglykoprotein, als eine
hochmolekulare Form von CD44, eine wichtige Rolle für Zellmotilität
und Zellinvasion spielen könnte. Auch andere extrazelluläre Komponenten
könnten durch Bindung an die extrazelluläre Domäne die Funktion
von CD44 beeinflussen (KINCADE, 1992). Zelloberflächenmoleküle
wie CD2 und humane T-Zellrezeptoren (ROSENMAN, 1993), lösliche Faktoren
wie Interleukine oder andere Entzündungsmediatoren.
Als weiterer wichtiger Regulationsmechanismus wurde das sogenannte
"Shedding" bei humanen Neutrophilen und Lymphozyten beschrieben. Dies ist
ein schneller Regulationsmechanismus bei dem die externe Domäne des
Oberflächenproteins proteolytisch abgespalten wird (CAMPANERO et al.,
1991). Für diesen Regulationsmechanismus spricht weiterhin das Vorkommen
von löslichem CD44 im Serum in vivo (LUCAS et al. 1989; HAYNES et
al., 1991; CAMP et al., 1993b).
Die Rolle von CD44 bei Differenzierungs- und Reifungsvorgängen,
sowie bei der Zellmigration unterstreicht die mögliche Beteiligung
an der Tumordifferenzierung bzw. Entdifferenzierung und Metastasierung.
In der Tat sprechen viele Ergebnisse dafür, daß CD44 mit
Metastasierung bzw. Invasivität und Tumorzellwachstum korreliert.
Migration in extrazellulärer Matrix und Durchdringung von Basalmembranen
sind wichtige Voraussetzungen für Tumormetastasierung (FIEDLER, 1990;
BLOOD & ZETTER, 1990; LIOTTA et al., 1991). Für die Annahme, daß
CD44 daran beteiligt ist, spricht die Tatsache, daß wie oben erwähnt,
sein Hauptligand, nämlich Hyaluronsäure, fester Bestandteil der
Basalmembranen ist (UNDERHILL. 1989).
Bei Mammakarzinomen konnte gezeigt werden, daß invasive Areale
der Tumoren mit gesteigertem Hyaluronsärevorkommen korrelieren (BERTRAND
et al., 1992). Ebenso konnte bei Brustkrebszellen der Maus (CL-S1) ein
Zusammenhang zwischen Hyaluronsäuresekretion und -synthese und gesteigertem
Wachstum bzw. Tumorprogression dargestellt werden (HITZEMAN et al., 1992).
Geringere Überlebensraten bei Patienten mit Lymphomen, die CD44
auf hohem Level exprimieren und die Tatsache, daß B-Zell Lymphome
im Stadium III/IV mehr CD44 exprimieren, als solche im Stadium I/II, spricht
dafür, daß CD44 bei diesen Tumoren eine wichtige Rolle bei der
Tumorausbreitung und Prognose spielt (PALS et al., 1989; HORST et al.,
1990c; JALKANEN et al., 1991).
Die prognostische Bedeutung von CD44 positiven Zellen wird bei der
Lymphoblastischen und der akuten Myeloblastischen Leukämie (LEGRAS
et al., 1998) deutlich. Bei hochgradig dedifferenzierten Hirntumoren (KUPPNER
et al., 1992; NAGASAKA et al., 1995) und bei non-Hodgkin Lymphomen (PALS
et al., 1989; HORST et al., 1990c) wird starke CD44-Expression beschrieben.
Die selektive Expression von CD44 Isoformen scheint bei Metastasierung
und Regulation des Tumorzellwachstums eine Rolle zu spielen (BOURRGUIGNON
et al., 1995). Die Bedeutung verschiedener CD44 Isoformen für Metastasierung,
Invasivität und Tumorzellwachstum wird in verschiedenen Arbeiten beschrieben
(SY et al., 1991, 1992; GÜNTHERT et al., 1991).
SEITER et al. (1993) konnten zeigen, daß eine Variante von CD44
aus Pankreaskarzinomzellen der Ratte (BSp73ASML) durch Transfektion Metastasierungsfähigkeit
auf nicht metastasierende Tumorzellen übertragen kann. Die Bedeutung
einzelner CD44 Varianten für die Metastasierungs- und Migrationsfähigkeit
von Tumorzellen belegen Untersuchungen von GÜNTHERT et al. (1995),
MOLL et al. (1994) und PALS et al. (1993).
SALMI et al. (1993) berichten von einer regulierten Expression des
Exon V6 bei maligner Transformation. So besteht z.B. ein Zusammenhang zwischen
Expression der Variante CD44v6 mit Metastasierungsfähigkeit von Pankreaskarzinomzellen
der Ratte (PALS et al., 1993).
Im Gegensatz zu den eben genannten Ergebnissen ist darauf hinzuweisen,
daß auch Tumoren von Brust und Kolon beschrieben wurden, bei denen
die Expression von CD44 nicht mit Metastasierungsfähigkeit korreliert
(MATSUMURA & TARIN, 1992; HEIDER et al., 1993).
Außerdem konnte CD44 bei Neuroblastomen mit hoher Differenzierung
und verbesserter Prognose für die Patienten in Verbindung gebracht
werden (Favrot et al., 1993; Gross et al.,1994, 1995).
Aufgrund dieser Ergebnisse kann sicherlich noch keine endgültige
Aussage über die Rolle von CD44 bei Tumorwachstum, Invasivität
und Metastasierung von Tumoren gemacht werden.
Nicht zuletzt könnte das Antigen CD44 aber bei der Diagnostik
und Verlaufsbeurteilung von Tumoren mit immunologischen Methoden (MATSUMURA
& TARIN, 1992; KOOPMAN et al., 1993; SALMI et al., 1993), wie beispielsweise
von Hirntumoren (BERGH et al., 1990A; STAVROU et al., 1991) eine wichtige
Rolle spielen. Bei der Suche nach geeigneten Molekülen zum Studium
der immunologischen Wechselbeziehungen zwischen Gliom und Gliomträger
wurde ein monoklonaler Antikörper (MUC 2-63) produziert und charakterisiert
(STAVROU, 1990), welcher aufgrund von Antigenbindungsstudien das CD44-Antigen
erkennt (ROMEIJN et al., 1994).
Es existieren inzwischen detaillierte Modelle für die rezeptorvermittelte
Signaltransduktion von RA (Abb. 1).
Die komplexen Aufnahmemechanismen, die diskutiert werden, können
hier vereinfacht beschrieben werden: Im wesentlichen kann gesagt werden,
daß für RA ein Signaltransduktionsweg, ähnlich dem der
Schilddrüsen- oder Steroidhormone, diskutiert wird, wobei RA über
einen nukleären Rezeptor (RAR, RXR), der zur Gruppe der STRS (Steroid-Thyroid
Receptor Superfamily) gehört (GIGUÈRE, et al., 1987; PETKOVICH,
et al., 1987; EVANS, 1988), mit der DNA interagiert und über einen
Hormon-Rezeptor-Komplex (RBP, TTR) als Retinol in die Zelle aufgenommen
werden könnte (BAVIK et al., 1993; VIEIRA et al., 1995). Für
die Aufnahme von RA in die Zelle werden verschiedene Mechanismen diskutiert:
Es wurden intrazelluläre RA und Retinol bindende Proteine (CRABP
und CRBP) als Transportmoleküle untersucht (FIORELLA & NAPOLI,
1994; FISHER et al., 1995).
Die Signaltransduktion in der Zelle könnte folgendermaßen
vor sich gehen: In der Zelle setzt möglicherweise CRBPI Retinsäure
aus Retinol des Rezeptorkomplexes frei (NAPOLI, 1993). RA wird möglicherweise
durch CRABP II in den Zellkern transportiert (FIORELLA & NAPOLI, 1994;
GIGUÈRE, 1994; DONOVAN et al., 1995) und beeinflußt über
spezifische Antwortelemente (RARE) der DNA (FISHER et al., 1994; XIAO,
et al., 1995) die Transkription und schließlich Translation, die
zur Zellantwort (CD44-Expression?) führt. Von enzymatischen Faktoren,
die am Retinol-RA Stoffwechsel beteiligt sind, wie Lecitin-Retinol Acyl
Transferase (LRAT), Retinol Dehydrogenase (RoDH) oder Acyl CoA-Retinol
Transferase (ARAT) wurde über Zusammenhänge mit RA-Transport
und Metabolismus berichtet (Napoli, 1996).
Abb. 1: | Modell zur Signaltransduktion von Retinsäure (RA) nach verschiedenen
Autoren (siehe Text): Es werden hier drei prinzipielle Möglichkeiten
der RA-Aufnahme in die Zelle, sowie ein möglicher Signaltransduktionsweg
in den Zellkern gezeigt. RA-Aufnahme in die Zelle:
|
Die Identifikation der RA Rezeptoren als Zugehörige zu der
STRS Familie (EVANS, 1988) und die vielfältigen Regulationsmechanismen
der Signaltransduktion lassen die Bezeichnung von Vitamin A in der Form
seines Metaboliten Retinsäure als "exogenes Hormon" sinnvoll erscheinen
(SPORN & ROBERTS, 1983).
In Kenntnis der vielfältigen Funktionen der Retinoide bezüglich
Entwicklung und Differenzierung, können Ansätze, RA in der Tumortherapie
einzusetzen, verstanden werden.
Gut dokumentiert ist der Einsatz von all-trans Retinsäure (ATRA)
bei der akuten promyelozytischen Leukämie (APL). Hier konnten Zelldifferenzierung
in vitro (CHOMIENNE et al., 1990) und hohe Remissionsraten in der Therapie
dokumentiert werden (z.B. HUANG et al., 1988; CASTAIGNE, et al., 1990;
WARRELL et al., 1993; Lit. Rev. bei CHOMIENNE et al., 1996).
Ein weiteres wichtiges Gebiet ist der Einsatz von Retinoiden in der
Chemoprävention. So wurden klinische Versuche zur Prävention
von Haut-, Brust- und Ovarialkrebs, sowie von Tumoren des aerodigestiven
Traktes unternommen (HONG & ITRI, 1994; DE PALO et al., 1995; LIPPMAN
et al., 1995). Über die Wirkung von RA auf Hirntumoren in vivo liegen
bisher wenige Berichte vor.
WESTARP et al. (1993) berichteten von der Anwendung der Retinoide bei
Neubildungen des ZNS.
Zu beachten sind eine Reihe von Untersuchungen über die Wirkung
von RA auf Hirntumoren in Zellkultur: Es gibt viele Beispiele, die darauf
hindeuten, daß RA die Zellproliferation hemmt (GRUBER JR et al.,
1992; MELINO et al., 1992; HOULE et al., 1993; MUKHERJEE & DAS, 1994;
RODTS & BLACK, 1994).
Viele Autoren berichten von Tumorzelldifferenzierung nach RA Einwirkung,
von denen einige kurz referiert werden sollen: So berichten MELINO et al.
(1993) von Apoptose und Differenzierung, sowie vermehrter IGF-II Expression
bei Neuroblastomen. Das Neuroblastom BE(2)-M17 exprimiert Corticotropin
Releasing Factor (CRF) mRNA (KASCKOW, et al., 1994). Bei Glioblastom- und
Neuroblastomzellen ließ sich die Expression von Interleukinen unter
Einfluß von RA modulieren (STEPHANOU et al., 1992).
Das Prostaglandin-Synthetase-Gen wurde an einem Glioblastom-Neuroblastom
Hybrid durch RA aktiviert (BAZAN et al., 1994). Bei verschiedenen neuroektodermalen
Zellinien wurde eine Metallo-Endopeptidase im Zusammenhang mit RA induzierter
Differenzierung vermindert exprimiert (CARVALHO et al., 1993), genauso
wie die Expression von Proopiomelanocortin (POMC) mRNA-Transkripten schon
nach wenigen Stunden der RA-Behandlung reduziert war (DE LAURENZI et al.,
1993). Veränderte Muster der Glykolipidverteilung wurden bei Xenopus
Embryos gezeigt (RIZZO et al., 1995) und bei der Glioblastomzellinie SNB-19
bezüglich bestimmter Glykoproteine, deren Expression stark gesteigert
werden konnte (VAN DER MEULEN et al., 1994). Morpholgisch objektivierbare
neuronale Differenzierung und Wachstumshemmung bei Hirntumorzellen als
Reaktion auf RA-Einwirkung kann aber nicht bei allen Zellinien in gleicher
Weise beobachtet werden (MELINO et al., 1993; KELES et al., 1993; ASADA
et al., 1994; HOI SANG et al., 1995). Einen Hinweis für das heterogene
Verhalten der Hirntumoren gibt auch die unterschiedliche Expression der
Gene für STRS-Rezeptoren (MAGRASSI et al., 1993).
Der Einfluß von RA auf die CD44 Expression von Tumoren ist wenig
dokumentiert. Hinweise darauf lassen sich der Arbeit von GROSS et al. (1995)
entnehmen. Die CD44 Expression bei Ovarialkarzinom-Zellinien ließ
sich durch RA nicht modulieren (UHL-STEIDL et al., 1995).
Die Steigerung von Bindungsstellen eines bekannten Rezeptors ist für Diagnose und Therapie von Tumoren bedeutungsvoll. So ist die Untersuchung von Methoden, welche die Rezeptorendichte von CD44 bei Hirntumoren steigern, ein wichtiges Anliegen.
Auf eine Steigerung der CD44 Expression durch die Wirkung von Retinsäure bei Neuroblastomzellinien haben GROSS et al. (1995) hingewiesen.
Ziel der vorliegenden Arbeit war es, den Einfluß von Retinsäure
auf die CD44 Expression und die Struktur von humanen Gliomzellinien und
anderen Hirntumorzellinien systematisch zu untersuchen.
Tabelle 1: Die untersuchten Gliomzellen wurden aus Explantaten von Gliombiopsien
isoliert und als permanente Gliomzellinien in vitro propagiert.
Tumor-
Nr. |
Diagnose |
der Zellkultur |
Gliamarker
S-100 GFAP |
Referenz |
E 14-88
E 28-87
E 31-87
E 39-86
E 63-85
E 66-85 |
Glioblastom
Glioblastom
Astrozytom III
Glioblastom
Astrozytom II
Astrozytom III als Transplantationstumor der Nacktmaus |
88 HG-14
87 HG-28
87 HG-31
86 HG-39
85 HG-63
85 HG-66T6 |
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+ + |
BILZER et al., 1991
STAVROU et al., 1987
BILZER et al., 1991
BILZER et al., 1991a |
Von den Gliomzellinien 87 HG-31, 86 HG-39, 85 HG-63 und 85 HG-66/T6
wurden Karyotypisierungen vorgenommen (Wöhler, 1988).
Für das Aussäen der Zellen auf den 96er Mikrotiterplatten
wurde eine Zellsuspension definierter Zellzahl hergestellt. Die Zellzahl
wurde mit einer Neubauer Zählkammer ermittelt. Die Suspension wurde
dann mit Medium soweit verdünnt, daß je nach Zellinie 2.000
bis 10.000 Zellen pro Vertiefung in 200 µl Medium ausgesät werden
konnten.
Substanzen für die Zellkultur:
DMEM | (DULBECCOs modified Eagels Medium) | DMEM, GIBCOBRL, Nr.41965-039 |
FCS | (hitzeinaktiviertes fetales Kälberserum) | Boehringer Mannheim Nr.658175 |
NCTC 135 | Gibco,Karlsruhe, Nr.041-01350 | |
Natriumpyruvat | Gibco,Karlsruhe, Nr.061-5075 |
Substanzen für die Retinsäurelösungen:
RA | (RETINOIC ACID ALL TRANS) | Sigma; LOT.:84H0658 |
DMSO | (Zellkultur getestetes DMSO hybri-max) | Sigma; D-2650 |
Substanzen für den Mikro-ELISA:
anti-CD44std | (anti-CD44standart Antikörper) | Bender; Nr.:BMS113 |
Peroxidase-Conjugated | DAKO; Nr.:P260 | |
Rabbit Anti_mouse IgG | ||
ortho-Phenylenediamine | SIGMA; Nr.:P- 1526 | |
BCA Protein Assay Reagent | PIERCE; Nr. 23225 |
Kulturmedium: | Dulbecco´s Modified Eagle Medium wurde ergänzt
mit:
-FCS, 10%, -NCTC 135, 10% und -Natriumpyruvat, 1%. |
Das Kulturmedium wurde ohne Antibiotika angesetzt.
Lösungen für den CD44 Mikro-ELISA:
PBS-A Puffer: | In 5 l Aqua dest. wurden gelöst
-40,0 g NaCl (Merck; Nr.6004), - 1,0 g KCl (Merck; Nr.4936), - 1,0 g KH2PO4 (Merck; Nr.4873) und -14,5 g Na2HPO4 (Merck; Nr.6579). |
PBS-A, 1% FKS: | Dieser Puffer wurde wie der PBS-A Puffer
hergestellt, mit Zusatz von 1% Kälberserum. |
Citratpuffer: | In 1 l Aqua dest. wurden 21 g Citronensäure-
Monohydrat (Merck; Nr.K11010344) gelöst und mit 1 N NaOH auf pH 4,5 eingestellt. |
1.Antikörper: | Der Anti-CD44standart-Antikörper wurde gemäß Herstellerangaben 1:100 bis 1:50 mit PBS-A verdünnt. |
2.Antikörper: | Zu 10 ml PBS-A wurden hinzugefügt
100 µl Peroxidase-konjugated anti-mouse-IgG und 500 µl FCS. |
Substratlösung: | In 20ml Citratpuffer wurden gelöst
-20 mg ortho-Pehnylenediamin und -10 µl 30%iges H2O2 (Merck, Nr.822287). |
Herstellung der unterschiedlichen RA- Stammlösungen:
Herstellung der Lösung ohne Alkohol:
50 mg RA-Trockensubstanz werden in 1,7 ml DMSO gelöst
und mit 164,7 ml Aqua dest. ad 166,4 ml verdünnt, um eine RA
Stammlösung von 10-3
mol/l zu erhalten.
Ansatz der RA-Stammlösung in Alkohol:
50 mg RA-Trockensubstanz werden in 1,7 ml DMSO gelöst
und mit 164,7 ml Ethanol absolut, unvergällt ad 166,4 ml verdünnt,
um eine RA-Stammlösung von 10-3mol/l zu erhalten.
Zur Bestimmung der CD44-Antigendichte und zur Beurteilung der Wirkung
von Retinsäure auf die CD44-Expression wurde auf den 96er Mikrotiterplatten
ein "enzyme-linked-immunosorbent-assay" durchgeführt (Posner et al.,
1982; Douillard et al., 1980). Die Kulturdauer der untersuchten Zellen
betrug 8 Tage. Jede Zellinie wurde mit definierter Ausgangszellzahl ausgesät.
Die Zellen wurden vor Durchführung des Mikro-ELISA 5 min mit 4°C
kaltem Methanol / Aceton 1:1 fixiert (Suter et al., 1980) und nach einer
Trockenzeit von mindestens 30 min zweimal mit PBS-A Puffer gewaschen.
Pro Vertiefung wurde dann mit einer 8 Kanal-Finnpipette (Labsystems,
Nr.1056120) 50 µl des 1. Antikörpers hinzugegeben. Die 8. Vertiefung
jeder Spalte enthielt 50 µl PBS-A Puffer statt des 1. Antikörpers
als Negativkontrolle. Die Einwirkzeit des 1. Antikörpers betrug 30
min bei 4°C.
Nach dreimaligem Waschen mit PBS-A/FKS 1% zur Absättigung der
unspezifischen Bindungen wurde pro Vertiefung 50 µl des
2. Antikörpers hinzugegeben. Diesen ließ man bei 4°C
ebenfalls 30 min einwirken.
Danach erfolgten wieder drei Waschungen mit PBS-A/FKS 1% und schließlich
drei mit PBS-A.
Als letztes wurde die Substratlösung hinzugegeben (200 µl
/ Vertiefung) und nach 30 min bei Raumtemperatur die Extinktion des Farbumschlags
im Photometer (Titertek, Multiskan ® MC, Flow Lab., Meckenheim) im
dualen Modus bei 450 nm (Filter 1) und 492 nm (Filter 2) gemessen.
Die Bestimmung des Proteingehaltes der Zellen wurde auf 96er Mikrotiterplatten
mit BCA (Bicinchoninic acid), einem für Kupferionen hochspezifischen
Reagenz, durchgeführt (Smith et al., 1985; Wiechelman et al. 1988).
Diese Reaktion ist der Biuret Reaktion ähnlich (Lowry, 1951).
In den Vertiefungen, in denen der Proteingehalt der Zellen bestimmt
werden sollte, wurden die Zellen in 30 µl 0,6 N NaOH aufgelöst.
Damit sich die Zellen vollständig in Lösung befanden, wurde
die Proteinbestimmung nach frühestens 12 Stunden, in denen die NaOH
bei Raumtemperatur auf die Zellen einwirkte, durchgeführt.
Von 30 µl Proteinlösung jeder Probe wurden 10 µl auf
eine neue 96er Mikrotiterplatte bei gleicher Plattenbelegung mit einer
Mehrkanalpipette überführt. Im gleichen Arbeitsgang wurde der
Inhalt jeder Probe gemischt. Die letzte Vertiefung jeder Spalte wurde mit
10 µl Aqua dest. belegt und ging als Leerwert in die Messung ein.
Zu 10 µl Probe wurden 200 µl BCA-Arbeitsreagenz in jede
Vertiefung hinzugegeben. Die Inkubationszeit betrug 30 min bei 37°C.
Die Zellzahlbestimmung erfolgte über die Messung der optischen
Dichte (OD) bei 540 nm jeder einzelnen Vertiefung und dem Vergleich einer
für die Zellzahl erstellten Eichgeraden (1.4.5.).
Der Proteingehalt der Proben konnte durch Vergleich mit einer Eichgeraden,
die anhand eines Albumin Standards erstellt wurde, ermittelt werden. Bei
jedem Versuch wurde eine Eichgerade anhand des Albumin Standards dargestellt.
Der Proteingehalt jeder Vertiefung errechnet sich aus der Steigung der
Eichgeraden
y = mx + b wie folgt:
m = Steigung der Geradengleichung
b = y-Achsenabschnitt
(Gleichung 1)
Die Leerwerte mußten vor dieser Berechnung von der OD der Proben
subtrahiert werden.
Der Arbeitsplan und die verwendeten Mengen entsprechen den Herstellerangaben
(Pierce, Nr. 23225).
Zellinie |
Korrelationsgleichung ( y= b + mx ) im
a) BCA-Proliferations-Assay b) CD44 Mikro-ELISA |
OD-Entwicklung von 195 bis 400000 ZZ/Vertiefung |
87 HG - 31 | a) y = 0,1077(+/-0,0037) + 0,00201(+/-2,81E-05) x | 0,098 - 0,905 |
b) y = 0,0812 + 0,0741 Ln(x) | 0,013 - 0,484 | |
SK-N-SH | a) y = 0,0737(+/-0,0043) + 0,00172(+/-3,20E-05) x | 0,076 - 0,766 |
b) y = 0,0802 + 0,087 Ln(x) | 0,033 - 0,596 |
Tab. 2: Regressionsanalyse der Entwicklung von Zellzahl und OD für
BCA-Proliferations-Assay und CD44 Mikro-ELISA bei 87 HG-31- und SK-N-SH-
Zellen.
Aus den Gleichungen in Tabelle 2 a) ( y = b + mx) läßt sich
bei bekannter optischer Dichte die Zellzahl errechnen:
(Gleichung 2)
Aus den Gleichungen in Tabelle 1 b) (y = b + m Ln(x)) läßt
sich analog die theoretische optische Dichte der CD44-Expression aus der
Zellzahl errechnen, wenn man die Zellzahl für x einsetzt.
Theoretische OD = b + m Ln ( Zellzahl aus Gl. 2 )
(Gleichung 3)
Abb. 2: | Regressionsanalyse der Entwicklung von Zellzahl und OD
an 87 HG-31- Zellen
A) BCA-Proliferations-Assay B) CD44 Mikro-ELISA |
Abb. 3: | Regressionsanalyse der Entwicklung von Zellzahl und OD
an SK-N-SH- Zellen
A) BCA-Proliferations-Assay B) CD44 Mikro-ELISA |
Zu jedem Versuch gehörten zwei 96er Mikrotiterplatten (Greiner),
auf denen die zu untersuchenden Zellen 8 Tage im Brutschrank im offenen
System bei 37°C, 5% CO2 und 95% Luftfeuchtigkeit gezüchtet
wurden. Die Zellen jeder Vertiefung befanden sich in 200 µl Medium.
Die Ausgangszellzahl betrug je nach Zellinie 2.000 bis 10.000 pro Vertiefung.
Auf einer Platte befanden sich jeweils Zellen, die nur in Nährmedium
wuchsen, als Kontrolle und Zellen in Medium mit RA-Zusatz.
Die Platten wurden wie folgt belegt:
Auf einer Platte befanden sich in zwei Spalten mit je 8 Vertiefungen
die Kontrollen ohne RA. Die 16 Vertiefungen weiterer zwei Spalten enthielten
Medium mit einer Konzentration von 10-5 M/l RA. Und weitere
zwei Spalten enthielten pro Vertiefung 10-6 M/l RA im Medium.
Zwischen den belegten Spalten konnte eine Spalte frei gelassen werden.
Die Zellen jeder Vertiefung wuchsen in 200 µl Nährmedium.
Von den beiden Kontrollspalten der anderen Platte enthielt bei Experimenten
mit in Alkohol gelöster RA-Stammlösung die eine Spalte einen
Zusatz von 1% Alkohol.
Die Belegung war die gleiche wie bei der zuerst beschriebenen Platte
mit 10-7 statt 10-5 und 10-8 statt 10-6
M/l RA in je 200 µl Medium.
Die RA-Verdünnungsreihe wurde in Petri-Schalen titriert: 100 µl
der RA-Stammlösung(10-3 M/l RA) wurden zu Nährmedium
ad 10ml gegeben, so daß eine Lösung mit 10-5 M/l
RA entstand. Für Medium mit einer RA-Konzentration von 10-6
M/l wurden 10 µl der RA-Stammlösung ad 10ml Nährmedium
gegeben. Aus der 10-6 molaren RA-Lösung wurde 1 ml zu 9
ml Medium für die Lösung mit 10-7 M/l RA gegeben.
Entsprechend wurde die Lösung mit 10-8 M/l RA titriert.
Es wurde darauf geachtet, daß die Nährlösungen mit RA nur
kurze Zeit dem Licht ausgesetzt waren, da RA lichtempfindlich ist. Direkte
Tageslichtbestrahlung wurde vermieden.
Die Einwirkzeit der RA betrug in allen Versuchen 8 Tage im Inkubator
bei 37°C, 5% CO2 und 95% Luftfeuchtigkeit im offenen System.
Das BCA Protein-Assay wurde bei gleicher Plattenbelegung auf zwei neuen
96er Mikrotiterplatten durchgeführt. Die letzte Vertiefung enthielt
10 µl Aqua dest. statt der 10 µl Probenmaterial und ging als
Leerwert in die Messung ein.
Systematische Unterschiede zwischen den Ergebnissen auf verschiedenen
Platten eines Versuches wurden gegebenenfalls bei den Dosis- Wirkungskurven
über die Differenz der Kontrollen angeglichen.
(b) Die Zellen der in Kultur wachsenden Gliome boten ein sehr heterogenes Bild: Das Spektrum reichte von kleinen runden Zellen mit wenig Zytoplasmaausläufern (85 HG-66/T6) über bipolare, lang ausgestreckte, schlanke Zellen (87 HG-31 [Abb. 15 A], 88 HG-14) bis zu Zellen mit vielen Zytoplasmaausläufern (85 HG-63, 86 HG-39 und 87 HG-28).
(c) Die Medulloblastomzellen (TE671) erschienen zytoplasmareich und hatten zwei bis drei polar gelegene Fortsätze.
(d) Das Melanom (Mel/JuSo) wirkte mit großen Zellkernen und kurzen
Fortsätzen undifferenziert. Die einzelnen Zellen wiesen beträchtliche
Größenunterschiede auf. Melanin war lichtoptisch nicht nachweisbar.
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Abb. 4: | Bei SK-N-SH Zellen führen steigende RA-Konzentrationen zur Zunahme der CD44-Expression (OD) und des Proteingehaltes. Dies ist sowohl mit in Alkohol gelöster (Alkohol) als auch mit in destilliertem Wasser gelöster (Aqua dest.) RA-Stammlösung reproduzierbar. |
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Abb. 5: | Der Einfluß von 10 µM/l RA auf Zellzahl (ZZ)
und CD44-Expression bei der Neuroblastomzellinie SK-N-SH.
A) Aus dem BCA-Protein-Assay ermittelte Zellzahl B) Im CD44 Mikro-ELISA ermittelte optische Dichte (OD) |
Die Retinsäure wurde in Konzentrationen von 0,01 bis 10 µM/l
eingesetzt und daraufhin untersucht, ob sich auf die CD44-Expression bezogen
eine Dosis-Wirkungskurve darstellen läßt.
Aus den Ergebnissen von drei Versuchen läßt sich eine konzentrationsabhängige
Zunahme der OD im CD44 Mikro-ELISA ableiten (Abb. 6, Tab. V).
Der Korrelationskoeffizient ( r ) der Regressionsgeraden beträgt
im dargestellten Versuch r = 0,81 bei 64 Beobachtungen und ist hoch signifikant
(p < 1E-15).
Auch die hier nicht dargestellten Ergebnisse der anderen Versuche waren
hoch signifikant (p < 1E-12). Die Entwicklung der Zellzahl blieb in
der Darstellung unberücksichtigt.
Kein Versuch zeigte eine signifikante Abhängigkeit der Zellproliferation
von der RA-Konzentration. Im dargestellten Versuch betrug der Korrelationskoeffizient
der Dosis-Wirkungskurve r = 0,28 bei 64 Beobachtungen und p = 0,025 .
Dargestellt ist der Versuch mit der höchsten beobachtbaren Singnifikanz
der drei durchgeführten Versuche (Abb. 7).
Abb. 6: | Die CD44-Expression der Neuroblastomzellinie SK-N-SH steigt mit Zunahme der RA-Konzentration, gemessen am 8. Versuchstag (CD44 Mikro-ELISA). |
Abb. 7: | Steigende Konzentrationen von RA hatten keinen signifikanten Einfluß auf die Proliferation von Neuroblastomzellen (OD) (BCA Protein-Assay; Tag 8). |
Abb. 8: | Die Neuroblastomzellen (SK-N-SH) wuchsen nach 5 Tagen in RA-freiem Medium als kleine runde Zellen ohne Zellausläufer mit großen Zellkernen und schmalem Zytoplasmasaum (Fbg. X40) |
Abb. 9: | Neuroblastomzellen (SK-N-SH) nach 5tägiger Bebrütung in Medium mit 10 µM/l RA. Gegenüber den Kontrollzellen sind hier neuritenähnliche Fortsätze und eine zugunsten des Plasmas verschobene Kern-Plasma-Relation zu erkennen. (Fbg. X40). |
Abb. 10: | Bei keiner Gliomzellinie konnte die CD44-Expression durch Erhöhung der RA-Konzentration gesteigert werden (CD44 Mikro-ELISA; 8 Tage Inkubationszeit) |
Abb. 11: | Einfluß von RA auf die Zellzahl bei Gliomzellinien. Bei vier Zellinien ist ein deutlicher Proliferationsrückgang unter Einfluß von RA erkennbar (BCA Protein-Assay). |
Abb. 12: | Der Einfluß von steigenden RA-Konzentrationen auf den Proteingehalt von Gliomzellen nach 8 Tagen (BCA Protein-Assay). Bei den Gliomzellinien 85 HG-63, 87 HG-31, 86 HG-39 und 85 HG-66/T6 ist eine deutliche Abnahme des Proteingehaltes bei höheren RA-Konzentrationen zu erkennen. |
Abb. 13: | Einfluß der RA (0,01 - 10 µM/l)auf die Proliferation von 87 HG-31-Zellen (BCA Protein-Assay; Tag 8). Mit steigenden RA-Konzentrationen ist eine deutliche Abnahme der Proliferation erkennbar. |
Zellinie | Regresssionsgerade | Beobachtungen | Korrelationskoeffizient | P |
87 HG - 31 | y= -0,0173 Ln(x) + 0,2003 | 40 - 56 | 0,8104 - 0,9216 | < 1,5E-13 |
85 HG-63 | y= -0,0132 Ln(x) + 0,4178 | 52 - 56 | 0,5508 - 0,7899 | < 1,8E-05 |
86 HG-39 | y= -0,0085 Ln(x) + 0,2687 | 48 - 56 | 0,6015 - 0,6499 | < 1,8E-06 |
85 HG-66/T6 | y= -0,01 Ln(x) + 0,2705 | 56 | 0,7060 - 0,8962 | < 1,0E-09 |
Tab. 3: | Regressionsanalyse der Entwicklung der OD im BCA Protein-Assay bei steigender RA-Konzentration (0,01 - 10 µM/l) für Gliomzellinien (Regressionsgraden je eines Versuches, Korrelationskoeffizienten und P aus 3 Versuchen). |
A)
B)
Abb. 14: | Gliomzellen, die vor der Auswertung mit Hyaluronidase behandelt
wurden, erbrachten die gleichen Ergebnisse wie ohne Vorbehandlung (nach
8tägige Bebrütung).
A) OD im CD44 Mikro-ELISA B) Proteingehalt im BCA Protein-Assay ermittelt. |
A | B |
Abb. 15: | Astrozytom 87 HG-31 nach 5tägiger Kultivation in Medium ohne RA (A) und mit RA (B). Wesentliche strukturelle Unterschiede sind nicht zu beobachten. |
TE671
Bei der Medulloblastomzellinie TE671 läßt sich unter Einfluß
von 10 µM/l RA nach 8 Tagen eine Abnahme der OD im CD44 Mikro-ELISA
von ca. 21% gegenüber der OD der RA-freien Kontrollen in drei voneinander
unabhängigen Experimenten darstellen.
Vergleicht man die Ergebnisse von 10 µM/l RA mit denen der Kontrollen,
ergeben sich Signifikanzwerte für p < 0,00001.
Der Proteingehalt verhält sich bei dieser Zellinie ähnlich
und ist in den einzelnen Vertiefungen bei 10 µM/l RA gegenüber
den Kontrollen im Mittel um 22 % geringer. P = 0,01 - 2,5E-10 (Abb. 16
und 17).
Alle Effekte auf die CD44-Expression und den Proteingehalt sind titrierbar.
Es lassen sich Dosis-Wirkungskurven errechnen, deren Korrelationkoeffizienten
alle größer als die kritischen Werte sind (n > 40; r > 0,52;
p = 0,00026 - 6,5E-7). Die Ergebnisse sind hier nicht dargestellt.
Mel/JuSo
Die Melanomzellinie Mel/JuSo läßt nach 8 Tagen unter RA-Einfluß
eine geringe Abnahme der OD im CD44 Mikro-ELISA von im Mittel 10 % gegenüber
den RA-freien Kontrollen erkennen (p = 0,045 - 0,216).
Auf den Proteingehalt hat Retinsäure keinen signifikanten Einfluß:
P > 0,396
Der Effekt auf die CD44-Expression war nicht titrierbar. Es ließen
sich keine signifikanten Ergebnisse erzielen. Die Regressionsanalyse der
Dosis-Wirkungskurven aus drei Versuchen hatte folgende Parameter: n = 56;
r < 0,2; p > 0,168 (Abb. 16 und 17).
Abb. 16: | Nach 8tägiger Kultivation nahm die CD44-Expression von Medulloblastomzellen (TE671) und Melanomzellen (Mel/JuSo) unter RA-Einfluß ab (CD44 Mikro-ELISA). |
Abb. 17: | Bei höheren RA-Konzentrationen nimmt der Proteingehalt bei Medulloblastomzellen (TE671) nach 8tägiger Bebrütung ab, bei Melanomzellen (Mel/JuSo) bleibt er annähernd gleich (BCA Protein-Assay). |
Abb. 18: | Einfluß von RA auf die Zellzahl am 8. Behandlungstag bei Medulloblastomzellen (TE671) und Melanomzellen (Mel/JuSo). Im Vergleich zu den Kontrollen ist ein signifikanter Proliferationsrückgang unter RA-Einfluß nur bei den Medulloblastomzellen, hingegen nicht bei den Malanomzellen objektivierbar. |
Die TE671-Zellen ließen unter RA-Einfluß keine strukturellen
Veränderungen erkennen. Lichtmikroskopisch ließ sich eine höhere
Wuchsdichte des Zellrasens in Abwesenheit von RA beobachten. Auch an der
Farbe des Zellkulturmediums, welche durch den Stoffwechsel der Tumorzellen
heller wird, als die von unverbrauchtem Medium, kann bei den Zellen unter
RA-Einfluß auf ein im Vergleich zu den Kontrollen langsameres Wachstum
geschlossen werden.
Bei den Mel/JuSo-Zellen waren lichtmikroskopisch weder strukturelle
Veränderungen noch eine Zu- oder Abnahme der Wuchsdichte zu beobachten.
Die bisher dargestellten Ergebnisse machen deutlich, daß die
meisten Zellinien mit und ohne RA unterschiedliche Proliferationsaktivität
aufweisen. So ist z.B. die im BCA Protein-Assay meßbare optische
Dichte als Maß für Proteingehalt und Zellzahl bei der Gliomzellinie
85 HG-63 unter Einfluß von 10 µM/l RA um im Mittel 26,5 % geringer
als die der Kontrolle. Die optische Dichte des CD44 Mikro-ELISA verändert
sich dahingegen unter RA-Einfluß kaum (Vgl. 2.3.1.).
Das hieße in diesem Beispiel, daß in Vertiefungen mit wenigen
Zellen im Verhältnis mehr CD44 exprimiert würde, als in Vertiefungen
mit vielen Zellen.
Da auch zwischen einzelnen Vertiefungen auf den 96er Mikrotiterplatten
lichtmikroskopisch feststellbare Unterschiede in der Wuchsdichte der Zellen
bestanden, erhebt sich die Forderung, die OD im CD44 Mikro-ELISA als Maß
für die CD44-Expression auf die in den Vertiefungen tatsächlich
vorhandene Zellmenge zu beziehen.
Um dieser Forderung gerecht zu werden, wurde von allen zu den Versuchen
gehörenden Vertiefungen eine Proteinbestimmung (BCA Protein-Assay)
durchgeführt, die zum einen den Proteingehalt der Zellen wiedergibt
und zum anderen ein zuverlässiges Maß für die Zellzahl
ist (Vgl. 1.4.5.).
Es gibt folgende Möglichkeiten, die OD aus dem CD44 Mikro-ELISA
auf die Ergebnisse der Proteinbestimmung zu beziehen:
Die genannten Möglichkeiten berücksichtigen allerdings nicht,
daß sich Zellzahl und optische Dichte in den beiden Assays unterschiedlich
entwickeln: Bei zunehmender Zellzahl steigt die OD im BCA Protein-Assay
linear an (Vgl. 1.4.5. Abb. 3 und 4A). im CD44 Mikro-ELISA hingegen logarithmisch
(Vgl. 1.4.5. Abb. 3 und 4B ).
Die OD CD44 durch die OD, die Zellzahl oder den Proteingehalt aus dem
BCA Protein-Assay zu dividieren, ist also nicht hinreichend, es müssen
noch von den beiden Assay-Systemen die unterschiedlichen Kurvenverläufe
der auf die Zellzahl bezogenen OD berücksichtigt werden. Um das zu
erreichen, bedarf es eines Korrekturfaktors (Vgl. 2.5.2. u. Abb. 21: "+%Korr").
y = mx + b:
Die Geradengleichung der OD auf die ausgesäte Zellzahl nach 12
Stunden bezogen, beschreibt im BCA Proliferations-Assay einen linearen
Verlauf (Vgl. 1.4.5.).
y = m Ln(x) + b:
Der Verlauf dieser Geradengleichung im CD44 Mikro-ELISA ist logarithmisch
(Vgl. 1.4.5.).
Das bedeutet (unabhängig von der RA-Wirkung), daß z.B. im
Bereich zwischen 12.000 und 50.000 Zellen Veränderungen der Zellzahl
große Veränderungen der meßbaren OD im CD44 Mikro-ELISA
ausmachen, ab 50.000 oder gar 150.000 Zellen hingegen eine Veränderung
der Zellzahl wesentlich geringe Auswirkungen auf die genannte OD hat. So
ist die meßbare OD CD44 von 150.000 Zellen auch nur geringfügig
höher als die von 100.000 Zellen (Abb. 19).
Abb. 19 | Die Entwicklung der optischen Dichte in Abhängigkeit der Zellzahl bei 87 HG-31-Zellen nach 12 Stunden Inkubation ohne RA. Es wurde hervorgehoben, in welcher Größenordnung sich die OD bezogen auf die Zellzahl ändert. |
Dieser Sachverhalt stellt Ergebnisse, bei denen die CD44-Expression
direkt auf die Zellzahl oder den Proteingehalt bezogen wurde, in Frage,
zumal die Unterschiede in den Experimenten zwischen 100.000 (Kontrolle)
und 50.000 Zellen (10 µM/l RA) lagen.
Um der Forderung, die unterschiedlichen Steigungen der Regressionsgeraden
in die Auswertung mit einzubeziehen, gerecht zu werden, wird die OD des
CD44 Mikro-ELISA durch folgende Formel korrigiert:
Die aus den OD des BCA Protein-Assay errechnete Zellzahl (Gleichung
2) wird in die Geradengleichung zur Ermittlung der theoretischen OD CD44
aus der Zellzahl eingesetzt (Gleichung 3) und ergibt den Korrekturfaktor.>
Aus der Regressionsgeraden des BCA Protein-Assay (Gl. 2) ergibt sich:
(Vgl. 1.4.5., Tab. 2 A).)
Aus der Regressionsgeraden des CD44 Mikro-ELISA (Gl. 3) ergibt sich:
Korrekturfaktor = 0,0741 Ln(Zellzahl/1000) + 0,0812
(Vgl. 1.4.5., Tab. 2 B).)
Dividiert man die in den Experimenten ermittelten OD im CD44 Mikro-ELISA
durch diesen Korrekturfaktor, erhält man die auf die Zellzahl bezogene
CD44-Expression unter Berücksichtigung aller unter 1.4.5. dargestellten
Ergebnisse (Abb. 21 und Tab. X).
Unter Berücksichtigung dieser Ergebnisse mittels eines Korrekturfaktors,
ergibt sich für die CD44 Expression der Zellen aus je drei voneinander
unabhängigen Versuchen folgende Bewertung:
Die CD44 Expression nimmt bei dem Neuroblastom SK-N-SH um 49,4% (p<1E-10),
bei dem Astrozytom(II) 85 HG-63 um 10,4% und bei den Glioblastomen 86 HG-39
und 88 HG-14 um je 5,9% zu.
Eine Abnahme der CD44 Expression läßt sich bei dem Medulloblastom
TE671 (17,4%), dem Melanom Mel/JuSo (9,5%), dem Glioblastom 87 HG-28 (8,5%),
dem Astrozytom(III) 87 HG-31 (8,1%; p<0,0001) und dem Glioblastom 85
HG-66/T6 (7,7%) feststellen.
Hoch signifikant waren die Ergebnisse von Neuroblastom (p<1E-10)
und Astrozytom (III) 87 HG-31 (p<0,00001) (Abb. 20 u. 21).
Alle anderen Ergebnisse waren weniger signifikant (p>0,1).
Die Ergebnisse von Neuroblastom, Melanom und den Gliomen 87 HG-28 und
88 HG-14 sind von der Zellzahl unabhängig, da die RA bei genannten
Zellinien keinen signifikanten Einfluß auf die Proliferation hatte.
Abb. 20 | Zunahme oder Abnahme der im CD44 Mikro-ELISA ermittelten
Extinktionswerte unter Einfluß von 10 µM/l RA nach 8 Tagen
in % der Kontrolle auf die Ergebnisse des BCA Protein-Assay bezogen. Alle
Ergebnisse sind Mittelwerte aus drei Experimenten.
|
Abb. 21 | Zunahme oder Abnahme der im CD44 Mikro-ELISA ermittelten
Extinktionswerte unter Einfluß von 10 µM/l RA nach 8 Tagen
in % der Kontrolle. Alle Ergebnisse sind Mittelwerte aus drei Experimenten.
|
Die hier beschriebenen Ergebnisse konnten in zweierlei Hinsicht
den Einfluß von Retinsäure auf Hirntumoren zeigen.
Zum einen ließ sich die CD44 Expression des Neuroblastoms SK-N-SH
nach 8 Tagen Inkubation in Nährmedium mit einer Konzentration von
10 µM/l Retinsäure signifikant steigern; dieses Ergebnis bestätigt
die Ergebnisse von GROSS et al. 1995 und spricht somit auch für die
Validität der hier angewendeten Methodik.
Zum anderen ließ sich bei 4 der 6 Gliomzellinien und bei dem
Medulloblastom das Wachstum hemmen. Diese Beobachtung steht mit den von
MELINO et al. 1992 und von MUKHERJEE et al. 1993 erhobenen Befunden, die
von Wachstumsrückgängen unter RA-Einfluß von bis zu 65%
berichten, in Einklang.
Die Beobachtung, daß die Gliomzellinien 88 HG-14 und 87 HG-28
ebenso wie die Melanomzellinie unter RA Einwirkung keine meßbaren
und beobachtbaren Veränderungen zeigten, spricht für die Heterogenität
der untersuchten Tumorzellen. Das unterschiedliche biologische Verhalten
von Gliomen in vivo und in vitro ist wiederholt beschrieben worden (NEGENDANK
et al., 1996). Auch bezüglich der Antigenität setzen sich Gliome
aus einer heterogenen Zellpopulation (WIKSTRAND et al., 1983; STAVROU,
1986, 1989;) zusammen.
Um die CD44 Expression der Zellinien abschließend zu bewerten,
muß zunächst der Einfluß des Zellwachstums auf die Messungen
diskutiert werden.
Lediglich bei der Neuroblastomzellinie SK-N-SH, der Melanomzellinie
Mel/JuSo und den Gliomzellinien 87 HG-28 und 88 HG-14 ist ein direkter
Rückschluß von den Messungen auf die CD44 Expression pro Zelle
zulässig, da bei diesen Zellinien die Retinsäure keinen signifikanten
Einfluß auf das Zellwachstum hatte.
Bei der Medulloblastomzellinie TE 671 und den Gliomzellinien 87 HG-31,
85 HG-63, 86 HG-39 und 85 HG-66T6 muß allerdings das Zellwachstum
in die Messung der CD44 Expression mit einbezogen werden, da bei hohen
RA Konzentrationen die CD44 Expression von signifikant weniger Zellen pro
Vertiefung gemessen wurde (Abnahme der Zellzahl nach 8 Tagen bei 10 µM/l
RA um 21-68%).
So ergibt sich die Notwendigkeit, im gleichen Versuchsansatz die Zellzahl
in den ausgewerteten Vertiefungen zu ermitteln und die für die CD44
Expression gemessene optische Dichte darauf zu beziehen.
Um dies zu realisieren, wurde in jeder Vertiefung mit einem BCA Protein-Assay
(SMITH et al., 1985) der Proteingehalt bestimmt. Die Methode wurde bezüglich
der Zellzahlentwicklung auf ihre Validität hin überprüft.
Um die Aussagekraft dieser Methode bezüglich der Zellzahl zu untermauern,
sollen die vorliegenden Ergebnisse mit der Literatur verglichen werden.
MELINO et al., 1992 ermittelten beispielsweise Wachstumskurven für
Gliobalstomzellinien mittels Hämozytometer-Zählkammer über
12 Tage mit und ohne 5 µM/l RA in 25 cm² Kulturflaschen. Die
Ausgangszellzahl an Tag 0 betrug hier 4.000/cm². Nach 8 Tagen konnten
bei der Kontrolle ohne RA 120.000/cm² Zellen und mit RA 40.000/cm²
ermittelt werden. Das entspricht einer Abnahme der Zellzahl gegenüber
der Kontrolle von ca. 65%. Berechnet man für die Ergebnisse der vorliegenden
Arbeit die Zellzahl pro Vertiefung (Fläche: 0,32 cm²) aus dem
BCA Protein-Assay, ergibt sich für die Gliomzellinie 87 HG-31, eine
Ausgangszellzahl an Tag 0 von 12.500/cm². Am 8. Versuchstag betrugen
die Zellzahlen der Kontrollen zwischen 340.000/cm² und 420.000/cm²
und unter RA-Einfluß 130.000/cm² bis 170.000/cm², was einer
Abnahme von bis zu 70% entspricht.
Beim Vergleich dieser Ergebnisse muß berücksichtigt werden,
daß MELINO et al. 1992 mittels Trypan-Blau Färbung bei der Zählung
die abgestorbenen Zellen ausschließen konnten.
Kritisch bewertet werden müssen auf diese Weise die hohen Ausgangszellzahlen,
die bei den untersuchten Zellinien aber unumgänglich waren, um nach
6 bis 8 Tagen eine Zelldichte zu erreichen, die im CD44 Mikro ELISA auswertbar
war. Versuche, die mit geringeren Ausgangszellzahlen durchgeführt
wurden, waren vielfach nicht verwertbar.
Der reproduzierbare Wachstumsrückgang bei Gliomzellen unter RA-Einfluß
nach 8 Tagen spricht für die Aussagekraft der berechneten Zellzahlen.
Das BCA Protein-Assay ermöglicht also sowohl die Bestimmung des
Proteingehaltes jeder Vertiefung als auch Rückschlüsse auf die
tatsächliche Zellzahl ohne Berücksichtigung der Vitalität.
Korrigiert man nun die optischen Dichten der im CD44 Mikro-ELISA gemessenen
Werte, indem man sie durch den Proteingehalt oder die errechnete Zellzahl
dividiert, läßt man folgendes wichtige Ergebnis außer
Acht:
Der Proteingehalt, bzw. die errechnete Zellzahl steigen proportional
zur ausgesäten Zellzahl linear an, wohingegen die CD44 Expression
logarhithmisch ansteigt (Abb. 2, 3. und Abb. 19). Zur endgültigen
Bewertung der CD44-Expression der Zellen muß also ein Korrekturfaktor
in die Messung mit einbezogen werden, der dies berücksichtigt.
Bei der Analyse dieser Ergebnisse wäre interessant zu klären,
warum die CD44 Expression mit zunehmender Zellzahl nicht linear ansteigt,
sondern einer Sättigungskinetik entspricht (Abb. 19). Es lassen sich
folgende Hypothesen aufstellen:
Ein weiterer Punkt, der zur Beurteilung der Ergebnisse in Betracht
gezogen wurde, ist die mögliche Maskierung des Oberflächenantigenes
CD44 durch von den Tumorzellen sezernierte Hyaluronsäuren (ARUFFO
et al. 1990; KNUDSON & KNUDSON 1991).
CD44 sowie andere Oberflächenantigene können nämlich
von Hyaluronaten maskiert werden. Einige Zellinien sezernieren endogen
produzierte Hyaluronate. So wurden einige Versuche nach Vorbehandlung mit
Hyaluronidase ausgewertet, um diesen Effekt auszuschließen, und eventuell
das Oberflächenantigen maskierende Hyaluronate enzymatisch aufzulösen
(LESLEY et al., 1990a; ASHER & BIGNAMI, 1992) (Vgl. 2.3.5.). Da auf
diese Weise ausgewertete Experimente aber zu den gleichen Ergebnissen wie
Versuche ohne Hyaluronidasebehandlung führten, kann davon ausgegangen
werden, daß die untersuchten Zellinien keine endogenen Hyaluronate
sezernieren, die das Oberflächenantigen maskieren.
Zu diskutieren ist auch der Einfluß von proteolytischen Enzymen,
wie z.B. Trypsin auf die Darstellung des Oberflächenantigenes CD44.
Von CD44 wird durch Trypsin nämlich ein 65kDa-Fragment abgespalten
(TROWBRIDGE et al., 1982).
In vorliegenden Experimenten kann ausgeschlossen werden, daß
CD44 durch Trypsinierung zerstört wird, da die Zellen auf den 96er
Mikrotiterplatten nicht passagiert wurden und somit nicht mit dem Enzym
in Berührung kamen.
Schließlich mußte bei den Versuchen der proliferationshemmende
Effekt von Alkohol ausgeschlossen werden, da die höchste angewendete
RA Konzentration immerhin einen Alkoholanteil von 1 Vol.% mit sich brachte.
So wurden Kontrollreihen mit und ohne Alkohol ausgewertet und zusätzliche
Versuche mit einer
RA-Lösung ohne Alkohol durchgeführt, die den Einfluß
von Alkohol auf die Versuche ausschließen konnten. Bei der Zellinie
SK-N-SH kamen nur Versuche zur Auswertung, die in alkoholfreien RA-Ansätzen
durchgeführt wurden, da diese Zellinie auf Alkoholzusatz reagiert
(LUO & MILLER, 1997). Die untersuchte Neuroblastomzellinie Sk-N-SH
zeigte eine gering signifikante Abnahme der Zellproliferation unter Einfluß
von Alkohol um maximal 11%.
Bei der Interpretation der Ergebnisse ist zu beachten, daß es sich um mehrfach passagierte Zellinien handelt, welche in Zellkultur dedifferenzieren und sich verändern, verglichen mit Zellen in vivo. So ist z.B. bei Langzeitkulturen gar nicht sicher, ob die CD44 Expression die gleiche wie die der Anfangskulturen ist (HEIDER et al., 1993). Bei Zellen in Kultur werden außerdem die vielfältigen Reaktionen von CD44 mit der extrazellulären Matrix nicht berücksichtigt (FIDLER, 1990; SCHUBERT, 1992; LESLEY et al., 1992; ASLAKSON & MILLER, 1992), die sich ebenfalls auf die CD44 Expression im Rahmen der Differenzierung auswirken könnten. Um die CD44 Expression von Tumorzellen zu bewerten, kommt der Auswahl der experimentellen Modelle eine bedeutende Rolle zu (FIDLER, 1990; RETTIG, 1992).
Retinsäure ist bekanntlich ein Differenzierungsagens (SPORN & ROBERTS, 1983). In dieser Arbeit sollte vor allem ihr Einfluß auf die CD44-Moleküldichte an der Zelloberfläche untersucht werden, so daß zu erörtern ist, in welcher Weise CD44-Expression mit Differenzierung zusammenhängt.
CD44 ist ein Zelloberflächenmolekül, das an Adhäsions- (CARTER & WAYNER, 1988) und Migrationsvorgängen (FAASSEN et al., 1992) beteiligt ist. Betrachtet man die drei Aktivierungszustände von CD44 bei der Lymphopoese, erhebt sich die Frage, ob ein Verlust des Oberflächenmoleküles oder die Expression desselben ein Schritt in Richtung höherer Differenzierung bedeutet. Nach den Angaben von TROWBRIDGE et al. (1982), HORST et al. (1990a,b) und LYNCH & CEREDIG (1989) könnte ein Modell für die Differenzierung von der Progenitorzelle zu aktiven T Lymphozyten folgendermaßen aussehen:
Abb. 23 | Modell der Lymphozytendifferenzierung und Ausreifung zur CD44 Expression. |
Aus diesem Modell ist nicht ableitbar, ob CD44-Expression mit höherer
oder niedrigerer Differenzierung korreliert.
Mit Bezugnahme auf die heutigen Modelle zur Metastasierung als mehrschrittigem
Prozeß (SCHIRRMACHER, 1985; FIDLER, 1990; BLOOD & ZETTER, 1990),
könnten des weiteren sowohl verstärkte, als auch verminderte
CD44 Expression als Differenzierung gewertet werden. So beschreiben GROSS
et al. (1995) eine Verbindung von Zunahme der CD44 Expression und Differenzierung
bei Neuroblastomzellen. Zu beachten ist auch, daß ein Zusammenhang
zwischen Tumordifferenzierungsgrad und CD44-Expression kontrovers diskutiert
wird. RADOTRA et al. (1994) konnten keine Korrelation zwischen CD44-Expression
und Dignitätsgrad von Gliomen feststellen. Dies steht im Gegensatz
zu den Ergebnissen von KUPPNER et al. (1992), wonach bei malignen Gliomen
eine stärkere CD44 Expression als bei den benignen Tumoren beschrieben
wird.
Viele Autoren bringen CD44 Expression mit niedriger Differenzierung
und Invasivität in Verbindung (z.B. KUPPNER et al., 1992; NAGASAKA
et al., 1995). Ein Zusammenhang zwischen invasivem Wachstum und CD44 Expression
läßt sich auch deshalb annehmen, weil für die Metastasierung
und Invadierung Migrationsvorgänge im extrazellulären Raum und
durch Basalmembranen nötig sind (BLOOD & ZETTER, 1990). Da Hyaluronate
in der Umgebung von Basalmembranen anwesend sind (UNDERHILL, 1989), sind
Interaktionen mit dem Reaktionspartner CD44 zu erwarten. Es wird diskutiert,
daß Kontakt zwischen Zelloberflächenrezeptoren und Komponenten
der extrazellulären Matrix mit deren nachfolgender Degradierung ein
essentieller Faktor für die Migration und Invasion sei (LIOTTA, 1986,
1991; BLOOD & ZETTER, 1990; VAN ROY & MARCEL, 1992).
CD44-Expression allgemein als Anzeichen hoher Differenzierung zu bewerten,
erscheint nach heutigem Kenntnisstand und insbesondere aufgrund der vorliegenden
Daten nicht wahrscheinlich.
Neuroblastome und Gliome reagieren unterschiedlich auf den Einfluß
von Retinsäure. Dies wurde auch durch die Ergebnisse der vorliegenden
Untersuchungen deutlich.
Die Neuroblastomzellen reagierten auf den Differenzierungsreiz mit
verstärkter CD44 Expression, etwa gleichbleibender Proliferation und
lichtmikroskopisch beobachtbarer neuronaler Differenzierung, wie Dendritenwachstum
und Verschiebung der Kern-Plasma-Relation zugunsten des Zytoplasma.
Bei den Gliomen blieb die CD44 Expression etwa gleich, unabhängig
von der RA Konzentration; die Proliferation nahm bei 4 von 6 Gliomzellinien
unter RA Einfluß ab. Morphologisch war kaum eine Differenzierung
zu erkennen.
Unter Zugrundelegung dieser Ergebnisse und unter Berücksichtigung
der Literaturangaben sollen Unterschiede von Neuroblastomen und Gliomen
herausgearbeitet werden, die unabhängig vom RA-Einfluß bestehen.
Beide sind neuroepithelialer Herkunft, wobei Neuroblastome Tumoren
des sympathischen Nervengewebes und Gliome Tumoren der Neuroglia sind.
So entstehen Neuroblastome extrakraniell (35% in der Nebenniere, 20% in
abdominalen Ganglien und 15% in thorakalem Nervengewebe) und Gliome intrakraniell
im ZNS.
Ein Unterschied im biologischen Verhalten ist die Fähigkeit zu
metastasieren, die bei Neuroblastomen vorhanden ist. Sie metastasieren
in Leber (z.B. KUWASHIMA, 1997), Haut, Knochen und auch generalisiert.
Bei Gliomen spielen Migration und lokal infiltratives Wachstum eine wesentliche,
wenn auch nicht die entscheidende Rolle und nicht die Metastasierung.
Im Zusammenhang mit Differenzierung, aber auch mit der phänotypischen
Einordnung von Zellinien, wurden neben CD44 auch andere Zellmembran-Antigene
und Rezeptoren beschrieben. Bei Neuroblastomen wurden HLA Klasse I Antigene
und CD56 beschrieben (GROSS et al., 1995). An Oberflächenantigenen
wurden auch Neuroblastom-Tumorganglioside (NBTG) beschrieben (NAGAI, 1995;
FANG et al., 1997), sowie das neuritogene Gangliosid GQ1B (NAGAI, 1995).
SADEE et al., 1987 untersuchten die Expression von Neurotransmitterrezeptoren
wie den d-opioid und den muskarinisch-cholinergen
Rezeptoren bei Subklonen des humanen Neuroblastoms SK-N-SH.
Auch bei Gliomen wurden neben CD44 viele andere unterschiedliche Oberflächenantigene
beschrieben (WIKSTRAND et al., 1983).
BILZER et al. (1991) untersuchten GFAP, S1oo Protein, Leu 7, GAA, Rezeptoren
für epidermalen Wachstumsfaktor (EGFr), nerve growth factor (NGFr)und
Transferrin Rezeptoren bei verschiedenen Gliomzellinien. Verschiedene Arbeiten
beschreiben Tumorganglioside bei Gliomen, z.B. die Ganglioside Tenascin,
GP240, 3´,6´-iso-LD1, EGFr VIII (KURPAD et al., 1995) und ferner
die Gliomaassoziierten Antigene (GAA) GM2, GD2, GD3 und EGFr V (WIKSTRAND
et al., 1992).
Die kleine Auswahl an hier aufgezählten Oberflächenantigenen
und Zelloberflächenrezeptoren von Neuroblastomen und Gliomen soll
einen Einblick in die Verschiedenartigkeit der untersuchten Tumoren geben.
Dies macht verständlich, daß ein Zusammenhang mit vielen anderen
Faktoren gesehen werden muß, um unterschiedliches Verhalten neurogener
Tumoren auf Differenzierungsreize erklären zu können.
Eine weitere Frage ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, nämlich,
ob sich für Neuroblastome und Gliome in der extrazellulären Matrix
unterschiedliche Reaktionspartner finden und von diesen beeinflußt
werden.
Von Neuroblastomen wurde Adhäsion an Fibronektin, Vitronektin,
Laminin, Kollagene (FANG et al., 1997; KUWASHIMA et al., 1997), Chondroitinsulfat-6,
-4 und Hyaluronsäure (REICHARD-BROWN & AKESON, 1983) beschrieben.
Bei Gliomen sind die extrazellulären Substanzen Hyaluronsäure,
Chondroitinsulfat, Fibronektin, Laminin und Kollagen IV wichtige Reaktionspartner
(RADATORA et al., 1994). So lassen sich diesbezüglich keine bedeutenden
Unterschiede zwischen den beiden Tumorgruppen darstellen.
Da die meisten der genannten Extrazellularsubstanzen auch typische
Bestandteile von Basalmembranen sind, kommen sie in fast allen Geweben
zusammen vor. Die Extrazellularsubstanzen Laminin und Fibronektin werden
nämlich sowohl in der Nebenniere (FEIGE et al., 1998), einem möglichen
Ursprungsgewebe von Neuroblastomen, als auch im Gehirn (RADATORA et al.,
1994), dem Ursprungsgewebe von Gliomen, beschrieben. Der Einfluß
von Laminin auf die Invasivität von Gliomen wird kontrovers diskutiert
(RADATORA et al., 1994 ggü. CHINTALA et al., 1996). Ein weiterer Hinweis
dafür, daß die Bindungspartner von Zelladhäsionsmolekülen
ubiquitär vorkommen und in ihrer qualitativen Zusammensetzung keine
Rückschlüsse auf unterschiedliches Migrationsverhalten von Neuroblastomen
und Gliomen zulassen, ist die Tatsache, daß Laminin, Fibronektin
und die meisten Kollagene sowohl in der Leber (AMENTA & HARRISON, 1997)
als auch, wie zuvor erwähnt, im Gehirn vorkommen. Eventuell könnte
die quantitative Zusammensetzung der einzelnen Substanzen im jeweils betrachteten
Organgewebe für Unterschiede in biologischem Verhalten von Neuroblastomen
und Gliomen eine Rolle spielen.
Das biologische Verhalten von Gliomen und Neuroblastomen unter Einfluß
von Retinsäure wurde wiederholt untersucht (Tab. 4). Zahlreiche Studien
befassen sich mit dem Einfluß von Retinsäure auf Neuroblastome
und verschiedene Neuroblastomzellinien. Bei der Untersuchung der Wirkung
von RA auf Gliome und Gliomzellinien konnten ähnliche Befunde wie
bei den Neuroblastomen erhoben werden (Tab. 4). Die Ergebnisse dieser Studien
können wie folgt zusammengefasst werden:
Insgesamt sprechen die Ergebnisse für RA induzierte Differenzierung.
Tab. 4 | Übersichtliche Darstellung der RA-Wirkung auf Neuroblastome und Gliome unter Berücksichtigung verschiedener Parameter. |
Retinsäure-Einfluß | Neuroblastome | Gliome |
Proliferationshemmung und Rückgang des Tumorwachstums | SEEGER et al., 1982
GROSS et al., 1995 |
RUTKA et al., 1988
MELINO et al., 1992 MAGRASSI et al., 1995 |
neuronale Differenzierung | SEEGER et al., 1982
ROBSON & SIDELL, 1985 |
STELLER et al., 1996
DIRKS et al., 1997 |
Einfluß auf Zelladhäsionsmoleküle und Oberflächenrezeptoren | ![]() ![]() ![]() GROSS et al.,1995; ![]() Beeinflussung der Aktivität von Tyrosinkinasen (Trk A,B,C) z.B. LUCARELLI et al., 1995 |
Zelladhäsion: REBOUL et al., 1990
![]()
|
Beeinflussung von intrazellulären, zytoslischen Vorgängen | ![]() PENCE & SHORTER, 1992 ![]()
|
![]()
|
Veränderungen auf molekulargenetischer
Ebene
|
![]() ![]() ![]() DE LAURENZI et al., 1993
|
![]() Modulation von RNA bindenden Proteinen (HuDmRNA): STELLER et al., 1996
|
Veränderte Expression von Wachsumsfaktoren | ![]() ![]() ![]()
|
![]() ![]() ![]() ![]()
|
Die morphologischen Veränderungen von Neuroblastomzellen konnten
im Sinne neuronaler Differenzierung lichtmikroskopisch bestätigt werden
(Abb. 8 und 9). Auch die Ergebnisse hinsichtlich der vermehrten Expression
des Zelloberflächen-Adhäsionsrezeptors CD44 stehen mit den in
der Literatur angegebenen Daten in Einklang. Lediglich eine Proliferationshemmung
bzw. ein Wachstumsrückgang konnte bei der Neuroblastomellinie SK-N-SH
im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht gezeigt werden.
Von Interesse ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß bei
4 der 6 untersuchten Gliomzellinien ein Proliferationsrückgang festgestellt
wurde. Morphologische Veränderungen unter RA Einfluß wurden
nicht beobachtet. Ferner wurde die Expression von CD44 unter RA-Einfluß
bei keiner der untersuchten Gliomzellinien signifikant beeinflußt.
Zwei der Gliomzellinien (88 HG-14 und 87 HG-28) blieben von RA sowohl
bezüglich Proliferation und Struktur, als auch bezüglich der
CD44 Expression unbeeinflußt. Auch die Melanomzellinie Mel/JuSo,
von einer wenig signifikant verminderten CD44 Expression abgesehen, reagierte
nicht auf die RA-Behandlung.
Zur Klärung der unterschiedlichen Reaktion der Zellen auf RA-Exposition
wäre in diesen Zellkulturen eine Untersuchung der Rezeptoren des Zytosols
und des Zellkernes für RA (RAR, RXR, CRABP) hilfreich. Das Fehlen
von RA-Rezeptoren könnte eine Erklärung dafür sein, daß
RA-Behandlung bei einigen Zellinien zu keinen meßbaren Reaktionen
führte. Bei der Zellinie TE671 wird als mögliche Begründung
für die geringe Reaktion auf RA, das Fehlen von RA-Rezeptoren diskutiert
(MORK et al., 1986). Überträgt man die Untersuchungen der Zellen
von in vitro auf in vivo Verhältnisse, wäre die Abwesenheit von
für die RA-Aufnahme und Metabolisierung notwendigen Membran- und Kernrezeptoren,
beziehungsweise zytosolischer RA-bindender Proteine (CAMBON, 1996), eine
mögliche Erklärung für das unterschiedliche Verhalten. Wie
MAGRASSI et al. (1993) zeigten, werden die Kernrezeptoren für RA (RAR,
RXR) von Hirntumoren in verschiedenem Maße exprimiert.
Von SPORN & ROBERTS (1983) wurde RA als "exogenes Hormon" bezeichnet.
Im Zusammenhang mit dieser Bezeichnung ist von Interesse, daß bei
der Therapie von Mammakarzinomen einige Tumoren rezeptorvermittelt auf
Östrogene reagieren und andere nicht (CHUA et al., 1985; LIPPMANN
& DICKSON, 1989). Da die Kernrezeptoren für RA der Familie der
Schilddrüsen- und Steroidhormone (STRS) zugeordnet werden können
(EVANS, 1988), könnte man möglicherweise sogar Hirntumoren in
RA-Rezeptor positive bzw. RA-negative einteilen, was nicht zuletzt sogar
therapeutische Konsequenzen haben könnte. Dies insbesondere deshalb,
weil die bisher beschriebenen Behandlungsversuche von Gliomen mit all-trans-
und 13-cis- Retinsäure unterschiedlich erfolgreich waren (YUNG et
al., 1996; KABA et al., 1997; DEFER et al., 1997; PHUPHANICH et al., 1997).
Betrachtet man die zur Zeit angewendeten Therapiemöglichkeiten
insbesondere der hier untersuchten Tumoren in vivo, erscheinen als Hauptproblem
die Nebenwirkungen, die aufgrund der unspezifischen Wirkungsweise von Bestrahlung
und Chemotherapie das gesunde Gewebe schädigen. Da Medulloblastome,
Neuroblastome und auch einige Gliome häufige Tumoren im Kindesalter
sind, und der kindliche Organismus besonders empfindlich auf toxische Substanzen
und Bestrahlung reagiert (TOMLINSON et al., 1992), erscheint die Forderung
nach tumorspezifischer Therapie besonders dringlich (STAVROU, 1990; HALL
& FODSTAD, 1992).
Eine vielversprechende Möglichkeit wäre die Koppelung von
Immunotoxinen an Antikörper (HALL & FODSTAD, 1992). Bei CD44 ist
dabei die heterogene Expression ein mögliches Hindernis, zumal das
Oberflächenantigen auch in gesundem Gewebe nachweisbar ist (HAYNES
et al., 1989).
Für eine genauere Einschätzung der Prognose von Hirntumoren
wird verstärkt nach phänotypischen Merkmalen gesucht. Auch hier
kann CD44 eine Rolle spielen, wie FAVROT et al. (1993) und GROSS et al.
(1995) zeigten. So wären möglicherweise auch Aussagen über
Differenzierung und Therapieverlauf möglich. Nach den bisher vorliegenden
Daten kann allerdings die Richtung der RA-induzierten Differenzierung bei
Tumorzellen noch nicht abschließend bewertet werden.
In der vorliegenden Studie wurde die Wirkung von Retinsäure
auf die CD44 Expression und die Struktur von humanen Gliomzellinien und
anderen Hirntumorzellinien systematisch untersucht. Die CD44 Expression
wurde mittels CD44 Mikro-ELISA und die Zellprolifertion anhand eines BCA-Protein
Assay abgeschätzt.
Die erzielten Daten zeigen, daß die Zellinien neurogener Tumoren
des Menschen unterschiedlich auf den Einfluß von Retinsäure
reagieren. Bei Neuroblastomzellen konnte die CD44 Expression durch Retinsäure
um mehr als 38% gesteigert werden. Hingegen eine Steigerung der CD44 Expression
bei Gliomen, Medulloblastomen und Melanomen durch Retinsäure wurde
nicht beobachtet. Bei der Medulloblastomzellinie nahm die CD44 Expression
unter Einfluß von Retinsäure sogar ab (17%).
Auch bezüglich der Zellproliferation reagierten die Tumoren unterschiedlich
auf den Einfluß von 8tägiger Kultivation in 10 µM/l Retinsäure.
So wiesen die Gliomzellinien 87 HG-31 (62%), 85 HG-63 (37%), 85 HG-66T6
(33%) und 86 HG-39 (31%) Proliferationsrückgänge zwischen 31%
und 62% auf. Die Proliferation der Gliomzellinien 87 HG-28 und 88 HG-14
blieb von Retinsäure unbeeinflußt. Die Proliferation der Medulloblastomzellinie
ging in RA-haltigem Medium um 22% zurück.
Bei der Melanomzellinie und der Neuroblastomzellinie konnte kein signifikanter
Proliferationsrückgang festgestellt werden.
Strukturelle Veränderungen der Zellen ließen sich nur bei
der Neuroblastomzellinie lichtmikroskopisch beobachten. Die Neuroblastomzellen
bildeten unter Retinsäureeinfluß neuritenähnliche Fortsätze
aus, die Kern-Plasma-Relation verschob sich zugunsten des Zytoplasmas.
Bei den anderen Zellinien ließen sich lichtmikroskopisch keine
strukturellen Veränderungen unter RA-Einfluß beobachten.
Die meisten der hier untersuchten Hirntumoren wiesen unter Einfluß
von all-trans-Retinsäure entweder Merkmale von Differenzierung oder
nur von Regression auf, so daß die antiproliferative und differenzierende
Wirkung dieser Substanz bestätigt werden kann. Nach dem bisherigen
Stand der Literatur und nach der vorliegenden Untersuchung kann nicht abschließend
bewertet werden ob die RA-induzierten strukturellen Zellveränderungen
und die CD44-Expression als Indiz einer Differenzierung oder einer Entdifferenzierung
bei Tumorzellen bewertet werden können.