4.0 Ergebnis und Ausblick

Das in dieser Abhandlung gewonnene Verständnis zur Psychodynamik Ernst Ludwig Kirchners bietet als interdisziplinärer Ansatz verschiedenen Fachgebieten weiterführende Anregungen.

Die beschriebene enge Verbindung von Narzißtischer Persönlichkeitsstörung, Suizidalität und künstlerischer Arbeit verdeutlicht die zentrale Stellung, die das narzißtische Selbstwerterleben in der Genese von Suizidalität einnimmt, anhand einer konkreten Biographie und stellt gleichzeitig die Bedeutung kreativer Schöpfungsprozesse als Form einer psychodynamischen Abwehr vor weiterer Regression und als Mittel zum Erhalt narzißtischer Zufuhr heraus. Beide Funktionen bedingen die protektive Eigenschaft künstlerischen Schaffens im Rahmen suizidaler Entwicklungen wie sie beispielsweise kunsttherapeutisch in der Suizidprävention Anwendung findet.

Das Vorliegen einer Narzißtischen Persönlichkeitstsörung bei Kirchner kann darüber hinaus als exemplarisch auch für andere Künstler angesehen werden, weswegen aus den entwickelten psychodynamisch-genetischen Hintergründen grundlegende Erkenntnisse zu den psychoanalytischen Faktoren künstlerischer Arbeit und damit des kreativen Aktes allgemein gewonnen werden können.

Es zeigte sich wie gerade die Ansätze der Objektbeziehungstheorie das Kunstschaffen als Kommunikationsform mit internalisierten Objekten verstehbar machen, so daß diese Kunst einerseits von in dem Fundus der Kunstgeschichte bereits vorhandenen Kunstwerken, deren Selektion ebenfalls schon psychodynamisch motiviert erfolgt, beeinflußt wird, diese quasi wie ein ebenfalls internalisiertes Sozialisationssystem wirken, andererseits sich in der künstlerischen Arbeit die subjektive Welt der ureigensten Dynamik des Künstlers manifestiert. Gerade an Ernst Ludwig Kirchners narzißtischer Problematik wird dies besonders deutlich.

Ergänzend zu diesen allgemeinen Implikationen zu den psychischen Grundlagen schöpferischer Prozesse erlauben die Ergebnisse dieser Arbeit aber auch eine ganz konkrete Erweiterung der kunsthistorischen Iinterpretationsansätze zum Werk Kirchners, deren möglicher Umfang hier nur anzudeuten war.

Zuletzt bliebe zu hinterfragen, was die Wirkung der Kunst Kirchners auf den Betrachter ausmacht, der möglicherweise von der extremen Ausgestaltung der letztlich jedem Menschen in seinem Selbstwerterleben zueigenen narzißtischen Thematik angesprochen wird, hierbei auf eine, da immer in der Realität verhaftet, verstehbare Kunst, deren Ästhetik eine Projektionsfläche für eigene Größenphantasien bietet, andererseits aber nicht davor zurückschreckt, tiefe Ängste schonungslos offenzulegen.