3.4.2. Psychodynamische Verstehensansätze zur Kunst Ernst Ludwig Kirchners

„Die Kunst Ernst Ludwig Kirchners ist das aufgezeichnete Tagebuch seines Lebens.“[1]

Unter diesem von kunsthistorischer Seite wiederholt geäußerten Blickwinkel kann unter der gestaltpsychologischen Prämisse, daß der „kreative Prozeß ... ein Licht darauf wirft, welche psychische Konstellation, welcher Konflikt oder welche unbefriedigten Wünsche zu einer bestimmten Darstellung führen“[2], geschlossen werden, daß sich die psychische Konstellation des Künstlers zum Zeitpunkt der Entstehung des Kunstwerks in bestimmten Einflüssen auf eben dieses Kunstwerk äußern muß. Die bereits aus der Psychodynamik Ernst Ludwig Kirchners gewonnenen Ansätze hierzu[3] werden im folgenden zusammengestellt.

In der kunsthistorischen Forschung haben die Stilentwicklungen in Kirchners Kunst umfassend und detailliert auf Vorbilder anderer Künstler zurückgeführt werden können, auch wenn er selbst jeglichen Einfluß mit aller Vehemenz abgestritten hat[4]. Ein Überblick über die wesentlichen Anregungen soll ermöglichen, im weiteren Verlauf Beeinflussungen von Seiten der Psyche von diesen abgrenzen zu können:

Den noch im Jugendstil verhafteten Anfängen[5] schließt sich ein Stilwandel unter dem Eindruck der Spätimpressionisten[6] und van Goghs[7] an, gefolgt von Gauguin[8] und Munch[9], zum Teil auch Cézanne[10], bevor sich der Einfluß der Fauves[11] unter Führung von Matisse[12] niederschlägt. Der hieraus entspringende Höhepunkt des gemeinsamen Brückestils[13] entwickelt sich neben einer Phase der engen Zusammenarbeit mit Otto Müller[14] durch die Aufnahme von Einflüssen aus afrikanischer[15] und indischer[16] Kunst weiter, begleitet von kubistischen[17] und futuristischen[18] Stilelementen.

Insgesamt läßt sich die stilistische Entwicklung der Kunst Kirchners sicher bis 1910[19], in weiten Teilen bis 1913 von kunsthistorischer Seite recht lückenlos plausibel herleiten, auch wenn dies von Kirchner später rundherum abgestritten wurde[20]. Beispielhaft sei hier auf Munch und van Gogh verwiesen, von denen Pechstein überlieferte: „Stolz fühlten wir [die Brücke-Künstler] uns als Träger einer Mission, dem Holländer van Gogh, dem Norweger Munch in der Kunst verwandt“[21] , ebenso wie auf Matisse, von dessen Ausstellung 1909 Kirchner so beeindruckt gewesen war, daß er ihn als Mitglied für die Brücke hatte gewinnen wollen[22].

Offen bestätigt eine von Fehr überlieferte Äußerung Noldes, daß die Feststellung Kernbergs, eine narzißtische Persönlichkeit müsse entweder „von anderen klauen oder entwerten“[23], auch auf Kirchner zutraf. Nolde habe den Eindruck gehabt, „daß sie [die anderen Brücke-Künstler] ihn kopierten und aus seiner Kunst unliebsamen Gewinn zögen.“[24] Er trat daraufhin bereits 1908 wieder aus der Brücke aus.

Noch deutlicher zeigt sich dieses Verhalten Kirchners in seinem Anspruch, er habe den Begriff der Hieroglyphe als künstlerisches Stilmittel erfunden. Daß es Liebermann war, der diesen Begriff einführte, ist belegt[25], weswegen es schon grotesk anmutet, wenn Kirchner in seinem Tagebuch behauptet: „Die neue, meine Hieroglyphe z.B., die Liebermann so schon aus de Marsalles Aufsatz abschrieb.“[26] Offen projiziert er hier seine eigene Handlung auf den letztlich Bestohlenen.

Auf Kirchners massive Entwertungen seiner künstlerischer Kollegen wurde ausgiebig eingegangen[27].

In dem Aufgreifen künstlerischer Anregungen, die dann als die eigenen Erfindungen ausgegeben werden, findet sich ein Niederschlag von Kirchners Persönlichkeitsstruktur auf seinen stilistischen Werdegang bis 1910, partiell auch bis 1913[28]. Es leuchtet ein, daß sich bei ihm Stil und Thema der Kunst vor diesem Hintergrund völlig unabhängig voneinander entwickeln[29].

Auch in den Inhalten seiner Kunst spiegeln sich Anteile von Kirchners Psychodynamik.

Dies betrifft die auffallende Umweltbezogenheit der Bilder, die ihrer Aufgabe als Kontaktaufnahme zur Umwelt aus sicherer Distanz entspringt[30], ebenso wie die Thematik der damals gelebten und in der Kunst eingefangenen Gegenwelt gegen gesellschaftliche Zwänge und damit gegen das internalisierte Objekt des strengen Vaters[31], wie sie am augenfälligsten in den zahlreichen Aktdarstellungen der Zeit eingefangen ist, besonders in denjenigen, in denen der „nackte Mensch ... als Teil der Natur vollkommen in dieselbe integriert“[32] wird.

Mit Beginn der ersten suizidalen Krise Kirchners läßt sich neben einer Steigerung des Kunstschaffens[33], ein schrittweiser Wandel in den Inhalten seiner Kunst beobachten, die unvermittelt einer deutlichen Spaltung unterliegen[34].

Mit dem Umzug nach Berlin, dem Ort, an dem sich das Ausbleiben des künstlerischen Erfolges zur narzißtischen Krise ausweiten sollte[35], ändert sich die Darstellung der Großstadt von ihren den Landschaftsdarstellungen verwandten, „idyllischen Seiten“[36] hin zur Konzentration auf „die fast bedrohliche Monumentalität der Großstadtarchitektur“[37]. Wie immer steht auch jetzt im Zentrum seiner Kunst der Mensch[38]. Den Darstellungen des nackten Menschen in der arkadischen, gesellschaftsfreien Natur mit ihrem Höhepunkt in den Fehmarnbildern[39] steht der seiner Natürlichkeit beraubte, anonyme Mensch in der Großstadt gegenüber. Dube führt aus: „Diese Gleichzeitigkeit kann nicht zufällig sein. Im Gegenteil, beide Themen scheinen einander zu bedingen als entgegengesetzte Möglichkeiten des Seins und Verhaltens. Der nackte Mensch in der Landschaft reflektiert als Ideal die Einheit im Natürlichen, der Mensch in den Straßen der Großstadt zeigt seine Entfremdung, sein Unbehaustsein.“[40]

Durch die Projektion der psychodynamischen Spaltung in seine Kunst läßt sich über einen Zeitraum hinweg das Bedrohliche[41] bannen, und gleichzeitig kann die Gewißheit an die weitere Existenz der paradiesischen Einheit von Mensch und Natur aufrechterhalten werden.

Auch in der stilistischen Verarbeitung beider Gegenwelten finden sich zumindest anfangs Differenzen, wenn in den Bildern der Natur, die zum Teil in das ebenfalls als geschützter Raum fungierende Atelier übertragen werden[42], formal „die gerundeten natürlichen Landschaftsformen“[43] dominieren und farblich die „Zusammengehörigkeit von Mensch und Natur ... durch die einheitlich orangene Farbgebung betont“[44] wird. Im Gegensatz dazu charakterisiert die Bilder der Großstadt eine „komplizierte Flächenstruktur von V-, A-, Z-, N- und M-Formen“[45], die schließlich in das „Nervöse, Beunruhigte und Gefährdete des späten Berliner Stils“[46] mündet, dessen Farbzusammenstellung in Nachbarfarben „beißend, roh und elektrisierend“[47] wirkt. Von 1914 an fließen diese in Berlin entwickelten Stilmerkmale auch in seine späten Fehmarnbilder ein.[48] Der stilistische Ausdruck des Bedrohlichen greift über auf das Paradies.

Noch tiefgreifender offenbart sich die Spaltung in Kirchners Frauenbild, das eng mit den Gegenwelten Natur und Stadt verknüpft ist, und schließlich auch in seinen Selbstbildnissen.

War die in die Natur eingebundene ideale Frau anfangs das frei verfügbare Sexualobjekt, das nach Belieben körperlich geliebt[49], gezeichnet[50] und dann auch einfach verlassen werden konnte[51], durch das sowohl unbewußte ödipale Verschmelzungswünsche ebenso wie die provozierende Gegenwelt gegen den Vater[52] ausgelebt werden konnte, wechselte dieser Idealtypus mit dem Beginn der Krise hin zu dem nahezu asexuell wirkenden androgynen „Kameraden auch geistig“[53], im realen Leben Kirchners versinnbildlicht durch den Wechsel von Dodo zu Erna. Dieser Kamerad warf die der Mutterimago entspringenden bedrohlichen weiblichen Anteile[54] ab und kam dem positiven internalisierten väterlichen Objekt[55] nahe, was das gleichzeitige Interesse Kirchners an homosexuellen Partnerschaften[56] erklärt ebenso wie die Faszination an den sexuell noch wenig bedrohlichen Kindfrauen Fränzi und Marzella, zu denen Manteuffel bemerkt: „Nur Kinder zeichnete er [Kirchner] - ganz selten - lachend.“[57]

Diesem neuen Idealtypus gegenüber stand die Darstellung einer auf das Sexuelle reduzierten Weiblichkeit - wobei ein Zusammenhang mit Kirchners eigener zum Erliegen gekommener Sexualität sich aufdrängt[58] - in Form der entindividualisierten Kokotten[59], als Ausdruck einer abgespaltenen Bedrohung. Aus voyeuristischer Ferne konnte der Künstler ihre sexuellen Absonderlichkeiten[60] notieren, die im Gegensatz zu der harmonischen freien Sexualität der Dresdener Zeit[61] standen, oder er konnte ihre Anonymität in leblos erstarrter Stilisierung[62] ins Bild bannen, jede emotionale Beteiligung vermeidend.[63]

„Von allen Brücke-Künstlern hat Kirchner am häufigsten Selbstbildnisse gestaltet“[64] - auch dies aus seiner narzißtischen Persönlichkeitsstruktur heraus verstehbar[65] -, die insbesondere in den sein ganzes Kunstschaffen durchziehenden Selbstbildniszeichnungen[66] „das psychographische Wesen seiner Kunst“[67] zum Ausdruck bringen. Zeigt er sich in seinen Selbstdarstellungen anfangs „als selbstbewußter fünfundzwanzigjähriger Jüngling in korrekt bürgerlicher Kleidung“[68], bleibt im weiteren Verlauf das zur Schau gestellte, auch sexuell intendierte Selbstbewußtsein[69] bildbestimmend, bis es unter der narzißtischen Krise zur Bloßstellung des in seiner Existenz bedrohten Künstlers kommt. Am Anfang steht das Selbstbildnis „Der Trinker“[70] von 1915, mit Kirchners Worten „durchaus kein für die Allgemeinheit verständliches und förderliches Bild“[71], also ein trotz des Stehens in der „französischen Tradition der Absinthtrinker“[72] eher existentiell, privat angelegtes Bild. Die Thematik der Krise steigert sich dann im „Selbstbildnis als Soldat“[73] mit abgehacktem Armstumpf in die „physische und psychische Unfähigkeit zu malen“[74] bis hin zur weitgehenden Bild- und damit Selbstauflösung im „Selbstbildnis zeichnend“[75] von 1916.

In Davos entstehen anschließend fragile, unsichere Selbstportraits[76] und solche von erneut selbstbewußter Inszenierung[77] nebeneinander. „Die Erscheinungsform des eigenen Antlitzes und der eigenen Gestalt wird von ihm bis zur Unkenntlichkeit verschieden wiedergegeben...“[78].

Doch nicht nur in der aufgezeigten Spaltung seiner Bildthemen findet sich ein Niederschlag der psychischen Krise in seiner Kunst. Parallel zu der zunehmenden Dekompensation unterliegt auch sein Stil Formwandlungen, die sich kunsthistorisch nicht herleiten lassen, und daher auch von kunsthistorischer Seite schon als „Psychogramm“[79] in einen Zusammenhang mit Kirchners Psyche gestellt wurden.

Schrittweise wird seine sich steigernde Unruhe und Nervosität begleitet von Stilelementen erhöhter Spannung in seinen Bildern, die zuletzt an den Rand völliger Auflösung gelangen. Folgt man beispielsweise Dube-Heynig, mündet in Kirchners Graphik eine Streckung der Proportionen[80] über ein die Blätter in gespanntem Rhythmus überziehendes Flechtwerk[81] in eine „letzte Steigerung in Stil und Ausdruck. Form und Farbe sprengen die Schwere der Bauten“[82] in seinen letzten Großstadtbildern vor dem psychischen Zusammenbruch, und „das Nervöse, Beunruhigte und Gefährdete des späten  Berliner Stils“[83] charakterisiert seine Radierungen, die zuletzt „durchsichtig und zerbrechlich“[84], wie in Auflösung erscheinen. Gleichzeitig treten in seinen aus „nervösen Pinselstrichen“[85] zusammengesetzten Gemälden „Elemente räumlicher Verschiebung“[86] auf. „Der Raum wird immer willkürlicher, Größenverhältnisse und Tiefenelemente werden verzerrt...“[87], Körper unterliegen einer „anonymen Geometrisierung[88] bis hin zu „anatomischer Verformung“[89], und zuletzt sind im Bild „keine zwei Linien mehr parallel“[90]. Die anfangs in der Auseinandersetzung mit den Ajanta-Wandmalereien bedingte stärkere Tonigkeit in der Farbwahl[91] wandelt sich ebenfalls zu einer „Steigerung dissonanter Farbeffekte ... [, die] die zunehmende innere Anspannung des Künstlers bis 1917“[92] mitbegleitet.

Schließlich charakterisiert diesen, nach Henze, „Erregungs- oder Stimmungs-Stil“[93] in seinen farblosen Zeichnungen des Sommers 1917 „etwas Halluzinatorisch-Überwirkliches“[94] „von höchster Nervosität und Bewegtheit“[95], und er geht über in die „Bildnisse jener Zeit, in denen der Gegenstand, von kalligraphischen Zeichen übersät, unterzugehen droht, so auch in dem >>Selbstbildnis im Morphiumrausch<<.“[96]

Parallel zu diesen Auflösungstendenzen im Stil zeigen sich während der Krisenphase in Kirchners Kunst auch Tendenzen zunehmender Geometrisierung. Es herrscht ein „Nebeneinander zweier unterschiedlicher Werkstrukturen, dem einerseits miniaturhaft wohlgeordneten Ganzen und dem andererseits [bereits vorgestellten] unkenntlichen Strichgefüge“[97], das Ketterer wie folgt erklärt: „Je stärker die psychischen Kräfte an Kirchner zerren und in seinem Werk zum Ausdruck kommen, desto konzentrierter und genauer, ja geometrischer wird sein Bildaufbau, um diesen zentrifugalen Kräften die zentripetalen eines regelmäßigen Kompositionsnetzes entgegenzusetzen.“[98] Dies deckt sich mit den Ergebnissen Baders, der zu der Bildgestaltung psychiatrischer Patienten feststellt: „Die Geometrisierungstendenz entspricht der Suche nach einer neuen Struktur und ist als Heilsvorgang aufzufassen, während die Auflösung der Form im psychotischen Umsturz, im Chaos verhaftet ist.“[99]

Wie weitgehend dieser Parallelstil von der psychischen Verfassung des Künstlers beeinflußt ist, zeigt sich an verschiedenen formalen Bildgestaltungsmerkmalen, wie sie in den Zeichnungen schizophrener Patienten, d.h. von Menschen mit weitestgehender Auflösung ihres Ichs, bei dem psychodynamischen Versuch einer Ich-Stabilisierung bspw. von Rennert beschrieben wurden[100]. Es überrascht keineswegs, daß diese Gestaltungsmerkmale bei Kirchner während seiner Zeit im Sanatorium Königstein im Taunus auftauchen, wo er einen geschützten Rahmen findet und erstmals „wieder Interesse an Darstellungen aus der freien Natur“[101], also seines verlorenen Arkadiens, entwickelt, wie das Fehmarn-Thema der Kohnstamm-Fresken bestätigt.

Um welche Gestaltungsmerkmale handelt es sich?

An den Taunuslandschaften, wie „Königstein und Eisenbahn“[102] fällt auf, daß „sich Burgen, Häuser, Eisenbahn und Menschen spielzeughaft klein“[103] verteilen, die Darstellung, wie bei Rennert beschrieben, nahezu „landkartenähnlich“[104] wirkt. „Das wichtigste Stilmerkmal ist die Winzigkeit der Landschaftselemente ... die sich zur Überschaulandschaft formieren, eine Sicht, die dem Künstler bislang fremd war.“[105] In „>Nervöse beim Diner< ... [erscheint] die Komposition gleichsam von oben gesehen, als typische Eigenart der Blätter vom Taunus, [angefüllt mit] vielteiligen und reichen Details...“[106], was auf eine ebenfalls nach Rennert „vertikale(n) Blickwinkelverschiebung“[107] und eine Tendenz zur „randvollen Überladung“[108] des Bildes hinweist, wie sie immer wieder als „horror vacui“[109] bei Kirchner beschrieben wird.

Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, daß das Vorliegen dieser Stilelemente bei Kirchner nicht als Hinweis auf eine schizophrene Erkrankung bei ihm zu verstehen ist, sondern sich hier vielmehr in dem Ausleben der zerfallenden wie der restrukturierenden psychischen Tendenzen in seiner Kunst ein Hinweis auf deren protektiven Charakter vor einer weiteren psychotischen Regression[110] ebenso wie vor einem Suizid bietet, es ihm nach Pöldinger als „kreativ Tätigem ... möglich ist, durch diese Tätigkeit ... [sein] Suizidpotential abzubauen“[111]. Gleichzeitig wird der Einfluß der Psyche auf seine Kunst in dieser Phase deutlich.

Auch die sich in Davos einstellenden Tendenzen erneuter psychischer Stabilisierung reflektieren sich in seiner Arbeit[112]. In der Malerei erinnert „die nervöse Pinselschrift ... noch an Bilder aus der Berliner Zeit, hingegen treten die einzelnen Farben frischer und weniger vermischt in Erscheinung.“[113] Kirchner selbst berichtet: „Ich glaube die Farben meiner Bilder bekommen ein neues Gesicht. Einfacher und doch leuchtender.“[114] „Die beruhigte, flächenbetonte Malweise deutet an, daß Kirchner in der ihn umgebenden bäuerlichen Bevölkerung mit ihrem regelmäßigen Lebensrhythmus auch selbst mehr innere Ruhe gefunden“[115] hat. Gleiches gilt auch z. B. für seinen Holzschnitt: „Die Blätter sind klar und übersichtlich aufgebaut, die Personen kontrastreich von ihrer Umgebung abgehoben. Es gibt kaum freie Flächen, der horror vacui ist gewichen, sogar Räumlichkeit wird wieder angedeutet.“[116] Ebenso kann „das ausgewogene Verhältnis zwischen Horizontalen und Vertikalen in vielen Werken dieser Zeit ... als Zeichen einer Beruhigung verstanden werden.“[117] Parallel dazu wendet er sich auch wieder Arbeiten mit Holz zu, „Kirchners wichtigstes Werk seines ganzen skulpturalen Schaffens“[118], die Ateliertür , entsteht und ähnlich gefestigt zeigen sich seine Zeichnungen „im härteren und eckigeren >>Bauernstil<< ab 1919.“[119]

Nachdem er sich in den ersten Schweizer Werken mit „der eigenen Person und dem eigenen Befinden“[120] auseinandergesetzt hat, macht er in einer Reihe seiner schönsten Landschaftsbilder[121] - wieder Darstellungen des in die Natur eingebundenen Menschen[122] - deutlich, wie er seine neue Heimat als wiedergefundenes Paradies erlebt[123], in das er sich vor der bedrohlichen Welt zurückzieht, um sich nun den Phantasien der eigenen Grandiosität hinzugeben[124]. Schon bald nach der ersten Phase der künstlerischen Verarbeitung seiner neuen Umgebung ist er vollauf damit beschäftigt, in theoretischen Schriften seine Bedeutung als Künstler zu untermauern.[125]

Mit Ausnahme einzelner die Grandiosität thematisierender Werke[126] ist er auch in seiner künstlerischen Arbeit damit befaßt, die Bedeutung seines Schaffens zu steigern, indem er Bilder aus der Berliner Zeit nachbessert und retuschiert, um sie seinen theoretischen Ansprüchen, z.B. Erfinder verschiedener Stilmittel zu sein[127], anzupassen, weswegen die Anzahl neuer Kunstwerke abnimmt. Stilistisch „könnte man die Schweizer Jahre aufteilen in eine >dekorative< Phase von 1920-1921 bis 1926, eine >abstrakte< von ungefähr 1927 bis 1935 und eine erneut >gegenständliche< Periode ab 1936.“[128]

Zeigt sich die erste dieser drei Phasen noch deutlich subjektiv[129] - er setzt seine Vorliebe zu Teppichen, seinem Symbol von Wärme[130], anhand von Studien zur koptischen Teppichkunst[131] mit Hilfe Lise Gujers in Entwürfen wirklicher Teppiche und in seinen Gemälden im sogenannten „Teppichstil“[132] um - erfolgt begleitend zu seinen theoretischen Überlegungen „der Beginn einer absichtsvoll bewußten Einstellung gegenüber der eigenen Arbeit[133], die sich in einer zunehmenden Suche nach dekorativer Wirkung niederschlägt[134]. In dem narzißtisch und damit in seiner narzißtischen Persönlichkeitsstruktur begründeten Versuch, das Schöne, das Gefallende und damit das ihm Anerkennung Einbringende zu schaffen, unterliegt sein Stil nicht mehr dem unmittelbaren Seherlebnis, sondern der gedanklichen Durchkonstruktion. Höhepunkt dieser die Emotion - und damit auch die Möglichkeit diese auszuleben - aus seiner Kunst verbannenden Entwicklung ist der sogenannte abstrakte Stil Kirchners, in dem er versucht, unter Berücksichtigung des bei der großen internationalen Kunstausstellung 1925 in Zürich und bei seiner Reise nach Deutschland 1925/26 Gesehenen, seine Kunst dem dort als erfolgreich gefeierten anzupassen.[135]

Hatte schon die Suche nach der Darstellung des Schönen eine entemotionalisierende Stilisierung zur Folge gehabt, in der seine Bilder „in der Betonung von Waagerechte und Senkrechte“[136] „ruhiger und sozusagen objektiver [wirken, und] ... in Komposition und Detail so vereinfacht [sind], daß plakative Wirkungen entstehen“[137], „die Farbe dick und breit aufgetragen [ist, womit] ... genau das Gegenteil zu dem nervös vibrierenden Pinselstrich des Berliner Stils erreicht“[138] wurde, und schließlich „keine innere Anteilnahme Kirchners am Bildgeschehen mehr zu spüren“[139] war - er zum quasi neutralen Beobachter mutierte[140] - übernimmt er nun abstrahierende Bildelemente - was einer noch größeren Distanz zu jeglicher Emotion gleichkommt -, „nachdem sie sich bei anderen Künstlern entwickelt hatten, ohne daß seine eigene Kunst einen vergleichbaren Prozeß durchgemacht hätte.“[141] Hintergrund ist sein narzißtischer Wunsch, genauso berühmt wie Picasso[142] zu werden. Die Kunst dient nicht mehr primär dem Kontakt mit der Welt[143], sondern wird instrumentalisiert zum Hilfsmittel bei dem Versuch narzißtische Zufuhr zu erlangen, weswegen er „entgegen der stark ichbezogenen Welt der Berliner Jahre“[144] nun für sich beansprucht, das Allgemeingültige in seiner Kunst zum Ausdruck zu bringen[145]. Die Folge ist nach Grisebach ein „Widerspruch grundsätzlicher Art, der über die gewohnten Erfahrungen mit Spätwerken anderer Künstler hinausgeht“[146], was an Kernbergs Begriff von der „Banalität [in der] ... weiteren Entwicklung“[147] erinnert. Es entwickelt sich eine „eigenartige Spannungslosigkeit“[148] und „Widersprüchlichkeit“[149] in seinen Arbeiten, in denen „das merkwürdig Sterile“[150] „keine Kennzeichnung des Schauplatzes in einem psychologischen oder emotionellen Sinn“[151] mehr zuläßt. So geht selbst seinen Selbstbildnissen, wie dem „Selbstbildnis (Melancholie der Berge) ... die erregte Spannung und quälerische Unruhe der frühen Selbstbildnisse ... [zugunsten] einer klareren Ordnung der Mittel“[152] verloren. Es verwundert nicht, daß unter dieser Umfunktionalisierung des Kunstschaffens schließlich auch die Kreativität leidet und die Anzahl der geschaffenen Werke zuletzt rapide sinkt.[153]

Dennoch bleibt der ersehnte Erfolg aus, im Gegenteil bedingen die politischen Umwälzungen in Deutschland seine völlige Ablehnung dort[154], wo er „am Aufbau einer neuen deutschen Kunst“[155] hatte führend sein wollen, und „abrupt setzt [er] seinen Weg da fort, wo er ihn 1926 verlassen hatte“[156]. Er verzichtet auf „das Streben nach Zeitgemäßheit“[157], nachdem er zuvor noch eine „Annäherung an Klee vollzogen [hatte], persönlich und künstlerisch[[158]] und: nicht Avantgarde zu sein, mußte ihm als Scheitern erscheinen.“[159] Narzißtisch gekränkt „scheint sich Kirchner gegen Ende seines fünften Lebensjahrzehnts so in die private Welt seiner eigenen Kunst zurückgezogen zu haben“[160] hin zu einem „idealen Naturalismus“[161], der charakterisiert ist durch „Reinheit aller Farben ... streng aufgebaute Komposition ... geordnete Monumentalität ... [hin zu einer] Stimmung von tiefer Ruhe und Heiterkeit ... erfüllt ... mit einer gewissen Schwermut - nicht länger mehr einer Schwermütigkeit aus Angst, sondern der Endlichkeit und der Resignation.“[162]

Er wendet sich in einem letzten Arbeitseifer in einer „ganzen Reihe schönster Berg- und Hirtenbilder“[163] dem in die Natur eingebundenen Menschen zu. Aber es ist keine freie emotionsgeladene Natürlichkeit mehr, sondern wie in seinen „Hirten am Abend“[164] eine „mit äußerster Disziplin in Form gezwungene Natur“[165], „die beiden Hirten schauen teilnahmslos dem Zug der Tiere in das Tal zu, sie nehmen absolut keinen Anteil...“[166]. „Ruhe und Abgeklärtheit ... [stehen] in eigentümlichem Kontrast zu der inneren Aufgewühltheit, in der sich der Künstler in den letzten Wochen seines Lebens befand.“[167] Die Kunst hat als narzißtisches Medium ihre protektive und kathartische Funktion verloren[168], sie ist nicht mehr emotionaler Ausdruck, sondern auf dem Boden der narzißtischen Persönlichkeitstruktur Kirchners nur noch funktionalisiert und fällt als solche schließlich auch selbst der Zerstörung durch die präsuizidale Aggression anheim, die nicht mehr, wie in der ersten suizidalen Krise, in, sondern nur noch an den Kunstwerken abreagiert werden kann.[169]

Der Vergleich der letzten Selbstbildniszeichnungen Kirchners mit den sich auflösenden, hochdramatisch expressiven aus der ersten suizidalen Krise offenbart dies. Statt hochnervöser Zerfahrenheit wie im „Selbstbildnis, zeichnend“ von 1916[170] verharren diese Zeichnungen in fragiler Starrheit[171]. Lediglich ein sich zunehmend ausbreitender Schatten, der schließlich „in die Gesichtsform“[172] eindringt, erscheint „als >Hieroglyphe<, als abstraktes und doch konkret gesetztes psychologisierendes Zeichen kommender Todesahnung“[173] und wird im „letzten Selbstbildnis“[174] von 1937/38 sichtbar „als (tiefe) Schattenzone hinter dem Kopf mit grauenhafter Deutlichkeit. Der Todesschatten fällt über die rechte Gesichtshälfte (und überdeckt den Kontur, verwischt und löscht ihn aus). Starrende Augen und ein verbitterter Mund sind die letzte Summe.“[175] Daß dem Auftreten eines dunklen Schattens im Selbstbildnis, wie Kirchner ihn bereits während der ersten suizidalen Krise in seinem Schlemihl-Zyklus thematisierte[176], eine Bedeutung als präsuizidale Symbolik zukommen könnte, kann aus dessen Auftreten auch in den Selbstbildnissen anderer Künstler kurz vor dem Suizid, so bspw. bei dem Österreicher Richard Gerstl[177], geschlossen werden. Es erscheint denkbar, daß diesem Symbol eine prognostische Relevanz bei der Einschätzung von Suizidalität zukommt.

Im Anschluß an den Überblick über psychodynamische Einflüsse auf die Kunst Ernst Ludwig Kirchners allgemein, sollen abschließend exemplarisch einzelne Werke des Künstlers vorgestellt werden, zu denen aus dem in dieser Arbeit erstellten psychodynamischen Ansatz heraus ergänzende Interpretationsalternativen, die über das bisher rein aus kunsthistorischer Perspektive erfolgte Verständnis hinausgehen, erstellt werden können. Dies betrifft aufgrund der geschilderten engen Verknüpfung von Kunst und Psyche gerade bei Kirchner weite Teile seines Oeuvres, doch würde eine entsprechende detaillierte Untersuchung den Rahmen dieser Arbeit sprengen.

Fünf Themen, „als Motive, die aus der Fantasie zu gestalten sind, nannte Kirchner gleichzeitig >Das Kind mit der Angst vor dem Menschen<, >Der Mensch und die Fremden<, >Der Tanz zwischen den Frauen<, >Am Scheideweg<, >Der Wanderer<.“[178] Der Bezug zu der in dieser Arbeit beschriebenen narzißtischen Persönlichkeitsstruktur Kirchners ist leicht ersichtlich. Die Angst des Kindes, das sich vor der Welt und den Fremden in seine eigene Welt zurückzieht[179]. Die Abwendung von der sexualisierten Frau zum „Kameraden auch geistig“[180] (unter diesem Aspekt erscheint das Gemälde „Der Tanz zwischen den Frauen“ zumindest in der Fassung von 1915 auch als Ausdruck der Hinwendung von Dodo zu Erna verstehbar[181]). Schließlich die Entscheidung zum Rückzug in die narzißtische Einsamkeit der Bergwelt[182], wo er gleichsam als Inkarnation des Zarathustra einsam wandert.[183]

Die engen Zusammenhänge zwischen Kirchners Psychodynamik und den nach literarischen Vorgaben autobiographisch angelegten Holzschnittzyklen[184] wurden vorgestellt, entsprechend seiner Feststellung: „Eigentlich ist meine ganze graphische Arbeit ja weiter nichts als ein gezeichnetes Tagebuch.“[185] Dies trifft auf den „Schlemihl-Zyklus“ von 1915 zu, in dem die damalige psychische Krise ihren Niederschlag findet[186], und für den er „die Gestaltung eines letzten Blattes weder 1915 noch später finden“[187] sollte, so daß „er den Zyklus mit der großen Vision des Peter Schlemihl, dem Symbol des einsam und verzweifelt Suchenden, der er selber ist“[188], dessen narzißtische Verwundbarkeit irreversibel bleibt[189], schließt. Ebenso betrifft dies den „Absalom-Zyklus“ von 1918, dem Ausdruck seiner Auseinandersetzung mit dem Vater - und damit dem ambivalenten internalisierten Vaterbild und der Auflehnung gegen dieses als einer wesentlichen psychodynamischen Wurzel seines Künstlerberufes[190] -, und den „Triumph der Liebe“ von 1915, in dem er seine narzißtische Art der Beziehungsgestaltung, das „Nebeneinander“[191] zur Vermeidung wirklicher Nähe[192] und die Unterordnung eines Partners unter das narzißtische Lebensziel des anderen[193], thematisiert.

Zahlreiche weitere Werke Kirchners fordern geradezu dazu auf, durch eine psychodynamische Interpretation ihrem Verständnis näher zu kommen, bzw. bisherige Vermutungen in dieser Richtung zu bestätigen. Seien es das Thema sexueller Impotenz im „Selbstbildnis als Soldat“[194], der Ausdruck von Verschmelzungssehnsüchten mit der Mutter nach dem Tod des Vaters im Holzschnitt „Mutter und Sohn“[195], das zeitweilige Hingezogensein zu homosexuellen Bildthemen aus den idealisierten Vaterübertragungen heraus[196], oder die Darstellung narzißtischer Größenphantasien im Holzschnitt „Ruhm“[197] von 1924, um nur einige Beispiele zu nennen.

Und schließlich kann auch die von Kirchner in seinen Werken verwendete Symbolik aus seiner narzißtischen Persönlichkeitstsruktur heraus verstanden werden, so beispielsweise die Darstellung des Tinzen in seinen Bergbildern. „Er darf in kaum einer seiner Bergkompositionen fehlen“[198], hat „verschiedene Formen ... auch die Größenverhältnisse zu den anderen Bergen sind ganz verschieden, so ragt er einmal über alles hervor ... einmal ist er ganz klein:“[199]. Offenbar hat Kirchner in diesem „Helden seiner Davoser Landschaftsvisionen“[200] vielleicht unbewußt ein Symbol seines eigenen zwischen den Extremen schwankenden narzißtischen Erlebens zwischen Grandiosität und „unendlicher Kleinheit“[201] hinterlassen.



[1] Dube in DU1, S.17

[2] BS, S.70; auch von kunsthistorischer Seite wurde schon postuliert, daß „das Schaffen eines Künstlers anhand seiner Selbstbildnisse zu interpretieren und die Parallelität von Werk und Leben zu erkennen“ möglich sei. Billeter in BI, S.21

[3] So beispielsweise in der angeführten Spaltung des Inhalts seiner Kunst während der ersten suizidalen Krise (s.S.118) oder indirekt auch in der Ausrichtung seiner Kunst an den aktuell erfolgreichen Kunstströmungen zur Erlangung narzißtischer Bestätigung. s.S.120

[4] s.S.82; ein sehr aussagekräftiger Überblick über Einflüsse auf die Kunst der Dresdener Zeit kann einer Auflistung der Ausstellungen entnommen werden, die Kirchner aller Wahrscheinlichkeit nach, zum Teil auch nachgewiesenermaßen besucht hat. (s. dazu GO, S.17) Ketterer weist darauf hin, daß „diese Ausstellungen jeweils ihren unmittelbaren Widerhall im Werk Kirchners finden, bis er sich dann um 1910 von allen unmittelbaren Einflüssen befreit...“ KET2, ad1

[5] s. z.B. Dube: „...für alle frühen Arbeiten Kirchners [ist] die arabeskenhaft schwingende Linie des Jugendstils verbindlich.“ DU1, S.23

[6] So verweist bspw. Gordon auf Einflüsse Vuillards und der Nabis auf Kirchner. (GO, S.47) Und auch Lenz verweist auf Valloton als Vertreter der Nabis. GALL, S.10

[7] Dies nicht nur stilistisch herleitbar (s. z.B. GRM, S.110, GO, S.55), sondern auch überliefert sowohl durch Pechstein: „Stolz fühlten wir [die Brücke-Künstler] uns als Träger einer Mission, dem Holländer van Gogh, dem Norweger Munch in der Kunst verwandt.“ (REID, S.23) Ebenso auch durch Fritz Schumacher, den Professor Kirchners während seines Architekturstudiums: „...meine Schüler: Erich Heckel, Kirchner und Bleyl. Eine Ausstellung von van Gogh und Gauguin brachte sie eines Tages außer Rand und Band.“ Schumacher, Fritz Stufen des Lebens, Erinnerungen eines Baumeisters, Stuttgart 1935, Auszug bei KET2, S.267

[8] s. z.B. GRM, SS.136, 151; s. außerdem den Bericht Schumachers in der vorhergehenden Anm.919

[9] Stilistische Herleitungen bspw. in GRM, S.125, GO, S.48. Außerdem sei auf den Hinweis Pechsteins verwiesen, der ausdrücklich das Vorbild Munchs für die Brücke überliefert (s.Anm.919), ebenso wie auf den Umstand, daß Kirchner 1912 im Rahmen der „Sonderbund-Ausstellung ... Edvard Munch kennen“ gelernt hat. GRM, S.62; s. auch Anm.196

[10] s. bspw. KET1, S.225

[11] Entsprechende stilistische Hinweise herausgearbeitet bei GO, S.58. Grisebach führt dies aus: „...erst die Kenntnis der fauvistischen Malweise führte zu dem, was man heute bei Kirchner und den anderen >Brücke<-Künstlern unter dem ausgeprägten >Brücke-Stil< versteht.“ (GRM, S.34) Eine plausible Erläuterung dieses Umstandes folgt dort im weiteren Verlauf: „...als der Einfluß der französischen Fauves in Kirchners Malerei bestimmend wurde. Der beginnende stilistische Wandel fiel in den Spätsommer 1908, und in diese Zeit fallen die ersten nachweislichen Begegnungen Kirchners mit Werken der Franzosen in Ausstellungen in Berlin und Dresden und durch die Vermittlerschaft von Max Pechstein, der 1908 in Paris gewesen war und Kees van Dongen als Mitglied der >Brücke< geworben hatte.“ GRM, S.116

[12] „Während des ersten Halbjahres 1909 nähert sich Kirchners Stil am stärksten dem von Henri Matisse...“ (GO, S.62) Ketterer bestätigt Gordon hierin. (KET1, S.279) Auch ist überliefert, daß Kirchner im Anschluß an die Ausstellung Matisses bei Cassirer diesen als Brücke-Mitglied zu werben beabsichtigte. s.Anm.199

[13] s.Anm.923; „...das künstlerische Wollen der >Brücke<-Maler zu keiner Zeit enger war als in diesem Sommer [1910]...“ GRM, S.146

[14] „Der Stil seiner Arbeiten von 1910 ist dagegen wesentlich spröder, eckiger und härter. Kirchner lernte in diesem Jahr Otto Müller kennen ... die Farbe in dünnerem Auftrag und in größeren Flächen zu geben: die Anwendung der Leimfarbe, deren Gebrauch er von Otto Müller gelernt hat.“ DU1, S.30

[15] „Von Heckel angeregt, begann Kirchner damals mit dem Schnitzen von Holzskulpturen, die an Negerplastiken erinnern ... Von diesen Arbeiten ging ein direkter Einfluß auf seine Graphik und Malerei aus.“ DU1, S.32; s. auch Anm.928

[16] „Auf jeden Fall hat Kirchner in dem halben Jahr nach der Gauguin-Ausstellung beträchtliche Zeit in der Zentralen Kunstbibliothek der Dresdener Museen verbracht, wo er ... Stufen außereuropäischer Kunst studierte - unter anderem Bücher mit Abbildungen aus den indischen buddhistischen Höhlentempeln des sechsten Jahrhunderts in Ajanta und von Bronzeskulpturen des siebzehnten Jahrhunderts aus dem Königreich Benin in Afrika.“ (GO, S.77) Über die Ajanta-Wandmalereien berichtete Kirchner in einem Brief an Nele van de Velde. SEE, S.221

[17] „Die Plastizität des Bildes hat Reliefcharakter, was auf die Beschäftigung Kirchners mit dem französischen Kubismus im Jahr 1912 zurückgeht.“ (GRM, S.175) Ähnlich Buchheim: „Ein verhaltener Kubismus tritt in ihre Bilder“. BUCH, S.65

[18] „Schon 1912 ... sah Kirchner Bilder der italienischen Futuristen.“ RAT, S.24

[19] s.Anm.916; es sei hier darauf verwiesen, daß 1910 auch das Jahr erstmaliger überlieferter Äußerungen von Suizidalität durch Kirchner ist. (s.Anm.754) Ebenso begann hier offenbar nach dem Höhepunkt des gemeinsamen stilistischen Arbeitens die Konkurrenz innerhalb der Brücke offen zutage zu treten. s.Anm.40

[20] s.S.72

[21] REID, S.23; s.Anm.919, s. auch Anm.196, 921

[22] s.Anm.199, 924; Grisebach ergänzt hierzu: „Wir ... dürfen wohl annehmen, daß Kirchner den Einfluß, den die Begegnung mit der Kunst von Henri Matisse ... auf ihn hatte, gerade deshalb so vehement dementierte, weil dieser Einfluß für ihn so wichtig war.“ GR3, S.29

[23] KER, S.273; s. auch Anm.457

[24] wiedergegeben bei SPIE, S.233

[25] „Die Idee, den Begriff >>Hieroglyphe<< für seine eigenen graphischen Kürzel zu verwenden, dürfte Kirchner von Liebermann übernommen haben, der in einem Aufsatz schrieb: >>Je näher die Hieroglyphe - und alle bildende Kunst ist Hieroglyphe - dem sinnlichen Eindruck der Natur kommt, desto grössere Phantasietätigkeit war erforderlich, sie zu erfinden.<< (Max Liebermann >>Die Phantasie in der Malerei<<. Berlin 1916)“. (GAB1, S.49) Aufsätze L. de Marsalles lagen erstmals 1920 vor. s.Anm.75

[26] Tagebucheintrag vom 01.September 1925. GR1, S.88; s.Anm.75

[27] s.SS.42-43 und Anm.37, 78, 79, 104, 219

[28] s.Anm.931 Das gleiche gilt auch für seinen „abstrakten Stil“ von 1927-35. s.S.133

[29] „Das heißt, was Kirchner malte, änderte sich, sobald er an einen neuen Ort kam ... Der stilistische Wandel hingegen ... vollzog sich unabhängig davon nach anderen Kriterien.“ (GR3, S.86) Ein entsprechender Beleg im weiteren Verlauf bei GR3, S.149

[30] s.SS.113-114

[31] s.S.118 und Anm.743

[32] GRM, S.145

[33] „Die Berliner Jahre 1911-12 bis 1916-17 sind die künstlerisch produktivsten im Leben Kirchners. Die Zahl der Zeichnungen geht in die tausend, die der Bilder - viele davon in großen Formaten - an die hundert.“ DU1, S.50; s.Anm.163, 891

[34] s.SS.118-119

[35] Die Hintergründe hierzu auf den SS.87-89, 103-104

[36] RAT, S.4

[37] ebd. Auch Wypich verweist hierauf, ohne allerdings eine Erklärung dieses Umstandes liefern zu können: „Die Behandlung von Stadt- und Landschaftsdarstellung vollzieht sich bei Kirchner zeitgleich von 1912 bis 1914. Dies ... ist eher ein Beweis für den sprunghaften antagonistischen Spannungszustand dieser beiden elementaren Werkgruppen zueinander.“ WYP, S.51

[38] s.S.114

[39] „Der Strand von Fehmarn ... wird irdisches Paradies, in welchem sich in sommerlicher Hitze alle völlig frei und nackt ... entfalten können.“ KET2, ad 42

[40] GRM, S.12

[41] Dessen Bezug zu den paranoiden Projektionen auf der Basis von Kirchners Persönlickeitsstruktur s.S.75

[42] „Kirchner holt hier die oft erlebten Situationen von Strand und Uferwäldern auf Fehmarn in das Berliner Atelier und versetzt das dort geführte paradiesische Leben in die komplizierte Hölle der Weltstadt Berlin.“ KET2, ad 40

[43] GO, S.93

[44] WYP, S.80; weiter verweist Wypich auf die „eindeutige farbliche Fixierung des Menschen als zur Natur zugehörig, die sich wiederholende Rhythmisierung von Dreiecken und Rundungen bei Mensch und Natur, die als anthropomorphe Binnenstruktur der schreitenden Menschen eine Einheit von Mensch, Wasser und Düne erstellt...“. WYP, S.81

Dem Orange steht in diesen Bildern blau als komplementäre Farbe gegenüber. Unter Berücksichtigung von Kirchners Kenntnissen der Goetheschen Farbentheorie (s. hierzu Kirchners Brief an Valentiner von 1937, Abdruck bei DU1, S.19), die „Komplementärkontraste ... harmonisch, Nachbarfarbenkombinationen ... [hingegen] >>charakterlos<< und sogar widerlich“ (FRI, S.167) nennt, erscheint eine bewußte, eher als eine unbewußte Zuordnung Kirchners des harmonischen Komplemantärkontrastes zu den Bildern aus der Natur und des disharmonischen Nachbarfarbenkontratstes zu den Bildern aus Berlin möglich, was Seemann in seiner These bestätigen würde, der bemerkt, daß Kirchners Stil (nicht dessen Stilentwicklung, s. dazu Anm.941) „auch vom jeweiligen Thema und seiner inneren Beziehung zu diesem immer beeinflußt wird, selbst im Gemälde.“ (SEE, S.56) Dies deckt sich mit Kirchner, der „die seelische Bedeutung der Farben“ (GO, S.29) herausstellte, wobei „gerade die Farbe das herrschende Element, [der] ... die Form untergeordnet“ wird, sei. (Kirchner über seine Kunst. GR1, S.208) Ein Bildbeispiel hierzu bei KET2, ad 48

[45] GO, S.98

[46] DU1, S.56

[47] GO, S.98; Seemann beschreibt dies ebenfalls: „Und schließlich bindet und steigert er [Kirchner] die gesamte Komposition mittels der dissonanten Bichromie, indem er ihr Gesamtkolorit auf zwei sich scheinbar ausschließende Farben reduziert, zu einem Aufschrei.“ SEE, S.50

[48] s. bspw.WYP, SS.95-96

[49] s.Anm.30, 41

[50] s.Anm.581

[51] s. zu Dodo Anm.36

[52] s.S.88

[53] Kirchner in seinem Manuskript >Die Arbeit E.L.Kirchners<. (GRM, S.60; s.Anm.43) Eine Darstellung dieser Kunstwandlung bei RÖS, SS.53 und 61-62

[54] s.SS.84-85

[55] s.S.87

[56] s.Anm.47, 62, 599

[57] KET2, ad 23; der Zeitpunkt der Arbeit mit den beiden Kindern ab Anfang 1910 (KET2, ad 35) deckt sich mit dem Zeitraum des Auftretens erster Suizidgedanken bei Kirchner (s.Anm.754) im Rahmen der beginnenden Auseinanderstezungen innerhalb der Brücke. (s.Anm.40) Übrigens berichtet Grisebach, daß auch zu diesen sehr jungen Mädchen „die Beziehung keineswegs immer platonisch gewesen zu sein“ scheint. GR3, S.57

[58] s.Anm.47; dies erklärt auch, warum zwar die „Vorliebe für das Umgeben mit erotischen Szenen ... auch für die Berliner Zeit bestimmend [bleibt] ... die Szenen [aber] weniger Darstellung direkter Erotik, sondern von einem gelösteren paradiesischen Gefühl bestimmt“ sind. GRM, S.18

[59] „...Kokotten, deren kantige Nasen, eckige Lippen und spitzwinklige Kinne keinerlei individuelle Regung vermitteln ... Gesichtslos und stereotypisiert haben diese Menschen ihre Identität verloren...“ WYP, S.55

[60] s.Anm.39; „Für Kirchner war es die Darstellung einer Welt, geradezu einer Gegenwelt, an der er persönlich nicht teilnahm.“ (KET2, ad 38) Insofern stimme ich Röske hier nicht zu, der meint, Kirchner habe „versucht, hierin zweifellos auch eigene lustbesetzte Phantasien zu gestalten.“ RÖS, S.64

[61] s.Anm.30; „Der locker natürlichen Erotik der Dresdener Atelier- und Varietébilder tritt hiermit die aggressive Erotik der Großstadtprostitution entgegen.“ GRM, S.164

[62] Die Kokotten ordnen sich im Bild in „ein strenges Nebeneinander ... Überschneidungen sind möglichst vermieden ... die Frauen [wirken] unbeweglich, statuenhaft, vereinzelt.“ GRM, S.188

Seemann verweist auf den Zusammenhang dieser Wahrnehmung und Darstellung der Kokotten mit deren Beschreibung durch Döblin. SEE, S.52

[63] „Berücksichtigt man, daß das Dargestellte unmittelbar sinnlicher Wirkung entbehrt...“ RÖS, S.64

[64] KET2, ad 70

[65] Gerlinger bemerkt hierzu entsprechend: „Selbstbildnisse besitzen in Kirchners Schaffen, wie in denjenigen der anderen Brücke-Künstler, eine zentrale Bedeutung. Aus ihnen spricht im Fall Kirchners auch seine Egozentrik.“ SPIE, S.140; s. auch Anm.914

[66] „...in seinen Selbstbildnis-Zeichnungen, deren frühestes ... um 1901 datiert und deren letztes sehr wahrscheinlich im Todesjahr 1938 entstanden ist.“ (REI, S.20) „Dem Autor sind bislang ca. 25 >autonome< Selbstbildnis-Zeichnungen bekannt geworden; dazu reihen sich mindestens 60 Selbstbildnisse, die in Skizzenbüchern verteilt sind“ (REI, S.39), ebenso wie diverse Gemälde und graphische Werke, noch ergänzt durch zahlreiche mehr oder weniger versteckte Selbstdarstellungen in Bildern (s.Anm.854) genauso wie eine ganze Reihe von Fotografien.

[67] REI, S.20; Kirchner selbst schrieb zu seinen Zeichnungen: „Man muß Handzeichnungen ansehen, wie man den Brief eines vertrauten Freundes liest und auch das beachten, was zwischen den Zeilen steht. Zeichnungen erfordern dieses eingehende Interesse, nur dann sprechen sie rein und stark, wenn die Stunde da ist...“. REI, S.18

[68] Zum „Selbstbildnis mit Hut“ von 1905. {Abb.10} GRM, S.108

[69] So z.B. im „Selbstbildnis mit Pfeife“ von 1908 {Abb.11} („...blickt der damals 28-jährige Künstler selbstbewußt...“ GRM, S.113) oder im „Selbstbildnis mit Zigarette“ von 1915 {Abb.12} (in einer „selbstbewußt offenen Haltung“ GRM, S.214). Die sexuelle Thematik der beide genannten Bildnisse zeigt sich neben dem nackten Akt im Hintergrund des ersten Bildes auch in der rauchenden Pfeife, bzw. Zigarette, die im „Selbstbildnis als Soldat“ von 1915 {Abb.5} dann erloschen ist, „die Angst des Mannes vor sexueller Impotenz“ (GRM, S.221 nach Selz 1957) symbolisierend. In gleicher Weise Mashek: „Die Zigarette in Kirchners Mund, die schlaff herunter hängt, sieht er in ihrer Phallusform als Phallussymbol an, das vor dem weiblichen Akt wegschreckt und in entgegengesetzte Richtung vom Akt weist.“ (WYP, S.157) Daß Kirchner sich dessen und auch der gegen den Vater gerichteten Tendenz dieser Haltung durchaus bewußt war, s. in Anm.886.

[70] Gordon 428 {Abb.13}

[71] Brief an Grisebach vom 24.Februar 1921. GRM, S.219

[72] SEE, S.223

[73] Gordon 435

[74] GRM, S.221

[75] „Eine erschütternde Verwandlung der Erscheinung Kirchners offenbart uns das ergreifende Selbstbildnis zeichnend in der Radierung vom April 1916. Hellsichtig wie eine Vision, immateriell, fast geisterhaft erschreckend ist es nach Kirchner >in einer Nacht entstanden, wo sich das Bewußtsein halb aufgelöst hatte<.“ Dube-Heynig zitiert in GRM, S.227; {Abb.14} s.Anm.397

[76] bspw. „Selbstbildnis mit Katze“ (Gordon 621) von 1920 {Abb.15}

[77] bspw. „Selbstbildnis mit Pfeife“ (Gordon 777) von 1924-26 oder „Männerkopf-Selbstbildnis“ von 1926 {Abb.16}.

[78] Manteuffel in KET2, ad 70

[79] „Durch die schnelle Pinselschrift kommt ein futuristisches Moment in Kirchners Bilder hinein, das man aber wohl eher, wie Werner Haftmann es tut, als Psychogramm deuten muß.“ (Honisch in GRM, S.29) Ähnlich Rathke zur Lithographie „Zwei reitende Artisten“ Kirchners von 1916: Die Geschwindigkeit des Striches ist in ihr bis an die Grenzen des Fahrigen, Übernervösen gesteigert und wirkt wie ein direkter Spiegel der Seelenlage des Zeichners.“ SPIE, S.264

[80] DU1, S.8

[81] DU1, S.51

[82] DU1, S.56

[83] ebd. In gleicher Weise: „In den Radierungen von Berliner Straßenszenen kommt die nervöse Hektik der Situation in den engen, sich oft überdeckenden Strichlagen klar zum Ausdruck.“ GRM, S.197

[84] DU1, S.58

[85] „...die bewegt zeichnende Malweise mit geraden, nervösen Pinselstrichen sind charakteristisch für Kirchners Malerei ab 1913...“ GRM, S.178

[86] Erstmalig 1912; s.GO, S.89

[87] GO, S.90; Wypich ergänzend: „Die schrillen Farbtöne, die feurigen Horizonte, die bedrohlich wirkenden Keile und Winkel, die unter den Figuren absackenden Bögen, lassen den Bildraum zum Spiegel seelischer Spannungen werden.“ WYP, S.58

[88] GO, S.106 Gabler weist ebenfalls darauf hin, daß „die Einzelformen fast bis zur Unkenntlichkleit verzerrt werden.“ GAB1, S.115

[89] ebd.

[90] GO, S.116

[91] SEE, S.221

[92] WYP, S.161; s.Anm.956, 959

[93] „Letzterer ist wiederum bedingt durch die Erregungs- und Stimmungslage, in welcher sich Kirchner gerade befindet. Überspitzt formuliert: je erregter, je nervöser und - zu Zeiten - je kränker Kirchner ist, desto heftiger und unmittelbarer arbeitet er.“ (Henze in GRH, S.45) Gabler ergänzt hierzu: „Die eigenen Neurosen des Künstlers sind dabei der Schlüssel zum Verständnis der Blätter.“ GAB1, S.197

[94] HE, o.S.

[95] GRM, S.228

[96] HODU, S.246; zu diesem zitiert Reinhardt Gordon: „...(In dieser) halluzinatorischen Architektur des Kopfes herrscht Grauen und Verlorenheit. Es gibt keine vergleichbare Selbstdarstellung in unserem Jahrhundert. Der Kirchner der Morphium-Bettelbriefe hat hier die Wahrheit über sich gesagt...“. (REI, S.30) Reinhardt sieht in diesen Selbstbildnissen Dokumente der Stadien „ in diesem geistigen und körperlichen Zerfallsprozeß“. (REI, S.29) s. hierzu das „Selbstbildnis im Morphiumrausch“ {Abb.17}

[97] WYP, S.167; der Folgerung Wypichs, daß hierin „ein Zeichen einer Identitätskrise und Persönlichkeitsspaltung“ vorliege, kann so nicht zugestimmt werden, wie sich im Verlauf zeigen wird.

[98] KET2, ad 53

[99] NV2, S.31

[100] Eine „Liste der Merkmale schizophrener Bildnerei“ wurde von Rennert erstellt. (Abdruck bei BA1, SS.55-58) Es sei hier ausdrücklich darauf hingewiesen, daß es hier nicht um die Diagnosestellung einer Schizophrenie bei Kirchner geht, die falsch wäre, sondern um das Herausarbeiten einer in drohender Ich-Auflösung bedingten Genese bildnerischer Merkmale.

[101] GRM, S.226

[102] s.DU1, S.62; Gordon 470 {Abb.18}

[103] DU1, S.62

[104] Symptom ersten Ranges bei Rennert. BA1, S.57

[105] WYP, S.158; Wypich weist darauf hin, daß „zur gleichen Zeit ... eine Anzahl fiebriger Zeichnungen, die mit dem spielzeughaft geordneten Charakter der Königsteiner Landschaftsgemälde im Widerspruch stehen“, entsteht. (WYP, S.159) Ebenso an anderer Stelle: „Es wäre mit Sicherheit falsch, in diesem Bild eine zeitweise Beruhigung und im naiv geordneten Bildgefüge eine Klärung bei Kirchner zu vermuten. Dagegen sprechen besonders die zahlreichen nervösen, fast unlesbaren Zeichnungen, die ebenfalls die Taunuslandschaft zum Motiv haben und deren Struktur alles andere als wohlgeordnet ist.“ (WYP, S.99) Hierin liegt schließlich auch eine Tendenz zur „Geometrisierung“ vor, die ebenfalls ein Symptom ersten Ranges bei Rennert einnimmt. BA1, S.56

[106] DU1, S.62

[107] Symptom ersten Ranges bei Rennert, der hierzu beschreibt: „Hochwandern des Horizontes, Steilerwerden der Ansicht bis zum Aufblick“. (BA1, S.55) Erste Tendenzen in diese Richtung bereits in den Straßenansichten seit 1910. GRM, S.141

[108] Symptom ersten Ranges bei Rennert. ebd.

[109] So bei HODU, S.257, bei KET, ad 65, bei GAB1, S.129

[110] s.S.119

[111] PÖL, S.130

[112] „Mit der Beruhigung der eigenen Gemütsverfassung und der Stabilisierung der Lebensverhältnisse im Haus >>In den Lärchen<< stellte sich auch in Kirchners Malerei eine Beruhigung ein.“ GR3, S.170

[113] Zum Gemälde „Mondaufgang auf der Stafelalp“ (Gordon 561) von 1917. {Abb.19} (SEE, S.228) Gleichermaßen auch zum Gemälde „Selbstbildnis als Kranker“ (Gordon 496) {Abb.20}: „...es zeigt in Form und Ausdruck noch alle Merkmale der Berliner Kompositionen, das Kolorit hat sich aber bereits aus der dissonanten Bichromie gelöst und wendet sich erneuter Vielfarbigkeit zu.“ SEE, S.51

[114] GO, S.118

[115] Zum Gemälde „Alp im Schnee“ (Gordon 555) von 1919 {Abb.21}. (SEE, S.230) Ähnlich heißt es zu seinem Gemälde „Der Maler, Selbstportrait“ (Gordon 576) von 1919-20 {Abb.22}: „Es strahlt Ruhe aus. Das einfache Leben der Bergbevölkerung gewann Einfluß auf Kirchner. Eine Beruhigung trat ein. Es ist dies eines der ruhigsten und stimmungsvollsten Selbstbildnisse Kirchners.“ GRM, S.250

[116] GAB1, S.129

[117] GRM, S.262

[118] KOR, S.141; diese, 1919 geschaffen, stellt ein Doppelrelief dar: „Gabler sieht die Haltung des Mannes im >Tanz zwischen den Frauen< als Abwendung und damit als Abwendung Kirchners von diesem Abschnitt seines Lebens. Der >Alpaufzug< steht dem gegenüber als das Bild eines abgeklärten Lebens...“. GRM, S.253

[119] KET2, ad 69

[120] GR3, S.159

[121] GR3, S.164; dies erklärt auch, warum es nur „ganz wenige Landschaftswerke Kirchners ohne Menschen“ gibt. GRM, S.245

[122] Anders als die nackten Menschen in Moritzburg und auf Fehmarn sind es nunmehr die der Landschaft zugehörigen Bauern, die als Naturmenschen aufgefaßt werden, wie etwa bei Gauguin und Nolde die Ureinwohner der Südsee.

[123] i.d.S. auch Kornfeld. (KOR1, S.209) Bestätigt wird diese Sichtweise auch darin, daß Kirchner sich in den Selbstbildnissen dieser Zeit oft auch „in der Verkleidung Bündner Bergbauern“ darstellte. REI, S.32

[124] s.SS.82, 107

[125] s.SS.40-43, 72-74, 107

[126] In diesem Sinne deutbar bspw. der Holzschnitt „Der Ruhm“ von 1924 (Dube H 526a) {Abb.23}, auf dem  er sich selbst (?) auf einem Berggipfel stehend nackt darstellt, während von beiden Seiten nackte Menschen applaudierend zu ihm aufsteigen. (Abb. bei HENZ, S.266) „Kirchner hatte 1923-24 beste Kontakte und großen, wenn auch nicht unumstrittenen Erfolg.“ ebd.

[127] s.Anm.188

[128] GO, S.136

[129] „...noch eng mit der Subjektivität des vergangenen Jahrzehnts verbunden...“ ebd.

[130] s.Anm.843

[131] RAT, S:25

[132] GRM, S.276

[133] GRM, S.266

[134] „Die dekorative Wirkung der Farben fällt ... auf.“ (GRM, S.260) „Im April 1921 begann er auch wieder, täglich vor der Natur zu zeichnen, wobei er jetzt das nervöse zeichnerische Heranarbeiten der vergangenen zehn Jahre zugunsten eines mehr dekorativen Ansatzes aufgab.“ (GO, S.127) „Diese mehr >optische< und dekorativ begründete Verwendung der Farbe wird in Kirchners Stil während der späteren Jahre seines Lebens immer wiederkehren.“ GO, S.126

[135] „...Kirchners zunehmendes Interesse an einer mehr von Theorie und Systematik als von Impuls und Expression bestimmten Kunst, und man kann andererseits vermuten,daß die Reaktionen auf diese Ausstellung in Kirchner eine Meinung bestärkten, daß eine solche Kunst international den größeren Erfolg errungen habe.“ GRM, S.35

[136] DU1, S.92

[137] KET2, ad 77

[138] GO, S.138; Gordon gibt auch ein entsprechendes Beispiel: „Wegen seiner festen Ordnung ... ersetzt Moderne Bohème nach Kirchners Ansicht die radikalen Bestrebungen einer früheren, emotional durchdrungenen ... Künstlergeneration durch den leidenschaftslosen Intellekt eines kritischeren und illusionsloseren Milieus.“ (GO, S.137) Es handelt sich um das Gemälde: „Eine Künstlergruppe“ (Gordon 855). {Abb.24}

[139] KET2, ad 83

[140] „In diesen Straßenszenen [von 1925/26] steht nicht mehr die Einsamkeit und Ausgestoßenheit der Kokotte ... im Mittelpunkt, sondern es sind beobachtete Menschengruppen auf der Straße.“ KET2, ad 84

[141] Grisebach in GRM, S.32 „Der Wandel ist so abrupt und künstlerisch unmotiviert, daß man nach einem besonderen Ereignis oder Eindruck suchen muß“ (KET2, ad 87), das in der genannten Ausstellung in Zürich gegeben war.

[142] „Nach Kirchners Angaben [in seinen Briefen an Hagemann] plane die Berliner Secession im Oktober oder November [1930] eine große Ausstellung von Kirchner und Picasso: >>Damit kommen wir an die Spitze, wenn es wird...<<“ (GRM, S.98) Dies deckt sich mit Kirchners Beurteilung der Züricher Ausstellung von 1925: „Der eigenartigste und beste ist sicherlich Picasso ... Nach Picasso kommt Braque, sehr zart und fein...“. (GO, S.141) Ebenso entspringt dieser Einschätzung die Wahl einer Vorlage Picassos (DU1, S.134) für die „Krönung“ seines Werkes in den geplanten Fresken für Essen. s.Anm.96

[143] s.S.113

[144] DU1, S.126

[145] Beispielsweise in den Entwürfen für das Folkwang-Museum, wo er „das zentrale Thema des >Lebens<“ darzustellen suchte. ebd.; (s.zu seinen Bemühungen um künstlerischen Erfolg auch S.23)

So schreibt er am 20.10.1927 an Schiefler: „Ich habe nie mein eigenes Erleben für so wichtig gehalten, daß ich es als solches der Darstellung für Wert hielt, sondern ich sah in ihm menschliches Geschehen, das jedem passiert und deshalb allgemein Gültigkeit hat.“ GAB1, S.119

[146] Grisebach in GRM, S.31; s.Anm.6

[147] Kernberg zum Kunstschaffen von Künstlern mit Narzißtischer Persönlichkeitsstörung. KER, S.264; s.S.64

[148] Honisch in GRM, S.29

[149] GRM, S.295

[150] WEN, S.49

[151] RAT, S.17

[152] REI, S.32 „Selbstbildnis-Melancholie der Berge“ {Abb.25}

[153] „1932 ... nur zwei fertige Ölbilder.“ (KOR1, S.289) „Auch das Jahr 1934 ist kein Jahr großer Produktion gewesen.“ (KOR1, S.297) „Auch das Jahr 1936 brachte wenig Arbeiten.“ KOR1, S.310

[154] s.SS.28-30

[155] Kirchner in seinem Schreiben an die Preußische Akademie nach seinem Ausschluß. KOR1, S.314; s.Anm.127

[156] KET2, ad 98; „Im Jahre 1935 erreichen Kirchner die ersten Nachrichten aus Deutschland, daß die neue Regierung beginnt, von >>entarteter Kunst<< zu sprechen.“ (KET2, ad 99) Vor diesem Hintergrund bliebe es zumindest auch zu diskutieren, ob nicht Kirchner den Wandel zu einer erneut naturalistischen Kunst im Hinblick auf den Geschmack der neuen Herrschenden in Deutschland unternahm, dann allerdings bald einsehen mußte, daß dies keine Anerkennung fand, so daß ihm nur noch Resignation blieb. Den begonnenen Versuch, mit seiner Arbeit in den USA Fuß zu fassen, brachte er nicht mehr zu Ende. Er hatte dort erste Kontakte geknüpft und auch einen Text in englischer Sprache zu verfassen begonnen, indem er sich und sein Werk den Amerikanern damit anzupreisen versuchte, daß er das von ihm illustrierte Buch „Grashalme“ des amerikanischen Autors Whitman als sein meistgeliebtes Buch bezeichnete und den Autor als richtungsweisend für sein eigenes Leben. „This book became his best loved. The great humanity of the American poet became for Kirchner the regular line of his life ...“. GAB1, S.194

[157] GO, S.152

[158] GR1, S.38; dort heißt es weiter: „Das ist verständlich, denn er [Kirchner] sehnte sich danach, prinzipiell so gesichert zu sein wie Klee.“ ebd.

[159] Manteuffel in KET2, S.12

[160] GO, S.152; ein Rückzug erneut in den von Niederland beschriebenen „hortus conclusus“. s.S.116

[161] GO, S.154

[162] ebd.

[163] KOR1, S.315

[164] Gordon 1008 {Abb.26}; es erscheint denkbar, daß er auch hier wie so oft sich selbst zusammen mit Erna dargestellt hat.

[165] Manteuffel in KET2, ad 100

[166] Ketterer in ebd.

[167] Beschreibung zum Bild „Schafherde“ (Gordon 1024) von 1938 {Abb.27}, das „wahrscheinlich ... zum Zeitpunkt seines Selbstmordes auf seiner Staffelei stand.“ GRM, S.311

[168] s.SS.119-121

[169] Hier sei auf die präsuizidale Zerstörung diverser Kunstwerke, insbesondere auch seiner Holzstöcke verwiesen. s. SS.47, 96 und Anm.139

[170] s.Anm.987 {Abb.14}

[171] Reinhardt spricht von der „ergreifenden, das Absterben geistiger Kräfte ins Bildliche umsetzenden Gruppe von Selbstbildnissen aus den drei letzten Lebensjahren ... Dieser Vorgang schonungsloser Selbstbeobachtung seelischer Veränderungen vor allem in Zeiten tiefster Krisen ist zumindest für die deutsche Kunst des 20. Jahrhunderts einmalig.“ REI, S.34

[172] REI, S.37

[173] ebd.

[174] ebd. „Das letzte Selbstbildnis“ {Abb.28}

[175] ebd.

[176] s.DU1, S.58; s. auch Anm.50, 398

[177] s.THO, SS.89-90

[178] GRM, S.14

[179] s.SS.85-86

[180] Kirchner in seinem Manuskript >Die Arbeit E.L.Kirchners<. GRM, S.60; s.Anm.43

[181] s.S.126 (Gordon 443) {Abb.29}

[182] s.SS.82, 107

[183] GO, S.129; daß diesem Wanderer möglicherweise die Gesichtszüge van de Veldes einfließen (ebd.), widerspricht dieser Interpretation nicht aufgrund dessen Position als idealisierte Vaterfigur, mit der eine Identifikation erstrebt wird. s.S.71; s. auch RÖS, S.34. „Der Wanderer“ {Abb.30}

[184] „Die Selbstdarstellung umkleidet er mit einem literarischen oder biblischen Text.“ SEE, S.56

[185] Brief an Schiefler vom 09.01.1923. GR1, S.200

[186] s.SEE, S.56; s.Anm.50, 398

[187] GAB1, S.88

[188] DU1, S.60

[189] s.S.107

[190] s.SS.86-89; in diesem Sinne stimme ich Gabler zu, der Gerckens Interpretation des Absalom als „bildhafte Umsetzung von Kirchners Ödipuskomplex“ (GAB1, S.118) für „nicht ganz überzeugend“ (ebd.) hält.

[191] Laut Kirchners eigener Beschreibung. {Abb.31} DU1, S.60; s.Anm.370

[192] s.S.62

[193] s.SS.52, 63; s. auch GAB1, SS.108, 115

[194] 1915 (Gordon 435) {Abb.32}; s.Anm.981

[195] Dube H 497; s.Anm.573

[196] s.S.106

[197] s.Anm.1038 {Abb.23}

[198] KET2, ad 71

[199] Kirchner zu seiner Kunst in seinem Tagebuch. GR1, S.206

[200] HENZ, S.178

[201] Dieser Begriff von Kirchner selbst zu seinem Schlemihl-Zyklus. GRM, S.217; s.S.107