Wie gezeigt werden konnte, läßt sich sowohl nach DSM III R, als auch gemäß den „in der Regel bereits deren Abgrenzung gegenüber anderen Formen von Charakterstörungen“[1] erlaubenden deskriptiven Merkmalen nach Kernberg das Vorliegen einer narzißtischen Persönlichkeitstsörung bei E.L.Kirchner nachweisen. Ausgehend von dieser diagnostischen Einschätzung werden im folgenden Kirchners psychische Struktur, Psychodynamik und mögliche genetische Faktoren auf der Basis von Kernbergs Konzept zu Struktur und Psychodynamik der Narzißtischen Persönlichkeitsstörung erarbeitet.
Nach Kernberg bildet den zentralen Bestandteil der narzißtischen Persönlichkeitsstruktur ein „pathologisches Größen-Selbst [, welches] ein pathologisches Verschmelzungsprodukt dar[stellt] aus bestimmten Aspekten des Real-Selbst (>>jemand Besonderes<< zu sein, was schon durch frühe Kindheitserfahrungen bestärkt wurde), dem Ideal-Selbst (Phantasien und Selbstvorstellungen von Macht, Reichtum, Allwissenheit, Schönheit, die vom kleinen Kind kompensatorisch gegen Erfahrungen von schwerer oraler Frustration, Wut und Neid entwickelt worden sind) und Ideal-Objekten (Phantasien von einer unablässig gebenden, grenzenlos liebenden und akzeptierenden Elternfigur - im Gegensatz zu den wirklichen Eltern, wie das Kind sie erlebte; Ersetzung eines entwerteten realen Elternteils durch ein entsprechendes Wunschbild).“[2] „Inakzeptable Selbstanteile, die sich in dieses grandiose Selbstkonzept nicht einschmelzen lassen, werden verdrängt und zum Teil auf äußere Objekte projiziert, die dafür entwertet werden.“[3]
Einer „pathologisch verstärkte[n] Ausprägung oraler Aggression“[4], die „starke[n] Haß- und Angstgefühle[n] gegenüber einer bedrohlichen aggressiven Mutterimago“[5] entspringt und die auf „bedeutsame Bezugspersonen projiziert“[6] wird, steht die „Idealvorstellung“[7] der eigenen Person gegenüber, mit deren „Hilfe er sich vor derart bedrohlichen Beziehungen zu anderen Menschen zu schützen versucht, wobei dieses ideale Selbstkonzept gleichzeitig seine hoffnungslose Liebe nach einer idealen Mutter enthält, die ihn erretten soll.“[8] Hieraus läßt sich der „Circulus vitiosus von Selbstbewunderung, Geringschätzung anderer und Meidung jeder wirklichen Abhängigkeit“[9], bzw. „das enorme Bedürfnis narzißtischer Patienten, jede Abhängigkeit von anderen zu verleugnen“[10] herleiten: „>>Ich brauche ja gar nicht zu fürchten, abgelehnt zu werden, weil ich meinem Idealbild nicht so entspreche, wie ich müßte, um von der Idealperson, an deren Liebe mir liegt, überhaupt geliebt werden zu können. Nein, diese ideale Person und mein eigenes Ideal und mein wirkliches Selbst sind ein und dasselbe; ich bin selbst mein Ideal, und damit viel besser als diese Idealperson, die mich hätte lieben sollen, und brauche niemanden.<<“[11]
Eine weitere Konsequenz des Umstandes, daß „die idealisierten Objektimagines, die normalerweise in das Ich-Ideal und damit auch in das Über-Ich integriert werden, bei diesen Patienten statt dessen mit dem Selbstbild legiert werden“, besteht darin, „daß keine normale Überich-Integration zustandekommt, die Ich-Überich-Grenzen in gewissen Bereichen verwischt sind und inakzeptable Anteile des realen Selbst abgespalten und/oder verdrängt werden, während äußere Objekte und ihre inneren Repräsentanzen in weitem Umfange einem verheerenden Entwertungsprozeß anheimfallen. So wird schließlich die intrapsychische Welt dieser Patienten nur noch bevölkert von ihrem eigenen Größen-Selbst, von entwerteten schemenhaften Bildern der eigenen Person und anderer sowie von potentiellen Verfolgern, die nicht-integrierten sadistischen Überich-Vorläufern und primitiven, verzerrten Objektimagines entsprechen, die durch Projektion heftiger oral-sadistischer Triebimpulse so bedrohlich geworden sind“[12] und daher „in Form paranoider Projektionen leicht wieder externalisiert werden“[13]. Als Folge der mangelnden Überich-Integration findet sich eine Tendenz zu antisozialen Verhaltensweisen[14].
Die psychodynamische Bedeutung des Größenselbst besteht also darin, daß es „eine Verleugnung der Abhängigkeit von anderen [ermöglicht], es schützt die betreffende Person vor narzißtischer Wut und Neid, schafft die Voraussetzungen für eine ständige Geringschätzung und Entwertung anderer und trägt damit zur fortwährenden Verzerrung sowohl der narzißtischen als auch der Objektbesetzungen dieser Patienten bei.“[15] Darunter verbirgt sich „das Bild eines ausgehungerten, wütenden, innerlich leeren Selbst in seinem ohnmächtigen Zorn über die ihm zugefügten Frustrationen und in ständiger Furcht vor der Welt der anderen, die der Patient als genauso haßerfüllt und rachsüchtig empfindet wie sich selbst“[16], also in einer „tiefen Angst vor Angriffen und Zerstörung“[17], verbunden mit „Gefühle[n] von schrecklicher Einsamkeit, Hunger nach Liebe und Schuld wegen der den versagenden Elternimagines geltenden Aggressionen.“[18]
Charakteristischerweise stabilisiert sich das Größenselbst „überwiegend [über] primitive Abwehrmechanismen ... wie z.B. Spaltung, Verleugnung, projektive Identifizierung, Allmachtphantasien, primitive Idealisierung und Entwertung“[19] sowie über die gegen „den chronischen heftigen Neid ... entwickelten Abwehrformen, ... [neben den] Entwertungstendenzen, omnipotente Kontrolle und narzißtischer Rückzug“. Das Vorherrschen von Spaltungsmechanismen zeigte sich ja bereits in der für die narzißtischen Persönlichkeiten charakteristischen Wahrnehmung der Menschheit als gespalten in „die berühmten ... und ... das >>Mittelmaß<<“[20].
Als Einstieg in den Nachweis einer entsprechenden psychischen Struktur und Dynamik bei Ernst Ludwig Kirchner, sei ein Auszug aus seinem „Glaubensbekenntnis eines Malers“[21] zitiert:
„Es gibt eine geistige Wache der Welt, es sind Menschen. ... Du kannst ihnen nur durch Arbeit danken. ... Du kannst alles tun. Es ist nichts verboten. ... Sie richten dich nicht nach Gesetzen. Du richtest dich selbst. Das heißt: Du entscheidest dich.“[22]
Der Künstler offenbart hier die Struktur seines „Größenselbst“, in dem er als Maler (Realselbst), in völliger Freiheit (Idealselbst), verschmolzen in einer Person mit dem Richter der Welt (Idealobjekt, eigentlich Teil der Über-Ich-Struktur) existiert.
Laut Kernberg findet sich der Real-Selbst-Aspekt „jemand besonderes zu sein“[23] „regelmäßig in der Vorgeschichte dieser Patienten [, die] eine bestimmte Eigenart gehabt haben, ... irgendeine besondere Begabung“[24]. In Kirchners Kindheit steht schon früh seine Fähigkeit zu zeichnen im Mittelpunkt. Offenbar als Reaktion auf die Unterdrückung seiner eigenen Zeichenbegabung[25] förderte der Vater den Jungen intensiv, indem dieser „schon in früher Jugend regelrechten Zeichenunterricht“[26] bekam und er engagierte „sogar eine Zeitlang einen englischen Aquarellehrer ... trotz der Kosten.“[27] Diese „Kinderarbeiten [wurden vom Vater] mit grosser Liebe gesammelt.“[28]
Die Verschmelzung von Real-Selbst- und Ideal-Selbst-Anteilen hat hier ihren Ursprung und zeigt sich später darin, daß der Künstler sein „Ziel ..., in der Malerei und Plastik die grösste und höchste Stelle zu erreichen“[29], gemäß seinem eigenen Urteil, mit seiner „Arbeit ... an allererster Stelle“[30] zu stehen, als real empfand.[31] Bestätigt wurde er in dieser Einschätzung vorbehaltlos von L. de Marsalle, dem von ihm selbst kreierten Kritiker[32], im Sinne eines Ideal-Objektes, das letztlich er selbst als Teil der Verschmelzung im Größen-Selbst war.
Kernberg definiert die Ideal-Objekte als „Phantasien von einer unablässig gebenden, grenzenlos liebenden und akzeptierenden Elternfigur - im Gegensatz zu den wirklichen Eltern, wie das Kind sie erlebte“[33]. Genau hiernach suchte Kirchner immer wieder in Form des „ersehnten Kameraden, auch geistig“[34] oder wenn er schreibt, daß er „wohl gern wenigstens einen wirklichen Freund gehabt hätte und hätte“[35]. Er fand sie als hilfreiche, ihm geradezu ergebene und ihn ebenso vorbehaltlos wie de Marsalle lobende und darüber hinaus finanziell unterstützende, väterliche Freunde[36], wobei er die von ihm erlebte idealisierte Vaterübertragung im Falle Graefs auch selbst bekannte, wenn er zu dessen Tod bemerkte: „Mir ist, als wenn mein Vater tot wäre, mehr, viel mehr...“[37], „...mir waren im Leben nie Freunde beschert, außer dem einen, Graef, der Vater zugleich war.“[38] Schon in Kirchners Jugend findet sich in Otto Lilienthal ein ähnlich erlebter, internalisierter „Gegenvater“. Kirchner erinnerte sich rückblickend an seinen Besuch: „...Hier war Freiheit, Natürlichkeit und Freude ... Ich lebte auf ... Lilienthal schlug meinem Vater vor, ich solle bei ihm bleiben und die Fliegerei lernen, doch mein Vater wollte nicht ... Ich wäre gerne bei L[ilienthal] geblieben ... Lilienthals Leben, sein freundlicher Verkehr, seine Freiheit wurden mir innerlich ein Vorbild und sind es noch heute.“[39]
Diese ersatzväterlichen Beziehungen des Künstlers erweisen sich als Idealisierungen, wie Kernberg sie als typisch für narzißtische Persönlichkeiten beschreibt. „Diese Beziehungsform ist gekennzeichnet durch die Einverleibung potentieller Befriedigungsquellen, wobei die Idealisierung[40] dieser Befriedigungsspender mit der lustvollen Phantasie verbunden ist, daß die anderen ... etwas Wertvolles besitzen, was dem Patienten bisher noch fehlt und was er sich derart auf dem Wege der Einverleibung zu eigen machen möchte.“[41] Zweifelsfrei trifft dies auf die Berühmtheit van de Veldes zu, dessen Bild Kirchner über sein Bett hängt und ihm schreibt: „Das ist doch die Rasse zu der ich gehöre.“[42]
Welches Ausmaß die Überhöhung in der Selbst- und Fremdeinschätzung des Künstlers quasi auf Ideal-Selbst-Ebene annahm, spiegeln vor allem die ersatzreligiös getönten Attribute wider, mit denen er sich selbst sah: „...Herr und Schöpfer ist der Künstler“[43], oder sich von Anderen sehen ließ: „Du hast eine Herrennatur“[44] (Graef), in seinem „Geist [vollzieht sich] etwas Großes, Heiliges, Gottähnliches“[45] (Bosshart), „Maler: Du Weltall ... Mensch sein ist nichts.“[46] (Bluth).
In dieser überhöhten Selbstwahrnehmung idealisierte er sich, „schuf selbst ... den Mythos Kirchner ... die >>Apotheose Kirchner<< ... sehr nachdrücklich“[47], worauf Wentzel bereits hinweist. Sie schlug sich in Selbsteinschätzungen nieder, die nachgewiesenermaßen fern der Realität lagen, so wenn Kirchner sich rückblickend als Gründer[48] und Lehrer[49] der „Brücke“ sah oder wenn er eine Zuordnung seiner Werke zum deutschen Expressionismus gekränkt mit den Worten verweigerte: „Nun die Fabrikmarke meiner Kunst ist E.L.Kirchner und nichts weiter. ... es ist bis heute noch keinem eingefallen, mich Expressionist zu nennen“[50]. Er vertrat den Anspruch, daß sein Oeuvre aus so bedeutenden theoretischen Neuschöpfungen bestehe[51], daß eine Zuordnung zu anderen Künstlern unmöglich sei, ebenso wie eine Beeinflussung seines Stils durch andere Künstler - kunsthistorisch inzwischen zweifelsfrei belegt[52] - seiner Ansicht nach nie stattgefunden habe: „...es ist für mich ein arger Schimpf, wenn meine Arbeit als abhängig von irgend einem anderen dargestellt wird, und wenn es die größten, Dürer oder Rembrandt wären.“[53] Zur Untermauerung dieses Anspruchs verfaßte er kunsttheoretische Texte, die reziprok seiner Kunst eine theoretische Basis und damit gemäß seinem Ideal einen höheren Wert geben sollten[54], jedoch sind diese „theoretischen Partien voller Enttäuschungen ... für den, der das historisch bedeutsame sucht.“[55]
Er scheute sich nicht, die Realität an seine Ideal-Selbst-Vorstellung[56] nachträglich anzupassen, wenn er beispielsweise zielstrebig seine Bilder vordatierte[57] oder retuschierte[58], um Beeinflussungen durch andere Künstler verschleiern und damit deren Neuschöpfungen als seine eigenen ausgeben zu können[59]. (Hierin werden die in der Real-Ideal-Selbst-Verschmelzung begründeten Über-Ich-Defizite offenbar, die sich ebenfalls in seiner wiederholten Tendenz zum Lügen äußern, sei es, daß er den Arzt Spengler in die Irre führte[60], um vom Militär verschont zu bleiben, oder daß er in der Brückechronik einfach behauptete, ihm sei die Einführung der Holzschnittechnik in die Gruppe zu verdanken[61], offenbar unbeeindruckt davon, daß er mit diesem Verhalten wesentlich zur Auflösung der Gemeinschaft beitrug.)
Ebenfalls im Dienste einer Aufrechterhaltung seines Ideal-Selbst-Bildes kann die Auswahl seiner Lebenspartnerinnen verstanden werden. Es fällt auf, daß sie bevorzugt aus niederen sozialen Verhältnissen gestammt zu haben scheinen[62], so daß er sich überlegen fühlen und als großartiger Künstler bewundern lassen konnte[63].
Vor dem gleichen psychodynamischen Hintergrund sucht er die letztlich komplette und damit mit Kernbergs Worten „omnipotente(n) Kontrolle“ über alle zu seinem Werk verfaßten Kritiken zu erlangen, sei es durch Ausüben massiven Drucks auf die entsprechenden Autoren[64], von denen er eine „schrankenlose Begeisterung“[65] einforderte oder eben auch durch die Schaffung des eigenen „Hauskritikers“ L. de Marsalle[66].
Begleitet wird diese mit allen Mitteln betriebene Realitätsumgestaltung gemäß dem eigenen Ich-Ideal von Allmachtsphantasien, wenn Kirchner sein Werk auf einer Ebene mit dem der „großen Meister“[67] der Renaissance stehend[68] oder sogar darüber hinausgehend bewertete - sein „stehender Akt mit Hut [Gordon 163] [ist] das reinste Bild eines Weibes ... gegen das die Cranachsche Venus eine alte Vose ist“[69] -, und sich diesen idealisierten Vorbildern zugehörig fühlte. Er stellte fest, daß sein „Schicksal ... mehr und mehr den großen Meistern“[70] gleiche, und sah sich verstanden in dem „Satz Lionardos: >der Maler ist Herr und König über alles Seiende, ihm gehören Länder und Meere, Menschen und Tiere, er kann alles haben, indem er es zeichnet<.“[71]
Neben dem Größen-Selbst ist nach Kernberg „die intrapschische Welt dieser [narzißtischen] Patienten ... noch bevölkert ... von entwerteten schemenhaften Bildern der eigenen Person...“[72], denen Kirchner sich unvermittelt in seiner ersten suizidalen Krise ausgeliefert sah. In der Geschichte des Schlemihlhat er diese eigenen Erlebnisse dargestellt als „Lebensgeschichte eines Verfolgungswahnsinnigen, das heißt des Menschen, der durch irgendein Ereignis mit einem Ruck sich seiner unendlichen Kleinheit bewußt wird...“[73]. Ganz offenkundig stellt er hier einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Erlebnis der dem Ideal-Selbst diametral entgegengesetzten Kleinheit - an anderer Stelle spricht er von dem „Ansturm des Mittelmäßigen [, der] alles umreißt“[74] - und seiner existentiellen psychischen Krise im Zeitraum des Ersten Weltkrieges heraus. Der „Jüngling größten Selbstbewußtseins“[75] fand sich im Scheitern der narzißtischen Abwehr mit seiner Kehrseite konfrontiert.
Der nach Kernberg dritte Bestandteil der Ich-Struktur narzißtscher Persönlichkeitsstörungen besteht in „Bildern ... von potentiellen Verfolgern“[76], die „in Form paranoider Projektionen ... externalisiert werden“[77] und sich hauptsächlich aus angst- und wutbesetzten Gefühlen[78] herleiten. Bei der Herausarbeitung der deskriptiv erfaßbaren paranoiden Anteile Kirchners[79] fanden sich auch außerhalb der Krisenphasen diverse Beispiele hierfür; insbesondere sei an den Bruch mit Helene Spengler[80] oder den Bildverkauf an die Nationalgalerie Berlin[81] erinnert. Auch seine frühen düsteren Vorahnungen zur politischen Erstarkung Hitlers in Deutschland schon 1929[82] fanden in diesen Persönlichkeitsanteilen einen fruchtbaren Nährboden. Als im wahrsten Sinne des Wortes für ihn fatale Konsequenz sollte schließlich die Realität die Intensität seiner paranoiden Projektionen einholen.[83]
Es wird deutlich, daß die Innenwelt des narzißtischen Patienten gespalten ist in übermäßig gute, grandiose Anteile einerseits und vernichtend böse und daher verdrängte oder projizierte Anteile[84] andererseits, wobei sich diese Spaltung, die sich bereits an Kirchners Einteilung seiner Mitmenschen ablesen ließ[85], auch als typische Form der Abwehr wiederfinden läßt[86]. Das Auseinanderbrechen der Brücke 1913 war Folge einer von Kirchner mit seiner Brückechronik bewirkten Auf„spaltung“[87], und seine Schreiben an Müller belegen seine Bestrebungen, in späteren Jahren die Künstlergruppe Rot-Blau ebenfalls zu trennen[88]. Parallel dazu schilderte Kirchner selbst, wie er das im Rahmen der psychodynamischen Spaltung charakteristische abrupte Umschlagen der emotionalen Wahrnehmung eines anderen vom Freund zum Feind erlebte: „...enthüllt mir mit einem Schlage, daß Manfred Schames mein Feind ist, nicht mein Freund, wie ich es immer dachte.“[89]
Ergänzend zu der auf dem Boden seiner Narzißtischen Persönlichkeitsstörung verstehbaren psychischen Struktur Kirchners werden im folgenden Aspekte der dieser zugrunde liegenden Psychodynamik herausgearbeitet.
Wie bereits angeführt[90], steht im Zentrum dieser Dynamik eine „pathologisch verstärkte Ausprägung oraler Aggression“[91] auf dem Boden starker „Haß- und Angstgefühle gegenüber einer bedrohlichen aggressiven Mutterimago“[92] mit den dominierenden Gefühlen von „Wut und Neid“[93].
„Ich glaube, er kann blödsinnig heftig werden und fürchte mich ein wenig vor diesem Erleben.“[94] Hier vermutet Helene Spengler bei einer ihrer ersten Begegnungen mit Kirchner die ausgeprägte Wut, die der Künstler an den Tag legen konnte. Er selbst gab Erna gegenüber seine „plötzlichen Kollereien ... [die ihr], wenn sie persönlich werden, so weh tun“[95], zu und meinte: „Sie kommen aus dem Temperament meiner Mutter und sitzen deshalb tief drin.“[96] Diese psychisch tief sitzende Wut - hier liegt der Zusammenhang mit einer frühen Aggressionsstufe nahe - äußerte sich vorwiegend dann, wenn Kirchner einem wie auch immer gearteten narzißtischen Angriff ausgesetzt war, jemand es beispielsweise wagte, den Stellenwert seiner Kunst auch nur ansatzweise in seinen Augen dadurch zu schmälern, daß er eine Beeinflussung durch einen anderen berühmten Künstler für denkbar hielt[97]. Sein Aggressionspotential zeigte sich auch, als er sich „widersetzt[e] und gebärdet[e] wie ein Tobsüchtiger“[98] anläßlich seiner Verhaftung in einem Berliner Nachtlokal 1917. Er hatte einem Stellungsbefehl nicht Folge geleistet und reagierte so auf den als existentielle Gefährdung erlebten drohenden Militärdienst.[99]
Daß Kirchner neben der geschilderten tiefen Wut und Aggression auch heftige Neidgefühle empfand, wurde bereits herausgestellt.[100]
Ebenfalls finden sich paranoid ausgestaltete, tiefsitzende Angstgefühle, die nach Kernberg der internalisierten „bedrohlichen aggressiven Mutterimago“[101] entspringen, denen auf der anderen Seite die Sehnsucht nach „einer idealen Mutter“[102] gegenübersteht.
Mehrfach weist Kirchner darauf hin, daß seine Mutter „etwas in sich [hat], das sie zerstört, wenn sie es nicht als Ekelhaftigkeit gegen einen herausläßt“[103], daß sie sich bemühen muß, „keinen Streit aufkommen zu lassen“[104], und daß sie ihn „nie verstanden [hat], von jung auf nicht“[105], er „eigentlich keine geistige Verbindung mit ihr hatte“[106], und doch stellt er ganz entgegengesetzt während seines Besuches bei ihr zur gleichen Zeit fest: „Ich fühle mich ruhig und sicher bei ihr und bliebe am liebsten immer da“[107], wünscht die ewige symbiotische Verschmelzung mit ihr.
Daß dieser Sehnsucht Defizite aus früher Kindheit zugrundegelegen haben dürften, läßt sich daraus schließen, daß er schon früh an Alpträumen und „Angst vor manchen Menschen“[108] litt. Während der Krisenjahre traten diese Symptome erneut an die Oberfläche.[109]
Die ausgeprägte Spaltung seiner internalisierten Mutterimago läßt sich gut an Kirchners Verhältnis zu Helene Spengler nachvollziehen, wenn man dieses im Sinne einer Mutterübertragung betrachtet. Er ließ sich von ihr mit offenen Armen in Davos aufnehmen, ließ sich in der Zeit der Morphiumentwöhnung regelrecht von ihr bemuttern[110] und mußte sie andererseits massiv entwerten[111], bis er schließlich aus seine paranoiden Ängsten heraus sich von ihrer „Rache“[112] mit „Entmündigung“[113] bedroht sah und in einem Eklat den Kontakt abbrach.[114]
Doch auch das internalisierte Bild seines Vaters weist ein gleiches ambivalentes Spannungsverhältnis auf - ein Hinweis auf das Vorliegen gemeinsamer Elternimagines[115] - wenn er einerseits den ursprünglichen Lebenstraum des Vaters Maler zu werden realisierte[116] und sich immer wieder mit idealisierten väterlichen Freunden umgab[117], auf der anderen Seite aber nach der anfänglichen Unterordnung unter die „familienbegründete[n] Zwangsverhältnisse“[118] durch das Architekturstudium sich der väterlichen protestantischen Strenge[119] diametral entgegenstellte und in Dresden seine eigene von freier Körperlichkeit geprägte Umwelt[120] inszenierte. Als durch das Militär erneut eine Unterwerfung unter eine väterlich strenge Autorität drohte, mußte er dies vor einem solchen psychodynamischen Hintergrund als geradezu existentielle Gefährdung erleben.[121]
Einziger Ausweg aus dieser insgesamt als massiv bedrohlich internalisierten Umwelt[122] bleibt für die narzißtische Persönlichkeit nur die Flucht in die eigene, wie bereits beschrieben, von Allmachts- und Omnipotenzphantasien dominierte psychische Welt des Größen-Selbst[123]. Inakzeptable Selbstanteile werden von dort aus verleugnet oder in die Umwelt projiziert, die dadurch einem ausgeprägten Entwertungsprozeß anheimfällt.[124]
Auch diese Abwehrformen finden sich bei Kirchner:
Zahlreich sind die Verleugnungen, wenn er über die von engstem Miteinander geprägte jahrelange Arbeit der Brücke nur als „Jugendeselei“[125], deren Erwähnung er sich verbete, spricht, wenn er 1924 angibt, es sei „bis heute noch keinem eingefallen, mich Expressionist zu nennen“[126], nachdem er selbst 1912/13 eine Postkarte mit der Aufschrift bezeichnet hatte: „E.L.Kirchner/ Expressionist/ Führer der neuesten Richtung“[127], oder wenn er nach seinen umfangreichen Reflexionen über sein Werk und der Kreation von L.de Marsalle behauptete: „Ich habe überhaupt keine Anlage zur Selbstbespiegelung und würde das für eitles dummes Tun halten“[128], bzw. „...Es kommt mir immer etwas arrogant vor, von sich selbst zu reden und besonders zu veröffentlichen.“[129] In engem Zusammenhang hiermit steht die folgende gleichzeitig als Reaktionsbildung verstehbare Äußerung in einem Brief an Nele van de Velde, deren Inhalt ganz seinen Verhaltensweisen widerspricht: „Ich wenigstens bin nicht gern so allgemein bekannt und anerkannt, daß die Leute einem in jeden Topf gucken. Viel lieber laufe ich unbekannt durch die Welt ... Auch bin ich froh, daß ich nicht in Deutschland bin und mich dort nicht anzubeten lassen brauche.“[130]
Doch Verleugnungen durchziehen nicht nur die Stellungnahmen zu seiner Kunst, sondern sie kennzeichnen auch seinen Lebensbericht. So erinnerte er zu seiner Erkrankung in der Zeit des ersten psychischen Zusammenbruchs: „Man versuchte also die <<Seele>> zu behandeln anstatt den Körper und entliess mich schliesslich als ich durch Arbeit den Beweis erbracht hatte, nicht <<seelisch>> krank zu sein mit der Diagnose für eine schwere Rückenmarkskrankheit“[131].
Um Projektionen als weitere Form der realitätsverzerrenden Abwehr handelt es sich bei seinen wiederholten Klagen und Befürchtungen darüber, daß seine Schüler oder andere Künstler seine Werke kopieren und als ihre eigene Erfindung ausgeben könnten, daß „ich immer unten gehalten werde, ... meine Worte verdreht werden, meine Taten verleumdet“[132], mit der Folge, daß er fordert: „Auszumerzen sind auch vor allem die Abgucker und Copisten“[133]. Schließlich hatte er von diversen Anregungen durch andere Künstler profitiert, wie kunsthistorisch belegt ist, die er vehement leugnete und verleugnete und mit allen Mitteln zu verstecken trachtete[134]. In gleicher Weise beklagte er, er habe „nicht den Boden des festen Vertrauens bei meinen Leuten unter mir“[135], damit ebenfalls deutlich sein eigenes tief verwurzeltes Mißtrauen[136] projizierend: „Oh wie recht hatte ich in meinem Mißtrauen...“[137].
Auch die Beziehungsgestaltung mit Erna wird verständlich, wenn man ihre „tragische Art“[138] als Reaktion auf die im Zusammenleben mit Kirchner auftretenden psychischen Belastungen[139] im Sinne einer projektiven Identifizierung versteht, da es ihm schlecht geht, wenn Erna wohlauf ist, und bald darauf „macht [sie] ein Gesicht wie 7 Tage Regenwetter, läßt die Mundwinkel hängen ... Ihm geht es gut. Er findet selbst, sein Zustand sei doch viel besser...“[140]. Er muß diesen Zusammenhang gespürt haben, denn er verhindert, daß sie sich einer psychoanalytischen Behandlung unterzieht[141], obwohl er beteuert, er wolle nur, daß sie „wieder auf die Beine käme ..., denn an mir zehrt der Zustand ja auch, sie ist ein guter Mensch und sollte nicht immer nur leiden müssen.“[142] Dies, obwohl er selbst erkannte, daß die Probleme bei Erna psychischer Natur, „nur Hypochondrie, die Dich quält...“[143], waren, und obwohl er selbst ja in Kreuzlingen von einer psychoanalytisch ausgerichteten Behandlung profitiert hatte[144].
Von geradezu beeindruckendem Ausmaß sind die an mehreren Stellen dieser Arbeit zitierten Entwertungen insbesondere seiner zeitgenössischen Kollegen[145], derentwegen Grisebach sich in dem von ihm herausgegebenen Tagebuch Kirchners genötigt sah, daß „diese dunklen Flecken...aus naheliegenden Gründen durch Streichung in weiße Flecken verwandelt werden mußten, wenn Kirchner in allzu entstellender und kränkender Weise über andere Menschen spricht.“[146]
Wie Kernberg plausibel darlegt, vollendet sich mit der Entwertung der Umwelt der Circulus vitiosus der narzißtischen Persönlichkeitsstruktur[147]: Die angstbedingte Vermeidung jeglicher echter Abhängigkeit und der konsekutive Rückzug auf das Größenselbst legitimieren sich aus der Niederträchtigkeit und unwürdigen Mittelmäßigkeit der Mitmenschen als vermeitlich hieraus resultierende Reaktionsweisen. Der Preis dessen ist eine tiefe Einsamkeit.
Kirchners Flucht vor einer abhängigen Beziehung wird besonders sichtbar an der bis zu seinem Lebensende fortbestehenden Weigerung, Erna, auch wenn er von ihr als von „meiner Frau“[148] sprach, zu heiraten, trotz der vielen Erleichterungen, die für sie damit verbunden gewesen wären[149].
Das psychodynamische „enorme Bedürfnis ... jede Abhängigkeit von anderen zu verleugnen“[150] kennzeichnete neben der Motivation zur Selbstüberhöhung auch den Drang nach Einzigartigkeit in seiner Kunst: „...es ist für mich ein arger Schimpf, wenn meine Arbeit als abhängig von irgend einem anderen dargestellt wird, und wenn es die größten, Dürer oder Rembrandt wären...“[151].
Ebenfalls im frühzeitigen Sistieren seines Interesses an körperlicher Sexualität[152] zeigt sich die Vermeidung von Nähe, da es begleitet wird von einer ausgesprochen voyeuristischen Auseinandersetzung mit sexuellen Themen in seiner Kunst[153] und seinen Tagebuchnotizen[154].
Entsprechend hielt er längerandauernde Freundschaften nur in Form von Briefkontakten, also zu Menschen, zu denen eine ausreichende Distanz gesichert war, aufrecht[155] und überwarf sich mit allen, mit denen er über einen Zeitraum zusammenlebte, überwarf[156], seien es seine Mitstreiter von der Brücke[157], später in Davos Helene Spengler[158] oder seine Schüler[159]. Am Ende bedeutete dies die totale Isolation[160]. Sein: „Verlasse Dich nie auf einen Menschen, das ist der wahrste Satz, den es giebt...“[161] führte zur vollständigen Einsamkeit im Rückzug auf das Größenselbst, in das lediglich Erna symbiotisch verschmolzen integriert war[162].
Schon Kirchners Umzug von der lebendigen Großstadt Berlin auf einen Almhof in den Bergen bei Davos war Symbol und Symptom dieser Flucht, „dieses Gefühl des absoluten Alleinstehens ist ... [seitdem] mein täglicher Begleiter“[163]. Jedoch erkennt er selbst, daß die Wurzeln dieser Einsamkeit tiefer liegen, daß „eine Wand zwischen mir und ihnen [den Menschen]“ liegt, daß letztlich bei ihm (und damit in seiner psychischen Struktur) die Ursache dieser Einsamkeit zu suchen ist: „Ich war immer allein, je mehr ich unter Menschen kam, fühlte ich meine Einsamkeit, ausgestoßen, trotzdem mich niemand ausstieß. Das macht tiefe Traurigkeit...“[164]
[1]KER, S.274
[2]KER, SS.303-304
[3]KER, S.266
[4]KER, S.269 Kernberg fährt zur Ätiologie dieser Aggression fort: „..., wobei schwer zu entscheiden ist, inwieweit diese Entwicklung auf einem konstitutionell bedingten übermäßig starken Aggressionstrieb, auf einer konstitutionell bedingten zu geringen Angsttoleranz in bezug auf aggressive Impulse oder schließlich auf realen schweren Frustrationen in den ersten Lebensjahren beruht.“ (KER, SS.269-270) „...der wichtigste ätiologische Faktor in der Psychogenese dieser Störung scheint aber doch der Einfluß dominierender, kalter, narzißtischer und zugleich überfürsorglicher Mutterfiguren zu sein. Diese Mütter schließen das Kind während bestimmter Phasen seiner frühen Entwicklung in ihre narzißtische Welt mit ein, umgeben es mit einer Aura des >>Besonderen<< und schaffen damit die Grundlage für grandiose Phantasien, aus denen das Größenselbst sich herauskristallisiert.“ KER, S.315
[5]KER, S.296. An anderer Stelle erweitert Kernberg die Mutterimago zu „den versagenden Elternimagines“. KER, S.321
[6]KER, S.296
[7]ebd.
[8]ebd.
[9]KER, S.271
[10]KER, S.282
[11]KER, S.266
[12]KER, S.322
[13]KER, S.267 Hierin dürfte in Verbindung mit der „tiefen Angst vor Angriffen und Zerstörung“ (KER, S.269) die Ursache zu sehen sein für die „tiefe Regressionsneigung [der narzißtischen Persönlichkeiten], die unter den Bedingungen der Analyse unter Umständen bis auf das Niveau der Psychose reichen kann.“ KER, S.264; s.S.65
[14]Hieraus leitet Kernberg ein „Kontinuum zwischen den narzißtischen und den antisozialen Persönlichkeiten“ (KER, S.292) ab, die er „als Extremform eines pathologischen Narzißmus bei völligem Fehlen eines integrierten Über-Ichs (neben anderen Besonderheiten)“ (ebd.) ansieht.
[15]KER, SS.323-324
[16]KER, S.268
[17]KER,S.269 An anderer Stelle schildert Kernberg die Genese dieser Ängste, wie sie in der Analysesituation zum Vorschein kommt. Es handelt sich demnach um „paranoide Ängste, die aus der Projektion sadistischer Tendenzen auf den Analytiker stammen (der hier eine primitive, gehaßte und als sadistisch erlebte Mutterimago repräsentiert)...“ KER, SS.320-321
[18]KER, S.321
[19]KER, S.263
[20]KER, S.269, s.SS.51-52 und 63
[21]Erstmalig erschienen in >Die literarische Gesellschaft< Hamburg 1919, S.24 (GR1, S.181, dort vollständiger Abdruck), damit wohl Ende 1918 entstanden.
[22]ebd.
[23]KER, S.303
[24]KER, S.270
[25]s.Anm.25
[26]Kirchner in einem Brief an Grohmann vom 8.Juli 1925. GRM, S.47; s.Anm.20
[27]ebd.
[28]Kirchner in seinem Manuskript: „Die Arbeit E.L.Kirchners“. KOR1, S.333; s.Anm.25
[29]Brief an Elfriede Knoblauch vom 27.März 1929. GRM, S.96; s.Anm.114
[30]In einem Tagebucheintrag Kirchners vom September 1926. GR1, S.101; s.Anm.190
[31]Daß diese Selbsteinschätzung in der präsuizidalen Phase 1937/38 für Kirchner zusammengebrochen zu sein scheint, hierauf gibt Powys einen Hinweis, wenn er zu Kirchners Selbstmord schreibt: „..., daß sein Mißtrauen und sein Eigensinn, sein Stolz und seine Verzweiflung einen gefährlichen Zustand der Spannung schufen zwischen den banalen Anforderungen seines alltäglichen Lebens und den extravaganten Ansprüchen seiner menschlichen und unerbittlichen Illusionen.“ GR1,S.41; s.Anm.139
[32]s.Anm.75 Damit im Sinne eines externalisierten Ideal-Vaterimago-Objektes.
[33]KER, S.304, s.S.66
[34]In seinem Manuskript: „Die Arbeit E.L.Kirchners“. GRM, S.69; s.Anm.43
[35]Brief an Schiefler vom 9.Januar 1923. GR1, S.199; s.Anm.233
[36]Hier sei an Graef (s.Anm.62 und 63), Hagemann (s.Anm.62), van de Velde (s.Anm.65) erinnert.
[37]Brief an Grisebach vom 13.04.1917. GR2, S.67; s.S.15
[38]Brief an Grisebach vom 26.12.1917. (GR2, S.95; s.Anm.63) In ähnlicher Weise auch beim Tode von Schames: „...Glauben sie mir, mir ist als hätte ich einen Vater verloren, einen Vater und Freund.“ Brief an Martha Max vom 19.Juli 1922. (GR1, S.197) Dies erklärt auch, warum Graef „in Kirchners Darstellungen ... immer gütig väterlich“ erscheint. (KET2, ad 59); s.bspw. „Graef und Freund“ (Gordon 423) 1914 {Abb.7}
[39]Kirchner: „Lebensgeschichte“, 1937; dieser Ausug in GRM, S.47; s.S.7
[40]Diese ist außerdem nach Kernberg „...überhaupt nicht wesensverschieden von der Projektion des Größen-Selbst...“ KER, S.319
[41]KER, SS.319-320 In diesem Sinne hat er auch die Ideal-Anteile des Vaters, zeichnen zu können, introjiziert.
[42]Brief Kirchners an van de Velde vom 16.Januar 1918. KIR, S.76; s.Anm.180
[43]Kirchner über sich. GO, S.24; s.SS.40-41
[44]Aussage Graefs gemäß Kirchners Überlieferung in seinem Tagebuch, Eintrag vom 6.Juli 1919. GR1,S.44; s.S.41
[45]Aus Bossharts „Neben der Heerstraße“, dieser Auszug bei GRM, S.88; s.S.41
[46]Aus Bluths „Hymnus E.L.Kirchner“ SEE, SS.114-115; s.Anm.195
[47]WEN, S.39, s.Anm.5 und S.35
[48]“Dabei hatte ich seinerzeit doch die Brücke extra deshalb gegründet...“ Brief an Hagemann vom 12.Mai 1933, Auszüge bei KOR1, S.292, s.S.28
[49]“Dreimal habe ich jüngere Künstler zu meiner Art zu arbeiten führen können, des ersten die Leute der <<Brücke>>...“ Aus seinem Manuskript: „Die Arbeit E.L.Kirchners“, Abdruck bei KOR1, S.332, s.Anm.218
[50]Gegenüber Georg Schmidt. KOR1, S.223; s.Anm.1
[51]s.Anm.188
[52]s. z.B. Anm.197
[53]Brief Kirchners an Karl Scheffler, 26.November 1924. GO, S.460; s.auch S.42
[54]s.Anm.80
[55]So Grisebach in GR1, S.10; s.Anm.81
[56]Innerhalb dieser Dynamik erweist sich der Ideal-Selbst-Anspruch als stärker als die Realität, die diesem Anspruch genügend einfach verfälscht und geändert wird.
[57]s.Anm.76
[58]s.Anm.202
[59]In vergleichbarer Weise findet sich bei Kernberg eine Fallbeschreibung, in der ein narzißtischer Patient mit folgender Dynamik auf Deutungen seines Analytikers reagierte: „Sobald er eine >>gute<< und von ihm als hilfreich erlebte Deutung bekam, empfand er sofort wegen seiner Angriffe auf mich starke Schuldgefühle sowie auch Neid auf dieses >>Gute<< an mir. Er mußte deshalb meine Deutungen >>stehlen<<, sie anderen gegenüber als Eigenes ausgeben und mich damit abwerten...“ KER, S.281
[60]s.SS.13-14
[61]s.Anm.161
[62]s.Anm.32 zu Line, Anm.42 zu Erna
[63]Daß er der sozialen Herkunft eine Bedeutung zumaß, wird aus seinen abfälligen Bemerkungen zu Pechstein, „einem Arbeitersohn, der alle feineren Dinge erst in der Zeit seiner Akademiestudien in mehr oder weniger lückenhafter Weise nachholen muß...“ (Tagebucheintrag vom 6.März 1923, GR1, S.76, s.Anm.37) deutlich. Von Erna ist gemäß ihrer späteren Aussage bekannt, daß sie von ihm „beeindruckt gewesen“ (s.Anm.140) sei.
[64]s.Anm.77
[65]in diesem Sinne Grisebach. s.Anm.204
[66]s.Anm.75 und 206
[67]Dieser Ausdruck bspw. im Tagebucheintrag vom 29.November 1926. s.S.23
[68]s.Anm.79 und 820
[69]Bei Grisebach gestrichener Tagebucheintrag Kirchners (s.hierzu Anm.109), wiedergegeben bei GALL, S.38; s.Anm.79
[70]Tagebucheintrag vom 29.November 1926 (GR1, S.135, s.S.23). Es fällt hier auf, daß er explizit schreibt, sein Schicksal gleiche „den großen Meistern“ und nicht dem der großen Meister, sprachlich eine engere Verschmelzung, als die grammatikalisch richtige Form.
[71]In einem Brief an Nele vom 9.Dezember 1920. (KIR, S.34) Mit dem Bezug auf Leonardo da Vinci stellt er an dieser Stelle erneut eine Verbindung zu einem der Meister der Renaissance her. (s.Anm. 79) Ebenfalls ein Ausdruck einer allmächtigen Selbsteinschätzung wird spürbar in Kirchners Beschreibung seines Lebens von 1938, in der er behauptet, aufgrund seines Hinzugs nach Davos dem Ort „einen grossen Nutzen ... gebracht [zu haben], das Dorf wurde viel mehr von Cur- und Sportgästen aufgesucht...“. KOR, S.321; s.Anm.136
Als quasi spielerische Machtdemonstration Kirchners überliefert Bleyl aus den Dresdener Jahren, daß dieser „gelegentlich während des Gesprächs mit den Freunden unerwartet in den Boden [schoß], um sie zu erschrecken.“ SPIE, S.131; s.Anm.27
[72]KER, S.322, s.S.68
[73]Brief an Schiefler vom 19.7.1919. GRM, S.217; s.Anm.50
[74]Brief an Schiefler vom 28.3.1916. GO, S.25; s.Anm.50
[75]So in der Beschreibung Bleyls in dessen „Erinnerungen“.GRM, S.48; s.Anm.27
Es sei an dieser Stelle schon darauf verwiesen, daß die Beschreibung Bleyls den Zeitpunkt in Kirchners Leben betrifft, an dem er sich in seinem Entschluß, gegen den Willen des Vaters Künstler zu werden, durchgesetzt hatte, der Zeitpunkt des psychischen Zusammenbruchs aber mit einer Unterordnung unter eine letztlich als väterlich-strenge anzusehende Autorität, das Militär, verstanden werden könnte, woraus dann im weiteren auch ein Verstehenszugang für den Umstand, daß Kirchner beim Tode seines Vaters zwar Trauerflor trug, dabei aber „voller Arbeitseifer“ war und seine „Bilder ... von strahlender Farbigkeit“ waren. Helene Spengler an Eberhard Grisebach. KOR1, S.178; s.Anm.85
[76]KER, S.322, s.S.68
[77]KER, S.267, s.S.68
[78]s.SS.68-69
[79]s.SS.56-57
[80]s.Anm.94
[81]s.Anm.100
[82]s.SS.26-27 und Anm.115
[83]Hieraus läßt sich schon ein erster psychodynamischer Baustein der Genese der Suizidalität Kirchners entnehmen. (s. im einzelnen das Kapitel 3.3.1.2.) Dies wird an folgendem Satz Kirchners besonders deutlich: „Der Krieg reißt immer mehr ein. Man sieht fast nur noch Masken, keine Gesichter mehr.“ Brief an Scheffler vom 09.Dezember 1915. (SEE, S.51) Letztlich stellt er hier selbst den Bezug zu seinen frühen Angsterlebnissen her. s.S.6
[84]Hierin offenbaren sich „die Ähnlichkeiten in der Abwehrorganisation von narzißtischen Persönlichkeiten und Borderline-Störungen [, die]... unter anderem im Vorherrschen von Spaltungs- und primitiven Dissoziationsmechanismen“ bestehen. KER, S.303
[85]s.S.69
[86]u.a. KER, S.263
[87]s. hierzu SS.37 und 54-55. Unter Berücksichtigung dieses psychodynamischen Erklärungsansatzes läßt sich verstehen, warum Kirchner den Auslöser für die Spaltung der lange Jahre intensiv zusammenlebenden und -arbeitenden Vereinigung verfaßte und auch zu keiner Korrektur bereit war. In gleicher Weise erhellt sich seine wechselnde intensive Zusammenarbeit mit einzelnen Mitgliedern der Brücke während verschiedener Phasen, sei es an den Moritzburger Teichen mit Heckel (s.Anm.30) oder dann in Berlin am MUIM-Institut mit Pechstein (s.Anm.37). Selbst in seinen späten Rückerinnerungen setzt sich dieser Mechanismus fort, wenn er schreibt: „Ich hatte so schlechte menschliche Erfahrungen mit allen, mit Ausnahme von Nolde gemacht...“. (1928 in einem Brief an Max Sauerland, KOR1, S.269; s.S.10) Natürlich läßt sich der Zerfall der Brücke nicht ausschließlich auf Kirchner zurückführen, da die anderen Mitglieder an dieser Entwicklung zweifelsfrei ebenso ihren Anteil gehabt haben dürften, doch liefert diese Betrachtung einen Baustein zum Verständnis der Entwicklung. Schon zuvor entsprechende Bestrebungen; s.Anm.40
[88]s.Anm.104 und 220
[89]Tagebucheintrag vom 22. Dezember 1925. (GR1, S.108, s.Anm.28) In gleicher Weise auch der Bruch mit Helene Spengler und Eberhard Grisebach. s.Anm.94
[90]s.SS.67-69
[91]KER, S.269, s.Anm.402
[92]KER, S.296
[93]KER, S.304
[94]Helene Spengler an Eberhard Grisebach am 27.Januar 1917. GR2, S.60
[95]Brief Kirchners an Erna vom 05.Juli 1930; Auszug bei KOR, SS.282-283; s.Anm.118
[96]ebd.
[97]s.Anm.196
[98]Überliefert von Leny Miller-Spengler. GO, S.462; s.Anm.54
[99]s.S.38 Der psychodynamische Hintergrund dieses Erlebens klang bereits in Anm.473 an in einer möglichen Verbindung zum internalisierten Vaterbild Kirchners.
[100]s. ad 9. in Kapitel 3.2.1. ebenso wie Anm. 76, 98 und 239
[101]KER, S.296; bzw. den bedrohlichen Elternimagines; s.Anm.403
[102]KER, S.296
[103]Tagebucheintrag am 6.Oktober 1925. GR1, S.97; s.Anm.12
[104]Tagebucheintrag im Januar 1926. GR1, S.114; s.Anm.95
[105]Tagbeucheintrag vom 23.12.1928. KOR1, SS.274-275; s.S.25
[106]ebd.
[107]Tagebucheintrag vom 30.Dezember 1925, GR1, S.113, s.SS.22-23
[108]In einem Brief an Eberhard Grisebach am 28.Januar 1918. GRM, S.46; s.Anm.18
[109]s. Binswangers diagnostische Beschreibung Kirchners in Anm.46
[110]s.SS.20 und 60; Kirchner sich in ähnlicher Weise selbst in einem Brief an Helene Spengler vom 31.Januar 1920 äußernd: „Es drückt mich ein wenig, dass ich so viel über das Verhältnis zwischen mir und meiner Frau sprach. Darf ich das an Ihr mütterliches Empfinden legen...“ (KOR1, SS.162-163) Auch war sie der einzige Mensch, der in die Hintergründe zu L. de Marsalle eingeweiht wurde. KOR1, S.169
[111]s.S.44
[112]In seinem Tagebucheintrag vom 20.April 1923. GR1, SS.78-79; s.Anm.94
[113]ebd.
[114]s.Anm.94
[115]s.Anm.403
[116]s.Anm.25
[117]s.SS.70-71
[118]So Fritz Bleyl in seinen Erinnerungen 1948. GRM, S.48; s.Anm.27
[119]s.SS.5 und 25
[120]s.u.a. SS.8-10, 36-37
[121]s. auch Anm.473
[122]Nach Kernberg lebt der narzißtische Patient in seinem inneren Selbst „in ständiger Furcht vor der Welt der anderen...“ KER, S.268; s.SS.68-69
[123]s. SS.66-69
[124]s. den Überblick über charakteristische Abwehrformen der narzißtischen Persönlichkeit auf S.69
[125] „...dass ich ... es als Nichtachtung und Schädigung ansehen muss, wenn mein Name immer noch mit jener Jugendeselei verknüpft wird.“ Brief an Max Sauerland von 1928. KOR, S.270; s.SS.10-11
[126]Schreiben an Georg Schmidt am 26.August 1924. KOR1, S.223; s.Anm.1
[127]GO, S.21; s.Anm.1
[128]Brief an Schiefler am 06.Dezember 1923.(GR1, S.204; s.S.42) Es bleibt hier natürlich alternativ in Erwägung zu ziehen, inwieweit Kirchner hier nicht bewußt gelogen hat, um L.de Marsalle zu decken, wie er es ja mit zum Teil abenteuerlichen Ausreden zeitlebens versucht hat. s.Anm.75
[129]Brief an Helene Spengler am 30.Oktober 1919. GR2, S.112; s.Anm.207
[130]Brief an Nele am 26.Dezember 1923. KIR, S.53; s.Anm.204
[131]In seinem Lebensbericht 1925/26. (KOR1, S.337; s.Anm.60) Auch hier muß natürlich in Erwägung gezogen werden, daß Kirchner bewußt eine Unwahrheit konstruiert, um nur ja nicht mit einer psychischen Problematik in Verbindung gebracht zu werden, was er um jeden Preis verhindern zu wollen scheint. s.hierzu die Auseinandersetzung mit Helene Spengler unter Anm.94.
[132]Tagebucheintrag vom 29.November 1926. GR1, S.135; s.Anm.101
[133]Tagebucheintrag vom 26.November 1926. GR1, S.132; s.Anm.76 und auch Anm.219
[134]s.SS.18-19
[135]Tagebucheintrag vom 6.September 1925, GR1, S.89; s.S.43
[136]s.S.60
[137]Tagebucheintrag zum Bruch mit Helene Spengler am 20.April 1923, GR1, S.79; s.Anm.94
In gleicher Weise erscheint es auch keineswegs unwahrscheinlich, daß der von Kirchner als Auslöser für seinen Bruch mit Schames angeführte „Blick voll Haß“ (Tagebucheintrag des 22.Dezember 1925, GR1, S.108), den dieser ihm zugeworfen habe und der ihm „mit einem Schlage [enthüllt], daß Manfred Schames mein Feind ist, nicht mein Freund, wie ich immer dachte“ (ebd., s.Anm.28), ebenso mehr Projekton als real gewesen sein könnte. Gleiches trifft sicher auch auf seine Begründung für das beim Bruch mit Helene Spengler zutage getretene Mißtrauen dieser gegenüber zu. s.Anm.94
[138]Kirchner über Erna in einem Brief an Elfriede Knoblauch am 27.März 1929. GRM, S.97; s.Anm.114
[139]Er selbst gibt ihr gegenüber ja beispielsweise seine „plötzlichen Kollereien [zu] ..., die Dir so weh tun“. Brief an Erna am 05.Juli 1930. KOR, S.282; s.Anm.118
[140]So berichtet Helene Spengler beispielsweise an Grisebach am 15.Februar 1921. GR2, S.129; s.Anm.44 und 229
[141]s. den Brief an Erna vom 12.März 1929. GR1, S.237; im Auszug in Anm.118.
[142]Im Brief an Hagemann am 24.September 1932. GRM, S.100; s. Anm.118
[143]Brief an Erna vom 12.März 1929. GR1, S.237; im Auszug in Anm.118
[144]s.Anm.68, 69
[145]s.SS.42-44 und Anm.37, 78, 79, 104, 219; Aber auch beispielsweise: „Diese Psychiater sind erstklassige Menschenschinder und Täuscher. Jonglieren mit dem Geistigen ist nicht schwer, aber man verdirbt die Menschen anstatt sie zu retten.“ Tagebucheintrag vom 09.Juli 1919. GR1, S.45
[146]Grisebach in seinem Vorwort zum Tagebuch Kirchners. GR1, S.39; s.Anm.109
[147]s.S.67
[148]z.B. in einem Brief an Hagemann am 3.April 1928. KOR1, S.271; s.Anm.118
[149]s.SS.62-63 (In der auf diesen Seiten geschilderten „Verschmelzung“ auch die Erklärung für das jahrelange Zusammenleben mit Erna, das allerdings nicht im Sinne einer „erwachsenen Beziehung“ zu verstehen ist.) und Anm.138
[150]„...das enorme Bedürfnis narzißtischer Patienten, jede Abhängigkeit von anderen zu verleugnen.“ KER, S.282
[151]Brief an Scheffler am 26.November 1924. GO, S.460, s.SS.41-42
[152]s.Anm.47
[153]s.Anm.39
[154]s.Anm.109
[155] „Kirchner ist uns Zeit seines Lebens als eifriger Briefschreiber bekannt. Lange Korrespondenzen, unter anderem mit Gustav Schiefler, Dr. Carl Hagemann und Dr. Will Grohmann haben sich erhalten.“ (KET1, S.277) Ausgedehnte Briefwechsel u.a. auch mit Nele van de Velde, Grisebach, Knoblauchs, uvm.
[156]s.Anm.28
[157]s.S.10 und Anm.485
[158]s.Anm.94 und SS.77-78
[159]s.Anm.104 und S.44
[160]s.SS.46-47
[161]Tagebucheintrag des 22.Dez.1925 (GR1, S.109) nach dem Bruch mit Manfred Schames. s.Anm.28
[162]s.SS.62-63
[163]Brief an Knoblauch im Februar 1929. GRM, s.96, s.Anm.113 und SS.45-46; In Davos erhält er von den Dorfbewohnern immer wieder die gewünschte Anerkennung: „Man sieht wieder einmal, dass den sogenannten einfachen Menschen Kunst viel leichter verständlich ist, als man glaubt.“ Brief Kirchners an Helene Spengler am 9.April 1920. KOR1, S.165
[164]Kirchner in einem Beitrag über seine Kunst. Dieser Auszug bei GRM, S.98, s.S.58; Dies beschreibt letztlich eine genetische Herleitung von Kirchners „Depressionen“ aus der narzißtischen Persönlichkeitsstruktur heraus, d.h. deren Auftreten in der Einsamkeit beim Fehlen narzißtischer Zufuhr. Erfolgt eine solche, bietet er hingegen „ausgelassene Fröhlichkeit.“ (KET1, S.297, s.Anm.336) Hierdurch läßt sich die Diagnosestellung Schretzenmayrs auch medizinisch als nicht haltbar klären. (s.Anm.3) Ebenso wird aus dieser Diagnose heraus verstehbar, warum er sich im Sanatorium Kohnstamm zwischen den klassisch psychiatrisch Kranken deplaziert fühlte. s.SS.37-38