Drittes Kapitel:

Weitere Verzugsvoraussetzungen: Durchsetzbarkeit der Forderung, Möglichkeit der Leistung, Verzögerung der Leistung, Dauer des Verzuges

 

Die Verzugsvoraussetzungen, die bisher noch nicht erörtert wurden, sind die Durchsetzbarkeit der Forderung, Möglichkeit der Leistung und die Dauer des Verzuges. Das Tatbestandsmerkmal  der Fälligkeit und des Vertretenmüssens wurden schon in dem Kapitel „Mahnung“ ausführlich dargestellt.

 

A. Durchsetzbarkeit der Forderung

 

I. Wirksamkeit der Forderung

 

Eine Leistungsstörung in Form des Schuldnerverzuges kann unstreitig nur in Betracht kommen, wenn überhaupt eine wirksame Forderung besteht, aufgrund dessen der Schuldner verpflichtet ist zu leisten. Die Wirksamkeit wird nach den allgemeinen Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuches beurteilt. Sie fehlt z. B, wenn eine für den Vertrag notwendige behördliche Genehmigung noch nicht erteilt wurde oder der Vertrag gegen ein gesetzliches Verbot verstößt und damit gem. § 134 BGB nichtig ist.[364]

 

II. Naturobligationen

 

Bei unvollkommenen Verbindlichkeiten oder Naturobligationen besteht keine durchsetzbare Forderung, so daß auch hier der Eintritt des Schuldnerverzuges bei einer Leistungsverzögerung ausgeschlossen ist.[365] Charakteristisch für eine unvollkommene Verbindlichkeit ist, daß sie zwar freiwillig erfüllt, aber nicht gegen den Willen des Schuldners mit Hilfe von Klage und Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden kann.[366] Als wichtigste Beispiele sind die Ansprüche aus Spiel, Wette und Ehemäklerlohn (§§ 656, 762 BGB) zu nennen. Bei diesen Ansprüchen führt eine verzögerte Leistung nicht zum Schuldnerverzug, da eine Rechtspflicht zur Erfüllung fehlt. Zum Teil werden diese Fälle in der Literatur unter dem Begriff  der Fälligkeit diskutiert und die Fälligkeit der Leistung bei einer unvollkomenen Verbindlichkeit abgelehnt.[367] Dem kann nicht gefolgt werden. Die Fälligkeit betrifft nur das zeitliche Moment[368] und sagt nichts darüber aus, ob die Forderung grundsätzlich wirksam zustande gekommen ist.

 

III. Konkretisierung der Forderung

 

Für eine durchsetzbare Forderung ist eine hinreichende Konkretisierung erforderlich, da die Forderung sonst noch unbestimmt ist.[369] Der Schuldner muß die Möglichkeit haben, den Umfang seiner Verpflichtung erkennen zu können. Eine Bezifferung der Forderung ist für die Konkretisierung grundsätzlich nicht erforderlich; vor allem bei Schmerzengeldansprüchen ist es ausreichend, daß der Geschädigte dem Schädiger die tatsächlichen Grundlagen des Anspruchs darlegt und für diesen die Möglichkeit besteht, sich von dessen Berechtigung zu überzeugen (beispielsweise durch Einsichtnahme in ärztliche Gutachten).[370]

 

Der Gläubiger kann eine Bestimmung der Forderung nicht vornehmen, wenn  die festzusetzende Höhe noch durch Sachverhaltserklärung ermittelt werden muß und dafür die Mitwirkung des Schuldners erforderlich ist. Die Höhe einer Unterhaltsforderung hängt beispielsweise von der „Bedürftigkeit“ des Schuldners ab. Erteilt der Schuldner keine Auskünfte über seine finanziellen Verhältnisse, so kann der Gläubiger seine Unterhaltspflicht nicht ermitteln. Eine durchsetzbare Forderung kann aber entsprechend dem Rechtsgedanken gem. § 254 ZPO trotzdem angenommen werden, wenn dem Schuldner die übrigen konkreten Tatsachen zur Bestimmung der Forderungshöhe bekannt sind und er daher seine Verpflichtung erkennen kann.[371]

 

Es steht dem Gläubiger frei, auf welchem Wege er die Konkretisierung der Forderung erreichen möchte. Häufig wird die Konkretisierung mit der Mahnung zusammen erfolgen oder durch eine sonstige Zahlungsaufforderung. Diese Bestimmung der Forderung muß aber strikt von den Voraussetzungen einer Mahnung getrennt werden. Diese Information über die Zahlungsverpflichtung gehört nicht zu den notwendigen Bestandteilen der Mahnung.[372] In Rechtsprechung und Literatur wird diese Trennung teilweise mißachtet. Aufgrund dieser fehlenden Differenzierung kommt es leicht dazu, daß Zahlungsaufforderungen, die nur die Konkretisierung der Forderung bezwecken, für unwirksam gehalten werden, da sie fälschlicherweise als Mahnung eingeordnet wurden.[373] Diese Zahlungsaufforderungen können aber beispielsweise schon vor Fälligkeit der Leistung erfolgen, da sie gerade nicht an die Tatbestandsmerkmale einer wirksamen Mahnung gebunden sind.      

 

IV. Einredebehaftete Forderungen

 

Einreden können der Durchsetzbarkeit der Forderung entgegenstehen. Problematisch ist, ob das bloße Bestehen der Einrede die Durchsetzbarkeit der Forderung und damit den Schuldnerverzug ausschließt oder ob der Schuldner sich erst darauf berufen muß.

 

Es ist seit in Kraft treten des Bürgerlichen Gesetzbuches umstritten, ob schon das Bestehen der Einrede den Schuldnerverzug ausschließt oder erst die Geltendmachung den Verzug verhindert. Bis heute herrscht keine Einigkeit hinsichtlich der Frage, ob der Schuldnerverzug ausgeschlossen ist, wenn der Schuldner berechtigt ist, seine Leistung zu verweigern. Es sind vielmehr weitere Varianten und Lösungsversuche entwickelt worden. Die Diskussion beschränkt sich heute nicht nur auf das Problem, ob und zu welchem Zeitpunkt der Schuldnerverzug ausgeschlossen ist, sondern sie hat sich auf die Wirkung der Einrede auf bereits entstandene Verzugsfolgen ausgedehnt (sogenannte „Rückwirkung“ der Einrede). Bis heute konnte eine einheitliche Lösung nicht entwickelt worden. Es stellt sich sogar die Frage, ob das Verhältnis von Einrede und Schuldnerverzug überhaupt einer allgemeinen Regelung zugänglich ist. Es wird teilweise vertreten, daß das Problem nur anhand jeder einzelnen Einrede geklärt werden kann.[374]

 

Auch die Schuldrechtskommission hat bewußt die Frage nicht geregelt, ob und inwieweit das Bestehen einer Einrede den Schuldnerverzug ausschließt und führte als Begründung die eben genannte Argumentation an, daß eine allgemeine ins Schuldrecht „passende Einheitslösung“ ausscheide, da hierbei wohl nach der Art der Einrede unterschieden werden müsse.[375] Die Schuldrechtskommission hat sich damit nicht der Auffassung des Vorgutachters angeschlossen. Huber schlug noch eine allgemeine Regelung vor, wobei er sich von dem Grundprinzip leiten ließ, daß die Einrede ein Gestaltungsrecht sei. Nach seinem Gesetzesvorschlag soll der Schuldnerverzug erst mit Ausübung der Einrede entfallen, die Ausübung des Einrederechts soll aber bewirken, daß die Verzugsfolgen rückwirkend von dem Zeitpunkt der Entstehung des Einrederechts nicht mehr geltend gemacht werden könnten.[376]

 

Es soll im nachfolgenden untersucht werden, ob die Aufstellung einer allgemeinen Regelung sinnvoll und möglich ist.

 

1. Einrede und Schuldnerverzug

 

Im römischen Recht war noch allgemein anerkannt, daß allein das Bestehen einer „exceptio“[377] den Verzug ausschloß.[378] Die „exceptio“ stellte ein Gegenrecht des Beklagten dar, die im römischen Formularprozeß als Klausel eingefügt wurde und eine Ausnahme von den Urteilsvoraussetzungen enthielt, wenn der Beklagte sie geltend machte.[379] Die Auffassung, daß der Verzug durch das Bestehen einer Einrede ausgeschlossen ist, setzte sich im gemeinen Recht fort. Erst auf der Grundlage des Bürgerlichen Rechts entwickelte sich gegen diese auch noch nach Inkrafttreten des BGB herrschende Auffassung eine Gegenansicht, nach der die Geltendmachung der Einrede erforderlich sei.[380]

 

Heute hat sich überwiegend die Auffassung durchgesetzt, daß allein das Bestehen der Einrede nicht für den Verzugsauschluß ausreichend sei, sondern der Schuldner müsse sich spätestens im Prozeß auf die Einrede berufen. In der Kommentarliteratur wird zwar immer noch die ältere Gegenauffassung als herrschend bezeichnet, was wohl dadurch begründet ist, daß die Entscheidungen der Rechtsprechung dieser Ansicht zugeordnet werden.[381] Wie gleich noch genauer dargelegt wird, ist die Auffassung der Rechtsprechung zu diesem Themenbereich nicht eindeutig. Vor allem beziehen sich die Urteile, die in der Literatur als Beleg angeführt werden, allesamt auf die Einrede des nicht erfüllten Vertrages, die nach ganz überwiegender Ansicht eine Sonderstellung einnimmt und mit den übrigen Einreden nicht vergleichbar ist. Neben diesen beiden Ansichten haben sich weitere Varianten entwickelt. Die unterschiedlichen Auffassungen in der Literatur beziehen sich nur auf den Regefall der Einreden. Übereinstimmend werden einzelne Einreden gesondert behandelt. Nach ganz überwiegender Auffassung nehmen die Einrede des nicht erfüllten Vertrages, das Zurückbehaltungsrecht gem. § 273 BGB und die dilatorischen Erbeneinreden gem. §§ 2014, 2015 BGB aufgrund ihrer gesetzlichen Normierungen und Funktionen Sonderstellungen ein, die eine eigenständige Behandlung rechtfertigen.[382]   

 

a) Ansicht der Rechtsprechung

 

Wie eben schon angedeutet, ist die Auffassung der Rechtsprechung nicht eindeutig. Die meisten Urteile, bei denen der Bundesgerichtshof auf diese Thematik zu sprechen kam, beziehen sich auf die Einrede des nicht erfüllten Vertrages.[383] Allerdings haben das Reichsgericht und nachfolgend der BGH sich in den Entscheidungsgründen allgemein auf das Verhältnis „Einrede und Schuldnerverzug“ bezogen. Es konnte daher berechtigterweise die Schlußfolgerung gezogen werden, daß die Rechtsprechung den Schuldnerverzug bei Bestehen einer Einrede für ausgeschlossen hielt. In RGZ 126, 280, 285 heißt es dazu: „Nach herrschender Gesetzesauslegung wird allerdings der Eintritt des Verzuges regelmäßig schon durch das tatsächliche Bestehen eines Einrederechts ausgeschlossen. Daß dieses Recht geltend gemacht wird, ist nicht nötig. Bei gegenseitigen Verträgen gerät der Schuldner daher nicht in Verzug,..., wenn er,..., die eigene Leistung nicht ausdrücklich verweigert hat.“    

 

In seinen neueren Entscheidungen[384] hat der BGH allerdings diese Frage ausdrücklich offengelassen und eine Stellungsnahme vermieden. Der BGH führte in seinen Urteilsgründen aus, daß der Senat es bisher offengelassen habe, ob schon das bloße Bestehen einer Einrede oder erst ihre Geltendmachung gegenüber dem Gläubiger den Verzug ausschließe. Die Auffassung der Rechtsprechung zu dieser Thematik bleibt also fraglich.

 
b) Ältere Auffassung

 

Nach der früher herrschenden Ansicht wird der Schuldnerverzug durch das Bestehen der Einrede ausgeschlossen. Die Ausübung der Einrede sei nicht erforderlich.[385] Innerhalb dieser Meinung sind unterschiedliche Ansätze vorhanden, mit denen der Ausschluß des Schuldnerverzuges bei einer einredebehafteten Forderung begründet wird. Es wird teilweise die Fälligkeit der Forderung verneint,[386] während auf der anderen Seite die Wirksamkeit der Forderung bzw. das Vertretenmüssen der Leistungsverzögerung gem. § 285 BGB ausgeschlossen wird.[387] Vereinzelt wird sogar grundsätzlich die Einordnung der Einrede als Gestaltungsrecht und damit das Erfordernis der Geltendmachung der Einrede abgelehnt, so daß alle Wirkungen der Einreden ipso iure einträten.[388]

 

Konsequenz dieser Lehre ist, daß die gerichtliche Entscheidung über Haupt- und Nebenanspruch unterschiedlich ausfallen kann. Wird die betreffende Einrede durch den Einredeberechtigten nicht erhoben, so wird er in der Hauptsache voll verurteilt, dagegen die Klage bzgl. der geltend gemachten Verzugsansprüche abgewiesen, sofern sich das Bestehen der Einrede aus dem vorgetragenen Sachverhalt ergibt.[389]

 

c) Ausschluß des Schuldnerverzuges durch Ausübung der Einrede

 

Nach anderer Auffassung schließt allein das Bestehen einer Einrede den Schuldnerverzug nicht aus.[390]  Der Schuldner müsse sich vielmehr auf sein Einrederecht berufen, um die Rechtsfolgen des Verzuges zu verhindern. Das Erfordernis der Einredeerhebung wird vor allem mit dem Wesen der Einrede als Gestaltungsrecht begründet, aber auch mit den widersprüchlichen Ergebnissen der älteren „herrschenden“ Lehre. Es sei nicht vertretbar, daß die sich aus dem Verzug ergebenden Ansprüche anders behandelt werden als die Hauptsache. Uneinigkeit herrscht hinsichtlich der genauen Folgen der Einredeerhebung. Teilweise wird vertreten, daß durch die Geltendmachung der Einrede die Verzugsfolgen rückwirkend, d. h. bereits zum Zeitpunkt des Entstehens der Einrede beseitigt werden. Die andere Ansicht geht hingegen davon aus, daß die Folgen des Verzuges bis zum Zeitpunkt der Geltendmachung der Einrede bestehen bleiben.

 
d) Vermittelnde Ansicht

 

Eine vermittelnde Ansicht vertritt Larenz[391], die sich im Schrifttum immer weiter durchsetzt.[392] Larenz ist der Auffassung, daß die Einrede grundsätzlich ein Gestaltungsrecht sei, aber bereits das Bestehen der Einredelage gewisse Rechtsfolge auslöse, die ipso iure einträten, wie zum Beispiel der Ausschluß der Aufrechenbarkeit (§ 390 S. 1 BGB). Dazu gehöre auch der Ausschluß des Schuldnerverzuges. Analog § 390 S. 1 BGB schließe bereits das Bestehen der Einredelage den Verzug aus. Der Schuldner habe das Recht, solange er die Hemmung des Anspruchs herbeiführen könne, die Leistung zunächst einmal zu unterlassen. Sofern der Schuldner jedoch von seinem Einrederecht- spätestens in der letzten mündlichen Verhandlung- keinen Gebrauch mache, müsse er sich so behandeln lassen, als wäre er in Verzug gekommen. Der Schuldner sei nämlich nur vorläufig und nur für den Fall zur Unterlassung der Leistung berechtigt, daß er von seinem Einrederecht Gebrauch mache. [393]

 
e) Auffassung von Diederichsen

 

Diederichsen schließlich differenziert nach dem Rechtfertigungsgehalt der einzelnen Einreden.[394] Ob schon das Bestehen der Einrede oder erst deren Geltendmachung die Verzugsfolgen ausschließe, hänge von dem „Grade“ ab, in welchem die Einrede das Hinauszögern der Leistung durch den Schuldner rechtfertige. Bei den Einreden aus §§ 853, 821, 320 BGB und der Stundungseinrede verhindere allein das Bestehen dieser Einreden den Schuldnerverzug, da die Forderung schon ihrerseits in sich „ungerechtfertigt“ sei. Bei den Einreden aus §§ 273, 222 und § 478 BGB sei dagegen die Geltendmachung erforderlich, da in diesen Fällen der Anspruch selbst „in Ordnung“ sei.  

 
f) Stellungnahme

 

Anhand der unterschiedlichen Begründungen wird ein Problem deutlich, daß die Diskussion über die Wirkung der Einrede auf den Schuldnerverzug beherrscht und deswegen auch zu der Forderung führt, daß die Fragestellung nur anhand jeder einzelnen Art von Einrede gelöst werden kann. Anhand der angeführten Argumente kann man erkennen, daß hinsichtlich der Wirkung und den Kriterien, die dem Institut Einrede zugrunde liegen, keine Einigkeit herrscht.

 

Die Wirkungen der Einreden sind nach ihrem Inhalt zu gliedern in Hauptwirkung (Ausschluß oder Beschränkung der Verurteilung bei Geltendmachung des Anspruchs durch Leistungsklage) und sonstige Wirkungen (beispielsweise Ausschluß der Aufrechenbarkeit).[395]

 

Innerhalb der Auffassung, die den Verzug mit einer einredebehafteten Forderung für ausgeschlossen hält, wurde zum Beispiel vertreten, daß die Hauptwirkung der Einrede grundsätzlich ipso iure eintrete, eine Geltendmachung der Einrede sei selbst für die Anspruchshemmung nicht erforderlich.[396] Nach dieser Auffassung stellt sich das Problem „Einrede und Schuldnerverzug“ nicht. Ist bereits die Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts für die Hemmung des Hauptanspruchs nicht erforderlich, so müssen konsequenterweise auch alle Nebenansprüche und damit auch die Folgen des Verzuges schon mit Bestehen der Einrede ausgeschlossen sein.

 

Nach einer anderen Auffassung wurde die Einrede als Gestaltungsrecht eingeordnet, auf das sich der Berechtigte berufen müsse.[397] Nur bei dieser Auffassung stellt sich überhaupt die Frage, in welcher Weise das Einrederecht auf den Schuldnerverzug einwirkt.

 

In diese Richtung führt auch die Argumentation von Diederichsen bei der Einrede des nicht erfüllten Vertrages und der Stundungseinrede.[398] Diederichsen begründet den Ausschluß des Verzuges bei Bestehen einer Einrede des nicht erfüllten Vertrages damit, daß bei Austauschverträgen der Leistungs- und Gegenleistungsanspruch von vornherein voneinander abhängig seien. Damit löst er sich bei dieser Einrede aber grundsätzlich von dem Erfordernis der Geltendmachung und verlangt selbst für den Eintritt der Hauptwirkung nicht, daß der Einredeberechtigte sich auf die Einrede berufen müsse, da die Leistungen nicht erst durch die Geltendmachung der Einrede in ein synallagmatisches Verhältnis gebracht werden, sondern diese Abhängigkeit von vornherein bestehe. Ebenso ist aus den Ausführungen Diederichsens zu entnehmen, daß er auch bei der Stundungseinrede ein Berufen auf diese Einrede nicht fordert.

 

Ein weiteres Indiz für die Auswirkungen der umstrittenen Kriterien der Einrede auf den Meinungsstreit wird deutlich, wenn man die Voraussetzungen einer wirksamen Geltendmachung einer Einrede untersucht. Es stellt sich die Frage, ob eine Einrede nur im Prozeß geltend gemacht werden kann oder ob schon die vorprozessuale Geltendmachung eine Anspruchshemmung herbeiführen kann. Diese Fragestellung wirkt sich indirekt auf diese Diskussion aus. Ist nämlich eine prozessuale Geltendmachung erforderlich, so kann der Schuldner den Eintritt des Schuldnerverzug vorprozessual trotz Bestehen einer Einrede und der anschließenden Geltendmachung im Prozeß nicht verhindern. Würde man bei diesem Einredeverständnis erst den Schuldnerverzug durch Berufen auf die Einrede als ausgeschlossen ansehen, so würden schutzwürdige Interessen des Schuldners mißachtet werden, da dieser keine Möglichkeit hätte, den Schuldnerverzug vorprozessual abzuwenden.[399] Beispielsweise könnte der Einredeberechtigte die Ausübung des Rücktrittsrechts durch den Gläubiger nach § 326 BGB nicht abwehren, wenn er sich auf sein Einrederecht erst im Prozeß berufen könnte, die vorherige Nichtleistung aber als Schuldnerverzug gewertet wird.[400]

 

Die Vertreter der früher herrschenden Auffassungen führten diese Argumentation zwar nicht an, um den Verzugsausschluß mit einer einredebehafteten Forderung zu begründen, vielmehr wurden dogmatische Begründungen angebracht, zum Beispiel daß die Forderung noch nicht fällig sei. Trotzdem ist auffällig, daß sich erst, nachdem sich die Auffassung verbreitet hat, daß die Einrede auch vorprozessual wirksam geltend gemacht werden könne, die Verfechter der gegenteiligen Auffassung immer weiter durchsetzen. Man könnte sogar von einer parallelen Entwicklung sprechen, wenn man die geschichtliche Entwicklung dieser beiden Themenbereiche miteinander vergleicht. Im römischen Recht stellte die „exceptio“ einen prozessualen Rechtsbehelf dar, so daß dort konsequenterweise auch das Bestehen der Einrede unstrittig den Verzug ausschloß. Eine gegenteilige Auffassung existierte zu dem Zeitpunkt noch nicht.[401] Kurz nach Inkrafttreten des BGB begann sich die Auffassung durchzusetzen, daß die Einrede auch außergerichtlich wirksam ausgeübt werden könne.[402]  Parallel entstand dazu die Ansicht, daß das bloße Bestehen der Einrede den Verzug nicht ausschließe.[403] Nach heute ganz überwiegender Auffassung kann die Einrede auch vorprozessual wirksam geltend gemacht werden.[404] Ebenso fordert die heute vorherrschende Ansicht, daß für den Ausschluß der Schuldnerverzug die Einrede -spätestens im Prozeß- erhoben werden müsse. Man erkennt hieran, wie weit der Einredebegriff, wenn auch nur indirekt, das Verhältnis „Schuldnerverzug und Einrede“ beeinflußt und in welcher Form auch der historisch geprägt Einredebegriff auf die heutigen Diskussion einwirkt.

 

Bei der Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Rechtsansichten müssen daher zwei Komplexe strikt voneinander getrennt werden. Einmal die Problemstellung, welche Kriterien der gesetzgeberische Einredebegriff enthält. Erst anschließend kann die Frage erörtert werden, in welcher Weise dieser Einredebegriff auf den Schuldnerverzug einwirkt. Der sehr komplexe Meinungsstreit ist teilweise darauf zurückzuführen, daß diese beiden Komplexe miteinander vermengt wurden und mit keinem einheitlichen Einredebegriff gearbeitet wird.

 

Die Diskussion kann aus diesen Gründen nicht geführt werden, bevor nicht die Rechtsfigur der Einrede erörtert wurde und Kriterien für diesen Begriff herausgearbeitet wurden. Allerdings kann die Rechtsfigur der Einrede nicht in jeder Einzelheit und anhand jeder im BGB vorhandenen Einrede erörtert werden, da dieses nicht der Schwerpunkt dieser Untersuchung bildet. Vielmehr ist es das Ziel, den Einredebegriff in seinen Grundsätzen zu erfassen. Ob die gesetzgeberische Entscheidung bei der Ausgestaltung jeder einzelnen Einrede sinnvoll ist, wird nicht untersucht. An dieser Stelle wird sich auch schon entscheiden, ob überhaupt eine allgemeine Regel aufgestellt werden kann. Ist es nicht möglich, einheitliche Kriterien für die Einreden herauszuarbeiten, so kann der Meinungsstreit nur anhand jeder einzelnen Einredeart entschieden werden. Allerdings sind einheitliche Kriterien nur für die Merkmale erforderlich, die das Verhältnis „Einrede und Schuldnerverzug“ maßgeblich beeinflussen.