D. Dauer des Verzuges

 

I. Beginn des Verzuges

 

1. Regelmäßiger Verzugsbeginn

 

Nach ganz allgemeiner Meinung beginnt der Verzug grundsätzlich an dem Tag, an dem erstmals sämtliche Verzugsvoraussetzungen erfüllt sind.[513]  Umstritten ist allerdings, ob dieser Zeitpunkt auch für die Berechnung des Verzugsschadens maßgeblich ist oder ob dem Schuldner noch ein gewisser Zeitraum zugebilligt werden muß, damit er die Möglichkeit hat, seine Leistungshandlung noch vorzunehmen.

 

Allgemein anerkannt ist, daß bei einem kalendermäßig bestimmten Termin ein Verzugsschaden ab diesem Zeitpunkt geltend gemacht werden kann. Entsprechendes gilt für eine befristete Mahnung. Am Tag des Fristablaufs können beispielsweise sofort Verzugszinsen gem. § 288 BGB berechnet werden. Zu beachten ist, daß für die Berechnung der First § 187 BGB zur Anwendung kommt, so daß die gesetzte Frist erst mit dem auf den Zugang der Mahnung folgenden Tag beginnt.[514]

 

a) Verzugsbeginn bei Zugang einer unbefristeten Mahnung

 

Keine Einigkeit besteht hinsichtlich des Zeitpunktes der Schadensberechnung bei einem Verzug mit einer unbefristeten Mahnung. Nach einer Ansicht ist auf den nächsten Geschäftstag nach Zugang der Mahnung als Anfangszeitpunkt abzustellen.[515] Dem Schuldner müsse noch eine Frist zugebilligt werden, die er brauche, um die Leistung tatsächlich zu erbringen. Durch die Mahnung solle dem Schuldner noch eine letzte Gelegenheit gegeben werden, durch sofortige Leistung den Verzugsfolgen zu entgehen. Aus diesem Grunde müsse der Eintritt des Verzuges bis zu dem Zeitpunkt hinausgeschoben werden, indem sie noch vorgenommen werden könne.[516] Teilweise wird als Begründung auch der Rechtsgedanke des § 187 BGB herangezogen.[517]

 

Auf der anderen Seite wird die Auffassung vertreten, daß es gerechtfertigt sei, für die Berechung der Verzugfolgen den Zeitpunkt des Verzugsbeginns, d. h. den Zugang der Mahnung, heranzuziehen, da der Schuldner seit Fälligkeit der Leistung wisse, daß er zur Leistung verpflichtet sei. Ihm müsse nicht noch nach Zugang der Leistung eine „mäßige Zeit“ zur Leistungsbewirkung gewährt werden.[518] Außerdem könne der Rechtsgedanke des § 187 BGB nicht herangezogen werden, da der Verzugsbeginn keinen Fristbeginn i. S. d. dieser Regelung darstelle.

 

b) Stellungnahme

 

Der erstgenannten Ansicht ist zuzustimmen. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Rechtsgedanke des § 187 BGB heranzuziehen ist, da sich aus dem Sinn und Zweck des § 284 BGB ergibt, daß die Schadensberechnung erst am nächsten Geschäftstag nach Zugang der Mahnung beginnen kann. Zwar kann der Argumentation nicht gefolgt werden, daß dem Schuldner durch die Mahnung noch eine letzte Gelegenheit zur Leistung gegeben werden solle. Diese Argumentation stellt unzutreffenderweise auf die Warnfunktion der Mahnung ab. Die Mahnung hat dagegen die Aufgabe, daß Leistungsermessen zu beenden und dem Schuldner den Eintritt der Leistungszeit zur Kenntnis zu bringen. Man kann daher nicht davon sprechen, daß der Schuldner seit Fälligkeit wisse, daß er jetzt leisten müsse, denn diese Aufgabe soll gerade die Mahnung erfüllen. Es würde demnach auch den Aufgaben der Mahnung zuwiderlaufen, wenn die Verzugsfolgen mit dem Zugang der Mahnung geltend gemacht werden könnten, da erst durch die Mahnung die Leistungszeit festgelegt wird bzw. dieser Termin dem Schuldner zur Kenntnis gebracht wird. Dem Schuldner ist daher entsprechend dem Zweck der Mahnung die Möglichkeit zu gewähren, seine Leistungshandlung vorzunehmen, so daß dieser Zeitpunkt abgewartet werden muß.

 

In der Regel wird in der Praxis der nächste Geschäftstag nach Zugang der Mahnung für den Beginn der Schadensberechnung entscheidend sein. Bei einer Geldschuld beispielsweise könne bei einem berufstätigen Schuldner, der erst am Abend die Mahnung vorfindet, mit einer Überweisung erst am nächsten Tag gerechnet werden.[519] Eine zusätzliche Zeitspanne für eine erforderliche Vorbereitung der Leistung ist dagegen nicht mehr zu gewähren, da diese schon bei dem Fälligkeitszeitpunkt berücksichtigt wurde und die Vorbereitung bei Eintritt der Fälligkeit abgeschlossen sein sollte.[520] 

 

Dieser Meinungsstreit wird nur relevant, wenn der Schuldner tatsächlich seine Leistungshandlung nicht erbringt. Einigkeit besteht entsprechend dem eindeutigen Wortlaut des § 284 I BGB, daß der Schuldner den Verzugsansprüchen des Gläubigers nicht ausgesetzt ist, wenn er sofort nach Zugang der Mahnung mit seiner Leistungshandlung beginnt.[521]

 

Bei § 284 II BGB reicht dagegen nach Fristablauf die sofortige Vornahme der Leistungshandlung nicht mehr aus, um den Verzugseintritt zu verhindern. Von dem Zeitpunkt des Fristablaufs bis zur Vornahme der Leistungshandlung können die Verzugsfolgen bei einem Verzug gem. § 284 II BGB daher geltend gemacht werden. Der Schuldner weiß nämlich bei einem kalendermäßig bestimmten Termin, daß er zu diesem Zeitpunkt seine Leistungshandlung zu erbringen hat, so daß ihm keine Möglichkeit mehr gewährt werden muß, nach Ablauf des Termins seine Leistungshandlung noch vornehmen zu können

 

2. Späterer Verzugsbeginn in Ausnahmefällen

 

Ist dem Schuldner eine sofortige Leistung nach Zugang der Mahnung nicht zuzumuten, so ist anerkannt, daß entsprechend dem Grundsatz von Treu und Glauben der Verzugseintritt hinausgeschoben ist.

 

 Erfolgt die Mahnung zu unpassender Gelegenheit, zum Beispiel außerhalb der Geschäftszeiten oder anläßlich einer abendlichen Veranstaltung, so tritt der Verzug aufgrund dieser Mahnung erst zu dem Zeitpunkt ein, in dem frühestens eine ordnungsgemäße Mahnung hätte erfolgen können. Gem. § 242 BGB ist der Verzugsbeginn hinausgeschoben.[522]

 

Eine weitere wichtige Ausnahme wurde für den Fall anerkannt, wenn dem Schuldner ein Prüfungsrecht hinsichtlich der vom Gläubiger geforderten Leistung zugebilligt werden muß. Der BGH hat in einer Entscheidung einem Mieter zur Überprüfung der Forderung des Vermieters gem. § 242 BGB eine Nachprüfungs- und Überlegungsfrist eingeräumt, vor deren Ablauf kein Verzug einträte.[523] In dem zugrundeliegenden Sachverhalt hatte der Vermieter die Mahnung mit der die Fälligkeit begründenden Rechnungsstellung verbunden, die eine komplizierte und umständliche Berechnung enthielt. Dieser Ausnahmefall wird in Zukunft an Bedeutung verlieren, da der Gesetzgeber die Notwendigkeit einer Prüfungsfrist nach Rechnungsstellung in § 284 III BGB anerkannt und kodifiziert hat. Dem Schuldner wird jetzt grundsätzlich eine 30-tägige Frist eingeräumt, in der er die Richtigkeit der Berechnung überprüfen kann.

 

II. Beendigung des Verzuges

 

Spiegelbildlich zum Beginn des Verzuges, endet dieser, wenn einer seiner Voraussetzungen entfällt.

 

1. Nachträgliche Leistung des Schuldners

 

Der Verzug ist aufgehoben, wenn der Schuldner das Versäumte nachholt und seine Leistung erbringt.[524] Ebenso wie bei der Verzugsvoraussetzung der Leistungsverzögerung ist die Vornahme der Leistungshandlung maßgeblich und nicht der Eintritt des Leistungserfolges.[525] Aus den Verzugsfolgen ist nicht zu entnehmen, daß der Schuldner erst mit Eintritt des Leistungserfolges alles erforderliche getan haben sollte, so daß auch nach Verzugseintritt die allgemeinen Grundsätze (§§ 269, 270 BGB) für die Auslegung der vertraglichen Verpflichtungen heranzuziehen sind.[526]    

 

Löwisch vertritt dagegen für die Fälle des § 284 II BGB die Ansicht, daß der Verzug erst mit dem Eintritt des Leistungserfolges beendet sei. Es wäre unbillig, den Schuldner für den Zeitraum zwischen Leistungshandlung und Leistungserfolg aus den Verzugsfolgen zu entlassen, da der Gläubiger nach dem Inhalt des Vertrages fest auf den Erhalt der Leistung zu dem kalendermäßig bestimmten Zeitpunkt vertrauen durfte.[527]

 

Diese Differenzierung ist aus den oben angegebenen Gründen nicht nachvollziehbar. Vor allem erscheint die Aufteilung zwischen § 284 I und § 284 II BGB willkürlich. Es ist nicht ersichtlich, weswegen bei § 284 I BGB die Leistungshandlung und bei § 284 II BGB der Leistungserfolg maßgeblich sein soll. Allerdings dürfte bei der Mehrzahl der von Löwisch erwogenen Fälle die Auslegung der vertraglichen Vereinbarung ergeben, daß es dem Gläubiger auf den Eintritt des Leistungserfolges zum kalendermäßig bestimmten Termin ankommt, so daß aufgrund einer Vertragsabrede der Schuldnerverzug erst mit Eintritt des Leistungserfolges der Schuldnerverzug beendet werden kann.[528]

 

2. Angebot der Leistung

 

Der Schuldnerverzug endet ferner, sobald der Schuldner dem Gläubiger in einer den Annahmeverzug begründenden Weise anbietet.

 

a) Vollständigkeit der Leistung

 

Der Gläubiger ist zur Annahme einer Teilleistung nicht verpflichtet (§ 266 BGB). Bietet der Schuldner die Leistung nicht vollständig an, so kann der Gläubiger das Angebot zurückweisen, ohne in Gläubigerverzug zu kommen. Der Verzug wird dementsprechend durch dieses Angebot nicht beendet.

 

Nicht geklärt ist die Frage, was der Schuldner genau anbieten muß, um den Verzug zu beenden.

 

Die Gesetzesverfasser, die insoweit dem gemeinen Recht folgten, nahmen noch an, daß der Verzug für die Zukunft erst aufhöre, wenn der Schuldner neben der ursprünglichen Leistung  auch den Schaden anbiete, der dem Gläubiger aus dem bisherigen Verzug entstanden sei.[529] Die aus dem Verzug entstandenen Ansprüche würden nur eine Erweiterung seines ursprünglichen Anspruchs bilden. Diese Auffassung wird überwiegend nur noch in der älteren Literatur vertreten.[530]

 

Im Anschluß an die grundlegenden Ausführungen von Eisenhardt[531] und Scherner[532] ist heute die Ansicht vorherrschend, daß zu einer vollständigen Leistung nur die vertraglich geschuldete gehöre und nicht mehr die Verzugsansprüche.[533] Die angeführten Begründungen stützen sich einmal auf systematische  Argumente.  Die Hauptforderung und die Verzugsansprüche seien jeweils selbständige Forderungen, so daß § 266 BGB nicht zur Anwendung käme.[534] Auf der anderen Seite werden Praktikabilitätserwägungen angeführt. Der Schuldner wisse regelmäßig nicht, ob und in welcher Höhe ein Verzugsschaden entstanden sei. Es sei ihm auch nicht zuzumuten, sich ohne weiteres auf die Angaben des Gläubigers zu verlassen.[535] 

 

Der letztgenannten Auffassung ist zuzustimmen. Aus dem Gesetz ist nicht zu entnehmen, daß die Verzugsansprüche nur eine Erweiterung des ursprünglichen Anspruchs bilden. An der historischen Begründung muß nicht festgehalten werden, da dieser Wille der Gesetzesverfasser nicht kodifiziert wurde. Vielmehr ist die Lösung anhand der Gesetzessystematik zu bestimmen. Ansprüche, die aufgrund einer Leistungsstörung entstehen, sind eigene selbständige Ansprüche, die ein unterschiedliches rechtliches Schicksal erleiden können. Das Gesetz selbst geht von der Eigenständigkeit der einzelnen Leistung des Säumigen aus, wie aus § 289 S. 2 BGB entnommen werden kann. Nach § 289 S. 2 BGB bleibt es dem Gläubiger unbenommen, einen Schadensersatzanspruch wegen verzögerter Zinszahlung geltend zu machen. Selbständige Ansprüche zwischen Zinsen und Hauptleistung werden ebenfalls in § 367 I BGB vorausgesetzt.[536] Die erste Ansicht ist daher nicht mit der gesetzlichen Systematik in Einklang zu bringen. Des weiteren ist es dem Schuldner nicht zuzumuten, die Verzugsfolgen mit anzubieten. Bietet der Schuldner einen zu niedrigen Schadensersatz an, liefe er Gefahr, daß er den Schuldnerverzug nicht beenden könnte. Bietet er sicherheitshalber zuviel an, kann er gezwungen sein, den zuviel bezahlten Teil später gerichtlich wieder zurückzuverlangen.       

 

b) Lieferung einer mangelhaften Leistung

 

Grundsätzlich ist es erforderlich, daß das Angebot qualitativ und quantitativ zur Erfüllung der Verbindlichkeit geeignet ist. Eine mangelhaft Sache kann der Käufer zurückweisen, so daß der Verkäufer weiter in Verzug bleibt.[537] Nimmt er die Sache allerdings als Erfüllung an, so muß zwischen Gattungs- und Spezieskauf differenziert werden.

 

Bei einem Spezieskauf ist der Verzug beendet, dem Gläubiger stehen nur noch Gewährleistungsansprüche zu. Der Verzug bei einem Gattungskauf besteht dagegen trotz Annahme der mangelhaften Leistung fort, denn der Gattungskäufer kann gem. § 480 BGB einen Nachlieferungsanspruch geltend machen, der nach herrschender Meinung als Erfüllungsanspruch einzuordnen ist. Die mangelhafte Lieferung bei einem Gattungskauf führt demnach nicht zur Erfüllung, so daß der Erfüllungsanspruch weiterbesteht. Der Verzug ist bei einem Gattungskauf daher erst beendet, wenn entweder der Gläubiger Wandelung oder Minderung geltend macht oder -wenn Nachlieferung verlangt wird- mit der Lieferung der mangelfreien Ware.[538]

 

3. Weitere Möglichkeiten der Verzugsbeendigung

 

Verzugsbeendigend wirkt außerdem die Geltendmachung von Einreden[539], der Eintritt der Unmöglichkeit, die Rücknahme der Mahnung und grundsätzlich das Erlöschen des Forderungsrechts (beispielsweise durch Anfechtung).[540]

 

4. Wirkung

 

Die Beendigung des Verzuges beseitigt die eingetretenen Verzugsfolgen nicht rückwirkend, sondern bedeutet nur, daß keine weiteren entstehen. Eine Ausnahme bilden lediglich die Ausübung von Gestaltungs- und Einrederechten, die rückwirkende Kraft besitzen und ein vertraglich vereinbarter Verzicht auf die Verzugsfolgen.[541]

 

Die durch den Verzug begründeten Kündigungs- und Rücktrittsrechte entfallen allerdings mit Verzugsbeendigung, da sie vom Fortbestand ihrer Entstehungsvoraussetzungen abhängig sind.[542]