D. Entbehrlichkeit der Mahnung
I. Entbehrlichkeit der Mahnung nach
den gesetzlichen Vorschriften
Das BGB hat in § 284 II den Verzugseintritt ohne
Mahnung ausdrücklich anerkannt. Damit hat es mit dem Verständnis des römischen Rechts,
daß Verzug ohne Mahnung begriffswidrig sei, offenkundig gebrochen. Es ist heute
anerkannt, daß der Verzugseintritt ohne Mahnung nicht abschließend in
§ 284 II BGB geregelt ist.[194] Die Rechtsprechung hat
mehrere Fallgruppen entwickelt, bei denen die Mahnung für die Verzugsbegründung nicht
für nötig gehalten wird. Die Tatbestände des Verzugs ohne Mahnung haben durch die
Rechtsprechung eine weite Ausdehnung erfahren. Die Entbehrlichkeit der Mahnung
wird dabei mit einem stillschweigenden Verzicht oder mit dem Grundsatz von Treu und
Glauben gerechtfertigt. Teilweise wird die Leistungsverzögerung auch unter dem
Gesichtspunkt der positiven Forderungsverletzung behandelt, mit der Begründung, daß die
Regeln über den Schuldnerverzug vor allem das Erfordernis der Mahnung- nicht
passen würden.[195] Die Schuldrechtskommission
erkennt als wesentlichen Mangel des geltenden Rechts, daß die Fallgruppen, bei denen die
Mahnung nach allgemeiner Ansicht entbehrlich ist, nicht gesetzlich geregelt sind und hält
den Anwendungsbereich des § 284 II BGB für zu eingeschränkt. Der
Kommissionsentwurf sieht vor, wenigstens teilweise die von der Rechtsprechung entwickelten
Fallgruppen gesetzlich zu regeln.[196] 1. Entbehrlichkeit der Mahnung nach geltendem Recht
a) § 284 II BGB
aa) Zweck der Norm
Nach dem Gesetz ist eine Mahnung entbehrlich, wenn eine Zeit
nach dem Kalender bestimmt ist. Schon im gemeinen Recht war der Rechtsgrundsatz dies
interpellat pro homine allgemein anerkannt.[197]
Diese etwas sonderbar klingende Deutung, daß die Terminbestimmung eine automatische
Mahnung enthält, beruht auf dem Verständnis des römischen Rechts hinsichtlich des
Verzuges. Die Mahnung wurde als ein notwendiges Kriterium des Verzugs angesehen. Ein
Verzug ohne Mahnung war begriffswidrig.[198]
Im BGB ist der Verzugseintritt ohne Mahung anerkannt. Ein Rückgriff auf diesen Rechtssatz
ist daher entbehrlich. In den Gesetzesbegründungen heißt es zu dieser
Ausnahmevorschrift, daß die Aufgaben der Mahnung schon durch die Terminbestimmung
erfüllt seien. Durch die Zeitbestimmung sei die Leistungs- und Erfüllungspflicht zu
dieser Zeit festgestellt und der Schuldner müsse hieraus schon die nötige Aufforderung
entnehmen.[199] Der Gesetzgeber sah eine
bloße Leistungsverzögerung bei einer fälligen Leistung i. S. d. § 271
BGB nicht als Rechtsverletzung an, da die Fälligkeit der Forderung nur mit dem
Forderndürfen identisch sei und nicht gleichzeitig ein Leistenmüssen enthalte. Die
Mahnung diene nur dazu, daß die Leistungsverzögerung den Charakter der Rechtsverletzung
annehme, indem die Leistungszeit festgelegt werde.[200]
In diesem Kontext ist die Gesetzesbegründung zu dem Rechtssatz dies interpellat pro
homine zu sehen. Nach Auffassung des Gesetzgebers war bei einer Terminbestimmung die
Leistungs- und Erfüllungspflicht auch ohne Mahnung vorhanden, d. h. der Schuldner war bei
einer Leistungszeitbestimmung zu einer Leistung unaufgefordert verpflichtet. Wie anfangs dargelegt, kann dieser historischen Deutung nicht
gefolgt werden.[201] Schon bei Fälligkeit ist
von einer Leistungspflicht des Schuldners auszugehen. Die Mahnung hat für den objektiven
Tatbestand nur die Bedeutung, den Ermessenspielraum des Schuldners zu beenden und bezweckt
auf der subjektiven Ebene, den Schuldner den Eintritt der Leistungszeit zur Kenntnis zu
bringen, indem der bisher für den Schuldner noch nicht kalendermäßig fixierte
Leistungstermin festgelegt bzw. festgestellt wird. Mit dieser Interpretation läßt sich
die Entbehrlichkeit der Mahnung bei einem kalendermäßig bestimmten Leistungstermin
erklären. Ist die Leistungszeit auf einem bestimmten Tag fixiert, so ist kein
Ermessenspielraum vorhanden, der durch die Mahnung beendet werden müßte und eine
Inkenntnissetzung des Schuldner ist aufgrund der schon festgelegten Leistungszeit nicht
nötig. Die Mahnung ist für den subjektiven Tatbestand bei einer kalendermäßig nicht
fixierten Leistungszeit erforderlich, da die Beurteilung und damit auch die Beweislast, zu
welchem Zeitpunkt die Leistungszeit eingetreten ist, nicht einseitig dem Schuldner
auferlegt werden kann. Bei einem bestimmten Leistungstermin ist diese Problematik nicht
vorhanden. Die fehlenden Kenntnis der Leistungszeit kann aufgrund des kalendermäßig
bestimmten Zeitpunkts eindeutig dem Verantwortungsbereich des Schuldners zugeordnet
werden, so daß die Beweislastverteilung nach § 285 BGB ohne zusätzliche
Leistungsaufforderung gerechtfertigt ist. Die Begründung für diesen Rechtssatz ist für
die Auslegung der kalendermäßigen Zeitbestimmung wichtig. Konsequenterweise müßten
alle Zeitbestimmungen unter § 284 II BGB fallen, mit denen die Aufgaben der
Mahnung erfüllt werden. Die veränderte Auffassung hinsichtlich der Mahnungsfunktion kann
demnach zu einer unterschiedlichen Auslegung führen. bb) Kalendermäßige Zeitbestimmung i.
S. d. § 284 II BGB
Der Gesetzgeber hat eine kalendermäßig bestimmte Zeit nicht
nur bei einer vertraglichen Vereinbarung angenommen, sondern auch eine gesetzliche oder
richterliche Terminbestimmung anerkannt.[202]
Die Anforderungen an eine Zeitbestimmung
i. S. d. § 284 II BGB werden von der herrschenden Auffassung nur dann
als erfüllt angesehen, wenn sich die Leistungszeit unmittelbar oder mittelbar aus dem
Kalender ergibt.[203] Von einer unmittelbare
Festlegung ist auszugehen, wenn der maßgebliche Kalendertag genau bezeichnet wird
(beispielsweise 15. Januar oder Ostern). Als mittelbare Bestimmung
des Leistungstages wird eine Vereinbarung bezeichnet, kraft derer sich die Leistungszeit
taggenau berechnen läßt (beispielsweise Lieferung 10 Tage nach Weihnachten
oder heute in 14 Tagen). Nach ganz überwiegender Ansicht kann die kalendermäßige
Zeitbestimmung, wenn sie nicht durch Gesetz oder durch das Gericht festgelegt wird, nur
durch eine vertragliche Vereinbarung erfolgen. Es sei nicht zulässig, daß der Gläubiger
einseitig den Kalendertag festlege.[204] Dem ist zuzustimmen. Eine
Fälligkeitsbestimmung kann nur durch eine vertragliche Abrede geschlossen werden. Eine
einseitige Leistungsbestimmung bei offengelassener Fälligkeitsabrede (§ 271 I
BGB) kann gem. § 284 I BGB nur durch eine Mahnung nach Fälligkeit der Leistung
erfolgen. cc) Berechenbarkeit der Leistungszeit
nach dem Kalender
Gem. § 284 II S. 2 BGB ist die bloße
Berechenbarkeit der Leistung nach dem Kalender zulässig, wenn der Leistung eine
Kündigung vorauszugehen hat und der Termin sich von der Kündigung aus berechnen läßt.
Nach herrschender Auffassung sind andere Tatsachen als die Kündigung, die als
Ausgangspunkt für die Berechnung der Leistungszeit in Frage kämen, nicht zulässig. Eine
kalendermäßige Zeitbestimmung i. S. d. § 284 II BGB liege nicht
vor, wenn sich der Termin nur unter Anknüpfung an ein ungewisses, noch in der Zukunft
liegendes Ereignis berechen lasse (beispielsweise Zahlung 10 Tage nach Lieferung[205]). Der Leistungstermin
müsse sich wenn auch nur mittelbar- direkt aus dem Kalender ermitteln lassen.[206] Als Begründung für diese
enge Auslegung wird angeführt, daß der Schuldner nicht im Zweifel sein dürfe, wann er
leisten müsse. Werde der Eintritt der Leistungszeit von dem Eintritt eines Ereignisses
abhängig gemacht, so könne es zweifelhaft sein, ob der Schuldner Kenntnis von dem
Eintritt des Ereignisses erlangt habe.[207] Des weiteren wird
angeführt, daß § 284 II S. 2 BGB ausdrücklich die Berechenbarkeit der
Leistungszeit bei einer Kündigung zulasse. Dieser Ausnahmetatbestand sei aber nicht auf
andere Tatsachen auszudehnen. In der Begründung zum ersten Entwurf sowie bei den
Beratungen der II. Kommission sei die Ablehnung der analogen Anwendung des
§ 284 II S. 2 BGB auf andere Tatsachen als die Kündigung ausdrücklich
zum Ausdruck gebracht worden.[208] In der Literatur wird vereinzelt Kritik an dieser engen
Auslegung geäußert. Weimar bejaht die
Anwendbarkeit des § 284 II BGB hinsichtlich der Berechenbarkeit der
Leistungszeit bei Verknüpfung mit Umständen, die für den Schuldner ohne weiteres
erkennbar seien.[209] Der Schuldner wisse in
diesen Fällen, woran er sei und zu welchen bestimmten Zeitpunkt der Gläubiger die
Zahlung begehre. Es herrsche aus diesem Grunde Rechtsklarheit zwischen den Parteien. Es
sei nicht ersichtlich, warum der Schuldner, für den die Sachlage klar erkennbar sei, noch
auf der Rechtswohltat einer zusätzlichen Mahnung bestehen könne. In eine ähnliche Richtung führt die Ansicht von Westermann. Der Schuldner komme auch dann in
Verzug, wenn er eine kalendermäßig berechenbare Frist versäumt habe, die ihm nach einem
im Vertrag vereinbarten Verfahren und in dem dort gesetzten Rahmen vom Gläubiger genannt
worden sei. Bereits im ursprünglichen Vertrag müsse ein Rahmen vereinbart
sein, innerhalb dessen der Gläubiger den endgültigen Zahlungstermin einseitig festsetzen
dürfe. Es sei beispielsweise eine Vereinbarung möglich, daß der Gläubiger mit der
Lieferung eine Frist bestimme, so daß mit Fristablauf automatisch Verzug eintrete.[210] Nicht genügend bestimmt
i. S. d. § 284 II BGB seien dagegen solche Regelungen, die dem
Gläubiger eine beliebige Festlegung der Fälligkeit gestatten oder auf Ereignisse
abstellen würden, die keinen festen Platz in dem vereinbarten Rahmen der
Vertragsabwicklung einnähmen (wie etwa Nachbestellungen).[211] Schon im älteren Schrifttum wurde die enge Auslegung
kritisiert. Ennerccerus hält eine analoge
Anwendung des § 284 II S. 2 BGB für nicht ganz ausgeschlossen, wenn der
Käufer die Zahlung des Kaufpreises 10 Tage nach Empfang der Ware versprochen
habe.[212] Sogar in der Rechtsprechung wird in zwei Entscheidungen die
Mahnung bei der bloßen Berechenbarkeit der Leistung für überflüssig gehalten.[213] Beiden Entscheidungen lagen
Parteivereinbarungen zugrunde, nach denen die Leistung des Schuldners nach Eintritt eines
in der Zukunft liegenden Ereignisses (Zustellung der Rechnung[214]; Ankunft eines Schiffes)
zu erbringen war. In beiden Fällen gewährte das Gericht einen Schadensersatzanspruch
wegen Zahlungs- bzw. Lieferungsverzugs, obwohl eine Leistungsaufforderung des Gläubigers
unterblieben war. Der Hintergrund für die Billigung dieser Ausnahme lag in dem Umstand,
daß den Parteien schon bei Vertragsschluß bekannt war, daß eine Leistungsverzögerung
erhebliche Schäden beim Gläubiger verursachen würde. Allerdings begründeten die
Gerichte die Entbehrlichkeit der Mahnung nicht mit dem Ausnahmetatbestand des
§ 284 II BGB, sondern mit einem stillschweigenden Verzicht auf das
Mahnungserfordernis.[215] In den
Entscheidungsgründen wurde dazu ausgeführt, daß ein konkludenter Verzicht vorläge,
wenn die Parteien die Leistung des Schuldners auf ein bestimmtes Ereignis abstellen und
der Leistung im Zeitpunkt des Eintritts dieses Ereignisses eine über die Fälligkeit
hinausgehende Bedeutung beimessen würden, die sich daraus ergäbe, daß die Leistung zu
diesem Zeitpunkt zur Abwendung möglicher erheblicher Nachteile erbracht werden müsse und
dies für den Schuldner erkennbar sei.[216] Die Diskussion verdeutlicht, daß entgegen der herrschenden
Ansicht eine starke Tendenz vorhanden ist, die bloße Berechenbarkeit der
Leistungszeit in bestimmten Fallgruppen als eine kalendermäßige Zeitbestimmung
i. S. d. § 284 II BGB anzuerkennen. Eine einheitliche Linie ist dabei
nur schwer erkennbar. Festzuhalten ist, daß im Schrifttum überwiegend die
Rechtssicherheit des Schuldners als Maßstab dient, während die Rechtsprechung die
Interessen des Gläubigers (z. B. erheblicher Schadenseintritt beim Gläubiger) als
Begründung heranzieht. Für die Abwägung
und Begründung sind neben den Aufgaben der Mahnung auch die Entstehungsgeschichte dieser
Norm und der Wortlaut des § 284 II S. 2 BGB heranzuziehen, da die
Argumentation der herrschenden Auffassung sich im wesentlichen auf diese beiden Punkte
stützt. Nach Auffassung der herrschenden Ansicht läßt sich aus den
Gesetzesbegründungen eindeutig entnehmen, daß der Gesetzgeber die enge Auslegung
favorisiert habe.[217] Eine genaue Untersuchung
der Materialien lassen aber erhebliche Zweifel an dieser Interpretation der
Entstehungsgeschichte aufkommen. Bei den Beratungen zum BGB wurde darüber diskutiert, ob außer einem kalendermäßig bestimmten Tag auch
der Eintritt eines Ereignisses zum sofortigen Verzug führen solle, wenn der Schuldner
diesen Zeitpunkt verstreichen ließe. Das allgemeine preußische Landrecht sah etwas
derartiges vor.[218] Gegen eine solche
Ausdehnung wurde eingewandt, daß die Verzugsvoraussetzungen dann nach Maßgabe der
Kenntnis des Schuldners vom Bedingungseintritt modifiziert werden müßten. Es wäre
insbesondere darauf Rücksicht zu nehmen, ob und wann der Schuldner von dem Eintritt des
Ereignisses Kenntnis erlangt habe. Diese Modifikation würde der Einfachheit der
angestrebten gesetzlichen Regelung schaden.[219] Diese Entstehungsgeschichte zeigt, daß eine weite Auslegung des
§ 284 II BGB für diskutabel gehalten wurde und eine ausdrückliche gesetzliche
Regelung nur wegen der komplizierten Ausgestaltung abgelehnt wurde, da die Kenntnis des
Schuldners von dem Eintritt des Ereignisses zu berücksichtigen gewesen wäre. Eine
ausdehnende Auslegung des § 284 II BGB ist daher mit dem geltenden Recht
vereinbar. Auch die Materialen zu dem Tatbestand des § 284 II S. 2 BGB
lassen erkennen, daß der Gesetzgeber die Kündigung anstelle der anderen Ereignisse nur
ausdrücklich erwähnt, um jegliche Zweifel hinsichtlich dieser Frage wegen der großen
praktischen Bedeutung abzuschneiden.[220] Der von der herrschenden
Auslegung herangezogene Umkehrschluß, daß aufgrund dieser Einzelfallregelung sonst die
bloße Berechenbarkeit der Leistungszeit nach dem Kalender nicht unter den Tatbestand des
§ 284 II BGB falle, kann aufgrund der nur praktischen Erwägungen des
Gesetzgebers nicht zugestimmt werden. Entscheidend für die Auslegung der Norm ist letztlich die
Mahnungsfunktion. Sind die Aufgaben der Mahnung bei einer nach dem Kalender berechenbaren
Zeitvereinbarung erfüllt, so liegt eine kalendermäßige Bestimmung i. S. d.
§ 284 II BGB vor. Die Bedenken, die in den Gesetzesbegründungen angeführt
wurden, sind auch mit der hier vertretenen Interpretation der Mahnung zu beachten. Bei
einer bloßen Berechenbarkeit der Leistungszeit kann der Zweck der Mahnung
nicht ohne weiteres als erfüllt angesehen werden, da der Schuldner den Leistungszeitpunkt
erst dann kennt, wenn ihm der Eintritt des Ereignisses bekannt ist.[221] Dieser
Fälligkeitszeitpunkt ist mit einer erheblichen Rechtsunsicherheit behaftet. Es ist daher
zu untersuchen, in welchen Fällen trotz dieser Bedenken die Aufgaben der Mahnung erreicht
werden können. Bei einer sofort zu erbringenden Leistung gem.
§ 271 I BGB ist die Mahnung einmal für den objektiven Tatbestand erforderlich,
um das Leistungsermessen zu beenden, indem die Leistungszeit auf einen bestimmten Termin
festgelegt wird. Bei einer Fälligkeitsvereinbarung, deren Leistungszeit von dem Eintritt
eines Ereignisses abhängt, kann von einem Ermessenspielraum keine Rede sein. Mit dem
Eintritt des Ereignisses steht nämlich der Leistungstermin fest. Nimmt der Schuldner zu
diesem Zeitpunkt seine Leistungshandlung nicht vor, so stellt diese Leistungsverzögerung
eine objektive Pflichtwidrigkeit dar. Eine Mahnung ist bei dieser Terminvereinbarung für
den objektiven Tatbestand daher nicht notwendig. Fraglich ist, ob die Mahnung in bezug auf die
Beweislastverteilung entbehrlich ist. Die Mahnung hat neben dieser eben genannten Funktion
noch den Zweck, die Nichtleistung eindeutig dem Gefahrenbereich des Schuldners zuzuordnen.
Ohne Mahnung ist die Beweislastverteilung gem. § 285 BGB bei einem Leistungstermin
i. S. d. § 271 I BGB hinsichtlich der Kenntnis bzw. Nichtkenntnis des
Schuldners über den Leistungszeitpunkt nicht gerechtfertigt, da die fehlende Vereinbarung
über die Leistungszeit in den Verantwortungsbereich beider Vertragspartner fällt und die
Beurteilung, zu welchem Zeitpunkt zu leisten ist, nicht einseitig dem Schuldner auferlegt
werden kann. Im Gegensatz dazu haben die Parteien bei der
Berechenbarkeit der Leistungszeit einen Fälligkeitstermin vereinbart. Von
einer fehlenden Vereinbarung über die Leistungszeit kann daher nicht gesprochen werden.
Trotzdem fällt bei dieser Fälligkeitsvereinbarung die Leistungsverzögerung nicht in
jedem Fall in den Verantwortungsbereich des Schuldners. Der Schuldner kennt den
Leistungstermin nämlich erst, wenn ihm der Eintritt des Ereignisses bekannt ist. Diese
Kenntnis bzw. Nichtkenntnis hinsichtlich des Eintritts des Ereignisses hat grundsätzlich
der Schuldner darzulegen und beweisen.[222] Haben die Parteien die
Leistungshandlung von einem Ereignis abhängig gemacht, dessen Eintritt sich völlig
außerhalb der Sphäre des Schuldners ereignet (beispielsweise Zahlung 10 Tage nach
Übergabe an die Spedition bei einer vereinbarten Schickschuld), so treten
erhebliche Zweifel auf, ob die Beweislastverteilung gem. § 285 BGB ohne Mahnung
gerechtfertigt ist. Diese Situation ist mit einem kalendermäßig nicht fixierten
Leistungstermin vergleichbar. Die fehlende Kenntnis über den Eintritt dieses Ereignisses
kann nicht dem alleinigen Verantwortungs- und Gefahrenbereich des Schuldners zugeordnet
werden, da der Eintritt des Ereignisses sich außerhalb der Sphäre des Schuldners
abspielt und dieser Umstand dem Gläubiger auch aufgrund der ausdrücklichen
Parteivereinbarung bekannt ist. Die Beurteilung, zu welchem Zeitpunkt der Leistungstermin
eingetreten ist, kann bei solch einer Parteivereinbarung aus diesem Grund nicht einseitig
dem Schuldner auferlegt werden, so daß für den subjektiven Tatbestand weiterhin eine
Mahnung erforderlich ist. Im Ergebnis ist festzuhalten, daß bei der Berechenbarkeit der
Leistungszeit nach der Art der Ereignisse zu differenzieren ist. Bei
Ereignissen, deren Eintritt und die dazugehörige Kenntnisnahme in die Sphäre des
Schuldners fallen, kann eine kalendermäßige Bestimmtheit i. S. d.
§ 284 II BGB bejaht werden. Hierunter fallen beispielsweise Vereinbarungen wie
Zahlbar nach Abruf oder eine Woche nach Lieferung. Es kommen vor
allem die Ereignisse in Betracht, die -wie die Kündigung- eine empfangsbedürftige
Willenserklärung voraussetzen und daher für ihre Wirksamkeit dem Schuldner zugehen
müssen.[223] Dagegen ist bei den
übrigen Parteivereinbarungen weiterhin eine Mahnung erforderlich und eine
kalendermäßige Bestimmung kommt bei diesen kalendermäßig berechenbaren Leistungszeiten
nicht in Betracht. b) Fur
semper in mora
Im überwiegenden Teil des Schrifttums und in der Rechtsprechung
wird es als selbstverständlich vorausgesetzt, daß der im römischen und gemeinen Recht
anerkannte Grundsatz fur semper in mora im BGB zur Anwendung komme. Dieser
Rechtssatz besagt, daß der Schuldner, der zur Herausgabe einer durch eine unerlaubte
Handlung erlangte Sache verpflichtet sei, nicht gemahnt zu werden brauche.[224]
Nach herrschender Auffassung stehen die §§ 848 und 849 BGB, die ausdrücklich
einige Verzugsfolgen ohne Mahnung eintreten lassen, einer solchen allgemeinen Beurteilung
nicht entgegen.[225] Diese unkritische Übernahme dieses gemeinrechtlichen
Grundsatzes ist um so erstaunlicher, wenn man einen Blick auf die Gesetzgebungsgeschichte
wirft.[226] In den Motiven zum BGB
wurde bewußt auf eine entsprechende Regelung verzichtet. Die Verzugsfolgen und die
Verpflichtungen des Deliktschuldners seien nämlich selbständig normiert.[227] Wie schon in dem Kapitel
zur Historie des Verzuges ausgeführt wurde, beruht der Rechtssatz fur
semper in mora auf einer Eigentümlichkeit des römischen Rechts und ist nach dem
geltenden Recht entbehrlich.[228] Der Schadensersatzanspruch,
der sich auf eine unerlaubte Handlung wegen Entziehung oder Beschädigung einer Sache
bezieht, umfaßt nicht nur die Rückgabe oder Wiederherstellung der Sache, sondern auch
den Schaden, der durch die zeitliche Verzögerung entsteht.[229] Des weiteren besteht
unabhängig von der Vorschrift des § 287 S. 2 BGB eine Zufallshaftung für
unverschuldete Unmöglichkeit gem. §§ 848 und 251 I BGB.[230] Der deliktische
Schadensersatzanspruch deckt demnach schon den gesamten Umfang ab, der normalerweise durch
Verzugsansprüche zu befriedigen wäre, so daß für die Anwendung des Grundsatzes
fur semper in mora kein Bedürfnis besteht.[231]
c) Stillschweigender Verzicht der
Mahnung bzw. Entbehrlichkeit der Mahnung nach Treu und Glauben
In Rechtsprechung und Literatur sind die Fallgruppen der
Entbehrlichkeit der Mahnung über den gesetzlich geregelten Tatbestand hinaus
weit ausgedehnt worden. Mit den Schlagwörtern stillschweigender Verzicht auf
das Mahnungserfordernis oder Entbehrlichkeit nach Treu und Glauben wird dieser
Verzugseintritt ohne Mahnung begründet.[232]
Die Schuldrechtsreform sieht diese fehlende gesetzliche Regelung als wesentlichen Mangel
des geltendes Rechts an. Ein Teil dieser Fallgruppen ist aus diesem Grunde in den
Gesetzesvorschlag der Kommission aufgenommen worden.[233]
aa) Besondere Dringlichkeit
Allgemein anerkannt ist die Fallgruppe der Besonderen
Dringlichkeit. Die Entbehrlichkeit der Mahnung wird dabei entweder aus
einem still schweigenden Verzicht auf das Erfordernis der Mahnung oder aus dem Grundsatz
von Treu und Glauben hergeleitet.[234] Die Rechtsprechung hat
wiederholt ausgesprochen, daß die Mahnung überflüssig sei, wenn unverzügliche Leistung
versprochen wurde (RGZ 100, 42 f.: Versprechen des Vermieters nach einem Einbruch beim
Mieter ein neues Schloß anzubringen; BGH NJW 1963, 1823 f.: Versprechen der Ausbesserung
des Motors eines festliegenden Schiffes). In diese Kategorie gehören auch die bei der
Berechenbarkeit der Leistungszeit erwähnten Entscheidungen der
Rechtsprechung, in denen die Parteien die Leistung auf ein bestimmtes Ereignis abstellen
und für den Schuldner erkennbar war, daß es dem Gläubiger wesentlich daran gelegen sein
muß, die Leistung zu diesem Zeitpunkt zu erhalten.[235]
In der Literatur fanden diese Urteile überwiegend Zustimmung.[236] Als Schulfall wird im
Schrifttum zusätzlich der dringende Anruf bei einem Handwerker wegen eines
Wasserrohrbruchs angeführt. Im Ergebnis kann den Entscheidungen zugestimmt werden. Nicht
verständlich sind allerdings die Begründungsansätze. Ein stillschweigender Verzicht auf
das Erfordernis der Mahnung, wie es in der Rechtsprechung und in Teilen der Literatur
angenommen wird,[237] ist nicht
nachvollziehbar. In welcher Weise ein solcher Verzicht vereinbart worden sein sollte,
bleibt offen. Ein Verzicht auf das Mahnungserfordernis bei Vertragsschluß ist reine
Fiktion. Die Darstellung von Wiedemann hebt
diese Kritik deutlich hervor. Nach seiner Ansicht sei für diesen Verzicht im Parteiwillen
keine Grundlage zu finden.[238] Dieser Argumentation kann
zugestimmt werden. Bei Vertragsschluß denken die Parteien nämlich normalerweise nicht an
die Verzugsfolgen. Das Ausweichen auf den Grundsatz von Treu und Glauben führt
allerdings auch zu keiner befriedigenden Lösung. Aus den hierfür angeführten Argumenten
in der Literatur wie der wesentlichen Bedeutung des Zeitmoments[239], der besonderen
Erfüllungsdringlichkeit[240] oder wenn die
Umstände mit Rücksicht auf Treu und Glauben die Mahnung entbehrlich erscheinen
lassen[241] lassen sich keine konkreten
Anhaltspunkte entnehmen. Die Begriffe wesentlich oder besondere
Erfüllungsdringlichkeit sind selbst wieder unbestimmte Rechtsbegriffe, die
ausgefüllt werden müssen, so daß mit diesen kein zufriedenstellendes Ergebnis erreicht
werden kann. Der Grundsatz von Treu und Glauben sollte außerdem erst herangezogen werden,
wenn die sich aus dem Gesetz ergebenden Rechtsfolgen zu untragbaren, mit Recht und
Gerechtigkeit offensichtlich unvereinbaren Ergebnissen führen.[242] Vorrangig ist daher zu
prüfen, ob bei einer Zusage schnellstmöglicher Leistung eine gerechte Lösung aus den
gesetzlichen Regelungen der Verzugsvorschriften zu entnehmen ist. Hervorzuheben ist, daß die Parteien sich in den hier
angeführten Fällen über eine unverzügliche
Leistung, wenn auch nur stillschweigend, geeinigt haben, da dem Schuldner die drohenden
Nachteile des Gläubigers im Falle einer Leistungsverzögerung bekannt waren. Man kann
daher davon sprechen, daß die Parteien eine vertragliche Vereinbarung über den
Leistungstermin getroffen haben und die Leistungszeit auf einen kalendermäßig fixierten
Termin nämlich Vornahme der Leistungshandlung unmittelbar nach Vertragsschluß-
festgelegt haben, so daß die Zweifelsregelung gem. § 271 BGB nicht einschlägig
ist. Bei dieser Fälligkeitsvereinbarung kann aus diesem Grunde von einer kalendermäßig
bestimmten Zeit i. S. d. § 284 II BGB ausgegangen werden, so daß
aufgrund dieses gesetzlich geregelten Ausnahmetatbestandes die Mahnung überflüssig ist.[243] In eine ähnliche Richtung führt eine Entscheidung des BGH, in
der darauf abgestellt wird, daß -wie bei § 284 II BGB- die Aufgaben der
Mahnung schon durch den Inhalt des Vertrages erfüllt seien.[244] In der Entscheidung heißt
es dazu, daß es Zweck der Mahnung sei, dem Schuldner vor Augen zu führen, daß das
Ausbleiben der Leistung Folgen haben werde und ihn daher zur sofortigen Leistung zu
veranlassen. Dieser Zweck sei bereits durch den Vertragsschluß selbst erreicht, wenn sich
der Schuldner ohne weiteres darüber klar sein müsse, daß er die Folgen auf sich nehme,
falls er die Leistungszeit nicht einhalte. Diese Entscheidung orientiert sich im Gegensatz
zu den sonstigen Begründungsversuchen der Rechtsprechung an der Funktion der Mahnung,
indem die Entbehrlichkeit der Mahnung konsequenterweise aus der Erfüllung der Aufgaben
hergeleitet wird. Der BGH stellt dabei zwar für den Zweck der Mahnung auf die nicht
zutreffende Ansicht der mangelnden Schutzbedürftigkeit des Schuldners ab. Die Mahnung ist
aber nicht wegen der mangelnden Schutzbedürftigkeit entbehrlich, sondern weil die
Leistungszeit kalendermäßig bestimmt ist, so daß eine Festsetzung der Leistungszeit
durch die Mahnung überflüssig ist. bb) Erfüllungsverweigerung
Verweigert der Schuldner ernsthaft und endgültig die
Erfüllung, so ist nach allgemeiner Ansicht eine Mahnung entbehrlich.[245] In diesem Fall ist der
Rückgriff auf Treu und Glauben berechtigt. Ist es offensichtlich, daß der Schuldner die
geschuldete Leistung nicht bewirken wird, so kann von einem antizipierten
Vertragsbruch ausgegangen werden.[246]
Es wäre ein reiner Formalismus in diesen Fällen von dem Gläubiger eine Mahnung zu
verlangen. Es kann dem Gläubiger nicht zugemutet werden, daß er den Schuldner nach dem
Eintritt der Fälligkeit noch mahnt. Sollte sich der Schuldner auf das Unterbleiben der
Mahnung berufen, würde dieser Einwand unter dem Gesichtpunkt des venire contra factum
proprium unerheblich sein.[247] An die Erfüllungsverweigerung sind strenge Anforderungen zu
stellen. Der Schuldner muß unmißverständlich zum Ausdruck bringen, daß er in keinem
Fall mehr zur Erfüllung bereit ist. Die Leistungsverweigerung stellt, wie sich schon aus
der Berufung auf Treu und Glauben für die Entbehrlichkeit der Mahnung ergibt, kein
Mahnungssurrogat dar, so daß sie schon vor Fälligkeit der Leistung erklärt werden kann.[248] Das Institut der ernsthaften und endgültigen
Erfüllungsverweigerung wird vielfach auch als typischer Tatbestand der positiven
Forderungsverletzung angesehen. Aufgrund der Subsidiarität der pFv kann diese nur zur
Anwendung kommen, wenn gesetzlich kodifizierte Leistungsstörungsinstitute für diese
Pflichtverletzung nicht in Betracht kommen. Der Gesetzgeber hat durch den Schuldnerverzug
einen Sonderfall der Leistungsstörung, nämlich die Nichteinhaltung der Leistungszeit,
mit besonderen Voraussetzungen geregelt. Führt eine Vertragsverletzung zu dem Erfolg,
daß die Leistung verzögert wird, so dürfen die gesetzlichen Voraussetzungen (vor allem
das Erfordernis der Mahnung) nicht umgangen werden, indem ein Schadensersatzanspruch aus
dem gesetzlich nicht geregelten Institut der pFv zugesprochen wird.[249] Vor Fälligkeit kann daher ein durch die Erfüllungsverweigerung
verursachter Schaden über das Rechtsinstitut der positiven Forderungsverletzung ersetzt
werden, da zu diesem Zeitpunkt eine Leistungsverzögerung wegen der fehlenden zeitlichen
Verpflichtung nicht vorliegt.[250] Nach Fälligkeit der
Leistung können dagegen nur noch die Verzugsvorschriften zur Anwendung kommen.[251] In der Rechtsprechung und
auch in der Literatur wird dieser Subsidiaritätsgrundsatz teilweise nicht konsequent
durchgehalten und bei einer Leistungsverzögerung aufgrund einer Erfüllungsverweigerung
auch nach Fälligkeit anstelle der Verzugsvorschriften die Anwendbarkeit der positiven
Forderungsverletzung für zulässig gehalten.[252]
Wegen der allgemein anerkannten Entbehrlichkeit der Mahnung bei einer
Erfüllungsverweigerung führen diese Ansichten in der Praxis nicht zu unterschiedlichen
Ergebnissen. Die letztgenannte Auffassung steht aber nicht im Einklang mit der
gesetzlichen Systematik. Die positive Forderungsverletzung ist gegenüber den gesetzlich
geregelten Leistungsstörungsinstituten wie Unmöglichkeit und Verzug subsidär. Die
gesetzlich geregelten Verzugsvoraussetzungen könnten sonst durch die Heranziehung der
positiven Forderungsverletzung umgangen werden, so daß bei Vorliegen einer
Leistungsverzögerung grundsätzlich die Regelungen des Verzuges heranzuziehen sind.[253] cc) Selbstmahnung
Hat der Schuldner den Gläubiger treuwidrig von der Mahnung
abgehalten, indem er wahrheitswidrig behauptet, er habe geleistet oder die Leistung sei
unterwegs, so ist allgemein anerkannt, daß dem Gläubiger Verzugsansprüche ohne Mahnung
entsprechend dem Rechtsgedanken des § 162 I BGB zustehen.[254] Darüber hinaus ist
zusätzlich an einen Deliktsanspruch zu denken, wenn das Verhalten des Schuldners gegen
die guten Sitten verstößt.[255] Dieser Begründungsansatz
führt den Gläubiger in eine schwierige Lage. Der Gläubiger muß auf der einen Seite das
treuwidrige Handeln beweisen. Erforderlich ist nicht nur ein objektiver Verstoß gegen
Treu und Glauben, die Verhinderung muß dem Täter auch subjektiv zum Vorwurf gemacht
werden können.[256] Darüber hinaus muß der
Gläubiger den Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Schuldners und der
unterlassenen Mahnung darlegen und beweisen.[257]
Diese Fragen werden den Gläubiger in der überwiegenden Anzahl der Fälle in
Beweisschwierigkeiten bringen, so daß ihm mit dem Verzugseintritt ohne Mahnung analog
§ 162 BGB in der Praxis nicht geholfen werden kann. Dieselben Beweisschwierigkeiten
treten bei dem Deliktsanspruch gem. § 826 BGB auf. Darüber hinaus hilft diese
Argumentation in den Fällen der Vornahme eines Erfüllungsversuch oder der bloßen
Ankündigung der Leistung durch den Schuldner nicht weiter, denn bei diesen
Fallkonstellationen wird i. d. R. ein treuwidriges Verhalten des Schuldners
nicht vorliegen. Trotzdem ist es auch bei diesen Verhaltensweisen entgegen einer weit
verbreiteten Auffassung[258] nicht interessengerecht,[259] eine zusätzliche
Leistungsaufforderung zu verlangen. Es wäre weltfremd anzunehmen, daß ein Gläubiger bei
einer Leistungsankündigung des Schuldners noch eine zusätzliche Mahnung aussprechen
würde. Der Gläubiger wird die Mahnung für überflüssig halten. Es ist aus diesem
Grunde zu überlegen, ob nicht grundsätzlich ein Verzug ohne Mahnung angenommen werden
kann, wenn der Gläubiger durch ein Verhalten des Schuldners von der Mahnung abgehalten
wird, unabhängig davon, ob der Schuldner das Verhalten mit böser Absicht vorgenommen
hat. Zu denken wäre an eine Analogie zu § 284 II BGB oder eine ausdehnende
Auslegung der kalendermäßigen Bestimmung. Zitelmann befaßt sich
in seinem Aufsatz zur Selbstmahnung des Schuldners eingehend mit diesem
Problem.[260] Er wendet dabei den
Rechtssatz des § 284 II BGB analog an, sobald der Schuldner erkläre, daß er
zu einem bestimmten Zeitpunkt leisten werde oder schon geleistet habe. Der Rechtsansatz
des § 162 I BGB helfe nämlich in den Fällen nicht weiter, in denen der
Schuldner noch in guter Absicht ankündige, er werde leisten, nachher aber die Leistung
auch ohne sein Verschulden unterbleibe. Es müßten daher andere Wege gesucht werden, die Zitelmann in dem Grundgedanken der Verzugsregeln
findet.[261] Bei einer unbestimmten
Leistungszeit müsse die Verpflichtung nach ihrer zeitlichen Seite hin noch
zugespitzt oder gereift sein. Diese zeitliche Reife könne durch
Parteivereinbarung oder einseitig durch den Gläubiger erreicht werden, indem er mahne.[262] In der Ankündigung des
Schuldners und dem Schweigen des Gläubigers könne allerdings eine Parteivereinbarung
über die Leistungszeit nicht gesehen werden. Durch den Vertrag würde sich die Rechtslage
des Gläubigers nicht nur verbessern, sondern auch verschlechtern, da er vor diesem Termin
die Leistung nicht mehr fordern könne. Ein Schweigen des Gläubigers könne daher diese
Rechtslage nicht herbeiführen.[263] Zitelmann geht schließlich den Weg, daß er die
Selbstmahnung der Leistungsaufforderung durch den Gläubiger gleichstelle. Wenn nun sogar der Gläubiger durch einseitige
Erklärung die Wirkung der zeitlichen Reifung zu Ungunsten des Schuldners herbeiführen
könne, um so mehr müsse der Schuldner dazu in der Lage sein.[264] Die Annahme dieser
Erklärung durch den Gläubiger sei ebensowenig nötig wie die Annahme der Mahnung durch
den Schuldner, da sie für den Gläubiger keine ungünstigen Folgen auslöse. Der
Verzugseintritt ohne Mahnung könne bei einer Selbstmahnung durch einen
Analogieschluß begründet werden. Gerade der Satz dies interpellat pro homine
zeige, daß die Mahnung kein notwendiger Bestandteil des Verzuges sei, sondern eine
Mahnung nur nötig sei, wenn der Anspruch die zeitliche Reifung nicht in sonstiger Weise
erhalte.[265] Der Argumentation von Zitelmann
kann zugestimmt werden. Es kommt entscheidend darauf an, ob bei einer
Selbstmahnung die Aufgaben der Mahnung erfüllt werden. Zitelmann umschreibt dieses zwar mit dem Begriff
der zeitlichen Reife. Durch seinen Verweis auf § 284 II BGB wird aber deutlich,
daß er mit der Selbstmahnung wie bei einer kalendermäßigen Terminbestimmung
den Zweck der Mahnung als erreicht ansieht. Die Aufgaben der Mahnung sind erfüllt, wenn
der Leistungszeitpunkt festgelegt bzw. festgestellt ist und der Schuldner von dem Eintritt
der Leistungszeit ohne Zweifel Kenntnis erlangt hat. Dieser Zweck wird nicht nur bei einer
treuwidrigen Verhinderung der Mahnung erreicht. Durch die bloße Ankündung der Leistung
durch den Schuldner bringt dieser ebenfalls zum Ausdruck, daß er zu diesem bestimmten
Termin leisten werde und ihm der Eintritt der Leistungszeit bewußt sei. Durch dieses
Verhalten des Schuldners wird eine bestimmter Leistungstermin festgelegt. Schutzwürdige
Interessen des Gläubigers werden dadurch nicht mißachtet, so daß eine Annahme
entbehrlich ist. Der Gläubiger ist in keiner Weise an diese Festlegung der Leistungszeit
gebunden, sondern kann die Leistung auch vor diesem Termin verlangen. Unter diese Selbstmahnung fällt auch die
mißlungene Erfüllungshandlung des Schuldners, da hierdurch ebenfalls der Zweck der
Mahnung erreicht wird.[266] Durch diesen
Erfüllungsversuch macht der Schuldner deutlich, daß ihm der Eintritt der Leistungszeit
bewußt ist und für ihn keine Zweifel bestehen, daß er zu dieser Zeit leisten muß.
Zusätzliche Anforderungen sind für diesen Erfüllungsversuch nicht
erforderlich. Der im Schrifttum aufgestellten Behauptung, es müsse sich um eine bewußte Falschlieferung handeln, kann nicht
gefolgt werden.[267] Es sind keine Gründe
ersichtlich, die diese strengere Anforderung rechtfertigen könnten, da schon durch die
versuchte Erfüllung des Schuldners die Funktionen der Mahnung erfüllt sind. Teilweise
wird zusätzlich gefordert, daß eine Mahnung in dieser Fallkonstellation nur entbehrlich
sei, wenn der Gläubiger den Schuldner über diesen mißlungenen Erfüllungsversuch
benachrichtigt hat.[268] Diese Mitteilung steht aber
in keinem Zusammenhang mit der Entbehrlichkeit der Mahnung, da die Mahnung bei einem
Erfüllungsversuch aufgrund ihrer Aufgabenerfüllung grundsätzlich überflüssig ist.
Eine andere Frage ist, ob die Benachrichtigung für das Vertretenmüssen des Schuldners
benötigt wird. Ohne diese Mitteilung wird der Schuldner i. d. R.
berechtigterweise davon ausgehen dürfen, daß richtig erfüllt sei, so daß er sich
exkulpieren kann.[269] Abzugrenzen von dieser Selbstmahnung sind die Fälle
der Stundung und der Vertröstung.[270]
Bietet der Schuldner die Leistung in Kürze an oder erklärt er nur prinzipiell seine
Leistungsbereitschaft, so ist von einer Vertröstung auszugehen, da mit diesen
Erklärungen der Zweck der Mahnung nicht erfüllt ist. Durch das Verhalten des Schuldners
wird nicht deutlich, zu welchem bestimmten Zeitpunkt die Leistungszeit eingetreten ist. Bisher ist nur geklärt, daß die Mahnung bei einer
Selbstmahnung entbehrlich ist. Fraglich ist, in welcher Weise dieser
Verzugseintritt dogmatisch zu begründen ist. In Betracht kommen eine direkte oder analoge
Anwendung des § 284 II BGB. Geht man mit der Gesetzesbegründung davon aus,
daß neben einer richterlichen und gesetzlichen Terminbestimmung nur vertragliche
Fälligkeitsabreden unter § 284 II BGB fallen und die einseitige Festlegung
durch den Schuldner nicht erfaßt wird, so kann der Verzugseintritt nur mit einer analogen
Anwendung des § 284 II BGB begründet werden. Der Gesetzgeber hat die
Möglichkeit des Verzugseintritts ohne Mahnung gem. § 284 II BGB anerkannt, da
der Zweck der Mahnung bei einem bestimmten Termin erfüllt ist.[271] Diese Vorschrift ist daher
entsprechend auf die Fallgruppen anzuwenden, bei denen die Leistungszeit auf andere Weise
festgelegt wird und von einer Kenntnisnahme des Schuldners ohne Zweifel auszugehen ist. d) Weitere Verhaltenspflichten
Die bisher erörterten Fallgruppen zur Entbehrlichkeit der
Mahnung werden in der Rechtsprechung und Literatur ausführlich teilweise auch
kontrovers- diskutiert. Dagegen wird im Rahmen des Schuldnerverzuges die zu späte
Erfüllung der weiteren Verhaltenspflichten nur am Rande behandelt, da nach ganz
überwiegender Auffassung die Verletzung dieser Pflichten den Regeln der positiven
Vertragsverletzung unterstellt wird.[272] Dies ist um so
erstaunlicher, da die pFv nur subsidär zur Anwendung kommt, so daß in erster Linie zu
klären ist, ob nicht die Voraussetzungen des Verzuges gegeben sind. Bevor auf diese
Fallkonstellation eingegangen wird, ist der Inhalt der weiteren
Verhaltenspflichten kurz darzustellen. Neben der Erfüllung der vertraglich vereinbarten Pflichten sind
die jeweiligen Vertragsparteien zur wechselseitigen Rücksichtnahme verpflichtet. Sie
haben sich so zu verhalten, daß der Vertragszweck nicht gefährdet und der anderen Partei
kein Schaden zugefügt wird. Diese Schutz- und Loyalitätspflichten werden als
weitere Verhaltenspflichten bezeichnet.[273]
Der Verkäufer ist beispielsweise nicht nur verpflichtet, gem. § 433 I BGB den
Kaufgegenstand zu übertragen, sondern muß den Käufer auch über mögliche Gefahren
unterrichten, die bei der Verwendung des Gegenstandes auftreten können. Wie eben schon erwähnt, wird nach ganz herrschender Auffassung
-mit unterschiedlicher Differenzierung- die Verletzung dieser Verhaltenspflichten den
Regeln der positiven Vertragsverletzung unterstellt. Löwisch
vertritt beispielsweise die Ansicht, daß die pFv zur Anwendung komme, wenn die
Pflichten jedenfalls der Wahrung des Integritätsinteresses des Gläubigers dienen
würden. Es mache keinen Sinn, die verspätete oder unvollständige Warnung vor der
Gefährlichkeit einer gelieferten Maschine unterschiedlich zu behandeln.[274] Mit einer ähnlichen
Argumentation werden die spontan zu erfüllenden Warnpflichten aus dem Anwendungsbereich
des Verzuges herausgenommen. Die Verzugsvorschriften würden mit ihren besonderen
Erfordernissen nicht passen.[275] Bedenklich ist, daß die Rechtslehre das Institut der positiven
Forderungsverletzung benutzt, um das Erfordernis der Mahnung zu umgehen. Der Gläubiger
kann zwar das Ausbleiben der Erfüllung
dieser Pflichten i. d. R. nicht bemerken (beispielsweise wird es für den
Gläubiger nicht erkennbar sein, daß ein Warnhinweis zu erfolgen hat), so daß das
Bedürfnis, dem Mahnungserfordernis auszuweichen, nachvollziehbar ist. Das Ausweichen auf
die positive Forderungsverletzung darf aber nicht dazu dienen, eine Ersatzpflicht bei
einer Leistungsverzögerung ohne die strengen Verzugsvoraussetzungen zu begründen. Die
Normen für den Verzug enthalten eine abschließende Regelung. Eine Umgehung dieser
Voraussetzung durch Anwendung eines anderen Rechtsinstituts ist nicht zulässig.[276] Es wird aus diesem Grunde
gegen diese Praxis schon in der älteren Literatur eingewandt, daß in der positiven
Vertragsverletzung ein neues Sicherheitsventil gegen ein stetes Mahnungserfordernis
gefunden worden sei.[277] Die Praxis eliminiere das
Erfordernis der Mahnung vielfach dadurch, daß sie anstatt des Verzugseintritts ohne
Mahnung eine positive Vertragsverletzung annehme. Die Ersatzpflicht müsse in diesen
Fällen vielmehr durch eine Ausdehnung des Gebietes des Verzugs ohne Mahnung begründet
werden.[278] Wie bei der Selbstmahnung kann die Entbehrlichkeit
der Mahnung in dem vorliegenden Fall mit der Erfüllung ihrer Aufgaben begründet werden,
so daß der Verzug analog § 284 II BGB ohne Mahnung eintritt. Aus den
Umständen ist bei diesen Verhaltenspflichten unter Anwendung der im Verkehr
erforderlichen Sorgfalt ohne weiteres für den Schuldner erkennbar, daß zu einem
konkreten Termin die Leistungszeit eingetreten ist. Die weiteren Verhaltenspflichten
dienen dazu, die Rechtsgüter des Gläubigers vor Schäden zu bewahren. Sobald eine
objektive unmittelbare Gefährdung des Gläubigers vorhanden ist, hat sich der
Leistungszeitpunkt verdichtet und der Eintritt dieses Zeitpunktes ist für den Schuldner
aufgrund der sonst zu erwartenden Nachteile für den Gläubiger ohne weiteres ersichtlich.
Es bestehen für ihn keine Zweifel mehr, daß er zu diesem Zeitpunkt zu leisten hat. Eine
Fixierung der Leistungszeit und eine Mitteilung an den Schuldner bzgl. dieses Termins ist
aus diesem Grunde überflüssig. Im Zweifel wird ein unmittelbar bevorstehender
Schadenseintritt an den Rechtsgütern des Gläubigers mit der Erfüllung der Hauptleistung
einhergehen, so daß der Eintritt der Leistungszeit in den meisten Fällen für die
weiteren Verhaltenspflichten mit dem Zeitpunkt der Erfüllungshandlung korrespondiert.
Beispielsweise ist eine erforderliche Anleitung oder ein Hinweis auf Gefahren spätestens
im Zweifel mit der Erfüllungshandlung vorzunehmen, ansonsten kommt der Schuldner ohne
Mahnung analog § 284 II BGB in Verzug.[279]
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