2. Die Besonderheiten des Zurückberhaltungsrechts gem. § 273 BGB, der Stundungseinrede/pactum de non petendo, der Erbeneinreden gem. §§ 2014, 2015 BGB und der Einrede des nicht erfüllten Vertrages

 

In der Literatur und Rechtsprechung herrscht Einigkeit, daß die Einrede des nicht erfüllten Vertrages, das Zurückbehaltungsrecht gem. § 273 BGB und die aufschiebende Erbeneinreden gem. §§ 2014, 2015 BGB aufgrund ihrer gesetzlichen Ausgestaltung als Ausnahmen zu behandeln sind, die unabhängig von dem Regelfall beurteilt werden.[445] Ebenso wird die Stundungseinrede von der überwiegenden Ansicht gesondert behandelt.[446] Aus diesem Grunde sollen die Auswirkungen dieser Vorschriften auf den Schuldnerverzug im folgenden einzeln betrachtet werden.

 

a) Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB

 

Nach allgemeiner Ansicht ist bei diesem Zurückbehaltungsrecht eine Geltendmachung notwendig, um den Eintritt des Schuldnerverzuges abzuwenden. Erst durch die Ausübung des § 273 BGB werde der zunächst unbeschränkte Gläubigeranspruch materiellrechtlich in einen Zug-um-Zug-Anspruch umgestaltet. Außerdem werde dem Gläubiger nur durch die Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts die Möglichkeit eröffnet, das Zurückbehaltungsrecht durch eine Sicherheitsleistung gem. § 273 III BGB abzuwenden.[447]

 

Diese Argumentation fügt sich in den allgemeinen Grundsatz ein, daß grundsätzlich das Bestehen der Einrede nicht den Verzug verhindert, da aufgrund der Ausgestaltung der Einrede als „Kann-Recht“ der Schuldner ohne Einredeerhebung unbeschränkt zur Leistung verpflichtet ist und schutzwürdige Interessen des Gläubigers die Geltendmachung erforderlich machen. § 273 BGB stellt daher entgegen der allgemeinen Ansicht keine Ausnahmeregelung dar, vielmehr ist der Verzugsauschluß mit der Rechtsnatur des Einrederechts zu begründen.

 

b) Aufschiebende Erbeneinrede nach §§ 2014, 2015 BGB

 

Bei den dilatorischen Erbeneinreden wird heute überwiegend vertreten, daß diese Einrede keine Auswirkung auf den Schuldnerverzug habe, d. h. selbst wenn der Schuldner sich auf dieses Recht berufe, trete Schuldnerverzug ein.[448] Als Begründung wird angeführt, daß diese Einreden nur prozessuale und vollstreckungsrechtliche Wirkung hätten, aber materiellrechtlich den Anspruch nicht beschränken würden.[449]

 

Im Ergebnis kann dieser Ansicht zugestimmt werden. Die Erhebung der Erbeneinreden hindert nicht die Verurteilung des Erben, sondern bewirkt wegen § 305 ZPO nur eine Verurteilung, die lediglich unter den Vorbehalt der beschränkten Haftung gestellt wird. Ebensowenig wird der Beginn der Zwangsvollstreckung durch diese Einreden gehindert, die Zwangsvollstreckung darf allerdings nur zur Sicherung der Gläubigerrechte führen (§§ 782, 783, 785 ZPO). Aufgrund dieser nur sehr eingeschränkten Wirkung können die Erbeneinreden als die schwächsten Einreden des geltenden Rechts bezeichnet werden.[450] Sie können trotz allem noch als Einreden des materiellen Rechts angesehen werden, da die Vollstreckbarkeit zum Anspruchsinhalt gehört und damit noch von einer Beeinträchtigung des materiellrechtlichen Anspruchs gesprochen werden kann.[451]

 

Aufgrund dieser sehr eingeschränkten Wirkung können diese Einreden sogar bei Geltendmachung den Schuldnerverzug nicht ausschließen. Die Erbeneinreden betreffen den Anspruch nur in der „Funktion“, daß die sofortige Verwertbarkeit des Schuldnervermögens verhindert wird. Alle übrigen „Funktionen“ bleiben unberührt. Roth führt zutreffend als Vergleich an, daß diese Einrede eine Rechtsähnlichkeit mit der richterlichen Gewährung einer Räumungsfrist gem. § 721 ZPO aufweise, die auf Fälligkeit und Vollwirksamkeit des Räumungsanspruchs ebenfalls keinen Einfluß habe und den Schuldnerverzug nicht ausschließe.[452]

 

Ein Widerspruch liegt bei dieser Einrede zu der oben aufgestellten Behauptung, daß die Aufstellung eines allgemeinen Grundsatzes möglich und eine Differenzierung anhand jeder einzelnen Einredeart nicht erforderlich ist, nicht vor. Die allgemeine Regel wurde anhand der peremptorischen Einreden entwickelt und betraf die Diskussion, ob eine Geltendmachung der Einrede erforderlich ist. Der Grundsatz besagte, daß der Schuldnerverzug nicht durch das bloße Bestehen eines Einredetatbestandes ausgeschlossen werden kann. Diese Aussage wurde auf die dilatorischen Einreden übertragen. Es wurde weiter nicht untersucht, ob die dilatorischen Einreden gewisse weitere Voraussetzungen erfüllen müssen, um einen Verzugsauschluß herbeiführen zu können. Die Diskussion bezog sich nur auf die erste Voraussetzung und hat sich mit dieser zusätzlichen Fragestellung nicht beschäftigt. Wie eben festgestellt, bewirkt nicht jedes Einrederecht mit seiner Ausübung den Ausschluß der Verzugshaftung. Vielmehr müssen die Einreden gewisse Kriterien erfüllen. Sie dürfen nämlich nicht nur prozessuale und vollstreckungsrechtliche Wirkung entfalten.

 

Eine Ausnahme von dem Erfordernis der Einredeerhebung ist aus diesem Grunde auch bei den Erbeneinreden nicht gegeben; vielmehr erfüllen sie aufgrund ihrer schwachen Wirkung nicht die Kriterien, die für die Abwendung des Verzugs erforderlich sind.

 

 
c) Stundungseinrede/pactum de non petendo

 

Diese Argumentation kann auf die Stundungseinrede bzw. das pactum de non petendo[453] übertragen werden. Diese Einrede stellt ein Stillhalteabkommen dar, das zwar keinerlei Auswirkungen auf den Fälligkeitszeitpunkt hat, indem sich der Gläubiger aber verpflichtet, die Forderung trotz Fälligkeit zeitweise nicht geltend zu machen.[454]

 

Es besteht keine einheitliche Auffassung, in welcher Weise, diese Einrede den Schuldnerverzug ausschließt.[455] Teilweise wird sogar die Existenz einer Stundungseinrede gänzlich abgelehnt.[456]

 

Die Stundungseinrede und das sogenannte pactum de non petendo sind vertraglich vereinbarte Einreden. Es ist daher durch Auslegung zu ermitteln, welche Funktion dieser Einrede zukommt. Ergibt sich aus der Parteivereinbarung, daß ihr nur eine prozeßrechtliche Wirkung zugesprochen werden soll, indem nur der Ausschluß der klageweisen Geltendmachung bezweckt ist und keine weiteren materiellen Rechtsfolgen gewünscht sind,[457] so kann wegen dieser eingeschränkten Wirkung trotz Einredeerhebung der Verzug nicht abgewendet werden.

 

d) Einrede des nicht erfüllten Vertrages

 

In Rechtsprechung und Literatur ist die Auffassung verbreitet, daß der Schuldnerverzug mit Bestehen dieser Einrede ausgeschlossen ist. Die Ausübung der Einrede des nicht erfüllten Vertrages wird nicht gefordert.[458] Wirft man allerdings einen Blick auf die Begründungen in Literatur und Rechtsprechung, so stellt sich die Frage, ob diese Auffassung tatsächlich vertreten wird.

 

Im Schrifttum und in der Rechtsprechung wird übereinstimmend ausgeführt, daß der Gläubiger den Schuldner trotz Bestehen der Einrede gem. § 320 BGB nur in Verzug setzen könne, wenn der Gläubiger zur Gegenleistung bereit und imstande sei.[459] Manche verlangen darüber hinausgehend, daß der Gläubiger seine Gegenleistung dem Schuldner in einer den Annahmeverzug begründenden Weise anbieten müsse.[460] Liegen diese zusätzlichen Verzugsvoraussetzungen vor, besteht weiterhin Konsens, daß der Schuldner mit der Mahnung in Verzug gesetzt werden könne. Dementsprechend ist in der Literatur und Rechtsprechung die Formulierung verbreitet, daß der Schuldner bei Bestehen des Leistungsverweigerungsrechts nicht in Verzug gerate, solange der Gläubiger zur Erfüllung der ihm obliegenden Leistung weder bereit noch imstande sei bzw. die Gegenleistung nicht i. S. d. §§ 293 ff BGB angeboten habe.[461]

 

Auffällig ist, daß der Verzugsausschluß nicht mit dem Einredetatbestand begründet wird, sondern wegen des Fehlens dieser zusätzlichen materiellen Verzugsvoraussetzungen (Leistungsbereitschaft bzw. Leistungsangebot), die aus § 320 BGB abgeleitet werden. Man kann sogar die Behauptung aufstellen, daß nach der herrschenden Auffassung Schuldnerverzug und Einredetatbestand voneinander unabhängig sind und der bloße Einredetatbestand gerade nicht den Verzugsausschluß bewirke soll. Diese Schlußfolgerung ergibt sich aus der folgenden Widersprüchlichkeit dieser Ansicht: Würde allein das Bestehen der Einrede gem. § 320 BGB den Schuldnerverzug verhindern, so stellt sich die Frage, warum nach Eintritt des Annahmeverzuges übereinstimmend eine Inverzugsetzung des Schuldners bejaht wird, obwohl das Einrederecht dem Berechtigten weiterhin zusteht. Es ist nämlich überwiegend anerkannt, daß die Einrede des nicht erfüllten Vertrages mit dem Eintritt des Annahmeverzuges nicht verloren geht.[462] Aus den gesetzlichen Regelungen (§§ 322, 274 II BGB; §§ 756, 765 ZPO) ergibt sich, daß erst im Zwangsvollstreckungsverfahren die Verknüpfung der Leistungspflichten durch das Zug-um-Zug-Prinzip aufgelöst wird, der Annahmeverzug die synallagmatische Verknüpfung daher nicht beendet. Dem Schuldner steht daher auch nach dem Eintritt des Annahmeverzuges das Leistungsverweigerungsrecht zu.[463] Konsequenterweise müßte nach der Auffassung der herrschenden Lehre das Bestehen dieser Einrede weiterhin die Verzugsfolgen ausschließen, wenn ihre Aussage ernst genommen wird. Diese Folgerung wird aber nicht vertreten. Es wird daher in der Literatur und Rechtsprechung –entgegen ihrer gegensätzlichen Aussage- keineswegs angenommen, daß der bloße Einredetatbestand des § 320 BGB den Verzugsauschluß bewirke, sondern aus § 320 BGB werden nur zusätzliche materielle Verzugsvoraussetzungen abgeleitet.[464]

 

Bestätigt wird dieses Ergebnis, wenn man sich die Urteilsgründe der Rechtsprechung anschaut. Es existiert keine Entscheidung, in der der Schuldnerverzug ausschließlich wegen des Einredetatbestandes verneint wird. Die Verzugshaftung wurde immer nur deswegen ausgeschlossen, weil der Gläubiger sich selbst nicht vertragstreu verhalten hatte, indem er seine Leistung z. B. nicht in einer den Annahmeverzug begründenden Weise angeboten hatte.[465]

 

Im folgenden ist zu klären, ob sich diese Einrede in die allgemeinen Regel bzgl. des Verhältnisses „Einrede und Schuldnerverzug“ einfügt oder ob nicht nach dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift eine Abweichung gerechtfertigt ist. Diese Frage kann nur beantwortet werden, wenn festgestellt ist, ob § 320 BGB eine Einrede i. S. d. BGB darstellt. Die Rechtsnatur des Leistungsverweigerungsrechts ist umstritten. Die herrschende Auffassung ordnet § 320 BGB als echte Einrede mit materiellrechtlicher Aufgabenstellung ein, durch Erhebung der Einrede erfolge erst die synallagmatische Verknüfung der Leistungen.[466]

 

Dagegen wird in Teilen der Literatur vertreten, daß § 320 BGB keine echte Einrede darstelle (Theorie der immanenten Leistungsbeschränkung).[467] Bei einem gegenseitigen Vertrag seien die synallagmatischen Ansprüche von vornherein auf Leistung Zug-um-Zug beschränkt, ohne daß es der Erhebung der Einrede bedarf. De lege lata führe aber an § 322 BGB kein Weg vorbei, so daß die Erhebung der Einrede nur noch eine prozessuale Voraussetzung darstelle. Ohne die Geltendmachung sei das Gericht aus prozeßrechtlichen Gründen gehindert, entsprechend der materiellen Rechtslage zu entscheiden und eine Zug-um-Zug Verurteilung auszusprechen.[468]

 

Die letztgenannte Auffassung ist zutreffend. Die Forderungen bei einem gegenseitigen Vertrag sind materiellrechtlich von Anfang an in der Hinsicht beschränkt, daß nur eine Leistung Zug-um-Zug gefordert werden kann. Der Verpflichtungswille der Vertragsparteien ist typischerweise nicht auf Leistung schlechthin, sondern nur auf Leistung Zug-um-Zug gegen Empfang der Gegenleistung gerichtet.[469] Wegen § 322 BGB kommt man an der Einredewirkung dieser Vorschrift nicht vorbei. Die Einrede hat aber nach der eben dargelegten materiellen Rechtslage nur prozeßrechtliche Bedeutung.

 

Für die Auswirkung der Einrede des nicht erfüllten Vertrages auf den Schuldnerverzug ergibt sich demnach folgendes: Aufgrund der nur prozeßrechtlichen Wirkung der Einrede schließt selbst die Geltendmachung dieses Leistungsverweigerungsrecht den Verzug nicht aus. Wie bei den aufschiebenden Erbeneinreden erfüllt dieses Recht nicht die Anforderungen, die für den Ausschluß der Verzugsfolgen erforderlich sind. Der Schuldnerverzug und der Einredetatbestand stehen aus diesem Grunde unabhängig nebeneinander und beeinflussen sich nicht. Bietet der Gläubiger mit der Mahnung nicht gleichzeitig seine Gegenleistung an, so kommt eine Verzugshaftung nicht in Betracht, da der Schuldner nicht zu einer uneingeschränkten Leistung verpflichtet ist. In diesem Fall fordert der Gläubiger eine Leistung, die in dieser Weise nach dem Vertrag nicht geschuldet ist. Aus diesem materiellrechtlichen Grund ist der Verzug ausgeschlossen. [470] Entgegen der allgemein vertretenen Ansicht ist aus diesem Grunde das Verhältnis von der Einrede des nicht erfüllten Vertrages und Schuldnerverzug genau umgekehrt zu charakterisieren; selbst die Einredeerhebung bewirkt nicht den Verzugsausschluß. § 320 BGB stellt demnach ebenfalls keine Abweichung von dem Regelfall dar.     

 

3. Rückwirkung

 

Wird der Schuldnerverzug erst durch die Einredeerhebung beseitigt, so stellt sich das Problem, in welcher Weise die Einredeerhebung auf bereits entstandenen Verzugsansprüche und Gestaltungsrechte einwirkt. Aufgrund der unterschiedlichen Inhalte der Verzugsfolgen ist zwischen diesen zu differenzieren.

 

a) Verzugsansprüche

 

In welcher Weise die Geltendmachung der Einrede auf den Schuldnerverzug einwirkt, ist gesetzlich nicht geregelt. Im Gegensatz zur Anfechtung und Aufrechnung sind bei den Einreden keine Rückwirkungsregeln enthalten. Eine Rückwirkung in dem Sinne, daß die Ansprüche ex tunc erlöschen, kann aus diesem Grunde wegen des Fehlens einer vergleichbaren Regelung nicht angenommen werden.[471]

 

Ein ähnliches Ergebnis läßt sich aber dadurch erreichen, indem die sich aus dem Verzugs ergebenden Ansprüche ebenfalls der betreffenden Einrede unterstellt werden, so daß mit Erhebung der Einrede nicht nur der Hauptanspruch, sondern auch annexartig die Verzugsansprüche in ihrer Durchsetzbarkeit gehemmt werden.[472] Auf diese Weise läßt sich eine Rückwirkung konstruieren; nicht gelöst wird dadurch das Problem, ob die Verzugsansprüche der betreffenden Einrede unterstellt werden sollen. Die Stärke der Einredewirkungen und der rechtspolitische Zweck der Einreden sind für die Rückwirkungsproblematik ausschlaggebend. Entscheidend ist nur, ob es gerechtfertigt erscheint, dem Einredeberechtigten trotz der Einredeerhebung weiterhin den Verzugsfolgen auszusetzen. Die Einreden lassen sich zwar nach allgemeinen Kriterien charakterisieren, ein einheitlicher rechtspolitischer Zweck existiert dagegen nicht.[473] Ebenso sind die Wirkungen der Einreden auf die Forderungen unterschiedlich stark ausgeprägt.[474] Aufgrund dieser Unterschiede ist eine allgemeine Lösung nur im Grundsatz und nur anhand der Differenzierungen zwischen peremptorischen und dilatorischen Einreden möglich. Weichen dagegen Eigenart und Zweck der einzelnen Einrede von den rechtpolitischen Gründen ab, die dem allgemeinen Grundsatz zugrunde liegen, so ist eine abweichende Beurteilung für diese Einreden erforderlich. [475]

 

aa) Peremptorische Einreden

 

Über die Rückwirkung der dauernden Einreden wird kontrovers diskutiert.

 

(1) Verzugseintritt nach Entstehung der Einredelage

 

Tritt der Verzug erst nach Entstehung der Einredelage ein, herrscht weitgehend Einigkeit, daß die Verzugsansprüche ebenfalls der betreffenden Einrede zu unterstellen sind. Oertmann hat hierfür als Begründung angeführt, daß es sinnwidrig wäre, wenn die Verzugsansprüche, die den einredebehafteten Anspruch verstärken sollen, eine stärkere Durchsetzbarkeit aufweisen würden als der Hauptanspruch. Für die Verjährung sei diese Rückwirkung durch § 224 BGB positivrechtlich erwiesen.[476] In der Literatur wurde diese Begründung weitgehend übernommen. Im Ergebnis ist es überzeugend, daß die Verzugsansprüche, die während eines Einredetatbestandes eingetreten sind, nicht durchsetzbar sind, da die verzögerte Leistung nachträglich für den gesamten Zeitraum gerechtfertigt ist.

 

Allerdings könnte der Gläubiger durch die nicht sofortige Geltendmachung der Einrede einen Schaden erlitten haben, indem er mit der Leistung ab Fälligkeit und Mahnung rechnete, so daß ein Schadensersatzanspruch nicht von vornherein sinnwidrig erscheint. Der dabei entstandene Schaden fällt aber nicht unter den Verzögerungsschaden, so daß hierdurch der Ausschluß der Rückwirkung nicht begründet werden kann. Die Verzugsansprüche sollen den Schaden ersetzen, der dem Gläubiger durch die Leistungsverzögerung entstanden ist. Ist durch eine verspätete Geltendmachung der Einrede bei dem Gläubiger ein Schaden verursacht worden, so ist dieser nicht der Pflichtverletzung der Leistungsverzögerung zuzurechnen. Die nicht rechtzeitige Einredeerhebung stellt keine Pflichtverletzung i. S. d. § 284 BGB dar, vielmehr ist der Schuldner nur nach Treu und Glaube verpflichtet, den Gläubiger von dem Einrederecht zu unterrichten. Bei schuldhafter Verletzung dieser Pflicht würde ein Schadensersatzanspruch gem. pFv entstehen. Insgesamt ist es daher gerechtfertigt, eine Rückwirkung der Einrede bei Ausübung dieser Leistungsverweigerungsrechte anzunehmen, indem die Verzugsansprüche ebenfalls wie die Hauptforderung annexartig in ihrer Durchsetzbarkeit gehemmt werden.

 

(2) Verzugseintritt vor Entstehung der Einredelage

 

Keine Einigkeit herrscht hinsichtlich der Behandlung von Verzugsansprüchen, die vor der Entstehung der Einredelage begründet sind. Mahnt beispielsweise der Gläubiger den Schuldner im Falle einer zweijährigen Verjährungsfrist ein Jahr nach Vertragsschluß und verklagt er den Schuldner erst zwei weitere Jahre später auf die Hauptforderung und Verzugsschaden, so ist fraglich, in welcher Weise die Geltendmachung der Verjährungseinrede auf die Verzugsansprüche einwirkt.

 

Am weitesten geht v. Tuhr, nach dessen Auffassung der einmal eingetretene Schuldnerverzug fortwirke.[477] Auch nach der Einredeerhebung könne der Gläubiger die Verzugszinsen als Bestandteil des Schadens verlangen. Der Gläubiger sei so zu stellen, wie er bei rechtzeitiger Leistung stehen würde.   

 

Eine vermittelnde Meinung läßt die Rückwirkung der Einrede nur bis zu dem Zeitpunkt der Enstehung der Einrede gelten.[478] Die Entstehung der Einredelage stelle eine zeitliche Zäsur dar. Alle Verzugsansprüche vor Entstehung der Einredelage könnten weiterhin unbeschränkt eingefordert werden. Als Begründung wird angeführt, es ginge nicht an, den Schuldner für sein vertragswidriges Verhalten noch zu belohnen.

 

Nach einer dritten Auffassung bewirkt die Einredeerhebung, daß alle bis dahin entstandenen Verzugsansprüche in ihrer Durchsetzbarkeit gehemmt seien.[479] Diese Auffassung wurde von Oertmann begründet. Entwickelt hat Oertmann diese Meinung anhand der Verjährungseinrede. Er läßt diese Ergebnisse aber für alle peremptorischen Einreden gelten, es sei denn, besondere Gründe aus der Eigenheit bestimmter Einreden stünden entgegen. Es entspräche dem rechtspolitischen Zweck der Verjährungseinrede, daß sie den Anspruch nicht nur in seinem ursprünglichen Zustand, sondern in seiner seitherigen Fortentwicklung treffen solle. Eine Übertragung dieses Ergebnisses auf die übrigen dauernden Einreden sei in der Regel möglich, da die rechtspolitischen Gründe, die zu dem Leistungsverweigerungsrecht führen würden, sich in der Regel auf den gesamten Anspruch in seiner bisherigen Fortentwicklung, also auch auf die Verzugsansprüche erstrecken würden.[480]

 

Meiner Ansicht nach ist es zweifelhaft, ob der Rechtsgedanke der Verjährungseinrede auf die weiteren dauernden Einreden übertragbar ist. Die Verjährungseinrede dient dazu, Rechtssicherheit und Rechtsfrieden zu bewahren. Der Schuldner soll sich nicht mehr ständig in Leistungsbereitschaft halten müssen und von Beweisschwierigkeiten, die infolge des Zeitablaufs eingetreten sein können, befreit werden.[481] Dieser rechtspolitische Zweck wurde positivrechtlich in § 224 BGB  und  813 I S. 2 BGB festgehalten. Die Verjährungseinrede soll den Streit um den Hauptanspruch umfassend beenden. Aus diesem Grunde schließt § 813 I S. 2 BGB den Rückforderungsanspruch aus und die unselbständigen Nebenansprüche verjähren mit der Hauptforderung. Des weiteren ist es aufgrund dieses rechtspolitischen Zwecks gerechtfertigt, analog § 224 BGB alle Verzugsansprüche der betreffenden Verjährungseinrede zu unterstellen, so daß eine Beschäftigung mit der Hauptforderung nicht mehr notwendig wird.[482] Diese speziellen Regelungen fehlen bei den übrigen dauernden Einreden, vielmehr zeigt gerade die Vorschrift des § 813 I BGB, daß die Verjährungseinrede als Ausnahmeeinrede zu behandeln ist. Aus der Regelung in § 813 I BGB ist zu entnehmen, daß dieser rechtspolitische Zweck den übrigen dauernden Einreden nicht ohne weiteres zugrundelegt werden kann. § 813 I gewährt bei den restlichen dauernden Einreden im Gegensatz zu der Verjährungseinrede einen Rückforderungsanspruch. Es ist nicht überzeugend, den rechtspolitischen Zweck einer Einrede, die vom Gesetzgeber ausdrücklich als Sonderfall angesehen wird, auf die übrigen Einreden in der Regel zu übertragen.[483]

 

Grundsätzlich ist kein rechtfertigender Grund ersichtlich, nach dem die Ansprüche vor der Einredeentstehung entfallen sollten. Vor Entstehung der Einredelage ist der Schuldner nach dem geltenden Recht nicht zur Leistungsverweigerung berechtigt, so daß die Verzugsansprüche, die vor der Einredelage begründet sind, weiterhin durchgesetzt werden können, es sei denn, der rechtspolitische Zweck der Einrede rechtfertigt eine abweichende Entscheidung. Nach Entstehung der Einrede ist der Schuldner dagegen berechtigt, seine Leistung zu verweigern. Eine Fortwirkung der Verzugsansprüche ist aus diesem Grunde nicht gerechtfertigt.[484]

 

bb) Dilatorische Einreden

 

Innerhalb der dilatorischen Einreden ist danach zu differenzieren, ob es in der Macht des Gläubiger liegt, die Einrede durch eigenes Handeln zu verhindern.

 

(1) Einredeverhinderung durch Handlungen des Gläubigers

 

Zu dieser Fallgruppe zählen insbesondere die Einreden nach § 770 II BGB und § 771 BGB, aber auch die Verweigerungsrechte gem. §§ 410, 1160 BGB. Da diese Einreden durch Handlungen des Gläubigers abgewendet werden können, ist es nicht sachgerecht, die schon eingetretenen Verzugsfolgen mit Einredeerhebung zu beseitigen. Dem Gläubiger würde sonst die Möglichkeit verwehrt werden, die Rechtsfolgen der Einredeerhebung durch eigenes Handeln abwehren zu können.[485] Positivrechtlich wird diese Rechtsfolge in § 410 BGB und § 1160 BGB ausgedrückt. Nach § 410 I S. 2 BGB und § 1160 II BGB ist eine Mahnung unwirksam, wenn der Einredeberechtigte unverzüglich die Mahnung aufgrund des Einrederechts zurückweist. Aus diesen Regelungen ist zu entnehmen, daß die Erhebung der Einrede den Verzug nur für die Zukunft beseitigt, denn dem Schuldner könnten bei einer verspäteter Zurückweisung der Mahnung nicht die gleichen Vorteile zugute kommen wie die in §§ 410 I S. 2, 1160 II BGB verlangte unverzüglichen Zurückweisung.[486] Diese Regelungen sind für die anderen dilatorischen Einreden, die durch Gläubigerhandlungen vermeidbar sind, übertragbar.[487] Auch das Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB läßt sich in diese Kategorie einordnen. Nach ganz überwiegender Auffassung wird eine Rückwirkung abgelehnt, da sonst dem Gläubiger die Möglichkeit genommen wird, nach § 273 III BGB die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts durch Sicherheitsleistung abzuwehren.[488]    

 

(2) Keine Einredeverhinderung durch Handlungen des Gläubigers

 

Bei den übrigen dilatorischen Einreden ( zu nennen sind § 770 I BGB oder § 519 BGB), bei denen keine Abwehrmöglichkeit seitens des Gläubigers besteht, kann auf die Argumentation für die peremptorischen Einreden zurückgegriffen werden. Bei diesen dilatorischen Einreden ist die Leistungsverzögerung für die Zeit, in der ein Einrederecht bestand, gerechtfertigt, so daß es sachgerecht ist, die Verzugsansprüche aus dieser Zeit, dem Einrederecht zu unterstellen.

 

Problematisch ist, daß das Einrederecht die Geltendmachung der Hauptforderung nur hinsichtlich seiner Dauer suspendiert, so daß die Verzugsansprüche auch nur für die Dauer des Einrederechts gehemmt wären. Diese Lösung ist indessen nicht sachgemäß, da der Schuldner während des Einredezeitraums zur Verweigerung der Leistung berechtigt war. Eine endgültige Hemmung der Verzugsansprüche läßt sich dadurch erreichen, daß die „alte“ Einrede gegen den Hauptanspruch selbst der Nebenforderung entgegensetzt werden kann, so daß dieser nun überhaupt nicht mehr durchgesetzt werden kann. Ein einredeberechtigter Schuldner kann für die Dauer der Einrede nicht nur die Hauptleistung verweigern, sondern auch alle Verzugsansprüche ablehnen, die in den Zeitraum des Leistungsverweigerungsrechts fallen. Insofern wirkt die gegenüber dem Hauptanspruch nur aufschiebende Einrede gegenüber den Nebenansprüchen peremptorisch.[489]  

 

Hinsichtlich der Behandlung der Verzugsansprüche, die vor der Einredeenstehung begründet wurden, ist ebenso wie bei den dauernden Einreden eine Rückwirkung abzulehnen.[490]

 

b) Gestaltungsrechte

 

In welcher Weise die Einredeerhebung auf die aus dem Schuldnerverzug erwachsenden Gestaltungsrechte einwirkt, läßt sich im Gegensatz zu den Verzugsansprüchen nicht durch eine annexartige Hemmung konstruieren, da die Hemmung nur bei Ansprüchen denkbar ist.

 

Wurde das Gestaltungsrecht bisher noch nicht ausgeübt, stellt sich das Problem der Rückwirkung nicht. Mit Beendigung des Schuldnerverzuges kann das Rücktrittsrecht nicht mehr geltend gemacht werden, da der Verzug mit der Einredeerhebung beendet ist, und die Ausübung des Rücktrittsrechts von dem Fortbestand seiner Entstehungsvoraussetzungen abhängig ist.[491]

 

Ist der Rücktritt dagegen vom Gläubiger erklärt worden, so kann dieses Gestaltungsrecht nicht durch eine später vorgenommene Einredeerhebung wieder beseitigt werden. Die angeführte Begründung von Oertmann und Roth ist überzeugend.[492] Bei dem ausgeübten Gestaltungsrecht wäre eine schwebende Unwirksamkeit vorhanden, wenn eine spätere Einredeerhebung das Rücktrittsrecht zunichte machen könnte. Es würde dem rechtspolitischen Zweck der Gestaltungsrechte widersprechen, wenn bei ihnen eine schwebende Unsicherheit vorhanden wäre und Rechtsunsicherheiten entstünden. Allerdings muß dem Schuldner die Möglichkeit verbleiben, das Rücktrittsrecht durch unverzügliche Zurückweisung abzuwehren, da er sonst sein Einrederecht verlieren würde. Aus diesem Grunde ist der weitere Lösungsvorschlag von Oertmann heranzuziehen. Das Gestaltungsrecht kann dadurch abgewehrt werden, indem die Ausübung unverzüglich in Gesamtanalogie zu den §§ 111 S 2, 174 S. 1, 357, 410 S. 2, 554 I 3 BGB durch Erklärung an den Gläubiger zurückzuweisen ist.[493]

 

4. Ergebnis

 

Der Meinungsstreit „Einrede und Schuldnerverzug“ ist für alle Einreden einheitlich zu lösen. Allerdings muß vorab geklärt werden, ob eine Regelung eine Einrede i. S. d. BGB darstellt. Die unübersichtliche Diskussion resultiert daraus, daß mit keinem einheitlichen Einredebegriff gearbeitet wird. Zum Einredebegriff gehört das Erfordernis der Geltendmachung. Rechte, die ipso iure auf die Forderung einwirken, stellen keine Einreden dar. Der Schuldner kann daher mit einer einredebehafteten Forderung in Schuldnerverzug gesetzt werden. Erst die Geltendmachung der Einrede beendet grundsätzlich den Verzug, es sei denn, die Einrede hat nur eine prozessuale Wirkung ( vgl. § 320 BGB und §§ 2014, 2015 BGB).

 

In welcher Weise eine Rückwirkung der Einredeerhebung in Betracht kommt, ist dagegen abhängig von dem rechtspolitischen Zweck und Eigenart der einzelnen Einrede. In der Regel wirkt die Einredeerhebung auf den Zeitpunkt der Einredeentstehung zurück. Verzugsansprüche, die in diesen Zeitraum fallen, werden annexartig gehemmt. Ein schon ausgeübtes Rücktrittsrecht wird dagegen nur durch unverzügliche Zurückweisung unwirksam.