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1. Der Begriff „flow“ und seine Bedeutung für Erziehung und Erziehungswissenschaft

 

Wenn Sie in eine Tätigkeit vertieft sind, sodass alles andere bedeutungslos wird, Sie das Gefühl haben, alles laufe glatt, und Sie die Zeit völlig vergessen, erleben Sie wahrscheinlich flow.[1]

Flow ist ein subjektives und situatives, qualitativ hochwertiges Erleben und kann bei jeder Tätigkeit auftreten, die das Handeln[2] in irgendeiner Weise herausfordert. Flow ist zuständig für seelisches Wohlbefinden, innere Zufriedenheit, Lebensfreude sowie für Glücksgefühle.[3] Dieses motivierende Erleben scheint ein universelles Phänomen zu sein, unabhängig von Alter, Geschlecht und Schichtzugehörigkeit (Csikszentmihalyi 1991b, 378 f.). Flow ist keine Einheitserfahrung, sondern wird unterschiedlich erlebt: zum Beispiel als gutes Vorankommen oder als Ergriffenheit, „als orgiastischer Gefühlsrausch oder als heiterer klarer Ausblick, als blitzartige Erkenntnis oder langsamer Eintritt in eine Lichtung“ (Muth 1996, 77).

In dieser Arbeit geht es um eine Einordnung des eben beschriebenen Phänomens in die Reformpädagogik (vgl. Vorbemerkung). Damit soll gezeigt werden, dass das flow-Phänomen schon vor ca. 80 Jahren in der Pädagogik evoziert wurde und in der Erziehung von Bedeutung war.

 

Entstehung und Entwicklung des flow-Konzepts

Die flow-Theorie entstand mit der Dissertation von Csikszentmihalyi über Kreativität bei männlichen Künstlern (Csikszentmihalyi 1965). Diese Künstler arbeiteten hart und tief konzentriert an Bildern oder Skulpturen. War ihr Werk beendet, so landete es in einer Ecke und wurde vergessen. Die wenigsten Künstler waren an einer Belohnung (etwa Reichtum, Ruhm, soziale Anerkennung) interessiert, sie arbeiteten hart, weil ihnen die Arbeit selbst Freude bereitete.

Um eine erste Antwort auf die Frage zu erhalten, wie sich Menschen im flow-Zustand fühlen, führte Csikszentmihalyi in Chicago 200 Tiefeninterviews bei Schülern und Studenten durch, von denen er annahm, dass sie häufig diese Gefühle erlebten. Die Ergebnisse fasst er in einem ersten Buch über flow (1975, dtsch. 1985) zusammen. Dort beschreibt er erstmals zusammenhängend, wie sich Menschen fühlen, wenn sie etwas tun, was ihnen Freude macht. Da viele Probanden den Zustand als fließend beschrieben, hat Csikszentmihalyi dieses Erlebnis flow genannt. Andere Ausdrücke für flow sind beispielsweise optimales Erleben, freudiges Aufgehen, reflexionsfreies Versinken im Tun, psychische Ordnung oder Harmonie.

 

Stand der Forschung

Inzwischen hat es viele Untersuchungen über das flow-Erleben gegeben, die sich methodisch voneinander unterscheiden. Viele Untersuchungen werden mit der Experience Sampling Method (ESM) (Csikszentmihalyi & Larson 1987) empirisch durchgeführt: Probanden bekommen für einen Zeitraum einen Peeper, der nach einem Zufallsprinzip ungefähr siebenmal am Tag Signale abgibt. Immer dann unterbrechen die Probanden ihre Tätigkeit, die sie gerade ausführen, und füllen einen Fragebogen aus, der das situative Empfinden erfasst. Diese Methode wird hauptsächlich angewendet, um zu erfahren, ob und in welchen Situationen Menschen flow erleben und wie die Qualität des Erlebens empfunden wird. Beispielsweise untersucht LeFevre (1991) die Erlebensqualität während der Arbeit und in der Freizeit. Sie stellt fest, dass Menschen während ihrer Arbeit mehr Zeit im flow verbringen (54 %) als in ihrer Freizeit (17 %). Die Probanden empfanden Flow als eine optimale Erfahrung. LeFevre vermutet auch einen Generalisierungseffekt, da durch flow die Qualität des Erlebens generell anwuchs.

Csikszentmihalyi führte beispielsweise Interviews durch. In seiner Veröffentlichung von 1997 interviewte er einundneunzig „außergewöhnliche Persönlichkeiten“, wie Nobelpreisträger und zeichnete diese auf Video auf, um das Phänomen „Kreativität“ besser zu verstehen. Kreativ nennt er Personen, die die Kultur verändert haben und deren Leistungen „per definitionem öffentlich sind“. Die Interviewten beschäftigten sich schon als Kind mit ihrem jeweiligen Thema und interessant ist im Zusammenhang mit Erziehung, dass die Kinder nicht von ihren Eltern dazu gedrängt wurden, sich mit einer bestimmten Thematik zu beschäftigen, sondern, dass ihnen verschiedene Möglichkeiten angeboten wurden und ihr Interesse aktiv unterstützt wurde. Bei der Entfaltung von Kreativität scheint es nicht wichtig zu sein, ob sich das Interesse in der Kindheit oder in der Jugend festigte, sondern dass sich die Personen überhaupt intensiv mit einem Gebiet auseinandersetzen. Dabei ist es vermutlich hilfreich, wenn Kinder und Jugendliche die Möglichkeit haben in Geselligkeit sowie auch allein zu arbeiten, keine starren geschlechtsspezifische Rollenerfahrungen erleben und die Möglichkeit haben oder ermutigt werden, Fragen zu stellen, da es auf diese Weise besser Probleme lösen kann.

Delle Fave und Massimini (1991) nutzten einen zweiteiligen flow Questionaire, indem zum einen Zitate das flow-Erlebnis beinhaltet sind und zum anderen mit 12 Dimensionen des flow-Erlebens das Tun auf acht Stufen bewertet werden soll. Es wurden auch Zitate der Probanden herangezogen. Sie zeigen u.a. dass die älteste Generation einer Bergbauernfamilie, bei fast allem was sie tun, flow erleben, weil sie in ein traditionelles festes Gefüge eingebunden sind, 58 % der flow-Erlebnisse bezogen sich auf die Arbeit. Dagegen zeigt die mittlere Generation nur noch 41 % und die jüngste Generation nur noch 19 % ihrer Arbeitszeit im flow verbringen. Sie bewerten die Arbeit anders als die alte Generation: Sie ist nicht mehr integrierter Bestandteil des Lebens, das heißt Arbeit und Freizeit erfahren eine Trennung, sind weniger miteinander verschmolzen.

Schließlich werden neben empirischen Untersuchungen auch geisteswissenschaftliche Methoden genutzt und Texte herangezogen. Logan (1991) zeigt beispielsweise auf, dass Menschen auch in schicksalhaften Situationen der Einsamkeit flow erkleben können. Da objektive Bedingungen in Schicksalssituationen nicht geändert werden können, sind erfreuliche Erlebnisse in der Einöde der Antarktis oder in Gefängnissen nur durch kognitive Restrukturierung möglich. So zählte ein gefangener Schritte, wandelte sie in Kilometer um, übertrug sie im Geiste auf die Landkarte und erlief sich in der Zelle den halben Weg bis nach Hause. Menschen, die sich nicht als Opfer, sondern als handelndes Subjekt sahen, überlebten Extremsituationen am ehesten (Logan 1991).

Inhaltlich unterschieden sich Untersuchungen, weil sie zum einen das Phänomen flow und seine Bedingungen erfassen (z.B. Csikszentmihalyi 1985, LeFevre 1989, Adlai Gail 1994, Hekner 1996) und sich zum anderen auch Fragen der praktischen Anwendbarkeit (Donner & Csikszentmihalyi 1992, Hekmann 1997, Ohse 1997) und des Zusammenhangs mit anderen Konzepten ergaben (Plöhn 1998, Fischer 1999).

So wurde beispielsweise untersucht, in welchen Situationen Menschen flow erleben: u. a. während der Arbeit mehr als in der Freizeit (Csikszentmihalyi & LeFevre 1989), beim Hochseesegeln durch das Zurücklassen der Kultur, dem Bruch mit der Lebensweise an Land und dem Aufbau ihrer eigenen Werte auf einem begrenzten naturnahen Lebensraum (Macbeth 1991). Jugendliche erleben flow in japanischen Motorradbanden, wobei der Aspekt der Freundschaft und Kameradschaft wichtig ist, z.B. ausgedrückt durch spielerisches Treten gegen ein anderes Motorrad. Bei einem Rennen variiert die Freude: Sie besteht aus schnellem Fahren und aus dem Aspekt des Sichzeigens. Die Jugendlichen wollen Aufmerksamkeit und mögen erschrockene Gesichtern der Zuschauer (Sato 1991).

Schüler, die beim Schreiben Freude hatten, die weder Angst noch Lageweile verspürten „schienen aus ihren Arbeitsstunden mehr herauszuholen“ (Larson 1991, 183). Freude scheint als Ursache sowie als Ergebnis für flow beim Schreiben verantwortlich zu sein. Der Erfolg beim Schreiben scheint nicht nur von kognitiven Fähigkeiten abhängig zu sein, sondern auch von emotionalen, wie etwa von flow. Gelangweilte Studenten schreiben auch langweilige Arbeiten, überforderte Studenten schrieben arbeiten, die schlecht strukturiert waren, Studenten die begeistert geschrieben hatten, gaben auch gut zu lesende Texte ab. Die Schlussfolgerung: Freude am Tun scheint nicht nur an sich belohnend zu sein, sondern auch zu guten Ergebnissen zu führen. Die flow-Forschung befasst sich also mit den unterschiedlichen Situationen, in denen Menschen flow erleben. Dabei werden empirische Methoden (z.B. Sato 1991) wie auch Textanalyse angewandt (z.B. Logan 1991).

Die Qualität des Erlebens wurde auch interkulturell zwischen italienischen und US-Studenten verglichen. Für beide Gruppen war studieren im Allgemeinen mit positiven Erfahrungen verbunden. Unterschiede bestanden darin, dass die positivsten Gefühle der amerikanischen Studenten dann auftraten, wenn die Fähigkeiten etwas höher über den wahrgenommenen Anforderungen lagen, während die italienischen Studenten von ihren positivsten Emotionen berichtetet, wenn Fähigkeiten und Anforderungen gleich hoch waren. Die Amerikaner erlebten ihre negativsten Situationen, in denen sie die Anforderungen höher wahrnahmen als ihre Fähigkeiten, die Italiener bei geringen Fähigkeiten und geringen Anforderungen (Carli, Delle Fave & Massimini 1988). Die Forschung hat also neben der Untersuchung, in welchen Situationen Menschen flow erleben auch die Qualität des Erlebens verglichen - interkulturell.

Es wurden auch Bedingungen untersucht, die flow hervorrufen. Jackson (Jackson [1995], Stein et al. 1995) untersucht in Australien empirisch Bedingungen, die flow bei Elite-Sportlern auslösen. So zeigt sich flow-fördernd, wenn die Sportler motiviert waren, gute Leistungen zu bringen, wenn besonders Leichtathleten vor ihrem Wettkampf ein optimales Anregungspotenzial (arousal) aufwiesen. Sehr bedeutend für das Auslösen von flow war, wie gut sich die Sportler auf einen Wettkampf vorbereitet fühlten. Weiterhin waren die physische Fähigkeit, eine optimale Umgebung (Atmosphäre, positives Feedback) und Selbstvertrauen weitere Aspekte, die für die Elitesportler als flow-förderlich galten. Plöhn (1997) hat begonnen, ein Modell der autotelischen Kohärenz zu entwickeln, das zum Zwecke des Auslösens von flow-Erlebnissen die Person-Umwelt-Passung betrachtet. Das heißt beispielsweise, dass eine Person, die als Persönlichkeitseigenschaft (trait) besonders stark ein Gefühl von Kontrolle braucht, sich beispielsweise auch einen Beruf sucht, in dem dieses entsprechend möglich ist. Relevant ist dieser nicht neue Gedanke der Person-Umwelt-Passung für die flow-erzeugende Praxis, da das Modell Anhaltspunkte gibt, welche  Voraussetzungen für das Erreichen des flow-Zustandes wichtig sein können.

Darüber hinaus wurden Untersuchungen zu der Frage durchgeführt, wie man das flow-Konzept anwenden kann. In der Psychotherapie zeigt sich, dass das Verhältnis von Anforderungen und Fähigkeiten stimmen muss, damit optimales Erleben möglich wird. Eine emotionale Verkümmerung bei chronisch kranken psychiatrischen Patienten könnte womöglich durch individuelle Herausforderungen entgegengewirkt werden. (Massimini, Csikszentmihalyi & Carli 1987). Das flow-Konzept kann in der Erlebnispädagogik nach Kurt Hahn angewendet werden, da Hahn Bedingungen voraussetzt, die mit den Elementen des flow-Erlebens übereinstimmen. Diese können als flow auslösende Momente gelten. Zudem scheint Hahn das flow-Phänomen selbst als pädagogisch wertvoll einzuschätzen (er nennt es „schöpferische Leidenschaft“) und will dies auch erzeugen (Plöhn 1998, siehe Anhang). In der Arbeitswelt kann das flow-Konzept ebenfalls angewendet werden. So zeigt eine Befragung von 53 Führungskräften, dass flow-Erlebnisse den Transfer beeinflussen können. Die Autoren schlussfolgern, dass „motivatonale Faktoren stärker als bisher berücksichtigt werden sollten“ (Kehr, Bles & v. Rosenstiel 1999, 92).

Stress kann man in flow verwandeln, indem man zum Beispiel schwierige Ziele in kleine Einheiten zerlegt. Dabei sollte man sich auch nicht den Kopf über langfristige Folgen zerbrechen, sondern sich auf die situativen Herausforderungen konzentrieren (Donner & Csikszentmihalyi 1992). Bei einer Untersuchung von 208 Jugendlichen fanden Csikszentmihalyi, Rathunde & Whalen (1993, 252 ff.) heraus, dass komplexe Umwelten, die die Fähigkeiten der Jugendlichen erweitern und Schüler zu neuen Herausforderungen anspornen, die Entwicklung des Talents positiv beeinflussen. Talent entwickeln die Schüler, wenn die jeweiligen Tätigkeiten flow-Erlebnisse ermöglichen. Anders ausgedrückt: Diese Erlebensfreude ist die wichtigste Determinante, die die Talententwicklung bestimmt. Die Anwendung des flow-Konzepts für das World Wide Web beschreibt Wirth [o. J.]. So sei es flow-förderlich, wenn eine Website inhaltlich auf die jeweilige Zielgruppe zugeschnitten ist und die Ziele der User befriedigt. Ein übersichtliches Design fördert zielstrebiges Suchen, verhindert Ablenkung und ermöglicht dadurch Flow-Erlebnisse beim Surfen auf einer Website.

Flow wird auch mit psychologischen Konstrukten in Zusammenhang gebracht wie etwa mit Interesse (Schiefele 1992). Interesse als „relativ langfristige Orientierung einer Person gegenüber einem Objekt bzw. Objektbereich“ scheint eine Bedingung für das Auftreten von flow zu sein. Dabei stellte sich heraus, dass es bei den untersuchten 208 Schülern der 9. und 10. Klasse kein Zusammenhang zwischen Fähigkeiten und Qualität des Erlebens gab. Auch Prenzel (1988) nimmt an, dass Interesse flow-förderlich wirkt und flow wiederum das Interesse an dem jeweiligen Inhalt aufrechterhalten kann. Goleman (1996, 120 ff.) stellt flow in Beziehung zur Emotionalen Intelligenz und schreibt, dass die Fähigkeit, sich auf flow einlassen zu können „die höchste Form von emotionaler Intelligenz“ sei und möglicherweise „das Äußerste, wenn darum geht, die Emotionen in den Dienst der Leistung und des Lernens zu stellen“. Flow ermögliche auch effektives Handeln. Goleman, Kaufman & Ray (1997) stellen eine Nähe zu dem Begriff Selbstvergessenheit im Zen-Buddhismus her, der als „Zustand vollkommener Inanspruchnahme“ gekennzeichnet ist, und sich Handelnde ihrem Tun „rückhaltlos widmen“ und sich selbst verlieren. Flow wird auch mit Freude und Psychotherapie in Zusammenhang gebracht. Freude soll nicht als Abwehr von Problemen verstanden werden, sondern als ein Wesenszug von Menschen. Freude löst z.B. ein Gefühl von Selbstvertrauen und Kompetenz aus, wobei flow ein Auslöser von Freude ist (Kast 31994).

In Deutschland greifen Falko Rheinberg (1995, 1999) und Ulrich Schiefele (www.psychologie.uni-bielefeld.de) das Thema flow als Forschungsbereich auf. Rheinberg untersucht „was den Vollzug einer Aktivität so attraktiv macht, dass sie auch ohne gewinnbringende Endergebnisse und Folgen ausgeübt wird“ (www.psych.uni-potsdam.de) und erklärt flow aus der Sicht von Motivation (1995, 1996). Er weist darauf hin, dass die Bedingungen für den Eintritt in den flow-Zustand noch nicht geklärt sind und die bisherige Voraussetzung, die Passung von Anforderungen und Fähigkeiten, auch die der Leistungsmotivation ist. Schiefele untersucht flow u.a. im Zusammenhang mit Lernen, Interesse und Leistung. Er stellt fest, dass sich hochinteressierte häufiger in einem flow-ähnlichen Zustand befinden als wenig Interessierte. Doch besteht z.B. kein signifikanter Zusammenhang zwischen flow und Textlernen (Schiefele 1996, 234). In der Schweiz ist es eine Arbeitsgruppe um Urs Schallberger (1996), die flow im Zusammenhang mit Arbeit und Freizeit untersucht hat. Sie kam in einer Pilotstudie mit 43 Personen zu dem gleichen Ergebnis wie Csikszentmihalyi & LeFevre (1989), dass Arbeit mehr flow-Erlebnisse bietet als Freizeit. Jedoch stellten sie gleichzeitig auch negative Affekte fest, die mit dem flow-Konzept nicht vereinbar sind. Deshalb sollte bei der flow-Operationalsisierung die „persönliche Valenz“ mit berücksichtigt werden.

In Italien forschen Antonella Delle Fave und Fausto Massimini über flow (1991, s.o.), in Australien Susan Jackson [1995]. Sie untersucht Bedingungen für flow-Erlebnisse bei Elite-Sportlern und zeigt flow-förderliche Faktoren (z.B. optimales Arousal) sowie flow-verhindernde Bedingungen (ungenügende körperliche Vorbereitung). In den USA sind es Mihalyi Csikszentmihalyi wie unter anderem Reed Larson (1991, s.o.) und Kevin Rathunde (1991). Rathunde zeigt auf, dass Familienkontexte bestimmte Bedingungen aufweisen müssen, damit flow möglich wird: Wahlmöglichkeiten, Eindeutigkeit , Konzentrationsmöglichkeit, Förderung von Engagement sowie Herausforderung.

Ein Blick in die Landschaft der Dissertationen über Flow:[4] Ose (1997) entwickelt ein flow-erlebens- und Stressbewältigungstraining. Er untersuchte 30 Patienten und stellte fest, dass sich die Frequenz des flow-Erlebens nach einem Training (10 Termine innerhalb von 5 Wochen) und auch 15 Monate nach Beginn des Trainings erhöhte. Er stellte auch fest, dass sich das emotionale Befinden verbesserte und sich psychosomatische Beschwerden verringerten. Das Trainingsprogramm beinhaltete u.a. Aufgaben zur Selbstbeobachtung (z.B. wie involviert bin ich in ein Tun?), Handlungen nach flow-Erlebensregeln (z. B: klare Ziele setzen) und Problemlösungsstrategien (präzise Problembeschreibung). Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Straub (1996): Ein mentales „imagery training program“ bei Wrestlern kann die Frequenz des flow-Erlebens enorm erhöhen, dagegen aber kaum die Intensität des Erlebens. Volquartz (1999) stellt fest, dass beim gemeinsamen improvisierten Musizieren während einer Arbeitsgemeinschaft mit Schülern flow dann auftritt, wenn die Anforderungen hoch sind und die Schüler keine Anfänger sind. Sie kommen leichter in den Zustand von flow, wenn sie Erfahrungen im Improvisieren haben. Wichtig bei der Erzeugung von Flow im Unterricht ist eine homogene Gruppe, die Herausforderungen gemeinsam meistert, und Flexibilität: der Lehrer darf Lösungen nicht festlegen, er muss unerwartete Lösungen zulassen, wenn er den sonst in der Schule nachgeordneten Zustand von flow fördern möchte.

Neben diesen beiden Doktorarbeiten aus Deutschland sind in den USA sehr gut benotete Dissertationen von Adlai-Gail (1994) und Hektner (1996) entstanden[5]. Adlai Gail (1994) verglich autotelische Jugendliche, die sich ein Großteil ihrer Zeit in Situationen befinden, die persönliches Wachstum fördern, mit nichtautotelischen Jugendlichen, die wenig Zeit in solchen Situationen verbrachten. Sie zeigte, dass autotelische Jugendliche signifikant häufiger produktive Aktivitäten ausführen als nichtautotelische Jugendliche, die passives Freizeitverhalten wie etwa Fernsehen, an den Tag legen. Die Art wie sich die autotelischen Jugendlichen ihre Zeit strukturieren deutet darauf hin, dass Langzeitziele eine wichtige Rolle in der jeweils gegenwärtigen Situationen spielen. Autotelische Jugendliche konzentrieren sich mehr, sie finden es wichtiger was sie tun, fühlen sich kompetenter, haben ein höheres Selbstwertgefühl, genießen ihre Handlungen mehr und fühlen sich engagierter als nichtautotelische Jugendliche.

Hektner (1996) stellt sich die Frage, wie autotelisches Wachstum erreicht werden kann und untersuchte mit der ESM 281 Jugendliche über drei Jahre. Es scheint eine Art „sensitive Periode“ zu geben, in der junge Jugendliche mit der Umwelt auf verschiedene Art und Weise interagieren und Dinge ausprobieren. In dieser Zeit scheinen sie eine konsistente Struktur optimalen Erlebens zu entwickeln. Diese Entwicklung scheint in späteren Jugendjahren schwieriger zu werden. Hektner fand einige Hinweise, dass Herausforderung in der Schule eine wichtige Bedingung ist, die optimales Erleben fördert, ein direkter Zusammenhang zur Entwicklung autotelischer Fähigkeiten ist vergleichsweise geringer. Die Untersuchung zeigt auch, dass autotelische Entwicklung nicht an einen sozioökonomischen Status des Elternhauses gebunden ist und extrinsische Motivation keine Rolle bei der Entwicklung autotelischer Fähigkeiten zu spielen scheint.

Weitere Dissertationen (entnommen aus den Dissertational Abstracts International): Parks (1997) stellt in ihrer Dissertation fest, dass hohe Fähigkeiten und Herausforderungen wichtig sind, damit flow entsteht. Sie untersuchte u.a. flow in der psychotherapeutischen Arbeit. Jacobs Gold (1993) stellte fest, dass die wahrgenommene Autonomie und das Selbstwertgefühl während der flow-Phasen von Beschäftigungstherapeuten hoch war, aber auch, dass sie während des flow-Zustandes in einer angespannten Stimmung waren. Freemann (1993) fand heraus, dass die Frequenz des flow-Erlebens bei Erwachsenen während kooperativen Handelns und Problemslösens in einem Outdoortraining signifikant höher war als die Frequenz von flow im Alltag. Dabei korrelierte das subjektive Erleben der Trainer nicht signifikant mit den flow-Erlebnissen der Teilnehmer. Cosma (1999) untersuchte fünf Teams (N=104) und konnte u.a. die Hypothesen belegen, dass flow in Teams eher konstant ist als unterbrochen. Und: Je mehr sich ein Spieler in einem „playing Tune“ befindet, desto größer ist die Chance, dass das gesamte Team flow erlebt.

Eine für die weitere Forschung interessante Diplomarbeit verfasste Remy (2000). Sie entwickelte einen neuen Fragebogen zur Messung von flow-Erlebnissen. Dieser soll flow direkt messen können und nicht wie bisher die ESM die Passung von Anforderungen und Fähigkeiten als Ausgangspunkt von flow haben. Der Fragebogen enthält 29 Items mit vierstufigen Skalen. Flow kann mit diesem Fragebogen retrospektiv gemessen werden, doch zeigt sich auch, dass die Bedingungen für flow noch nicht geklärt sind. Flow ist ein holistisches Phänomen mit subjektiv unterschiedlichen Facetten.

 

Einordnung des flow-Begriffes

Flow ist ein Begriff aus der Motivationspsychologie. Dieses optimale Erleben ist der Prototyp von intrinsischer Motivation, weil Menschen im Zustand von flow ihr Tun genießen und nicht an externe Belohnungen denken. Autotelisch ist das Erleben, das heißt die Anreize liegen wie bei den oben beschriebenen Künstlern in dem Tun selbst, nicht in den Konsequenzen. Handelnde sind in den Momenten von flow so mit der Tätigkeit verschmolzen, dass alles andere, das extrinsisch Motivierende, unwichtig wird. Dagegen sind extrinsisch Motivierte an einer solchen Belohnung interessiert. Im Alltag gibt es wohl kaum Aktivitäten, die man entweder nur in- oder extrinsisch motiviert ausführt, zumeist handeln Menschen irgendwo zwischen den beiden Enden dieses Kontinuums.[6]

Allerdings ist es nicht so einfach, den Unterschied zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation auszumachen, da es verschiedene Abgrenzungsmöglichkeiten gibt. Heckhausen (1989, 456 ff.) unterscheidet sechs Merkmale, wobei „intrinsisch“ beim flow-Erlebnis „freudige Hingabe“, „absorbiert werden“, „fließen“ bedeutet. Abgegrenzt werden kann diese Form der intrinsischen Motivation von fünf anderen definitorischen Ansätzen. Eine Sichtweise beschreibt intrinsisches Verhalten außerhalb der Befriedigung von Trieben, wie Hunger, Schmerzvermeidung. Ein zweiter Ansatz bezeichnet intrinsisch als „Zweckfreiheit“, wie etwa bei Woodwort (1918), der angeborenes geistiges oder motorisches Handeln als intrinsisches Phänomen bezeichnet (behaviour primacy). Bühler (1919) spricht von „Funktionslust“. Menschen tun etwas, weil sie Spaß am Spielen oder in der Freizeit haben, nicht weil sie bestimmte Konsequenzen anstreben. Eine vierte Unterscheidung bezieht sich auf Antriebsprozesse. Intrinsisch motiviert sind hiernach Menschen, die wie bei Berlyne (1974) ein optimales Anregungspotenzial (optimal arousal) aufweisen. Eine fünfte Sichtweise ist der Aspekt der Selbstbestimmung, also des Handlungsursprungs: De Charms (31974) sieht beispielsweise Menschen intrinsisch motiviert, wenn sie sich als „origin“ fühlen, als kausaler Verursacher ihrer eigenen Handlungen. Deci & Ryan (1993) sehen Menschen intrinsisch motiviert, wenn sie sich selbstbestimmt und autonom wahrnehmen, denn sie haben ein Bedürfnis nach Kompetenz und Wirksamkeit. Ein letzte Definitionsmöglichkeit besteht in der Gleichthematik: Intrinsisch bedeutet, dass Mittel und Zweck, das heißt Handlung und Ziel thematisch übereinstimmen (Heckhausen 1989, 459).

Der Begriff „intrinsisch“ ist also nicht eindeutig definiert. Die Motivation „von innen heraus“ kann sich auf verschieden Bezugspunkte beziehen: Auf eine Gleichthematik von Handlung und Ergebnissen, einen Handlungsursprung, einen optimalen Antrieb, Kompetenzgefühl oder Zweckfreiheit. In dieser Arbeit, im Zusammenhang mit flow bedeutet „intrinsisch motiviert“ freudiges Aufgehen im Tun. Es hat als Phänomen große Ähnlichkeiten mit den von Maslow (1962; 1965) beschriebenen Gipfelerlebnissen (peak experience).

Eine Nähe besteht auch zu deCharms Konzept der selbstverursachenden „origins“ (deCharms 31974), zu Banduras Wirksamkeitsmotivation (Bandura 1977), oder der Selbstbestimmung von Deci & Ryan (1993). Der Hauptunterschied zwischen der flow-Theorie und den genannten Konzepten besteht (abgesehen von der Definition von intrinsischer Motivation) darin, dass sich das flow-Konzept der Qualität des Erlebens widmet, während sich die anderen Konzepte mit subjektiven oder objektiven Konsequenzen beschäftigen, die aus intrinsischer Motivation hervorgehen können (Csikszentmihalyi 1991c, 15 ff.).

Um zu zeigen, wie lange sich die Menschheit mit diesem Phänomen bereits auseinandergesetzt hat, lohnt ein kurzer Blick in die Philosophie: Immer wieder haben Philosophen über Lebensfreude und Glück nachgedacht und die „Ansicht vertreten: unser gesamtes Tun zielt auf das Erleben von Glück.“ (Csikszentmihalyi 1999, 31). Dies zeigt, welche Bedeutung einem erfüllten Leben zugesprochen wird. Zum Beispiel war das reflexionsfreie Versinken im Tun schon dem chinesischen Philosophen Tschuang-Tse vor 22 Jahrhunderten bekannt (Csikszentmihalyi 1991b, 397). Der altgriechische Philosoph Aristoteles spricht von Eudämonie und meint, dass alles, was ein Mensch um seiner selbst willen (intrinsisch) tue, zu seiner Vollendung beitrage. Wenn jemand als „eudaimon“ beschrieben werde, würde er oder sie ein lebenswertes und erfülltes Leben führen. Eudämonie sei das Endziel des Lebens, das sich aus vielen Teilen des Lebens zusammensetzte, die man idealerweise nicht verbessern könne (Forschner 1993, 5 ff.). Übertragen auf den flow-Gedanken: Menschen im flow machen das Beste aus Situationen (Csikszentmihalyi 1993, 274 ff.). Wenn sie dies in den meisten Situationen tun, so leben sie intrinsisch erfüllt und führen ein lebenswertes Leben, sie wären dann eudaimon.

Das Thema „Motivation, Glück und Lebensfreude“ ist also schon ein altes Sujet, welches die Menschheit immer wieder beschäftigt hat. Diese besondere Form des Erlebens scheint Menschen also nicht erst nur seit der Entstehung der flow-Theorie bewusst zu sein. Auch aus der Sicht der Erziehung hat das Phänomen Pädagogen und Pädagoginnen beschäftigt (z. B. Freinet 1997; Hahn [1958]; Makarenko 1956; Montessori 1972; Neubert 1990[7]; Scharrelmann 1906; 1917) und beschäftigt auch heute noch Pädagogen und Wissenschaftler (Igerl 1986; Maskus 1972; Plöhn 1998, 1998a; Rheinberg 1996; Schiefele 1992; Seibert, Wittmann & Zöpfl 1990; Volquartz 1999). Dieses alte Erscheinung kann möglicherweise für die Pädagogik mit dem flow-Konzept motivationspsychologisch neu reflektiert werden. Da das Phänomen damals für Erziehungssituationen nicht konkret definiert wurde, und somit erzieherische Möglichkeiten vielleicht weniger deutlich wahrgenommen werden konnten, kann das heute begrifflich anschaulichere und empirisch dicht einsetzbare flow-Konzept eine Möglichkeit bieten, die Bedeutung des Phänomens für die Erziehung und das z. T. altbewährte Wissen konkreter wahrzunehmen und umzusetzen.

 

Elemente des flow-Erlebens

Das flow-Gefühl ist phänomenologisch immer wieder anhand der gleichen Kriterien beschrieben worden (Csikszentmihalyi 1985). [8] Diese Elemente stellen die „strukturellen Eigenschaften“ des Phänomens dar (Csikszentmihalyi 1985, 132). Dies sind Ziele, die Herausforderung an die Fähigkeiten, mühelose Konzentration, Feedback, Kontrolle, Selbstvergessenheit und Veränderung des Zeitgefühls. Diese Elemente sind von zentraler Bedeutung für diese Arbeit: Einige dienen als systematischer Leitfaden für die Einordnung der reformpädagogischen Konzepte, da einzelne Reformpädagogen diese Kriterien besonders ausgeprägt in ihrer Praxis vertreten. Im folgenden werden diese Elemente des flow-Erlebens näher erläutert werden.

Ziele: Im flow-Zustand haben Menschen klare Ziele vor Augen. Tennisspieler haben das Ziel, den Ball in das gegnerische Feld zu schlagen, ein Segler hat das Ziel, an einem bestimmten Ort anzukommen, eine Floristin möchte einen hübschen Blumenstrauß binden, und der Felskletterer möchte auf dem Gipfel ankommen und nicht hinunterfallen. Wenn Ziele weniger eindeutig sind, wie etwa das Binden eines Blumenstraußes, „muß man ein starkes persönliches Gefühl dafür entwickeln, was man vorhat“ (Csikszentmihalyi 1993, 83). Ein Komponist hat vielleicht das abstrakte Ziel, ein Klavierkonzert zu schreiben, er weiß aber nicht schon vorher, welche Noten er wie zusammenfügen wird. Wissenschaftler müssen erst bestimmte Dinge verstehen, bevor sie weitere Forschungsziele entdecken und aufbauen können. Oft geschieht dies so lange durch Ausprobieren, bis sich „innere Leitlinien“ (Csikszentmihalyi 1993, 83), klar aufeinander folgende Handlungsschritte entwickeln, die die Handelnden zu ihrem Ziel leiten.

Klare Struktur: Wenn Menschen klare Ziele vor Augen haben, ermöglicht diese Zielorientiertheit im flow-Zustand klar strukturiertes Handeln. Der oder die Handelnde weiß, in welcher Reihenfolge bestimmte Abschnitte einer Tätigkeit ausgeführt werden und kann so z.B. Prioritäten setzen. Somit entwickeln sich „innere Regeln“ des Handelns.

Herausforderung: Ein weiteres Element, das flow-Erlebnisse kennzeichnet, besteht darin, dass die Fähigkeiten herausgefordert werden. Die Anforderungen, die an eine Person gestellt werden, sind gerade so hoch, dass das Handeln weder langweilig ist noch Angst auslöst, sondern Freude bereitet, weil gerade diejenigen Fähigkeiten „herausgekitzelt“ werden, die eine Aufgabe verlangt. Auf diese Weise nutzt der Mensch seine Potenziale. Eine Schülerin, die sich für Geometrie interessiert, erledigt eine Hausaufgabe im Handumdrehen und würde am liebsten noch mehr Aufgaben lösen. Ein anderer Schüler ist vielleicht von diesem Thema überfordert, er hat bereits schon Angst vor der nächsten Mathematikarbeit, weil er keinen Zugang zum Thema gefunden hat.

Konzentration: Handelnde können sich im Zustand von flow leicht konzentrieren. Es bereitet keinerlei Anstrengung, die Aufmerksamkeit auf das Tun zu lenken. Dies hängt damit zusammen, dass der Mensch lediglich eine begrenzte Anzahl von Informationen aufnehmen kann. Die Herausforderung erfordert indes so viel Kapazität, dass alle anderen Informationen in den Hintergrund geraten und somit die volle Konzentration auf das Tun möglich wird. „Es ist, wie wenn meine Erinnerung abgeschnitten wäre. Ich habe nur Dinge im Gedächtnis, welche die jeweils letzen dreißig Sekunden betreffen und das Vorausdenken betrifft jeweils nur die nächsten fünf Minuten“ (ein Physikprofessor (Proband) über das Klettern, zit. in: Csikszentmihalyi 1993, 86). Mühelose Konzentration ist das Element, das Probanden am häufigsten erwähnen, wenn sie über ihre flow-Erlebnisse berichten.

Feedback: Handelnde müssen aus ihren Aktivitäten Rückmeldungen entnehmen können, damit sie wissen, ob sie noch auf dem richtigen Wege zum Ziel sind. So können Menschen aus der Gartenarbeit eine Rückmeldung erhalten, wenn sie auf das Wachstum der Pflanzen achten. Eine Lehrerin bekommt vielleicht eine Rückmeldung über ihren Unterricht, dadurch, dass Schüler angeregt Fragen stellen oder Gelerntes auf andere Dinge übertragen: Wichtig ist, dass der Handelnde selbst Feedback wahrnimmt. Wenn Menschen Rückmeldungen nicht als solche erkennen, können sie nicht wissen, ob sie dem Ziel näher gekommen sind. Dann wird es schwer, die Aufmerksamkeit weiter auf die gleiche Tätigkeit zu fokussieren: Das Gefühl, dass eine Tätigkeit glatt läuft entgleitet, und das Tun wird weniger erfreulich (Csikszentmihalyi 1993, 83 f.).

Kontrolle: Wenn Handelnde klare Ziele haben, zudem das Feedback regelmäßig erfolgt, dann kann sich ein Zustand von Kontrolle ergeben. Die Handelnden haben das Gefühl, eine Situation im Griff zu haben. Die Tätigkeit beginnt zu fließen. Die Fähigkeiten sind so weit ausgebildet, dass sie das Handeln in einem bestimmten Rahmen kontrollieren können. Allerdings sind objektive Gefahren wie etwa ein unvorhergesehener, zu schnell aufziehenden Sturm beim Segeln für das Erleben von flow nicht immer zu vermeiden. Diese Gefahren entziehen sich der subjektiven Kontrolle. Unberechenbare Lehrer gehören ebenfalls zu den objektiven Bedrohungen für das flow-Erleben, die Schüler schwer einschätzen können, und die ein Gefühl von Kontrolle über das Tun schnell unterbinden können.

Selbstvergessenheit, Transzendenz: Aus dem Gefühl von Kontrolle ergibt sich im flow-Zustand das Gefühl, mit dem Tun zu verschmelzen. Die Aufmerksamkeit ist so weit auf das Tun konzentriert, dass andere Gedanken (z. B.: Mache ich alles richtig? Was sagt die Lehrerin dazu?) keinen Zugang zum Handeln mehr finden. Somit verschwindet das Gefühl, ein Ich zu haben. „Man ist dermaßen in der Tätigkeit ‘drinnen’, dass einem kein von der unmittelbaren Tätigkeit unabhängiges ‘Ich’ in den Sinn kommt,.. Man sieht sich selbst nicht getrennt von dem was man tut.“ (Ein Felskletterer als Proband, zit. in: Csikszentmihalyi 1985, 62 f.). Das Gefühl, im Tun aufzugehen, kann sich bis zu einem Gefühl von Transzendenz ausweiten, einem Eindruck, dem zufolge man mit allem irgendwie verbunden sei, was mit dem Handeln zusammenhänge. So fühlen sich Segler zum Beispiel eins mit dem Schiff, dem Seegang, dem Wind, mit der Farbe des Meeres. Tänzer gehen völlig in der Musik auf, und Schriftsteller werden zu ihren eigenen Romanfiguren. „Das Selbstgefühl verlieren bedeutet ... [jedoch] nicht, das Selbst zu verlieren und ganz gewiß nicht einen Verlust des Bewußtseins, sondern ein Verlust der Bewußtheit von sich selbst.“ (Csikszentmihalyi 1993, 93) Der „ichlose“ Zustand im flow „bedeutet tatsächlich eine sehr aktive Rolle für das Selbst“ (Csikszentmihalyi 1993, 93). Das Selbst werde also dadurch gestärkt, dass es sich seiner selbst nicht bewusst sei (Csikszentmihalyi 1993, 129 f.). Eng verbunden mit einem Gefühl von Selbstvergessenheit und Transzendenz ist ein Gefühl von Freiheit während des flow-Erlebens. Menschen fühlen sich innerlich frei von Sorgen oder körperlichen Beschwerden (vgl. unten „Auswirkungen von flow“). Menschen, die viel flow erleben, haben das Gefühl, frei über ihre Zeit zu verfügen (Csikszentmihalyi 1993, 195). Die Wahrnehmungen von Freiheit und Transzendenz liegen im flow-Erlebnis sehr dicht beieinander. Ein Freiheitsgefühl geht unmittelbar aus dem Erleben von Transzendenz und Selbstvergessenheit hervor, da man im Gefühl von Transzendenz eigene Grenzen des Bewusstseins und der Erfahrung überschreitet und dies auf emotionaler Ebene als Freiheit wahrgenommen werden kann.

Eine letztes Element des flow-Erlebens ist eine veränderte Zeitwahrnehmung: Nach dem Ende einer Tätigkeit wundern sich viele, wie spät es ist, und während des Tuns hat man oft das Gefühl, schon lange dabei zu sein.

Diese Elemente beschreiben also die Struktur des flow-Erlebens. Jedoch ist nach dem bisherigen Forschungstand nicht sicher, ob diese Elemente zu gleichen Teilen während eines flow-Erlebnisses wahrgenommen werden oder ob sie unterschiedlich starke Bedeutung haben (Rheinberg 1996, 108).

Ungeklärt ist beim bisherigen Forschungstand auch, wie viele Elemente Menschen überhaupt wahrnehmen müssen, um in einen Zustand zu gelangen, der als flow bezeichnet werden kann. Als „Katalysator“ oder „Zündfunke“ reicht möglicherweise ein Element, wie im folgenden Zitat zum Ausdruck kommt. Da sie „Bestandteil“ von flow sind, kann jedes einzelne Element umgekehrt auch flow auslösen (unabhängig vom Inhalt einer Tätigkeit): „Die Elemente der autotelischen Persönlichkeit sind durch gegenseitige Kausalität miteinander verbunden. Es ist nicht wichtig, wo man beginnt - ob man zuerst das Ziel wählt, Fähigkeiten entwickelt, die Konzentrationsfähigkeit pflegt oder seine Befangenheit ablegt. Man kann überall anfangen, weil die anderen Elemente viel leichter erreicht werden können, sobald die flow-Erfahrung einsetzt.“ (Csikszentmihalyi 1993, 278) Durch die einzelnen flow-Elemente kann der Mensch also in den Zustand von flow eintreten. Klare Ziele, reale Herausforderungen, Freiheit,[9] die Möglichkeit, sich zu konzentrieren, das Erhalten von Feedback oder ein Gefühl von Kontrolle vermögen also als Auslöser für flow-Erlebnisse zu dienen. Diese Kausalitätsfeststellung taucht im Laufe der Arbeit immer wieder auf.

Diese Feststellung ist der Ausgangspunkt, von dem aus es gerechtfertigt erscheint, hier einzelne reformpädagogische Ansätze systematisch in die flow-Theorie einzuordnen, denn einige Reformpädagogen vertraten einzelne Kriterien besonders ausgeprägt, die mit den Elementen der flow-Theorie übereinstimmen.[10] Dadurch evozierten sie vermutlich das flow-Phänomen bei ihren Schülerinnen, und es war somit wahrscheinlich schon damals erzieherisch wirksam, bevor die flow-Forschung heute die Wichtigkeit des flow-Erlebnisses für den Menschen eruieren konnte. Die einzelnen Kriterien haben aus der Sicht der flow-Theorie eine hohe erzieherische Bedeutung, da sie als strukturelle Eigenschaft während des Erlebens verinnerlicht und „dann für beliebig andere Situationen verallgemeinert werden“ (Csikszentmihalyi 1985, 132) können.

Wichtig für das Auslösen von flow ist, dass wie das flow-Erleben auch die Anreize und Auslöser subjektiv wahrgenommen werden. Das heißt, es gibt vielfältige Anreize, die flow auslösen können, wobei die Elemente nur einen Ausschnitt von vielfältigsten Auslösemöglichkeiten darstellen. Die Erforschung der flow auslösenden Anreize steht erst am Anfang (vgl. Rheinberg 1989, 144 ff.; Schiefele 1996, 58). Diese Arbeit soll dazu beitragen, mögliche Auslösefunktionen aus der Sicht der pädagogischen Praxis besser zu verstehen.

 

Drei Ebenen der flow-Theorie

Auf die eben beschriebenen Komponenten des flow-Erlebens ist die flow-Theorie zurückzuführen. Diese Ebene ist also der Ursprung der gesamten flow-Theorie, die seit der Dissertation von Csikszentmihalyi (1965)[11] entstanden ist. Seitdem hat sich diese Theorie nicht nur in der Beschreibung des subjektiven Empfindens weiterentwickelt, sondern die flow-Theorie (oder das flow-Konzept) kann durch drei verschiedene Ebenen beschrieben werden, die pädagogisch relevant sind:

1.    Es gibt einen subjektiv empfundenen flow-Zustand, der u.a. (die eben dargestellten) Elemente beinhaltet, die Menschen erleben, wenn sie sich im flow befinden.

2.    Eine zweite Ebene der flow-Theorie beschreibt mögliche Auslösebedingungen, welche Bedingungen gegeben sein müssen, damit Menschen in einem Zustand von flow geraten.

3.    Eine dritte Ebene schließlich beschreibt das Menschenbild: Was für eine Vorstellung vom Menschen, seinen Eigenschaften, Fähigkeiten und genetischem Anlagen, seiner Sozialisation ist mit der flow-Theorie verknüpft?

Im Folgenden wird näher auf diese Ebenen eingegangen (siehe Abbildung 1), weil sie Hinweise geben, inwieweit das Phänomen für die Erziehung oder Erziehungswissenschaft interessant sein kann. Diese Ebenen verschmelzen bei der Betrachtung reformpädagogischer Ansätze oft mit einander und lassen sich kaum trennen, sie werden hier der Verständlichkeit halber jedoch isoliert betrachtet.

Abbildung 1.1. :Pädagogisch relevante Ebenen der flow-Theorie

 

Ebene 1: Der flow-Zustand Unter dem flow-Zustand (oder auch flow-Erlebnis, -Gefühl, -Erfahrung) soll das subjektive Erleben verstanden werden, wie sich Menschen in bestimmten Situationen fühlen. Diese Ebene der flow-Theorie betrachtet die subjektive Wahrnehmung durch Personen. Dieser Zustand wird nicht, wie eingangs beschrieben, nicht als Einheitserfahrung wahrgenommen, sondern wird von Menschen unterschiedlich erlebt, beispielsweise als innere Klarheit oder als „Aha-Erlebnis“. Wichtig ist, dass flow ein reflexionsfreier Zustand ist. Das heißt, wenn Menschen flow erleben, wissen sie meist nicht, dass sie sich in so einem Zustand befinden oder befunden haben. Es wird ihnen z.B. deutlich, wenn sie danach befragt werden und ihre Qualität des Erlebens retrospektiv beschreiben (Rheinberg 1995, 142).

Obwohl Menschen flow also unterschiedlich erleben, berichten sie (bei retrospektiver Betrachtung) jedoch fast durchgehend von bestimmten Merkmalen, die ein flow-Erlebnis ausmachen. Diese Merkmale sind soeben beschrieben worden: Die Menschen nehmen klare Ziele wahr, empfinden Struktur, Kontrolle über das Tun, nehmen Rückmeldungen wahr, die das Handeln vorantreiben und sie haben das Gefühl von müheloser Konzentration. Diese Elemente beschreiben zusammengenommen das flow-Gefühl.

Da flow das Gefühl psychischer Ordnung und innerer Klarheit hervorruft, wollen Menschen deshalb auch immer wieder in diesen Zustand gelangen (siehe unten). Damit halten sie ihre psychische Ordnung aufrecht und erweitern sukzessive ihre Fähigkeiten.

Der flow-Zustand kann auf einem Kontinuum zwischen Micro-flow und Deep-flow erlebt werden. Micro-flow wird das Gefühl genannt, das Tätigkeiten angenehmen macht. Dieses Gefühl stellt sich z.B. ein, wenn jemand beim Staubsaugen Musik hört, sich auf seinem Bürostuhl streckt oder Kaffeepause macht. Diese Gewohnheiten strukturieren Alltagserfahrungen und haben einen leichten intrinsisch motivierenden Charakter (vgl. Csikszentmihalyi 1985, 222). Probanden berichten davon, dass sie im Micro-flow am ehesten „die unwillkürliche Konzentration“, „die Abwesenheit von Kompetenzzweifeln“ und „die Flüssigkeit des Handlungsablaufes“ erleben (Thiel & Kopf 1989, zit. in Rheinberg 1996, 109). Deep-flow beschreibt dagegen eine sehr intensive Erfahrung, das Gefühl von Einsein mit „Welt“, ein Gefühl von Transzendenz. Der Maler Paul Klee beschreibt irgendwo diesen Zustand: „Die Farbe hat mich. Ich brauche nicht nach ihr zu haschen, sie hat mich für immer, ich weiß das. Das ist der glücklichsten Stunde Sinn: Ich und die Farbe sind eins. Ich bin Maler“.[12] Besonders charakteristisch für tiefen flow ist das Vergessen von Zeit und Umgebung, die Fixierung auf den Augenblick und gänzliche Selbstvergessenheit (ebd.). Insgesamt scheinen flow-Erlebnisse eher bei Experten aufzutreten als bei Novizen (Rheinberg 1996, 106; Delle Fave & Massimini 1991, 229).[13]

Der subjektive flow-Zustand kann also unterschiedlich wahrgenommen werden, auf einem Kontinuum zwischen den beiden Polen von Micro- oder Deep-flow.

Der flow-Zustand beschreibt also eine Ebene der flow-Theorie. Seit seiner „Entdeckung“ ist das flow-Gefühl in der flow-Forschung recht gut beschrieben und empirisch untersucht worden. Zum jetzigen Zeitpunkt kann man zusammenfassen: (1) Das subjektive flow-Gefühl hängt eng mit dem menschlichen Bewusstsein zusammen (Csikszentmihalyi 1991a, 28 ff., siehe unten). (2) Flow kann jeder psychisch gesunde Mensch erleben, unabhängig von Alter, Geschlecht, Konfession oder sozialem Status (Csikszentmihalyi 1993, 17; Csikszentmihalyi 1991b, 378 ff.) (3) Flow kann bei nahezu allen Tätigkeiten auftreten: Am häufigsten tritt Deep-flow allerdings bei handwerklich-künstlerischen Tätigkeiten und bei geistig-produktiven wie auch bei sozial interaktiven Aktivitäten (Rheinberg 1996, 106), und auch bei schicksalhaften Extremsituationen in der Einsamkeit auf (Logan 1991). (4) Flow hat positive Auswirkungen auf die Lebensqualität (dazu genauer weiter unten).

Ebene 2: Auslöser oder Bedingungen. Eine zweite Ebene der flow-Theorie befasst sich mit den Auslösern oder Bedingungen des flow-Zustandes: Was eigentlich löst das flow-Gefühl bei Menschen aus und erhält es über einen längeren Zeitraum aufrecht? Diese Kategorie ist aus pädagogischer Sicht besonders interessant, weil hier praxisnahe Bedingungen angesprochen werden. Diese Ebene steht im Mittelpunkt dieser Arbeit, da die reformpädagogischen Konzepte auf flow-förderliche Bedingungen hin untersucht werden.

Ausdrücklich zu betonen ist jedoch: Flow-Erlebnisse können nicht wie eine chemische Reaktion nach einem Rezept mit bestimmten Zutaten erzeugt werden. Menschen sind mit ihren Wahrnehmungen und Fähigkeiten zu verschieden und das flow-Phänomen zu komplex, als dass es auf eindeutige Wenn-Dann-Beziehungen reduziert werden könnte. So ist es die Aufgabe der flow-Forschung bzw. dieser Arbeit, das flow-Phänomen und seine möglichen Auslöser für die Pädagogik transparent zu machen. Damit verbessert sich das Verständnis über das flow-Phänomen und seine förderlichen Bedingungen und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Pädagogen, Psychologen usw. flow-förderliche Bedingungen durch Transferleistungen erzeugen können.

Zur näheren Beschreibung der Auslöser-Ebene in der flow-Theorie haben sich durch Forschungen Bedingungen herauskristallisiert, die die Wahrscheinlichkeit von flow-Erlebnissen erhöhen: (1) das Investieren von psychischer Energie, (2) die einzelnen Komponenten des flow-Zustandes (speziell die die Passung von Anforderungen und Fähigkeiten), (3) weitere flow-förderliche Bedingungen.

Eine erste Annahme bezüglich auslösender Bedingungen ist, dass psychische Energie investiert werden muss, damit Menschen Zugang zu flow bekommen (Csikszentmihalyi 1993, 50). Das heißt, Personen müssen ihre „angeborene Trägheit“ (Jackson & Csikszentmihalyi 2000, 46), ihren inneren „Schweinehund“ überwinden und Aufmerksamkeit in bestimmte Situationen investieren. Auf diese Weise steuern sie aktiv ihre Aufmerksamkeit auf das, was sie interessiert. Der Boden für flow-Erfahrungen wird damit von einer Person selber fruchtbar gemacht.[14]

Csikszentmihalyi geht zweitens von der Annahme aus, dass Anforderungen und individuelle Fähigkeiten in einer Situation jeweils zusammenpassen müssen. Dies sei eine „unabdingbare Voraussetzung“ (Csikszentmihalyi 1991, 43) für flow.[15] Um im flow zu bleiben, „muss man die Komplexität der Aktivität ständig erhöhen, indem man neue Fertigkeiten entwickelt und sich entsprechend neue Herausforderungen sucht“ (Csikszentmihalyi 1991, 44). Diese Voraussetzung ist zugleich auch eine Komponente von flow, die den Erlebenszustand charakterisiert.

Nun zu den Elementen des flow-Zustandes, die nach Csikszentmihalyi ebenfalls flow auslösen können, wenn sie von Handelnden wahrgenommen werden: „Klare Ziele, überdurchschnittliche Anforderungen, abgestimmt auf die eigenen Fähigkeiten, und eindeutige Rückmeldungen tragen zusammen dazu bei, dass eine Person in ihrer Aktivität aufgeht“ (Csikszentmihalyi 1991a, 48). Dabei „es ist nicht wichtig, wo man beginnt - ob man zuerst das Ziel wählt, Fähigkeiten entwickelt, die Konzentrationsfähigkeit pflegt oder seine Befangenheit ablegt. Man kann überall anfangen, weil die anderen Elemente viel leichter erreicht werden können, sobald die flow-Erfahrung einsetzt“ (Csikszentmihalyi1993, 278). Das heißt, es gibt viele Wege, die zum flow führen können.

Die einzelnen flow-Elemente (wie z.B. Konzentration oder Ziele) dienen als Schlüssel zum flow. Jackson (1995) fand mit ihrer Untersuchung bei Eiskunstläufern heraus, dass die Sportler Konzentration, eine klare innere Struktur, Ziele, Herausforderungen und positives Feedback als flow-förderlich wahrnahmen. Die Sportler empfanden es demgegenüber als flow verhindernd , wenn sie das Gefühl hatten, ihr Bewusstsein nicht kontrollieren zu können, wenn sie keine klaren Ziele hatten, wenn die Konzentration „wanderte“, sie keine Herausforderungen und keinen Plan für ihr Vorgehen hatten.

Gabler (1994) stellt die Bedeutung der Konzentrationsfähigkeit in einen Zusammenhang mit flow und kommt zu dem Schluss, dass beim Training und Wettkampf das Umschalten von angestrengter zu anstrengungsloser Konzentration wichtig ist, damit Sportler in den Zustand von flow kommen, der dann „die Grundlage für optimale Leistung darstellt“ (ebd.).

Massimini, Csikszentmihalyi. & Delle Fave (1991) befragten Europäer und Asiaten von 14 bis 86 Jahren (N=636), durch welche  Voraussetzungen flow-Erlebnisse jeweils ausgelöst werden. Sie fanden unter anderem heraus, dass Konzentration (13 %), Herausforderung (9 %) und positive Rückmeldung (3 %) flow zu unterschiedlichen Prozentsätzen auslösen. Diese Komponenten sind auch für das Aufrechterhalten eines flow-Zustandes genant: Konzentration (6 %), Herausforderung (4 %) und positive Rückmeldung (4 %). Sie spielen jedoch beim Auslösen eine größere Rolle als für das Aufrechterhalten des flow-Zustandes (ebd. 89).

Die Untersuchungen deuten also an, dass die Komponenten flow auslösende Funktionen haben können. Jedoch: Ob nun einzelne Elemente des flow-Gefühls, wie etwa Ziele, schon allein unmittelbar flow-Erlebnisse auslösen und aufrechterhalten können, ist nicht klar. Sie scheinen eine intrinsisch motivierende Wirkung zu haben, so dass beispielsweise ein Ziel als Ausgangsmotivation wirkt und sich dann im Zusammenhang mit den anderen Komponenten das flow-Gefühl einstellen kann. Auf diese Weise dienen Konzentration, klare Struktur usw. quasi als Katalysatoren für das Evozieren von flow.

Auf diese Komponenten wird hier in der Arbeit näher eingegangen. Sie dienen als eine flow-förderliche Möglichkeit in ausgewählten reformpädagogischen Ansätzen.

Als Drittes können als flow-förderliche Bedingungen andere Faktoren genannt werden, die nicht mit den flow-Elementen übereinstimmen. So kann Interesse flow auslösen (Csikszentmihalyi 1997, 492 ff.; Schiefele 1991, 257) wie auch divergierendes Denken (Csikszentmihalyi 1997, 524). Eine positive Raumgestaltung scheint ebenfalls eine flow förderliche Umgebung zu schaffen (Csikszentmihalyi 1997, 504).

Massimini, Csikszentmihalyi & Delle Fave (1991, 89) stellen fest, dass eine positive Stimmung flow auslöst (7 %), die Umgebung (7 %), das Können (6 %), Komplexitätswachstum (2 %), sowie als wichtigster Auslöser von flow eine Aktivität selbst (41 %). Dabei lösen weniger Freizeitaktivitäten flow aus, sondern alltägliche Tätigkeiten, wie Arbeit und Studium (LeFevre 1989, 94 f.). Aufrechterhalten wird flow hauptsächlich durch eine Aktivität selbst (26%), durch Komplexitätswachstum (13 %), intrinsische Motivation (12 %), Umgebung (11 %), positive Stimmung (11 %) und Können (10 %) (ebd.).

Jackson (1995) fand ähnliche Bedingungen heraus, die bei Eiskunstläufern flow auslösend wirkten: z.B. Selbstvertrauen, positives Denken, in körperlich guter Verfassung sein, gesunde Ernährung, optimales arousal, gute Atmosphäre und gute Team-Interaktion.

Insgesamt kann man also von drei Gruppen von flow-Auslösern sprechen: (1) Investieren von psychischer Energie, (2) Wahrnehmung von Bedingungen, die mit den Elementen des flow-Erlebens übereinstimmen. Hier gilt insbesondere die Passung von Anforderungen und Fähigkeiten (Herausforderung) als zentrale Bedingung für flow. (3) Weitere Bedingungen, die nicht mit den oben beschriebenen Hauptkomponenten des flow-Zustandes übereinstimmen.

Diese drei Gruppen möglicher Auslöser hängen jeweils von äußeren und inneren Bedingungen ab: So können zum einen objektive Strukturen oder äußere Voraussetzungen flow auslösen, weil sie bestimmten Bedingungen unterliegen (vgl. Csikszentmihalyi 1995, 11). Jackson (1995) zeigt beispielsweise, dass optimale Umgebungsbedingungen bei Sportlern flow fördern, wie etwa eine gute Atmosphäre, kein äußerlicher Druck. Frester & Wörz (1997, 20 f.) halten fest, dass zu viele Anweisungen von außen beim Sport flow-hinderlich sind.

Neben diesen äußeren Bedingungen scheint es auch subjektive Bedingungen zu geben, die flow-förderlich oder -hinderlich sind. So fand Jackson (1995) heraus, dass etwa die Motivation zu Performance ein wichtiges inneres Kriterium ist, das flow beim Eislauf auslöst. Flow verhindernd wirkte sich beispielsweise bei den Eisläufern aus, wenn sie sich z.B. aufgrund von zu langem vorherigen Training müde fühlen.

Eine weitere und wohl die wichtigste innere Voraussetzung für einen Zugang zu flow ist, wie Menschen eine Situation betrachten. Eine Sichtweise kann flow auslösen, wenn wir eine Situation beispielsweise als Herausforderung betrachten, sie kann flow hemmen, wenn sie als bedrohlich oder unlösbares Problem definiert wird (vgl. Csikszentmihalyi 1993, 126; Logan 1991; Larson 1991).

Flow auslösende Momente beziehen sich also auf innere und äußere Strukturen. Diese Unterscheidung ist bedeutsam für Erziehungsprozesse, die flow auslösen sollen: Zum einen haben etwa Lehrer die Aufgabe, äußere Strukturen nach den Regeln des flow-Erlebens zu gestalten, damit die Schüler mit einer höheren Wahrscheinlichkeit flow erleben. Auf der anderen Seite weisen die inneren Voraussetzungen (besonders das Investieren von psychischer Energie und eine positive Wahrnehmung) auch darauf hin, dass Menschen letztendlich für das Eintreten von flow selbst verantwortlich sind (siehe unten in diesem Kapitel im Absatz über „stellvertretende Verantwortung“).

Mit der Frage nach möglichen Auslösern für flow geht auch die Frage einher, ob flow-Erlebnisse vorhergesagt werden können. Bisher kann man auf diese Frage mit einem klaren „nein“ antworten. Es gibt keine Rezepte. Dies betont Csikszentmihalyi ausdrücklich (z.B. 360° Geo-Reportage 1999; Jackson & Csikszentmihalyi 2000, 13). Es gibt jedoch bestimmte innere Einstellungen und Situationen, die eine Chance zum flow-Erleben bei vielen Menschen erhöhen. Flow auslösenden Situationen ist beispielsweise gemeinsam, dass sie Ziele aufstellen, Rückmeldungen über den Erfolg geben und Konzentration ermöglichen, wie etwa bei der Arbeit, beim Sport oder Spiel. Man kann also bestimmte Voraussetzungen schaffen, dann erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass mehr flow ins Leben kommt. Die These dieser Arbeit ist, dass einige Reformpädagogen das flow-Phänomen auslösen wollten, lange bevor es als solches benannt und wissenschaftlich beschrieben wurde (denn die Reformpädagogen hatten ja den Terminus „flow“ und seinen ganzen theoretischen Rahmen, der sich seit Csikszentmihalyis Dissertation gebildet hat, noch gar nicht). Sie haben damals aber schon bestimmte Bedingungen geschaffen, um so etwas wie flow im schulischen Alltag erzeugen zu können. Damit bezieht sich die Arbeit wie oben erwähnt, hauptsächlich auf die zweite Ebene der flow-Theorie.

Ebene 3: Menschenbild. Bisher sind zwei Ebenen der flow-Theorie beschrieben worden: erstens die des flow-Zustandes, also des flow-Gefühls, und zweitens die der auslösenden Bedingungen. Hier wird eine dritte Ebene der flow-Theorie betrachtet: das Menschenbild, also das übersummative Bild vom Menschen, das quasi als Bühnenbild für den flow-Zustand und mögliche auslösende Bedingungen gilt.

Der flow-Theorie liegt ein humanistisches Denken zugrunde: Es gilt Selbstentfaltung zu ermöglichen und die schöpferischen Aspekte im Menschen zu betonen und sich ihrer auch bewusst zu werden. Dann könne der Mensch ein qualitativ hochwertiges Leben führen.

Das humanistisch ausgerichtete flow-Konzept stellt direkt die subjektiv empfundene Qualität des Erlebens in den Vordergrund. Menschen sind keine „Blackboxen“, die automatisch auf bestimmte Reize reagieren (so wie es z.B. behavioristische Ansätze beschreiben); sie werden auch nicht nur von ihren unbewussten unverarbeiteten Problemen gesteuert, wie es etwa die psychoanalytische Strömung annimmt (vgl. Csikszentmihalyi 1993, 32 ff.). Sondern der Mensch hat Potenziale, er ist verantwortlich für seine Entscheidungen und Handlungen. Zudem hat er die Fähigkeit zur inneren Freude und intrinsischen Motivation. Mit diesem grob umrissenen humanistischem Menschenbild ordnet sich die flow Theorie einer neueren Strömung der „positiven Psychologie“ zu, die u.a. Mihalyi Csikszentmihalyi und Martin Seligmann etablieren.[16]

Wie sieht nun Csikszentmihalyis Menschenbild konkret aus?

Sein Menschenbild beinhaltet zwei Komponenten, die psychische und die gesellschaftliche. Zuerst thesenhaft zur psychischen Komponente seines Menschenbildes:

·       Menschen sind unterschiedlich (C: 1995, 79).

·       Menschen sind fähig, Aufmerksamkeit bzw. psychische Energie in Ziele zu investieren, etwas Neues zu entdecken 1995, 249) und sich zu komplexen Wesen zu bilden (1995, 225): Der Mensch kann mehr werden als er ist (Csikszentmihalyi 1995, 373). Die Fähigkeit zur Komplexität ist wohl zum einen genetisch veranlagt, kann und muss jedoch auch erlernt werden. Dies geschieht auf sozialer Ebene z.B. durch „gesellschaftlich festgelegte Aktivitäten“ und auf individueller Ebene durch gezielte Investition von Aufmerksamkeit (Csikszentmihalyi 1995, 225).

·       Der Mensch ist verantwortlich für sein Handeln (Csikszentmihalyi 1995, 373).

·       Wenn Menschen sich nicht in den Zustand psychischer Ordnung versetzen, dann herrscht psychische Entropie oder Chaos in ihrem Bewusstsein (Csikszentmihalyi 1995, 225 ff.).

·       Der Mensch muss sich bei Entscheidungen immer mit vier inneren Instanzen auseinandersetzen, die den Weg zur Komplexität vernebeln können: Mit den genetischen Instruktionen, den Überlegenheitsgefühlen seiner jeweiligen Kultur, seinem Egoismus, (Csikszentmihalyi 1995, 95 ff.) und schließlich dem inneren Faulenzer (Jackson &Csikszentmihalyi 2000, 46). Wenn sich Menschen dieser Instanzen klar werden, könne der Mensch die Kontrolle über sein Bewusstsein erlangen, gemeinsam mit diesen Instanzen eigene Prioritäten setzen und einem „eigenen unabhängigen Kurs“ (Csikszentmihalyi 1993, 41) folgen. Daraus entsteht die Möglichkeit zu einem harmonischen, authentischen Sein.

·       Viel flow und Komplexität wird möglich durch das Selbst, das mit einer inneren Zielhierarchie Prioritäten setzt.

·       Der Mensch hat ein begrenztes Bewusstsein und Informationsverarbeitungssystem (Csikszentmihalyi 1993, 47)

·       Der Mensch ist lernfähig: Er kann die Fähigkeit zum flow-Erleben lernen.

Wenn der Mensch sich also seiner inneren Instanzen bewusst ist, kann er Ziele verfolgen, die lohnende Erfahrung von flow machen und sein Leben autotelisch gestalten. Dadurch entdeckt er seine Potenziale und kann sie intrinsisch motiviert weiter ausbauen (siehe unten).

Das Menschenbild des flow-Konzepts beschränkt sich nicht nur auf die Entwicklung der Persönlichkeit samt ihrer  Potenziale, Csikszentmihalyi geht noch einen Schritt weiter und beschreibt die soziokulturelle oder gesellschaftliche Bedeutung von flow und persönlicher Komplexität. Menschen, die sich übergeordneten Zielen widmen, tragen zur Komplexität der Gesellschaft und ihrer zukünftigen kulturellen Entwicklung bei. Das lohnende flow-Erlebnis bleibt also nicht auf einer persönlichen Lustgewinn-Stufe stehen, sondern beeinflusst auch die gesellschaftliche Entwicklung oder die kulturelle Evolution.[17] Das heißt, ein Idealmensch im Sinne der flow-Theorie lenkt seine „psychische Energie auf bedeutungsvolle Ziele“ hin, „die zur Ordnung und Komplexität beitragen, die sich weiter auf das Bewusstsein vieler neuer Generationen auswirken werden, auch wenn wir selbst diese Welt längst verlassen haben und vielleicht schon längst vergessen sind“ (Csikszentmihalyi 1995, 376).[18] So haben etwa Künstler, Nobelpreisträger, ehernamtliche Mitarbeiter oder Umweltaktivisten übergeordnete Ziele, die gesellschaftliche Fragen voranbringen. Menschen mit nicht egoistischen Zielen bringen „das Leben auf eine höhere Ebene“ (Csikszentmihalyi 1993, 99).

Betrachtet man nun das Zusammenspiel der psychischen und gesellschaftlichen Ebene, so kann dieses (sehr grob skizziert) in einen positiven Kreislauf münden: Autotelische Menschen, die sich in übergeordneten Zielen engagieren, erleben die lohnende Erfahrung von flow und erhöhen damit ihre psychische Ordnung wie auch die Ordnung der Umgebung. Die Freude am Erfolg motiviert, weitere Herausforderungen zu suchen. Auf diese Weise kann eine „gute Gesellschaft“ (Csikszentmihalyi 1995, 348) geschaffen werden. Eine gute Gesellschaft wiederum ermöglicht die Entfaltung der persönlichen Potenziale, das wiederum ermöglicht den Erhalt als gute Gesellschaft.

Für die Erziehung bedeutet dies, dass schon Kinder und Jugendliche in komplexen Erfahrungswelten aufwachsen sollten, damit eine komplexe und gute Gesellschaft möglich wird. Csikszentmihalyi (1997, 351 ff.) weist darauf hin, dass Bücherwissen dafür allein nicht ausreichend sei, und bezieht sich z.B. auf Aldous Huxley, der das Felsklettern als eine ideale Voraussetzung ansieht, damit Menschen zu gesellschaftsfähigen Bürgern werden. Er betont, wie wichtig es sei, einen Zusammenhang zwischen Handeln und Konsequenzen zu erkennen. Dieser könne nicht in Form abstrakter Informationen vermittelt werden, sondern müsse erfahren werden (Csikszentmihalyi 1997, 354).[19]

Csikszentmihalyi möchte mit seiner Forschung also zweierlei bewirken: Zum einen möchte er, dass Menschen mehr Zugang zum flow-Erleben bekommen (Csikszentmihalyi 1985, 135; 1991, 27; Jackson & Csikszentmihalyi 2000, 161). Als humanistischer Psychologe sieht er also die Psyche und Persönlichkeit im Vordergrund. Dies ist hier als psychische Komponente des Menschenbildes beschrieben worden. Zum anderen betrachtet er auch die Auswirkungen von flow auf soziokultureller Ebene für die Zukunft der Menschheit (Csikszentmihalyi 1991, 49; vgl. Csikszentmihalyi 1995). Damit bleibt er nicht auf der psychologischen Ebene stehen, sondern stellt das positive Erleben in einen evolutionären Zusammenhang: Flow ist nützlich für die Entwicklung der gesellschaftlichen Zukunft und hat sich in der Vergangenheit möglicherweise auch als ein positives Überlebensmerkmal von Kulturen herausgestellt (Csikszentmihalyi 1991, 42 f.). Beide Ebenen sind voneinander abhängig: Ohne komplexe Individuen gibt es keine komplexe Gesellschaft, eine nicht komplexe Gesellschaft bringt auch schwerlich komplexe Individuen hervor.

Da er nun diese beiden Ebenen als wechselseitig abhängig sieht, stellt sich bezüglich seines Menschenbildes die „Henne-Ei-Frage“: Will er als Psychologe die Frequenz von situativen flow-Erlebnissen bei einzelnen Menschen erhöhen und erreicht damit erst individuelle und folglich gesellschaftliche Komplexität? Oder hat er das Ziel, psychische Komplexität überhaupt zu erhöhen, wobei das situative Gefühl von flow als ein nützliches Mittel dient (woraus sich dann die gesellschaftliche Komplexität entwickeln kann)? Bei seinem Ansatz wird also letztendlich nicht klar, ob flow Ziel oder Mittel sein soll. Für die Praxis ist dieser zirkuläre Ansatz nützlich, doch um die flow-Theorie zu differenzieren, kann es sehr hilfreich sein, diese beiden Ebenen theoretisch zu trennen. Csikszentmihalyi beschreibt die Ebenen implizit. Sie können bezüglich des idealen Menschenbildes durch ein Kreislaufschema veranschaulicht werden.

Festgehalten werden kann, dass in dieser Arbeit drei Ebenen der flow-Theorie betrachtet werden:

1.    Flow-Zustand. Auf einem Kontinuum zwischen Micro-flow und Deep-flow können Menschen den flow-Zustand erleben. Der Zustand wird charakterisiert von mehreren Elementen, wie z.B. Herausforderung, Ziele, Kontrolle & Feedback, Konzentration (vgl. den Abschnitt „Elemente des flow-Erlebens in diesem Kapitel).

2.    Flow-Auslöser. Diese zweite Ebene beinhaltet eine Vielzahl von Bedingungen, die bei Menschen flow auslösen können. So können zum Beispiel Ziele, Herausforderungen, Feedback & Kontrolle oder die Möglichkeit zur Konzentration bei einzelnen Menschen auf unterschiedliche Weise flow auslösen (Csikszentmihalyi 1993, 278). Diese Bedingungen überschneiden sich mit den Merkmalen der Ebene 1 der flow-Theorie (flow-Zustand) und werden hauptsächlich in dieser Arbeit betrachtet. Die Auslöser haben eine zentrale Bedeutung im Zusammenhang mit der Betrachtung der hier vorgestellten reformpädagogischen Konzepte.

3.    Menschenbild. Diese dritte Ebene beinhaltet eine personenbezogene Betrachtungsweise sowie eine gesellschaftliche. Auf personenbezogener Ebene wird versucht die Psychologie des Menschen zu verstehen, damit z.B. Menschen die Möglichkeit haben mehr flow zu erleben. Die gesellschaftsbezogene Betrachtungsweise macht deutlich, dass eine Kultur vielfältiger, differenzierter und komplexere Lebensformen hervorbringt und sich selbst stabilisiert, wenn es innerhalb ihrer Strukturen möglich ist, viel flow zu erleben.

Diese drei Ebenen können durch untersuchte Auswirkungen von flow-Erlebnissen miteinander verbunden werden: So regen Untersuchungsergebnisse über den flow-Zustand, die flow-Auslöser oder das Menschenbild möglicherweise neue Forschungen anregen. Dadurch  kommen wieder neue Ergebnisse hervor, die die einzelnen Ebenen der flow-Theorie weiter differenzieren können. Auf diese Weise können sich einzelne Ebenen der flow-Theorie differenzieren und damit eine zunehmend differenzierte Betrachtungsweise der flow-Theorie ermöglichen.

Bedeutung von flow für „Selbstverwirklichung und

Weltorientierung[20]“ des Menschen

Die Bedeutung des flow-Erlebens für den Menschen liegt darin, dass er sein volles Potenzial entfalten könne (Hektner 1996, 169), sein Leben positiv wahrnehme (Csikszentmihalyi 1991b, 377), sowie „autonom als auch weltverbunden“ sei (Csikszentmihalyi 1985, 235). Um ein solches freudiges, intrinsisch lebenswertes Leben leben zu können, „muß man Wege finden, sein Bewußtsein so zu ordnen, dass man Kontrolle über seine Gefühle und Gedanken“ ausüben könne (Csikszentmihalyi 1993, 42). Wodurch dies möglich wird, wird im folgenden anhand zentraler Begriffe der flow-Theorie skizziert: Selbst, Teleonomie des Selbst, psychische Ordnung, autotelische Persönlichkeit, autotelische Fähigkeiten sowie autotelische Aktivität, autotelisches Erleben und erweitertes flow-Erlebnis. Diese Begriffe tauchen im Verlauf dieser Arbeit immer wieder auf.

Das Selbst ist ein hypothetisches Konstrukt, das ein „personinhärentes Entwicklungsprinzip“ (Herber 111987) darstellt. Bei Csikszentmihalyi ist es eine „Instanz innerhalb des Bewußtseins“ (Csikszentmihalyi 1991a, 33), das die Inhalte des Bewusstseins, das heißt die erfahrene Realität einer Person (Csikszentmihalyi 1993, 45) repräsentiert. Es entsteht, sobald Menschen ihre Aufmerksamkeit steuern können (Csikszentmihalyi 1991a, 33). Damit wird ein Kreislauf initiiert: Das Selbst lenkt die Aufmerksamkeit, diese Aufmerksamkeit wiederum bildet das Selbst, es herrscht eine „zirkuläre Kausalität“ (Csikszentmihalyi 1993, 55). Auf was das Selbst dann die Aufmerksamkeit lenkt, richtet sich danach, welche Ziele es bereits entwickelt hat (welche es entwickeln konnte). Und zwar zieht es Ziele vor, die flow-Erlebnisse ermöglichen, weil es dadurch am besten seine Potenziale entfalten (Csikszentmihalyi 1995, 238) und somit wachsen kann (Csikszentmihalyi 1991a, 33). Das Selbst entwickelt also eine Rangordnung von Zielen, die sein optimales Wachstum ermöglichen und steuert dementsprechend seine Aufmerksamkeit. Diese Tendenz, gemäß einer inneren Zielhierarchie zu handeln, nennt Csikszentmihalyi „Teleonomie des Selbst“ (Csikszentmihalyi 1991a, 35 ff.).

Übt ein Mensch wenig Kontrolle über den Inhalt seiner Aufmerksamkeit[21] aus, weil vorwiegend andere Menschen (z. B. Lehrer) über das Bewusstsein zu bestimmen versuchen, kann sich schwerlich eine Teleonomie des Selbst entwickeln. Ergeben sich dagegen beispielsweise in der Schule Möglichkeiten, die Aufmerksamkeit selbst zu steuern (z. B. durch einen Wochenarbeitsplan, vgl. das Kapitel über Freinet), können Schülerinnen ein Stück mehr Kontrolle über ihre Aufmerksamkeit bekommen. Damit kann das Selbst Ziele hierarchisieren, seine Aufmerksamkeit pointierter steuern und eigene Inhalte aufbauen. Die Bedeutung für die Erziehung liegt also darin, dass Menschen die Möglichkeit bekommen sollten, ihre Aufmerksamkeit und ihre Ziele selbst zu bestimmen, damit sie sich zu selbständigen Personen entwickeln können.[22]

Ein weiteres zentrales Merkmal des flow-Erlebens stellt das Gefühl von psychischer Ordnung oder Negentropie dar: Im flow befindet sich das Selbst in einem Zustand von Harmonie, Handeln, Fühlen und Wollen stehen im Einklang mit der Zielhierarchie des Selbst. Dieses Gefühl ist es, was Freude, Glück oder innere Zufriedenheit herstellt (Csikszentmihalyi 1991a, 37). Je mehr das Selbst während des Tuns mit seiner Hierarchie von Zielen übereinstimmt, desto mehr Harmonie empfindet es.

Haben Menschen dagegen keine oder wenig Kontrolle über ihre Bewusstsein, so sind belastende emotionale Zustände von Entropie, wie z. B. Angst, Langeweile oder Frust, die Folge. Allison & Duncan (1991, 141) prägten dafür den Begriff „antiflow“, „eine sinnlose mühselige Tätigkeit, die wenig Herausforderung bietet, nicht intrinsisch motivierend ist und das Gefühl mangelnder Kontrolle aufkommen läßt“. Antiflow könne z. B. bei „mühsamen einfachen und repetitiven Aufgaben“ (Allison & Duncan 1991, 157) eintreten. Antiflow bedeute eine „äußerste Abscheu gegenüber einer Aktivität“ (Allison & Duncan 1991, 141). Es könne sich keine innere Harmonie einstellen, weil das Tun nicht mit der Teleonomie des Selbst übereinstimme.

Menschen, die ihre Aufmerksamkeit vorwiegend auf Dinge lenken, die psychische Ordnung oder flow-Erlebnisse erzeugen, nennt Csikszentmihalyi autotelische[23] Persönlichkeiten (1999, 153 ff.; 1993, 118 ff.). Diese zeichneten sich dadurch aus, dass sie sich Ziele setzten, die mit ihrem Selbst im Einklang stünden. Auf diese Weise würden sie viel Freude an dem haben, was sie tun (Csikszentmihalyi 1985, 44), und entwickelten eine hohe Lebensqualität  (Csikszentmihalyi 1991a, 46; 1997, 488 ff.). Der Begriff „autotelische Persönlichkeit“ ist analytisch zu unterscheiden von dem der autotelischen Fähigkeiten, des autotelischen Erlebnisses und der autotelischen Aktivität (bzw. Situation, Tätigkeit). In der Realität verschmelzen sie hingegen miteinander. Sie können in Erziehungssituationen unterschiedliche Bedeutung haben.

Eine autotelische Aktivität ist eine Aktivität/Tätigkeit oder eine Situation, die das Ziel bereits in sich birgt, also intrinsisch motiviert (Csikszentmihalyi 1985, 42; 1997, 166). Eine Aktivität ist meistens nicht nur intrinsisch motivierend, sondern es gibt auch extrinsisch motivierende Anteile einer autotelischen Aktivität. Synonym für diese stehen in dieser Arbeit „autotelische Situation“ (Csikszentmihalyi 1985, 227) oder „autotelische Tätigkeit“ (Csikszentmihalyi 1985, 43).

Autotelisches Erleben beschreibt eine positive psychische Funktionsweise (Csikszentmihalyi 1991b, 377). Menschen erleben flow und sind motiviert, gerade wenn keine extrinsischen Belohnungen vorhanden sind (Csikszentmihalyi 1985, 44). Autotelisches Erleben und flow sind somit Synonyme.

Csikszentmihalyi selbst verwendet indes nicht den Begriff „autotelische Fähigkeiten“.[24] Dieser soll hier neu eingeführt werden.[25] Autotelische Fähigkeiten bedeuten, dass eine Person aktiv in der Lage ist, in einer Situation, bei einer Aktivität oder Tätigkeit flow zu erleben.[26] Autotelische Fähigkeiten sind nicht unbedingt eine bewusste Abfolge technischer Fertigkeiten. Sie können auch als Lebenseinstellung unbewußt flow auslösen. Es gibt viele Möglichkeiten[27], mittels deren Menschen in den flow-Zustand gelangen können (Csikszentmihalyi 1993, 278). Doch welche Fähigkeiten dies im einzelnen sein können ist noch nicht geklärt. Csikszentmihalyi betont deswegen auch, dass es keine Rezepte gebe, die flow auslösten (Csikszentmihalyi 1993, 65). Damit sich autotelische Fähigkeiten bilden können, sind erweiterte flow-Erlebnisse erzieherisch bedeutend. Also nicht nur punktuelle, einzelne flow-Erlebnisse in irgendwelchen Situationen, sondern eine (möglichst lange) Serie von flow-Erlebnissen in einer interessanten, herausfordernden Tätigkeit, die die Fähigkeiten permanent Stück für Stück erweitern (Plöhn 1998, 10, 87 ff.).

Die Begriffe haben gemeinsam, dass sie sich gemeinsam um das flow-Phänomen herumranken: Autotelische Aktivitäten lösen flow oder autotelisches Erleben aus. Wenn Menschen viel flow erleben, haben sie autotelische Fähigkeiten und entwickeln sich zu autotelischen Personen. Autotelische Personen haben somit eine stark entwickelte Teleonomie des Selbst. Diese ermöglicht ein erfülltes Leben, weil autotelische Personen gemäß einer inneren Zielhierarchie handeln. Deswegen genießen autotelische Personen fast alles, was sie tun, weil das Handeln einem roten Faden folgt und psychische Ordnung herstellt.

Um die Begriffe für Erziehungssituationen handhabbar zu machen, werden sie wie folgt hierarchisiert:

1.    die unterste Stufe bezieht sich auf einzelne Situationen: flow-Erlebnisse, autotelisches Erleben, autotelische Aktivität;

2.    die zweite Stufe deutet auf die Entwicklung erster Fähigkeiten hin, die flow ermöglichen: autotelische Fähigkeiten;

3.    die dritte Stufe beschreibt die Entwicklung des Selbst als eine Instanz des Menschen: Teleonomie des Selbst;

4.    die vierte Stufe schließlich umreißt die flow-nahe Lebenseinstellung einer Person, die einer autotelischen Persönlichkeit (oder Person).

Bezogen auf Erziehung, stellt die autotelische Persönlichkeit auf der letzten Stufe ein Erziehungsziel dar, das durch die vorherigen Stufen realisiert werden kann. Dies setzten Reformpädagogen auf unterschiedliche Art und Weise um, und zwar u. a. mit einzelnen Kriterien, die mit den oben beschriebenen Elementen des flow-Erlebens übereinstimmen. Dadurch setzten sie „Selbstverwirklichung und Weltorientierung“ bei ihren Schülerinnen und Schülern in Gang.

 

Auswirkungen von flow-Erlebnissen

Flow-Erlebnisse können insgesamt als seelische Nahrung bezeichnet werden, ohne die die Menschen psychisch verhungern. Die flow-Forschung hat nachstehende positive Folgen festgestellt: Menschen, die viel flow erleben, ...

·       ... sind zufriedener und glücklicher,

weil flow-Erfahrungen in einer Tätigkeit auf andere Bereiche des Lebens hinüberwirken (Csikszentmihalyi 1991b, 377);

1.    weil sie negative und auch schreckliche Erfahrungen in erfreuliche verwandeln können (Csikszentmihalyi 1993, 126; 254 f.; Allison & Duncan 1991, 158);

2.    weil Erfahrungen von flow weitere erfreuliche flow-Erfahrungen initiieren (Csikszentmihalyi 1993, 64; 1991, 37) und weil

3.    Menschen dadurch wiederum stärker intrinsisch motiviert (Csikszentmihalyi 1991b, 387; 1995, 256) und „stärker angeregt“ werden (Massimini & Carli 1991, 298; LeFevre 1991, 323; Wells 1991).

·       ... sind konzentrierter (Csikszentmihalyi 1999, 159);

·       ... sind leistungsfähiger (Csikszentmihalyi 1995, 253; 408 f.; Nakamura 1991):

·       ... sind zielstrebiger (Adlai-Gail 1994, 136 ff.) und

         sie erreichen ihre Ziele, auch wenn Schwierigkeiten im Wege stehen (Csikszentmihalyi 1997, 478);

·       ... sind gesünder und widerstandsfähiger (Csikszentmihalyi 1991b, 387; Donner & Csikszentmihalyi 1992, 17);

·       ... haben keine Versagensängste (Csikszentmihalyi 1997, 165);

·       ...  weisen mehr Selbstvertrauen auf (Csikszentmihalyi 1993, 65; 1985, 234);

·       Menschen können im flow ihre Potenziale ausschöpfen und über ihre Grenzen hinauswachsen (Csikszentmihalyi 1991a, 33) sowie ihre Talente entwickeln (Csikszentmihalyi, Rathunde & Whalen 1993, 252).

Diese Auflistung von Eigenschaften führt vielleicht zu dem Eindruck, als wären Menschen, die viel flow erleben, „Supermenschen“. Doch wie alle anderen Menschen haben auch sie ihre Schwächen und Probleme. Der Unterschied ist darin zu sehen, dass Personen, die viel flow erleben „zu sich selber positiv eingestellt“ sind (Csikszentmihalyi 1985, 201) und somit über bessere Bewältigungsmechanismen verfügen (Csikszentmihalyi 1993, 260 ff.; LeFevre 1991, 158) als Menschen, die wenig oder gar kein flow erleben. Deshalb gestaltet sich ihr Leben so erfreulich.[28]

Auswirkungen von flow-Entzug

Wie unerfreulich das Leben hingegen sein kann, wenn flow ausbleibt, darauf weist eine kleine Untersuchung hin (Csikszentmihalyi 1985, 181 ff.)[29]. Die Teilnehmer beschrieben folgende Anzeichen:

·       Körperliche Anzeichen: müde, angespannt, Kopfweh, zudem fühlten sie sich weniger gesund.

·       Die Stimmung sank deutlich ab: Sie fühlten sich stumpf und unvernünftig, ärgerlicher, irritierbarer, weniger kreativ, sie fühlten sich eher als Maschine denn als Mensch, und alltägliche Tätigkeiten wurden als mühselig empfunden.

·       Sie zeigten Konzentrationsschwäche und geringere kognitive Leistungen.

·       Sie hatten eine geringere Selbstachtung, empfanden sich z. T. als wertlos und entfremdet von sich selbst.

Ein Mangel an flow-Erlebnissen „lähmt uns langsam aber sicher“ (Csikszentmihalyi 1985, 227). Zudem besteht die Vermutung, dass zwischen dem Entzug von flow (und Micro-flow[30]) und schlechter körperlicher wie seelischer Verfassung oder Lebenskrisen ein Zusammenhang existiere (Csikszentmihalyi 1985, 192 ff.).

Neben den Auswirkungen von flow-Entzug für das Individuum beschreibt Csikszentmihalyi auch Auswirkungen auf gesellschaftlich-kultureller Ebene: „Man kann ohne Übertreibung feststellen, dass unsere gesellschaftlichen Probleme zum großen Teil auf mangelnden flow im Alltag zurückzuführen sind.“ (Csikszentmihalyi 1995, 259) Ein Mangel an flow zeige sich auf gesellschaftlicher Ebene wie folgt:

·       allgemeine Unzufriedenheit (Csikszentmihalyi 1985, 226);

·       Süchte wie Alkoholismus, Spielsucht, Drogenkonsum[31] (Csikszentmihalyi 1985, 226);

·       höhere Jugendkriminalität (Csikszentmihalyi 1995, 259);

·       die Kultur werde immer abhängiger von „passiven, redundanten Vergnügungen“ (Csikszentmihalyi 1995, 260), wie Videos und Fernsehen, professionellen Entertainern, Erlebnis-Einkaufszentren.

Wenn Menschen keinen flow erleben und ihre Teleonomie des Selbst deshalb kaum entwickeln können, weil sie es vielleicht nicht gelernt haben, suchen sich viele Ersatzbefriedigungen: Einkaufen, Fernsehen, Animateure, Drogen, Sekten. Doch das Selbst kann sich durch diese passiven Abenteuer nicht entwickeln. Dies geschieht nur durch erfreulich gemeisterte Herausforderungen. Damit kommt dem flow-Konzept eine wichtige erzieherische Bedeutung zu. „Alle Studien stimmen darin überein, dass es sowohl das subjektive Wohlbefinden verbessert als auch positive Folgen für die Gesellschaft[[32]] hat, wenn wir flow erleben und unsere Leistungsfähigkeit vollständig nutzen.“ (Csikszentmihalyi 1995, 258 f.) Dies erkannten schon einige Reformpädagogen und formulierten gesellschaftliche Veränderungen als ein Erziehungsziel (z. B. Hahn [1958], Makarenko 31967,; Freinet 1997; Neill 1998).

Zu betonen ist, dass flow-Erlebnisse „kein Luxusempfinden“ sind, sondern „Konfektionsware des Lebens“ darstellen. Jeder psychisch gesunde Mensch kann in diesen Zustand gelangen (Csikszentmihalyi 1991b, 379). Dies ist zu betonen, weil beispielsweise eine Schulerziehung autotelische Fähigkeiten bei Kindern aller sozialen Schichten fördern könne. Dabei ist zu betonen, dass die Konsequenzen von flow an sich nicht unbedingt im ethischen Sinn gut sein müssen. Flow-erlebnisse bzw. ihre Auswirkungen sind nur positiv zu bewerten, wenn es geschieht, ohne anderen zu schaden (vgl. Csikszentmihalyi 1993, 100).

 

Flow-Phänomen und Erziehung

In diesem Abschnitt soll das flow-Phänomen unter dem Aspekt der Erziehung betrachtet werden. Dabei geht es mir nicht darum, einen eigenen erziehungswissenschaftlichen Hintergrund zu schaffen, sondern es soll angedeutet werden, welche zentralen Aspekte des Phänomens von Erziehung durch die flow-Theorie aktiviert werden. Hier werden lediglich einige Zusammenhänge skizziert, welche die Phänomene von Erziehung und flow miteinander verbinden. Das Ziel ist es, zu zeigen, dass Reformpädagogen durch das Evozieren des flow-Phänomens Kinder und Jugendliche erziehen. Deshalb wird in den jeweiligen Resümees über die einzelnen reformpädagogischen Konzepte auf diese Betrachtung zurückgekommen.

Es sollen in diesem Zusammenhang auch nicht die Reformpädagogen in die Erziehungswissenschaft eingeordnet werden, da die behandelten pädagogischen Konzepte bereits erziehungswissenschaftlich eingeordnet worden sind und sich z. T. bis heute erfolgreich etabliert haben (z. B. Biermann & Wiemann 1981; Böhm 31985; Bullan et al. 21992; Dietrich 1995; Furrer 1988; Hillig 21995; Holstiege 1997; Hurtienne 1970; Jörg 1997; Kühn 1995; Lotz & Jourdan 1983; Ludwig 1997; Makarenko Diskussionen ... 1986; Nastainczyk 1963; Nezel 1983; Oelkers 31996; Röhrs 21983; Sielski 1977; Wichmann 1992;, Zehrfeld 21979). Aus diesem Grunde wird in dieser Arbeit nur wenig auf Sekundärliteratur Bezug genommen.

Betrachtet man nun die Bedeutung des flow-Erlebens unter dem Aspekt von Erziehung, ist „das Wichtigste, was Kindern beigebracht werden sollte, in ihrer Umwelt Möglichkeiten zur Betätigung zu erkennen. Auf dieser Fähigkeit bauen alle anderen Fähigkeiten auf. Es ist befremdend, dass Kinder - und Erwachsene - oft klagen, ‘es gäbe nichts zu tun’, während sie von unzähligen Stimuli umgeben sind.“ (Csikszentmihalyi 1985, 233) Anders ausgedrückt: Das erzieherische Hauptanliegen sieht Csikszentmihalyi darin, Menschen in die Lage zu versetzen, ihre autotelischen Fähigkeiten zu entwickeln.

Lauff verfolgt das gleiche Anliegen: Er sieht Erziehung als Ermöglichung von Freude am Leben und sieht den „ewig gültigen Zweck von Erziehung“ im „körperlich gesunden, geistig klaren und seelisch ruhigen Kind“ (Lauff 1999)[33]. Mit diesem Erziehungsziel beschreibt er lediglich mit anderen Worten das Phänomen eines autotelischen Menschen: Menschen die viel flow erleben, scheinen körperlich gesünder (Csikszentmihalyi 1991b, 387; Donner & Csikszentmihalyi 1992, 17; Noble, 1987), und geistig klar zu sein (Csikszentmihalyi 1993, 85 ff.) und weisen eine hohe kognitive Effizienz auf (Nakamura 1991, 331; Rathunde 1991, 373). Sie sind vermutlich auch seelisch ruhig, weil flow psychische Ordnung und innere Harmonie hervorruft (Csikszentmihalyi 1993, 297 f.).

Um diesen von Lauff und Csikszentmihalyi beschriebenen Zweck von Erziehung zu erreichen, habe der Erwachsene in einem Erziehungsprozess die „stellvertretende Verantwortung“ (Lauff 1999) und die „vornehmste Pflicht“ (Hahn [1958], 83), Sorge dafür zu tragen, dass das Kind sein Wachstum verwirklichen könne (Lauff 1999). Dies ist das erste zentrale Kriterium von Erziehung, das durch das Evozieren von flow-Erlebnissen aktiviert wird. Die Verantwortung der Erwachsenen sei stellvertretend, denn: „Die Jungen müssen wachsen, und zwar alleine.“ (Lauff 1999) Die „Alten“ hätten so lange die Verantwortung, bis das Kind er-wachsen sei. „Das Ziehen aus stellvertretender Verantwortung stoppt nicht plötzlich, sondern mit jedem Selbständigkeitsschritt des Kindes allmählich.“ (Lauff 1999). Erwachsene führten und zögen[34] das Kind also so lange, bis es gerüstet sei für sein Leben. Unter diesem Blickwinkel einer stellvertretenden Verantwortung, kann man die Reformpädagogen betrachten. Sie setzten sich für eine optimale Entwicklung der Kinder ein, indem sie schulische Erziehungsbedingungen änderten. Sie nahmen ihre Verantwortung für eine gesunde Entwicklung der Kinder ernst.

Das zweite zentrale Kriterium von Erziehung, das während eines flow-Erlebnisses aktiviert wird, ist das Wachstum des Kindes. In einem Erziehungsprozess haben nicht nur die Erwachsenen Verantwortung für das Gelingen von Erziehung, sondern auch Kinder haben ihre Aufgabe, nämlich ihr Wachstum zu verwirklichen. Dies könnten sie aufgrund ihrer „Dynamis“, ihrer „Werdenskraft“ (Lauff 1999) oder ihrer inhärenten „Wachstumsmotivation“ (Maslow 1981, 189). Das Kind müsse selbst aktiv sein Wachstum anpacken, damit es er-wachsen werde. Dies sollte bei dem Menschen als „Neugierwesen par excellence“ (Roth 1976, 118) grundsätzlich kein Problem sein. Die Fähigkeit, sich psychische Ordnung zu schaffen, „hat das Kind bereits“ (Csikszentmihalyi 1985, 234) sowie ein „Interesse am Möglichen und ein Appell zu weiterer Selbst-Entwicklung“ (Jaspers, zit. in: Csikszentmihalyi 1985, 223 f.). Kurz: Das Kind sei „süchtig“ danach, ein komplexes Wesen zu werden (Csikszentmihalyi 1995, 260). Flow-Erlebnisse ermöglichen Wachstum. Damit kann ein zweiter zentraler Aspekt von Erziehung erfüllt werden.

Sind autotelische Fähigkeiten oder die Lebensfreude im Visier der Erziehung, so kann Erziehung verstanden werden als „Entwicklungs-“ und als „Lebenshilfe“ (Dolch 71965, 54). Dies ist das dritte Kriterium von Erziehung, das durch flow verwirklicht wird. Die Alten erziehen ihre Jungen so lange, bis diese sich selbständig in der Welt zurechtfinden, das heißt, bis sie eine Teleonomie des Selbst gebildet haben.

In einem Erziehungsprozess, der diese anthropologischen Annahmen zum Hintergrund hat, muss es also darum gehen, die Werdenskraft erstens nicht zu unterdrücken und sie zweitens zu fördern, damit Kinder sich überhaupt zu körperlich gesunden, geistig klaren und seelisch ruhigen Kindern entwickeln können. Werde diese Werdenskraft unterdrückt und der Zweck eines gesunden, geistig klaren und seelisch ruhigem Kind nicht erfüllt, könne man nicht von Erziehung sprechen, sondern müsse von „Zerstörung“, als dem Gegenteil von Erziehung reden (Lauff 1999). Wo also die Freude am Leben, oder, aus der Sicht der flow-Theorie gesprochen, autotelische Fähigkeiten nicht gefördert würden, fände überhaupt keine Erziehung statt.[35]

Zerstörung oder das Fehlen von Freude wollten die Reformpädagogen vermeiden. Sie distanzierten sich von den „Seelenmorde[n] in den Schulen“ (Key 1978, 95 ff.), von einer demotivierenden „Lernschule“[36], die Menschen zu einer „Generation von Robotern“ (Neill 1998, 30) erziehe: Sie überwanden die schematischen Formalstufen Herbarts und etablierten das, was Bollnow (41970, 28) „freudig gestimmte Atmosphäre“ nannte: Sie wollten großenteils mit einer „Pädagogik vom Kinde aus“ die Bedürfnisse und Interessen der Kinder in den Vordergrund stellen, die Kinderseelen mit ihrer „Schaffensfreude“ (Scharrelmann 1917, Vorwort), ihrer „schöpferischen Leidenschaft“ (Hahn [1958], 83) erhalten, außerdem „fruchtbare Momente“ und die „Verlebendigung [...] der ringenden Seele“ (Copei 91969, 102) fördern. [37]

Erziehung soll also nicht so verstanden werden, dass Erwachsene Kinder formten wie einen Klumpen Ton zu einer Figur oder sie zu einem bestimmten Verhalten dressierten,[38] sondern Erziehung als Urphänomen fördere die seelische, geistige und körperliche Gesundheit des Kindes von Anbeginn seines Lebens an (Lauff 1999) und ermögliche über die Verwirklichung von Potenzialen sein Wachstum. Erziehungsinstitutionen wie die Schule könnten zur Realisierung günstige Voraussetzung bieten. Dies demonstrieren einige Reformpädagogen.

 

Flow-Begriff und Erziehungswissenschaft

Diese historische Einordnung des flow-Phänomens über die Systematik der flow-Elemente soll zusammen mit einer empirischen Untersuchung (Plöhn 1998) die Wissenschaft ein Stück weiterbringen. Wie im Text vereinzelt angesprochen, kann die Forschung durch diese Arbeit wie folgt vorankommen:

·       Flow ist ein neuer Begriff für ein altes Phänomen. Das flow-Phänomen war (und ist heute noch) bei Reformpädagogen der Praxis immanent. Qua Zusammenführung des flow-Konzepts mit den reformpädagogischen Ansätzen soll gezeigt werden, dass „flow wichtige Implikationen für den Unterricht an unseren Schulen hat“ (Csikszentmihalyi 1995, 254).

·       Die anhaltende Attraktivität und der neue Boom reformpädagogischer Ansätze (Böhm 141994, 571; Lauff 1999; Röhrs 21983, 9) können mit dem flow-Konzept wissenschaftlich erklärt werden: Sie schaffen viele Bedingungen für das Auslösen des flow-Phänomens und stärken folglich die autotelischen Fähigkeiten sowie die Lebensfreude und Motivation. Durch die flow-Theorie können bestimmte reformpädagogische Aspekte konkretisiert und die Attraktivität der Konzepte motivationspsychologisch fundiert werden.

·       Kann die Vermutung erhärtet werden, dass das flow-Phänomen durch reformpädagogische Konzepte schon vor 80 Jahren pädagogisch evoziert wurde, könnten daraus wie zuvor nützliche Konsequenzen für die Praxis gezogen werden. Pädagogen könnten sich flow fördernde Methoden bei Reformpädagogen „abgucken“ und damit eine Erziehung leisten, die die Lebensqualität, Motivation, Zielstrebigkeit und Leistungsfähigkeit eines jeden einzelnen verbessern könnte. Damit sind flow-Erlebnisse in der (schulischen) Erziehung weniger vom Zufall abhängig (Csikszentmihalyi 1993, 103).

·       Falls es das flow-Phänomen bei Reformpädagogen gab, kann die flow-Theorie in der Geschichte der Erziehung rückwirkend verankert werden und dort Halt finden. Infolgedessen kann das flow-Phänomen als systematischer Begriff in der Geschichte möglicherweise noch profunder verstanden werden.[39]

·       Als fünften Punkt ermöglicht diese Arbeit den Auftakt zu einem Erkenntnisgewinn: Altbewährte pädagogische Konzepte und die neuere flow-Theorie versuchen beide, die Frage nach einem erfüllten Leben zu beantworten, die flow-Theorie auf systematisch phänomenologischem Wege (Csikszentmihalyi 1999, 15), eher praktisch orientiert, die Reformpädagogen. Diese beiden Herangehensweisen können sich gewinnbringend ergänzen und Erkenntnisse über die Bildung autotelischer Fähigkeiten weiterentwickeln. „Wer verstehen möchte, was zum ‘richtigen Leben’ gehört, sollte den Stimmen der Vergangenheit lauschen und ihre Botschaften mit der Erkenntnis verknüpfen, dass das Wissen der Wissenschaften allmählich wächst.“ Es komme darauf an, „die reale Vergangenheit und die mögliche Zukunft zu verstehen - und zwar so, wie diese sich in der Gegenwart begreifen lassen“ (Csikszentmihalyi 1999, 14f.). Dies soll mit der vorliegenden Arbeit versucht werden.

Im folgenden Kapitel wird das methodische Vorgehen vorgestellt, danach erfolgt die Auslegung der schon angesprochenen fünf reformpädagogischen Konzepte aus der Sicht der flow-Theorie.

Zum nächsten Kapitel: Methodisches Vorgehen

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[1] Vgl. Noelle-Neumann 1996, 28.

[2] In dieser Arbeit werden die Begriffe „Handeln“, „Tun“ und „Verhalten“ synonym verwendet.

[3] Z. B. Csikszentmihalyi 1995, 1991, 1995, 1997, 1999

[4] Die amerikanischen Dissertationen unterliegen nicht der Veröffentlichungspflicht und sind daher aus den Dissertational Abstracts International zitiert.

[5]  Csikszentmihalyi hat diese Dissertationen betreut.

[6] Lernt ein Schüler beispielsweise, weil er Spaß am Fach hat, ist er vorwiegend intrinsisch motiviert, vielleicht auch, weil er eine gute Note bekommen wird, während sich ein eher extrinsisch orientierter Schüler an den Schreibtisch setzt, weil er vielleicht keine schlechte Note bekommen oder bei anderen in einem guten Licht stehen möchte.

[7] Erstveröffentlichung 1930, dritte verbesserte Auflage 1932.

[8] Probanden sind sich dieser Kriterien nicht während eines flow-Erlebens bewusst, sondern beschreiben sie retrospektiv.

[9] Vgl. Csikszentmihalyi, Rathunde & Whalen 1993, 158, 193.

[10] Montessori vertritt das Kriterium der Konzentration, Makarenko betont die Bedeutung von Perspektiven (Zielen), das Produktionsschulprinzip fördert reale Herausforderungen, und Freinet regt zu Feedback und Kontrolle an. Diese Reformpädagogen werden in den folgenden Kapiteln aus dem Blickwinkel der flow-Theorie und ihrer jeweiligen Elemente betrachtet.

[11] Titel seiner Dissertation: „Artistic problems and their solution: an exploration of creativity in the arts.“ Unveröffentlicht, University of Chicago, 1965.

[12] Die Quelle habe ich bis bisher noch nicht wieder ausfindig machen können.

[13] Möglicherweise hat Csikszentmihalyi das Phänomen des flow-Erlebnisses besonders eindeutig beobachten können, weil er sich in seiner Doktorarbeit mit Experten (Künstlern) befasst hat (vgl. Csikszentmihalyi 1991, 15; 1993, 16).

[14] Die Bedeutung von psychischer Energie oder Überwindung ist in Plöhn (1998) aus erlebnispädagogischer Sicht näher beschrieben.

[15] Diese Voraussetzung ist jedoch noch nicht befriedigend geklärt, denn Leistungsmotivation hat beispielsweise ebenfalls diese Passung als auslösende Bedingung (Rheinberg 1995, 144). Schallberger und Pfister (1996, 10) sehen in der Passung ebenfalls nicht die einzige Determinante für Erlebensqualität: „Mindestens die persönliche Valenz der Tätigkeit ist mit zu berücksichtigen.“

[16] Vgl. Seligmann, M.E.P.& Csikszentmihalyi, M.(Hrsg.) (2000).

[17] Diese Sichtweise ist das Thema seines Buches von 1995.

[18] So hat etwa Abraham Maslow mit der Beschreibung von peak experiences auch schon die Akzeptanz für etwas wie flow-Erlebnisse vorbereitet. Und Reformpädagogen haben beispielsweise vor einem Jahrhundert ein humanistisches Denken in Gang gesetzt, auf das das Schulwesen heute, wenn auch kaum merklich, aufgebaut hat (Röhrs 1983). Engagierte Menschen können also „Wirkungsgeschichte“ (Gadamer 31972, 284 ff.) initiieren. Das heißt, sie legen für eine gedankliche Strömung einen Grundstein, der nach ihrem Tod in der Zukunft weiterwirkt.

[19] Hier spricht Csikszentmihalyi eine Ebene an, die auch die Reformer betont haben: Sie wollten weg von der Lernschule, damit sich in Zukunft eine gute Gesellschaft etablieren könne. Montessori als eine Vertreterin der Reformpädagogik formuliert dies zum Beispiel wie folgt: „Und sein Wissen wird sein ganzes Leben lang zunehmen, und in der Menschheit wird sich mehr und mehr Harmonie ausbreiten“ (Montessori 1942, 29). Auf diesen gesellschaftlichen Aspekt wird in den einzelnen Kapiteln nicht näher eingegangen, weil der Schwerpunkt auf der Beachtung der flow-Auslöser liegt. Es soll hier nur erwähnt werden, dass sich die individuelle und gesellschaftliche Ebene des in der flow-Theorie enthaltenen Menschenbildes bei Reformpädagogen wiederfindet.

[20] Böhm 141994, 699.

[21] Der Mensch kann nur eine begrenzte Menge an Informationen aufnehmen und verarbeiten, höchstens sieben Bits pro Zeiteinheit. Die kleinste Zeiteinheit der Unterscheidung ist eine 1/18 Sekunde, das sind 126 Bits pro Sekunde. Wenn man beispielsweise jemandem zuhört, werden 40 Bits pro Sekunde verarbeitet ( Csikszentmihalyi 1991, 30 f.).

[22] Das haben Reformpädagogen versucht, indem sie sich beispielsweise gegen fremdbestimmten Frontalunterricht gewendet haben.

[23] Griech.: auto, selbst; telos, Ziel.

[24] Csikszentmihalyi erwähnt die „autotelische Metafähigkeit“, die darin bestehe, „dass man jede beliebige Aktivität in ein flow-Erlebnis verwandeln kann. Wenn die autotelische Metafähigkeit ausreichend entwickelt ist, können Sie jede neue Herausforderung genießen und sind auf dem besten Weg zu der eigenständigen Kettenreaktion der Kreativität.“ (Csikszentmihalyi 1997, 498) Der Begriff „Metafähigkeit“ beinhaltet, so wie er hier verstanden wird, die Fähigkeit, alle Bedingungen, die flow ermöglichten, anzuwenden: „Man muß bei allem, was man tut, klare Ziele und Erwartungen haben, man muß die Folgen des eigenen Handelns berücksichtigen, die eigenen Fähigkeiten und die äußeren Handlungsmöglichkeiten aufeinander abstimmen und sich ohne Ablenkung auf die anstehende Aufgabe konzentrieren.“ (Csikszentmihalyi 1997, 497) Metafähigkeiten unterscheiden sich von autotelischen Fähigkeiten: Jene können als ein Grundmuster des autotelischen Verhaltens bezeichnet werden, sie sind mehr als die Summe seiner Teile, die autotelischen Fähigkeiten dagegen die einzelnen Teile, die durch Erziehung erst zur Summe (Metafähigkeit) werden sollen. Der Begriff „autotelische Fähigkeit“ ist für Erziehungsbetrachtungen also zugänglicher.

[25] Der Begriff ist, ohne ihn zu definieren, bereits in der Arbeit über das flow-Erleben in der Erlebnispädagogik (Plöhn 1998) verwendet worden. Eine Unterscheidung von autotelischen Fähigkeiten, Aktivitäten und Situationen für erzieherische Implikationen soll hier vorgenommen werden.

[26] Ich ziehe den Begriff „autotelische Fähigkeiten“ für eine pädagogische Betrachtungsweise dem Begriff „autotelische Persönlichkeit“ vor, weil letzterer zu der Annahme verleitet, dass eine Persönlichkeit schon als ganze „fertig“ erzogen sei. Für Erziehungssituationen gilt, diejenigen Fähigkeiten zu fördern, mit denen sich Menschen langfristig immer wieder in einen flow-Zustand versetzen können und sich dadurch zu autotelischen Persönlichkeiten ausbilden. Dabei stellt die Gestaltung von erzieherischen Situationen ein erzieherisches Mittel dar, mit dessen Hilfe Menschen ihre autotelischen Fähigkeiten bilden können.

[27] Aus diesem Grunde wird der Begriff “autotelische Fähigkeiten“ im Plural benutzt.

[28] Neben diesen Vorteilen, die flow-Erlebnissen für den einzelnen Menschen bedeuten können, scheint das optimale Erleben „ein wichtiges Moment im Prozeß der kulturellen Evolution“ (Csikszentmihalyi 1991, 377) zu sein. Wenn sich viele Menschen mit einer Sache (z. B. Autos, Internet, Umweltschutz) beschäftigen, ihre Aufmerksamkeit darauf lenken, werde sich diese Sache weiterentwickeln und differenzieren sowie an gesellschaftlicher Bedeutung zunehmen. Je nachdem, womit sich Menschen überwiegend beschäftigen, weil es „auf großartige Weise“ anrege (Csikszentmihalyi 1991, 381). Auf dieser Grundlage entstünden Prioritäten in Kulturen und damit werde dann die kulturelle Evolution vorangetrieben. „Jedenfalls scheint flow der Motor der Evolution zu sein, der uns zu höheren Ebenen der Komplexität hinauftreibt.“ (Csikszentmihalyi 1995, 259) Mit dieser Auswirkung hat eine Erziehung zu autotelischen Fähigkeiten nicht nur die Individualität, sondern auch gesellschaftliche Dimensionen im Auge.

[29] 20 Personen gingen 48 Stunden lang erfreulichen Aspekten des Handelns aus dem Wege. Sie vermieden flow-Erlebnisse und führten Tätigkeiten nur zweckmäßig, rein instrumentell aus.

[30] Mikroflow: „Strukturierung von Alltagserfahrungen durch ideosynkratische Gewohnheiten des Denkens, der Bewegung, Wahrnehmung und sozialen Interaktion“, das heißt „triviale Formen der Kontrolle“ (Csikszentmihalyi 1985, 222) über alltägliche Aktivitäten, wie z. B. sich strecken oder eine Kaffeepause machen Phantasien nachgehen, Kaugummi kauen, mit Freunden reden (Csikszentmihalyi 1985, 32, 182 f.), also Tätigkeiten, die einen leichten intrinsischen Charakter außerhalb eines Sachzweckes haben.

[31] Ein „augenfälliger Versuch“, „einige Elemente einer optimalen Erlebnisqualität auf künstlichem Wege zurückzuerobern“ (Csikszentmihalyi 1995, 259), sei das Drogenproblem. Gefährlich ist dieser künstlich erzeugte flow, weil es wie bei passiven Tätigkeiten nicht die Fähigkeiten erweitert, und zweitens verursacht eine körperliche Abhängigkeit psychische Unordnung (Csikszentmihalyi 1995, 259).

[32] Da man im flow „seine bisherigen Grenzen überschreitet und zu neuen Fähigkeiten und Erkenntnissen vorstößt“ (Csikszentmihalyi 1995, 234), kann die kulturelle und gesellschaftliche Evolution immer komplexer werden. Nicht nur der einzelne hat dadurch in der phylogenetischen Vergangenheit seine Überlebenschance verbessert (Csikszentmihalyi 1995, 250), sondern jeder einzelne trägt (bewusst oder unbewusst) mit seinem Tun dazu bei, die kulturelle Evolution in die Zukunft zu steuern (Csikszentmihalyi 1993, 313; 1995, 232 ff.).

[33] Lauff, W. (1999). Erziehung ist der eigentliche Gegenstand der Erziehungswissenschaft. Einführung in die Pädagogik. Vorlesung (Nr. 06.030) an der Universität Hamburg, Sommersemester. Der dazugehörige Kurzbeleg (Lauff 1999), der in dieser Arbeit wiederholt auftritt, verweist nicht auf eine Stelle in der Literatur. Trotzdem wird diese Quelle wird im Literaturverzeichnis aufgeführt.

[34] Lauff führt Erziehung auf das Urphänomen zurück, indem er sich dabei auf die etymologische und physikalische Bedeutung des Wortes „ziehen“ beruft (Lauff 1999; Die Erarbeitung ... [1993]).

[35] Flow-Erlebnisse kann man auch für zerstörerische Zwecke einsetzen. Wie jeder Fortschritt kann auch die Anwendung des flow-Konzepts Nachteile in sich bergen. Darauf wird im Ausblick hingewiesen.

[36] Das „ist die meist kritisch-polemisch gebrauchte Bezeichnung für eine Schule, die das mechanische und rezeptive Lernen überbewertet. Die Reformpädagogik bezeichnete die Schule der Herbartianer in diesem Sinne“ (Böhm 141994, 443).

[37] Die Teleonomie des Selbst zu fördern bedeutet nicht, dass der verkopfte Anteil am Schulunterricht gänzlich abgeschafft werden soll, sondern es heißt, dass die Teleonomie des Selbst auf unterschiedliche Art und Weise gefördert werden kann, eben nicht nur auf kognitiver Ebene. Denn auch das Kognitive hat Vorteile: So haben Menschen, die zum Beispiel etwas auswendig lernen, einen Bewusstseinsinhalt, der für das Selbst durchaus wichtig sein kann. Das Selbst ist mit Informationen gefüllt, die auf unterschiedliche Weise weiter ergänzt werden können (Csikszentmihalyi 1993, 166).

[38] Erziehung solle auch nicht als Heilung eines (körperlich, seelisch oder geistig) kranken Zustandes verstanden werden (Lauff 1999).

[39] Vgl. die Bedeutung der Geschichte und das Verstehen aus der Geschichte heraus im folgenden Kapitel.