Die
vorliegende Arbeit und das Buch „Flow-Erleben. Eine erlebnispädagogischen
Anleitung zum Motivationstraining für Jugendliche“ (Plöhn 1998)[1]
sind zwei Teile einer Dissertation. Das Ziel dieser Dissertation ist, das flow-Konzept historisch und systematisch
in die erziehungswissenschaftliche Theoriebildung einzuordnen. Hierzu werden
sechs Reformpädagogen mit ihren pädagogischen Konzepten herangezogen und aus
der Sicht der flow-Theorie
analysiert. In dieser Arbeit werden die Ideen von Maria Montessori, Célestin
Freinet, Anton Semjonowitsch Makarenko, die Produktionsschule und Alexander
Sutherland Neill betrachtet, während Kurt Hahn in der bereits veröffentlichten
Arbeit vorgestellt wurde (Plöhn 1998).
Jedes
Konzept hat einen bestimmten ausgeprägten flow-relevanten
Schwerpunkt: So legt etwa Montessori viel Wert auf das Kriterium der
Konzentration, Freinets Ansatz ermöglicht z. B. viel Kontrollerfahrungen. Jeder
dieser konzepteigenen Schwerpunkte stimmt mit einem Aspekt des flow-Phänomens überein. Auf diese Weise
werden die historischen Konzepte in die Systematik der flow-Theorie eingeordnet (umgekehrt ist die Systematik der flow-Theorie also das vereinende Element
zwischen den historischen Konzepten). Ziel dieser systematischen Einordnung ist, zu zeigen, dass das flow-Phänomen bereits vor ca. 80 Jahren
in der Erziehungspraxis explizit ausgelöst wurde und erzieherisch wirksam war.
Ziel
der historischen Einordnung des flow-Phänomens mittels Textanalyse ist,
zu zeigen, dass flow ein neuer
Grundbegriff in den Sozialwissenschaften ist, während es ein altes Phänomen in
der Erziehung ist. Damit ist der relativ neue flow-Begriff als ein altes Phänomen in die reformpädagogische
Geschichte einzuordnen. Flow als
neuer Grundbegriff soll sich so, historisch verankert, in der
Erziehungswissenschaft etablieren. Dadurch bekommt nicht nur das flow-Konzept als solches für die heutige
Erziehung eine wichtige Bedeutung, sondern ebenso auch die von den
Reformpädagogen angewendeten flow auslösenden Kriterien (z. B.
Konzentration, Kontrollerfahrungen).
In
der bereits veröffentlichten Arbeit (Plöhn 1998) wurde das reformpädagogische
Konzept von Kurt Hahn neben der Textanalyse zusätzlich empirisch überprüft. Die
Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass das altbewährte und etablierte
Reformkonzept von Hahn heute flow-Erlebnisse
auslöst und auch Transfer ermöglicht, das heißt erzieherisch wirksam zu sein
scheint. Hahns Konzept ist ein Beispiel eines Reformkonzepts, das heute flow auslöst. Da es Lebensfreude und
Motivation hervorruft, hat es vermutlich seine Attraktivität bis heute erhalten
und sich weltweit u. a. als Outward-Bound-Bewegung ausgebaut. Auch andere
reformpädagogische Konzepte haben sich vermutlich bis heute erhalten, weil sie
ebenfalls als Teilaspekt ihrer Pädagogik das flow-Phänomen auslösten und heute noch auslösen (Lauff 1999).
Einige dieser Konzepte werden in dieser Arbeit betrachtet.
Es
soll hier auf pädagogische Gedanken und Konzeptionen aufmerksam gemacht werden,
die durch bestimmte Bedingungen wahrscheinlich flow ausgelöst haben. Auch wenn Schriften der Reformpädagogen
infolge einer blumigen oder bildlichen Sprache flow-nah klingen, so war in der Reformpädagogik nicht alles
pädagogisch rosig. Darauf sei hier hingewiesen. Die Konzepte (sowie die
dahinter stehende pädagogische oder auch politische Philosophie) sollen nicht
glorifiziert werden, doch sollen sie deutlich machen, wie die Reformpädagogen flow
gefördert haben mochten. Es sollen damit auch implizit Anregungen für heutige
pädagogische Situationen gegeben werden. Der Schwerpunkt der Analyse bezieht
sich auf flow auslösende Bedingungen
in den Reformkonzepten. Doch auch die Ebene des Menschenbildes oder Zustandsbeschreibungen,
werden hier angeführt, weil sie die Nähe zu flow
zeigen.
Diese
Arbeit baut sich wie folgt auf: In der Einleitung wird die flow-Theorie dargestellt und in Zusammenhang mit zentralen Aspekten
von Erziehung gebracht (Kapitel 1). Nach der Beschreibung des methodischen
Vorgehens (Kapitel 2) werden fünf reformpädagogische Konzepte aus der Sicht der
flow-Theorie vorgestellt (Kapitel 3).
Der Schlussteil (Kapitel 4) stellt die Ergebnisse der beiden Arbeiten in einen
praktischen Zusammenhang.
Hier einige formale Hinweise:
· Die Interpretation reformpädagogisch ausgewählter relevanter
Aspekte werden als redaktionelle Kästen mit der Betrachtung „Aus der Sicht der flow-Theorie“ dargestellt - der
Übersicht halber. So werden reformpädagogische Inhalte entsprechenden
Kriterien aus der flow-Forschung
gegenübergestellt.
Einige dieser Kriterien wiederholen sich bei den
unterschiedlichen Reformpädagogen, so z. B. der Aspekt der Teleonomie des
Selbst. So etwas ist absichtlich nicht als Redundanz gekürzt, da die Reformer
unterschiedliche Sichtweisen darstellen und andernfalls zentrale Teilaspekte
des jeweiligen reformpädagogischen Ansatzes fehlen würden.
Für die Formulierungen bedeuten die
Kästen „Aus der Sicht der flow-Theorie“,
dass dort die Terminologie der flow-Forschung
verwendet wird, obwohl es das flow-Konzept
damals noch nicht gab, wohl aber das flow-Phänomen.[2]
· Einige Ausdrücke assoziieren etwas
Technisches. Dieses Technische soll nicht als absolute Machbarkeit verstanden
werden, sondern darauf hindeuten, dass auch die Pädagogik über Mittel und
Techniken verfügt, die als pädagogisches Repertoire Erziehung zur flow-Fähigkeit ermöglichen.
·
Zum Teil werden
abstrakte Begriffe personifiziert, damit das Lesen flüssiger wird, so zum
Beispiel im Zusammenhang mit dem theoretischen Konstrukt des Selbst oder das
Konzept der Produktionsschule.
·
Wenn Texte zitiert
werden, die aus der Zeit vor der Rechtschreibreform stammen, wird die alte
Rechtschreibung beibehalten und nicht der neuen angepasst. So kann es
beispielsweise sein, dass Bewusstsein in einem Zitat mit „ß“ und eine Zeile
weiter mit „ss“ geschrieben wird.
·
Männliche und
weibliche Formen werden abwechselnd verwendet, um die etwas umständlichen
Wortgebilde mit dem Suffix -“Innen“ zu vermeiden.