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3.5           Neill: Freiheit zur Selbstbestimmung

Dieses Kapitel stellt eine Erziehungspraxis vor, die zeigt, wie das Auslösen von flow erschwert werden kann: Neill lässt die Kriterien unbeachtet, die aus der Sicht der flow-Erzeugung bei den anderen hier beschriebenen reformpädagogischen Ansätzen jeweils einen zentralen Stellenwert haben.[1] Nicht alles, was Neill in Summerhill umsetzt, wirkt flow verhindernd (s. u.). Doch sein Konzept weist Prinzipien und Gegebenheiten auf, die flow hemmen.

3.5.1       Hintergrund

Alexander Sutherland Neill[2] (1883–1973) ist Lehrer an verschiedenen staatlichen Schulen[3]. Auf das Schärfste kritisiert er die „grausamen Schulen“, die „gezüchtigte Kinder“ hervorbringen würden, diese seien „seelisch gebrochen“ und bleiben „fürs ganze Leben kastriert“ (Neill 1998, 171). Eine „Generation von Robotern“ werde in diesen Institutionen fabriziert, Menschen würden zu „gehorsamen Dienern“ und „eingeschüchterten Konformisten“ (Neill 1998, 30) erzogen. Er spricht davon, dass in den öffentlichen Schulen die Kinder „mehr oder weniger dressiert“ werden (Neill 1998, 114), [4] weil die „ganze Erziehungspolitik [...] gegen das Lebenlassen gerichtet“ sei (Neill 1998, 22). „Es läßt sich gar nicht ermessen, wieviel schöpferische Kraft im Schulzimmer [...] getötet wird“ (Neill 1998, 43).

Unter diesem Blickwinkel auf das Resultat staatlicher Schulerziehung sieht er, daß die Entwicklung der Persönlichkeit zu kurz kommt. Deshalb gründet er 1924 das antiautoritäre Internat Summerhill.[5] Dort will Neill das Lebenlassen und die schöpferischen Kräfte fördern. Sein Grundgedanke: „die Schule kindergeeignet zu machen – nicht die Kinder schulgeeignet“ (Neill 1998, 22).

3.5.2       Neills Menschenbild

Neill und seine Frau besitzen den „festen Glauben“ (Neill 1998, 22), dass ein Kind „von Natur aus verständig und realistisch“ sei (Neill 1998, 23). „Sich selbst überlassen und unbeeinflußt von Erwachsenen, entwickelt es sich entsprechend seinen Möglichkeiten.“ Neill vertritt die Meinung, dass „Kinder mit der angeborenen Fähigkeit und dem Wunsch, Gelehrte zu werden, Gelehrte werden, während jene, die nur zum Straßenkehrer geeignet sind, Straßenkehrer werden“ (Neill 1998, 23). Der Mensch könne also nur das werden, was er von Natur aus schon latent sei. Mit diesem naturalistischen Menschenbild will er Kindern und Jugendlichen einen Zugang zu ihren schöpferischen Potenzialen ermöglichen.

3.5.3       Erziehungsziel

Zusammen mit der Entwicklung der natürlichen Veranlagung des Menschen sieht er das persönliche Glück als oberstes Erziehungsziel: „Das Ziel unseres Lebens ist Glück“ (Neill 1998, 120). Mit dieser Philosophie entwickelt Neill eine Schulpraxis, die „glückliche“ und „lebensbejahende“ Kinder hervorbringen soll. „Ein Gefühl des Wohlbefindens, der Ausgeglichenheit, der Übereinstimmung mit dem Leben“ (Neill 1998, 320) möchte er hervorrufen. Er will Kinder „von ihrem Unglücklichsein“ heilen „und noch wichtiger - zu glücklichen Menschen“ erziehen (Neill 1998, 20).

Glücklich seien Menschen dann, wenn sie „Interessen finden“ (Neill 1998, 41), deshalb sollen die Schülerinnen in Summerhill die Möglichkeit haben, ihren „natürlichen Interessen“ „die ganze Kindheit hindurch frei folgen zu können“ (Neill 1998, 123), damit sie authentisch ihr Selbst entfalten können.

 

Aus der Sicht der flow-Theorie: Lebensbejahende Einstellung

Das was Neill als Lebensbejahung, Übereinstimmung mit dem Leben und Interessen beschreibt, findet sich in der flow-Theorie, eingeordnet auf der Ebene der flow-Auslöser, wieder: „Vor allen Dingen müssen wir lernen, das Leben zu genießen. Es ergibt wirklich keinen Sinn, wenn wir uns mechanisch durchs Dasein bewegen und nicht versuchen, unserem Leben so viel Freude wie möglich abzugewinnen. Es ist schwer, einem rechtschaffenen Menschen zu vertrauen, der innerlich zutiefst unglücklich ist. Sein Verhalten mag vorbildlich sein, aber die Entropie in seinem Bewußtsein ist bedrohlich“ (Csikszentmihalyi 1995, 320).[6]

Neill wendet sich mit seiner lebensbejahenden Einstellung gerade gegen eine „Generation von Robotern“, die keine psychische Ordnung erleben, sondern nur mechanisch durch das Leben gehen und nicht wirklich glücklich sind. Er kreiert eine schulische Situation, in der persönliches Glück ein zentrales pädagogisches Anliegen ist. Die Kinder sollen ihre eigenen Interessen finden, diese auch verfolgen können und nicht durch äußere Zwänge zu etwas gequält werden, was nicht der Teleonomie ihres Selbst entspricht. Mit dieser Einstellung will er ermöglichen, dass Menschen ein positives Lebensgefühl entwickeln und das Leben lieben lernen. Er stellt das intrinsisch befriedigende Glück in den Mittelpunkt seiner Pädagogik und legt keinen Wert auf extrinsisch orientiertes und mechanisches Verhalten. Neill und Csikszentmihalyi stimmen in diesem lebensphilosophischen Punkt überein. Grundsätzlich ist diese Einstellung eine nützliche Basis für das Erzeugen von flow-Erlebnissen.

 

3.5.4       Freiheit

Neills Ansatz wird hier besonders unter dem Gesichtspunkt von Freiheit zur Selbstbestimmung betrachtet, da er diese als einen zentralen Wert seiner Pädagogik formuliert. Dies wird im Folgenden skizziert. Im Verlauf dieses Kapitels werden bestimmte Aspekte seiner Pädagogik betrachtet, an denen sich zeigen lässt, dass aus der Sicht der flow-Theorie das Thema Freiheit anders aufgefasst werden muss als in Neills pädagogischem Ansatz, damit flow evoziert werden kann.

Damit die Schüler ihre Interessen entwickeln können und sich zu glücklichen Menschen bilden, müssten Neill zufolge die Kinder „die Freiheit haben, [...] sie selbst zu sein.“ Es geht ihm um die „individuelle, innere Freiheit“ (Neill 1992, 22). Deswegen sei die Verwirklichung von Freiheit „das Hauptprinzip der Schule“ (Neill 1998, 89). Aus diesem Grunde wendet er sich gegen jegliche Form von Zwang: „Das Unglück der Menschheit liegt im Zwang von außen“ (Neill 1998, 123). „Glück“, so Neill, „könnte als ein Zustand minimalster Unterdrückung definiert werden“ (Neill 1998, 321). Der antiautoritäre Schulleiter realisiert Repressionsfreiheit, zwingt seine Schüler und Schülerinnen zu nichts. Zum Beispiel müssen sie nicht Mathematik lernen. Für ihn steht fest: „Das Kind sollte etwas so lange nicht tun, bis es selbst überzeugt ist, daß es das tun sollte“ (Neill 1998, 123). Dass Freiheit in Summerhill eine großen Stellenwert hat und dort auch umgesetzt werden zu scheint, zeigt folgende Einschätzung Neills (1998, 22): „Summerhill hat bewiesen, daß Freiheit möglich ist“.

Neill stellt Freiheit nicht nur dem Zwang gegenüber, sondern beschreibt auch die indirekten Auswirkungen auf individueller Ebene, wenn Menschen sich nicht frei fühlen: Angst, Heuchelei, Hass und Intoleranz. Heuchelei ermöglicht beispielsweise kaum, sich frei zu fühlen, weil Menschen in dem Moment, in dem sie heucheln, nicht sie selbst sind. Von diesen Verhaltensweisen sollten sich Menschen deshalb zu befreien versuchen (Neill 1992, 22). Hier sollen Menschen also versuchen, bestimmtes Verhalten als innerpsychische Konsequenz zu meiden, damit sie sich freier fühlen.

Ein weiterer Hinweis für die Bedeutung von Freiheit in Summerhill ist allein schon durch die Bezeichnung „Freie Schulen“ gegeben. Solche Schulen müssen zwei Merkmale aufweisen: Zum einen erkennen sie das Recht des einzelnen Schülers an, sich selbst zu entscheiden, ob und wann er am Unterricht teilnehmen möchte. Zum anderen müssen freie Schulen Schulversammlungen aufweisen, bei denen alle Mitglieder das gleiche Stimmrecht haben und Entscheidungen über das Zusammenleben treffen (Singer 1999, 61). Summerhill erfüllt beide Kriterien (Neill 1998, 22 f., 60 ff.).

 

Aus der Sicht der flow-Theorie: Autonomie

Betrachtet man die von Neill beschriebene Freiheit als Autonomie, als Unabhängigkeit, so ist die Einstellung zur Freiheit bei Neill grundsätzlich flow fördernd. Eingeordnet auf der flow auslösenden Ebene der flow-Theorie stellt die Untersuchung von Allison und Duncan (1991, 156) über Frauen, Arbeit und flow fest, „daß zur Auslösung des flow-Zustandes ein Gefühl der Autonomie und der Freiheit nötig“ ist. Sehr wahrscheinlich ist folglich auch, dass Autonomie wichtig für die autotelische Entwicklung ist. Wie Autonomie und flow im einzelnen zusammenhängen, ist jedoch noch nicht geklärt (Hektner 1996, 160). Neills Ansatz der Freiheit mag also bei einigen Schülern ein grundsätzliches Gefühl von Autonomie hervorrufen und dadurch womöglich flow-Erlebnisse auslösen.

Ein Gefühl von Freiheit und Freude kann sich andererseits aber auch einstellen, wenn etwas unter Zwang begonnen wird: Bei einer anfangs fremdbestimmten Arbeit kann man sich so weit in die Situation hineinbegeben, dass sie Freude macht und sich in eine Tätigkeit verwandelt, bei der man das Gefühl hat, man tue sie nun freiwillig (Csikszentmihalyi & Graef 1980, 413, Deci & Ryan 1993). Ein Gefühl von Freiheit entsteht demzufolge also nach einer „Anlaufphase“, nämlich dann, wenn sich während des Tuns die intrinsische Motivation erhöht, wenn man also tiefer in eine Tätigkeit versinkt und daraus Freude zieht. Hier deuten sich für das pädagogische Evozieren von flow zwei ganz gegensätzliche Handlungsmöglichkeiten an, Zwang und Freiheit, was in der Praxis zu einer Gratwanderung führt. Soll man Kindern und Jugendlichen einen freien Handlungsspielraum lassen? Oder soll man sie mit angemessenem Druck zu Tätigkeiten begeistern, woraus sich dann ein Gefühl von Freiheit und Autonomie entwickeln kann? Bei Neill kommt die zweite Möglichkeit als flow auslösendes Moment aufgrund seiner Einstellung gegen jeglichen Zwang grundsätzlich nicht in Frage. Neills Ansatz ermöglicht möglicherweise also eher flow durch das Empfinden von Freiheit.

 

Mit dieser Erziehungsphilosophie, die auf Freiheit, Lebensfreude und einem naturalistischen Ansatz aufbaut, könnte man eine Pädagogik entwickeln, die das flow-Phänomen auslöst. Dies haben z. B. Makarenko mit seinem naturalistischen Ansatz[7] sowie Freinet mit der freien Arbeitseinteilung realisiert. Doch Neill entwickelt in seiner alltäglichen Praxis ungünstige Voraussetzungen, die unter Gesichtspunkten der flow-Theorie vermutlich wenig schöpferisches Tun und kaum ein Gefühl von innerer Freiheit erzeugen:

Er setzt den Schülerinnen keine Ziele.

Er fordert die Schüler nicht heraus.

Es ist schwer, sich in Summerhill zu konzentrieren.

Er bietet wenig Feedback und Kontrollerfahrungen.

Auf diese Kriterien wird im Folgenden etwas genauer eingegangen.

 

Keine Ziele[8]

Neills Pädagogik der Freiheit stellt für das Lernen keine Ziele auf: Der Unterricht ist freiwillig (Neill 1998, 30) und die Schülerinnen brauchen keine Prüfungen abzulegen (Neill 1998, 25). Zudem geht Neill geht davon aus, dass Kinder „eklektisch“ [9] handeln, das heißt, sie führen ein „Leben voller bruchstückhafter Interessen“ (Neill 1998, 325). Die Aufmerksamkeit der Schülerinnen wird also nicht innerhalb eines bestimmten Rahmens auf etwas kanalisiert, sondern sie können nach Belieben ihre Aufmerksamkeit auf etwas richten. Auf diese Weise würden Menschen lernen (Neill 1998, 325).

Auch im zwischenmenschlichen Bereich gibt Neill keine verbindlichen Regeln an die Hand, inwieweit die Kinder Rücksicht auf andere nehmen sollen. Auf der einen Seite dürfen sie beispielsweise nicht Trompete spielen, wenn es andere stört (Neill 1998, 314), auf der anderen Seite wird im Rahmen mehrerer wöchentlicher Vollversammlungen „erhitzt gestritten“, ob das Fußballspielen im Aufenthaltsraum erlaubt ist, obwohl es definitiv jemanden bei der Arbeit stört (Neill 1998, 62). Es scheint keine klare Richtschnur zu geben, die Kindern und Lehrern einen gemeinsamen Rahmen für das Leben in Summerhill bietet.[10]

 

Aus der Sicht der flow-Theorie: Fehlende Ziele

Neill ermöglicht den Schülerinnen keine Wahlmöglichkeiten (z. B. Wahlfächer oder unterschiedliche Prüfungen), die in einem bestimmten Rahmen liegen, sondern seine Philosophie über Freiheit vermittelt Beliebigkeit. Diese drückt sich besonders in der Anschauung über das eklektische Handeln aus. Wenn Kinder eklektisch handeln, machen sie einmal hier, einmal dort etwas. Dabei können sie durchaus flow erleben. Doch die Kinder erleben wahrscheinlich wenig erweiterten flow. So stellt Adlai-Gail (1994, 137) fest, dass nicht-autotelische Personen (im Gegensatz zu autotelischen) wenig zielstrebig und zukunftsorientiert sind. Ihr Handeln kann als eklektisch oder bruchstückhaft bezeichnet werden.[11] Andersherum kann daraus geschlossen werden, dass gerade das von Neill unterstützte eklektische Verhalten vermutlich nicht dazu beiträgt, autotelische Fähigkeiten auszubilden. Eingeordnet auf der Ebene der flow auslösenden Bedingungen der flow-Theorie beschreibt Csikszentmihalyi dazu: „Wenn die Regeln eines Spiels zu flexibel werden, nimmt die Konzentration ab, und es wird schwerer, flow zu erlangen. Bindung an ein Ziel und seine Regeln ist viel leichter, wenn die Wahlmöglichkeiten gering und deutlich erkennbar sind“ (Csikszentmihalyi 1993, 294). Da Neill wenig klare Regeln und Ziele setzt, stellt sich die Frage, ob die Kinder und Jugendlichen in Summerhill lernen, sich zielstrebig mit Dingen auseinander zu setzen, und dadurch einen Zugang zu flow bekommen.

 

Keine Herausforderungen[12]

Neill fordert seine Schülerinnen nicht heraus: „Wir sagen nie einem Kind, es müsse die angefangene Arbeit zu Ende führen. Wenn es das Interesse daran verloren hat, darf man es nicht zum Weitermachen drängen“ (Neill 1998, 325). Beispielsweise sind die Kinder „nicht sehr an komplizierteren Tischlerarbeiten interessiert, und auch die älteren Jungen machen sich kaum an schwierigere Sachen heran“ (Neill 1998, 32). Die Schüler in Summerhill verlieren anscheinend das Interesse an Tätigkeiten, wenn diese komplexer werden. Da Neill nicht zu neuen Herausforderungen anzuleiten scheint, überwinden die Schüler in Summerhill vermutlich auch keine Hindernisse, um Tätigkeiten weiterverfolgen zu können.

 

Aus der Sicht der flow-Theorie: Keine Anleitung zu Herausforderungen

Eingeordnet in die flow-Theorie auf die Ebene der flow-Auslöser stellt Hektner (1996, 78) in seiner Untersuchung fest, dass allgemein gerade Schulen flow-Erlebnisse fördern, weil sie Jugendliche herausfordern, sich mit dem Inhalt des Unterrichts auseinanderzusetzen und ihn wirklich zu verstehen. Neill scheint keine schulischen Übungssituationen zu ermöglichen, die Fähigkeiten zu bestimmten Themen über einen längeren Zeitraum erweitern. Seine Schüler lernen wahrscheinlich nicht, wie sie ihre psychische Energie immer weiter für eine Sache einsetzen können und wie sie daraus gestärkt und glücklich hervorgehen können. Wenn die Schüler zu neuen Herausforderungen angeleitet würden, sei es fachlich, sei es in puncto Motivation, dann wären die Jugendlichen beispielsweise gerade an komplizierteren Tischlerarbeiten interessiert. Doch Tätigkeiten werden in Summerhill wahrscheinlich immer dann abgebrochen, bevor das Tun auf höherer Ebene wieder erfreulich wird. So erleben Experten, die durch ein einzelnes Thema immer wieder herausgefordert werden, mehr flow als Menschen, die sich neu mit einer Sache auseinandersetzen (Rheinberg 1999). Vor diesem Hintergrund besteht die Gefahr, dass sich die Kinder in Summerhill nur oberflächlich mit neuen Themen beschäftigen und wenig Chancen haben, während einer intensiveren Auseinandersetzung mit einem Thema in den Zustand von flow zu gelangen.

 

Kein Feedback und keine Kontrolle[13]

Eine Erziehung in Freiheit bedeutet nach Neill auch, dass die Schülerinnen keine Hilfe bekommen und Lehrer „nichts tun“, auch wenn Kinder aus der Sicht der flow-Theorie Anregungen benötigen: „Man sollte überhaupt einem Kind niemals helfen, wenn es ein Problem nicht selbst lösen kann“ (Neill 1998, 186). Neill gibt den Schülerinnen vor diesem Hintergrund vermutlich keinen Anstoß, wie man einen Lösungsweg finden könnte, um nach einer „festgefahrenen“ Situation wieder lösungsorientiert voranzukommen. Damit verhindert er, dass sich Kinder mit pädagogischer Unterstützung auf – wie Freinet es ausdrückt – „Plattformen“ zubewegen können, die ihnen neue dosierte Lernschritte ermöglichen. Da die Kinder keine konstruktiven Rückmeldungen bekommen, wie man Probleme angehen könnte, entwickeln sie möglicherweise nur schwer ein Gefühl von Kontrolle über ihr Problem oder das damit verbundene Handeln. Somit blockiert Neill zum einen die Entwicklung von fachlichen Fähigkeiten, zum anderen auch einen konstruktiven Umgang mit Hindernissen oder Problemen. Ohne Feedback und das Gefühl, eine Situation bei Problemen wieder unter Kontrolle bekommen zu können, wird auch die Fähigkeit zur Orientierung nicht pädagogisch explizit gefördert.

 

Aus der Sicht der flow-Theorie: Feedback und Kontrolle

Da Neill es sich zum Grundsatz gemacht hat, den Kindern nicht zu helfen, fehlt dem Erziehungsansatz eine wichtige Instanz zur Förderung der Orientierung, die durch Feedback und Kontrollerfahrungen unterstützt werden könnte. Ein Mangel an Kontrolle kann Antiflow (Allison & Duncan 1991, 148, 157) oder ein Gefühl von Hilflosigkeit (Adlai-Gail1994, 116 ff.) bewirken. Gefühle von Antiflow und Hilflosigkeit möchte Neill in Summerhill aber gerade vermeiden, wenn er „Wohlbefinden, Ausgeglichenheit“ und „Übereinstimmung mit dem Leben“ (Neill 1998, 320) als Erziehungsziele hat. Der Grundgedanke Neills, dass sich Kinder und Jugendliche selbständig mit ihrer Umwelt auseinandersetzen sollen, um eigene Wege zu finden, könnte dann pädagogische Wirkung zeigen, wenn die Schüler dosierte Hilfestellungen bekommen, die ihnen als Feedback für ihr Lernen und als Kontrollerfahrung für ihr Handeln dienen. Da seine Konzeption dies nicht vorsieht, werden Lösungsprozesse sowie die Entwicklung von fachlichen Fähigkeiten möglicherweise hinausgezögert, und es wird vermutlich auch das Zustandekommen des flow-Phänomens verhindert (Csikszentmihalyi 1995, 52).

 

Keine Konzentration[14]

In Summerhill ist es schwierig, sich zu konzentrieren. Das flow-Phänomen kann aber nur schwer zustande kommen, weil stille Arbeitsecken fehlen. „Die Kinder haben nicht die Möglichkeiten, sich irgendwo still zurückzuziehen. [...] ’In Summerhill ist es schwer, in Ruhe zu arbeiten.’ In der Schule herrscht ein Leben wie in einem Bienenkorb. Fast immer ist irgend etwas im Gange, das die Aufmerksamkeit und das Interesse der Kinder erregt“ (Neill 1998, 93). Konzentriertes Arbeiten gestaltet sich also schwierig, da die Kinder immer wieder abgelenkt werden.

 

Aus der Sicht der flow-Theorie: Unterbrechungen verhindern flow

Um sich konzentrieren und in eine Sache vertiefen zu können braucht man eine gewisse Rückzugsmöglichkeit und Ruhe. Unterbrechungen verhindern zum einen den Eintritt in den Zustand von flow, zum anderen „sind Unterbrechungen sehr störend“ (Csikszentmihalyi 1995, 242), wenn man sich bereits im flow-Zustand befindet. Wahrscheinlich ist es nicht einfach, sich in Summerhill mit Dingen über einen längeren Zeitraum konzentriert auseinanderzusetzen. Unter diesem Blickwinkel kann ein negativer Kreislauf entstehen: Wenig Konzentration und viel Ablenkung fördern das eklektische Tun, dies wiederum vergrößert die Bereitschaft für Ablenkungen. So ist es auch kein Wunder, dass die Kinder eklektisch immer wieder etwas Neues finden, wenn sie wiederholt unterbrochen werden und zur angefangenen Tätigkeit kaum eine Beziehung aufbauen können. Es kann sich keine Freude an dem Tun entwickeln. Dieser Kreislauf erschwert erweiterte flow-Erlebnisse.

 

In Summerhill scheinen also aus der Sicht der flow-Theorie wichtige flow auslösende Momente zu fehlen: Die Kinder und Jugendlichen müssen keine Ziele verfolgen, sie werden nicht herausgefordert, bekommen wenig Feedback, haben keine Kontrolle über ihre Fähigkeiten und können sich schwer konzentrieren. Dadurch wird das Erleben des flow-Phänomens in Summerhill erschwert. Allerdings gibt es auch Situationen, die sicherlich flow auszulösen in der Lage sind, so zum Beispiel die wöchentlichen Vollversammlungen, die die „demokratische Selbstregierung“ (Neill 1998, 60) realisieren. Auf den Versammlungen gibt es beispielsweise Feedback über einzelne Verhaltensweisen von Schülern, die gegen Regeln des Zusammenlebens verstoßen haben. Sie bekommen dort auch ein Gefühl von Kontrolle, da sie die Regeln mitbestimmen, akzeptieren und auf deren Umsetzung achten. Neben diesen Momenten des Feedbacks und der Kontrolle gewährt die Institution der wöchentlichen Versammlung die Möglichkeit, das seelische Wohlbefinden zu verbessern und das flow-Phänomen zu erleben, da sich Menschen erstens lebendiger fühlen, wenn sie mit anderen zusammen sind (Csikszentmihalyi 1993, 218 f.), und zweitens in „erhitzten“ Diskussionen Interesse an dem zeigen, was ein anderer sagt (Csikszentmihalyi 1993, 219). Drittens scheinen viele Jugendliche kurz vor dem Abitur durchaus die Fähigkeit entwickelt zu haben, sich intensiv und leistungsstark auf ihre Abschlussprüfungen vorzubereiten. In Summerhill gibt es also sicherlich flow-Erlebnisse.

Doch vieles spricht gegen eine regelmäßige Förderung von Fähigkeiten, die das flow-Phänomen ermöglichen. So scheint es trotz basisdemokratischer Regelungen keinen leitenden, verbindlichen Grundsatz zu geben: Zum Beispiel wird über Wochen „erhitzt“ darüber diskutiert, ob das laute und störende Fußballspielen im Aufenthaltsraum erlaubt sein soll oder nicht (Neill 1998, 61 f.), obwohl die grundsätzliche Regelung lautet, dass man nur das darf, was andere nicht stört (Neill 1998, 314). Da aber klare Regeln und Strukturen den Zugang zum flow-Phänomen fördern, wirkt dieser fehlende Wertmaßstab vermutlich, wie die anderen fehlenden Kriterien, auf dem Weg zum flow hinderlich.

3.5.5       Auswirkungen der evozierten Freiheit (aus der Sicht der flow-Theorie)

Freiheit ist bei Neill ein zentrales Merkmal seiner antiautoritären Pädagogik. Er definiert Freiheit über die Abwesenheit von Zwang: Die Kinder können etwas tun oder sie können es auch lassen, wenn es gerade nicht ihrer Stimmung entspricht bzw. nicht mit ihrem momentanen Selbst übereinstimmt. Doch diese Freiheit scheint aus der Sicht des subjektiven Erlebens nicht mit einer hohen Qualität des Erlebens verbunden zu sein, da Voraussetzungen für flow-Erlebnisse rar sind, die im Sinne des subjektiven Erlebens ein Gefühl von Freiheit auslösen können (Massimini & Carli 1991, 297 f.). Da wichtige Auslöser von flow (Ziele, Herausforderungen, Feedback, Kontrolle, Konzentration) aufgrund Neills Interpretation von Freiheit kaum vorhanden sind, gelangen die Schülerinnen vermutlich selten in den flow-Zustand. Auswirkungen könnten wie folgt aussehen:

Eine kleine Untersuchung zeigt, dass Menschen, die flow-Erlebnisse 48 Stunden meiden, also kaum flow erleben, Symptome schildern, „die in mancher Hinsicht an Phänomene bei akuten psychotischen Zusammenbrüchen denken ließen“ (Csikszentmihalyi 1985, 200). Die Ergebnisse dieser Untersuchung ähneln der Feststellung von Sielski (1977, 103), „daß die Rate psychoseähnlicher Zusammenbrüche bei Kindern, die aus Summerhill ausscheiden, signifikant höher ist als bei Jugendlichen in anderen Vergleichsgruppen“.

Wenn psychoseähnliche Zusammenbrüche auf das Fehlen von flow auslösenden Bedingungen zurückgeführt werden können, so scheint dieses pädagogische Konzept der Freiheit nur wenig flow zu evozieren und folglich weniger Menschen glücklich zu machen, als es sich Neill zum Ziel gesetzt hat.

Eine zweite Auswirkung der freiheitlichen Pädagogik setzt möglicherweise einen Prozess, einen negativen Kreislauf in Gang: Die Kinder erleben keinen flow, da sie in der eklektischen Atmosphäre von Summerhill keine Ziele verfolgen, nicht zu Herausforderungen angeleitet werden und sich schwer konzentrieren können. Dies erzeugt „bruchstückhafte Interessen“: Tätigkeiten werden wahrscheinlich dann abgebrochen, wenn für erweiterten flow neue Anforderungen auf die Schülerinnen zukämen. Dadurch erleben die Schülerinnen keinen erweiterten flow, sie bilden folglich keine autotelischen Fähigkeiten heraus und können sich somit auch nicht zu autotelischen Personen entwickeln. Die führt wiederum dazu, dass sich die Schülerinnen schneller ablenken, haben weniger Interesse an Herausforderungen, die auf Fähigkeiten aufbauen und entwickeln möglicherweise eine Affinität zur Beliebigkeit.

Auch hier muss darauf hingewiesen werden, daß Summerhill Kinder hervorbringt, die nicht von diesen Auswirkungen betroffen zu sein scheinen. So berichtet Neill von Schülerinnen, die in kurzer Zeit aus eigenem Antrieb leistungsstark für die Universitätsaufnahmeprüfungen lernen (Neill 1998, 119, 124). Das weist möglicherweise darauf hin, dass sie flow erleben.

In der folgenden Tabelle werden Elemente der Pädagogik Neills zusammengefasst, die als Gesamtheit flow-Erlebnisse in Summerhill eher unterbinden als fördern (wenn nicht anders vermerkt, beziehen sich die Quellenangaben auf Neill).

 


Freiheit

Freiheit als Hauptprinzip der Schule (1998, 89), „sich selbst überlassen und unbeeinflußt von Erwachsenen“ (1998, 23)

Kaum                      Herausforderungen

Die Schüler „machen sich kaum an schwierigere Sachen heran“ (1998, 32)

wenig                      Zielvorgaben

Keine Prüfungen (1998, 25); Annahme, Kinder würden „eklektisch“ handeln, ihr Leben sei voll „bruchstückhafter Interessen“ (1998, 325); freiwilliger Unterricht

wenig                     Struktur

Antiautoritäres Erziehungskonzept und Repressionsfreiheit (Böhm 1994, 496) weisen im allgemeinen auf wenig Struktur hin. Regelmäßige Vollversammlungen geben dem wöchentlichen Tun Struktur

wenig                      Konzentration

Keine Rückzugsmöglichkeit; es ist „schwer, in Ruhe zu arbeiten“ (1998, 93)

kaum Kontrolle

            &

kaum Feedback

„Man sollte überhaupt einem Kind  niemals helfen, wenn es ein Problem nicht selbst lösen kann“ (1998, 186)

Selbstvergessenheit

  (als Charakteristikum

   von flow)

„Schöpferische Kraft“ (1998, 43), „Lebenlassen“ (1998, 22) lassen grundsätzlich an das Phänomen der Selbstvergessenheit denken.

veränderte

Zeitwahrnehmung

  (als Charakteristikum

   von flow)

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Tabelle 3.3.1. Flow verhindernde Prinzipien in Summerhill

 

3.5.6       Bedeutung für die Erziehung

Freiheit ist aus der Sicht von flow das Hauptprinzip in der Pädagogik Neills. Er hat erkannt, dass Menschen kaum glücklich sein können, wenn sie wie ferngesteuerte Roboter funktionieren, sondern dass sie sich glücklich fühlen, wenn sie in Freiheit intrinsisch motiviert arbeiten und leben können. Diese erzieherisch sympathische Grundidee scheint auf den ersten Blick flow förderlich zu sein. Flow beinhaltet ein Gefühl von Freiheit, da man nichts anders tun möchte als gerade diese intrinsisch motivierende Tätigkeit (Massimini & Carli 1991, 298), daher könnte umgekehrt ein Gefühl von Freiheit flow und somit Glück auslösen (vgl. C 1993, 278) Doch aus der Sicht der flow-Theorie scheint Neills Erziehung zur „inneren Freiheit“ genauer betrachtet wenig flow-förderlich zu sein:

1.) Er setzt den Schülern keine Ziele, z. B. Prüfungen.

2.) Er leitet nicht zu Herausforderungen an, zum Beispiel, wie Schüler ihre Fähigkeiten an komplizierteren Tischlerarbeiten differenzieren können. Er fördert auch nicht geistige Herausforderungen, die beispielsweise zur Bildung einer politischen Einstellung führen könnten.

3.) In der Schule Summerhill können sich die Schüler wenig konzentrieren. Sie werden immer wieder bei ihren Tätigkeiten unterbrochen.

4.) Neill sieht das Leben als Aneinanderreihung bruchstückhafter Interessen. Mit dieser eklektischen Einstellung legt er vermutlich keinen Wert darauf, dass sich Menschen in eine Sache vertiefen.

Betrachtet man die Auslegung der Neillschen Texte aus einer Sicht von Erziehung, wie sie in der Einleitung dargelegt wurde, so scheint Summerhill nicht geeignet zu sein, eine Erziehungsfunktion zu erfüllen, die zur Herausbildung autotelischer Fähigkeiten führt, denn die Schülerinnen können sich vermutlich nicht die „strukturellen Eigenschaften“ des flow-Erlebens (Csikszentmihalyi 1985, 132) zu eigen machen. Dazu setzt Neill rein konzeptionell zu wenige Aspekte um, die flow förderlichen Charakter haben.

Neills Pädagogik weist also offenbar keine Voraussetzungen auf, die regelmäßig flow evozieren. Das bedeutet aus der Sicht der flow-Theorie (Ebene der flow-Auslöser), dass er in diesem Rahmen auch nicht erzieht.

Erziehungsziel. „Körperlich gesund, geistig klar und seelisch ruhig“ sollten Kinder sein – so definiert Lauff (1999) das grundlegende Ziel von Erziehung. Neill hat zum Ziel, Kinder zu glücklichen Menschen zu erziehen (Neill 1998, 120). Sie sollen lebensbejahend und ausgeglichen sein, nicht wie Roboter funktionieren oder eingeschüchtert leben. Das Ziel seiner Erziehung ist also dem von Lauff theoretisch ähnlich. Doch aus der Sicht einer Erziehung durch flow-Erlebnisse scheint er in der praktischen Umsetzung seiner Pädagogik dieses Ziel nicht zu erreichen.

Stellvertretende Verantwortung. Neill übernimmt offenbar als Erzieher nicht die „stellvertretende Verantwortung“ (Lauff 1999), die für das Phänomen von Erziehung konstitutiv ist: Er überlässt die Kinder sich selbst, bei Problemen will er „niemals helfen“ (Neill 1998, 186). Schülerinnen und Schüler scheinen keine Unterstützung dabei zu bekommen, wie sie beispielsweise in einer Sache weiterkommen können, wenn sie sich „festgefahren“ haben oder einfach nicht mehr weiter wissen. Neill trägt aus dem Blickwinkel von flow wohl also keine Sorge dafür, dass die Kinder und Jugendlichen ihre Potenziale entdecken und ausbauen.

Werdenskraft. Neill unterstützt kaum die „Werdenskraft“ (Lauff 1999) seiner Schüler. Er ermuntert sie beispielsweise nicht, ihre Fähigkeiten an Herausforderungen zu erproben (Neill 1998, 32), und hilft ihnen auch nicht über Schwierigkeiten hinweg (Neill 1998, 186), durch deren Bewältigung sie wachsen könnten. Da in Summerhill wohl wenig flow-Erlebnisse während einer Tätigkeit über einen längeren Zeitraum möglich sind, wird die Werdenskraft als ein Erziehungsmerkmal durch diese Pädagogik kaum unterstützt.

Entwicklungs- und Lebenshilfe. Neills Pädagogik hat vermutlich bei denjenigen Schülern keine Entwicklungs- und Lebenshilfe geleistet, die schließlich mehr als andere Schulabgänger psychoseähnliche Zusammenbrüche (Sielski 1977, 103) erleiden. Es ist nicht klar, ob Neill aus der Sicht der flow-Theorie seine Schüler überhaupt auf das Leben vorbereiten kann, denn wenig oder fehlender flow „lähmt uns langsam aber sicher“ (C 1985, 227). Unter Gesichtspunkten einer Erziehung durch flow-Erlebnisse betrachtet wirkt Summerhill kaum als Entwicklungs- und Lebenshilfe.

Zusammenfassend soll festgehalten werden: Summerhill ist ein Experiment der progressiven oder antiautoritären Erziehung. Neills erzieherische Attraktivität ist darin zu sehen, dass er Lebensfreude, Glück und individuelle Freiheit im Erziehungsprozess großgeschrieben hat. Damit hat er eine wichtige pädagogische Anregung gegeben, die als erzieherische Grundhaltung dem Erzeugen von flow förderlich sein kann. Eine konkrete Umsetzung – nämlich eine Erziehung zu autotelischen Fähigkeiten – ist aus der Sicht der flow-Theorie jedoch in der Praxis gescheitert.

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Zum Literaturverzeichnis



[1] Seine oft widersprüchlichen Begriffsdarstellungen machen es schwer, aus der Sicht der flow-Theorie eine Stringenz seiner Erziehungspraxis zu erfassen.

[2]1912 Universitätsabschluss Master of Art in Englisch. Journalistische Tätigkeiten: von 1908 (er gibt das Universitätsmagazin „The Student“ heraus) bis 1920 (Mitherausgeber der Zeitschrift „New Era“); 1921 nimmt Neill an der Gründungskonferenz der „New Education Fellowship“ in Calais (Frankreich) teil. In diesem Jahr gründet er seine erste internationale Schule im Gebäude der Jaques-Dalcroze-Schule in Hellerau bei Dresden (Kühn 1995, 145).

[3] Unter anderem 1903 Kingskettle School in Fife (drei Jahre),1906 Newport Public School bei Dundee, (ca. zwei Jahre), 1918 King Alfred School in Hampstead (Kühn 1995, 145).

[4] Vielleicht ist die scharfe Kritik auch biographisch begründet. Neill und seine sieben Geschwister mussten als Kinder z. B. „steifgestärkte Hemden“ (zit. in: Kühn 1995, 9) tragen, im Sommer durften sie nicht wie die anderen Kinder barfuß gehen, sondern mußten „heiße Strümpfe und Schuhe“ anziehen. (zit. in: Kühn 1995, 9). Der Grund: Seine Mutter wollte für ihre Lehrerfamilie im ländlichen Schottland einen höheren sozialen Status zum Ausdruck bringen, als sie ihn tatsächlich im Dorf innehatten (Kühn 1995, 9 ff.). Möglicherweise wird Neill daher zu einem Teil (unbewusst) von seiner Kindheit gesteuert und wendet sich vielleicht deshalb so stark gegen Zucht und Konformismus. Vielleicht wird deshalb das Thema Freiheit (s. u.) bei ihm so großgeschrieben. Dieser biographische Hinweis ist auch vor dem Hintergrund interessant, dass Neill sich später mit der Psychoanalyse auseinandersetzt, er vermutlich also an die starke Wirksamkeit der Kindheit (und des Unbewußten) glaubt.

[5] Die Konzeption des Internats war eine Grundlage der antiautoritären Erziehungsbewegung Ende der 60er-Jahre.

[6] Dies ist eine mögliche Antwort darauf, warum angepasste, stille Menschen, die immer „funktioniert“ haben, plötzlich in die Schlagzeilen kommen, weil sie „aus heiterem Himmel“ beispielsweise jemanden getötet haben.

[7] Neill vertritt einen therapeutischen, Makarenko im Unterschied dazu einen kollektivistischen pädagogischen Naturalismus (Böhm 141994, 493).

[8] Im Kapitel über Makarenko wird die Bedeutung von Zielen für das Auslösen des flow-Phänomens beschrieben.

[9] In Knaurs Fremdwörterlexikon wird der Begriff wie folgt definiert: „[griech.: „Auswählender“] jmd., der verschiedene Anschauungen oder verschiedene Stile (bes. in der Baukunst) miteinander verbindet, ohne eigene Gedanken oder einen eigenen Stil zu entwickeln.“

[10] Vgl. auch im Kapitel über die Produktionsschule im Abschnitt „Soziale Herausforderungen“ den Kasten „Regeln“.

[11] Autotelische Personen dagegen zeigen neben ihrer Neugierde und Offenheit gegenüber anderen Dingen (Hektner 1996, 169) Zielstrebigkeit und zukunftsorientiertes Auswählen. Sie erleben erweiterten flow. Dieser ist pädagogisch wertvoll, weil er die Entwicklung autotelischer Fähigkeiten fördert (Plöhn 1998, 87 ff.; 112).

[12] Wie Herausforderungen pädagogisch geschaffen werden können, zeigt das Kapitel über die Produktionsschule.

[13] Vgl. die Bedeutung von Feedback und Kontrolle für flow im Kapitel über die Freinet-Pädagogik.

[14] Die Bedeutung des ununterbrochenen konzentrierten Arbeitens ist im Kapitel über Montessori dargestellt.