2.3. Finanzierung durch ein zahlendes Publikum

Ein weiteres mögliches Finanzierungsmodell basiert auf Zahlungen direkt durch das Publikum. Kunst wird herkömmlicherweise oft auf diesem Weg finanziert, hierbei zahlt das Publikum typischerweise entweder für den materiellen Informationsträger, in dem das Kunstwerk verkörpert ist (z. B. Buch, Zeitschrift, Schallplatte), oder - bei Fehlen eines materiellen Trägers - für das Recht, einer bestimmten Aufführung des Kunstwerks beizuwohnen. Im Internet gibt es keinen materiellen Datenträger und auch keine Aufführung, zu der der Zutritt durch natürliche räumliche und zeitliche Schranken begrenzt ist. Digitale Daten können nicht nur beliebig vervielfältigt werden und weltweit für jeden Netzteilnehmer jederzeit erreichbar gemacht werden, sie können auch in jeder denkbaren Weise aufgeteilt und gegebenenfalls mit anderen Daten in einen neuen inhaltlichen Kontext gebracht werden. Der materielle Träger des Kunstwerks oder dessen konkrete Aufführung grenzten früher bei den analogen Medien das Werk gegenüber der Außenwelt ab, machten es zu einem fest umrissenen, handelbaren "Produkt" bzw. einer "Dienstleistung". Dass diese Abgrenzung im Internet fehlt, schafft insoweit Probleme, als die herkömmlichen ökonomischen Finanzierungsmodelle im Internet nicht von selbst funktionieren: Wer Inhalte anbietet, muß damit rechnen, dass die Rezipienten diese aktiv weiterverbreiten und das eigene Publikum damit zum Konkurrenten werden.

Digitale Daten sind ihrer Natur nach im Gegensatz zu materiellen Produkten nicht knapp. Herkömmliche Finanzierungsmodelle basieren aber entweder auf der natürlichen Knappheit des materiellen Datenträgers oder auf dem kontrollierbaren Zugang zu einer Aufführung, die nur einer beschränkten Zahl von Zuschauern Platz bietet. Wenn man diese herkömmlichen Finanzierungsmodelle auf das Internet übertragen will, dann muß man die Knappheit, auf der diese Modelle basieren, künstlich herstellen. Andererseits ist das Fehlen eines materiellen Datenträgers nicht nur Problem, sondern auch Chance: Hierdurch gewinnen Künstler, Verleger und Kulturmanager die Freiheit, sich von den Zwängen, die mit der Herstellung und Verbreitung des materiellen Trägers verbunden sind, zu lösen und Finanzierungsmodelle zu entwickeln, die sich allein am künstlerischen Inhalt orientieren. Technisch ist es ja beispielsweise kein Problem mehr, jede gelesene Seite eines Buches einzeln abzurechnen. Die Suche nach einem praktikablen Finanzierungsmodell für Napster zeigt, welche essentielle Bedeutung Finanzierungsmodelle in der Internet-Kulturökonomie haben. Zunächst soll im Folgenden darauf eingegangen werden, welche Auswirkungen ein derartiges Finanzierungsmodell, das kleinste inhaltliche Einheiten isoliert voneinander handelbar macht, auf die künstlerischen Inhalte hat. Im Anschluss daran soll das Gegenstück zu Micropayments erörtert werden: Abonnements, bei denen das Publikum ein umfangreiches Paket verschiedener Inhalte zu einem Pauschalpreis erwirbt. Dabei sollen im Interesse der längerfristigen Brauchbarkeit dieser Arbeit nicht gegenwärtig existente Firmen, die sich dieser Fianzierungsmodelle bedienen, untersucht werden, sondern die grundsätzlichen Vor- und Nachteile der Finanzierungsmodelle an sich.

Diese Unterscheidung erfasst nicht die herkömmlicherweise gängigste Art der Vermarktung von Kunst, nämlich den Vertrieb eines einzelnen, zusammenhängenden größeren Werkes wie etwa eines Romans oder einer CD. Da es dem Käufer bei diesen Dingen nicht nur um die einmalige Wahrnehmung des Kunstwerks, sondern auch um dessen Besitz als Objekt geht, wird dieser Bereich im Rahmen dieser Arbeit dem Sammlermarkt zugeordnet und dort erörtert.

 

2. 3. 1. Micropayments

Unter Micropayments versteht man (bargeldlose) Zahlungssysteme, die extrem niedrige oder gar keine Transaktionskosten verursachen und es hierdurch ermöglichen, auch kleinste Summen (nach unten hin bis zur Höhe von Pfennigbruchteilen) zu transferieren. Von der Einführung dieser Systeme erhofft man sich die Entstehung völlig neuer Märkte für unverkörperte Produkte. Im Internet werden Zahlungsvorgänge derzeit vor allem mittels Kreditkarten abgewickelt. Zwar haben die Kreditkarteninstitute die Transaktionskosten als Reaktion auf die zunehmende Bedeutung des E-Commerce gesenkt, um sich den zukunftsträchtigen Markt für unverkörperte Produkte im Internet zu erschließen, jedoch sind selbst minimale Transaktionskosten dann zu hoch, wenn es um den Preis für das Betrachten eines einzelnen Bildes o. ä. geht. Hier kommen nur reine Softwarelösungen in Betracht, bei denen denen der Vertragsschluß so weit wie möglich automatisiert wird, denn nur sie ermöglichen die Abwicklung derartiger Geschäfte mit dem minimalen Aufwand an Zeit und Mühe, der Voraussetzung für ihre Rentabilität ist.

Zwar entwickeln viele Softwarefirmen und Medienkonzerne Micropayment-Systeme, allerdings ist noch offen, ob sie sich jemals durchsetzen werden. Teilweise wird bezweifelt, dass die Internet-Nutzer bereit sein werden, bei ihren Streifzügen durch das Netz eine ständig tickende Zähluhr zu akzeptieren. Es spricht viel dafür, dass die Aussichten zur Implementierung von Micropayment-Systemen durch zeitunabhängige Ortstarife der Telephongesellschaften sehr verbessert würden - schließlich müssen die Netzteilnehmer zusätzlich zu Preisen für die Wahrnehmung unverkörperter Produkte deren Übertragungskosten über die Telephonleitung zahlen, die derzeit nicht unerheblich sind. Für die grundsätzliche Bereitschaft des Publikums zur Akzeptanz von Micropayment-Systemen spricht allerdings, dass die kommerziellen Online-Dienste wie AOL oder CompuServe bereits jetzt ein redaktionell gestaltetes Angebot offerieren, für dessen Nutzung sie zusätzliche Gebühren erheben, die zeitabhängig abgerechnet werden.

Dass dieses Angebot trotz der Konkurrenz durch das (kostenlose) Internet genutzt wird, spricht dafür, dass viele Netzteilnehmer bereit sind, für qualitativ hochwertige Inhalte zu zahlen. Natürlich können derartige Systeme nur dann Erfolg haben, wenn nicht jeder einzelne Zahlungsvorgang durch einen Knopfdruck bestätigt oder sonst wie bewusst und mit voller Aufmerksamkeit entschieden werden muß. Die Kosten einer einzelnen Transaktion müssen also nicht nur in finanzieller, sondern auch in Hinblick auf die dem Nutzer abverlangte Zeit bzw. Aufmerksamkeit minimal sein.

Im Folgenden soll untersucht werden, welche Austauschbeziehungen, Machtverhältnisse und Informationsgefälle bei einem derartigen System zwischen den Beteiligten entstehen. Diese Untersuchung soll Aufschluss darüber geben, welchen ökonomischen Gesetzmäßigkeiten die Finanzierung von Kunst auf diesem Weg folgt. Es soll danach gefragt werden, inwieweit diese Gesetzmäßigkeiten die Entstehung innovativer Kunst behindern und inwieweit Kulturmanager andererseits diese Gesetzmäßigkeiten nutzen können, um künstlerische Innovation zu fördern.

 

2. 3. 1. 1. Beteiligte Akteure

Schon aus Gründen der Vergleichbarkeit wird hinsichtlich der beteiligten Akteure die Aufteilung, die im vorigen Kapitel gewählt wurde, so weit wie möglich beibehalten. Unterschieden wird zwischen dem Publikum, dem Künstler und dem Verleger, also dem Zwischenhändler zwischen ihnen, der den (inhaltlichen oder technischen) infrastrukturellen Kontext schafft, in dem das Publikum das Kunstwerk vorfindet: Bei der Finanzierung über Micropayments ist das einzelne Kunstwerk, das als ein vollständiges Produkt den ökonomischen Gesetzen unterliegt, typischerweise sehr klein. Es handelt sich um ein einzelnes Lied, ein einzelnes Bild, einen kurzen Text u. s. w. Zwar sind durchaus Fälle denkbar, in denen es beim Publikum eine originäre Nachfrage nach einem so kleinen Kunstwerk gibt, in den meisten Fällen wird das Publikum allerdings erst dann auf ein einzelnes Werk aufmerksam, wenn es in einem bestimmten Zusammenhang darauf stößt. Eine Nachricht kann beispielsweise ein Bedürfnis nach erläuternden Hintergrundinformationen schaffen, ein Roman ein Bedürfnis nach dazugehörigen Illustrationen u. s. w. Deshalb ist es für den wirtschaftlichen Erfolg eines Kunstwerks in diesem Finanzierungsmodell sehr wichtig, in welchem Umfeld bzw. Kontext es auftaucht.

Naturgemäß gibt es keinen Werbetreibenden. Abbildung 3 zeigt die Akteure und ihren Platz innerhalb der Wertschöpfungskette:

2. 3. 1. 1. 1. Publikum

Die Wahrnehmung von Kunst ist für das Publikum hier stets mit Kosten verbunden - selbst, wenn diese im Einzelfall nur gering sind. Das könnte den Schluß nahelegen, dass das Publikum bei diesem Finanzierungsmodell noch weniger innovationsoffen ist, als bei Finanzierung durch Werbung: Wenn die Wahrnehmung eines Kunstwerks stets mit einem Geschäftsabschluss einhergeht, dann liegt der Gedanke nahe, dass das Publikum im Vorab wissen will, was es für sein Geld erhält - es scheint die Bereitschaft zum Ausprobieren von Neuem nicht zu fördern, wenn dieses Ausprobieren Geld kostet. Das würde dafür sprechen, dass sich künstlerische Innovationen in einem über Micropayments finanzierten Internet schwerer realisieren lassen, als etwa in einem werbefinanzierten Internet.

Andererseits ist Zeit für viele Menschen weitaus knapper als Geld. Sie sind möglicherweise eher bereit, sich mit einem qualitativ hochwertigen Kunstwerk zu befassen, das Geld kostet, als sich durch einen lieblos zusammengeflickten und werbedurchsetzten Informationswust zu kämpfen. Der Preis einer Ware oder Dienstleistung ist stets auch ein Indikator dafür, welchen Wert sie aus Sicht des Verkäufers hat. Deshalb kann ein zu niedriger Preis bewirken, dass ein Kunstwerk nicht ernst genommen wird und dass das Publikum sich nicht die Mühe macht, sich damit auseinanderzusetzen. Auch auf den herkömmlichen Märkten für Kunst und Information kann man beobachten, dass Innovation eher dort möglich ist, wo die Preise hoch sind (Bildende Kunst, Design) als dort, wo sie niedrig oder gleich null sind (Zeitschriften, werbefinanziertes Fernsehen). Es ist deshalb keineswegs selbstverständlich, dass es eine innovationshemmende und abschreckende Wirkung auf das Publikum hat, wenn innovative Kunst nur dem zugänglich gemacht wird, der bereit ist, einen Preis dafür zu zahlen.

Es gibt aber noch einen weiteren Gesichtspunkt, der die ökonomische Struktur des Micropayment-Systems als eher ungeeignet erscheinen lässt, um das Publikum an innovative Kunst heranzuführen: Die klassische zentrale Problemstellung des Kulturmanagements schlechthin ist die Gefahr einer "Kommerzialisierung" von Kunst und Kultur - also die Gefahr, dass die Künstler sich bei der Erschaffung ihrer Werke aus finanziellen Motiven heraus so stark an den (tatsächlichen oder vermuteten) Erwartungen des Publikums orientieren, dass es zu keinem echten kommunikativen Austausch, sondern nur zu einer Bestätigung von bereits beim Publikum vorhandenen Erwartungen kommt. Wie wirkt es sich nun in Hinblick auf diese Problemstellung aus, dass sich bei der Finanzierung über Micropayments jedes einzelne Bild, jeder einzelne Text oder Song als eigenständiges Produkt auf dem Markt behaupten muß?

Herkömmlicherweise fasst ein Produkt auf dem Markt für Kunst und Kultur in der Regel entweder mehrere Werke zusammen (auf einer CD, in einem Bildband oder einer Zeitschrift), oder es handelt sich um umfangreiche Werke (z. B. Romane), deren Herstellung und Wahrnehmung viel Zeit erfordert und die deshalb vielschichtig sind und verschiedene künstlerische Elemente miteinander verbinden, die teilweise auf den ersten Blick ansprechen, teilweise aber auch schwerer zugänglich sind. Der materielle Informationsträger wirkt hier als Klammer, der die Inhalte miteinander verbindet und es dem Hersteller ermöglicht, die Zugkraft eines besonders "griffigen" Bestandteils einzusetzen, um auch die übrigen Bestandteile am Markt abzusetzen, die auf den ersten Blick weniger attraktiv scheinen, dafür aber u. U. die langfristige Qualität des Werks sichern. Besonders gut kann man dies bei Zeitschriften beobachten, bei denen eine reißerische Titelstory oft hilft, Artikel im Innenteil mit zu finanzieren, deren Wichtigkeit dem Leser erst nach ihrer Lektüre klar wird - und nicht schon am Kiosk. Auch bei einer CD kann ein Hit helfen, das Interesse des Publikums für die übrigen Lieder zu wecken, in die man sich erst "reinhören" muß. Eine ähnliche Funktion haben Stars in Kinofilmen: Sie wecken das Publikumsinteresse für die schauspielerische Leistung ihrer unbekannteren Kollegen, die hierdurch selbst zu Stars werden können. Ebenso wird auch die Zugkraft von bekannten Popstars bei Konzerten ausgenutzt, um das Publikumsinteresse auf die (noch) unbekannten Vorgruppen zu lenken, u. s. w.

Diese materielle Klammer fehlt bei der Finanzierung über Micropayments. Das bedeutet, dass der ökonomische Druck zur Marktkonformität auf jedes einzelne Bild, jede einzelne Seite Text beim Micropayment-Finanzierungsmodell im Internet größer ist, als bei den herkömmlichen Medien. Hinzu kommt, dass der typische Netzteilnehmer naturgemäß nicht lange darüber nachdenken wird, ob er ein bestimmtes Werk wahrnehmen soll oder nicht. Da er ständig derartige Entscheidungen trifft, wird er bei einer von ihnen nicht lang überlegen, sondern seinen Gefühlen folgen und sich vom ersten Eindruck leiten lassen, den er vom angebotenen Kunstwerk und dem Kontext, in dem es auftaucht, vermittelt bekommt. Wer das Internet nicht nur zur beruflichen Recherche, sondern öfters auch als Medium für Kunst und Unterhaltung nutzt, weiß, wie intuitiv und oberflächlich ein Internet-Surfer sich für oder gegen bestimmte Inhalte entscheidet. Damit droht er sich ähnlich zu verhalten wie jemand, der durch Fernsehkanäle zappt: Er bleibt nur dort hängen, wo er sofort und mühelos in eine Handlung einsteigen kann, die sich konstant auf einem dramaturgischen Höhepunkt ohne Leerlaufphasen befinden muß, damit er nicht zu einem Konkurrenzprogramm abwandert. Dieser allgegenwärtige Zwang zur Attraktivität jedes einzelnen Werksbestandteils, der beim Micropayment-System den künstlerischen Schaffensprozess bis ins tiefste Innere durchdringt, scheint eher innovationshemmend zu wirken.

Innovative Kunst lässt sich aus diesem Grunde dem Publikum jedenfalls dann nur schlecht mittels des Micropayment-Systems nahe bringen, wenn sie so stark von dessen ästhetischem Erwartungshorizont abweicht, dass ihre besonderen Qualitäten nicht auf den ersten Blick erkennbar sind. Es ist aber keineswegs zwangsläufig so, dass künstlerische Innovation stets gleichzusetzen ist mit einem vollständigen und abrupten Bruch mit der allgemein verbreiteten ästhetischen Formensprache. In der abendländischen Kulturtradition assoziiert man mit künstlerischer Innovation leicht das geniale Individuum, das aus seinem Inneren heraus die geistige Welt zerstört und nach seinen eigenen Maßstäben im Alleingang neu erschafft. Dieses romantisch-individualistische Leitbild lenkt ab von "weichen", evolutionären Innovationsprozessen, die sich im ständigen Dialog mehrerer Beteiligter schrittweise vollziehen - und nicht im jähen und revolutionären, vollständigen Bruch mit der Vergangenheit. Diese Art von Innovation beruht auf einem kommunikativen Konsens zwischen Künstler und Publikum und auf der schrittweisen Weiterentwicklung dieses Konsens. Diese Weiterentwicklung muß nicht gezielt erfolgen, sie muß nicht einmal von einem der Beteiligten intendiert sein. Sie kann vielmehr auch das Ergebnis von unbewussten Missverständnissen sein: Neues kann nicht nur durch einen bewussten Willensakt, sondern auch durch die versehentlich unvollkommene Imitation des Bestehenden hervorgebracht werden, diese fehlerhafte Imitation kann dann zur Etablierung neuer Wertmaßstäbe führen. Oder das Neue entsteht dadurch, dass der Künstler sich eine bestehende Formensprache aneignet, um sie schrittweise weiterzuentwickeln - möglicherweise in eine Richtung, die die eigentlichen Entwickler dieser Formensprache niemals vorausgesehen hätten.

Evolutionäre Innovation in diesem Sinne wird durch die ökonomische Struktur des Micropayment-Systems nicht verhindert. Da diese Form von Innovation auf dem Bestehen und der Fortentwicklung eines kommunikativen Konsens zwischen Künstler und Publikum beruht, macht es nichts, dass der Künstler durch dieses Finanzierungssystem gezwungen wird, mit seinen Werken stets an die ästhetischen Erwartungen des Publikums anzuknüpfen und es niemals mit zuviel Neuem auf einmal zu "überfordern". Das Micropayment-System motiviert sogar zu einem gewissen Maß an Innovation: Aufgrund der niedrigen finanziellen Zugangsschwelle konkurrieren auf dem durch Micropayments geschaffenen Markt eine Vielzahl von kommunikativen Inhalten. In dieser Masse geht nur derjenige nicht unter, der ein eigenes Profil entwickelt und sich vom Mainstream abhebt. Erfolgreich auf diesem Markt kann nur derjenige sein, der ästhetische Bedürfnisse des Publikums erkennt, die nicht bereits von der Konkurrenz vollständig abgedeckt werden. Das setzt ein gewisses Maß an geistigem Wagemut voraus.

Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass die Akzeptanz von innovativer Kunst durch das Publikum durch das Micropayment-Finanzierungssystem tendenziell eher erschwert als gefördert wird. Da sich jeder einzelne Bestandteil eines Kunstwerks für sich am Markt behaupten muß, lässt dieses Finanzierungsmodell dem Künstler extrem wenig Spielraum, um beim Publikum Interesse für innovative Kunst aufzubauen und die kritische Masse zu erreichen, die für deren Finanzierbarkeit erforderlich ist. Deshalb wird die auf diesem Wege finanzierte Kunst in weiten Bereichen tendenziell wohl eher konventionell sein. Das Publikum wird aber bereit sein, über Micropayments künstlerische Innovationen zu finanzieren, die an die bestehende ästhetische Formensprache anknüpfen und diese im Dialog zwischen Künstler und Publikum schrittweise weiterentwickeln. Derart evolutionäre Innovationsprozesse funktionieren nach dem "Trial-and-Error"-Prinzip; die Gefahr des Scheiterns bedeutet kein großes finanzielles Risiko, so dass man insoweit wagemutig sein kann.

 

2. 3. 1. 1. 2. Künstler

Der Künstler ist in diesem Finanzierungsmodell aus den oben genannten Gründen gezwungen, dem Publikum stets einen auf den ersten Blick erkennbaren Grund zu liefern, weshalb es sich gerade für sein Kunstwerk interessieren soll. Das kann ihm - wie gesagt - nur schwer gelingen, wenn er losgelöst von dem allgemein gängigen Begriffsschatz an künstlerischer Formensprache "sein eigenes Ding macht" und auf eine Weise tätig ist, die sich der Einordnung in bekannte Kategorien völlig entzieht. Er wird das Publikum leichter dann zur Auseinandersetzung mit seinem Werk motivieren können, wenn er an bereits vorhandene Assoziationen und künstlerische Leitbilder anknüpft, für die beim Publikum bereits ein Interesse besteht. Das begünstigt eine Genrebildung ähnlich wie in der Popmusik, wo sich eine unbekannte Band ein Publikum am leichtesten dadurch erschließen kann, dass sie sich in das Grobraster seiner ästhetischen Erwartungen einfügt und die künstlerischen Konventionen eines bestimmten Stils (Rock, Pop, Techno) beachtet und gegebenenfalls weiterentwickelt. Der Künstler kann die Erwartungshaltung des Publikums an sein Werk dadurch definieren, dass er das Werk erkennbar in ein bereits vorhandenes Genre einordnet; hierdurch trägt sein Werk gleichzeitig ein Stück weit zur Fortentwicklung des Genres bei. Das Genre prägt also nicht nur das Bild vom Kunstwerk, sondern auch das Kunstwerk (ein kleines Stück weit) das Bild vom Genre.

Man könnte beim Micropayment-System insoweit von einer "amorphen Struktur" der Kunst sprechen, als die klare Abgrenzung des Kunstwerks gegenüber seiner Außenwelt dadurch aufgelöst wird, dass sich jeder einzelne Teil des Werks selbständig auf dem Markt behaupten muß. Diese "amorphe Struktur" hat zur Konsequenz, dass der Künstler weniger als bei den herkömmlichen Medien in der Lage ist, die Wirkung seines Werks auf das Publikum unabhängig vom Kontext, in dem es dem Publikum angeboten wird, zu kontrollieren. Identität und Aussage des Kunstwerks werden ganz im Gegenteil in hohem Maß durch den Kontext definiert, in dem es erscheint. Dies begünstigt nicht den "schöpferischen Einzelgänger", sondern den Künstler, der im Zusammenspiel mit Anderen tätig ist und auf ihre Werke mit seiner Arbeit Bezug nimmt. Die Finanzierung über Micropayments begünstigt die Szene- oder Gemeinschaftsbildung bzw. ein Schubladen- oder Genredenken. Kunst wird zum "verteilten System", das durch den intrasubjektiven Konsens zwischen den beteiligten Künstlern und dem Publikum definiert wird und nicht durch die Erlebnis- bzw. Gefühlswelt eines einzelnen Schöpfers. Künstlerische Innovation ist demgemäss in diesem Modell eher ein evolutionärer Prozess der Verständigung und der Weiterentwicklung fremder Ideen, als der revolutionäre Geniestreich eines einzelnen Individuums, das mit den bisherigen Kunsttraditionen abrupt bricht.

Kunst mit einer derart "amorphen Struktur" kann vom Publikum nicht im herkömmlichen Sinne missverstanden werden: Sie ist primär das, was die Außenwelt in ihr sieht. Sie existiert an der Oberfläche, nicht in der Tiefe; in den Augen des Publikums, nicht in der Vision des Künstlers. Oben wurde hinsichtlich der werbefinanzierten Kunst festgestellt, dass sich künstlerische Innovation weder allein aus Sicht des Künstlers noch allein aus Sicht des Publikums definieren lässt, sondern nur aus der gemeinsamen Sicht beider heraus. Beim Micropayment-System verschiebt sich diese Balance ganz massiv zum Publikum hin: Dieses System lässt von seiner Struktur her nur solche Inhalte ökonomisch überleben, die auf sofortige Akzeptanz durch das Publikum stoßen. Alle anderen Inhalte werden aus den oben genannten Gründen gar nicht erst wahrgenommen. Deshalb fehlt hier der Spielraum, der nötig wäre, um die Wahrnehmung des Publikums an die Formensprache des Künstlers anzupassen. Folglich ist der Künstler gezwungen, seine Formensprache so weit wie möglich an die Wahrnehmung des Publikums anzupassen.

Zudem wird der Gehalt eines Kunstwerks in erheblichem Maß durch den Kontext, in dem es auftaucht, definiert. Dieser Kontext wird aber nicht vom Künstler selbst bestimmt, sondern von der Außenwelt, bzw. dem Zwischenhändler.

Das heißt im Ergebnis für den einzelnen Künstler, dass er nach einem Kompromiss zwischen seinen eigenen ästhetischen Vorstellungen und der Erwartungshaltung des Publikums, die geprägt ist durch den Kontext, in dem sein Werk erscheint, suchen muß. Diese Notwenigkeit wurde oben auch bei der Finanzierung durch Werbung bejaht. Dort wurde bereits festgestellt, dass ein derartiger Kompromiss keineswegs so aussehen muß, dass die charakteristischen Eigenschaften des Werks im Sinne eines "kleinsten gemeinsamen Nenners" verwässert werden. Die Notwendigkeit eines derartigen Kompromisses kann für den Künstler vielmehr auch Anstoß sein, die Grenzen seiner eigenen inneren Formensprache zu überwinden und etwas bisher noch nicht Dagewesenes zu schaffen.

Das Micropayment-System wird ausschließlich von Market-Pull-Kräften beherrscht; es handelt sich also um einen nachfrageorientierten Markt. Market-Push-Kräfte werden nicht wirksam; es handelt sich nicht um einen angebotsorientierten Markt. Diese starke Stellung des Publikums führt dazu, dass es im Vergleich zum oben dargestellten Werbefinanzierungssystem eine zunehmend aktive Rolle übernimmt. Künstlerische Innovation ist dem Künstler nur in ständigem Konsens mit dem Publikum möglich, sie muß von diesem aktiv "mitgetragen" werden. Der Künstler, der eine inhaltlich neue Richtung einschlagen will, ist hierbei auf ständige positive Rückkopplung und ständige Bestätigung durch das Publikum angewiesen. Das Feedback des Publikums wird zum Teil des künstlerischen Inhalts. Eine ähnlich aktive Rolle hat das Publikum auch in vielen Bereichen außerhalb des Internet, man bezeichnet dieses Phänomen als Kult. Diese Definitionsmacht des Publikums kann auch außerhalb des Internets so stark werden, dass es den sozialen Bedeutungsgehalt des Werks in einer Weise verändert, die mit der Intention des Künstlers nichts zu tun hat - etwa, wenn sich die Jugendkultur alte Schlager aneignet. Oder wenn eine bestimmte Sportschuhmarke zur Überraschung des Herstellers mit einem Mal zum Erkennungszeichen einer Szene wird. Die technischen Gegebenheiten des Internets stärken diese Definitionsmacht des Publikums noch erheblich, indem sie jedem ermöglichen, potentiell Massenkommunikation zu betreiben und Ihre Webseiten mit beliebigen anderen Seiten zu verlinken. Hierdurch kann das Publikum den Kontext, in dem die Inhalte vorgefunden werden, selbst bestimmen.

Das gilt um so mehr für Kunstwerke im Internet, die nicht die Form herkömmlicher Medien haben, sondern eher interaktive Welten sind. Im Zuge wachsender Übertragungsbandbreiten wird der derzeit gängige HTML-Standard in vielen Bereichen vom D3ML Standard abgelöst werden. Dieser technische Sprachstandard stellt nicht - wie HTML - Information als zeitschriftenähnliche Seiten, sondern als dreidimensionale Räume dar, durch die sich der Betrachter frei bewegen kann. Diese technische Entwicklung begünstigt eine kulturelle Entwicklung, in der die Gegenüberstellung Kunstwerk - Publikum abgelöst wird durch Gemeinschaften, die durch Kunstwerke als gemeinsame Sprache und Kommunikationsgrundlage verbunden werden - ähnlich, wie dies auch außerhalb des Internets bei Szenen der Fall ist, die durch einen gemeinsamen Kult verbunden werden.

VRML ist nicht die einzige technische Entwicklung in Richtung interaktiver Welten: Derzeit findet eine geradezu revolutionäre Umwälzung der herkömmlichen Rezeptionsgewohnheiten von Massenkommunikation durch die Verbindung multimedialer Computerspiele mit dem Internet statt. Schon seit einigen Jahren gibt es Experimente mit "Virtuellen Gemeinschaften", ein frühes Beispiel hierfür ist "Worlds Away", eine Kunstwelt des Fujitsu-Konzerns, die über CompuServe erreichbar ist. Einen echten Durchbruch - und einen beachtlichen ökonomischen Erfolg - gab es mit dem Computerspiel "Quake" von ID-Software. Dies aus zwei Gründen: In der - ziemlich gewalttätigen - Kunstwelt von "Quake" können sich mehrere Spielerteams über das Internet duellieren, während andere dabei zuschauen. "Quake" ist also kein Produkt, dass der Spieler allein konsumiert, sondern eher ein Sprachstandard, der ein Zusammentreffen und eine Art sportlichen Wettbewerb ermöglicht. Schon bald gab es Meisterschaften, bei denen die Preise ähnlich hoch dotiert waren, wie bei herkömmlichen Sportarten üblich. Indem sich die "Quake"-Spieler aktiv an der Pflege der "Quake"-Spielergemeinschaft beteiligten, schufen sie aus Sicht der Herstellerfirma ID-Software unentgeltlich einen Mehrwert, der die Attraktivität dieses Spieles zusätzlich steigerte und damit wiederum die "Quake"-Spielergemeinschaft vergrößern half: Eine positive Rückkopplung. Wenn ein bestimmter Sprachstandard erst einmal die kritische Masse an Bekanntheit erreicht hat, wächst er von allein weiter.

Der zweite Grund für den Erfolg von "Quake" war, dass die Software von den Spielern erweitert und modifiziert werden konnte. Durch die teilweise Offenlegung des Quelltextes konnte jeder die Basis des Quake-Programmcodes nutzen, um seine eigenen Ideen zu realisieren. Diese Offenheit der Architektur von Quake führte dazu, dass unzählige Erweiterungen und Modifikationen des Programms entstanden und über das Internet verbreitet wurden. Auch hierdurch wurde ein erheblicher Mehrwert geschaffen, der die Attraktivität des Produkts erhöhte.

Inzwischen sind beide Erfolgsrezepte von Quake - die offene Architektur und die Mehrspielerfähigkeit - in der Computerspielbranche zum Standard geworden. Ein besonders bemerkenswertes Beispiel ist "Ultima Online" von Origin. Dieses Spiel ermöglicht den Einstieg in eine hochkomplexe Parallelwelt, in der sich der Spieler eine langfristige Existenz aufbauen kann. Mehrere tausend Spieler können in der Welt von "Ultima Online" miteinander agieren. Sie spezialisieren sich auf bestimmte Berufe, leben in Dorfgemeinschaften, begründen Freund- und Feindschaften u. s. w. Die Teilnahme an der Spielwelt kostet eine bestimmte Gebühr monatlich. Bezahlt wird über Kreditkarte. Auch hier gibt es eine positive Rückkopplung: Je mehr Zeit der Spieler in "Ultima Online" verbringt und je mehr andere Spieler er dort trifft, die das Spiel gleichfalls ernst nehmen, desto wichtiger wird ihm diese Spielwelt werden.

Die "Betreiber" einer solchen Spielwelt sind weniger ihre "Schöpfer", als ihre "Moderatoren". Die Aufgabe des Künstlers in diesem neuen Medium liegt weniger darin, ein perfektes Werk zu liefern, als andere zum Mitmachen zu motivieren. Künstlerische Innovation wird in derartigen interaktiven Welten stets evolutionär sein, niemals abrupt.

Innovationsfördernd ist das Micropayment-Finanzierungsmodell insoweit, als es die finanzielle Zutrittsschwelle zum Kunstmarkt auf ein Minimum absenkt. Bei den herkömmlichen Massenmedien kostet sowohl die Herstellung des materiellen Informationsträgers wie auch dessen Vertrieb eine erhebliche Menge Geld - die Herstellung eines Buches oder einer CD ist deshalb mit einem hohen finanziellen Risiko behaftet. Im Internet hingegen fallen außerhalb des eigentlichen Schaffungsprozesses keinerlei Herstellungs- oder Vertriebskosten an. Diesem geringen finanziellen Risiko steht die Aussicht gegenüber, auf einem globalen Markt mit gigantischer Kaufkraft einen "Hit" zu landen. Damit ist das Internet das ideale Spielfeld für diejenigen, die in innovative Kunst investieren. Die Vertriebswege für Informationen sind im Internet offener und flexibler als in den herkömmlichen Massenmedien. Newcomer können dort leichter Fuß fassen, als anderswo.

Diese letzte These gilt allerdings nicht ganz uneingeschränkt: Zwar herrscht im Internet in technischer Hinsicht zwischen den konkurrierenden Anbietern weitgehend "Waffengleichheit". Das hat aber zur Folge, dass diejenigen Akteure, die in den herkömmlichen Medien dominieren, versuchen werden, ihren Vorsprung im Internet auf andere Weise zu sichern. Dabei hat der Besitz einer effektiven Marketingstruktur entscheidende Bedeutung. Der Kampf um die besten Plätze im Netz wird folglich mit großem Kapitaleinsatz geführt - was zwangsläufig eine Umformung der Informationsbeziehungen im Internet zur Folge hat. Wenn man effektive Dienstleistungen für Geld kaufen kann, die dabei helfen, die Aufmerksamkeit der Netzteilnehmer zu erlangen, dann drohen diejenigen kleineren Anbieter in die Vergessenheit gedrängt zu werden, die das Geld für diese Dienstleistungen nicht haben.

Aber selbst, wenn man davon ausgeht, dass sich die marktmächtigen Anbieter einen stabilen Vorsprung im Bewusstsein der Netzteilnehmer vor den kapitalschwachen Newcomern, mit denen sie auf dem Markt für unverkörperte Produkte im Internet konkurrieren, kaufen können: Sie werden doch stärker als in anderen Medien von diesen permanent unter Druck gesetzt, offen für neue Trends zu sein und neue kulturelle Bedürfnisse der Kunden möglichst frühzeitig zu erkennen, um ihre Führungsrolle nicht an schnellere Newcomer zu verlieren. Zwar ist der Aufbau einer schlagkräftigen Marketinginfrastruktur im Internet eine kapitalintensive Sache, dennoch ist der Zugang für Newcomer auf dem Markt, der durch Micropayment-Systeme geschaffen wird, leichter als in anderen Massenmedien. Das ist förderlich für künstlerische Innovation.

Evolutionäre Innovation vollzieht sich in einem ständigen "Trial-and-Error"-Verfahren, das immer wieder aufs Neue nach dem (ökonomisch profitablen) kommunikativen Konsens zwischen Künstler und Publikum sucht; das Micropayment-System begünstigt durch seine extrem niedrige Zugangsschwelle derartige künstlerische Experimente. Auf dem Micropayment-Markt wird es deshalb nicht nur Mainstream-Produkte geben, sondern auch künstlerisch wagemutige Werke, die sich an ein innovationsoffenes Publikum richten. Allzu viel Impulse für Neues darf man sich von diesem Finanzierungsmodell allerdings nicht erwarten: Da der für die Wahrnehmung eines bestimmten Kunstwerks jeweils gezahlte Betrag sehr gering ist, lässt sich auf diesem Wege aus Sicht des Künstlers nur dann viel Geld verdienen, wenn viele Leute das Kunstwerk abrufen. Und je mehr ein Kunstwerk im obigen Sinne zum Sprachstandard wird, der eine Gemeinschaft verbindet, desto mehr hängt seine Attraktivität davon ab, dass die Gemeinschaft seiner Nutzer möglichst groß ist. Deshalb zielen Micropayments tendenziell eher auf einen Massenmarkt. Sie eignen sich aber durchaus auch dafür, abseits dieses Massenmarktes zielgruppenspezifische Informationsbedürfnisse zu befriedigen.

 

2. 3. 1. 1. 3. Verleger

Beim Verleger oder Kontextschöpfer handelt es sich um diejenigen, die den inhaltlichen, technischen oder organisatorischen Rahmen zur Verfügung stellen, innerhalb dessen die Künstler kreativ werden können. Ein praktisches Beispiel für einen solchen Zwischenhändler sind Dienste wie Napster oder die Redaktionen von Online-Zeitschriften und Diskussionsforen wie Slashdot. Die Hersteller von Kontext bauen Gemeinschaften auf, indem sie alle Arten von Sprachsystemen im weiteren Sinn erschaffen: Es kann sich hierbei um technische Kommunikationsstandards handeln wie z. B. eine Videospielkonsole, ein Datenträger wie etwa die Minidisc oder ein Betriebssystem, eine Programmiersprache. Oder die Standards können eher inhaltlicher Natur sein - etwa ein bestimmtes Musikgenre, ein etabliertes Festival auf dem jedes Jahr andere Musiker auftreten oder ein Kleidungsstil, den ein Künstler variieren kann, um bei seiner Arbeit nicht von Null anfangen zu müssen, sondern ein bereits vorhandenes Publikum gezielt in dessen Sprache ansprechen zu können. Ein Musikclub oder ein anderer Treffpunkt, eine Musikzeitschrift oder ein Fernsehsender, die - ähnlich wie etwa Viva oder MTV - einen ganz bestimmten Stil propagieren und langfristig gezielt eine Fanszene aufbauen, sind Beispiele hierfür. Es wird zu einer Schlüsselfrage des Internet-Kulturmanagements, wie man virtuelle Gemeinschaften im Internet aufbaut und pflegt. Typischerweise existiert eine Gemeinschaft bzw. ein Sprachstandard nicht nur auf der handwerklich-technischen und auch nicht nur auf der inhaltlichen Ebene, sondern verbindet beide miteinander. Sobald die technischen Verbesserungsmöglichkeiten ausgereizt sind, verlagert sich der Wettbewerb zwischen den konkurrierenden Standards immer mehr auf die inhaltliche Ebene.

Um Geld zu verdienen und wirtschaftlich zu überleben, müssen sie für ihr Inhaltsangebot in der Regel wohl originäres Interesse für die durch das Sprachsystem verbundene Gemeinschaft als solche beim Publikum generieren - um dieses dann durch Werbung oder durch Verkauf des Sprachsystems ans Publikum zu Geld zu machen. Denkbar wäre auch, dass die Künstler sie für die Nutzung des Sprachsystems bezahlen, wie dies derzeit bei Programmiersprachen und anderer Software für Kreative der Fall ist. Denkbar ist natürlich auch, dass sie unmittelbar an der Vermittlung bzw. dem Weiterverkauf des einzelnen Kunstwerks verdienen.

 

Die Abgrenzung zwischen Kontextschöpfer und Künstler ist nicht unproblematisch, denn es gibt keine klare Grenze zwischen dem Sprachsystem und den hierdurch kommunizierten Inhalten. Wer Inhalte kommuniziert, beeinflusst hierdurch stets auch in irgendeiner Form das verwendete Sprachsystem und auch umgekehrt gilt: Die konkrete Beschaffenheit eines Sprachsystems ist nie ohne Einfluss auf die hierin kommunizierten Inhalte. Deshalb lassen sich auch die Rollen des Sprachsystemschöpfers und des Inhaltsschöpfers bzw. Künstlers nicht stets voneinander trennen: In dem Maß, in dem Kunst interaktiv wird und dem Publikum die Möglichkeit zu eigener kreativer Mitwirkung gibt, wird sie zum Kontext. Dann kann sich die Rolle des Kontextschöpfers mit der Rolle des Künstlers überschneiden. In der Praxis führen beide Akteure häufig eine symbiotische Existenz. Insbesondere die Einführung technischer Kommunikationsstandards ist davon abhängig, dass es hierfür attraktive Inhalte gibt. Umgekehrt hängt auch der Erfolg der Inhalte davon ab, dass sie mittels eines Sprachsystems kommuniziert werden, das für sie geeignet ist und hinreichend weit verbreitet ist.

Was für eine Verhaltenspolitik ist im Umgang mit den Künstlern aus Sicht der Kontextschöpfer ökonomisch sinnvoll? Wer eine Gemeinschaft bzw. ein Sprachsystem aufbaut, hat ein Interesse daran, dass es für einen möglichst weiten Benutzerkreis offen ist und von diesem in möglichst unterschiedlichen Situationen verwendet werden kann. Um diese maximale Systemoffenheit zu erreichen, müssen die Kontextschöpfer den Künstlern größtmögliche Freiheit bei der Gestaltung der Inhalte lassen und in dieser Hinsicht möglichst wenig vorab entscheiden. Mit einem Textverarbeitungsprogramm sollte man möglichst alle Arten von Texten erstellen können, mit einer Programmiersprache möglichst alle Arten von Software, usw. Andererseits kann sich ein Sprachsystem gegenüber der Konkurrenz nur durchsetzen, wenn es ein klares Profil, eine klare eigene Identität hat, die es vom Rest abhebt und vorzugswürdig macht. Eine solche Identität kann nur erlangen, wer bereit ist, inhaltliche Entscheidungen zu treffen und hierdurch auch einen Teil des Publikums abzuschrecken.

Wer es hingegen jedem recht machen will, verliert jede eigene Kontur. Das wird dort besonders deutlich, wo die Sprachsysteme nicht primär technischer, sondern inhaltlicher Natur sind: Zwar hat jede Zeitschrift ein natürliches Interesse daran, inhaltlich ein weites Spektrum abzudecken und die unterschiedlichsten Stimmen zu Wort kommen zu lassen, aber das darf nicht dazu führen, dass das redaktionelle Konzept unscharf wird oder ganz fehlt. Auch technische Sprachsysteme sind meist nicht völlig offen, sondern basieren auf einem zentralen (inhaltlichen) Grundgedanken, der den Benutzern bestimmte Möglichkeiten in die Hand gibt, ihnen aber gleichzeitig auch andere Möglichkeiten verschließt. Wenn beispielsweise die Programmiersprache Java auf dem Grundgedanken der Plattformunabhängigkeit basiert, gibt sie damit den Benutzern nicht nur die Möglichkeit, Programme zu schreiben, die auf jedem Computer laufen, sondern nimmt ihnen gleichzeitig die Möglichkeit, die spezifischen Stärken des Windows-Betriebssystems auszunutzen.

Im Ergebnis ist es also für die Hersteller von Kontext am vernünftigsten, wenn sie ihre Gemeinschaft bzw. ihr Sprachsystem in fast jeder Hinsicht so offen wie möglich halten, um es so universell verwendbar wie möglich zu machen. Gleichzeitig müssen sie dem Sprachsystem eine klare Identität geben, indem sie in einem zentralen Punkt auf die Systemoffenheit verzichten und insoweit eine klare inhaltliche Entscheidung treffen. Die von ihnen geschaffene Gemeinschaft braucht als Kern einen klaren Konsens aller Mitglieder über eine bestimmte zentrale inhaltliche Frage. Nur so können sie sich gegenüber der Umwelt abgrenzen und vor der Konkurrenz einen Vorsprung erlangen.

Eine weitere wichtige Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg von Gemeinschaften bzw. Sprachsystemen ist ihre Verlässlichkeit und Stabilität. Da ein Kunstwerk nur dann erfolgreich sein kann, wenn das Sprachsystem, durch das es kommuniziert wird, erfolgreich ist, ist es für Künstler wichtig, einen gut renommierten, weit verbreiteten und zukunftssicheren Standard zu verwenden. Dies begünstigt einen Konzentrationseffekt: Marktmächtige Anbieter haben vor kleineren Konkurrenten selbst dann einen Wettbewerbsvorsprung, wenn Letztere das bessere Produkt haben. Denn beim kleineren Anbieter ist die Gefahr größer, dass er vom Markt verdrängt wird und dann sämtliche Inhalte, die für dieses Sprachsystem erstellt wurden, nicht mehr wahrgenommen werden können. Die Entscheidung für oder gegen einen bestimmten Sprachstandard bzw. eine bestimmte Gemeinschaft birgt für die Künstler ein erhebliches Risiko. Deshalb muß die zukünftige Entwicklung des Sprachsystems vorhersehbar und berechenbar sein. Insbesondere in Hinblick auf die inhaltlichen Vorentscheidungen, die das Sprachsystem trifft, darf es keinen plötzlichen Kurswechsel und keine inneren Widersprüche geben. Denn sonst verlieren die Mitglieder der Gemeinschaft das Vertrauen in das Fortbestehen des inhaltlichen Konsens, der die Gemeinschaft zusammenhält - und werden nicht mehr bereit sein, in diesen Konsens zu investieren, indem sie mit ihrer eigenen Arbeit darauf aufbauen. Eine Gemeinschaft ist ein schwer lenkbarer Tanker, der kaum von seinem einmal eingeschlagenen Kurs abzubringen ist, ohne dass er dabei Schaden nimmt.

Die Herausbildung einer eigenen Identität kann nur durch Verzicht auf sofortige hundertprozentige Marktkonformität erkauft werden: Identität gibt es stets nur um den Preis, dass man in Kauf nimmt, nicht hundertprozentig den bereits vorhandenen Erwartungen des Publikums zu entsprechen. Identität setzt Konfliktbereitschaft voraus. Die Herausbildung einer Identität ist deshalb stets auch eine Investition in die Zukunft; sie bedeutet den Verzicht auf kurzfristigen Profit zum Zwecke einer langfristig höheren Gewinnerwartung. Die Kontextschöpfer, die eine Gemeinschaft mit starkem eigenem Profil herausbilden, verhalten sich anders als die große Menge ihrer Konkurrenten, das heißt: Sie verzichten auf Profitmaximierung; sie verhalten sich suboptimal - mit anderen Worten: Sie verhalten sich ökonomisch unvernünftig. Indem sie dies tun, gewinnen sie Handlungsspielraum, um bestimmte (außerökonomische) Bedürfnisse befriedigen zu können. Wenn die Benutzer des Sprachsystems bzw. die Mitglieder der Gemeinschaft beginnen, auf dieses - aus ökonomischer Sicht unvernünftige - Verhalten zu vertrauen, wächst die Gemeinschaft und wird stabiler. Das in ihr akkumulierte Vertrauen auf den Verzicht auf kurzfristige Profitmaximierung macht den Wert und die Identität der Gemeinschaft aus.

In der Informationsgesellschaft gilt: Identität ist Kapital. Dieses Kapital lässt sich auch langfristig in Geld ummünzen, wenn die Gemeinschaft erst einmal groß genug geworden ist. Geld hat aber im modernen Wirtschaftsleben immer einen Zeitbezug, wer investiert, will sein Geld lieber früher als später zurück haben. Heißt das, dass es aus Sicht der Kontextschöpfer stets einen wirtschaftlichen Druck gibt, die eigene Identität dem kurzfristigen finanziellen Erfolg zu opfern? Wenn man die Entwicklung verschiedener gängiger Gemeinschaften betrachtet, so fällt tatsächlich auf, dass wirtschaftliches Wachstum oft mit einem Verlust an Profil einhergeht. Das klassische Beispiel hierfür sind die Moden der Jugendkultur, die typischerweise als kleine, unkommerzielle Gemeinschaften mit starker Identität beginnen und dann eine Phase raschen Wachstums durchmachen, bis ihr Profil soweit verwässert ist, dass sie ihre Attraktivität einbüßen. Auch Urlaubsorte verlieren ihre kulturelle Identität häufig unter dem Ansturm des Massentourismus. Ein besonders gutes Beispiel ist das Sprachsystem Internet: Jeder, der das Internet schon längere Zeit benutzt, hat in den letzten Jahren miterlebt, wie das enorme Wachstum zu einem Verlust an Gemeinschaftsgefühl zwischen den Netzteilnehmern geführt hat und wie das Netz "banalisiert" wurde.

Es gibt also bei Sprachsystemen bzw. Gemeinschaften einen Zielkonflikt zwischen kultureller Identität und ökonomischer Vernunft. Dieser Zielkonflikt ergibt sich zwangsläufig aus der Grundannahme der Betriebswirtschaftslehre, dass es in jeder Situation ein objektiv vernünftiges, ein "optimales" Verhalten gibt, das sich mit Hilfe einer - wie auch immer gearteten - Entscheidungslehre ermitteln lässt und dass alle Akteure auf dem Markt darum wetteifern, die Vorgaben dieser Entscheidungslehre so exakt wie möglich zu befolgen, um sich "optimal" zu verhalten. Diese Grundannahme bedingt, dass sich das Verhalten der Akteure im Lauf der Zeit zwangsläufig immer weiter aneinander angleicht, da die Marktmechanismen alle Akteure aussieben, die den Vorgaben dieser Entscheidungslehre nicht folgen. Während sich der Künstler diesem Konformitätsdruck dadurch (teilweise) entziehen kann, dass er seine eigenen ästhetischen Ziele mit den Marktzwängen auf überraschende, innovative Weise in Einklang bringt, gibt es diesen Ausweg nicht für diejenigen, die sich dadurch finanzieren, dass sie diese Innovation dem Publikum vermitteln: Kontextschöpfer bzw. Zwischenhändler sind aus den oben genannten Gründen gegenüber Künstlern und Publikum zu stabilem, langfristig berechenbarem Verhalten verpflichtet.

Es fällt auf, dass sich die Rolle der Zwischenhändler bei Werbefinanzierung und Micropayments insoweit gleicht. Sie dürfen die Identität ihrer Gemeinschaft nicht ständig verändern, wenn sie das Vertrauen ihrer Mitglieder nicht verlieren wollen. Die Gemeinschaften und Sprachstrukturen, die sie schaffen, stehen deshalb stärker als die einzelnen Kunstwerke unter wirtschaftlichem Druck zur Marktkonformität. Dies gilt um so mehr, je größer sie werden. Hier wirken ökonomische Zwänge, die künstlerische Innovation erschweren.

 

2. 3. 1. 2. Schlussfolgerungen und Ausblick

Alles in allem ist das Micropayment-System tendenziell eher innovationsfeindlich, da jeder einzelne Bestandteil eines Kunstwerks dem Publikum auf den ersten Blick gefallen muß, um überhaupt nachgefragt zu werden. Es bleibt aber die Möglichkeit künstlerischer Innovation, die nicht durch den abrupten Geniestreich eines Einzelnen herbeigeführt wird, sondern durch eine evolutionäre Entwicklung, die getragen wird von einem Dialog zwischen Künstler und Publikum. Der materielle Informationsträger, der außerhalb des Internet die einzelnen Werkbestandteile miteinander verbindet, ordnet und gegenüber der Außenwelt abgrenzt, fehlt hier. Dies begünstigt eine amorphe, fragmentarische Kommunikationswelt, in der dem Publikum die Orientierung schwerer fallen dürfte, als in herkömmlichen Bereichen. Deshalb verspricht die Schaffung von Kontext, von Gemeinschaften, von Infrastruktur, von Sprachstandards und Informationen über Informationen ein gutes Geschäft zu werden. Wer eine kommunikative Infrastruktur schafft, kann ein wirtschaftliches Interesse daran haben, dass sie auch Zugang zu innovativer Kunst eröffnet. Es kann für den Kontextschöpfer deshalb lohnend sein, innovative Kunst, die am Markt nicht überlebensfähig ist, zu finanzieren. Wenn Kulturmanager dies gezielt ausnutzen, können sie die jedenfalls teilweise die Nachteile kompensieren, die der Wegfall des materiellen Informationsträgers für den Künstler mit sich bringt. Insgesamt sind Micropayments wegen der ihnen immanenten Oberflächlichkeit wohl eher ein ungünstiger Rahmen für Innovation.

Wenn das Micropayment-Finanzierungssystem tatsächlich in nennenswertem Umfang implementiert werden kann, wird dies mit Sicherheit nicht ohne Einfluss auf die hierdurch finanzierten künstlerischen Inhalte bleiben. Kunst kann unter den Gegebenheiten dieses Finanzierungsmodells nur erfolgreich sein, wenn sie an der Oberfläche wirkt und nicht nur in der Tiefe. Wenn sie hingegen ihre Stärken erst nach einer vertieften geistigen Auseinandersetzung offenbart, ist sie bei Finanzierung durch Micropayments aller Wahrscheinlichkeit nach ökonomisch unrentabel. Es ist aber denkbar, dass das Publikum selbst diese systemimmanente Oberflächlichkeit als unbefriedigend empfindet und mit einem Bedürfnis nach einer höheren Informationstiefe bzw. nach mehr Kontext hierauf reagiert. Zwar führt der Wegfall des materiellen Informationsträgers zunächst zu einer Atomisierung von Information, aber da es ein natürliches Bedürfnis des Publikums nach Orientierung, nach inhaltlicher Struktur und nach Kontext gibt, werden die Marktkräfte vermutlich von selbst neue Bezugsrahmen entwickeln, in die sich die Kunstwerke einordnen können.

Zwar gibt es auch bei herkömmlichen Medien die Aufgabe des Programmdirektors oder Art Directors, der dafür verantwortlich ist, welchen Gesamteindruck die einzelnen Beiträge bzw. Kunstwerke beim Publikum hinterlassen und wie jedes einzelne Werk in seiner Wirkung durch die übrigen Werke in seinem Umfeld beeinflusst wird. Diese Aufgabe ist jedoch deshalb vergleichsweise simpel, weil die herkömmlichen Medien durch ihren materiellen Träger stets klar gegenüber der Außenwelt abgegrenzt sind. Es handelt sich um geschlossene, überschaubare Systeme. Das ist im Netz anders: Zwar kann es auch im Internet proprietäre Sprachsysteme geben, die nur für solche Kunstwerke offen sind, die von den Sprachsystemschöpfern redaktionell überprüft und inhaltlich mitgetragen werden. Beispiele hierfür sind die Online-Ausgaben von Printmedien und die großen Online-Dienste, die nur solche Angebote in ihr Programm aufnehmen, die zum redaktionellen Konzept des Dienstes passen.

Die meisten Sprachsysteme stehen aber jedem offen, der sie verwenden möchte und gegebenenfalls bereit ist, hierfür zu bezahlen. Selbst, wenn sich die Systembetreiber eine redaktionelle Prüfung vorbehalten, entstehen aufgrund der niedrigen Kostenschwelle meist ganz von allein so viele Inhalte, dass es für die Systembetreiber unmöglich ist, stets einen vollständigen Überblick hierüber zu behalten. Verschließen sie sich dieser Flut und beschränken sie ihren Sprachstandard auf wenige, sorgfältig ausgewählte Inhalte, dann droht ihr Standard gegenüber den Standards der Konkurrenz an Breitenwirkung zu verlieren und zu einem unattraktiven Nischenprodukt zu werden. Deshalb gehört die Zukunft vermutlich offenen Sprachstandards, für die das Inhaltsangebot nicht überblickbar ist. Es ist damit auch nicht von Seiten der Systembetreiber steuerbar. Damit drohen sie die Kontrolle über das Sprachsystem zu verlieren. Dezentrale, offene Systeme neigen naturgemäß dazu, eine extrem hohe Komplexität zu entwickeln.

Wie können Kulturmanager diese Komplexität beherrschen? Wie können sie Orientierung und Kontext selbst in einem unüberschaubar großen System, das sich ständig verändert, schaffen? Bei dieser Aufgabe liegt es nahe, wiederum auf statistisches Material zurückzugreifen. Der bisherige Erfolg des Künstlers, das Publikum, das er angesprochen hat, erste Reaktionen des Publikums auf sein neues Werk sind Größen, die sich statistisch als Webserver-Traffic messen lassen. Es ist weniger zeitaufwendig, ein Kunstwerk anhand derartiger Daten inhaltlich einzuordnen, als sich ein eigenes Bild von ihm zu machen. Deshalb werden die Kontextschöpfer in Zukunft diese Daten zumindest zur Vorselektion heranziehen. Das verstärkt zusätzlich die beim Micropayment-Modell ohnehin schon stark ausgeprägte Tendenz der Nachfrageorientierung: Kunst, die Erfolg hat, bekommt einen guten Platz im Netz, der ihr hilft, noch mehr Erfolg zu haben. Der Market-Pull entscheidet in allererster Linie darüber, was für Kunst sich durchsetzt.

 

2. 3. 2. Abonnements

Ein weiteres Finanzierungsmodell für Kunst im Internet besteht darin, die Werke nicht einzeln zu vertreiben, sondern sie zu Paketen zusammenzufassen, die der Rezipient abonnieren kann. Dieses Modell entspricht dem eines Buchclubs, Pay-TV-Kanals oder einer Zeitschrift. Es ist von daher nicht erstaunlich, dass Bertelsmann, dessen ursprüngliche Erfolgsstrategie das Buchclub-Konzept war, dieses Modell auf Napster übertragen will. Im Internet gibt es bereits jetzt einen Markt für derartige Abonnementdienste, insbesondere im Bereich der Wirtschaftsinformationen. Da der Kunde sich nur einmal für einen Geschäftsabschluss entscheiden muß, wird er sich diese Entscheidung relativ gut überlegen. Er bezahlt einmal eine größere Summe für einen längeren Zeitraum, deshalb spielen die Transaktionskosten keine Rolle. Kreditkarten eignen sich somit gut als Zahlungsmittel.

Für den Vertrieb von abonnierten Inhalten ist eine mögliche technische Infrastruktur die Mailingliste bzw. der Push-Channel. Die Push-Technologie wurde ursprünglich von der Firma Pointcast entwickelt, die später von Microsoft aufgekauft wurde. Hierbei ruft der Nutzer nicht aktiv eine bestimmte Webseite auf, die er sich durchliest, um anschließend ein weiterführendes Hyperlink auf der Seite zu wählen. Vielmehr rezipiert er einen ständigen Strom ausgewählter Informationen. Man kann sich einen Push-Channel als eine Art Fernsehprogramm mit schmaler Bandbreite und im Vergleich zum Web beschränkter Interaktivität vorstellen. Bis jetzt hat die Push-Technologie nicht den großen Erfolg gehabt, der ihr ursprünglich vorhergesagt wurde. Das könnte daran liegen, dass die Nutzer lieber gezielt nach Informationen suchen, die sie wirklich interessieren, als sich berieseln zu lassen, solange sie beim Internet-Surfen die Telephon- und Providergebühren zahlen müssen. Zudem erschwert die derzeit niedrige Bandbreite des Internets die Gestaltung eines Programms, das auch dann fesselnd ist, wenn es nicht genau den momentanen gezielten Informationsbedürfnissen des einzelnen Netzteilnehmers entspricht. Eine mögliche andere technische Infrastruktur ist ein persistenter Informationspool wie die Napster-Datenbank.

Es soll untersucht werden, inwieweit die Machtverhältnisse und Informationsgefälle zwischen den Akteuren in diesem Modell anders sind, als beim Micropayment-System und wie sich das auf die Finanzierbarkeit innovativer Kunst auswirkt.

 

2. 3. 2. 1. Beteiligte Akteure

Die beteiligten Akteure sind im Wesentlichen dieselben wie beim Micropayment-System. Die diesbezügliche Wertschöpfungskette wird in Abbildung 4 dargestellt:

 

2. 3. 2. 1. 1. Publikum

Bei einer langfristig angelegten Kommunikationsbeziehung wie Abonnements entsteht beim Publikum mit der Zeit eine breite Verständigungsbasis an gemeinsamem Wissen. Dieses gemeinsame Wissen können die Künstler als bekannt voraussetzen und hierauf aufbauen, um auf diese Weise auch solche Kunstwerke an das Publikum heranzutragen, die auf den ersten Blick nicht zugänglich sind, sondern auf eine differenziertere Wahrnehmung und auf einen entsprechenden Wissensbackground angewiesen sind. Ein Abonnement ist immer auch eine Gemeinschaft mit eigener Identität. Ein Künstler, der sein Publikum über den Kommunikationskanal eines Abonnementdienstes anspricht, weiß ungefähr, was dieses kennt, fühlt und denkt - er muß nicht bei jedem neuen Werk wieder von Null anfangen. Hinzu kommt ein weiterer Vorteil: Die Kunden von Abonnements haben die grundsätzliche Entscheidung getroffen, dass sie regelmäßig über Neuigkeiten in dem Themenkreis des Abonnementdienstes informiert werden wollen. Deshalb werden sie viel offener für Neues sein, das über den Abonnementdienst an sie herangetragen wird, als im Micropayment-System. Schließlich bürgt die Redaktion des Abonnementdienstes dafür, dass alles, was dort erwähnt wird, wichtig ist und der Mühe wert, sich damit zu befassen.

Ein Abonnementdienst grenzt - ähnlich wie ein materieller Informationsträger außerhalb des Internet - die auf diesem Wege kommunizierten Inhalte gegenüber der Außenwelt ab. Gleichzeitig stellt es einen Bezug zwischen den verschiedenen Inhalten her. Denn so unterschiedlich die verschiedenen Inhalte innerhalb eines Abonnementdienstes auch sein mögen, immerhin hält die Redaktion sie ja alle für geeignet, zumindest bei einem Teil der Abonnenten auf Interesse zu stoßen. Weil die Abonnenten auf diese Einschätzung der Redaktion vertrauen, werden sie sich auch mit solchen Inhalten befassen, die nicht auf sofort erkennbare Weise an ihre bereits vorhandene Interessen anknüpfen. Abonnements haben im Internet eine praktische Bedeutung im Bereich der Wirtschafts- bzw. Brancheninformationsdienste erlangt; hier fällt ihre Stärke besonders ins Gewicht, den Abonnenten auch solche Nachrichten nahezubringen, deren Wichtigkeit für diese nicht auf den ersten Blick erkennbar ist. Aus diesen beiden Gründen sind Abonnements grundsätzlich gut dazu geeignet, innovativer Kunst ein Publikum zu verschaffen.

Das Publikum eines Abonnementdienstes ist hinsichtlich seiner Interessen und seines Wissensbackgrounds selbstverständlich nie völlig homogen. Aus der Sicht der Redaktion gibt es innerhalb des Publikums ein gemeinsames Interessenzentrum, einen harten Kern an inhaltlicher Substanz und Identität, der nicht immer wieder in Frage gestellt werden darfEs gibt aber auch thematische Randzonen, welche die Interessen bzw. Ansichten einer Minderheit der Abonnenten wiedergeben. Diese Randzonen können möglicherweise nach einiger Zeit ins thematische Zentrum rücken und auch bei der Mehrheit der Abonnenten auf Interesse stoßen. Sie sind Keimzellen der Innovation. In einem Abonnementdienst gibt es also sowohl einen gemeinsamen Konsens, wie auch ein kontrolliertes Maß an Dissens bzw. Überraschung. Diese Mischung erleichtert künstlerische Innovation. . Die Redaktion als Zwischenhändler hat also auch in diesem Finanzierungsmodell die Aufgabe, die richtige Balance zwischen Berechenbarkeit und Innovation zu finden. Deshalb kann das Publikum hier auch leichter offen für völlig neue Ansätze sein, nicht nur für langsame, evolutionären Innovation wie beim Micropayment-System.

 

2. 3. 2. 1. 2. Künstler

Da im Internet keine Kosten für die Herstellung und den Vertrieb eines materiellen Datenträgers entstehen, ist die Kostenschwelle relativ niedrig. Jedermann kann technisch gesehen selbst zum Informationsanbieter werden. Das gilt bei Abonnements allerdings nicht im selben Maße wie bei Micropayments, da zum Aufbau eines Abonnementdienstes ein längerfristiges Engagement notwendig ist, das zeitlichen und finanziellen Spielraum voraussetzt.

 

2. 3. 2. 1. 2. 1. Redakteur als Filter

Allerdings steht der Zugang zum Abonnementsystem (im Gegensatz zum Micropayment-System) nicht jedem Künstler offen. Ein Künstler hat hierzu nur dann Zugang, wenn er die Redaktion des Abonnementdienstes von der Qualität seines Werks überzeugen kann. Das Produkt, das die Redaktionen der Abonnementdienste an ihre Kunden verkaufen, gewinnt seinem Wert durch das Vertrauen der letzteren darauf, dass es den Redaktionen gelingt, die richtigen Trends zu erkennen und die Inhalte dementsprechend auszuwählen, kurz: Wesentliches von Unwesentlichem zu trennen. Um dieses Vertrauen nicht zu zerstören und ihre eigene Existenz nicht in Frage zu stellen, müssen die Redaktionen bei der Auswahl der Inhalte äußerst vorsichtig und kritisch - wenn auch nicht engstirnig - sein. Obwohl es für die Zwischenhändler kaum mit Kosten verbunden ist, wenn sie zusätzliche Werke unbekannter Künstler in das Programm des Abonnementdienstes aufnehmen, ist es aus Sicht der Künstler somit doch eine große Hürde, die Redaktionen von der Qualität ihrer Werke zu überzeugen.

Die Redaktionen haben eine Filterfunktion. Das ist aus Sicht der Künstler insoweit positiv, als es den einmal ins Programm aufgenommenen Werken hilft, beim Publikum Beachtung zu finden. Die negative Kehrseite ist aber, dass es dementsprechend schwer ist, ins Programm aufgenommen zu werden. Stehen innovative Künstler im Vergleich zu affirmativen Künstlern hier vor einer besonders diffizilen Aufgabe? Zwischenhändler werden ihr Programm mit Sicherheit sorgfältig zusammenstellen und sich mit den ihnen angebotenen Inhalten intensiv auseinandersetzen, schließlich ist das ja ihr Beruf. Sie haben zudem ein berufliches Interesse daran, neue Trends früher als ihre Konkurrenten zu erkennen. Bei der Zusammenstellung ihres Programms müssen sie stets auch einen Anteil an Neuartigem einfließen lassen, um interessant zu bleiben. Außerdem erwerben sie durch ihre Arbeit einen breiten Wissenshorizont, der ihnen die Einordnung eines unbekannten Werkes erleichtert. Der Redakteur ist ein professioneller und deshalb relativ geduldiger Zuhörer, verglichen mit dem reizüberfluteten Publikum. Deshalb können Redakteure eher als das Publikum erkennen, ob sich im ungewohnten Gewand neuartiger Kunst attraktive Inhalte verbergen, oder nicht. Aus diesen Gründen erleichtert die Zwischenschaltung eines "redaktionellen Filters" es dem Künstler eher, das Publikum mit einem neuartigen Werk zu erreichen, als dass es ihm diese Aufgabe schwerer macht.

Da es für den Künstler einen großen Aufwand bedeutet, die Redaktion eines Abonnements von sich und seinen Werken zu überzeugen, ist es für ihn in der Regel ökonomisch nicht sinnvoll, seine Werke über mehrere Abonnementdienste zu verbreiten. Das gilt jedenfalls so lange, als er noch nicht so bekannt ist, dass er gegenüber den Redaktionen eine starke Verhandlungsposition hat - das ist aber gerade der künstlerische Newcomer, der ein völlig neuartiges Werk verbreiten will, normalerweise (noch) nicht. Aufgrund dieser schwachen Verhandlungsposition gerade innovativer Künstler gegenüber den Redaktionen wird ein Künstler einem Abonnementdienst, bei dem er erst einmal Fuß gefasst hat, meist treu bleiben - ähnlich wie auch freie Journalisten meist auch nur für eine oder wenige Zeitungen schreiben. Hierdurch geraten die Künstler in eine wirtschaftliche Abhängigkeit. Es besteht die Gefahr, dass sie - anstatt dass sie versuchen, die Redakteure von der Qualität ihrer Werke zu überzeugen - sich bei der Schöpfung ihrer Werke an den Erwartungsmaßstäben der Redakteure orientieren und sich zu stark an die bereits vorhandene inhaltliche Tendenz des Abonnementdienstes anpassen.

Der Markt für Abonnementdienste ist im Verhältnis zwischen Redaktion und Kundschaft ein Push-Markt (angebotsorientierter Markt), da sich die Redaktion bei der Auswahl der Inhalte nicht primär an den Erwartungen des Publikums orientiert, sondern an ihren eigenen Qualitätsmaßstäben. Grund hierfür ist der Informationsvorsprung der Redaktion gegenüber der Kundschaft. Umgekehrt ist es aber im Verhältnis zwischen Zwischenhändler und Künstler: Da viele Künstler miteinander darum konkurrieren, dass ihre Werke in das Angebot der Abonnementdienste aufgenommen werden, sind sie gegenüber den Redaktionen in einer sehr schwachen Verhandlungsposition. Deshalb werden sie sich bei der Arbeit eher von den inhaltlichen Erwartungen der Redaktionen leiten lassen, als von ihren eigenen ästhetischen Vorstellungen. Hier handelt es sich also um einen Pull-Markt (nachfrageorientierten Markt). Das erschwert künstlerische Innovation deshalb, weil der innovative Künstler nicht nur vor der (ohnehin schon schweren) Aufgabe steht, die neuartige Qualität seines Werkes dem Publikum zu vermitteln, sondern zusätzlich auch noch den Redakteur dazu bewegen muß, dieses Werk inhaltlich mitzutragen, indem er es in das Angebot des Abonnementdienstes aufnimmt. Je neuartiger das Werk ist, desto weniger wird es sich in das vorhandene redaktionelle Konzept eines Dienstes einfügen. Gerade wirklich neuartige Kunst wird deshalb häufig nicht durch den "redaktionellen Filter" passen.

 

 

Der Redakteur muß aus einer Vielzahl von Werken, die ihm angeboten werden, diejenigen auswählen, die aus Sicht der Abonnenten besonders relevant sind. Er ist also einer ständigen Informationsflut ausgesetzt, aus der er einen kleinen Teil herausfiltern muß. Hierbei steht er unter Zeitdruck und kann sich mit dem einzelnen Werk nur kurz auseinandersetzen. Deshalb besteht die Gefahr, dass der Redakteur nicht jedem Werk auf seine Weise gerecht werden kann und nicht das ästhetische Ziel erkennt, das der Künstler anstrebt und an dem er gemessen werden will. Es drohen beim Redakteur im Laufe der Zeit starre "Leitbilder" davon zu entstehen, wie Kunst zu sein hat und anhand welcher Qualitätsmaßstäbe sie gemessen werden muß. Es besteht die Gefahr, dass der redaktionelle Zwischenhändler unter der ständigen Flut verschiedenster Werke schließlich glaubt, besser als die Künstler zu wissen, was künstlerische Qualität ist (was ja in vielen, aber eben nicht allen Fällen durchaus stimmen mag). Deshalb werden Abonnementdienste typischerweise nicht die Bühne sein, auf der neuartige Kunst zum allerersten Mal in der Öffentlichkeit auftaucht. Bevor sie die Zugangsschwelle zu den Abonnementdiensten überwinden kann, wird neuartige Kunst sich in der Regel erst auf andere Weise einen gewissen Bekanntheitsgrad bei einem kleinen Szenepublikum erarbeiten müssen - der Künstler muß also zunächst erfolgreich Eigenwerbung betreiben und zeigen, dass er grundsätzlich in der Lage ist, Interesse für sein Werk zu wecken. Erst wenn ihm das gelungen ist, kann er die Abonnementdienste als Multiplikatoren nutzen, um sein Publikum zu vergrößern.

 

2. 3. 2. 2. Schlussfolgerungen

Die große Stärke einer Finanzierung durch Abonnements ist, dass innovative Kunst hier Teil eines Gesamtangebots wird und hierdurch vom Zwang zur sofortigen Rentabilität befreit wird. Innovation funktioniert wirtschaftlich am Besten dann, wenn sie an bereits Etabliertes anknüpfen kann. Das ist bei Abonnements eher der Fall als bei Micropayments. Allerdings droht die Förderung künstlerischer Innovation als langfristiges redaktionelles Ziel gegenüber kurzfristigen redaktionellen Zielen ins Hintertreffen zu geraten. Dann wird der redaktionelle Filter für den Künstler zur innovationshemmenden Blockade. Deshalb sollte man die Suche nach Innovation auf Zwischenhändler auslagern, die allerdings keinesfalls eine Monopolstellung haben dürfen. Hier gibt es ein Betätigungsfeld für Kulturmanager.

Die Übertragungsbandbreite im Internet wird spätestens mit der flächendeckenden Einführung von Breitband-Übertragungstechniken wie ADSL so groß werden, dass Fernsehen und Internet miteinander verschmelzen werden. Gleichzeitig werden - aufgrund der Beseitigung der Monopole im Ortsbereich - die Telekommunikationskosten in Europa ähnlich fallen, wie sie das in den USA bereits getan haben. Dann werden auch die Push-Channels möglicherweise den Erfolg haben, der ihnen ursprünglich prophezeit wurde, der allerdings bis heute ausgeblieben ist. Im Bereich des Fernsehens hat der Pay-TV-Kanal Premiere 1998 erstmalig die Gewinnschwelle überschritten. Es spricht also einiges dafür, dass Abonnementdienste in Zukunft eine große wirtschaftliche Bedeutung haben werden. Die Informationsflut schafft beim Publikum ein Bedürfnis nach Qualitätsfiltern. Der Aufbau einer Abonnementdienstes ist ein ziemlich kapitalintensives Geschäft, da es lange Zeit dauert, bis so viele Abonnenten gewonnen sind, dass der Return-Of-Investment-Point überschritten werden kann. Hier ist die finanzielle Zugangsschwelle wohl so hoch, dass die etablierten Verleger den Markt weitgehend ohne nennenswerte Konkurrenz durch Newcomer unter sich aufteilen werden.