Während in den vorangegangenen Kapiteln jeweils ein Teilbereich isoliert für sich betrachtet wurde, sollen die auf diese Weise gefundenen Zwischenergebnisse nun zusammengeführt werden. Dabei muß man die Wechselwirkungen im Auge behalten, die es zwischen den drei Teilbereichen Recht, Technik und Ökonomie gibt. Da es sich bei den Teilbereichen nicht um maschinenähnliche, in sich geschlossene Subsysteme handelt, sondern um ineinander verzahnte und voneinander abhängige unvollständige Ausschnitte eines einheitlichen Gesamtsystems, beeinflussen sie sich gegenseitig. Diese Einflüsse lassen sich selbstverständlich nicht in einer Formel vollständig und abschließend erfassen, wie dies z. B. bei den Einflüssen, die physikalische Körper wie etwa Planeten aufeinander haben, möglich ist. Man muß aber im Hinterkopf behalten, dass die isolierte Betrachtung der einzelnen Teilbereiche im Rahmen dieser Arbeit eine praktisch notwendige Vereinfachung beinhaltet.
5. 1. Kulturmanagement im Internet: Der Aufbau von Gemeinschaften
Bei der Untersuchung der ökonomischen Aspekte wurde deutlich, dass innovative Kunst im Regelfall nicht sofort vom Publikum nachgefragt wird. Das Publikumsinteresse muß zunächst aufgebaut werden – das kann ein mühsamer und langwieriger Prozess sein. Der Schwerpunkt der Arbeit eines Kulturmanagers liegt im Internet also nicht unbedingt darauf, das künstlerische Produkt an sich realisieren zu helfen. Weitaus wichtiger ist es fast immer, für das Produkt ein Publikum aufzubauen; eine Gemeinschaft von Interessierten, die sich mit ihrem Interesse gegenseitig stimuliert und weitgehend selbst trägt. Im günstigsten Fall wächst die Gemeinschaft dann von allein weiter, ohne dass es gestaltender Eingriffe durch den Kulturmanager bedarf. Je mehr sich der Wachstumsprozess der Gemeinschaft und das kommunikative Leben in ihr verselbständigen und je weniger der Kulturmanager dieses Wachstum gezielt stimulieren muß, desto größer wird allerdings auch die Gefahr, dass die Kontrolle über das Selbstverständnis der Gemeinschaft und ihr Bild in der Öffentlichkeit verloren geht. Wenn dies geschieht, verlieren das Kunstwerk und die um es gebildete Gemeinschaft möglicherweise ihr markantes Profil und werden Teil des kulturellen Allgemeinguts.
Deshalb muß ein Kulturmanager, der ein bestimmtes Kunstwerk bekannt machen will, zwar einerseits den Bekanntheitsgrad des Kunstwerks dadurch fördern, dass er eine aktive Gemeinschaft um das Kunstwerk herum aufbaut und – wenn möglich – eine Art von Kult entstehen lässt. Gleichzeitig darf diese aktive Rolle des Publikums nicht soweit gehen, dass es eine Definitionsmacht über das Kunstwerk bekommt, die mit der des Künstlers ganz oder ungefähr gleichwertig ist. Denn sonst verliert das Kunstwerk sein Profil und wird damit über kurz oder lang uninteressant. Eine Gemeinschaft muß wachsen und sich weiterentwickeln, um zu überleben. Sie muß sich aber gleichzeitig auch gegenüber der Umwelt abgrenzen, um ihre Identität zu wahren.
Dieser Balanceakt zwischen Identität und Offenheit, zwischen Marketing und Gewinnerzielung, zwischen Kontrolle und Freiheit ist die zentrale Aufgabe von Kulturmanagern im Internet. Kulturmanager sind typischerweise Zwischenhändler. Der Künstler selbst kann diese Aufgabe in der Regel nicht so gut wahrnehmen, da ihm zu seinem eigenen Kunstwerk in der Regel die kritische Distanz fehlen wird. Dieser Balanceakt lässt sich zwar aus ökonomischer, technischer oder juristischer Sicht betrachten, findet aber nicht nur isoliert auf einer dieser drei Ebenen statt, sondern ist eine interdisziplinäre Aufgabe, die eine Gesamtbetrachtung der drei Ebenen erforderlich macht. Unter diesem Blickwinkel sollen die Zwischenergebnisse der vorherigen Kapitel noch einmal kurz zusammengefasst werden, bevor im Anschluss eine Gesamtbetrachtung vorgenommen wird.
5. 1. 1. Der Aufbau von Gemeinschaften als ökonomische Aufgabe
Aus ökonomischer Sicht erscheint die Gradwanderung zwischen Offenheit und Kontrolle als Gradwanderung zwischen Eigenwerbung und Vermarktung eines urheberrechtlich geschützten entgeltlichen Produkts. Ein gewisses Maß an Eigenwerbung ist nötig, damit eine kritische Masse an Publikumsinteresse erreicht werden kann, die Grundvoraussetzung dafür ist, dass das Kunstwerk als (urheberrechtlich geschütztes) Produkt erfolgreich vermarktet werden kann.
Meistens hat der Künstler nur einen eingeschränkten ökonomischen Spielraum, der dem Maß an möglicher Eigenwerbung Grenzen setzt: Man muß finanziell unabhängig sein, damit man als Künstler seine Werke verschenken und auf diese Weise bekannt werden kann. Aber auch in außerökonomischer Hinsicht ist ein Maximum an Eigenwerbung nicht optimal: Ein Künstler, der seine Werke verschenkt, wirkt leicht unprofessionell und macht den Eindruck, als glaube er selbst nicht daran, dass jemand bereit sein könnte, für seine Werke zu zahlen. Der verlangte Preis ist auf intransparenten Märkten wie dem Kunstmarkt ein wichtiger Indikator dafür, wie der Verkäufer selbst den Marktwert seiner Ware einschätzt. Wenn das Publikum den Eindruck gewinnt, dass der Künstler ihm sein Produkt quasi aufdrängen will, wird es jedes Interesse an dem Kunstwerk verlieren. Je höher die allgemeine Reizüberflutung ansteigt, desto sorgfältiger wird das Publikum auswählen, wofür es seine Zeit aufwendet. Bei kostenloser Kunst wird es leicht den Eindruck haben, seine Zeit zu verschwenden. Ein Bedürfnis entwickelt man in der Regel nur nach etwas, das man nicht ohne weiteres jederzeit haben kann. Deshalb ist ein gewisses Maß an künstlicher Knappheit auch nötig, um die Sinne des Publikums in der allgemeinen Reizüberflutung für ein bestimmtes Kunstwerk zu öffnen.
In der Frühphase des Aufbaus einer Gemeinschaft dominiert die Eigenwerbung gegenüber der künstlichen Knappheit. Ein unbekannter Maler kann nicht von Anfang an hohe Preise für seine Gemälde erzielen, weil er sich erst eine Fangemeinde schaffen muß; eine unbekannte Band wird nicht als erste Platte eine limitierte Hochpreis-Sammleredition herausbringen, das erste Buch eines unbekannten Schriftstellers sollte nicht zu schwer verständlich sein u. s. w. Ein unbekannter Künstler muß es seinem Publikum so leicht wie möglich machen, ihn zu verstehen, er muß sich "nachfrageorientiert" verhalten – das Publikum ist innerhalb des künstlerischen Kommunikationsprozesses bei unbekannter Kunst in einer relativ bestimmenden, aktiven Rolle, der Künstler in einer relativ berechnenden, passiven Rolle. Gleichzeitig muß aber gerade ein unbekannter Künstler darauf bedacht sein, dass seine Werke markant und so spektakulär wie möglich sind, damit sie sich aus der Masse (gleichfalls) unbekannter Kunst herausheben.
Bei aller Nachfrageorientierung muß ein Kunstwerk gleichzeitig auch einzigartige Eigenschaften haben, die unter keinen Umständen in Frage gestellt werden dürfen. Eine Gemeinschaft kann sich nur dann um ein Kunstwerk herum bilden, wenn es eine unverwechselbare und verlässliche Identität hat. Je größer und erfolgreicher die Gemeinschaft wird, desto wichtiger wird die Abgrenzung der Gemeinschaft nach außen und die künstliche Knappheit der in ihrem Mittelpunkt stehenden Kunst: Zwar kann ein bekannter Künstler oder Schauspieler relativ mühelos eine Menge Geld damit verdienen, dass er in Werbespots auftritt u. s. w., wenn er aber von dieser Einnahmequelle zu reichlichen Gebrauch macht, profaniert er sein Bild in der Öffentlichkeit und entwertet seine Kunst. Ein bekannter Künstler muß auch deshalb das Image, das die Öffentlichkeit von ihm hat, ab und zu variieren und vorhandene Erwartungsmuster durchbrechen, um die Aufmerksamkeit des Publikums wach zu halten. Er muß sich also "angebotsorientiert" verhalten, d. h. mit seinem Angebot die Erwartungen des Publikums bestimmen, und nicht umgekehrt – er ist innerhalb des künstlerischen Kommunikationsprozesses in einer relativ aktiven, prägenden Rolle, das Publikum in einer relativ passiven Rolle.
5. 1. 2. Der Aufbau von Gemeinschaften als technische Aufgabe
Aus technischer Sicht ist der Aufbau von Gemeinschaften in erster Linie eine Frage der Standardsetzung. Eine bestimmte Kommunikationstechnologie kann auf dem Markt nur erfolgreich sein, wenn es ihr gelingt, eine kritische Masse an Publikumsakzeptanz zu erreichen. Das kann für Kulturmanager, die im Internet Kunst managen wollen, wichtig sein, weil die Verwendung bestimmter technischer Standards oft über den maximal möglichen Verbreitungsgrad von Kunst mitentscheiden kann. In dieser Hinsicht unterscheidet sich Technik nicht von Kunst. Auch hier muß eine Gemeinschaft von Nutzern aufgebaut werden. Solange ein bestimmter technischer Standard noch neu ist und sich noch nicht etabliert hat, überwiegt das Eigenwerbungsinteresse des Herstellers gegenüber seinem Interesse, unmittelbar sofort Gewinn zu machen.
Bei der Technik – insbesondere bei der Kommunikationstechnik – stellt ein hoher Verbreitungsgrad einen derart entscheidenden Wettbewerbsvorteil gegenüber den Mitbewerbern dar, dass das Bedürfnis, sich als Anbieter durch ausgefallene oder innovative Lösungen ein markantes Profil zu schaffen, demgegenüber in den Hintergrund tritt. Oft haben sich Lösungen, die technisch eigentlich nicht optimal waren, aufgrund ihres hohen Verbreitungsgrades gegenüber technisch überlegenen Alternativlösungen mit geringerem Verbreitungsgrad durchgesetzt. Ähnlich, wie ein bekannter Künstler in einer aktiven, die Nachfrage prägenden Rolle ist, muß sich ein marktdominanter Anbieter nicht an der bestehenden Nachfrage orientieren, sondern kann diese unter Umständen erst gezielt schaffen. Während künstlerische Inhalte stets in gewissem Maß neuartig und andersartig sein müssen, um interessant zu sein, soll Technik möglichst funktionell, benutzerfreundlich und unauffällig sein, kurz: Möglichst wenig Aufmerksamkeit von ihrem Benutzer verlangen. Allerdings geht es auch im Bereich der Technik nicht nur darum, einen Standard zu (be-)setzen, sondern auch darum, der Zeit bzw. den Mitbewerbern wenn möglich voraus zu sein und dem Markt neue Impulse zu geben. Es geht also auch hier nicht nur um Offenheit, sondern auch um Abgrenzung.
Wer Kunst und Kommunikation (im Internet oder Offline) technisch realisieren will, muß in der Regel einen Kompromiss zwischen der technisch bestmöglichen Lösung und einer Lösung mit maximaler Reichweite machen. Jeder Webseitendesigner kennt das Dilemma zwischen den unvereinbaren Zielen einer optimalen Darstellung einerseits und einer erträglichen Ladezeit für diejenigen, die nur über eine niedrige Bandbreite verfügen, andererseits. Ebenso stoßen die Entwickler von Computerspielen nicht deshalb an die (technischen) Grenzen des Machbaren, weil sie ihre Ideen nicht mit der vorhandenen Technik umsetzen könnten – sondern deshalb, weil Computerspiele nur dadurch für einen genügend großen Kundenkreis erreichbar werden, dass das Spiel auf eine bereits etablierte, weit verbreitete Abspielplattform zugeschnitten wird, die naturgemäß nicht dem aktuellen Stand der Technik entspricht. Das Technisch maximal Machbare hängt also von der Zusammensetzung und Größe der angepeilten Zielgruppe ab, diese wiederum von den konkreten Inhalten – ein weiteres Beispiel dafür, dass technische Fragen und inhaltliche Fragen immer untrennbarer miteinander verschmelzen.
Kulturmanager können die Tatsache, dass die Hersteller von Kommunikationstechnologie auf einen weitestmöglichen Verbreitungsgrad angewiesen sind, für die Kunst nutzbar machen: Eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg eines bestimmten technischen Standards ist, dass es attraktive Inhalte hierfür gibt. Die Zugkraft attraktiver Inhalte wird von den Technologieherstellern deshalb bewusst als Marketinginstrument eingesetzt. Sie sind aus diesem Grund bereit, dafür zu bezahlen, dass ein Grundstock an attraktiven kommunikativen Inhalten für einen neuen technischen Standard geschaffen bzw. in diesen Standard konvertiert wird. Das können Kulturmanager ausnutzen, um neue Wege zur Finanzierung von Kunst zu finden. Auch hier wird die Software nicht als eigenständiges Produkt vermarktet, sondern fungiert als wertsteigernder Inhalt für eine bestimmte Hardware- oder Softwareplattform bzw. als Grundlage einer Beratungsleistung. Sie hilft, die Aufmerksamkeit des Publikums auf ein bestimmtes Produkt zu lenken bzw. ein Bedürfnis nach diesem Produkt zu schaffen.
Besonders bei der Darstellung der technischen Infrastruktur zum Schutz von Urheberrechten wurde deutlich, wie die Macht über einen technischen Standard zur sozialen Gestaltungsmacht werden kann. Denn die Kommunikationstechnik ist der Vertriebsweg. Das ist vor allem dann problematisch, wenn die Kommunikationstechnologie von einem der beiden Kommunizierenden einseitig in ihrer Ausgestaltung beeinflusst werden kann, ohne dass dies für den anderen Kommunizierenden transparent bzw. nachvollziehbar wäre. Ein Inhaltsanbieter, der einen bestimmten technischen Standard kontrolliert, kann dies ausnutzen, um konkurrierende Inhaltsanbieter vom Markt zu verdrängen – vor allem für kleinere Anbieter ist diese Gefahr groß. Das gilt insbesondere dann, wenn – wie beim Internet – die technische Infrastruktur der Vertriebsweg und das Werbemedium ist. Hierdurch wird künstlerische Innovation erschwert. Das Wettbewerbs- und Kartellrecht ist das einzige Instrument, das einen derartigen Machtmissbrauch verhindern kann. Im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie hat es deshalb eine zentrale Funktion. Die Chancen, die neue Technologien für künstlerische Innovation bieten, können am besten genutzt werden, wenn technische Standards offengelegt werden und dezentral weiterentwickelt werden können.
5. 1. 3. Der Aufbau von Gemeinschaften als juristische Aufgabe
Aus juristischer Sicht gibt es beim Aufbau von Gemeinschaften zwei zentrale Problemkomplexe: Erstens geht es darum, die Rechten und Pflichten der Gemeinschaftsmitglieder untereinander zu definieren, zweitens um die Abgrenzung der Gemeinschaft nach außen.
Bei der ersten Aufgabe, der Definition der Rechte und Pflichten innerhalb der Gemeinschaft, ist das informelle Recht wesentlich wichtiger, als das formelle Recht: Da sich die Mitglieder der Gemeinschaft untereinander kennen und ein gemeinsames Interesse daran haben, den Konflikt zwischen ihnen beizulegen, kann man im Normalfall davon ausgehen, dass sie interne Konflikte informellrechtlich bewältigen werden, anstatt vor Gericht zu ziehen. Dass heißt nicht, dass eine klare Rollenverteilung entbehrlich wäre: Auch in Vereinen und anderen Interessen- bzw. Arbeitsgemeinschaften werden diese Dinge meist klar vereinbart und häufig sogar schriftlich fixiert, weil dies die Grundlage für eine reibungslose Zusammenarbeit ist: Recht gibt es nicht nur dort, wo es gerichtlich durchgesetzt wird. Die theoretische Möglichkeit, die eigenen Rechte notfalls auch vor Gericht geltend machen zu können, kann aber immerhin ein nützliches Mittel sein, um das Vertrauen der Mitglieder zueinander und in die Verbindlichkeit der zwischen ihnen getroffenen Vereinbarungen zu erhöhen.
Bei der Definition der Rechte und Pflichten der Gemeinschaftsmitglieder geht es um Fragen, die für das Gedeihen der Gemeinschaft von zentraler Bedeutung sind: Wer soll die Definitionsmacht über das Bild der Gemeinschaft nach außen haben? Wie werden die Mitglieder motiviert, sich in die Gemeinschaft einzubringen? Wie wird definiert, was innerhalb der Gemeinschaft verbindlicher Konsens ist? Natürlich handelt es sich hierbei um Fragen, die keineswegs nur eine juristische Dimension haben, sondern ebenso gut als ökonomische, soziologische, politologische oder informationstechnische Fragen angesehen werden können – es liegt in der Natur des informellen Rechts, dass es sich nur begrenzt verwissenschaftlichen bzw. einer bestimmten Wissenschaftsdisziplin zuordnen läßt.
Bei der Untersuchung der rechtlichen Bindungen wurde festgestellt, dass die formellrechtlichen Bindungen gegenwärtig meist als ein Instrument zur Absicherung gegen Prozessrisiken gesehen werden und demgemäss einseitig zu Gunsten der verhandlungsstärkeren Seite ausgestaltet werden. Die weitaus wichtigere eigentliche Funktion des Rechts - soziale Beziehungen verbindlich zu definieren, Interessenkonflikte aufzulösen und hierdurch Verlässlichkeit und Berechenbarkeit zu schaffen – wird hierbei meist übersehen. Die Interessen der verhandlungsschwächeren Seite werden allenfalls dadurch berücksichtigt, dass für sie nachteilige rechtliche Bindungen, die ihr aufdiktiert werden, nur teilweise in die Praxis umgesetzt werden. Dieses Verständnis von Recht als einem Machtinstrument des Stärkeren trägt mit zu der gegenwärtig vor allem im Kulturbereich weit verbreiteten Ablehnung des formellen Rechts insgesamt bei.
Die Inhalteanbieter, die ihr Publikum mit Lizenzverträgen binden, würden davon profitieren, wenn sie bei der Vertragsgestaltung mehr den Interessenausgleich und weniger die Risikoabsicherung im Auge hätten. Gerade beim Vertrieb von Kunst und Kultur über das Internet ist die Vertragsgestaltung zwischen Künstler, Zwischenhändler und Publikum untrennbarer Teil des unternehmerischen Geschäftsmodells; ein wesentliches und nachträglich nur noch schwer veränderbares Stück der eigenen Identität, auf dessen konkrete Ausgestaltung man allergrößte Aufmerksamkeit verwenden sollte.
Die Frage der Abgrenzung der Gemeinschaft nach außen ist eine ähnlich zentrale Frage, die keinesfalls aus einem rein juristischen Blickwinkel heraus betrachtet werden darf. Hier geht es um Fragen des Urheberrechts, des Marken- und (teilweise auch) Wettbewerbsrechts, dahinter steht die Frage der Gradwanderung zwischen Identität und Offenheit: In welchem Maß ist es für den ökonomischen und ästhetischen Erfolg förderlich, Fremden die kostenlose Wahrnehmung und Nutzung der eigenen Informationen zu ermöglichen? Es wurde bereits ausgeführt, dass weder ein Maximum an Kontrolle noch ein Maximum an Kontrollverzicht das Optimum sind. Ein Informationsanbieter, der alle seine Informationen für jedermann unbeschränkt offen legt und auf jede Form der urheberrechtlichen Kontrolle verzichtet, wird sich ökonomisch nicht behaupten können. Darüber hinaus wird er möglicherweise auch in ästhetischer Hinsicht nicht ernst genommen werden – kostenlos wird von vielen mit unprofessionell gleichgesetzt. Dahinter steht keineswegs nur ein Vorurteil: Es ist fraglich, ob ein Internet ohne Urheberrecht, in dem alle Inhalte auf schwer nachvollziehbare Weise durch direkte und indirekte Werbung finanziert werden, tatsächlich im Publikumsinteresse liegt. Deshalb sollten Künstler und Kulturmanager sich nicht schämen, einen Preis für ihre Arbeit vom Publikum zu verlangen. Wer andererseits allzu hohe Zugangshürden aufbaut, muß befürchten, dass niemand soviel Aufmerksamkeit investiert, um genug von seinen Werken erfahren, damit er ein Bedürfnis hiernach entwickeln kann.
Gleichgültig, ob man den Aufbau von Gemeinschaften als zentrale Aufgabe des Internet-Kulturmanagements aus ökonomischer, juristischer oder betriebswirtschaftlicher Perspektive betrachtet: In jedem Fall geht es nicht um Interessenmaximierung, sondern um Interessenausgleich, um eine ausgewogene Balance zwischen Kontrolle und Freiheit. Die kybernetisch-naturwissenschaftlichen Modelle der klassischen Betriebswirtschaftslehre, die nach Ertragsmaximierung und Kostenminimierung streben, sind deshalb nicht anwendbar: Kunst und Information ist keine knappe Ressource im betriebswirtschaftlichen Sinn, da sie kostenlos vervielfältigbar ist, da es manchmal gewinnbringend sein kann, sie zu verschenken und da das Bedürfnis nach Kunst und Information durch den Zugang zu ihr meist eher geschaffen, als befriedigt wird.
Auch die Aufmerksamkeit des Publikums ist keine knappe Ressource im betriebswirtschaftlichen Sinn, wie dies Francks und Goldhabers These von der Aufmerksamkeitsökonomie nahe legt: Goldhabers gedankliches Modell von der Aufmerksamkeitsökonomie ist unzutreffend, weil es blind für die Inhalte an sich ist, die stets einen individuellen kommunikativen Aussagewert und eine einzigartige Aussage beinhalten, die sie miteinander unvergleichbar macht. Menschliche Kommunikation lässt sich nicht quantitativ, sondern nur qualitativ messen. Deshalb kann menschliche Kommunikation ebenso wenig knapp sein, wie menschliche Aufmerksamkeit, die ebenfalls nicht inhaltsneutral ist, sondern stets in einem einzigartigen kommunikativen Kontext steht. In Wahrheit sind die zunehmende Jagd nach Aufmerksamkeit und die zunehmende Bedeutung des Urheberrechts auch keine gegensätzlichen Modelle, die miteinander konkurrieren, sie ergänzen sich vielmehr und bedingen sich vielmehr gegenseitig wie Ebbe und Flut: Meist muß zunächst erst mittels Werbung ein Bedürfnis nach unverkörperten Produkten geschaffen werden, bevor diese an das Publikum verkauft werden können. Und Inhalte können deshalb urheberrechtlich wertvoll sein, weil sie zugkräftige Werbeträger sind.
Goldhaber geht davon aus, dass Kommunikatoren ohne Rücksicht auf die kommunizierten Inhalte stets das sagen, was ihnen maximale quantitative Aufmerksamkeit sichert. Das ist nicht richtig. Sogar in der Werbung geht es nicht darum, ein Maximum an Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, sondern eine ganz bestimmte Botschaft nach außen zu kommunizieren, die bei einer ganz bestimmten Zielgruppe ein günstiges Bild vom beworbenen Produkt hinterlässt. Selbst zwei verschiedene Werbebotschaften sind also nicht quantitativ, sondern nur qualitativ miteinander vergleichbar. Erst recht gilt dies für Kunst, Unterhaltung und andere Formen der menschlichen Kommunikation.
Die Grundlage der Informationsgesellschaft bildet deshalb nicht eine allgemeine Jagd um Aufmerksamkeit, sondern die kommunizierten Inhalte und das Beziehungsnetzwerk an sich. Man kann die Informationsgesellschaft nur von innen heraus verstehen, indem man die kommunizierenden Menschen und ihre Inhalte versteht. Es gibt keine ökonomischen Gesetze, die die verschiedenen Arten von kommunikativen Inhalten und Kunstwerken entstehen lassen und ihre Existenz erklären. Es ist vielmehr umgekehrt: Die Inhalte und Kunstwerke bestimmen durch ihre inhaltliche Natur die ökonomischen Gesetze, die für sie gelten. Diese Gesetze sind für Nachrichten anders als für Hochkultur; für Jugendkultur anders als für Werbung.
Soziale Systeme bzw. ästhetische Sprachsysteme definieren ihr Ziel bzw. ihre Wertigkeit aus sich heraus. Es gibt keine übergeordnete Warte der Vernunft außerhalb dieser Systeme, die Handlungsmaßstäbe für das optimale kommunikative Verhalten innerhalb dieser Systeme geben könnte. Der Wert eines Bildes hängt vom Bild selbst - also seinem Platz im ästhetischen Sprachsystem der Malerei - ab und lässt sich nur aus dem ästhetischen Sprachsystem der Malerei heraus, nicht von der objektiven Warte übergeordneter ökonomischer Gesetze beurteilen. Die These von der Aufmerksamkeitsökonomie sucht nach objektiven Rezepten zur quantitativen Messung subjektiver Gefühle und Gedanken, damit letztlich nach einer übergeordneten, außenstehenden Machtposition, von der aus man Kommunikationsprozesse mit absoluter Richtigkeit als vernünftig oder unvernünftig bewerten kann, ohne dabei selbst Teil des Kommunikationsprozesses zu werden. Diese übergeordnete, außenstehende Machtposition gibt es nicht. Es gibt keine kybernetische Naturwissenschaft der Sprache, der Kultur und der Emotionen.
5. 2. Mimesis und Distinktion innerhalb von Gemeinschaften
Am Schluss dieser Arbeit soll eine Gesamtschau stehen, bei der künstlerische Innovationsprozesse im Internet nicht mehr isoliert aus dem Blickwinkel einer bestimmten Wissenschaftsdisziplin betrachtet werden, sondern aus einer übergeordneten, interdisziplinären Sicht. Der Konflikt, der aus ökonomischer Sicht als Gradwanderung zwischen Eigenwerbung und Publikumsfinanzierung gesehen wurde, aus technischer Sicht als Gradwanderung zwischen Standardsetzung und Innovation erschien und juristisch als Gradwanderung zwischen dem urheberrechtlichem Schutz und den Schranken des Urheberrechts bezeichnet wurde, ist die Schlüsselfrage des Kulturmanagements im Internet: Es geht um den Konflikt zwischen den gegensätzlichen Polen Mimesis und Distinktion. Mimesis und Distinktion sind seit der Antike grundlegende Triebkräfte der Ästhetik.
Auch kulturelle Gemeinschaften werden durch ein Zusammenspiel von Kräften der Mimesis und der Distinktion zusammengehalten und in Bewegung gehalten. Ein gewisser kultureller Konsens bzw. ein gemeinsamer Stil ist Voraussetzung für jede kulturelle Gemeinschaft, sei es eine Jugendszene oder ein Festival-Publikum. Dieser kulturelle Konsens ist aber nicht vollkommen, eine kulturelle Gemeinschaft darf nie völlig gleichförmig werden, sondern muß ein gewisses Maß an innerer Spannung aufweisen, sonst erstarrt sie. Kulturmanager müssen erkennen, wie viel innere Spannung eine Gemeinschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt braucht und verträgt. Diese Frage lässt sich letztlich nicht verwissenschaftlichen, da sie abhängig von der konkreten Gemeinschaft im Einzelfall ist.
Wer als Kulturmanager vor der praktischen Aufgabe steht, eine Gemeinschaft bzw. ein Publikum um ein bestimmtes Kunstwerk bzw. einen Künstler herum aufbauen zu müssen, muß eine Strategie entwickeln, wie er Leute dazu motivieren kann, sich der Gemeinschaft anzuschließen. Denkbar ist zunächst, den Gemeinschaftsmitgliedern einen persönlichen Vorteil zu versprechen. Dieser Vorteil kann materieller oder immaterieller Art sein. Als materielle Vorteile sind beispielsweise die Gelegenheit, gute berufliche Kontakte zu knüpfen, oder die Gelegenheit, das eigene Image zu verbessern, denkbar. Ein denkbarer immaterieller Vorteil wäre die Hebung des eigenen Selbstwertgefühls durch das Bewusstsein, zur kulturellen Elite zu gehören. Kultur wird oft mit dieser Strategie vermarktet. Sie geht aber gerade bei innovativer Kunst weniger gut auf, als bei etablierter Kunst, da innovative Kunst schwer einzuordnen ist und deshalb als gesellschaftliches Statussymbol nur bedingt geeignet ist.
Eine weitere Strategie beim Aufbau von Gemeinschaften besteht darin, eine gesellschaftliche Vision bzw. Utopie in den Mittelpunkt zu stellen. Kultur wird oft auf diese Weise vermarktet, und zwar nicht nur im Bereich der Event- bzw. Festivalkultur: Auch der Erfolg bestimmter Schriftsteller oder Filmregisseure kann zumindest teilweise damit erklärt werden, dass sie ein Ideal verkörpern, dass von einer bestimmten Zielgruppe als wünschens- und unterstützenswert angesehen wird.
Das wichtigste, aussichtsreichste Mittel beim Aufbau einer Gemeinschaft ist es aber, den Mitgliedern eine soziale Rolle zuzuweisen, die für sie positiv ist. Wenn es gelingt, den Mitgliedern der Gemeinschaft eine von ihnen als positiv empfundene soziale Identität zu verschaffen, werden sie hierdurch motiviert, sich für die Gemeinschaft auch dann einzusetzen, wenn ihnen dies keine unmittelbaren materiellen Nutzen bringt. In den postmodernen Gesellschaften unserer Zeit sind mit dem Zerfall der Familien, dem Bedeutungsverlust staatlicher und religiöser Autoritäten und mit der kulturellen Vielschichtigkeit bzw. Beliebigkeit der Mediengesellschaft soziale Bindungen und Identität Mangelware geworden. Die emotionale Leere, Orientierungs- und Bindungslosigkeit, die sich teilweise als negative Kehrseite der individuellen Freiheit als Grundwert unserer Gesellschaft bemerkbar macht, verlangt danach, gefüllt zu werden. Kunst und Kultur ist der ideale soziale Kitt in einer Gesellschaft ohne allgemeinverbindliche ethische Werte und Autoritäten.
Man darf allerdings nicht übersehen, dass es stets eine Form der Machtausübung ist, wenn man als Kulturmanager bewusst und planvoll-rational soziale Identitäten entwirft, die sich das Publikum dann unbewusst-emotional aneignet. Der Kulturmanager stellt sich hierbei über das Publikum, er manipuliert und steuert es. Vom Grundprinzip her unterscheidet seine Rolle sich nicht von politischen Demagogen, die selbst berechnend nach der Macht greifen, ihre Anhänger aber mit romantisch verklärten Ideologien und pathetischen Reden dazu bringen, sich aufzuopfern. Während ein Diktator aber stets einen Totalitätsanspruch erhebt, ist der Kulturmanager stets nur einer unter vielen und will auch nicht mehr sein. Er konkurriert mit seinesgleichen, und das ist gut so. Man muß sich als Kulturmanager aber bewusst bleiben, dass man berechnet, was andere erleben sollen.
Das Leitbild für den Internet-Kulturmanager ist der Computerspieldesigner: Das Computerspiel umgibt den Spieler mit einer Kulisse aus akustischen und optischen Sinnesreizen, die der Spieler unmittelbar als authentische Umwelt erlebt, die aber in einem komplexen technisch-künstlerischen Entwicklungsakt entworfen (und im wahrsten Sinn des Wortes berechnet) wurden. Der Spieler erlebt das Spiel als Herausforderung, er strengt sich für das Spiel an, weil ihm das Spiel eine Identität bzw. eine Rolle in einer filmartigen Handlung zuweist, die er als fesselnd und positiv empfindet. In Wahrheit ist der Spieler aber nicht in einer aktiven Rolle, da alle denkbaren Handlungsmöglichkeiten mitsamt ihren Auswirkungen von den Entwicklern bereits vorgedacht und bewusst gestaltet worden sind. Ein Spiel kann nur dann fesseln, wenn es die Spieler herausfordert, d. h. zu Höchstleistungen motiviert.
In letzter Zeit werden die Computerspiele mehr und mehr interaktiv. Sie werden damit zum Begegnungs- und Kommunikationsraum, zum virtuellen Maskenball. Das stille Kämmerlein des Computerspielers, der private Rückzugsraum der bürgerlichen Gesellschaft, stülpt sich von innen nach außen und wird wieder zum öffentlichen Raum. Wer diesen Raum gestaltet, gestaltet einen wichtigen Bereich des kulturellen Lebens der Informationsgesellschaft.
5. 3. Zusammenfassung der zentralen Thesen der Arbeit