Das Thema "Urheberrecht im Internet" ist nicht ohne Grund heiß umkämpft, schließlich geht es dabei um eine (wenn nicht sogar DIE) entscheidende Weichenstellung bei der Gestaltung der Kommunikationsinfrastruktur, die das zentrale Nervensystem unserer Gesellschaft ist und zudem der Ort, an dem sich zunehmend der berufliche Erfolg und die private Erfüllung jedes Einzelnen von uns entscheidet. Nicht nur der Streit um Peer-to-Peer Tauschforen wie Napster, sondern ganz allgemein die Frage, ob und wie das Urheberrecht im Internet durchgesetzt werden kann und durchgesetzt werden sollte, erhitzt die Gemüter und spaltet die Öffentlichkeit in zwei gegensätzliche Lager. Die Diskussion um die Sinnhaftigkeit und Praktikabilität des Urheberrechts im digitalen Zeitalter läßt sich nicht auf eine juristische Diskussion beschränken. Vielmehr sind Rechtswissenschaft, Informationstechnik, Kulturökonomie und Kunst hier derart miteinander verflochten, dass eine sinnvolle und praxistaugliche Analyse dieses Problems aus einer interdisziplinären Sicht erfolgen muß, die die Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen berücksichtigt. Inwieweit erleichtern oder erschweren die ökonomischen, technischen und juristischen Rahmenbedingungen im Internet künstlerische Innovation? Welche Rolle spielt dabei das Urheberrecht? Wie können Kulturmanager und Künstler die Chancen, die das Internet als universelles Massenmedium, Kommunikationsraum und Vertriebsweg bietet, nutzen, um künstlerische Innovation zu fördern, und welche Sachzwänge behindern sie dabei?
Der zentrale Begriff dieser Arbeit ist "innovative Kunst". Die Chancen für künstlerische Innovation sind der Maßstab, an dem im Folgenden die ökonomische, technische und rechtliche Infrastruktur gemessen werden sollen. Die Infrastruktur ist also gut, wenn sie innovationsoffen ist und schlecht, wenn sie es nicht ist. Nun handelt es sich bei "Innovation" und "Kunst" um zwei stark emotionalisierte und deshalb zunächst äußerst unscharfe Begriffe, die vorweg näher definiert werden sollen, damit im Folgenden von einer gemeinsamen Basis ausgegangen werden kann. Erst danach kann die Arbeit beginnen, die ökonomischen Rahmenbedingungen für Kunst im Internet darzustellen und zu erörtern.
"Kunst", das ist in unserer postmodernen Gesellschaft ein Freiraum für unmittelbar sinnliches Erleben; das ist der einzige Bereich, in dem das spontane unreflektierte Ausleben von Gefühlen in der Öffentlichkeit zulässig ist. In einer Gesellschaft, die zwar in Politik und Wirtschaftsleben möglicherweise nicht stets rationale Entscheidungsmaßstäbe hat, aber der rationalen Entscheidungsbegründung doch einen hohen Stellenwert einräumt und von ihren Mitgliedern verlangt, dass sie jedenfalls im Berufsleben zumindest so tun, als handelten und entschieden sie rational, ist "Kunst" ein magischer Begriff. Kunst hat eine kompensatorische Funktion: Ihre Relevanz für gesellschaftliche Gestaltungsprozesse dürfte von vielen ungefähr mit der Relevanz von nächtlichen Träumen für das Tagesgeschehen gleichgesetzt werden: Es erscheint vielen als wahrscheinlich, dass es zwischen Tag und Traum irgendeine Form der Wechselwirkung gibt, aber diese ist indirekt und undurchschaubar. Der Traum ist allenfalls ein Spiegel des Tagesgeschehen, den der Kundige zur Analyse von psychischen Problemen oder Ähnlichem heranziehen kann. Ein Einfluss in umgekehrter Richtung von den Träumen auf das Tagesgeschehen würde von den meisten Leuten aber als abergläubische Fiktion angesehen werden, weil Träume eben nicht real sind. Der Kunst wird nun von vielen eine Rolle zugesprochen, die mit dem Traum in etwa vergleichbar ist. Kunst spiegelt nach dem allgemeinen Verständnis auf indirekte Weise gesellschaftliche Entwicklungen, sie ist aber selbst nicht von unmittelbar praktisch-gesellschaftlicher Relevanz, sie hat keine greifbare Wirkung, weil sie eben nicht rational, sondern freies Spiel im Reich der Phantasie und Fiktion ist. "Kunst" wird deshalb gleichzeitig mystisch überhöht und aus dem konkreten Alltag in eine höhere Sphäre verdrängt. Dem Künstler wird eine weitgehende Freiheit zugesprochen; Kunst darf provozieren und schockieren, sie darf (fast) alles, ohne dass dies als moralisch verwerflich oder rechtlich unzulässig angesehen würde. Dies allerdings nur deswegen, weil Kunst als ein unverbindliches Gedankenspiel gesehen wird.
Dieses Verständnis von Kunst als "irrealem Traumgarten" und Ventil für Irrationales, das im "wirklichen Leben" nur stört, ist keineswegs selbstverständlich und zwingend. In fremden Kulturen sind künstlerisch-religiöse Rituale fester Bestandteil des Alltagslebens und nicht nur unverbindliches Zierwerk. Auch in unserer Kultur war diese Rolle der Kunst und Kultur früher allgemein anerkannt, unter der Oberfläche scheinbarer Rationalität hat sie ihre enorme Bedeutung nach wie vor - nicht nur beim umsatzsteigernden Weihnachtsgeschäft. Die immer stärkere Bedeutung des Marketings ist nur ein Symptom der immensen (aber oft uneingestandenen) Bedeutung, die irrationale bzw. ästhetische Kräfte in unserer Gesellschaft für das wirtschaftliche und sonstige Alltagsleben haben.
Eine abschließende Definition des Kunstbegriffs ist nahezu unmöglich und kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden. Der Kunstbegriff wird vielmehr offen gelassen und so weit wie möglich gefasst.
Problematisch ist das Verhältnis eines derart weiten Kunstbegriffes zur Werbung. Das Publikum kann oft nicht unterscheiden, ob ein bestimmtes Werk mit einer künstlerisch-ästhetischen Intention, einer (ge)werblichen Intention, oder mit einer Mischung aus beidem geschaffen wurde. Tatsächlich machen es nicht erst neue Werbeformen wie z. B. Product Placement dem Publikum schwer, den künstlerischen Weizen von der werblichen Spreu zu trennen: Jeder Künstler, der seine Werke nicht anonym publiziert, macht zumindest für sich selbst Werbung und wird sich dessen in der Regel auch bewusst sein. Ein Künstler will - genauso wie der Werber - bei seinem Publikum ankommen. Der Unterschied zwischen Künstler und Werber liegt allerdings darin, dass der Künstler nicht auf irgendeine Weise, sondern gerade mit seinem Werk beim Publikum ankommen will, während es dem Werber völlig egal ist, welche kommunikativen Mittel er benutzt und welche inhaltliche Aussage er macht, um sein kommunikatives Ziel zu erreichen und die beabsichtigte Wirkung beim Publikum zu erzielen. Dem Werber geht es allein um die Resultate des Kommunikationsvorgangs, um die Wirkung auf das Publikum. Dem Künstler hingegen geht es um den Kommunikationsvorgang an sich. Für ihn ist der Weg das Ziel. Deshalb unterscheidet sich Kunst von Werbung grundlegend dadurch, dass sie die Konfrontation mit dem Publikum in Kauf nimmt. Kunst gibt dem Publikum die Freiheit, sie zu mögen oder auch nicht. Werbung gibt dem Publikum diese Freiheit nicht, sie will um jeden Preis gefallen – das gilt auch dann, wenn sie zu diesem Zweck eine aufwühlende oder schockierende Fassade wählt. Werbung und Kunst werden folglich im Rahmen dieser Arbeit als im Grundsatz wesensverschieden behandelt, auch wenn nicht kategorisch ausgeschlossen werden sollte, dass es Grauzonen und nahtlose Übergänge zwischen beiden Bereichen geben kann. Werbung wird in zunehmendem Maß ein wichtiges Finanzierungsmittel für Kunst; Künstler, die sich der Werbebranche nicht verschließen, können durchaus hiervon profitieren und sollten diese Chance auch nutzen.
Bei einem derart weiten Kunstbegriff drängt sich die Frage auf, wo dieser denn nun eigentlich seine Grenzen findet. Es gibt ja auch durchaus einen weitgehenden gesellschaftlichen Konsens darüber, dass bestimmte Bereiche der menschlichen Kommunikation keine Kunst sind. Hierzu gehört zunächst alles, was sich ausschließlich auf einer rein rationalen Ebene abspielt. Ein Kassenbon in der Einkaufstüte oder ein Strafzettel am Scheibenwischer sind zwar kommunikative Botschaften, sie sind aber keine Kunstwerke, darüber besteht allgemeine Einigkeit.
Auch Botschaften auf der emotionalen Ebene werden dann nicht als Kunst angesehen, wenn sie mit der Person und den Lebensverhältnissen des Schöpfers so eng verknüpft sind, dass sie von diesem persönlichen Bezug nicht abstrahiert werden können. Persönliche Briefe oder ein privates Tagebuch werden selbst dann nicht als Kunstwerke angesehen, wenn sie zwar aus der Feder eines bedeutenden Künstlers stammen, sich aber nicht von dessen konkreter Lebenssituation abstrahieren lassen. Erst, wenn Briefe oder Tagebuchaufzeichnungen allgemeingültige Aussagen enthalten und hierdurch auch einen Bezug zum Leben und der Gedankenwelt des (dem Autor unbekannten) Lesers haben können, werden sie als Kunstwerke angesehen. Diese allgemeine Auffassung findet sich auch im geltenden Recht wieder, das ein urheberrechtlich geschütztes Werk i. S. v. §2 UrhG nur dann bejaht, wenn die kommunikative Botschaft einen ästhetischen Eigenwert aufweist und hierdurch die erforderliche Schöpfungshöhe erreicht. Interessanterweise setzt das gängige Kunstverständnis also nicht nur voraus, dass das Kunstwerk einerseits individueller Ausdruck der Persönlichkeit und der Gefühle seines Schöpfers ist, sondern andererseits auch, dass es sich von dessen Persönlichkeit zu einem selbständigen Werk soweit abstrahieren lässt, dass es für die Öffentlichkeit von Interesse sein kann. Diese "Schizophrenie" des gängigen Kunstverständnisses (und geltenden Urheberrechts) ergibt sich aus dem spannungsreichen Verhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaft in der abendländischen bürgerlichen Kultur: Der Künstler schafft seine Werke als freies Individuum, aber für die Gemeinschaft als Publikum, der er hierdurch nützt und so seinen Platz in ihr einnimmt.
Der Kunstbegriff dieser Arbeit beschränkt sich also auf Werke, die das Ergebnis eines zielgerichteten Schöpfungsaktes sind und deshalb von den persönlichen Lebensverhältnissen des Künstlers abstrahiert werden können, so dass sie zumindest potentiell von Allgemeininteresse sein können. Diese Eingrenzung des Kunstbegriffs gewinnt im Internet an besonderer Bedeutung: Dort verschmelzen die Grenzen zwischen Individual- und Massenkommunikation. Jeder Netzteilnehmer kann sich mit seiner kommunikativen Botschaft auf seiner Webseite oder im Usenet an ein unbegrenzt großes Publikum richten, oder eine Email an eine oder mehrere ausgewählte Personen schicken. Häufig erstellt nicht ein einzelner Netzteilnehmer eine bestimmte kommunikative Botschaft im Alleingang, sondern sie ist das Ergebnis eines Dialogs mit vielen Beteiligten, bei dem kein Einzelner das Gesamtergebnis kontrolliert oder auch nur überblickt. Bei Online-Computerspielen beispielsweise wird jeder Mitspielende zum Schauspieler auf einer virtuellen Bühne und steigert durch seine Beiträge die Attraktivität des Gesamtangebots. Verschmelzen durch die Interaktivität nicht nur die Rollen von Künstler und Publikum miteinander, sondern auch Kunst und Alltagskommunikation? Sind interaktive Kunstwerke im Netz überhaupt noch das geistige Produkt eines bestimmten schöpferischen Individuums, oder entspringen sie einer Gemeinschaft als Ganzes? Dadurch, dass sich der Kunstbegriff dieser Arbeit auf die vom Alltag abstrahierten Ergebnisse zielgerichteter Schöpfungsprozesse beschränkt, werden interaktive Dialoge u. ä. ausgeklammert: Wenn interaktive Kunst bzw. Dialoge im Internet nicht so stark von einem oder mehreren Individuen dominiert bzw. gestaltet werden, dass sie in ihrer Gesamtheit als das Ergebnis eines bewussten und zielgerichteten Schöpfungsaktes angesehen werden können, sind sie keine Kunst im Sinne dieser Arbeit.
Damit sollen derartige Gemeinschaftsprodukte nicht abgewertet werden. Sie können zweifelsohne von hohem geistigen Niveau sein, ebenso wie dies auch ein Gespräch zwischen mehreren Menschen außerhalb des Internets sein kann. Ebenso wie Gespräche sind solche Gemeinschaftsprodukte aber urheberrechtlich in der Regel nicht geschützt und als kommerzielle Medienprodukte in der Regel nicht vermarktbar. Zum Begriff der "Kunst" gehört, dass sie die gezielte Artikulation und Umsetzung einer ästhetischen Vision ist, und kein Zufallsprodukt. Ein Kunstwerk kann durch einen einzelnen Künstler geschaffen werden, oder durch das bewusste Zusammenwirken mehrerer Künstler, aber nicht durch eine unbestimmte und zufällig zusammengesetzte Personenmenge wie etwa die Nutzer einer Usenet-Group, die kein einheitliches Ziel verfolgen und keinen einheitlichen Willen bilden. Denn der künstlerische Schöpfungsakt ist ein bewusster Willensakt. Würde man derartige Zufallsprodukte und interaktive Dialoge unter urheberrechtlichen Schutz stellen, hieße dies, die Sprache selbst zu monopolisieren und in proprietäre Bereiche zu zerteilen. Deshalb soll davon ausgegangen werden, dass diese Form der Kommunikation keine urheberrechtliche oder ökonomische Relevanz hat. Sie ist - insoweit – freies Allgemeingut. Anders ist es dann, wenn der Kommunikationsprozess von einem bestimmten Individuum dominiert wird, das den Übrigen ihre Plätze und Möglichkeiten zuweist und sie so quasi zu Schauspielern bzw. Werkzeugen bei der Umsetzung seiner ästhetischen Vision macht: In diesen Fällen ist ein ökonomisch verwertbares und urheberrechtlich schutzfähiges Kunstwerk zu bejahen.
Schließlich muß der Kunstbegriff, der dieser Arbeit zugrunde gelegt wird, noch in einer weiteren Hinsicht konkretisiert werden: Muss Kunst notwendigerweise so professionell betrieben werden, dass sie ökonomischen Gesetzmäßigkeiten unterliegt, oder ist sie auch denkbar als "freies Spiel", als rein idealistisch motivierte Kommunikation? Muss erst Geld investiert werden, damit neuartige Kunst entstehen kann - oder zerstört die Kommerzialisierung nicht im Gegenteil neue künstlerische Trends? Diese Frage ist für diese Arbeit von großer Bedeutung: In der Industriegesellschaft konnte ein Kunstwerk - sei es ein Buch, eine CD oder ein Film - nur Verbreitung erlangen, wenn ökonomische Gesetzmäßigkeiten dafür sorgten, dass der materielle Informationsträger, in dem das Werk verkörpert war, als industrielles Produkt vervielfältigt und vertrieben wurde. In der Informationsgesellschaft gibt es keinen materiellen Informationsträger mehr. Deshalb wäre es denkbar, dass ein Kunstwerk zu seinem Publikum findet, ohne hierbei in irgendeiner Weise auf ökonomisch motivierte Vervielfältigungs- und Vertriebsstrukturen zurückgreifen zu müssen.
Das Internet ist sicherlich die ideale Spielwiese für unkommerzielle innovative künstlerische Experimente. Es gibt im Netz bereits eine Fülle unkommerzieller Literatur, Musik, und Malerei, die von den Künstlern entweder aus idealistischen Motiven zur Verfügung gestellt wird, oder dazu dient, auf diese Weise bekannt zu werden. Es erscheint aber dennoch als wahrscheinlich, dass die Kunst, die im Mittelpunkt des Publikumsinteresses steht, auch im Informationszeitalter primär professionalisiert und nur in Ausnahmefällen rein idealistisch motiviert sein wird: Auch in vorindustriellen Gesellschaften und anderen Kulturen, die die Industrialisierung nach europäischem Vorbild nicht durchlaufen haben, war und ist Kunst in der Regel professionalisiert, also arbeitsteilig bestimmten Untergruppen der Gemeinschaft zugewiesen - meist in Verbindung mit einer handwerklichen oder religiösen Komponente. Kunst hat in allen ihren Erscheinungsformen stets nicht nur eine genial-visionäre Seite, sondern auch eine handwerkliche Seite. Der Künstler setzt seine ästhetische Vision durch handwerkliche Arbeit in die Realität um. Dass die immer perfektere Kommunikationstechnologie es auch dem Laien ermöglicht, ansehnliche Ergebnisse zustande zu bringen, ändert hieran nichts: Neue Technologien wie z. B. die Fotografie oder das elektronische Tonstudio haben das handwerkliche Können, das vor ihrer Entwicklung zum Malen von Bildern und zum Spielen von Instrumenten notwendig war, keineswegs entwertet.
Tatsächlich haben sich ganz im Gegenteil neue handwerkliche Techniken der professionellen Fotografie und der professionellen Klangerzeugung und -bearbeitung herausgebildet, die ihre eigenen Qualitätskriterien bzw. ihre eigenen Maßstäbe für handwerkliches Können haben. Auch die neuen Kommunikationsmöglichkeiten im Internet geben den Künstlern zwar neue Ausdrucksmöglichkeiten, sie nehmen der Kunst aber nicht ihre handwerkliche Seite, sondern lassen im Gegenteil neue handwerkliche Techniken beispielsweise des Webseitendesigns entstehen.
Diese handwerkliche Seite, die der Kunst als der zielstrebigen und bewußten Realisierung eines ästhetischen Konzepts wesensimmanent ist, führt dazu, dass bei den Künstlern ein Bedürfnis danach entsteht, möglichst viel Zeit auf die Perfektionierung ihres handwerklichen Könnens und nicht mit einem anderen Beruf zu verwenden. Das führt zur Entstehung einer professionellen Kunst. Da die Kunst auch im Informationszeitalter ihre handwerkliche Seite nicht verliert, wird die Kunst, die im Mittelpunkt des Publikumsinteresses steht, im Regelfall vermutlich auch weiterhin professionell sein. Das heißt nicht, dass sie in jedem Fall entgeltlich dargeboten werden muss: Sie kann auch Werbung für den Künstler selbst oder für ein anders Produkt sein. Damit behält die Kunst auch dann eine handwerklich-professionelle Seite, wenn der materielle Datenträger fehlt. Es wird eine große Menge unkommerzieller Kunst geben; das Publikum wird sich vermutlich in Zukunft aber dennoch primär für kommerzielle Kunst interessieren, da diese – von Ausnahmen abgesehen – meist professioneller betrieben und vermarktet, also leichter zugänglich und meist wohl auch qualitativ besser ist. Die ökonomische Seite der Kunst ist aber nicht nur Verschmutzung der reinen, ideellen Gedankenwelt mit schnödem Profitstreben; sie verankert die Kunst andererseits auch in der sozialen Wirklichkeit und in der Welt der menschlich-alltäglichen Gefühle und macht sie hierdurch spannend und glaubwürdig. Die Vorstellung, dass einem Künstler das Geld egal sein müsse, kann man auch als unrealistisch und verlogen empfinden.
Eine weitere Prämisse dieser Arbeit ist, dass der Künstler nicht durch ökonomische, juristische oder technische Zwänge von außen motiviert wird, kreatives Neuland zu betreten. Sonst könnte man nicht von "Spielraum" sprechen, sondern müsste ganz im Gegenteil die Zwänge von außen auf den Künstler maximieren, um ein Maximum an neuartiger Kunst aus ihm "herauszuholen". Innovation kann aber nach der hier vertretenen Ansicht weder durch Geld hervorgelockt, noch durch Macht erzwungen werden: Es liegt im Wesen des Neuartigen, dass es den Bereich des intrasubjektiv Bekannten und damit (vertraglich oder sonst wie) Einforderbaren verlässt. Niemand außer dem Künstler selbst weiß, wie sein Kunstwerk aussehen oder klingen soll und welcher neuartigen inneren Logik es folgen soll. Da neuartige Kunst dem Publikum (noch) unbekannt ist, hat dieses kein Bedürfnis nach ihr und kann sie nicht vom Künstler verlangen. Je neuartiger ein Manuskript ist, desto schwerer wird es für einen Verleger sein, dessen Absatzchancen einzuschätzen. Ein wirklich neuartiges Manuskript wird deshalb in der Regel nur schwer einen Verleger finden. Echte Innovation kann von außen nicht erzwungen oder stimuliert werden, da niemand außer dem Künstler selbst eine Vorstellung von ihrer konkreten Gestalt hat. Sie entsteht allein aus einem inneren Antrieb des Künstlers heraus. Er ist innovativ, indem er das tut, was niemand von ihm verlangt, außer er selbst.
Das Wort "Spielraum" impliziert die Prämisse, dass die ökonomischen und sonstigen Sachzwänge, denen der Kommunikationsprozess zwischen Künstler und Publikum unterliegt, zumindest potentiell innovationshemmend sind. Die wirtschaftlichen, rechtlichen und technischen Rahmenbedingungen, unter denen der Künstler arbeitet, werden also stets als mehr oder weniger schädlich für den kreativen Schaffensprozess angesehen. Ohne jeden Zwang von außen wäre der Künstler völlig "frei", seine ästhetische Vision ohne jeden Kompromiss in die Wirklichkeit umzusetzen. Nur die Sachzwänge der "schnöden Wirklichkeit" hemmen ihn dabei.
Diese Sichtweise ist nicht die einzig denkbare, sie muss kritisch hinterfragt werden: Ist es denn wirklich so, dass am Anfang eines künstlerischen Schaffensprozesses stets eine absolute, reine Vision steht, die der Künstler nur dann unbeschädigt seinem Publikum übermitteln kann, wenn er nicht gezwungen ist, hierbei irgendeinen pragmatischen Kompromiss einzugehen? Ist Kunst wirklich so wenig von dieser Welt? Ist diese Sichtweise nicht gerade Ausdruck eines Kunstbegriffes, der die Kunst mystisch überhöht und gleichzeitig aus dem realen gesellschaftlichen Leben verbannt - eine Sichtweise, die oben als für diese Arbeit ungeeignet bezeichnet wurde? Diese Sichtweise ist tief im gängigen Kunstverständnis verankert: Es ist (jedenfalls in der klassischen Musik) undenkbar, sich als Musiker eines Instruments zu bedienen, das nicht exakt gestimmt ist, und auch in der Rock- und Popmusik - die ja der Spontaneität eine hohen Stellenwert zumisst - wird viel Geld investiert, um dem Sound in einem Tonstudio eine Perfektion zu geben, die von jeder Art der Zufälligkeit befreit ist. Bücher haben "Schutzumschläge" gegen die unreine Lebenswirklichkeit, die in Wahrheit gar nicht schützen sollen, sondern selbst (unbeschmutzter und unzerknitterter) Teil des ästhetischen Gesamtprodukts Buch sind.
Kann künstlerische Wirkung aber nicht auch das Ergebnis von Zufälligkeiten sein, von aus der Not geborener Improvisation? Die räumliche Enge der Theaterbühne war ursprünglich nur ein materieller Sachzwang. Im Zeitalter des Fernsehens wird sie zum Stilmittel, das man im Fernsehtheater auch dann beibehält, wenn man dies eigentlich nicht mehr muss. Dasselbe gilt für die begrenzte Zahl der Klaviertasten oder Geigensaiten, die dem künstlerischen Ausdruck nicht nur materielle Grenzen setzt, sondern hierdurch auch eine charakteristische Form gibt. Diese charakteristische Form ist durch den Wegfall der materiellen Grenzen künstlerischer Freiheit aufgrund der technischen Möglichkeiten, die es inzwischen erlauben, jeden vorstellbaren Ton auch hörbar zu machen, keineswegs veraltet und hinfällig geworden - viele Leute machen sich nach wie vor die Mühe, ein klassisches Instrument zu erlernen. Und niemand würde sagen, dass ein Kinofilm allein deswegen schlecht sein muss, weil dem Regisseur bei den Dreharbeiten nur ein niedriges Budget zur Verfügung stand oder weil der Film in Schwarzweiß ist. Die künstlerische Vision nimmt durch die Sachzwänge der Wirklichkeit also offenbar nicht in jedem Fall nur Schaden, sondern gewinnt - unter Umständen - so auch erst ihre charakteristische Gestalt. Dies aber erst dadurch, dass der Künstler einen neuen Weg findet, diese Sachzwänge zu überwinden.
Im Rahmen dieser Arbeit kann und soll nicht abschließend entschieden werden, wie die Notwendigkeit, sich als Künstler an die realen Gegebenheiten anzupassen und Kompromisse einzugehen, sich im Einzelnen auf den künstlerischen Schaffensprozess auswirkt - selbst wenn es möglich sein sollte, auf diese Frage eine allgemeingültige Antwort zu finden. Es wird davon ausgegangen, dass technische, rechtliche und ökonomische Sachzwänge die künstlerische Innovation jedenfalls mehr hemmen, als dass sie diese fördern.
Die modernen Massenmedien transportieren die künstlerischen Inhalte nicht nur, sondern bestimmen und prägen sie inhaltlich mit. Sie geben den Künstlern hierbei typischerweise einen so engen formellen Rahmen vor, dass die künstlerische Kreativität hierdurch deutlich eingeschränkt wird . Mit der Zeit bilden sich in den Massenmedien bestimmte Leitbilder bzw. Archetypen von Kunstwerken heraus, von denen nur noch schwer abgewichen werden kann. Die Inhalte in den Massenmedien erstarren teilweise in der Wiederholung immer derselben Muster; teilweise bleibt Spielraum für Neues. Es gibt also einen typischen Radiohit, einen typischen Vorabendfernsehfilm, einen typischen Bestsellerroman u. s. w. Je stärker die ökonomischen, technischen und rechtlichen Sachzwänge sind, die zur Herausbildung dieser Archetypen geführt haben, desto weniger Spielraum haben die Künstler, um auf innovative Weise von diesen etablierten Leitbildern abzuweichen.
Das Internet ist ein neues Massenmedium, in dem sich derzeit noch kaum wirtschaftliche, rechtliche und technische Strukturen verfestigt haben. Der Internet-Nutzer ist offen für Neues. Solange dies so ist, ist das Maß an künstlerischer Freiheit im Internet groß, aber nicht unbeschränkt. Es soll herausgearbeitet werden, wo sich bei der stürmischen Entwicklung des Internets zum universellen Massenmedium der Zukunft Strukturen herausbilden, die künstlerische Innovation hemmen und wo die Infrastruktur andererseits auch Chancen bietet, die Künstler wahrnehmen können, um Neuland zu betreten.
Eine weitere Prämisse dieser Arbeit ist, dass innovative Kunst dem Publikum in der Regel nicht sofort gefällt, wenn es zum ersten Mal mit ihr konfrontiert wird. Es muss sich erst an sie gewöhnen. Innovationen in der Kunst nehmen ihren Anfang in der Regel nicht als urknallartige, quasi-revolutionäre Massenbewegungen, sondern sprechen zunächst nur ein kleines Avantgardepublikum an, das erst nach und nach zu einer breiten Masse anwächst. In der heutigen Architektur und in dem Design von Alltagsgegenständen findet sich die gestalterische Avantgarde von gestern wieder. Neue Strömungen der Popmusik erreichen nicht sofort die Hitparaden, sondern erst einmal nur ein kleines Szenepublikum. Das gilt nicht nur für ästhetische Stilrichtungen und Schulen, sondern auch für die einzelnen Künstler: Ein Schauspieler wird nicht sofort zum Star, sondern muss erst viele kleine Rollen übernehmen, um seinen Bekanntheitsgrad langsam zu steigern. Die Bilder eines unbekannten Malers erzielen nicht von einem Tag auf den anderen Spitzenpreise auf dem Markt, sondern müssen ihren Wert langsam steigern.
Dass künstlerische Innovationen nicht sofort, sondern erst nach und nach vom Publikum angenommen werden, liegt daran, dass künstlerische Produkte im Gegensatz zu materiellen Nutzgegenständen keine vorhandenen Bedürfnisse befriedigen, sondern sich ihren Markt erst selbst schaffen müssen: Das Publikum fragt auf dem Markt nur solche Kunstwerke nach, von deren inhaltlicher Natur bzw. deren besonderer ästhetischer Qualität es eine konkrete Vorstellung hat. Damit beispielsweise ein Schauspieler den Markterfolg eines Kinofilms als zugkräftiger Star fördern kann, muss er nicht nur gut, sondern vor allem auch bekannt sein: Das Publikum entwickelt erst dann eine Nachfrage nach seinen individuellen schauspielerischen Talenten, wenn es diese kennt. Neue Musik, die unkonventionell und innovativ ist, klingt für das ungeschulte Ohr zunächst disharmonisch. Erst nach mehrmaligem Hören gewöhnt der Hörer sich an sie und entwickelt eventuell schließlich sogar eine Nachfrage nach dieser Art von Musik. Dass dies nicht unbedingt daran liegen muss, dass neue Musik per se disharmonisch ist, sieht man daran, dass ähnliche Verständnisschwierigkeiten auch auftreten, wenn man mit Musik aus einer fremden Kultur konfrontiert wird, die in ihrem Kulturraum als melodisch und leicht zugänglich wahrgenommen wird. Auch diese spricht den europäischen Hörer in der Regel nicht sofort an. Dies nicht, weil sie tatsächlich disharmonisch wäre, sondern weil sie so stark vom uns Vertrauten abweicht, dass man ihre künstlerische Formensprache nicht auf Anhieb entschlüsseln kann. Erst, wenn man sich die Mühe macht, sich einige Zeit lang mit ihr auseinander zu setzen, klingt diese Musik so melodisch wie Musik aus unserer eigenen Kultur. Ästhetische Muster, die allzu stark vom Vertrauten abweichen, sind schwer verständlich und deshalb zunächst wenig ansprechend.
Innovative Kunst muss sich ihren Markt erst mühsam selbst schaffen, bevor sie ökonomisch reüssieren kann. Die Gesetze der Kunst stehen keineswegs stets im Widerspruch zu den Marktgesetzen; es soll nicht behauptet werden, dass sich wirtschaftlicher Erfolg nur durch Verzicht auf künstlerische Qualität erkaufen lässt, und umgekehrt. Bevor aber ein Kunstwerk ein so großes Publikum anzieht, dass sich die künstlerische Qualität in ökonomischen Gewinn verwandeln lässt, müssen die Augen und Ohren des Publikums zunächst für die besonderen Qualitäten des Werks geöffnet werden. Dazu können im Einzelfall erhebliche Anstrengungen erforderlich sein; ein innovativer Künstler muss unter Umständen zunächst eine lange Durststrecke überwinden und erhebliche Anfangsinvestitionen an Zeit, Geld und Arbeit tätigen, bevor er sich einen festen Publikumskreis geschaffen hat. Innovative Kunst hat auf dem Markt gegenüber herkömmlicher Kunst den Wettbewerbsnachteil, dass sich ihre besondere ästhetische Qualität nur schwer nach außen kommunizieren lässt. Während herkömmliche Kunst auf eine bereits bestehende Nachfrage beim Publikum stößt, muss neuartige Kunst erst um Akzeptanz kämpfen.
Dieser Wettbewerbsnachteil, den innovative Kunst gegenüber herkömmlicher Kunst hat, lässt künstlerische Innovation in vielen Fällen als ökonomische Unvernunft erscheinen: Wer in innovative Kunst Zeit, Geld oder Mühe investiert, riskiert mehr als derjenige, der in herkömmliche Kunst investiert. Denn es ist nur schwer kalkulierbar, ob das Publikum tatsächlich die Innovation annehmen wird und eine hinreichend große Nachfrage entwickeln wird, die es dem Investor ermöglichen, sein Geld wieder herein zu holen. Selbst, wenn das Publikum die Innovation annimmt, tut es dies erst nach einiger Zeit. Aber Zeit ist Geld - wer Kapital investiert, möchte dies möglichst kurzfristig tun. Künstlerische Innovation ist also nur schwer mit den betriebswirtschaftlichen Postulaten von Planungssicherheit bzw. Risikominimierung, Nachfrageorientierung und maximaler Effizienz vereinbar. Erst, wenn eine künstlerische Innovation sich in der Gunst des Publikums so weit etabliert hat, dass ihr weiterer Erfolg kalkulierbar und absehbar ist, wird sie zur lohnenden Investition. Damit die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten die Verbreitung künstlerischer Innovation fördern, muss die Kunst zunächst eine gewisse kritische Masse an Publikumsakzeptanz überwinden. Innovative Kunst ist mit einem Feuer vergleichbar, das erst mühsam angefacht werden muss, bevor es von allein weiterbrennt und sich ausbreiten kann. Diese These von der kritischen Masse steht im Mittelpunkt dieser Arbeit: Da künstlerische Innovationsprozesse in ihrer Frühphase besonderen Schutz und besondere Förderung brauchen, müssen Kulturmanager nach Strategien suchen, um neuartige Kunst in der Frühphase ihrer Verbreitung ökonomisch überlebensfähig zu machen.
Da die Prämisse von der kritischen Masse ein gedanklicher Grundstein dieser Arbeit ist, soll sie zunächst auf ihre Tragfähigkeit abgeklopft werden: Hat neuartige Kunst nicht auch stets den besonderen Reiz des Spektakulären und Aufsehenerregenden? Wird dieser Reiz nicht um so wichtiger, je schwerer es für ein Kunstwerk wird, dem Publikum in der immer höher ansteigenden Reizüberflutung aufzufallen? Gibt es keine natürliche Nachfrage des Publikums nach innovativer Kunst; muss es tatsächlich erst mühsam an diese gewöhnt werden? Muss es denn nicht gerade für ein Medienunternehmen, welches das Publikum in der grenzenlosen Vielfalt des Internets gerade an seine Webseite fesseln will, oberstes Gebot ökonomischer Vernunft sein, etwas Besonderes und Spektakuläres zu bieten, das sich vom Rest abhebt?
Gerade die Reizüberflutung und die Gleichzeitigkeit der verschiedensten Unterhaltungsangebote im Netz bewirken aber, dass sich das Publikum nicht intensiv mit dem auseinandersetzt, mit dem es nicht sofort etwas anfangen kann - dazu hätte es gar nicht die Zeit, da es aufgrund der immensen Bandbreite des Inhaltsspektrums im Netz mit den allermeisten Inhalten nichts anfangen kann, weil es schlicht keinen Bezug zu ihnen hat. Durch Fremdartiges allein kann man das Publikum nicht anziehen, denn jedem Netzteilnehmer sind die allermeisten Bereiche des "globalen Dorfs" fremd. Fremdartigkeit ist der Normalfall. Die meisten Internetnutzer würden etwa die Schülerzeitung einer japanischen Grundschule oder die Prophezeiungen einer Sekte aus den USA durchaus als etwas Fremdartiges ansehen, ohne jedoch hiervon fasziniert zu sein: Sie haben keinen Bezug dazu und wollen sich deshalb auch nicht mit diesen Inhalten auseinandersetzen, obwohl sie dies jederzeit könnten. Mit Fremdartigem allein kann man das Publikum nicht fesseln; Aufsehen erregt man, wenn Bekanntes und Unbekanntes auf unerwartete Weise zusammentrifft: Kunst wirkt spektakulär, wenn sie die bekannte ästhetische Formensprache auf unerwartete Weise variiert und Erwartungsmuster durchbricht. Die Musik von Wagner oder Richard Strauss erzielt ihre spektakuläre Wirkung dadurch, dass sie sich einerseits der bekannten ästhetischen Formensprache der abendländischen Harmonielehre bedienen, diese Muster aber durch plötzliche Disharmonien o. ä. durchbricht. Den Reiz des Spektakulären und Aufsehenerregenden hat nicht das Neue an sich, sondern das Zusammentreffen von Neuem und Bekanntem: Ein Krimi, bei dem der Mörder der Gärtner ist, verlässt das bekannte Muster nicht; er ist möglicherweise langweilig. Ein Krimi, bei dem der Mörder der Detektiv selbst ist, folgt zunächst dem erwarteten Muster, um es dann zu durchbrechen; er ist spektakulär. Ein Buch, in dem es keinen Mörder gibt, ist kein Krimi. Es verlässt das bekannte Erzählmuster soweit, dass es Krimileser nicht auf den ersten Blick ansprechen wird. Innovation muss in eine breite Grundlage von Bekanntem eingebettet sein, um verstanden und akzeptiert zu werden. Je größer der Innovationssprung ist, den ein Kunstwerk macht, desto unverständlicher wird es. Kunst, die sich gar nicht der vorhandenen Formensprache bedient und die herkömmlichen Muster völlig verlässt, ist nicht spektakulär, sondern schlicht unverständlich.
Der besondere Reiz des Spektakulären kann die Verleger und anderen Medienunternehmer zugegebenermaßen durchaus dazu motivieren, ein gewisses Maß an Innovation in ihrem Programm zuzulassen. Denn der völlige Stillstand ist langweilig und damit auch ökonomisch unvernünftig. Aber diese Dosis an ökonomisch sinnvoller Innovation ist klein; zudem beschränkt sie sich auf die Oberfläche, nicht auf die tieferen Strukturen und Gesetzmäßigkeiten, die in der Praxis so gut wie niemals in Frage gestellt werden. Außerdem ist anzunehmen, dass sich das Publikum immer schwerer für Neues interessieren läßt, je unübersichtlicher und vielschichtiger die Informationslandschaft wird. Die Reizüberflutung motiviert nicht zur Öffnung nach außen, sondern zum Rückzug in bekannte Gefilde. Der besondere Reiz des Spektakulären allein stellt aus diesem Grund in unserer unübersehbar ausdifferenzierten und vielfältigen postmodernen Gesellschaft keine hinreichende ökonomische Motivation zur künstlerischen Innovation dar.
Eine weitere implizierte Prämisse dieser Arbeit ist, dass das Kunstwerk im Informationszeitalter auch weiterhin ein quasi-dingliches Produkt bleiben wird, das an eine unbestimmte Öffentlichkeit adressiert ist, und keine Dienstleistung, die inhaltlich auf eine bestimmte kommunikative Beziehung zwischen Künstler und dem individuellen Nachfrager zugeschnitten ist. Solange Kunst an einen materiellen Datenträger gebunden war, war es selbstverständlich, dass man sie nicht nur aus der Sicht eines individuellen Nachfragers bzw. Auftraggebers heraus verstehen und beurteilen konnte, sondern von einer übergeordneten öffentlichen Warte aus. Auch, wenn ein materielles Kunstwerk - beispielsweise ein Portrait - für einen bestimmten Auftraggeber erstellt und nach seinen Wünschen gefertigt wurde, bezweifelt niemand, dass man das Portrait nicht nur aus Sicht des Auftraggebers, sondern auch aus übergeordneter, öffentlicher Warte heraus verstehen und beurteilen kann. Mit der digitalen Konvergenz, dem Verschmelzen von Individualkommunikation und Massenkommunikation wird es für die Medienunternehmen möglich, ihre Produkte immer genauer an die Zielgruppe anzupassen - bis zur individuellen Anpassung an eine konkrete Nachfrage im Einzelfall. Wenn Kunst auf diese Weise zum nichtöffentlichen Dialog würde, könnte man das hierbei vorhandene Innovationspotential nicht mehr von außen beurteilen, es wäre abhängig von der Person des individuellen Nachfragers und dessen Weltoffenheit. Auch wäre eine rechtliche Infrastruktur wie beispielsweise das Urheberrecht weitgehend entbehrlich, da die Gefahr von Raubkopien bei einer individuell zugeschnittenen Kommunikationsdienstleistung naturgemäß nur gering ist. Allerdings wird Kunst auch im Informationszeitalter, das keinen materiellen Datenträger mehr kennt, sondern nur noch unverkörperte Datenströme, voraussichtlich auch weiterhin ein quasi-dingliches Werk - ein Produkt - bleiben, und nicht ausschließlich zur Dienstleistung werden, auch wenn dies in Teilbereichen durchaus denkbar ist:
Dienstleistungen orientieren sich inhaltlich immer an einer existierenden Nachfrage; Kunst hingegen befriedigt keine vorhandene Nachfrage, sondern trägt ihre Qualität in sich selbst und kann deshalb nicht stets affirmativ sein, sondern muss den Spielraum zur Konfrontation haben. Kunst allein als Dienstleistung wäre so langweilig wie die Motive der Portraits von Klerikern und Fürsten aus vergangenen Jahrhunderten - langweilig für jeden; höchstens vielleicht mit Ausnahme des Porträtierten selbst. Kunst ist immer auch verbindendes Gesprächsthema und Ausdrucksmittel für die Gefühle der Kunstinteressierten. Eine Welt, in der Kunst ausschließlich oder weitgehend zur individuell zugeschnittenen Dienstleistung würde, wäre eine Welt der Vereinsamung. Niemand will einen Roman lesen, der perfekt auf seine individuellen Vorlieben zugeschnitten ist und für niemand anders bestimmt ist. Kunst ist ein öffentlicher Raum, Gesprächsthema und Begegnungsstätte. Außerdem ist ein Dienstleister abhängig von den Launen des Auftragsgebers: Wenn das Urheberrecht den Künstlern die Macht gibt, ihre Werke auf einem offenen Markt anzubieten, anstatt sie als Dienstleistung für einen einzelnen finanzstarken Auftraggeber zu erbringen, stärkt es sie hierdurch und ermöglicht ihnen ein Stück Unabhängigkeit und damit inhaltliche Gestaltungsfreiheit. Auch das Publikum hat letztlich ein inneres Bedürfnis nach Konfrontation und wird deshalb auch weiterhin Kunst nachfragen, die auf einen offenen Markt abzielt - zumal Kunst ja auch Gesprächsthema und soziales Band zwischen den Kunstinteressierten ist.
Zum Aufbau dieser Arbeit im Folgenden: Ökonomische, technische und rechtliche Aspekte sollen zu einem in sich geschlossenen Ganzen zusammengefügt werden. Diese Einleitung hat die Funktion, die Ausgangsbegriffe, die dieser Arbeit zugrundeliegen, zu klären. In den drei folgenden Kapiteln werden die innovationshemmenden und -fördernden Kräfte, die in jedem der drei Subsysteme wirksam sind, nacheinander dargestellt. In einer abschließenden Gesamtschau sollen die Einflüsse, die die verschiedenen Subsysteme aufeinander haben und das innovationshemmende bzw. -fördernde Potential des Gesamtsystems analysiert werden.
Damit sich die Thematik dieser Arbeit eingrenzen lässt, werden die technische, rechtliche und ökonomische Infrastruktur jeweils nicht vollständig und von Grund auf dargestellt, sondern nur insoweit, wie dies in Hinblick auf ihre Einflüsse auf künstlerische Innovationsprozesse nötig und sinnvoll ist. Technik, Recht und Ökonomie werden nicht von innen heraus (also nicht aus der Sicht des Technikers, Juristen oder Ökonomen) in ihrer historisch gewachsenen Wissenschaftssprache dargestellt, sondern von außen als gesellschaftliche Subsysteme gesehen, die bestimmte gesellschaftliche Funktionen erfüllen und Wirkungen auf ihre Umwelt haben, die positiv oder negativ, intendiert oder unbeabsichtigt sein können. Eine derartige Darstellung von außen ist nicht ganz einfach, weil sie einerseits ein gewisses Verständnis für die inneren Gesetzmäßigkeiten und die Funktionsweise der drei gesellschaftlichen Subsysteme Recht, Technik und Ökonomie erfordert, andererseits aber auch eine kritische Distanz zu allen drei Subsystemen gleichermaßen verlangt. Das Weltbild keiner der drei Disziplinen darf verabsolutiert und über die anderen Disziplinen gestellt werden. Das Recht ist nicht die Meßlatte für Technik und Ökonomie, ebenso wenig lässt sich die Qualität einer rechtlichen Regelung allein danach beurteilen, ob sie ökonomisch vernünftig ist: Grundgedanke der Ökonomie ist die Maximierung der Effizienz, größtmöglicher Ertrag bei kleinstmöglichen Kosten. Grundintention der Ökonomie ist es daher immer, alle Kräfte auf ein bestimmtes Ziel zu bündeln, das sich als "Ertrag" quantifizieren lässt. Diese Konzentration ist die Grundvoraussetzung für zielstrebiges Handeln zur Erreichung von gewerblichen oder ideellen Zielen: Auch eine Organisation wie z. B. Greenpeace, die ideelle Ziele verfolgt, muss hierbei ökonomisch sinnvoll handeln, um ihre Ressourcen so wirksam wie möglich einzusetzen. Die Ökonomie ist also keineswegs eine "Wissenschaft des Egoismus". Allerdings führt diese (in der Betriebswirtschaftslehre strukturell angelegte) Konzentration aller Kräfte auf ein Ziel zwangsläufig dazu, dass andere schützenswerte Interessen, die zu dem als "Ertrag" quantifizierten Ziel gegenläufig sind, vernachlässigt zu werden drohen: Ein Unternehmer, der mehr Geld für den Umweltschutz oder für die soziale Sicherheit seiner Mitarbeiter ausgibt, als zur Maximierung seines unternehmerischen Gewinns nötig und sinnvoll ist, handelt nun einmal ökonomisch unvernünftig. Die Ökonomie muss nicht notwendigerweise blind für die Ziele des Umweltschutzes oder der sozialen Sicherheit sein, da diese durchaus als Mittel zur Gewinnsteigerung gerechtfertigt werden können. Ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit schafft ein gutes Betriebsklima und erhöht die Produktivität der Mitarbeiter; ein gewisses Maß an Umweltschutz lässt sich imagewirksam nach außen verkaufen u. s. w. In diesem Umfang lässt sich der Umweltschutz oder die soziale Sicherheit als Mittel zur Effizienzsteigerung innerhalb der Ökonomie erfassen und beurteilen. Aber sobald die Ziele miteinander in Konflikt geraten, d. h. das eine Ziel nur noch auf Kosten des anderen Zieles erreicht werden kann, ist die Ökonomie nicht mehr in der Lage, klare Entscheidungsmaßstäbe und Prioritäten vorzugeben. Da ihr Grundgedanke die Effizienzmaximierung ist, denkt sie stets eindimensional innerhalb quantifizierbarer bzw. miteinander vergleichbarer Größen, niemals multipolar innerhalb von Größen, die nicht quantifizierbar sind, da sie nicht ineinander umgerechnet bzw. nicht miteinander verglichen werden können. Ein Mehr an Umweltschutz lässt sich nicht in ein Weniger an Gewinn umrechnen, da eine gesunde Umwelt ein Allgemeingut ist, das am Markt nicht handelbar ist. Die Ökonomie kann nur feststellen, wie viel Geld ein Mehr an Umweltschutz kostet, aber sie kann keinen Aufschluss darüber geben, wie viel Umweltschutz sinnvoll und vernünftig wäre.
Die Rechtswissenschaft hingegen hat – ebenso wie die Ethik, Soziologie und Politologie - die Stärke, dass sie multipolare Interessenkonflikte auflösen und widerstreitende Interessen miteinander in Einklang bringen kann. Das Recht wertet auf der Grundlage ethisch-kultureller Normen. Dieser Grundgedanke des Interessenausgleichs bzw. der Verhältnismäßigkeit, auf dem die Rechtswissenschaft basiert, macht diese zwangsläufig blind für Fragen der Effizienz. Das Recht kann bestimmte Umweltschutzvorschriften vorsehen; ist aber aus sich heraus nicht in der Lage, zu beurteilen, ob diese ökonomisch sinnvoll sind oder ob es bessere Alternativen gibt. Hier sind Juristen auf die Hilfe von Ökonomen angewiesen. Die Rechtswissenschaft argumentiert – ebenso wie etwa Politikwissenschaft und Soziologie - qualitativ, die Ökonomie quantitativ. Die Rechtswissenschaft definiert Ziele und versucht, Zielkonflikte positiv aufzulösen; sie kann aber aus sich heraus nicht sagen, wie man ein Ziel am besten erreicht. Die Ökonomie sucht nach dem kürzesten Weg zur Erreichung eines vorgegebenen Ziels, kann aber aus sich heraus keine Ziele definieren. Rechtswissenschaft und Ökonomie haben deshalb fundamental unterschiedliche Aufgaben und Anwendungsbereiche, die eine Wissenschaft eignet sich nicht als Beurteilungsmaßstab für die andere Wissenschaft. Beide Wissenschaften konkurrieren auch nicht miteinander, sondern arbeiten - im Idealfall - zusammen und ergänzen sich gegenseitig, um effizientes und ausgewogenes, nachhaltiges Handeln zu ermöglichen. Das gilt auch für die Technik, die ebenfalls weder Dienerin noch Herrin der anderen Wissenschaften ist. Ökonomisch effizient oder rechtlich ausgewogen ist keineswegs immer nur das, was technisch fortschrittlich ist. Umgekehrt ist auch der technische Fortschritt kein reines Werkzeug zur Effizienzsteigerung oder Konfliktlösung, sondern hat seine spezifisch eigene Richtung und Wertigkeit.
Diese Gleichwertigkeit bzw. Unvergleichbarkeit der drei Disziplinen wirft die Frage nach dem Beurteilungsmaßstab bzw. nach der Perspektive auf, aus der heraus die drei gesellschaftlichen Subsysteme Technik, Recht und Ökonomie dargestellt und bewertet werden sollen. Dieser Beurteilungsmaßstab kann wegen dieser Gleichwertigkeit nicht einer der drei Disziplinen entnommen werden, sondern muss von außerhalb kommen. Es geht um die Frage, inwieweit die drei gesellschaftlichen Subsysteme die Entstehung und Verbreitung innovativer Kunst fördern oder behindern. Wenn von den drei gesellschaftlichen Subsystemen Recht, Technik und Ökonomie gesprochen wird, ist das nicht ganz exakt: Keine der drei Disziplinen ist ein in sich geschlossenes Subsystem dergestalt, dass es mit der restlichen Gesellschaft nur dadurch verbunden ist, dass es von ihr einen bestimmten Input empfängt und ihr einen bestimmten Output zurückliefert. Weder Recht, noch Technik, noch Ökonomie sind in sich geschlossene, selbständig arbeitende maschinenähnliche Systeme: Das Recht versucht nicht nur, unmittelbar selbst bestimmte gesellschaftliche Zustände herzustellen, sondern zu diesem Zweck auch auf die Gestaltung der technischen Infrastruktur und auf die ökonomischen Prozesse und Gesetzmäßigkeiten Einfluss zu nehmen. Umgekehrt beeinflussen Technik und Ökonomie ihrerseits das Recht nicht nur dadurch, dass sie die gesellschaftliche Ausgangslage prägen, die das Recht vorfindet: Technische Verfahren können den Zweck haben, rechtliche Regelungen zu umgehen oder durchzusetzen. Wirtschaftliche Strukturen können auf rechtlichen Regelungen basieren oder diese gezielt umgehen. Dasselbe gilt auch für das Verhältnis zwischen Technik und Ökonomie: Wirtschaftliche Interessen können zur Entwicklung einer bestimmten Technologie motivieren oder die Entwicklung einer Technologie behindern. Eine neue Technologie kann Märkte verschwinden lassen, oder schaffen, wie dies derzeit beim E-Commerce geschieht.
Die drei Bereiche sind also nicht in sich abgeschlossene, selbständig arbeitende Subsysteme, sondern auf vielfältige Weise ineinander verzahnte unselbständige Teile eines Gesamtsystems, die sich gegenseitig in ihrer Funktionsweise beeinflussen. Korrekter wäre es vielleicht, wenn man von Recht, Technik und Ökonomie nicht als Subsystemen, sondern als verschiedenen Sichtweisen ein- und derselben gesellschaftlichen Wirklichkeit sprechen würde. Man kann das Internet als technisches System, als Marktplatz oder als Rechtsraum sehen, jede dieser Sichtweisen erfasst einerseits Aspekte, die die anderen Sichtweisen nicht erkennen können und ist andererseits blind für bestimmte Teile der Wirklichkeit.