2. Ökonomische Aspekte

2.1. Einführung und Überblick

Dieses Kapitel untersucht die kulturökonomischen Verhandlungs- und Austauschprozesse bei der Nutzung des Internets als Medium für innovative Kunst. Die Untersuchung zielt darauf ab zu klären, inwieweit die unterschiedlichen Interessenlagen, sowie die Informationsgefälle und die Machtverhältnisse zwischen den beteiligten Akteuren die Realisierung innovativer Kunst behindern oder fördern. Hierbei werden drei Finanzierungsmodelle unterschieden: Finanzierung der Inhalte durch Werbung, Finanzierung durch Zahlungen des Publikums und Finanzierung über einen spekulativen Sammlermarkt. Wegen dem rasanten derzeitigen Entwicklungstempo des Internets ist die Darstellung eher abstrakt gehalten und fragt nach grundsätzlichen Stärken und Schwächen, die den verschiedenen Finanzierungsmodellen immanent sind. Tagesaktuelle Meldungen und konkrete Beispiele einzelner Firmen werden nur dort erwähnt, wo dies unumgänglich ist oder die Sache anschaulicher macht. Durch einen Vergleich der drei Modelle soll herausgearbeitet werden, inwieweit sich die mit ihnen jeweils verbundenen ökonomischen Sachzwänge nachteilig auf die Entstehung neuartiger Kunst auswirken können und mit welchen Strategien Kulturmanager andererseits die besonderen Chancen dieser Modelle nutzen können, um künstlerische Innovation zu ermöglichen.

 

2.2. Finanzierung durch Werbung

Der Begriff der Werbung läßt sich mehr oder weniger weit fassen. Im Rahmen dieser Arbeit geht es allein um Wirtschaftswerbung im weitesten Sinne, politische Propaganda und weltanschauliche Werbung werden ausgeklammert, solange sie nicht zumindest teilweise auch ökonomisch motiviert sind. Allgemein wird als typisch für Werbung angesehen, dass sie nicht spontane unreflektierte Kommunikation ist, sondern planmäßig und ergebnisorientiert. Im Kontrast hierzu geht das klassische abendländische Kunstverständnis davon aus, dass Kunst authentischer Ausdruck von individuellen Gefühlen ist und primär nicht durch ein äußeres Ziel, sondern durch einen inneren kreativen Antrieb motiviert wird. Dem entspricht es, wenn der allgemeine Sprachgebrauch Werbung als etwas ansieht, das nur in loser und willkürlicher Verbindung zu den eigentlichen künstlerischen Inhalten steht. Auch die Betriebswirtschaftslehre unterscheidet zwischen Werbemittel und Werbeträger. Diese Trennung wird allerdings bei neuartigen Finanzierungsmodellen wie Sponsoring, Bartering oder Product Placement zunehmend unscharf. Die technischen Gegebenheiten des Internet begünstigen eine immer engere Verflechtung von Inhalt und Werbebotschaft. Deshalb wird im Rahmen dieser Arbeit nicht als selbstverständlich unterstellt, dass Werbetreibender und Künstler organisatorisch und finanziell selbständig und unabhängig voneinander sind. Sie können sogar personenidentisch sein.

Demgemäß werden im Folgenden unter Werbung alle Finanzierungsmodelle für Kunst verstanden, bei denen nicht das Publikum die von ihm wahrgenommenen Inhalte finanziert, sondern der Inhaltsproduzent selbst oder ein Dritter, weil er sich von der Aufmerksamkeit durch das Publikum einen mittelbaren ökonomischen Vorteil erhofft. Zunächst werden diejenigen Fälle untersucht, in denen Werbemittel und Werbeträger voneinander trennbar sind. Sie werden als Fremdwerbung bezeichnet. Hierbei liegt der Schwerpunkt auf dem (derzeit) weit verbreiteten Finanzierungsmodell von Webinhalten durch Werbebanner. Es soll aber auch über mögliche Entwicklungsperspektiven dieses Systems nachgedacht werden. Dann folgt die Darstellung der Fälle, in denen Werbemittel und Werbeträger zu einer Einheit verschmelzen (Eigenwerbung).

 

2. 2. 1. Fremdwerbung

Bei der Fremdwerbung wird das Interesse, das ein bestimmtes künstlerisches Werk beim Publikum weckt, von einem Dritten genutzt, um eine Werbebotschaft zu transportieren. Der Werbetreibende muß den Künstler erst mit Geld motivieren, die Verbindung zwischen Werbebotschaft und Kunstwerk herzustellen. Diese ergibt sich also nicht von selbst, sondern ist stets bis zu einem gewissen Grad willkürlich. Das gilt auch dann, wenn die äußere Trennung von Kunstwerk und Werbemittel aufgegeben wird, wie dies etwa beim Product Placement oder beim Bartering der Fall ist. Im Folgenden werden die Akteure, die direkt oder indirekt auf die Gestaltung der künstlerischen Inhalte einwirken können, kurz vorgestellt. Anschließend werden die ökonomischen Austauschbeziehungen zwischen ihnen sowie die Machtverhältnisse und Informationsungleichgewichte, die hieraus resultieren, näher untersucht.

2.2. 1. 1. Beteiligte Akteure

Folgende Akteure sind unmittelbar oder mittelbar an der Erschaffung künstlerischer Inhalte beteiligt: Zunächst ist da das Publikum, das die Inhalte nachfragt. Ein weiterer Akteur ist der Künstler selbst, der das Werk nach seinen ästhetischen Vorstellungen schafft. Er ist hierbei auf die Finanzierung durch einen weiteren Akteur, nämlich den Werbetreibenden, angewiesen. Für diesen ist das Kunstwerk unter ökonomischen Gesichtspunkten insoweit interessant, als es ihm die Aufmerksamkeit eines Publikums verschafft, das aufgrund seiner Größe und demoskopischen Zusammensetzung geeignet zur Aufnahme der Werbebotschaft erscheint. Schließlich sind als weitere Akteure noch die Zwischenhändler zu nennen. Es kann diese sowohl zwischen Künstler und Publikum als auch zwischen Künstler und Werbetreibenden geben, aber es muß sie nicht zwangsläufig geben. Abbildung 1 zeigt die Wertschöpfungskette zwischen den beteiligten Akteuren:

2.2.1.1.1. Publikum

Zunächst soll die Rolle des Publikums untersucht werden. Es ist nicht selbstverständlich, bei einem interaktiven Medium wie dem Internet überhaupt noch von einem Publikum im herkömmlichen Sinn zu sprechen. Technisch gesehen erlaubt das Internet im Gegensatz etwa zum Kabelfernsehen gleichzeitig Kommunikation in beide Richtungen und legt damit die Rollen von Kommunikator und Rezipient nicht von vornherein fest. Schon allein, weil eine Webseite im Gegensatz zu einem Fernsehkanal gezielt ausgewählt werden muß, verlangt das Internet vom Rezipienten ein relativ hohes Maß an Aktivität.

Diese Tendenz wird noch dadurch verstärkt, dass im Internet eine unüberschaubare Zahl von Inhalten um die Aufmerksamkeit des Publikums konkurriert. In dieser Flut geht nur derjenige nicht unter, dem es gelingt, seine Inhalte möglichst schnell und genau auf sein Publikum zuzuschneiden. Man muß sich folglich als Informationsanbieter im Internet stärker als in anderen Medien an der Erwartungshaltung des Publikums orientieren, wenn man wahrgenommen werden will. Dabei hilft es, wenn man dem Publikum Gelegenheit gibt, das Informationsangebot an seine Bedürfnisse anzupassen, und auch sonst alles tut, um in möglichst engem Kontakt mit ihm zu bleiben.

Deshalb geben Inhaltsanbieter dem Publikum im Netz häufig Gelegenheit zur interaktiven Mitgestaltung der Inhalte. Auf den ersten Blick scheint damit die Grenze zwischen Publikum und Künstler im Internet zu verschwimmen. Allerdings darf man nicht übersehen, dass der Informationsanbieter bewußt entscheidet, in welchem Maß er dem Publikum Mitwirkungsmöglichkeiten einräumt. Interaktivität bedeutet in der Regel keinen gleichberechtigten Dialog, sondern eine begrenzte Zahl planvoll eingeräumter Wahlmöglichkeiten. Der Künstler kann seine Entscheidung, das Publikum aktiv an der Gestaltung des Kunstwerks mitwirken zu lassen, jedenfalls dann jederzeit revidieren, wenn er das technische System kontrolliert und deshalb jederzeit faktisch die Möglichkeit hat, mißliebige Inhalte zu löschen bzw. störende Netzteilnehmer aus seinem System zu verbannen. Das ist in der Praxis meistens der Fall. Folglich behält er die volle inhaltliche Kontrolle über das Werk. Hinzu kommt, dass die Interaktion zwischen Publikum und Künstler nichts an der ökonomischen Rollenverteilung ändert: Der Künstler profitiert von der Aufmerksamkeit des Publikums ökonomisch insoweit, als das von ihm initiierte Informationsangebot bekannter und damit für Werbetreibende attraktiver wird. Das Publikum hingegen hat lediglich ein außerökonomisches Interesse an den künstlerischen Inhalten selbst und steigert durch seine Beiträge den Ruhm des Künstlers, nicht seinen eigenen. Anhand dieser beiden Kriterien lassen sich auch im Internet die Rollen von Künstler und Publikum mit hinreichender Klarheit voneinander abgrenzen.

Das Nachfrageverhalten des Publikums entscheidet darüber, welche künstlerischen Inhalte zugkräftig sind und deshalb aus der Sicht der Werbetreibenden attraktiv erscheinen. Folglich bestimmt es mittelbar, welche Inhalte den Künstlern Einnahmen durch Werbung versprechen. Das Nachfrageverhalten des Publikums hat im System der ökonomischen Austauschbeziehungen bei werbefinanzierten Inhalten insoweit eine Schlüsselfunktion, als es das einzige Verhalten ist, das nicht durch ökonomische Motive beeinflußt wird. Das Publikum fungiert deshalb als Triebfeder der außerökonomischen Impulse. Sein Verhalten ist nicht ökonomisch motiviert, aber für die übrigen Akteure von immenser ökonomischer Bedeutung. Es stellt damit eine Art Einfallstor für außerökonomische, irrationale kulturelle Wertungen ins "rationale" System der ökonomischen Entscheidungstheorie dar.

Unterstellt man bei allen übrigen Beteiligten ein Dominieren der ökonomischen Motive, also ein streng erwerbswirtschaftliches bzw. rationales Verhalten im entscheidungstheoretischen Sinne, so müßte letztlich allein die Nachfrage des Publikums darüber entscheiden, welche künstlerischen Inhalte und Formensprachen produziert werden und welche nicht. Kurzfristig müßten diejenigen Inhalte Erfolg haben, die die vorhandene Nachfrage befriedigen. Langfristig müssten diejenigen Inhalte Erfolg haben, die sich eine möglichst große Nachfrage schaffen können.

Das Nachfrageverhalten entzieht sich aber gerade bei neuartigen künstlerischen Inhalten weitgehend der wissenschaftlichen Untersuchung: Die komplexen Kommunikations- und Wertungsvorgänge, die die Attraktivität eines bestimmten Kunstwerks beim Publikum bestimmen, sind so subjektiv, dass man hierüber kaum genug verallgemeinerungsfähige Aussagen machen und abstrakte Gesetzmäßigkeiten finden kann, um zu einer diesbezüglichen Entscheidungstheorie zu gelangen. Sie sind allenfalls intrasubjektiv abschätzbar, nicht mit objektiven Formeln berechenbar. Es liegt in der Natur innovativer Kunst, dass sie die herkömmliche künstlerische Formensprache sprengt und dadurch gleichzeitig erweitert. Wer nach allgemeinen Gesetzmäßigkeiten zwischen dem künstlerischen Inhalt und dessen Erfolg beim Publikum sucht, müsste den künstlerischen Inhalt beschreiben und einordnen – wobei ihm nur die herkömmliche Formensprache zur Verfügung stünde, die zur Beschreibung wirklich innovativer Werke gerade nicht in der Lage ist.

Wenn sich schon der eigentliche Inhalt neuartiger Kunstwerke aus diesem Grund der wissenschaftlichen Analyse entzieht, so kann man doch immerhin fragen, inwieweit sich die Neuartigkeit der Inhalte als ihre einzige bekannte Eigenschaft auf das Nachfrageverhalten des Publikums auswirkt. Bei materiellen Gütern geht die Betriebswirtschaftslehre davon aus, dass Neuartigkeit an sich ein Kaufanreiz sein kann. Dies wird teilweise damit erklärt, dass der Mensch stets nach Neuem sucht. Es liegt aber auch deshalb nahe, weil aufgrund der Neuartigkeit des Gutes noch keine Marktsättigung eingetreten sein kann. Anders als bei materiellen Gütern wird die Nachfrage bei künstlerischen Werken durch den Kunstgenuss aber nicht notwendigerweise befriedigt, sondern kann ganz im Gegenteil verstärkt werden. Wer beispielsweise ein Buch von einem bestimmten Schriftsteller gelesen hat, wird mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch ein weiteres von ihm lesen wollen. Im Gegensatz zu materiellen Nutzgegenständen befriedigen Kunstwerke keine originär vorhandene Nachfrage, sondern müssen sich ihre Nachfrage durch ihre Existenz selbst schaffen. Etablierte Klassiker können ein weitaus profitableres Geschäft versprechen, als neue Künstler. Da es nicht notwendigerweise zu einer Marktsättigung kommen muß, entfällt im Kunstbereich der Zwang zur ständigen Innovation, den es bei materiellen Gütern technischer Art gibt.

Die Akzeptanz von neuartigen Inhalten durch das Publikum kann sogar besonders problematisch sein: Da neuartige Kunstwerke den Rahmen der bekannten Formensprache sprengen, hat das Publikum von ihnen zunächst keine Vorstellung und verlangt deshalb auch nicht nach ihnen. Es kann also nicht als Initiator von Innovationsprozessen fungieren, sondern bremst derartige Prozesse jedenfalls in ihrer allerersten Phase. Reine "market-pull"-Innovationen kann es deshalb bei der Kunst nicht geben. Wenn die neuartigen Inhalte aber erst einmal einen gewissen Mindestbekanntheitsgrad erreicht haben und ein Teil des Publikums eine feste Vorstellung damit verbindet, dann kann innerhalb des Publikums nach einiger Zeit durchaus ein selbsttragender Trend entstehen, der das weitere Bekanntwerden der Inhalte fördert. Dann kann auch die Neuartigkeit des Kunstwerks einen nachfragesteigernden Reiz ausüben. Bis der hierfür erforderliche Mindestbekanntheitsgrad erreicht ist, bedarf es aber zunächst besonderer Anstrengungen seitens der Künstler und der Zwischenhändler. Ob und wann sich diese Anstrengungen ökonomisch auszahlen und eine kulturelle Innovation vom Publikum angenommen wird, bleibt unsicher. Es läßt sich aus den oben genannten Gründen allenfalls aufgrund praktischer Erfahrung und nicht mit wissenschaftlichen Formeln prognostizieren. Für Künstler und Zwischenhändler bedeutet innovative Kunst deshalb ein im wahrsten Sinn des Wortes unkalkulierbares Risiko. Sie verspricht niemals einen kurzfristigen, sondern allenfalls einen langfristigen Gewinn.

 

2.2.1.1.2. Werbetreibende

Ein weiterer Akteur ist der Werbetreibende. Im Rahmen dieser Arbeit wird dieser Begriff weit verstanden: Er umfaßt nicht nur denjenigen, der die Tätigkeit des Künstlers finanziert, damit er von der hierdurch erregten Aufmerksamkeit ökonomisch profitieren kann. Miterfaßt wird auch die Gestaltung der Werbemittel sowie ihre Verbindung mit dem Kunstwerk.

Der Werbetreibende finanziert die Arbeit des Künstlers, indem er dessen Werk als Werbeträger auswählt. Das bedeutet unweigerlich stets ein gewisses Maß an Einflußnahme auf die künstlerischen Inhalte. Denn die Werbewirksamkeit ist nicht nur davon abhängig, dass die Inhalte der angesprochenen Zielgruppe gefallen. Hinzukommen muß, dass die Inhalte beim Publikum ein günstiges emotionales Klima zur Aufnahme der Werbebotschaft schaffen. Es ist also aus Sicht des Werbetreibenden ökonomisch sinnvoll, wenn er versucht, den Programmkontext der Werbebotschaft zu optimieren. Selbst wenn der Werbetreibende keine inhaltlichen Änderungen fordert und dem Künstler völlige Freiheit läßt, so wird doch der Künstler in vielen Fällen bei ihm eine unausgesprochene Erwartungshaltung vermuten und hierdurch beeinflußt werden. Der Werbetreibende unterscheidet sich von den übrigen Akteuren dadurch, dass sein eigentlicher Tätigkeitsschwerpunkt in der Regel nicht im kommunikativen Bereich liegt. Die Produkte, deren Verkauf er fördern will, haben an sich nichts mit dem Kunstwerk zu tun.

Zwar können auch bei ihm durchaus auch mäzenatischer Idealismus oder andere außerökonomische Motive mitschwingen. Es wäre ungerecht, ihn quasi zum "natürlichen Feind" innovativer Kunst zu erklären. Bei ihm ist es aber besonders wahrscheinlich, dass es zu einem Zielkonflikt zwischen dem ökonomischen Interesse und den außerökonomischen Motiven kommt. Denn der Werbetreibende profitiert unmittelbar davon, wenn Werbemittel und Werbeträger möglichst zielgruppengerecht und funktionell sind. Jeder diesbezügliche Kompromiß geht auf seine Kosten. Im Unterschied zum Künstler kann er nicht nach kreativen Lösungen für diese Zielkonflikte suchen. Er hat nur die Wahl, entweder auf eine Maximierung der Effektivität von Werbung und ihrem programmlichen Umfeld zu dringen, oder dem Künstler mehr Freiheit zu lassen. Darauf wie der Künstler diese Freiheit nutzt, kann der Werbetreibende kaum Einfluß nehmen. Selbst wenn ihm etwas an der ästhetischen Qualität des Kunstwerks liegt, kann er den innovativen Künstler nicht zwingen, diese Qualität in seinem Sinne zu steigern. Bei neuartiger Kunst gibt es noch keine Maßstäbe, an denen man ihre Qualität messen kann. Deshalb läßt sich diese Qualität auch nicht vertraglich vereinbaren bzw. im vorab einfordern. Auch läßt sich die Wirkung eines innovativen programmlichen Umfelds auf die damit verbundene Werbung schlecht abschätzen. Das Streben nach Berechenbarkeit und Risikominimierung vergrößert die Versuchung, die künstlerische Freiheit eher einzuschränken.

Im Internet ist der konkrete Erfolg eines bestimmten Werbeträgers statistisch meßbar. Diese Statistiken geben dem Werbetreibenden zwar ein sehr wirksames Mittel der Effizienzkontrolle, allerdings werden vor allem quantitative Aspekte, insbesondere die Kontaktzahlen gemessen. Ein qualitativer Aspekt, der sich mit Hilfe der Serverstatistiken gut messen läßt, ist die kurzfristige Wirkung eines Werbekontakts. Es gibt bereits Abrechnungssysteme, bei denen sich die Vergütung des Künstlers nach dem unmittelbaren finanziellen Erfolg der Werbung richtet. Andere qualitative Aspekte, insbesondere die demoskopische Zusammensetzung der erreichten Nutzer und die Langzeitwirkung der Werbung sind statistisch schwerer zu erfassen. Dies würde die Erstellung detaillierter Nutzerprofile erfordern. Zwar ist dies technisch kein Problem, aber bei fehlender Einwilligung der Betroffenen datenschutzrechtlich unzulässig und wird darüber hinaus auch gesellschaftlich nicht toleriert. Die Suche nach einem Interessenausgleich zwischen dem wirtschaftlichen Bedürfnis nach umfassenden Nutzerprofilen und dem Bedürfnis nach informationeller Selbstbestimmung wird zu einer Schlüsselfrage der Internet-Ökonomie. Vorerst bleibt die qualitative Werbewirkung schwer meßbar, dies bedeutet einerseits ein Stück betriebswirtschaftliche Ineffizienz, andererseits auch ein Stück inhaltliche Gestaltungsfreiheit für die Künstler: Wenn sie nicht die kurzfristige Wirkung des Kunstwerks auf die umworbene Zielgruppe maximieren müssen, sondern sich auf die schwerer meßbaren langfristigen Erfolge ihrer Arbeit berufen können, haben sie Spielraum, um ihre eigenen ästhetischen Vorstellungen zu verwirklichen.

Das Verhalten des Werbetreibenden ist primär ökonomisch motiviert, beeinflußt aber gleichzeitig den außerökonomischen Kommunikationsprozess der übrigen Akteure. Ähnlich wie das Publikum als Triebfeder bzw. Einfallstor für kulturelle Wertungen in den ökonomischen Entscheidungsprozeß fungiert, ist der Werbetreibende Triebfeder bzw. Einfallstor für ökonomisch-rationale Wertungen in den künstlerischen Kommunikationsprozess. Gleichzeitig finanziert er diesen Kommunikationsprozess. Die Serverstatistiken, die den Werbeerfolg messen, sorgen für den Brückenschlag zwischen dem rationalen betriebswirtschaftlichen Kalkül und der irrationalen ästhetischen Wirkung der Inhalte auf das Publikum.

 

2.2.1.1.3. Künstler

Auch beim Künstler kann es bei der Werbefinanzierung den Konflikt zwischen ökonomischen und künstlerischen Zielen geben. Er kann ihn im Gegensatz zum Werbetreibenden aber kreativ lösen und seinen persönlichen eigenen Weg finden, wie er Geld mit seiner Kunst verdienen kann und gleichzeitig seiner ästhetischen Vision treu bleibt. Er steht vor der Aufgabe, das Kunstwerk sowohl seinen eigenen neuartigen ästhetischen Maßstäben wie auch den Erwartungen der umworbenen Zielgruppe genügen zu lassen.

Der Publikumserfolg eines bestimmten Kunstwerks - und damit seine Eignung als Werbeträger - lassen sich auf die dargestellte Weise leicht statistisch durch die Anzahl der "visits" bzw. "Page Impressions" messen. Es muß nicht notwendigerweise so sein, dass der aus dieser Meßbarkeit resultierende Zwang zur Orientierung am Publikumsgeschmack eine innovative künstlerische Arbeit unmöglich macht. Viele große künstlerische Innovationen der Vergangenheit entstanden unter Rahmenbedingungen, bei denen der Künstler auf sofortigen Erfolg beim Publikum angewiesen war. Allerdings wurden die Werke in der Vergangenheit meist direkt durch das Publikum und nicht durch Werbetreibende finanziert. Da die Finanzierung von Kunst durch Werbung kunstgeschichtlich ein Phänomen der Gegenwart ist, gibt es noch keinen gesicherten historischen Erfahrungsschatz darüber, inwieweit die Zwänge, die hiervon ausgehen, den Raum für künstlerische Innovation einengen können. Bei der Finanzierung durch Werbetreibende kann der Künstler sich sein Publikum nicht voll und ganz selbst aussuchen, sondern muß sich fragen, ob dieses Publikum eine passende und lohnende Zielgruppe ist. Er hat auch nicht die Freiheit, das Kunstwerk sein passendes Publikum selbst finden zu lassen; er ist also nicht frei, sich einfach keinerlei Gedanken über die Frage zu machen, bei welchen Leuten sein Werk ankommen könnte, sondern es einfach auszuprobieren. Es kommt nur eine konkret umrissene Zielgruppe in Frage, welche aufgrund ihrer demoskopischen Zusammensetzung für Werbetreibende attraktiv ist.

Wenn ein bestimmtes Publikum vorgegeben ist, ist damit gleichzeitig ein formaler und inhaltlicher Rahmen abgesteckt, innerhalb dessen man mit einer gewissen Sicherheit die geschmacklichen Erwartungen des Publikums erfüllt. Dieser Rahmen existiert innerhalb der bereits vorhandenen künstlerischen Formensprache, erfaßt also nicht die neuartigen Eigenschaften des Kunstwerks. Je mehr das Kunstwerk aufgrund seiner innovativen Natur diesen Rahmen verläßt, desto unsicherer wird es, ob das Kunstwerk die Zielgruppe anspricht. Auch spricht das Publikum auf neuartige Kunst nicht kurzfristig, sondern allenfalls langfristig an. Damit gilt auch hier: Je innovativer das Kunstwerk ist, desto langfristiger und unsicherer wird die Kalkulation der Rentabilität aus Sicht des Werbetreibenden. Wer Kapital investiert, strebt bei gleichbleibender Gewinnerwartung danach, das Risiko, das damit verbunden ist, soweit wie möglich zu minimieren und so bald wie möglich den break-even-point zu erreichen. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Verwendung von innovativer Kunst als Werbeträger betriebswirtschaftlich tendenziell eher unvernünftig. Das heißt für den Künstler, dass er sein Kunstwerk um so schlechter als Werbeträger vermarkten kann, je innovativer es ist.

Andererseits hat neuartige Kunst auch Eigenschaften, die sie zu einem besonders attraktiven Werbeträger machen können. Die Funktion eines Werbeträgers ist es, die Aufmerksamkeit der umworbenen Zielgruppe zu fesseln. In der Informationsflut des Internets konkurriert eine unüberschaubar große Anzahl von Inhalten um diese Aufmerksamkeit. In dieser Wettbewerbssituation werden sich vor allem diejenigen Inhalte durchsetzen, die dem Publikum auf den ersten Blick etwas Neues versprechen. Das Neue, Unbekannte zwingt stets zur gedanklichen Auseinandersetzung. Deshalb eignen sich innovative Inhalte dann besonders gut als Werbeträger, wenn sie überraschen, verwirren und dadurch Neugier erwecken, dass sie gleich auf den ersten Blick schwer zu kategorisierten sind. Diese Wirkung haben Kunstwerke aber nicht, wenn sie völlig neuartig sind. Wer mit einer künstlerischen Formensprache konfrontiert wird, die völlig neu für ihn ist, wird in der Regel überhaupt nichts mit dem Werk anfangen können und deshalb nicht überrascht sein, sondern gleichgültig. Die überraschende Wirkung tritt vielmehr ein, wenn Elemente einer bekannten Formensprache mit neuartigen Elementen verbunden werden, wenn bekannten Mustern zunächst gefolgt wird, um sie dann zu durchbrechen. Die ökonomisch vom Werbetreibenden begehrte Aufmerksamkeit des Publikums erlangen deshalb am leichtesten Werke, die Innovation und Bekanntes verbinden. Die ökonomischen Zwänge können den Künstler deshalb durchaus auch motivieren, seiner Arbeit eine neuartige Richtung zu geben. Allerdings profitieren nur solche Inhalte von der besonderen Zugkraft des Neuen, deren innovative Natur für das Publikum sofort erkennbar ist. Innovation zahlt sich bei kurzfristiger Kalkulation in ökonomischer Hinsicht nur aus, wenn sie (auch) an der Oberfläche stattfindet. Bei denjenigen Teilen des Kunstwerks, die nicht auf den ersten Blick ins Auge fallen, ist es hingegen aus den oben genannten Gründen jedenfalls bei kurzfristiger Betrachtungsweise ökonomisch sinnvoller, das Akzeptanzrisiko zu minimieren, indem man auf bewährte Muster setzt. Wenn man auf diese bewährten Muster verzichtet, um eine neuartige künstlerische Aussage zu kommunizieren, dann kann dies den Wert des Kunstwerks in den Augen des Publikums erst erhöhen, wenn es durch eigene Erfahrung oder über Dritte hiervon erfahren hat. Das braucht Zeit. Innovation, die nicht auf den ersten Blick als solche erkennbar ist, kann sich deshalb allenfalls langfristig ökonomisch auszahlen.

Die ökonomischen Rahmenbedingungen können die Entstehung innovativer Kunst also sowohl fördern als auch erschweren. Der ideale Werbeträger wäre demgemäß ein Kunstwerk, das innovative und herkömmliche Elemente miteinander verbindet. Es müßte eine demoskopisch klar umrissene Zielgruppe in der Formensprache, die ihr vertraut ist, ansprechen und gleichzeitig für diese auf den ersten Blick als neuartig erkennbar sein und außerdem auch noch ein ansprechendes werbliches Umfeld abgeben. Für den Künstler bedeuten diese gegensätzlichen Anforderungen einen Balanceakt: Er muß Neuartiges und Etabliertes auf die richtige Weise miteinander verbinden, um das umworbene Publikum anzusprechen. Er muss seine eigenen künstlerischen Ziele mit den inhaltlichen Vorgaben seitens der Werbetreibenden, die bezwecken, den programmlichen Rahmen an die Werbebotschaften anzupassen, sowie mit den Erwartungen des Publikums unter einen Hut bringen. Dabei reagiert der Künstler nicht passiv auf die Erwartungen dieser beiden Akteure, sondern kann völlig neuartige Wege entdecken, wie sie sich miteinander vereinbaren lassen. Deshalb muß das Ergebnis nicht notwendigerweise ein Kompromiß im Sinne eines "kleinsten gemeinsamen Nenners" sein. Der Druck, unter den der Künstler gesetzt wird sowie die (unter Umständen widersprüchlichen) Erwartungen, denen sein Werk entsprechen soll, können auch ein Anstoß sein, den vorhandenen Raum an künstlerischen Ausdrucksmitteln zu erweitern. Wenn sich der Konflikt zwischen ökonomischen und ästhetischen Zielen nicht lösen läßt, müssen die ästhetischen Ziele neu definiert werden. Das kann heißen, dass Kunst kommerzialisiert und verwässert wird. Es kann aber auch heißen, dass das bislang Ungedachte gedacht wird.

 

2.2.1.1.4. Zwischenhändler zwischen Künstler und Werbetreibenden

Zunächst muß der Begriff des Zwischenhändlers geklärt werden. Der betriebswirtschaftlichen Definition nach ist die Funktion eines Zwischenhändlers die Weitergabe einer Ware auf ihrem materiellen Vertriebsweg. Beim Vertrieb von Kunst über das Internet gibt es keinen materiellen Vertriebsweg. Im Rahmen dieser Arbeit muß dieser Begriff deshalb weit verstanden werden und umfaßt alle diejenigen, die beruflich mit der Aufbereitung und Vermittlung von Kunst und Kultur beschäftigt sind. Beispiele für Zwischenhändler zwischen Künstler und Werbetreibenden im Internet sind die Ersteller von Online-Verzeichnissen, Affiliate-Agenturen sowie Künstler- und Sponsoringagenturen. Zwischen Künstler und Werbetreibenden muß es nicht notwendigerweise Zwischenhändler geben. Dennoch sind sie im Internet eher die Regel als die Ausnahme. Das kann auf den ersten Blick überraschen: Da das Internet einen globalen Marktplatz darstellt, auf dem Anbieter und Nachfrager auf neuartige Weise direkt miteinander in Kontakt treten können, wurde von vielen erwartet, dass der Trend zur weltweiten Vernetzung zu einem weitgehenden Aussterben der Zwischenhändler führen müßte. Dies hat sich beim Markt für Informationen im Allgemeinen und insbesondere beim Markt für Kunst und Kultur nicht bewahrheitet: Hier haben sich ganz im Gegenteil verschiedene neue Arten von Zwischenhändlern etabliert. Bei der Suche nach einer Erklärung für diese Entwicklung stellt sich die Frage, ob sich die Funktion der Zwischenhändler denn tatsächlich darauf beschränkt, eine Ware auf ihrem Vertriebsweg an den Endverbraucher weiterzugeben bzw. den ersten Kontakt zwischen Anbieter und Nachfrager herzustellen. Wenn dies nicht der Fall ist und sie noch weitere Funktionen ausüben, die gerade im Internet besonders wichtig sind, dann könnte das möglicherweise ihre wachsende praktische Bedeutung erklären.

Bei der Suche nach diesen weiteren Funktionen bietet sich ein Vergleich mit den herkömmlichen Kunstmärkten an. HERCHENRÖDER analysiert umfassend die Rolle, die die großen englischen Auktionshäuser, insbesondere Christies und Sotheby’s auf dem Markt für bildende Kunst und Antiquitäten spielen. Er sieht diese Zwischenhändler in der Rolle von aktiven Marktgestaltern, deren Funktion sich keineswegs darauf beschränkt, Bindeglied zwischen Verkäufer und Käufer zu sein. Tatsächlich haben die großen englischen Auktionshäuser seit Jahrzehnten immer wieder gezielt bestimmte Trends initiiert. Durch Instrumente wie Preisgarantien und Finanzierungskredite haben sie bestimmte Marktsegmente gefördert. Auch dadurch, dass die Experten dieser Häuser Kunstsachverständige ausbilden, beeinflussen sie aktiv die ästhetische und finanzielle Wertschätzung von Kunst. Sie reagieren also nicht bloß passiv auf das vorhandene Angebot und die vorhandene Nachfrage. Indem sie Trends verstärken oder sogar initiieren, sorgen sie für Innovation auf dem Kunstmarkt. Gleichzeitig garantieren sie durch ihre Marktmacht und ihren guten Ruf aber auch, dass die bei ihnen gehandelten Werke einen langfristig stabilen Wert haben. In der Unübersichtlichkeit der Kunstmärkte kommt dieser Garantiefunktion eine große Bedeutung zu. Die Auktionshäuser üben also zwei auf den ersten Blick völlig gegensätzliche Funktionen aus: Sie stabilisieren den Markt und halten ihn gleichzeitig in Bewegung; sie sorgen für ein wohldosiertes Maß an Innovation und gleichzeitig auch für Kontinuität und Berechenbarkeit.

Aufgrund der enormen Größe der britischen Auktionshäuser und ihrer Präsenz auf allen nationalen Kunstmärkten haben die von ihnen gesetzten Rahmenpreise auch für die übrigen Marktakteure Orientierungsfunktion. Da die Auktionshäuser sämtliche Teilmärkte und –szenen überblicken, können sie die Rahmenpreise schnell an neue Sammeltrends anpassen. Damit machen die Rahmenpreise den unübersichtlichen Kunstmarkt auch für den Nicht-Fachmann bis zu einem gewissen Grad transparent. Wer auf einer Auktion eines bekannten Auktionshauses kauft, muß auch dann nicht fürchten, ein wertloses Stück angedreht zu bekommen, wenn er selbst kein Kunstkenner ist.

Gleichzeitig bewirkten die Auktionshäuser, dass Anbieter und Nachfrager nicht jederzeit, sondern nur unter den besonderen Bedingungen einer Auktion zusammentreffen. Zu diesen besonderen Bedingungen gehören: Ein enger zeitlicher Rahmen, der eine langfristige Verhandlungstaktik und einen umfassenden Preisvergleich für die Nachfrager unmöglich macht. Die Preise, die die Kunstwerke auf der Auktion erzielen werden, sind vor Beginn der Auktion oft nur schwer abzuschätzen. Die angebotenen Werke sind bewusst ausgewählt; die verschiedenen Anbieter können nicht nur ihr Angebot, sondern auch ihre Preisrahmen aufeinander abstimmen. Da sich im Vorfeld einer Auktion nur die Anbieter, nicht aber die Nachfrager untereinander kennen, ist eine solche Abstimmung den Letzteren nicht möglich. Die Zahl der Nachfrager ist nicht auf das Auktionspublikum beschränkt und damit nicht künstlich begrenzt. Diese besonderen Bedingungen bewirken, dass die Nachfrager auf einer Auktion bei ihrer Entscheidungsfindung nur in geringem Maß vom Markt außerhalb der Auktion beeinflußt werden. Die Anbieter müssen nur in geringem Maß Konkurrenz von außerhalb fürchten. Die besonderen Bedingungen einer Auktion sind ein Mechanismus zur Marktbeschränkung. Es wird innerhalb des Marktes für Kunstwerke ein isolierter künstlicher Teilmarkt geschaffen. Ein Verzicht auf diese Beschränkung würde die Verhandlungsposition der Nachfrager stärken. Es überrascht zunächst, dass sie diese Beschränkung freiwillig auf sich nehmen.

Den Anbietern hingegen muß keineswegs an einem unbeschränkt großen Markt gelegen sein. Kurzfristig würde dies für sie einen erhöhten Konkurrenzdruck bedeuten. Und langfristig würden sie dies mit einem Verlust an Planungssicherheit und Gestaltungsmacht bezahlen: Ein unübersehbar großer Markt läßt sich nicht oder fast nicht lenken, man muß vielmehr auf ihn reagieren. Auch ist es schwer, die Entwicklung auf ihm verläßlich vorherzusagen. Da bildende Kunst meist (auch) aus spekulativen Gründen gekauft wird, ist diese Gestaltungsmacht und Planungssicherheit für die Attraktivität von Kunst als Wirtschaftsgut sehr wichtig. Da sich ein unübersehbar großer Markt nicht lenken läßt, lassen sich Innovationen auf ihm nur schwer etablieren. Damit drohte der Markt statisch zu werden, wenn er nicht mehr künstlich begrenzt würde. Wenn der Markt für bildende Kunst statisch würde, würde sich diese nicht mehr als Spekulationsobjekt eignen. Damit entfiele eines der wichtigsten Motive für ihren Kauf. Aus der Sicht der Anbieter hat die Beschränkung auf einen überschaubaren Teilmarkt damit eine Reihe von Vorteilen.

Es stellt sich die Frage, ob es nur an der fehlenden Marktmacht der Nachfrager liegt, dass sie diese Beschränkung akzeptieren. Da bildende Kunst meist (auch) eine Geldanlage darstellt, ist jeder Nachfrager ein potentieller Anbieter. Die Stärkung der Anbieterposition durch künstliche Marktbegrenzung erhöht den Wert, den das Kunstwerk für den Käufer eines Tages beim Verkauf haben wird. Sie ist für den Käufer kurzfristig nachteilig, langfristig aber ein Vorteil.

Ein weiterer Grund für die freiwillige Beschränkung der Nachfrager auf einen überschaubaren Teilmarkt dürfte in der extremen Größe und Komplexität des Gesamtmarktes mit seinen zahlreichen, teilweise in sich widersprüchlichen Entwicklungen liegen. Diese Komplexität erschwert eine Entscheidungsfindung. Da sich der Wert eines Kunstwerks nur schwer beurteilen lässt, haben die Anbieter von Kunst den Nachfragern gegenüber in der Regel einen großen Informationsvorsprung: Sie können leicht ausprobieren, welcher Wert sich für das Werk am Markt tatsächlich erzielen läßt oder es von einem Experten ihrer Wahl begutachten lassen. Die Auktionshäuser garantieren den Wert des Kunstwerks, helfen also den Nachfragern, ihr Informationsdefizit zu reduzieren. Nachfrager verlassen sich darauf, dass die Auktionshäuser aus dem unübersehbaren, hochkomplexen Gesamtmarkt das Wichtigste herausfiltern. Aufgrund dieses Vertrauens haben die Auktionshäuser eine so große Marktmacht, dass die von ihnen ausgewählten Werke in der Regel tatsächlich aus ökonomischer Sicht die Wichtigsten sein werden – es handelt sich also um eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.

Die Auktionshäuser üben also verschiedene gegensätzliche Funktionen aus, die teils im Anbieterinteresse, teils im Interesse der Nachfrager liegen: Sie beschränken das Angebot im Interesse der Anbieter und ermöglichen ihnen so Planungssicherheit und (Preis-) Gestaltungsmacht. Gleichzeitig helfen sie den Nachfragern, ihr natürliches Informationsdefizit zu reduzieren und garantieren für die Qualität des Werks. Indem sie Trends initiieren oder verstärken, halten sie die Kunstmärkte in Bewegung. Und zudem sorgen sie durch ihre Marktmacht für Stabilität.

Im Internet üben die Zwischenhändler zwischen Künstlern und Werbetreibenden dieselben Funktionen aus: Der Werbetreibende kann die Qualität und Eignung der von ihm initiierten Werbung nur begrenzt beurteilen. Das erklärt sich daraus, dass er selbst in der Regel nicht aus der Werbebranche kommt und Werbung nicht sein hauptsächlicher Tätigkeitsschwerpunkt ist. Um dieses Informationsdefizit zu kompensieren, bedient er sich häufig Zwischenhändlern wie etwa Mediaagenturen. Diese sind bei der Auswahl von Werbemittel und –träger behilflich. Die für diese Arbeit erforderliche Kompetenz können sie nur durch engen Kontakt zu den kreativen Werbegestaltern erwerben. Dieser enge Kontakt bewirkt zwangsläufig, dass sie ein Stück weit ihre neutrale Rolle verlassen und bestimmte Kreative besonders schätzen und fördern, während sie andere ablehnen oder überhaupt nicht kennen. Damit kommt es auch in diesem Bereich zur Bildung eines künstlich isolierten Teilmarkts. Die Zwischenhändler erfüllen also auch hier die oben genannten Funktionen: Sie beschränken den Markt im Interesse der Kreativen und verringern gleichzeitig das Informationsdefizit der Werbetreibenden. Diese beiden Funktionen werden ganz allgemein von vielen Zwischenhändlern in der Informations- bzw. Kulturbranche wahrgenommen, seien es nun Verlage, Kritiker oder Galeristen. Deshalb sind die obigen Aussagen auch dann gültig, wenn es nicht um Antiquitäten auf Versteigerungen, sondern um werbefinanzierte Inhalte geht.

Werbefinanzierte Inhalte im Internet werden derzeit üblicherweise durch Werbebanner finanziert. Da die ganze Internet-Werbebranche erst seit kurzer Zeit existiert, haben sich hier noch keine klar voneinander abgrenzbaren Berufsprofile herausgebildet. Typische Bezeichnungen für Zwischenhändler zwischen Künstler und Werbetreibenden sind: Auditing-Agenturen, Advertising-Networks, Sponsoringagenturen oder Internet-Werbeagenturen. Häufig endet ihre Tätigkeit nicht, wenn sie Künstler und Werbetreibenden zusammengeführt haben. Als neutrale Instanz erstellen sie Zugriffsstatistiken und beurteilen auch diejenigen Komponenten des Werbeerfolgs, die sich einer statistischen Messung entziehen. Inwieweit behindert oder fördert die Tätigkeit dieser Zwischenhändler nun die Entstehung innovativer Kunst? Einerseits üben sie (wie oben dargestellt) eine Filter- bzw. Garantiefunktion aus. Ein Kunstzwischenhändler lebt von seinem guten Ruf, seinen Kontakten, seiner Identität, seinem Profil, das für seine Kunden zum Orientierungsmaßstab wird. Eine derartige Identität kann er nur dann erlangen, wenn er längerfristig gleichbleibende ästhetische Maßstäbe setzt und bei der Auswahl der von ihm vermittelten Kunst nicht allzu sprunghaft und unberechenbar ist. Da innovative Kunst neuartige ästhetische Maßstäbe setzt, entspricht sie nicht seinem Profil. Ihre Garantiefunktion motiviert Zwischenhändler aus diesem Grund dazu, innovationshemmend zu wirken.

Andererseits muß ein Zwischenhändler seinen Kunden auch ständig Neues bieten. Dies nicht nur wegen seiner Konkurrenzsituation zu anderen Zwischenhändlern, sondern auch, weil er sonst berechenbar würde und den Informationsvorsprung vor seinen Kunden verlieren würde. Dieser Informationsvorsprung ist sein ganzes Kapital. Deshalb ist er gezwungen, ständig ein gewisses Maß an kontrollierter Innovation zuzulassen und sein Profil ständig vorsichtig zu verändern und weiterzuentwickeln. Insoweit wirken die Zwischenhändler innovationsfördernd.

Im Ergebnis ist die Funktion der Zwischenhändler also janusköpfig: Sie hindern und fördern gleichzeitig die Entstehung innovativer Kunst. Sie etablieren feste ästhetische Maßstäbe und sind gleichzeitig gezwungen, diese Maßstäbe immer wieder zu durchbrechen. Ob die hindernde oder fördernde Komponente überwiegt, hängt von ihrer Marktmacht bzw. der Schärfe des Konkurrenzdrucks zwischen den Zwischenhändlern ab. Wenn der Konkurrenzdruck groß ist, dann kann dies die Zwischenhändler zwischen Werbetreibendem und Künstler motivieren, sich durch innovative Inhalte von den Mitbewerbern abzuheben. Ist der Konkurrenzdruck hingegen gering, dann kann ein Zwischenhändler marktmächtig genug sein, um Werbetreibenden und Künstlern seine ästhetischen Maßstäbe aufzudiktieren.

2.2.1.1.5. Zwischenhändler zwischen Künstler und Publikum

Zwischenhändler zwischen Künstler und Publikum haben bei innovativer Kunst die besondere Aufgabe, das Publikum auf die neuartigen Qualitäten des Werks aufmerksam zu machen. Typische Beispiele für Zwischenhändler zwischen Künstler und Publikum sind Suchmaschinen-Betreiber, Kunstkritiker, Redakteure von Online-Zeitschriften sowie die Ersteller von kommentierten Webverzeichnissen. Oben wurde ausgeführt, dass nur derjenige ein Bedürfnis nach einer bestimmten Art von Kunst hat, der von ihrer Existenz weiß. Deshalb kann eine selbsttragende Nachfrage nach bestimmten künstlerischen Inhalten erst dann entstehen, wenn ihre Bekanntheit eine gewisse kritische Masse überschritten hat. Hierfür zu sorgen, ist die Funktion der Zwischenhändler. Die Künstler selbst können diese Aufgabe nicht so gut wahrnehmen, weil ihnen die nötige Distanz zu ihren eigenen Werken fehlt. Auch ist Werbung in eigener Sache immer unglaubwürdig. Der Zwischenhändler erscheint auch hier als neutraler Garant, der eine Auswahl- und Filterfunktion ausübt.

Die Zwischenhändler müssen bei dieser Aufgabe ein Bild des Kunstwerks im Bewußtsein der Öffentlichkeit verankern, das für viele Leute attraktiv und leicht erfassbar ist. Allerdings stehen sie hierbei vor dem Problem, dass ihnen zur Beschreibung des Kunstwerks nur der herkömmliche Schatz an allgemein bekannten Begriffen zur Verfügung steht. Da das Wesen innovativer Kunst gerade darin liegt, diesen Begriffsraum zu verlassen und zu erweitern, kann eine solche Beschreibung dem Werk niemals in jeder Hinsicht gerecht werden. Damit besteht die Gefahr, dass dieses öffentliche Bild des Kunstwerks undifferenziert ist oder beim Publikum eine falsche Erwartungshaltung weckt. Dies kann die Wahrnehmung des Kunstwerks durch das Publikum ungünstig beeinflussen: Aus Sicht des Künstlers erscheint ein derart schiefes öffentliches Bild im schlimmsten Fall als ein Vorurteil, das dem Publikum die eigentliche Wahrnehmung des Werks unmöglich macht. Wenn der ökonomische Druck die Zwischenhändler zwingt, den Großteil aller Kunstwerke in der öffentlichen Wahrnehmung auf griffige, aber undifferenzierte Images zu reduzieren, können die gesellschaftlichen Maßstäbe, anhand derer Kunst wahrgenommen wird, allgemein oberflächlicher werden. Die ästhetischen Ziele drohen also in Konflikt zu den ökonomischen Zielen zu geraten: Während es aus ökonomischer Sicht vernünftig ist, sich an den bereits vorhandenen Erwartungen des Publikums zu orientieren, liegt das ästhetische Ziel des innovativen Künstlers jenseits dieses Erwartungshorizonts. Insoweit wirkt die Tätigkeit der Zwischenhändler zwischen Künstler und Publikum innovationshemmend.

Andererseits ist der Künstler nicht nur in ökonomischer Hinsicht darauf angewiesen, dass sich das Publikum für sein Werk interessiert. Selbst wenn er mit seiner Kunst keinerlei ökonomische Ziele verfolgt, will er in der Regel dennoch ein bestimmtes Publikum erreichen und von diesem verstanden werden. Auch hierfür ist es notwendig, dass man die neuartigen Qualitäten des Werks nach außen kommuniziert und Interesse für das Werk weckt. Allgemein wird Kunst nicht als etwas angesehen, das sich isoliert von der Außenwelt nur im Inneren des Künstlers abspielt, sondern als eine Art von Kommunikation, als ein sozialer Prozeß, bei dem das Publikum ebenso unentbehrlich ist, wie der Künstler selbst. Jede Art von Kommunikation verlangt einerseits einen Grundstock an gemeinsamem Wissen, eine gemeinsame Sprache bzw. eine Verständigungsbasis und andererseits unterschiedliche Informationen auf beiden Seiten, die ausgetauscht werden können. Kommunikation ist eine Gradwanderung zwischen Konsens und Kontroverse. Sie existiert ihrer Natur nach weder allein beim Kommunikator, noch allein beim Rezipienten, sondern zwischen beiden. Die Qualität eines Kunstwerks läßt sich deshalb weder allein aus Sicht des Künstlers noch allein aus Sicht des Publikums definieren, sondern nur aus einer übergeordneten intrasubjektiven Sicht beider. Diese gemeinsame Sicht, der kommunikative Konsens, ist das Ergebnis gelungener Verständigung und der Bereich, in dem das Kunstwerk intrasubjektiv real wird. Ein Kunstwerk ist deshalb nur in dem Maß innovativ, in dem diese Innovation auch beim Publikum ankommt.

Wenn ein Künstler wegen seiner wirtschaftlich schwachen Position auf ständigen Konsens mit seinem Publikum angewiesen ist, droht seine Kunst zu verflachen. Er ist gezwungen, das Risiko von kontroverser und innovativer Kunst zu meiden. Diese offensichtliche Gefahr verleitet dazu, ein Maximum an künstlerischer Freiheit automatisch mit einem Maximum an künstlerischer Innovation gleichzusetzen. Das würde aber bedeuten, die innovative Qualität von Kunst allein aus der Sicht des Künstlers zu beurteilen und der Sicht des Publikums keine entscheidende Bedeutung beizumessen. Hierbei würde man die intrasubjektive, kommunikative Natur von Kunst verkennen.

Umgekehrt kann es auch nachteilig für das künstlerische Innovationspotenzial sein, wenn ein Künstler so viel Freiheit hat, dass er sich gar nicht die Mühe machen muß, das Werk an den Erwartungshorizont eines bestimmten Publikums anzupassen und einen kommunikativen Konsens mit ihm zu suchen. Wenn ökonomische Sachzwänge den Künstler motivieren können, nach einer möglichst breiten Verständigungsbasis mit dem Publikum zu suchen, könnte dies die innovative Qualität des Werks nicht nur vermindern, sondern umgekehrt auch steigern helfen. Deshalb wirkt die Tätigkeit der Zwischenhändler zwischen Künstler und Publikum nicht nur innovationshemmend, sie kann auch innovationsfördernd sein.

Ob es sich um Kunstkritiker oder um die Redakteure von Online-Zeitschriften handelt – typischerweise ist die Tätigkeit der Zwischenhändler zwischen Künstler und Publikum langfristig angelegt. Ein Zwischenhändler bedient in der Regel nur ein bestimmtes Publikum, versorgt es aber mit Informationen über viele verschiedene Künstler. Das liegt daran, dass die Beziehung zum Publikum mühevoll aufgebaut und gepflegt werden muß, während die Künstler aus Eigeninteresse heraus mit dem Zwischenhändler kooperieren. Diese langfristige Tätigkeit bedingt nun einerseits einen gewissen Zwang zur Kontinuität. Das Publikum hat bestimmte Erwartungen an den Zwischenhändler, die dieser nicht enttäuschen darf, will er es nicht verlieren. Jede Zeitschrift muß eine bestimmte Identität, ein bestimmtes Profil herausbilden. Nur so kann sie ihr Publikum an sich binden. Andererseits muß dieses Profil ständig fortentwickelt werden, damit das Publikumsinteresse wach bleibt. Die Beobachtung, die oben am Beispiel der englischen Auktionshäusern gemacht wurde, gilt also auch hier: Einerseits stabilisieren die Zwischenhändler den Markt und etablieren feste ästhetische Werte, an denen sich Publikum und Künstler zumindest teilweise orientieren. Andererseits müssen sie ständig ein gewisses Maß an Innovation zulassen und die eigenen ästhetischen Werte pausenlos weiterentwickeln. Sonst verlieren sie ihren Informationsvorsprung hinsichtlich dieser Werte, der ihnen die Aufmerksamkeit des Publikums sichert.

Die Tätigkeit des Zwischenhändlers ist auch hier ambivalent und birgt sowohl innovationsbedrohende wie auch innovationsfördernde Potenziale.

 

2. 2. 1. 2. Schlußfolgerungen und Ausblick

Welche praktischen Konsequenzen können diese Überlegungen für die Tätigkeit von Kulturmanagern haben? Im Bereich der Werbefinanzierung üben Kulturmanager meist eine Mittlerfunktion zwischen Kunst und Wirtschaft aus. Kulturmanager sind deshalb im obigen Modell weder dem Künstler noch dem Werbetreibenden zuzuordnen, sondern den Zwischenhändlern. Ob diese Zwischenhändler nun zwischen Künstler und Werbetreibenden oder zwischen Künstler und Publikum vermitteln, die Ergebnisse der obigen Analyse ähneln sich stark: Zwischenhändler müssen gleichzeitig ein klares Profil aufbauen, und dieses Profil ständig durch kontrollierte Innovation weiterentwickeln. Für diese Weiterentwicklung brauchen sie Spielraum, eine gewisse Freiheit vom Zwang zur kurzfristigen Rentabilität. Denn je innovativer ein Kunstwerk ist, desto länger braucht es, bis die kritische Masse überwunden ist und eine selbsttragende Nachfrage entsteht. Dieser Spielraum wird in dem Maß eingeengt, in dem die soziale Kompetenz, die das Fachwissen und das geistige Kapital der Zwischenhändler ist, mit technischen Mitteln objektiviert werden kann. Diesem Druck können Kulturmanager ausweichen, indem sie sich auf das konzentrieren, was die Technik nicht leisten kann: Die qualitative Werbewirkung beurteilen, langfristige Zusammenhänge entdecken, an die Bedeutung erinnern, die "weiche" soziale Kompetenz und ein Gespür für unentdeckte künstlerische Qualität im Vergleich zu "harten" statistischen Fakten hat.

Es wurde bereits festgestellt, dass die immer breitere Anwendung von Informationstechnologie in allen Lebensbereichen dazu führt, dass kulturelles Wissen verobjektiviert und von der Person der Kulturschaffenden losgelöst wird. Insiderwissen ist in der herkömmlichen Kunstszene nicht von der Person derjenigen ablösbar, die sich dieses Wissen bzw. ihren Platz in dieser Szene langfristig erarbeitet haben, indem sie einen Erfahrungsschatz gesammelt bzw. Beziehungen geknüpft haben. Im Gegensatz dazu ist dieses Wissen in der Internet-Kunstszene aufgrund der Statistiken von der Person ablösbar: Wenn man für Geld Adressenlisten mit den Namen derjenigen kaufen kann, die sich für eine bestimmte Art von Kunst interessieren, dann kann sich jeder, der dieses Geld hat, jederzeit das für den Vertrieb von Kunst nötige Wissen kaufen.

Ein weiterer Trend ist die zunehmende Verschmelzung der Werbung mit den Werbeträgern sowie die Herausbildung neuartiger Werbemittel, die die besonderen technischen Möglichkeiten des Internets nutzen. Die derzeit üblichen Werbebanner sind aufgrund ihrer geringen Größe wenig aussagekräftig. Als der erste Prototyp von Werbung im Internet stellen sie nicht viel mehr dar, als eine Übertragung der klassischen Zeitschriftenanzeige ins Netz. Die besonderen technischen Möglichkeiten des neuen Mediums werden hierbei so gut wie nicht genutzt. Derzeit kann man im Netz beobachten, dass die Anzeigen immer öfter von der eigentlichen Webseite getrennt und in einem separaten Fenster geöffnet werden. Das ist ein erster Schritt, um sich von den klassischen Werbemustern zu lösen. Da der Nutzer in der Informationsflut des Internet stets gezielt auswählen kann, welchen Inhalten er seine Zeit widmet, steht Werbung hier unter einem besonderen Druck, das Interesse der Nutzer zu wecken. Das setzt voraus, dass sie auf die besonderen Bedürfnisse und Erwartungen der einzelnen Nutzer eingeht. Deshalb wird die Werbung vermutlich immer interaktiver und zielgruppenorientierter.

Die Internet-Werbebranche befindet sich derzeit in einem enormen Wachstumsboom. Unternehmen, die sich den globalen Marktplatz Internet erschließen wollen, werden in Zukunft viel Geld in dem Bemühen investieren, die Aufmerksamkeit der Internet-Nutzer auf ihre Produkte zu ziehen. Anders als in herkömmlichen Massenmedien läßt sich im Internet auch mit noch so viel Geld kein fühlbarer technischer Vorsprung vor der Konkurrenz erkaufen - ob ein Webserver etwas schneller oder langsamer ist, ist für die Nutzer in der Regel nicht ausschlaggebend. Wer Geld investiert, um einen Vorsprung vor der Konkurrenz zu erlangen, investiert es deshalb nicht in Technik, sondern in attraktive Inhalte bzw. in den Aufbau sozialer Beziehungen. Deshalb wird zunehmend Geld in Werbung und damit auch in Kultur im weiteren Sinne investiert. Durch diesen Geldzufluss wird sich die Struktur der Kulturszene verändern. Diese Entwicklung positiv zu gestalten und zur Förderung innovativer Kunst zu nutzen, ist eine anspruchsvolle Aufgabe für Kulturmanager und Künstler.

 

2. 2. 2. Eigenwerbung

Eigenwerbung unterscheidet sich von der Fremdwerbung dadurch, dass man nicht für ein bestimmtes anderes Produkt, sondern für sich selbst und seine eigenen Werke mit eben diesen wirbt.

Auch außerhalb des Internets gibt es eine starke Tendenz zur Verschmelzung von Werbemittel und Werbeträger. Eine Ursache hierfür dürfte darin liegen, dass das Publikum zunehmend ablehnend auf die immer höher anschwellende Werbeflut reagiert oder gleichgültig gegenüber Werbung wird. Hinzu kommt, dass dem Image eines Produktes bei der Kaufentscheidung eine immer größere Bedeutung zukommt. Demgemäß betreiben die Unternehmen immer mehr Aufwand, um das Image ihrer Produkte zu verbessern. Diese pragmatischen Erwägungen können die in allen Lebensbereichen zu beobachtende, immer engere Verzahnung von Kultur und Kommerz, die ein längerfristiger Trend unserer Zeit zu sein scheint, vielleicht nicht vollständig befriedigend erklären.

Was auch immer die tiefer liegenden Ursachen hierfür sein mögen, jedenfalls verstärken die technischen Gegebenheiten des Internet diese Entwicklung noch: Die Interaktivität des Netzes ermöglicht es den Nutzern, genau diejenigen Inhalte auszuwählen, die ihren Interessen entsprechen. Anders als im Rundfunk oder im Kino kann man sie nicht zwingen, einen "Werbeblock" zu erdulden. Deshalb wird Werbung im Internet nur beachtet, wenn sie so eng mit den Inhalten verbunden ist, dass sich die Aufmerksamkeit, welche die Inhalte beim Publikum wecken, auf diese überträgt. Man muß nach Wegen suchen, das Publikum dazu zu bringen, sich freiwillig und aktiv auf die Werbung einzulassen. Das ist nur möglich, wenn die Werbung selbst Inhalt ist, und zwar ein so attraktiver Inhalt, dass sie mit der unüberschaubaren Flut von anderen Inhalten im Internet um die Aufmerksamkeit der Umworbenen konkurrieren kann.

Auch fehlt bei digitalen Datenströmen im Internet die starre materielle Form bzw. der Zeitrahmen, der bei herkömmlichen Massenmedien eine Trennung von Werbemittel und Werbeträger erleichtert. Ein Bild ist durch seine Leinwand, den materiellen Träger des Kunstwerks, von der Außenwelt abgegrenzt. Ebenso wird ein Roman durch das Buch aus Papier in einer endgültigen Form definiert. Dasselbe Bild, derselbe Roman ist in digitaler Form nicht nur mühelos beliebig oft vervielfältigbar, man kann das Werk auch jederzeit nachträglich verändern. Digitale Daten haben keine endgültige Form, sondern können jederzeit an einen neuen Kontext bzw. an ein neues Werbemittel angepaßt werden. Dies alles begünstigt ein immer engeres Zusammenwachsen von Werbung und Inhalt. Beide werden immer häufiger in einem einheitlichen Schöpfungsprozess erstellt.

Eigenwerbung resultiert aber nicht nur daraus, dass die Wirtschaft in zunehmendem Maße die Kunst zu dem Zweck einspannt, die Aufmerksamkeit des Publikums auf ihre Produkte zu lenken. Es hat noch eine weiterreichende Bedeutung: Soziale Interaktionsprozesse sind - selbst wenn sie völlig pragmatisch und rational sind - immer seltener rein unmittelbar finanzieller Natur. Das Knüpfen von Kontakten, der Erwerb eines beruflichen Prestiges erlangt eine immer größere Bedeutung. In vielen Bereichen kann es - insbesondere für einen Berufsanfänger - ökonomisch vernünftig sein, eine bestimmte Arbeit kostenlos zu verrichten, um hierdurch Kontakte, Fachwissen oder einen guten Ruf zu erwerben. Das gilt nicht nur auf der Ebene des einzelnen Individuums. Auch große Firmen treffen immer häufiger die Entscheidung, bestimmte Leistungen unentgeltlich zu erbringen. Sie tun dies keineswegs aus altruistischen Motiven, sondern erhoffen sich davon z. B. die Macht, in einem bestimmten Bereich Standards zu setzen. Die klassische Ökonomie ist außerstande, diese - durchaus rationalen - Entscheidungen zu erklären. Der Rationalitätsbegriff der Betriebswirtschaftslehre geht davon aus, dass sich jedes Geschehen von einer übergeordneten, objektiven Warte aus als vernünftig oder unvernünftig beurteilen läßt. In Wahrheit gibt es diese objektive Warte allenfalls dort, wo es um die Befriedigung elementarer materieller Bedürfnisse geht. Alles, was hierüber hinausgeht, spielt sich in einem bestimmten kulturellen Rahmen bzw. in einem sozialen Bezugsfeld ab. Es läßt sich damit auch nur aus diesem kulturellen bzw. sozialen Rahmen heraus verstehen und beurteilen.

Der Begriff der "Eigenwerbung" umfaßt auch die Bemühungen jedes Individuums und jedes Unternehmens, die eigenen Qualitäten nach außen zu kommunizieren, Kontakte zu knüpfen und allgemein bei der Umwelt Sympathie zu wecken. Diese Anstrengungen entscheiden in ganz erheblichem Maß über den ökonomischen Erfolg, entziehen sich aber einer Beurteilung mit den Mitteln der herkömmlichen Betriebswirtschaftslehre.

Im Folgenden sollen die ökonomischen Austauschbeziehungen, Machtverhältnisse und Informationsgefälle untersucht werden, die hierbei zwischen den verschiedenen Akteuren entstehen. Wiederum soll gefragt werden, inwieweit die Entstehung innovativer Kunst gehemmt oder gefördert wird.

 

2. 2. 2. 1. Beteiligte Akteure

Bei der Eigenwerbung gibt es folgende Akteure: Das Publikum und den Künstler. Zudem kann es Redakteure und Kritiker als Mittler zwischen Publikum und Künstler geben, es muß sie aber keineswegs geben. Die Rolle der Redakteure und Kritiker ähnelt stark der Rolle der Zwischenhändler bei der Fremdwerbung Im Vergleich zur Fremdwerbung ist also hinsichtlich der beteiligten Akteure die einzige Veränderung, dass Künstler und Werbetreibender identisch sind und es deshalb auch keine Zwischenhändler zwischen ihnen geben kann. Abbildung 2 zeigt die Wertschöpfungskette bei der Eigenwerbung:

 

2. 2. 2. 1. 1. Publikum

Oben wurde die Frage aufgeworfen, ob bei einem interaktiven Medium wie dem Internet überhaupt noch eine klare Unterscheidung zwischen Publikum und Künstler möglich ist. Sie wurde dort aus zwei Gründen bejaht: Erstens behält der Künstler in der Regel die Kontrolle darüber, inwieweit er dem Publikum Mitwirkungsmöglichkeiten einräumt. Sein Wille bleibt die treibende und prägende Kraft, die sich in dem interaktiven Kunstwerk manifestiert. Zweitens wird er durch den Werbetreibenden bezahlt, hat also ein ökonomisches Interesse, während das Publikum nur ein außerökonomisches Interessen am Werk selbst hat. Während das erste Unterscheidungskriterium unabhängig davon zutrifft, ob es sich um Fremd- oder Eigenwerbung handelt, ist das ökonomische Interesse des Künstlers bei der Eigenwerbung nicht so unproblematisch zu bejahen. Schließlich bezahlt ihn hier niemand. Allerdings verfolgt er - im Gegensatz zum Publikum - ein pragmatisches Ziel. Er will beispielsweise sein Renommee steigern. Dieses Motiv genügt, um die Rollen von Künstler und Publikum auch hier klar voneinander abzugrenzen. Künstler ist damit, wer ökonomisch vom Werk profitiert oder zumindest nach außen als Schöpfer und Initiator des Werkes in Erscheinung tritt und hierdurch seinen Ruhm mehrt. Er wird in aller Regel die technische Kontrolle über das Werk behalten wollen, um zu entscheiden, inwieweit er dem Publikum Mitwirkungsmöglichkeiten einräumt und gegebenenfalls Entstellungen durch Böswillige zu verhindern.

Es macht für das Publikum keinen Unterschied, ob es sich um Fremdwerbung oder Eigenwerbung handelt: Der Zugang zum Kunstwerk ist in beiden Fällen kostenlos. Häufig wird das Publikum gar nicht in der Lage sein, die Unterscheidung zwischen Fremd- und Eigenwerbung nachzuvollziehen, da aus der Publikumsperspektive oft nicht erkennbar ist, welchem unternehmerischen Zweck das Zugänglichmachen des Kunstwerks über das Internet dient. Das gilt insbesondere dann, wenn es sich um Fremdwerbung handelt, die wie z. B. beim Product Placement, nicht klar von den künstlerischen Inhalten getrennt ist. Deshalb gilt für das Publikum dasselbe wie bei der Fremdwerbung: Es entwickelt erst dann ein kommerziell tragfähiges Bedürfnis nach neuartiger Kunst, wenn in diese genug Geld und Zeit investiert wurden, um die "kritische Masse" zu erreichen. Der Begriff der Eigenwerbung bezeichnet gerade diese allgemeine Notwendigkeit, zunächst einen derartigen Geld- und Zeitaufwand zu betreiben, um dann wahrgenommen zu werden und das entfachte Publikumsinteresse kommerziell verwerten zu können. Bei innovativer Kunst ist also mehr Eigenwerbung erforderlich, als bei etablierter Kunst.

 

2. 2. 2. 1. 2. Künstler und Werbetreibender

Künstler und Werbetreibender sind bei der Eigenwerbung identisch. Das heißt nicht, dass sie personenidentisch sein müssen. Das Kunstwerk wird hier nicht durch mehrere, sondern nur durch einen Werbetreibenden finanziert. Die Abhängigkeit des Künstlers vom Werbetreibenden ist deshalb bei der Eigenwerbung wesentlich größer, als bei der Fremdwerbung. Da Kunstwerk und Werbebotschaft bei der Eigenwerbung in einem einheitlichen Schaffensprozess erstellt werden, kann der Werbetreibende bei der Entstehung des Kunstwerks in solchem Maß Einfluß auf den Künstler nehmen, dass eine funktionale Unterscheidung zwischen den beiden nicht gerechtfertigt ist.

Bei Eigenwerbung kommt es zur Synthese von Kunst und Werbung. Gedanklich kann man dieses Phänomen von zwei Seiten her erfassen: Entweder man geht von der Kunst aus, die immer stärker auf werbliche Anstrengungen für sich selbst angewiesen ist, wenn sie in der Informationsflut wahrgenommen werden will. Oder man geht von der Werbung aus, die immer stärker darauf angewiesen ist, eigene inhaltliche Attraktivität zu erlangen, damit sie mit der gewaltigen Menge anderer Inhalte im Netz konkurrieren kann.

Zunächst soll von der Seite der Kunst her gefragt werden, inwieweit sich der immer stärkere Zwang zu werblichen Anstrengungen innovationshemmend oder innovationsfördernd auswirkt. Eigenwerbung für Kunst bedeutet, dass der Künstler bzw. ein Kulturbetrieb bei einem Teil seiner Aktivitäten auf kurzfristige Rentabilität verzichtet, um so seine Bekanntheit und damit die langfristige Rentabilität der übrigen Aktivitäten zu steigern. Eigenwerbung setzt also ein gewisses Maß an finanziellem Spielraum voraus. Um überhaupt wahrgenommen zu werden, muß ein Künstler das Problem lösen, wie er die besondere ästhetische Qualität seiner Werke nach außen kommuniziert und für diejenigen erkennbar macht, die hieran interessiert sein könnten. Im Vergleich zu früher hat sich dieses Problem deshalb verschärft, weil der gemeinsame gesellschaftliche Konsens darüber, wie Kunst wahrzunehmen und einzuordnen ist, zunehmend kleiner wird. Die allgemein anerkannte ästhetische Verständigungsbasis wird in dem Maß immer schmaler, in dem die postmoderne Gesellschaft in einzelne Subsysteme und Szenen zerfällt, von denen jede ihre eigene ästhetische Sprache spricht.

Auch diese Tendenz wird durch die technischen Eigenschaften des Internets noch gefördert: Es ermöglicht es selbst kleinsten, weltweit verstreuten Gruppen von Gleichgesinnten, zusammenzufinden und ihren gemeinsamen Kult bzw. ästhetischen Sprachcode zu pflegen. Zudem erleichtern die Verzeichnisse und Suchmaschinen des Internet das Auffinden einer bestimmten Information in dem Maß, indem sie über markante Schlüsselworte verfügt bzw. sich sprachlich vom Mainstream absetzt. Dem Fernsehen hingegen, insbesondere den Vollprogrammen, wird von Vielen eine gesellschaftliche Integrationsfunktion zugeschrieben. Demgegenüber scheint das Internet eher eine gesellschaftliche Ausdifferenzierung zu begünstigen. Für den unbekannten Künstler, der seine Werke über das Internet verbreiten will, heißt dies, dass er sich der Sprachcodes einer bereits vorhandenen Szene bzw. eines bereits vorhandenen Fankultes bedienen muß, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Wer mit seinem Werk nicht inhaltlich an etwas anknüpft, das bereits Aufmerksamkeit erregt, wird das Publikum nicht motivieren können, sich so lange mit seinem Werk auseinanderzusetzen, dass sich bei diesem originäre Aufmerksamkeit für das Werk aufbaut. Denn dem Publikum bleibt in der Informationsflut keine andere Möglichkeit der Orientierung als alles, mit dem es nicht sofort etwas anfangen kann, zu vernachlässigen. Diesen Zwang gibt es auch für bekannte Künstler: Sie müssen darauf achten, die Erwartungen ihrer Fangemeinde nicht zu enttäuschen. Sie bleiben dem Profil, das sie einmal entwickelt haben, verpflichtet. Ein unerwarteter künstlerischer Richtungswechsel wird vom Publikum häufig als Verrat an den eigenen ästhetischen Werten angesehen und ist deshalb riskant. Im Ergebnis motiviert der immer stärkere Zwang zur Eigenwerbung die Künstler dazu, sich inhaltlich in die vorhandene Landschaft von Szenen bzw. Kulten einzuordnen. Dies wirkt innovationshemmend.

Andererseits gibt es auch hier innovationsfördernde Faktoren: Auf lange Sicht hängt der wirtschaftliche Erfolg eines Künstlers davon ab, dass er ein unverwechselbares Profil entwickelt, das ihn von der Konkurrenz abhebt. Gerade unbekannte Künstler müssen kontrovers und innovativ sein, sie müssen vorhandene Muster durchbrechen, um auf sich aufmerksam zu machen und nicht nur als billiger Abklatsch der etablierten Größen zu erscheinen. Die extrem große Konkurrenz zwischen Inhaltsanbietern im Internet läßt es zudem als wahrscheinlich erscheinen, dass einmal gefundene Erfolgsrezepte rasch kopiert werden - deshalb ist auch ein erfolgreicher Künstler gezwungen, sich ständig weiterzuentwickeln. Die niedrige technische und finanzielle Zugangsschwelle gibt auch solchen Künstlern die Möglichkeit, mit ihren Werken um die Aufmerksamkeit des Publikums zu konkurrieren, die zu den herkömmlichen Massenmedien keinen Zugang gefunden haben.

Wenn Kunst mit den Waffen der Werbung um die Aufmerksamkeit des Publikums kämpft, sollte sie deshalb, um erfolgreich zu sein, innovative und traditionelle Elemente miteinander verbinden. Sie sollte sich einerseits an den Erwartungen einer bereits vorhandenen Szene orientieren und deren kommunikative Konventionen beachten. Andererseits sollte das Kunstwerk auch aus Sicht dieser Szene neuartig, verwirrend und spektakulär sein, um sich von der Konkurrenz abzuheben. Dieser Balanceakt zwischen Bekanntem und Neuem wurde bereits oben als eine Voraussetzung für künstlerischen Erfolg angesehen. Dies gilt auch bei der Eigenwerbung. Ein Unterschied zwischen Fremd- und Eigenwerbung liegt allerdings darin, dass Kunst bei der Fremdwerbung aus ökonomischer Sicht nur ein Werkzeug zur Absatzsteigerung eines beliebigen Produktes ist. Genauer gesagt hat das Kunstwerk hier nur die Funktion, die Aufmerksamkeit des Publikums auf die eigentliche Werbebotschaft zu lenken, die mit ihm verbunden ist. Bei der Eigenwerbung hingegen macht Kunst für sich selbst Werbung. Bei der Fremdwerbung will der Werbetreibende hingegen von der kurzfristigen Aufmerksamkeit profitieren, die dem Kunstwerk zuteil wird. Für ihn ist der langfristige Erfolg des Kunstwerks belanglos, bei der Eigenwerbung hingegen ist das Kunstwerk das eigentliche Produkt, dessen langfristiger Erfolg erst die Rentabilität erbringen soll. Da die ästhetische Qualität des Werks für dessen langfristige Rentabilität entscheidend ist, ist diese auch aus ökonomischer Sicht wichtig. Deshalb wird es bei der Eigenwerbung in der Regel nicht zu einem Konflikt zwischen ästhetischen und ökonomischen Zielen kommen.

Zudem kann die willkürliche Verbindung von Werbemittel und Werbeträger bei der Fremdwerbung dazu führen, dass sich der Künstler an die - tatsächlichen oder vermeintlichen - inhaltlichen Erwartungen des Werbetreibenden anpaßt. Auch dieser Balanceakt bleibt dem Künstler bei der Eigenwerbung erspart. Aus Sicht des Künstlers erweist sich Eigenwerbung damit im Ergebnis insoweit als ein günstiger Weg, als er hierbei wenig Kompromisse eingehen muß. Da diese Eigenwerbung über die langfristige Rentabilität der beworbenen Kunst finanziert wird, setzt dieser Weg allerdings finanziellen Spielraum und Risikobereitschaft voraus. Hier droht immer die Gefahr der Selbstausbeutung.

Nun soll der Begriff der Eigenwerbung von der Seite der Werbung her untersucht werden. Eigenwerbung in diesem Sinne meint, dass der Absatz eines Produktes durch dessen Ästhetisierung erhöht wird. Der soziale Wert des Produktes als semiotisches Zeichen (also als reiner ästhetischer Imageträger ohne jede Nutzfunkton) wird gegenüber seinem materiellen Nutzwert betont. Die Werbung wird hierbei unmittelbar selbst zum wertsteigernden Faktor, zum Teil des Produktionsprozesses. In dem Maß, in dem sich die Werbung von der Anpreisung der materiellen Produktbeschaffenheit löst und verselbständigt, verschwimmt die Grenze zwischen künstlerischem Inhalt, Werbung und umworbenen Produkt und damit gleichzeitig auch zwischen Fremd- und Eigenwerbung.

Wenn der Kampf um die Aufmerksamkeit des Publikums die Werbung und das umworbene Produkt dazu zwingt, zunehmend selbst zum ästhetischen Inhalt zu werden, der originäres Interesse beim Publikum weckt, dann wird es hierbei einen Interessenkonflikt zwischen ökonomischen und ästhetischen Zielen meist schon deshalb nicht geben, weil das Grundmotiv für die Erstellung der Inhalte nicht künstlerischer, sondern ökonomischer Natur ist. Die ökonomischen Ziele werden deshalb in der Regel dominieren. Die Frage ist, ob diese den Werbetreibenden überhaupt noch Raum zur Verfolgung eigener künstlerischer Ziele lassen. Kann ein Konsumgut ein Kunstwerk sein? Dagegen spricht zunächst, dass ein Produkt inhaltlich nicht in erster Linie durch die inneren ästhetischen Ziele eines schöpferischen Individuums geprägt wird, sondern durch die ökonomischen Interessen des Herstellers. Die Vorstellung, dass der Künstler bis zu einem gewissen Grad von den Erwartungen der Außenwelt unabhängig sein muß, ist tief im abendländischen Kunstverständnis verankert. Dieser Gestaltungsspielraum, die "künstlerische Freiheit", fehlt bei der Werbung. Sie ist nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck. Allerdings handelt es sich beim Begriff "Kunst" um einen der weitesten Begriffe überhaupt. Der Inhalt dieses Begriffs wird von jedem Milieu und jeder Generation anders definiert. Deshalb erscheint es nicht als sinnvoll, kategorisch ein für alle Mal auszuschließen, dass kreative Menschen einen Weg finden, das zunehmende ökonomische Bedürfnis nach Ästhetisierung von Waren für künstlerische Zwecke zu instrumentalisieren.

Einmal angenommen, es gelingt, Kunst auf diesem Weg zu finanzieren: Inwieweit wirken hierbei innovationshemmende bzw. innovationsfördernde Kräfte? Eigenwerbung in diesem Sinne ist unmittelbar Teil des Produktionsprozesses. Sie produziert den Teil des ökonomischen Wertes des umworbenen Produkts, den dieses nicht als Nutzgegenstand, sondern als semiotisches Zeichen in einem bestimmten sozialen Kontext beispielsweise als Statussymbol hat. Dieser semiotische Wert existiert nur im Zusammenspiel mit dem Nutzwert, zwischen beiden kann man keine klare Grenze ziehen. Ein Auto, das nicht fährt, ist auch als Statussymbol unbrauchbar. Deshalb ist der Werber bei der Definition des semiotischen Wertes nicht frei, sondern muß die Prämissen beachten, die der materielle (Nutz-) Wert des beworbenen Gegenstandes ihm setzt. Verwendungszweck und Herstellungspreis des Gegenstandes können den Käuferkreis einschränken, innerhalb dessen man mit werblichen Mitteln ein Bedürfnis nach dem beworbenen Gegenstand erzeugen kann. Diese Prämissen verringern die Freiheit des Werbers zur künstlerischen Innovation. Noch weiter wird die Gestaltungsfreiheit des Werbers dadurch eingeschränkt, dass der kurzfristige ökonomische Erfolg oder Mißerfolg seiner Bemühungen in der Regel enorme wirtschaftliche Dimensionen hat: Der Erfolg der Werbung beeinflußt unmittelbar den Markterfolg des Produkts. Von diesem Markterfolg ist die gesamte Produktionsinfrastruktur abhängig, die in der Regel im Vergleich zur Werbung sehr personal- und kostenintensiv ist. Wirkt die Werbung nicht kurzfristig, sondern langfristig, können in der Zwischenzeit enorme Kosten anfallen. Diese enormen Kosten lassen aus Sicht des Werbetreibenden auch das Risiko als höchst unattraktiv erscheinen, das zuviel Experimentierfreude mit sich bringt. Dies alles wirkt innovationshemmend. Demgegenüber wiegen die innovationsfördernden Gesichtspunkte weniger stark: Zwar bietet innovative Werbung im Vergleich zu konventioneller Werbung möglicherweise nicht nur größere Risiken, sondern auch größere Chancen. Diese Chancen lassen sich aber nicht betriebswirtschaftlich kalkulieren. Da es bei der Gestaltung eines Produktimages meist um viel Geld geht, fallen derart nicht kalkulierbare Größen leicht unter den Tisch. Der einzige Vorteil dieses Finanzierungswegs ist, dass die Wirtschaft in hohem Maß auf die bestmögliche Gestaltung des Images ihrer Produkte angewiesen ist und es deshalb in diesem Bereich relativ leicht ist, Geldgeber zu überzeugen.

Wenn man Eigenwerbung von der Seite der zunehmenden Professionalisierung der Kunst her betrachtet, verhält sie sich geradezu spiegelbildlich zu der Eigenwerbung, die die zunehmende Ästhetisierung der Ökonomie als Ausgangspunkt hat: Von der Seite der Kunst her betrachtet korrespondiert bei der Eigenwerbung ein Maximum an künstlerischer Freiheit mit schlechtestmöglicher Finanzierbarkeit; von der Seite der Wirtschaft her gesehen ist es genau umgekehrt. Beide Extreme gleichen sich in der Praxis in dem Maß gegenseitig an, in dem sich die wirtschaftliche und die kommunikative Infrastruktur der Gesellschaft verzahnen. In der Informationsgesellschaft ist der Regelfall vermutlich nicht der Künstler, der allein zur Steigerung seines Renommees arbeitet. Ebenso wenig wird es der Regelfall sein, dass einem reinen Nutzgegenstand nachträglich künstlich eine verkaufsfördernde künstlerische Hülle übergestülpt wird. In der Praxis vermischen sich beide Extreme häufig miteinander: Wenn es einem Künstler durch erfolgreiche Eigenwerbung gelingt, eine Fangemeinde bzw. einen Kult aufzubauen, dann gewinnt dies fast zwangsläufig ganz von allein eine ökonomische Bedeutung. Umgekehrt ist ein Nutzgegenstand, der ein großer ökonomischer Erfolg ist, meist tief in das soziale und kulturelle Wertesystem der Gesellschaft verankert. Damit gewinnt er zwangsläufig eine ästhetische Komponente.

 

2. 2. 2. 1. 3. Redakteure, Kritiker

Zwischen Werbetreibendem und Künstler kann es bei der Eigenwerbung naturgemäß keine Zwischenhändler geben, da beide hier identisch sind. Denkbar sind sie nur als Mittler zum Publikum. Beispiele für Zwischenhändler sind auch hier Redakteure oder Kritiker. Inwieweit unterscheidet sich die Rolle der Zwischenhändler bei der Eigenwerbung von ihrer (oben untersuchten) Rolle bei der Fremdwerbung? Im Vergleich zur Fremdwerbung ist Eigenwerbung ihrer Natur nach längerfristig angelegt. Sie ist im Gegensatz zur Fremdwerbung kein "Einkauf von fremder Aufmerksamkeit", sondern eine wirtschaftliche Investition in ästhetische Werte, bei der der Return-On-Investment-Point erst nach einiger Zeit erreicht werden kann und soll.

Wenn der Wert eines Produkts durch dessen Ästhetisierung erhöht wird, gewinnt es an sozialem Bezug. Es gewinnt über seinen Nutzwert hinaus einen Wert als Imageträger und als semiotisches Zeichen. Es wird zum Mittel, mit dem sich der Konsument gegenüber seiner Umwelt definiert bzw. mit dem er bestimmte soziale Bedürfnisse befriedigt. Das bedeutet, dass das Produkt in seiner ästhetisch-sozialen Komponente nicht mehr nur im Verhältnis zwischen Produzent und Konsument existiert, sondern auch im Verhältnis zwischen dem Konsument und dessen sozialer Umwelt. Die Bedeutung, die das Produkt als semiotisches Zeichen hat, bekommt es nicht allein durch die diesbezüglichen Bemühungen des Herstellers, es zu ästhetisieren, sondern auch durch die Bedeutung, die ihm Kritiker und andere definitionsmächtige Kommunikatoren geben. Diese Zwischenhändler stehen dem Produkt aus Sicht des Publikums unvoreingenommen gegenüber und sind deshalb glaubwürdiger, als die Werbetreibenden bzw. Künstler selbst. Da sie viele verschiedene Produkte beurteilen, besitzen sie aus Sicht des Publikums eine Sachkompetenz, aufgrund derer es ihnen eine besondere kulturelle Definitionsmacht einräumt. Durch Einflußnahme auf diese Zwischenhändler können die Werbetreibenden die soziale Bedeutung, die ihre Werke tatsächlich erlangen, wenigstens teilweise steuern.

Hier haben die Zwischenhändler also eine stabilisierende Funktion: Sie sorgen für ein gewisses Maß an Berechenbarkeit, indem sie die Glaubwürdigkeit und Sachkompetenz, die sie sich in den Augen der Nutzer erworben haben, teilweise an die Werbetreibenden weiterverkaufen. Wenn sie bei diesem Verkauf zu weit gingen und sich zu stark an den Interessen der Werbetreibenden orientieren würden, würden sie ihren Ruf als neutrale Orientierungsinstanz, der ihr Kapital ist, verlieren. Ein Kritiker, der nicht auch mal ab und zu unbequem ist und die Produkte des Branchenführers verreißt, wird auf die Dauer unglaubwürdig.

 

2. 2. 2. 2. Schlußfolgerungen

Im Bereich der Eigenwerbung können Kulturmanager sowohl die Funktion von Zwischenhändlern wie auch von Werbetreibenden wahrnehmen. Aus der praktischen Perspektive von Kulturmanagern bedeutet Eigenwerbung letztlich die Aufgabe, ein Kunstwerk im Netz der sozialen und ökonomischen Austauschbeziehungen zu verankern, um ihm so Beachtung zu sichern. Es ist die Aufgabe, das Kunstwerk in einen sozialen Kontext zu setzen. Je innovativer das Kunstwerk ist, desto schwerer ist es, einen derartigen Kontext zu finden. Denn Innovation heißt ja gerade, dass das Kunstwerk den herkömmlichen Begriffsraum verläßt, sich also nicht von selbst in das vorhandene Bezugssystem einfügt. Deshalb braucht innovative Kunst auch mehr Eigenwerbung, als etablierte Kunst: Sie muß sich ihr Publikum erst erschließen. Das kann ein einsamer, mühsamer und langwieriger Vorgang sein. Zudem besteht hierbei das Risiko, dass die inhaltliche Aussage des Werks dadurch verfälscht wird, dass es in einen unpassenden Kontext gesetzt wird. Gerade in der postmodernen Gesellschaft mit ihren fein ausdifferenzierten Szenen und Strömungen hängt es oft vom Umfeld eines Werks ab, welche Aussage es in den Augen des Publikums hat. Da der Kontext den Inhalt des Werks mitbestimmt, ist Eigenwerbung nicht völlig vom eigentlichen Schöpfungsakt zu trennen.

Wenn es Aufgabe des Kulturmanagers ist, innovativer Kunst dabei zu helfen, einen passenden Platz im gesellschaftlichen Sprachsystem zu finden, dann setzt dies zugleich eine gewisses Maß an Distanz voraus. Diese Distanz muß der Kulturmanager hinsichtlich des Kunstwerks haben, um von außerhalb beurteilen zu können, wie sich das Werk am aussichtsreichsten in das vorhandene System einordnen läßt. Auch läßt sich nur aus der Distanz erkennen, ob das Werk in der Lage ist, das Interesse eines hinreichend großen Publikums zu wecken oder das Publikum zunächst durch Eigenwerbung an das Werk "gewöhnt" werden muß. Dem Künstler selbst fehlt naturgemäß diese Distanz zu seinem Werk.

In den vergangenen Jahrzehnten hat das Marketing eine enorme betriebswirtschaftliche Bedeutung gewonnen. Der Erfolg eines Produkts wird - jedenfalls bei Konsumgütern - immer weniger von seinem materiellen Nutzwert und immer mehr durch seinen ästhetischen bzw. sozialen Wert, sein Image bestimmt. Gleichzeitig wird die ökonomische Bedeutung der Medienbranche immer größer. Kommunikation, Kunst und Unterhaltung werden ein immer bedeutenderer Wirtschaftsfaktor. Damit einher geht eine Kommerzialisierung des Kunstbetriebes, die teilweise auch durch den Wegfall staatlicher Fördermaßnahmen bedingt ist. Im Ergebnis verflechten sich die Geld- und die Kommunikationsströme immer enger miteinander. Die Informationsflut schwillt immer höher an. Wer wahrgenommen werden will, konkurriert mit einer Vielzahl anderer um die Aufmerksamkeit des Publikums. Bei diesem Kampf kann man sich einen Vorsprung nur durch attraktive Inhalte, und nicht durch den Einsatz materieller technischer Ressourcen sichern. Die Kommunikationstechnik an sich ist billig und für jeden erhältlich, so dass sich selbst ein Weltkonzern, der seine Produkte über seine Webseite an die Konsumenten verkauft, über die hinter der Webseite stehende Technik keinen nennenswerten Vorsprung vor den unzähligen kleineren konkurrierenden Informationsanbietern kaufen kann. Damit ist eine Grundannahme der Ökonomie in Frage gestellt: Bei ihr steht der Effizienzgedanke im Mittelpunkt, also die Frage, wie sich knappe Ressourcen möglichst sinnvoll einsetzen lassen, um ein bestimmtes, vorgegebenes Ziel zu erreichen.

Es ist nun auf den ersten Blick nicht ganz klar, welche Ressource bei der Kommunikation über das Internet knapp ist. GOLDHABER und FRANCK gehen davon aus, dass die Aufmerksamkeit des Publikums eine knappe Ressource ist, die - ähnlich wie Geld in der materiellen Ökonomie - über soziales Prestige, Handlungsspielräume sowie die Möglichkeit, noch mehr Aufmerksamkeit zu erlangen, entscheidet. Diese These erscheint deswegen unmittelbar als einleuchtend, weil sie die zunehmende Bedeutung von immateriellen, aber durchaus realen Faktoren erklären kann, die das Handeln von Firmen und Privatpersonen gleichermaßen beeinflussen. Allerdings geht sie allzu selbstverständlich davon aus, dass Aufmerksamkeit also eine objektivierbare, meßbare Größe gesehen werden kann - dass zwei verschiedene "Aufmerksamkeitsmengen" stets in quantitativer Hinsicht miteinander verglichen werden können. In Wahrheit wird es aber kaum möglich sein, zwischen zwei verschiedenen Kommunikationsvorgängen ein eindeutiges quantitatives Stufenverhältnis im Sinne eines "Mehr" oder "Weniger" an Aufmerksamkeit festzustellen. Niemand würde ernsthaft behaupten wollen, dass man die Aufmerksamkeit unabhängig von dem sozialen und psychologischen Hintergrund der Kommunizierenden allein daran messen kann, wie viel Menschen wie lange aufmerksam gewesen sind. In der Regel will jemand, der Aufmerksamkeit weckt, einen bestimmten Personenkreis ansprechen und nicht beliebige Personen. Häufig ist die Aufmerksamkeit eines kleinen handverlesenen Publikums für den Kommunikator sogar viel wertvoller, als die Aufmerksamkeit der breiten Masse. Zudem ist Aufmerksamkeit allein nicht viel wert - sie ist zwar eine Grundvoraussetzung jeder gelungenen Kommunikation, darf aber nicht mit dem inhaltlichen Konsens zwischen den Kommunizierenden verwechselt werden. Diesen Konsens herzustellen, ist eine weitaus anspruchsvollere Aufgabe, als nur die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Letzteres kann ebenso negativ wie positiv sein - Politiker, Privatpersonen und selbst Firmen sind zu Recht keineswegs immer erfreut, wenn sich die öffentliche Aufmerksamkeit auf sie richtet. Das eigentliche Ziel von Kommunikation ist so gut wie nie die Erregung von möglichst viel (inhaltsneutraler) Aufmerksamkeit, sondern die Suche nach einem inhaltlichen Konsens bzw. nach inhaltlicher Beeinflussung der Rezipienten. Hierbei ist die Erregung von Aufmerksamkeit zugegebenermaßen ein notwendiger erster - und oft besonders schwieriger - Schritt.

Wege zu diesem Ziel lassen sich nicht losgelöst von der inhaltlichen Natur des Kommunikationsvorgangs und der persönlichen Eigenschaften der Beteiligten finden. Bei der Aufmerksamkeit und erst recht beim inhaltlichen Konsens handelt es sich nicht um inhaltsneutrale, quantifizierbare Größen, sondern um intrasubjektive Werte, die sich einer objektiven Messung entziehen. Deshalb kann man weder die Aufmerksamkeit noch den inhaltlichen Konsens als knappe Ressourcen betrachten, an denen der betriebswirtschaftliche Effizienzgedanke anknüpfen kann. Bei der Kommunikation gibt es kein objektives "Falsch" oder "Richtig", keine Unterscheidung zwischen Effizienz und Ineffizienz. Eine Wissenschaft, die den Anspruch erheben würde, bei der Suche nach Aufmerksamkeit und inhaltlichem Konsens eine objektiv richtige Entscheidungslehre zu entwickeln, würde sich die Rolle einer übergeordneten Meta-Wissenschaft anmaßen, die alle sozialen Interaktionsvorgänge überblickt, versteht und von höherer Warte aus als "vernünftig" oder "unvernünftig" beurteilen kann.

Da Aufmerksamkeit nicht quantifizierbar ist, leuchtet es auch keineswegs ein, dass Aufmerksamkeit eine knappe Ressource sein soll. In der Reizüberflutung der Moderne - und vor allem in Hinblick auf das Internet - liegt dieser Gedanke natürlich nahe. Im Netz entsteht gerade eine Fülle von neuen Berufsbildern, die sich alle mit dem Problem befassen, wie man die Nutzerströme zu einem bestimmten Inhaltsangebot lenkt. Aufmerksamkeit und ihr Gegenteil, Reizüberflutung bzw. fehlende Beachtung, sind jedoch keine festen Größen, die sich allein aus dem zahlenmäßigen Verhältnis zwischen Informationsproduzenten und Informationsnachfragern errechnen lassen. Entscheidend ist vielmehr, wie gut und übersichtlich die Informationen aufbereitet sind. In einem unstrukturierten Informationswirrwarr kann es sein, dass die Informationsnachfrager gar nicht erst finden, was sie interessiert und deshalb gar nicht dazu kommen, ihre Aufmerksamkeit auf bestimmte Inhalte zu fokussieren. Demgegenüber gibt es bei einer gleichen Zahl von Rezipienten insgesamt mehr Aufmerksamkeit, wenn die Information übersichtlicher aufbereitet ist. Aufmerksamkeit ist deshalb durch gute Strukturierung von Information erzeugbar, also keine von Natur aus knappe Ressource. Die Gesamtmenge an Aufmerksamkeit in einer Gesellschaft, in der jedes Mitglied genau weiß, was es einerseits will und wofür es sich andererseits nicht interessiert, ist maximal groß. Sie ist andererseits minimal in einer Gesellschaft der Beliebigkeit und Orientierungslosigkeit. Die Mitglieder der Gesellschaft müssen deshalb nicht wie ein Wolfsrudel miteinander um eine begrenzte Menge Aufmerksamkeit kämpfen bzw. konkurrieren, sondern haben es in der Hand, die benötigten Aufmerksamkeitsspielräume durch bessere Organisation ihrer Kommunikation selbst zu schaffen. Auch GOLDHABER geht davon aus, dass fehlende Aufmerksamkeit geweckt werden kann - in einem gesellschaftlichen Klima allgemeiner Gleichgültigkeit gibt es demgemäß insgesamt weniger Aufmerksamkeit, als bei geistiger Offenheit und regem kommunikativem Austausch.

Bei diesen Faktoren, von denen die "Menge" vorhandener Aufmerksamkeit abhängt, handelt es sich aber nicht um starre naturwissenschaftliche bzw. mathematische Größen, sondern um subjektive innere Einstellungen, die veränderbar sind. Ein künstlerischer Trend, der eine maximal breite Massenwirksamkeit erreicht hat, kann gerade wegen der allgemeinen Aufmerksamkeit, die er auf sich zieht, schon bald für alle uninteressant sein, wenn er nicht auf einer soliden inhaltlichen Basis steht. Die Helden, die heute im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen, sind oft die Nobodys und Verlierer von Morgen. Deshalb hat es keinen Sinn, sie mit Millionären zu vergleichen, die Morgen aller Wahrscheinlichkeit nach noch reicher sein werden, weil Geld stets zu Geld kommt. Aufmerksamkeit existiert nicht als absolute Größe, sondern stets nur in einem bestimmten sozialen Zusammenhang - etwa in Hinblick auf ein bestimmtes Publikum, ein bestimmtes Thema oder eine bestimmte Person oder Marke.

Zwar gibt es Aufmerksamkeit auch auf einer inhaltsneutralen, rein sensorischen Ebene. Auf dieser Ebene ist sie objektiv meßbar und kann auch durchaus knapp sein: Ein Mensch entscheidet sich, zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmtes Buch zu lesen und alle übrigen solange liegen zu lassen; oder er führt ein Gespräch mit einer bestimmten Person von vielen; ein Reklameschild unter vielen wird wahrgenommen oder nicht; man konzentriert sich, um einen gesprochenen Satz in einem Stimmengewirr zu verstehen und blendet alle anderen Geräusche aus seinem Bewußtsein aus usw. Diese sensorische Aufmerksamkeit ist aber deshalb nicht entscheidend, weil der überzeugende Einfluß, den kommunikative Botschaften auf den Empfänger ausüben, weitgehend unabhängig davon ist, ob sie in eine Form verpackt sind, die durch bunte Farben, laute Töne, Lichtsignale usw. die sensorische Aufmerksamkeit auf sich zieht. Wer sich für die Thematik eines bestimmten Buches interessiert, wird dieses auch dann lesen, wenn gleichzeitig ein Fernsehprogramm abrufbar ist, das thematisch uninteressanter, aber in sensorischer Hinsicht penetranter ist. Die vielen Angebote im Internet wollen auf die Meinungsbildung der Nutzer einwirken, sie überzeugen, und konkurrieren deshalb in allererster Linie mit inhaltlichen Mitteln, und nicht, indem sie den Nutzer durch ein Maximum an bunten Sinnenreizen zu fesseln versuchen.

Wenn Aufmerksamkeit eine ökonomische Relevanz hat, dann nur als notwendige Vorbedingung zur inhaltlichen Kommunikation bzw. Beeinflussung. Aufmerksamkeit in diesem Sinn ist folglich kognitiver, nicht sensorischer Natur. Sie ist die Bereitschaft, sich auf bestimmte Inhalte einzulassen. Sie gilt also nicht einem bestimmten Sinnenreiz, sondern einer bestimmten kommunikativen Botschaft. Die rein sensorische Aufmerksamkeit hingegen ist nur von vergleichsweise geringer ökonomischer Relevanz.

Die Menge an vorhandener Aufmerksamkeit ist deshalb vom sozialen Kontext abhängig. Im Ergebnis ist damit festzuhalten, dass (kognitive) Aufmerksamkeit zwar wie jede Form der menschlichen Anteilnahme durchaus kostbar, aber keine quantifizierbare knappe Ressource ist.

Damit wurde die Finanzierung durch Werbung untersucht. Im Folgenden sollen die übrigen ökonomischen Finanzierungsmodelle, nämlich Finanzierung direkt durch das Publikum selbst und Finanzierung über einen spekulativen Sammlermarkt untersucht werden.