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IX. Zusammenfassende Bewertung

 

Die Untersuchung über die gesetzliche und tatsächliche Ausgestaltung der Freiheitsgarantien der Verfassung von 1993 zugunsten der Massenmedien ergibt, dass auf dem Weg Rußlands zur Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben zwar enorme Fortschritte erzielt wurden, aber auch einige Rückschläge hingenommen werden mussten. Als Zeichen des Fortschritts ist zum Beispiel die Verfassungs­gerichtsentscheidung vom 31. Juli 1995 zu werten, die noch während des andauernden Tschetschenienkonflikts die Ausweisung von Journalisten aus der unbefriedeten Zone und den Entzug ihrer Akkreditierung als verfassungswidrig bezeichnete. Sogar im Bereich des ökologischen Journalismus, der über Umweltschäden berichtet und staatliche Sicherheits­interessen berührt, zeigen die Fälle des A. Nikitin und des G. Pasko, dass sich die rechtsstaatlichen Garantien der Verfassung vor Gericht durchzusetzen beginnen.  Den Anträgen der Strafermitt­lungs­behörden wird nicht mehr mit der gleichen Sicherheit entsprochen wie früher. Befreiend wirkt außerdem die pluralistische Struktur des Marktes der Massenmedien, der nicht nur die angesehene Tageszeitung "Kommersant Daily" oder die investigative Monatszeitschrift "Soveršenno sekretno" hervorgebracht hat, sondern auch erfolgreiche private Fernsehgesell­schaften wie NTV oder TV-6, die beide seit 1993 auf Sendung sind und inzwischen den staatlichen bzw. halbstaatlichen Fernsehprogrammen RTR und ORT Konkurrenz machen.

 

Den größten Rückschlag stellt sicherlich das wiederholte Scheitern des Gesetzes "Über Fernsehen und Rundfunk" dar, und zwar nicht so sehr, weil zwischen der Regierung und der Mehrheit der Staatsduma kein Kompromiss erzielt werden konnte, als vielmehr aufgrund der jahrelang herrschenden, fast schon willkürlich zu nennenden Praxis der staatlichen Lizenzvergabe, die keine Rechtssicherheit entstehen ließ. Als schwerer Rückschlag ist auch die Verabschiedung des Gesetzesprojekts "Über den höchsten Rat für den Schutz der Sittlichkeit des Fernsehens und Rundfunks" durch die Bundesversammlung der RF zu qualifizieren. Denn obgleich das Inkrafttreten des Gesetzes durch das Veto des Präsidenten der RF verhindert wurde, weckt die große Zustimmung, die die geplante Wiedereinführung staatlicher Inhaltskontrollen erfahren hat, Bedenken und Zweifel hinsichtlich der Zukunft der Pressefreiheit. Zu kritisieren sind zum einen die weitgehenden Vollmachten des geplanten Sittenrates und zum anderen die Tatsache, dass seine Mitglieder auf Vorschlag der Staatsorgane ernannt werden sollen. Der Gedanke der Selbstregulierung der Massenmedien in Fragen der Ethik und der Moral findet bisher kaum Anerkennung. Das Gesetzesprojekt "Über Fernsehen und Rundfunk" vom 3. September 1997 sieht ebenfalls vor, dass die Mitglieder der Föderalen Rundfunkkommission vom Präsidenten, von der Regierung und der Bundesversammlung vorgeschlagen werden.

 

Dennoch ist die bisherige Fortentwicklung Rußlands insgesamt gesehen als positiv zu beurteilen. Die Geltung einer demokratischen rechtsstaatlichen Verfassung, das moderne Grundrechtskapitel und die hohen Hürden für seine Revision stellen sicher, dass die Errungenschaften der Perestrojka, vor allem die Freiheitsrechte der Bürger, nicht so schnell wieder zurückgenommen werden können. In Anbetracht der Vergangenheit Rußlands als Teil der UdSSR sind solche Garantien notwendig, und die wechselvollen Jahre seit 1985 haben gezeigt, dass es noch einige Zeit dauern kann, bis die Gesellschaft und ihr politisches System ins Gleichgewicht kommen.

 

Einerseits ist eine stetige Entwicklung erkennbar. Sie nahm mit M. Gorbačevs Aufforderung zu kritischerer Berichterstattung durch die Massenmedien und zu mehr Transparenz ("glasnost´") bei den staatlichen Institutionen ihren Anfang und führte dann über die Entideologisierung der Politik und die Zulassung selbständiger Genossenschaften und inoffizieller gesellschaftlicher Vereine ("neformaly") zu den ersten, zum Teil freien Wahlen von 1989 zum Kongress der Volksdeputierten, zum Zensurverbot des Gesetzes der UdSSR von 1990 "Über die Presse und andere Mittel der Massenkommunikation" und zu staats- und parteiunabhängig arbeitenden Redaktionen und Journalistenkollektiven. Viele Massenmedien gingen bald zum Präsidenten der UdSSR in Opposition und verurteilten zu Beginn des Jahres 1991 das Eingreifen sowjetischer Verbände in Riga und Vilnius. Die "von oben" eingeleitete Perestrojka hatte sich verselbständigt und war zu einem Prozess mit eigener Dynamik geworden.

 

Andererseits scheint zum Beispiel die Verabschiedung des genannten ersten Presse- und Mediengesetzes durch den neugebildeten Obersten Sowjet aus der Sicht des Zentralkomitees der KPdSU eher eine Panne und eine Überraschung gewesen zu sein. Denn es hatte sich erstmals in der sowjetischen Gesetzgebungsgeschichte ein inoffizieller, in privater Initiative ausgearbeiteter Entwurf gegenüber einem ZK-Entwurf durchgesetzt. Eine mehr oder weniger überraschende Wendung nahmen die Geschicke der Sowjetunion außerdem mit der sog. Parade der Souveränitäten, die vom Baltikum ausging und mit Souveränitäts- und Unabhängigkeitserklärungen sämtlicher Unionsrepubliken endete.

 

Die Regierung B. El´cins stand nach dem Untergang der Sowjetunion im Zeichen des völligen Neubeginns, als sie die Preisfreigabe ausrief und eine radikale Wirtschaftsreform mit Freihandel und Massenprivatisierung propagierte. Dem demokratischen Experiment der Wahlen von 1989 folgte das wirtschaftliche Experiment des konvertiblen Rubel von 1992. Die gerade erst zu Tausenden neuge­gründeten rußländischen Massenmedien sahen sich der Inflation und den Anforderungen des freien Marktes gegenüber. Während die Zahl der Massenmedien insgesamt relativ stabil blieb, gingen die Abonnements wieder zurück und die Auflagenzahlen verringerten sich. Für die meisten Massenmedien Rußlands begann der lange, mühsame, bis heute andauernde Existenzkampf, bei dem staatliche Unterstützungen und Investitionen von Fremdfirmen lebensnotwendig wurden. Auch in politischer Hinsicht schien die Zukunft nicht gesichert, denn die Regierung Rußlands musste alle Reformen zugleich in Gang setzen, ohne auf die gesicherte Unterstützung des Parlaments zählen zu können. Die vorhandene Wirtschaftsordnung, aber auch das Rechtssystem verlangten nach Pionierarbeit. Viele Institutionen, darunter auch die zentrale Zensurbehörde und der KGB, wurden aufgelöst oder umgewandelt. Fest stand allein, dass B. El´cin am Präsidialsystem festhalten wollte, das in der Republik 1991 nach dem Vorbild M. Gorbačevs eingeführt worden war.

 

Wie das erste Presse- und Mediengesetz der UdSSR, so war auch das folgende Gesetz der RF "Über die Massenmedien", das im Februar 1992 in Kraft trat, nicht nur die logische Folge der bisherigen Reformen, sondern ebenso ein Bruch mit der Vergangenheit. Es stand zwar in Kontinuität zum freiheitlichen Unionsgesetz, andererseits aber gelang mit ihm ein qualitativer Sprung nach vorne: Es bezieht sich nicht mehr auf die "Freiheit des Wortes und der Presse, die den Bürgern durch die Verfassung der UdSSR garantiert wird", sondern verkündet die Gründungsfreiheit, die Informationsfreiheit und das Zensurverbot ohne diese Bezugnahme und erwähnt bereits den Vorrang internationaler Verträge vor rußländischem Recht. Erst der vollständige Machtverlust der KPdSU ermöglichte es, mit diesem Gesetz von dem Einparteiensystem mit seiner vielgestaltigen Kontrolle über die Presse endgültig Abstand zu nehmen.

 

Die politischen Bürgerrechte der Sowjetunion, die als staatlich gewährte Kollektivrechte keine individuellen Abwehrrechte, sondern Mitgestaltungsrechte im Dienste des Klassenkampfes darstellten, wurden abgelöst durch die universell geltenden Menschenrechte. Die Massenmedien, die noch während der Perestrojka (zumindest in den Augen der Parteiführung) die Aufgaben kollektiver Organisatoren und Erzieher wahrzunehmen hatten, erlangten den absoluten Freiheitsanspruch der Redaktionen, der in Art. 19 des Gesetzes "Über die Massenmedien" seinen Ausdruck findet. Die von Lenin begründeten revolutionären Normen der Publizistik mit ihrer kämpferischen Propaganda und Agitation, die zu einem ausgeprägten Meinungs- und Kommen­tierungs­journalismus geführt hatten, wurden weitgehend aufgegeben, und die meisten Zeitungen bevorzugten bald den westlichen Nachrichtenstil, der die objektive Information der Bevölkerung bevorzugt und der Meinungsäußerung des Journalisten voranstellt. Die Publizistik befand sich plötzlich nicht mehr im gesetzlosen Ausnahmezustand, in dem sie unter der Aufsicht der Kommunistischen Partei jahrzehntelang verharrt hatte. Der Primat des Staates gegenüber dem Recht war entfallen. Anstelle des Gemeinschaftsvorbehalts zugunsten der Entwicklung der sozialistischen Ordnung galt die Grenze des Missbrauchsverbots, die lediglich strafgesetzlich verbotene Tätigkeiten sowie die gegen Staat, Verfassung oder Minderheiten gerichteten Publikationen von der Pressefreiheit ausnimmt. Und schließlich präzisierte das Gesetz "Über die Massenmedien" das Zensurverbot und untersagte nicht nur die staatlich organisierte Vorzensur, sondern auch die Einrichtung entsprechender öffentlicher oder privatrechtlich organisierter Stellen. Die weite Fassung des Zensurverbots ist notwendig gewesen, wie das Beispiel der GUOT zeigte, die vergeblich versuchte, die Zensur auf Vertragsbasis fortzusetzen. Auch der neuere Vorschlag zur Einrichtung eines staatlich ernannten Sittenrates für die Bereiche Radio und Fernsehen ist als Versuch einzuschätzen, das Zensurverbot zu umgehen.

 

Die starke Rechtsstellung der Redaktionen erscheint aus westlicher Sicht übertrieben, aber sie diente der Einführung der Pressefreiheit in der Übergangszeit. Das Gesetz sorgte damit für rechtliche Unabhängigkeit und Schutz vor der Einmischung der staatlichen Gründer und Herausgeber in die Redaktionsarbeit. In der Übergangsperiode seit 1992 waren die alten Eigentümer, nämlich die staatlichen und öffentlichen Einrichtungen der Sowjetzeit, schon nicht mehr bestimmend, und neue Eigentümer im Sinne von kapitalkräftigen Investoren waren noch kaum in Sicht. Das Vakuum füllten die Journalistenkollektive und Redaktionen aus, indem sie die Führung des Massenmediums selbst in die Hand nahmen und häufig sogar seine Registrierung auf das Kollektiv oder die Redaktion als Gründer erreichten und die Anteile, etwa durch die Ausgabe von Aktien, unter sich aufteilten.  

 

Als sich die Wirtschaft von der über sie hereingebrochenen Krise nicht erholte und die sozialen Folgen der Liberalisierung der Märkte sichtbar wurden, verschärfte sich der Machtkampf zwischen dem Obersten Sowjet und der Seite des Präsidenten B. El´cin. Die Regierung der RF drang auf eine ungebremste Fortsetzung der Reformen, während eine wachsende Opposition, darunter auch die Anhänger der wiederbegründeten KPRF, ein Abweichen vom bisherigen Reformkurs forderte. Zugleich ging es um die Führung des zukünftigen politischen Systems der RF, denn die Verfassung der RSFSR von 1978 war nur unvollkommen zur Verfassung der RF ergänzt und umgestaltet worden und bezeichnete den Kongress der Volksdeputierten trotz der Einführung des Präsidialsystems immer noch als höchstes Organ der Staatsgewalt. Heute ist schwer zu sagen, welche Seite weniger kompromissbereit war. Die Ernennung V. Černomyrdins zum Premier­minister im Dezember 1992 kam den Reformgegnern zwar ein wenig entgegen, aber im weiteren Verlauf verfingen sich Präsident, Regierung, Parlament, Verfassungsgericht und nicht zuletzt die Massenmedien in einer kaum wieder aufzulösenden politischen Konfrontation. Der Präsident unterstellte den ersten Fernsehkanal Ostankino dem "Föderalen Informationszentrum" (FIZ), das zur Unterstützung der Regierung neben dem Presseministerium eingerichtet wurde, und das Parlament versuchte seinerseits, die Tageszeitung "Izvestija" wieder seiner Kontrolle zu unterwerfen. Das Verfassungsgericht der RF entschied zwar zugunsten der "Izvestija", aber gegen das "Föderale Informationszentrum", und es wurde daraufhin von der Seite des Präsidenten als parteiisch angesehen.

 

Präsident B. El´cin entschied den Machtkampf zu seinen Gunsten, indem er die starke Position der Exekutive nutzte und sich auf den demokratischen Vertrauensvorschuss bei der Bevölkerung berief, den er durch seine Wahl zum Präsidenten der RSFSR erhalten und im Aprilreferendum von 1993 bestätigt gefunden hatte. Er löste das Parlament mit dem Ukas Nr. 1400 vom 21. September 1993 auf und beraumte Verfassungsreferendum und Neuwahlen zur Staatsduma der RF für den 12. Dezember 1993 an. Die Tätigkeit des Verfassungsgerichts wurde vorübergehend ausgesetzt. Nachdem es einigen Widerstand gegeben hatte, sicherte die gewaltsame Vertreibung der oppositionellen Abgeordneten um R. I. Chazbulatov und A. V. Ruckoj aus dem Weißen Haus den Triumph des Präsidentialismus. Seitdem ist das präsidentielle Dekret zum Zaubermittel der rußländischen Politik, und zwar auch der Medienpolitik, geworden. Der politische und ideologische Konflikt, der innerhalb der Gesellschaft Rußlands besteht, ist durch die vorzeitige Auflösung des Obersten Sowjets nicht gelöst oder aus der Welt geschafft worden. In den Wahlen zur Staatsduma obsiegte Ende 1993 die nationalistische LDPR. 1995 siegte die KPRF und wurde zur stärksten Fraktion. Bis zum Ende der zweiten Wahlperiode regierte im politischen System der RF die Antinomie "Demokraten" - "Kommunisten", die ein Zusammenwirken von Exekutive und Legis­lative in vielen Fragen nahezu unmöglich gemacht hat.

 

Die neue Verfassung der RF von 1993 garantiert den Massenmedien umfassende Freiheitsrechte. Die Freiheit des Wortes, die freie Meinungsäußerung, die Informationsfreiheit, die Freiheit der Massenmedien und das Zensurverbot sind gewährleistet. Die Verfassungsrechtsprechung befindet sich zwar noch in den Anfängen. Aber die Auslegung dieser Grundrechte ist durch die Geltung der allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts auf dem Territorium der RF und insbesondere durch den Beitritt der RF zur Satzung des Europarates bis zu einem gewissen Maß bereits vorgegeben. Die Freiheitsrechte werden ergänzt durch das Verbot der Propaganda und Agitation, die soziale, ethnische, nationale oder religiöse Feindschaft und Hass schürt, sowie das Gebot, einen ideologisch neutralen Staat zu formen.

 

Diesem freiheitlichen Grundrechtsteil der Verfassung stehen Bestimmungen zur Staatsorganisation gegenüber, die dem Präsidenten der RF eine eindeutige Vormachtstellung gegenüber dem Parlament einräumen. Die Befugnisse des Präsidenten reichen bis weit in die Aufgabenerfüllung der Legislative hinein. Das nicht einfach zu überstimmende Vetorecht des Präsidenten gegen Gesetze, die von beiden Kammern des Parlaments verabschiedet wurden, und das Recht, das Parlament nach dreimaliger Ablehnung des Kandidaten für den Posten des Regierungschefs aufzulösen, modifizieren den Grundsatz der Gewaltenteilung. Die Zersplitterung des Parlaments in zahlreiche Fraktionen und noch mehr Parteien ermöglicht es der Präsidialadministration zudem, viele Fragen relativ ungestört mittels des präsidentiellen Dekrets zu regeln. Soweit ein solches Dekret nicht gegen die Verfassung oder föderale Gesetze verstößt, hat es unmittelbare Rechtswirkung. 

 

Dementsprechend lang ist die Liste der abgelehnten Gesetze und der präsidentiellen Dekrete, die zur vorläufigen oder endgültigen Lösung ungeregelter Probleme erlassen wurden. Hiervon war auch der Bereich der Massenmedien betroffen, wo grundlegende Meinungsverschiedenheiten über die erforderliche Ausgestaltung der Freiheitsrechte und die Aufgabenbestimmung zugunsten des Gemeinwesens bestehen. Während aus der Mitte der Staatsduma wiederholt Vorschläge zur Verpflichtung der Massenmedien auf das Gemeinwohl und vor allem zur "objektiven Berichterstattung" über die Staatsorgane kamen und eine stärkere Beteiligung der Legislative an der staatlichen Medienpolitik angemahnt wurde, trat der Präsident der RF regelmäßig als Schutzgarant der Pressefreiheit auf und betonte die Unzulässigkeit der Wiedereinführung zensurähnlicher Aufsichtsmaßnahmen. Das Ergebnis der gegenseitigen Blockade war, dass weder in der ersten noch in der bisherigen zweiten Legislaturperiode ein Gesetz über Fernsehen und Rundfunk in Kraft treten konnte, das die staatliche Aufsicht über die elektronischen Massenmedien auf eine gesetzliche Grundlage gestellt hätte. Die Aufgabe der Lizenzerteilung nahm seit Ende 1994 der "Föderale Dienst Rußlands für Fernsehen und Rundfunk" wahr, den ein präsidentielles Dekret zum Nachfolger des FIZ bestimmt hatte. Weitere grundlegende Dekrete betrafen das Pressekomitee der RF, die Einrichtung der "Gerichtlichen Kammer für informationelle Streitigkeiten beim Präsidenten der RF" (Ende 1993), die Umwandlung von Ostankino in die Aktiengesellschaft ORT (Anfang 1995), die Aufstellung eines Verzeichnisses von Staatsgeheimnissen (Ende 1995), die Vergabe des vierten Fernsehkanals an NTV (Herbst 1996) und zuletzt die Reorganisation der VGTRK, der staatlichen Fernsehgesellschaft, die über den zweiten Fernsehkanal verfügt (Frühjahr 1998).

 

Der Präsidentialismus B. El´cins ließ nicht nur einen Hang zum Regieren per Präsidialdekret erkennen, sondern er zeichnete sich außerdem dadurch aus, dass die Konfliktregelung oft in "außerkonstitutionellen Nebenzentren"[1] stattfand, wie zum Beispiel im Sicherheitsrat, der in so wichtigen Fragen wie derjenigen über den Einsatz bewaffneter Verbände in der Republik Tschetschenien zusammentrat. Die Schaffung neuer Aufsichtsorgane ist ein einfaches Mittel zur Steigerung der eigenen Kontrollmöglichkeiten. Die Einrichtung des FIZ und des FSTR, die Berufung der Gerichtlichen Kammer für informationelle Streitigkeiten beim Präsidenten der RF und die im Juli 1999 per Präsidialdekret verfügte Zusammenlegung des FSTR und des Pressekomitees der RF zum neuen "Ministerium für Angelegenheiten der Presse, des Fernsehens und Rundfunks und der Mittel der Massenkommunikation" sind gleichermaßen der Ausdruck einer vom Präsidenten der RF allein angeführten staatlichen Medienpolitik.

 

Die gesetzliche Ausgestaltung der verfassungsrechtlichen Freiheitsgarantien zugunsten der Massenmedien wurde also, soweit nicht ein rechtliches Vakuum entstand, teils überlagert von der tatsächlichen Ausgestaltung durch die Exekutive, teils ersetzt durch die eigene Gestaltung der Massenmedien. Die Eigeninitiative und Selbstregulierung der Massenmedien war jedoch bislang, wie bereits angedeutet, kein starker Entwicklungsaspekt. Erst die Finanz- und Bankenkrise im Herbst 1998 scheint einen Wendepunkt für die Bildung einer stärkeren Interessenvertretung der Massenmedien zu markieren. Der Kampf um die Verlängerung der staatlichen Unterstützung hatte einigende Kraft, denn anders als z.B. im Falle des Widerstands gegen das "Notstandskomitee" von 1991 waren die wirtschaftlichen Interessen der Medien insgesamt betroffen. Die "Charta der Fernseh- und Radiosender" zur Verpflichtung auf ethische Mindeststandards, die im April 1999 von den größten Fernsehgesellschaften unterzeichnet wurde, ist ein erster Erfolg der neuen Bewegung.

 

Zur geltenden Gesetzeslage und zu den Änderungsentwürfen zum Gesetz "Über die Massenmedien" gab es indessen seitens der Massenmedien bisher wenige konstruktive Stellung­nahmen. Die Vertreter der Medien beschränkten sich hauptsächlich darauf, jeden Neuerungsversuch als Gefährdung der Pressefreiheit oder Versuch der Wiedereinführung der Zensur darzustellen - womit sie oft gar nicht so unrecht hatten. An der Diskussion über die Gesetzgebung beteiligten sich vor allem gesellschaftliche Einrichtungen wie der "Centr `Pravo i sredstva massovoj informacii´", der "Fond Zaščity Glasnosti", ANO "Internews", "Graždanskij Kontrol´" usw. Ihre Veröffentlichungen zeigten, dass es eine Reihe von Miss-Ständen und Regelungsdefiziten gibt, die die Pressefreiheit beeinträchtigen. Zu ihrer Beseitigung ist jedoch seit dem Gesetz "Über die Massenmedien" von 1991 und dem Inkrafttreten der Verfassung im Dezember 1993 nicht viel geschehen.  

 

An erster Stelle sind die unbegründeten oder rechtswidrig begründeten Informations­verweigerungen zu nennen. Auskunftsverweigerungen, unzulässige Zugangs­be­schränkungen bei Pressekonferenzen, öffentlichen Sitzungen und Informationsveranstaltungen, rechtswidrige Akkreditierungsregeln und der eigenmächtige Entzug der Akkreditierung von Journalisten bei staatlichen und kommunalen Organen sind in Rußland oft anzutreffen, besonders in den Regionen, aber auch in der Hauptstadt. 1997 stellten solche Informationsbeschränkungen nach den kriminellen Übergriffen auf Angehörige der Massenmedien die häufigste Art der Verletzung der Rechte der Massenmedien dar. Die fortschrittlichen Vorschriften des Gesetzes "Über die Massenmedien", die den Redaktionen einen Auskunftsanspruch und den Journalisten ein generelles Besuchs- und Einsichtsnahmerecht gewähren, lassen sich kaum durchsetzen, da das Gesetz keine adäquaten rechtlichen Sanktionen für den Fall ihrer Verletzung vorsieht. Auch das Gesetz "Über Information, Informatisierung und den Schutz der Information" von 1995 enthält zwar Ansprüche auf den Zugang zu staatlich verwalteten Dokumenten in Bibliotheken, Archiven und Datenbanken, verweist aber hinsichtlich der Rechtsfolgen bei der Verletzung der Informationsansprüche lediglich auf die strafrechtliche und zivilrechtliche Gesetzgebung sowie die Gesetze über Amtsverletzungen. Der Schadensersatzanspruch, den beide Gesetze gewähren, eignet sich nicht zur zügigen Durchsetzung von Informationsansprüchen.

 

Das Recht auf den freien Zugang zur Information hat somit seit 1991 keine nennenswerten gesetzlichen Verbesserungen erfahren. Das zur Stärkung der Informationsrechte der Bürger geplante Gesetzesprojekt "Über das Recht auf Information" gelangte nicht über das Stadium des Entwurfs hinaus. Zudem wurde der früher sehr weitgehende strafrechtliche Schutz der Journalisten gegen die böswillige Behinderung ihrer "gesetzlichen professionellen Tätigkeit" mit der Strafrechtsreform von 1996 fast vollständig zurück­genommen, so dass die rechtswidrige Informationsverweigerung den Straftatbestand nicht mehr erfüllt.

 

Bei der Berichterstattung über Umweltschäden müssen sich die Journalisten hingegen vor dem strafrechtlichen Vorwurf der Spionage oder des Offenbarens von Staatsgeheimnissen in acht nehmen. Der auslegungsfähige materielle Begriff des Staatsgeheimnisses, den das Gesetz "Über das Staatsgeheimnis" von 1993 enthält, die geheimen, dezentral geführten Unterverzeichnisse der Staatsgeheimnisse, die Desekretierungsregeln sowie die fehlenden Begrenzungen der Strafbarkeit hinsichtlich der Verbreitung bereits bekanntgewordener Staatsgeheimnisse oder der Voraussetzung eines spürbaren Schadenseintritts machen den Bereich der staatlichen Sicherheit für den investigativen Journalismus zu einem gefährlichen Terrain. Die verfassungsrechtliche und gesetzliche Begrenzung der Sekretierung lebens- und gesundheitsbedrohender Ereignisse sowie der Umweltschäden beugen zwar einer willkürlichen Ausweitung des Geheimnisschutzes in gewissen Maße vor, aber die Regeln des Gesetzes "Über das Staatsgeheimnis" setzen einer Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Sekretierung enge Grenzen.

 

Aufgrund der zahlreichen Informationsbeschränkungen erlangte das Widerrufs- und Gegendarstellungsrecht besondere Bedeutung. Schlecht informierte Journalisten verbreiten in der Regel unzutreffende Sachverhaltsdarstellungen oder sogar ehrenrührige Behauptungen, und das Gesetz "Über die Massenmedien" bietet den Betroffenen die Möglichkeit, eine Gegendarstellung zu veröffentlichen oder Berichtigungsansprüche geltend zu machen. Bei der Erfüllung dieser Ansprüche gelten insbesondere das Glossierungsverbot und das Prinzip der Waffengleichheit. Noch mehr als an der Gegendarstellung oder dem Widerruf waren die Betroffenen jedoch daran interessiert, den zivilrechtlichen Schadens­ersatzanspruch geltend zu machen und zur Kompen­sation der erlittenen "moralischen Schmerzen" hohe Summen einzuklagen. Die in den letzten Jahren aufgekommene Praxis massenhafter Ehrverletzungs­prozesse gegen Journalisten und Redaktionen hat sich so zu einem Missbrauch des Widerrufsrechts ausgeweitet, dem die Gerichte kaum Einhalt geboten haben. Eine gesetzliche Einschränkung dieser Praxis wäre jedoch denkbar.

 

Neben dem Mangel an Information seitens der staatlichen Stellen ist in Rußland außerdem die fehlende Transparenz der Massenmedien selbst zu beklagen. Die großen Unsicherheiten bei der Beurteilung des Marktes der Massenmedien wirken auf in- und ausländische Investoren abschreckend und verhindern den Zufluss dringend benötigten Kapitals. Während die oft als Geheimniskrämer und "Spionomanen" bezeichneten Behörden und Staatsorgane sich immerhin auf staatliche Sicherheitsinteressen berufen können, gibt es für die Geheimhaltung der Jahresabschlüsse und der Beteiligungsverhältnisse eines Medienunternehmens kaum legitime Rechtfertigungen. Die außergewöhnliche Unübersichtlichkeit des rußländischen Marktes der Massenmedien ist nicht nur dadurch bedingt, dass die Marktforschung, vor allem in den Regionen, bislang unterentwickelt ist, sondern auch durch die Gewohnheit, selbst die Basisdaten der Massenmedien wie zum Beispiel die Auflagenzahl entweder zu verschweigen oder unzutreffend anzugeben. Als Begründung für dieses erstaunliche Verhalten kann zum einen die hohe und unter Umständen erdrosselnd wirkende Besteuerung der rußländischen Unternehmen angeführt werden. Überhaupt gilt in vielen Wirtschaftsbereichen aus den unterschiedlichsten - und oftmals sehr verständlichen - Gründen die Devise, je weniger über die tatsächlichen Gewinne eines Unternehmens bekannt ist, desto besser. Das rußländische Steuersystem hat diese Übung nicht beseitigt, und es werden vergleichsweise wenig Steuern eingetrieben. Die militärisch organisierte Steuerpolizei, die neben der gewöhnlichen Steuerinspektion eingerichtet wurde, um der Steuerflucht den Kampf anzusagen, scheint zudem öfter als politisches Druckmittel missbraucht worden zu sein. Im Sommer 1999, im Vorfeld der Wahlen zur Staatsduma und zur Präsidentschaft, machte sie zum Beispiel Schlagzeilen mit ihrem Vorgehen gegen die Media-Most-Gruppe (NTV, Itogi, Segodnja usw.).

 

Zum anderen sind die verdeckten Beteiligungsverhältnisse bei Fernsehgesellschaften, Verlagsgruppen und Tageszeitungen ein Mittel, unbemerkt privates Kapital investieren und politischen Einfluss ausüben zu können. Die Politisierung der rußländischen Massenmedien ist so fortgeschritten, dass in Fällen wie dem der Veräußerung von 85 % der "Kommersant"-Aktien an "American Capital" LLC, eine bis dahin unbekannte U.S.-Firma, im Sommer 1999 sogleich gemutmaßt wurde, dass es sich wahrscheinlich um die Strohfirma des russischen Medienmagnaten B. Berezovskij handelte. Wie man später erfuhr, war die Vermutung richtig.[2] Im übrigen können unklare Beteiligungsverhältnisse aber auch zur Verhüllung staatlicher Einflussnahme dienen, wie das Beispiel der gemischten staatlich-privaten Medienholdings zeigt, die in letzter Zeit in den Regionen entstanden sind. Gebietsadministrationen, Politiker und staatliche Bedienstete engagieren sich teils offen, teils verdeckt neben Geschäftsleuten und privaten Unternehmen. Dabei ist schwer einzuschätzen, welche Investitionen allein im Hinblick auf die anstehenden Wahlen 1999 / 2000 getätigt wurden und welche finanziellen Engagements zu den längerfristigen zählen. Auch lässt sich kaum noch beurteilen, ob die Einwirkungen der Fremdfirmen und Anteilseigner, wenn sie denn einmal festgestellt wurden, als staatliche Einflussnahme zu qualifizieren sind oder nicht. Der Streit der "Izvestija"-Redaktion mit dem Großaktionär "Lukojl", der im Sommer 1997 zur Absetzung des Chefredakteurs und zum Auszug vieler Mitarbeiter führte, veranschaulicht die neuen Einordnungsschwierigkeiten: Der Abdruck des "Le-Monde"-Artikels, der dem damaligen Premierminister Černomyrdin persönliche Bereicherung im Amt vorwarf, bewirkte zwar eine sofortige Gegenreaktion, aber man konnte allenfalls die Frage stellen, ob der Großaktionär "Lukojl" die Rolle regierungsamtlicher Medienkontrolle übernommen hatte.

 

Die fehlende Transparenz der Massenmedien ist zu einem solchen Problem geworden, dass das zuständige Komitee der Staatsduma sogar vorgeschlagen hat, die bisherige gesetzliche Figur des Gründers eines Massenmediums völlig abzuschaffen und den Herausgeber in jedem Fall zum verantwortlichen Eigentümer zu erklären. Damit würde zwar die nicht selten anzutreffende Aufspaltung in Gründer, Herausgeber und wirkliche, aber unbekannte Eigentümer unmöglich werden. Das Phänomen verdeckter Beteiligungen ist auf diese Weise aber nicht zu beseitigen, denn nur schärfere Regeln zur Publizität könnten verhindern, dass die Figur des Herausgebers den Platz des Gründers einnimmt und - etwa mittels der Organisationsform der Medienholding mit wechselnden Beteiligungen - neue Unklarheiten schafft. Solange auf dem Markt der Massen­medien nicht ein gewisses Maß an Transparenz erreicht ist, sind auch die Entwürfe für ein spezielles, die Medien betreffendes Antimonopolgesetz zwecklos. Regulierende Eingriffe erfordern eine gewisse Übersichtlichkeit des Marktes, um beurteilen zu können, ob sich eine marktbeherrschende Stellung herausgebildet hat. Und mehr als die Entstehung wirtschaftlicher Konzentrationen beunruhigt bisher der Prozess politischer Konzentration. Dieser Prozess fällt zwar mit demjenigen wirtschaftlicher Konzentration zum Teil zusammen, er läuft jedoch nicht nach den gleichen Gesetzen und Spielregeln ab.

 

Schließlich gelingt aufgrund der Unübersichtlichkeit des Marktes der Massenmedien und der Unterschiedlichkeit der rußländischen Regionen auch keine eindeutige Stellungnahme zur Rolle der staatlichen Massenmedien. Die Bestrebungen der RF, den verlorenen "einheitlichen Informationsraum" der früheren Sowjetunion mit staatlich gelenkten Massenmedien zurück zu erobern, waren jedenfalls bisher nicht von Erfolg gekrönt. Die Reorganisation der zentralen staatlichen Fernsehgesellschaft VGTRK erscheint nachträglich nicht mehr als aggressive, die Freiräume nichtstaatlicher Massenmedien bedrohende Maßnahme, sondern als notwendige Sanierung eines bankrotten Staatsunternehmens. Zwischen dem ersten präsidentiellen Dekret, das alles in Gang setzte, und der immer noch nicht ganz abgeschlossenen Umsetzung des Vorhabens liegen die Finanz- und Bankenkrise im Herbst 1998 und zwei Regierungswechsel. Die beabsichtigte Stärkung der VGTRK zu einem machtvollen "einheitlichen produktionstechnischen Komplex staatlicher elektronischer Massenmedien" ist am Widerstand der übrigen Fernsehgesellschaften, die halbstaatliche ORT-Aktiengesellschaft eingeschlossen, vorerst gescheitert. Die zunächst in Aussicht gestellten finanziellen Mittel trafen nicht ein, und der Komplex aus föderalen und regionalen Fernseh- und Rundfunkgesellschaften sowie Sendeanlagen umfasst deutlich weniger Anlagen und Werte, als man einplante. Es bleibt jedoch festzuhalten, dass der produktionstechnische Vorsprung der staatlichen Massenmedien in den meisten Regionen Rußlands nach wie vor besteht. Staatliche Sendeanlagen, Druckereien, Papierfabriken und Vertriebssysteme bringen die staatlichen Fernsehgesellschaften, Radiosender und Zeitungen in Vorteil. Erst allmählich beginnen in den Regionen nichtstaatliche Medienholdings zu entstehen, die neben einer Fernsehgesellschaft und einer Zeitung auch Werbeagenturen und eigene Sende- oder Produktionsanlagen umfassen, die mithin autarker und weniger verletzbar sind.

 

Die Selbstbehauptung der nichtstaatlichen Massenmedien ist in Rußland notwendiger als in anderen Ländern, um die Pressefreiheit zu stabilisieren. Sowohl die Dekrete des Präsidenten als auch die Gesetze und Beschlüsse der Staatsduma haben bewiesen, dass das Sprichwort "Wer zahlt, bestimmt die Musik" nicht zuletzt im Verhältnis der Staatsgewalt zu den staatlichen Massenmedien als gültig angesehen wird. Das Gesetz "Über die Ordnung der Berichterstattung über die Tätigkeit staatlicher Organe durch die staatlichen Massenmedien" ist hierfür nur ein - wenn auch besonders einprägsames - Beispiel. In Rußland geht der öffentlichen Aufgabe von Presse und Fernsehen im Zweifel die Verpflichtung zur Loyalität gegenüber dem Staat vor. Den zahlreichen Dekreten B. El´cins zur Unterstützung der Pressefreiheit widersprechen seine personellen Entscheidungen wie die Absetzung E. Jakovlevs (Ostankino) oder O. Popcovs (RTR).[3] Im übrigen haben Umfragen unter Fernsehdirektoren und Chefredakteuren ergeben, dass sie die Interessen der Zuschauer (und Steuerzahler) in der Regel überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen.[4] Sie orientieren sich vor allem an den Vorlieben und der Ausrichtung der Gründer und Eigentümer, seien es private Unternehmen oder seien es staatliche Organe - eine Folge der weithin praktizierten Gepflogenheit, in Massenmedien zu investieren, um sich mittels des erlangten politischen Einflusses wirtschaftliche Vorteile zu sichern.

 

Die Frage, ob die Meinungsfreiheit sich in Rußland einen dauerhaften Platz erobert hat, wie S. von Steinsdorff schon vor einigen Jahren schrieb, oder ob das freiheitliche Gesetz "Über die Massenmedien" seine Entstehung einem vorübergehenden Machtvakuum verdankt, wie H. Wendler später meinte, lässt sich auch heute noch nicht ohne weiteres beantworten. Das Selbstbewusstsein der Perestrojka-Journalisten scheint weitgehend der Ernüchterung und dem Bewusstsein wirtschaftlicher Abhängigkeit gewichen zu sein. Das Gesetz "Über die Massen­medien" hat sie mit dem unbedingten Unabhängigkeitsanspruch der Redaktionen gewissermaßen in die Irre geführt. Andererseits spricht die lange Geltungsdauer dieses Gesetzes und die institutionelle Verfestigung seiner Freiheitsrechte durch die Verfassung von 1993 dafür, die unbestreitbar vorhandenen Tendenzen zur restriktiven, autoritären staatlichen Medienpolitik nicht überzubewerten. Inwieweit die Gesellschaft Rußlands heute schon bürgerlicher und demokra­tischer geworden ist, ist schwierig zu beurteilen. Aber sicher ist, dass die nichtstaatlichen Massenmedien trotz aller beschriebenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten und der dadurch bedingten Einflussnahme von außen stärker geworden sind. Ihre bisherige Entwicklung lässt hoffen, dass die Pressefreiheit in Rußland zur dauerhaften Institution wird.

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[1] H. Vogel (1999), Rußland steckt in einem Rückstau ungelöster Probleme, FAZ vom 29. Juli 1999, S. 10.

[2] Vgl. FAZ vom 7.8.99, S. 5: B. Berezovskij teilte am 6. August 1999 mit, daß er das Kontrollpaket der Aktien des einflußreichen Verlagshauses "Kommersant" von der amerikanischen Firma erworben habe, da er nicht zulassen wolle, daß der Moskauer Bürgermeister J. Luškov oder der frühere Ministerpräsident E. Primakov bei den Präsidentenwahlen im kommenden Jahr siegten. Der bisherige Chefredakteur der Zeitung "Kommersant Daily", R. Shakirov, wurde auf Betreiben Berezovskijs sogleich entlassen.

[3] E. Jakovlev wurde am 21. Oktober 1992 des Amtes enthoben, O. Popcov am 15. Februar 1996. 

[4] A. Kačkaeva (1999), Rossijskie sredstva massovoj informacii, vlast´ i kapital: k voprosu o koncentracii i prozračnosti SMI v Rossii, Kapitel "S točki zrenija auditorii".