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2. Private: Einflussreiche Großaktionäre als Zensoren?

 

a) Einleitung: Zu den "Spielarten der Zensur"

b) Symbiose von Wirtschaft und Staat

c) Anteilserwerb zur Stärkung wirtschaftlichen und politischen Einflusses

d) Politisierung und wirtschaftliche Fremdbestimmung der Massenmedien

e) Fallbeispiel: Izvestija / Lukojl

g) Einflussmöglichkeiten privater Anteilseigner

h) Fallbeispiel: ORT / Berezovskij

 

2. Private: Einflussreiche Großaktionäre als Zensoren?

 

a) Einleitung: Zu den "Spielarten der Zensur"

 

Der Vorsitzende des "Fonds zum Schutz der Glasnost`", Aleksej Simonov, stellte 1996 in einem Vortrag über die Mediengesetzgebung fest, dass die offizielle staatliche Vorzensur mit Ausnahme Azerbajdžans[1] aus allen Staaten auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion verschwunden sei: "Wir haben ein zivilisiertes Niveau erreicht. Zivilisierte Umgangsformen zwischen den Mächtigen und der Presse zeichnen sich dadurch aus, dass man statt einer umfangreichen, offiziellen Zensur sechs Spielarten der Zensur kennt."[2] Und er zählte auf: die "administrative Zensur" der Exekutive, die Informationen zurückhält oder unterdrückt, die "ökonomische Zensur" der staatlichen Organe und Administrationen, die als Gründer / Herausgeber von Massenmedien auftreten, die "kriminelle Zensur" durch Erpressung und Überfälle auf Journalisten und Redaktionen, die "Zensur der redaktionellen Ausrichtung" der privaten Geldgeber und Anteilseigner, die politischen Einfluss ausüben wollen, die "Zensur des redaktionellen Geschmacks" des Chefredakteurs, der sich einer besonderen Linie verpflichtet fühlt, und schließlich die aus alten Zeiten noch wohlbekannte "Selbstzensur" der Journalisten, die sogenannte "Schere im Kopf".

 

Versteht man unter dem Begriff "Zensur" jede Form von Inhaltskontrolle, gleich, ob sie vorher oder nachher erfolgt und planmäßig oder sporadisch ausgeübt wird, so ließe sich die Liste noch fortsetzen. Die "Inflationierung des Zensurbegriffs" schärft aber nicht das Bewusstsein zur Abwehr von Beeinträchtigungen der öffentlichen Meinungsbildung durch die Träger öffentlicher Gewalt, die sich auf das Gewaltmonopol des Staates stützen können.[3] Die Definition der Zensur durch das Gesetz "Über die Massenmedien" wirkt daher der willkürlichen Ausweitung des Zensurbegriffs entgegen. Lediglich die staatliche oder dieser gleichzusetzende Präventivzensur öffentlicher oder gesellschaftlicher Vereinigungen ist schon per se verfassungswidrig. Alle anderen Eingriffe in die Freiheitsrechte der Massenmedien, die nicht unter die gesetzliche Definition der Präventivzensur fallen, sind dagegen nurmehr auf die Frage hin zu überprüfen, ob sie ungesetzliche oder zumindest unverhältnismäßige Eingriffe darstellen.

 

b) Symbiose von Wirtschaft und Staat

 

Unter diesem Gesichtspunkt ist Simonovs Aufzählung von Spielarten der "Zensur" von großer Bedeutung für die Beurteilung der Medienfreiheit. Sie trägt der Tatsache Rechnung, dass in Rußland große Privatunternehmen und halbstaatliche Gebilde entstanden sind, die es Privatpersonen ermöglichen, unter Umständen effektiver und unauffälliger, aber nicht weniger planmäßig als der Staat und manchmal sogar in seinem Auftrag den Informationsfluss zu kontrollieren. Das staatliche Gewaltmonopol ließ sich in Rußland bisher nicht mit der gleichen rechtsstaatlichen Sicherheit durchsetzen wie in anderen osteuropäischen Staaten;[4] und weder die innerstaatliche Gewaltenteilung noch die Trennung oder auch nur Unterscheidung staatlicher Mittel von privaten scheint bisher funktioniert zu haben. Ein Ergebnis des staatlichen Privatisierungsprogramms der Jahre 1992 - 94 war es, dass die Umwandlung vieler großer Staatsbetriebe in juristische Personen des Privatrechts lediglich formal vollzogen wurde und zu nichts weiter als zu kommerzialisierten Staatsunternehmen führte. Im Vergleich mit westlichen Ländern ist die "Symbiose von Business und Politik"[5] oft als der hervorstechendste Charakterzug der russischen Medienlandschaft bezeichnet worden. Die Teilnahme Privater an der staatlichen Medienkontrolle muss deshalb mit ins Auge gefasst werden.

 

Der größte Fernsehsender der RF zum Beispiel, nämlich der erste Kanal ("Ostankino"), der 1995 zur geschlossenen Aktiengesellschaft ZAO "ORT" umgeformt wurde, gehört zwar zu 51% dem Staat (45% Goskomimuščestvo, 3% ITAR-TASS, 3% TTC). Aber die privaten Anteilseigner taten sich unter der Führung des Geschäftsmannes B. Berezovskij (11% LogoVAZ, 8% Ob´edinennyj bank) zusammen und bestimmten faktisch über Jahre hinweg die Unternehmenspolitik von ORT. Nach den Worten von A. Kačkaeva scheint es ihnen öfter gelungen zu sein, einen der drei staatlichen Aktionäre auf ihre Seite zu ziehen und so die Entscheidungen des Staates zu blockieren.[6] Selbst nachdem ORT auf Betreiben der Regierung in eine offene Aktiengesellschaft umgewandelt worden war, ließ die Unternehmensleitung eine für die privaten Anteilseigner günstige Satzung beschließen, die nunmehr für die meisten Entscheidungen eine 2/3-Stimmenmehrheit vorsieht. Und im Fall des zweiten Kanals RTR, der sich zu 100% in staatlichem Eigentum befindet, wies A. Kačkaeva auf den Interessenkonflikt hin, in dem sich der stellvertretende Vorsitzende der staatlichen Medienholding M. Lesin befindet, weil er zugleich offen als Miteigentümer der größten russischen "Reklameagentur" bzw. des Vermarkters "Video International" auftritt.[7]  Auf eine diesbezügliche Nachfrage hin verteidigte sich Lesin damit, dass die Interessen von VGTRK und "Video International" während der nächsten zwei, drei Jahre sowieso zusammenfallen, insbesondere bei der Lichtung und Koordinierung des Reklamemarktes.

 

Umgekehrt scheint es unter den Printmedien einige Privatunternehmen zu geben, die sich staatlichem Einfluss nicht verschließen wollen oder können. Die Aktien der ehemaligen Regierungszeitung "Izvestija" befinden sich zwar schon seit längerer Zeit im privaten Besitz, unter anderem ihrer eigenen Mitarbeiter. Als bestimmende Aktionäre traten jedoch seit 1997 die Ölgesellschaft "Lukojl" und die Oneximbank auf. Es kann somit nicht ausgeschlossen werden, dass der Staat als größter Aktionär der "Lukojl" zumindest zeitweise seinen mittelbaren Einfluss auf die Geschäfts- und Informationspolitik der "Izvestija" geltend gemacht hat (siehe unten). Diese und weitere Beispiele zeigen die vielfachen wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen staatlichen Stellen und privaten Unternehmern. Bei der Untersuchung der Freiheit der russischen Massenmedien ist es somit geboten, auf die Rolle der privaten Geldgeber und Anteilseigner näher einzugehen - zumal sich gerade in den zentralen Printmedien Besitzverhältnisse herausgebildet haben, die die Nach-Perestrojka-Zeit des Triumphes relativ selbständiger Redaktionen und Journalistenkollektive ein für alle Mal beendet haben.

 

c) Anteilserwerb zur Stärkung wirtschaftlichen und politischen Einflusses

 

Die "Zensur der redaktionellen Ausrichtung", die Simonov erwähnte, besteht in der Einflussnahme der Gründer, Eigentümer und Anteilseigner der Medienunternehmen auf die Redaktionspolitik. Die Einmischung von außen ist für die russischen Massenmedien offenbar zu einem akuten Problem geworden. Seit 1992, und noch einmal verstärkt während und nach der erfolgreichen Medienkampagne des Jahres 1996 zugunsten Präsident B. El´cins, sind Banken und Rohstoffkonzerne in den Markt der zentralen Massenmedien eingestiegen und haben investiert: eine Wohltat, die das Überleben vieler Massenmedien sicherte und für pluralistische Vielfalt sorgte, auch wenn man bedauern will, dass sich neue Abhängigkeiten bildeten. Inzwischen nehmen eine ganze Reihe von Privatpersonen und privaten oder nur halbstaatlichen Gesellschaften über ihre Rechte als Eigentümer oder Anteilseigner mittels der ihnen gehörenden Massenmedien ihre eigenen Interessen wahr. Es ist also nicht nur die regelmäßig vor den Wahlen zu beobachtende Politisierung der Massenmedien, die zur Vernachlässigung des Gebots objektiver, unverfälschter Berichterstattung führt, sondern auch ihre täglich zu beobachtende Instrumentalisierung im Kampf mit den wirtschaftlichen Interessen anderer großer Unternehmen.

 

Offene wie geschlossene Aktiengesellschaften bieten zudem die Möglichkeit, Aktien zu erwerben, ohne die Verantwortung für die Leitung eines Massenmediums übernehmen zu müssen.[8] Verantwortlich ist immer der Vorstand bzw. der Generaldirektor der AG, während die Aktionäre über die Führung der Gesellschaft Rechenschaft verlangen können. Im Falle der weit verbreiteten geschlossenen Aktiengesellschaft ist das Kapital zudem nicht breit gestreut, sondern befindet sich üblicherweise im Besitz einiger weniger Großaktionäre. Es liegt auf der Hand, dass sich infolge einer größeren Kapitalbeteiligung und der entsprechenden Stimmrechte auf der Aktionärs­versammlung weitreichende Einwirkungsmöglichkeiten ergeben können.

 

d) Politisierung und wirtschaftliche Fremdbestimmung der Massenmedien

 

Der verdeckten Einflussnahme Privater kommen schließlich noch einige Besonderheiten des russischen Journalismus entgegen. Der Zeitungs- und Nachrichtenstil geht zurück auf den früheren sowjetischen Kommentierungsjournalismus. Im Unterschied zum westlichen Journalismus verband sich in der Sowjetunion die objektive Berichterstattung mit parteilicher Wertung, das heißt man vollzog ganz bewusst keine klare Trennung zwischen einer Nachricht und der Meinung über sie.[9] Dieser Stil erreichte in der Phase der Parteientstehung und der zunehmenden Polarisierung der Gesellschaft neue Dimensionen. Viele Zeitungen verwandelten sich mehr oder weniger unverhüllt in politische Kampfblätter gesellschaftlicher Vereinigungen und Parteien. Die russische Presse wurde infolgedessen bunter, vielfältiger und, insgesamt gesehen, auch pluralistischer, aber die Kehrseite der Medaille bildete die häufig sehr eindeutige und einseitige Ausrichtung der einzelnen Redaktionen. Als dann im weiteren Verlauf das finanzielle Engagement von kapitalkräftigen Fremdfirmen immer notwendiger wurde, um den Auswirkungen der Inflation, nämlich den steigenden Produktions- und Vertriebskosten, zu begegnen, entstanden wirtschaftliche Abhängigkeiten, die sich auch auf die redaktionelle Eigenständigkeit der Massenmedien aus­wirkten. Heute fühlen sich kleine wie große Tageszeitungen, Radioprogramme und Fernsehgesellschaften ihren jeweiligen Kapital- oder Kreditgebern gegenüber gewissermaßen verpflichtet. Wenigstens scheinen sie sich im allgemeinen kritischer Veröffentlichungen über ihre Hausherren zu enthalten:

 

"Sogar die Journalisten, die versuchen, selbständig und kompromisslos ihre Position zu bestimmen und die Nachrichten unabhängig zu interpretieren, nehmen zu einem Thema gewöhnlich nur dann Stellung, wenn ihre Meinung von dem Standpunkt des Eigentümers der Ausgabe nicht abweicht."[10]

 

Und nicht nur für Investitionen und Kredite, sondern auch im täglichen Geschäft begannen die Massenmedien bald damit, nach besonderen zusätzlichen Finanzquellen zu suchen. Denn obgleich der Werbemarkt seit 1991 beträchtlich expandiert war, deckten die Einnahmen aus der offiziellen Werbung in der Regel nicht den Finanzbedarf einer Zeitung - von den Erlösen aus den Abonnements und dem Straßenverkauf ganz zu schweigen. Schleichwerbung und Auftragsartikel wurden daher auch bei größeren Tageszeitungen durchaus üblich;[11] bei den elektronischen Massenmedien kamen noch in größerem Umfang Verträge mit Sponsoren hinzu. Auftragsartikel werden inzwischen allgemein als "zakazucha" oder Auftragsmaterial (zakaznoj material) bezeichnet, und sie werden von vielen Journalisten als unumgänglich angesehen, um ihnen und ihrer Zeitung regelmäßige zusätzliche Einnahmequellen zu sichern.[12]

 

Schließlich ist noch hinzuzufügen, dass nicht nur das Erbe des früheren sowjetischen Kommentierungsjournalismus und die heutigen Finanznöte der Massenmedien dazu geführt haben, dass die objektive Nachrichtenvermittlung in Mitleidenschaft gezogen wurde. Die von der Regierung der RF seit 1992 vorangetriebene Privatisierung der Staatsunternehmen und die Akkumulation von Kapital in den Sektoren Handel und Banken bewirkten, dass eine Reihe von Großbanken und Rohstoffkonzernen bald in die Lage versetzt waren, den Markt - und zwar nicht nur den der Massenmedien, sondern überhaupt nahezu alle lukrativen wirtschaftlichen Betätigungsfelder - unter sich aufzuteilen. Die Grabenkämpfe, die die "Oligarchen" zu führen begannen, verwickelten die Journalisten in Gerüchte, unzutreffende Darstellungen und noch unzutreffendere Gegendarstellungen. Für unbeteiligte Zuschauer bot das neue Gesicht des russischen Medienpluralismus einen verwirrenden Anblick.

 

Zu einem Höhepunkt kam es, als der Staat im Sommer 1992 die Sperrminorität, also 25 % der Aktien, der offenen Aktiengesellschaft "Svjaz´invest" zum Verkauf anbot. Im Konzern "Svjaz´invest" konzentrierten sich staatliche Anteile bedeutender Telekommunikationsfirmen Rußlands, und die Prätendenten, in der Hauptsache Potanin (ONEKSIM-Bank), Berezovskij (Ob´edinennij Bank) und Gusinskij (Most-Bank), kämpften um den Zuschlag. Nachdem eine gewisse "Mustcom Ltd." die Aktien für die ONEKSIM-Bank erworben hatte, machten die unterlegenen Konkurrenten den Fall zum Presse-Thema Nr. 1 und bezichtigten die "jungen Reformatoren" (A. Čubajs, B. Nemcov) sowie den damaligen Leiter des Staatsvermögenskomitees A. Koch des einverständlichen Zusammenwirkens mit Potanin. Der "Informationskrieg", der sich daraufhin zwischen den Massenmedien der beiden Seiten entwickelte, fügte dem Ansehen von Presse und Fernsehen im In- und Ausland schweren Schaden zu. Ein Zitat aus einem russischen Journal belegt - stellvertretend für alle anderen - den Vertrauensverlust, den die Medien hierdurch bei der Bevölkerung erlitten:  

 

"Der Skandal um "Svjaz´invest" hat leider gezeigt, dass die Eigentümer der Mediengruppen sich zur Führung eines Informationskriegs im großen Maßstab und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bereit fanden, angefangen vom Unterschieben von Informationen und ihrer entstellenden Interpretation bis hin zu offenen Schwindlereien. Natürlich ist das nichts neues. Die Besitzer der Massenmedien waren immer bestrebt, ihr Eigentum im politischen Ränkespiel und in geschäftlichen Intrigen einzusetzen. Neu ist jedoch das Ausmaß der Manipulationen. Alle zentralen Massenmedien, mit Ausnahme der VGTRK, zweier Regierungszeitungen und einiger unabhängiger Ausgaben ("Argumenty i fakty", "Kommersant" und "Soveršenno secretno") werden auf die eine oder andere Weise von großen Finanzgruppen kontrolliert, die entweder bestimmten politischen Interessengruppen angehören oder aber selbst eigene politische Interessen vertreten. So hat sich die Presse in eine Galerie von Zerrspiegeln verwandelt, und nicht in einem von ihnen seht ihr das volle oder wenigstens nicht ganz verdrehte Bild eurer Umwelt. (...) Heute wissen wir es genau: Zehn krumme Spiegel ersetzen nicht einen einzigen geraden." [13]

 

Die Einflussnahme privater und halbstaatlicher Fremdfirmen auf die Massenmedien hat mithin wenige Jahre nach dem Ausklang der Perestrojka bereits ein unübersehbares Ausmaß erreicht. In einem Gespräch über Massenmedien und Politik meinte V. Gusinskij, der Gründer des größten privaten Fernsehsenders NTV: "Die Politiker haben verstanden, dass sie die Interessen der Finanzgruppen vertreten müssen, und nicht umgekehrt."[14] Und obgleich Gusinskij damit einen scheinbar natürlichen Interessengegensatz impliziert, der jedoch gerade in Rußland nicht besonders scharf ausgeprägt ist, bringt er damit die Rolle der sogenannten "Oligarchen" auf den Punkt. Aufgrund ihres Kapitals, ihrer Dominanz in den Massenmedien und ihrer Beziehungen zu staatlichen Stellen sind die Vertreter großer russischer Wirtschaftsunternehmen zur bedeutenden politischen Kraft geworden. P. Hübner hat deshalb für den Bereich der zentralen Tagespresse die Frage gestellt, ob die Banken und Rohstoffkonzerne als die neuen Zensoren Rußlands fungieren. Zum einen geht es hierbei darum, ob die Fremdfirmen "die Rolle einer regierungsamtlichen Medienkontrolle übernehmen" wollen oder können.[15] Zum anderen geht es aber auch ganz allgemein um die verschiedenen möglichen Auswirkungen der Medienbeteiligungen auf die Pressefreiheit.[16]

 

e) Fallbeispiel: Izvestija / Lukojl

 

Ein Anlass für die Fragestellung Hübners waren insbesondere die Vorgänge um die Absetzung des Chefredakteurs der zentralen Moskauer Tageszeitung "Izvestija", I. Golembiovskij. Das Schicksal der berühmten ehemaligen Regierungszeitung begann sich schlagartig zu ändern, nachdem in ihr am 1. April 1997 der Nachdruck eines Artikels über den damaligen Premierminister V. Černomyrdin erschienen war, den die Pariser Zeitung "Le Monde" zuvor veröffentlicht hatte. Die kommentarlose Wiedergabe[17] der dort geäußerten Mutmaßungen, Černomyrdin habe sein Vermögen in den vier Jahren seiner Amtszeit um einige Milliarden Dollar vergrößern können, führte binnen relativ kurzer Zeit zu beträchtlichen Veränderungen bei der "Izvestija", insbesondere im Mitarbeiterstab. Im August 1997 verließen die Zeitung über 30 Journalisten, darunter einige sehr bekannte Politik-Kommentatoren, und sie gründeten zusammen mit dem abgesetzten Chefredakteur der Izvestija die "Novye Izvestija". Zuvor hatte die scheidende Redaktion der Regierung noch vorgeworfen, mit Hilfe ihres wirtschaftlichen Einflusses die politische Zensur im Stil der KPdSU wiederherstellen zu wollen. Ein genauerer Blick auf das Geschehen zeigt jedoch, dass die Vorgehensweise von Lukojl nicht ohne weiteres als Übernahme regierungsamtlicher Medienkontrolle gewertet werden kann.[18] Im folgenden werden deshalb, der Zusammenstellung von L. Belin folgend,[19] die Ereignisse in zeitlicher Reihenfolge dargestellt:

 

In den ersten Jahren der Präsidentschaft B. El´cins führte die "Izvestija" eine relativ stabile Redaktionspolitik. Man befürwortete die wirtschaftlichen Reformen E. Gajdars und A. Čubajs, und der Präsident erfreute sich der generellen Unterstützung der "Izvestija"-Journalisten. Erst der gewaltsame Versuch, den Tschetschenienkonflikt zu lösen, rief eine härtere Kritik an der Regierung B. El´cins hervor. Als Höhepunkt der Auseinandersetzung mit dem Regime des Präsidenten galt der Offene Brief des Vorsitzenden der präsidentiellen Menschen­rechtskommission S. Kovalev in der Izvestija vom 24. Januar 1996. Er rief "alle anständigen Menschen" dazu auf, in den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen gegen B. El´cin zu stimmen und trat demonstrativ von seinem Amt als Kommissionsvorsitzender zurück. Der bekannte "Izvestija"-Kommentator O. Lacis folgte diesem Beispiel und schied ebenfalls aus einer präsidentiellen Kommission aus. Der Verlauf des Wahlkampfes, der im Februar 1996 begann, ließ jedoch keinen Zweifel an der grundsätzlichen Loyalität der Zeitung zum Präsidenten. Angesichts der einzigen aussichtsreichen Alternative, mit G. Zjuganov (KPRF) den Kandidaten einer erklärtermaßen pressefeindlichen Partei ins Amt zu wählen, propagierte die "Izvestija" wie viele andere Massenmedien auch (u.a. NTV) die Wiederwahl B. El´cins. Die Kritik am Präsidenten lebte indessen im Herbst 1996 wieder auf, nachdem er die Wahl gewonnen hatte und seine gesundheitlichen Probleme nicht mehr verschwiegen werden konnten.

 

Im November 1996 erwarb die Ölgesellschaft "Lukojl", deren größter Aktionär die RF ist (damals 36 % der Anteile), ein bedeutendes Aktienpaket der "Izvestija" (etwa 20 % der Anteile). Chefredakteur Golembiovskij erklärte, das Geschäft würde der Zeitung Kapital für Investitionen zuführen, ohne die Redaktionsfreiheit zu beeinträchtigen. Am 1. April 1997 erschien in der Izvestija der besagte "Le Monde"-Artikel, der den Premier mit dem schweren Vorwurf belastete, sein Vermögen in den vier Jahren seiner Amtszeit von 28 Mio. auf ca. fünf Mrd. US-$ vergrößert zu haben. Ein Regierungssprecher dementierte diese Meldung noch tags darauf, und der Präsident der "Lukojl", V. Alekperov, beklagte sich heftig, der Artikel habe dem guten Ruf seiner Gesellschaft geschadet, weil die Leser der Izvestija nun annehmen müssten, "Lukojl" führe eine Pressekampagne gegen Černomyrdin. Zugleich deutete er an, dass "Lukojl" die "Izvestija"-Aktien evtl. verkaufen würde (inzwischen 41 % der Anteile) und sich nach besseren Investitions­möglichkeiten umsehen wolle. Die Antwort der "Izvestija", die dieser unverhüllten Drohung folgte, ließ jedoch nicht die Bereitschaft erkennen, klein beizugeben. Ein Leitartikel der Redaktion vom 15. April 1997 warf der Regierung politische Zensur mittels der halbstaatlichen "Lukojl" vor, und am 17. April behauptete die "Izvestija", dass "Lukojl" danach trachten würde, die früheren Vereinbarungen über die redaktionelle Selbständigkeit der Zeitung zu brechen und ihre führenden Journalisten ersetzen zu wollen. Ein weiterer Artikel von S. Kiselev und ein an Präsident B. El´cin gerichteter Aufruf zur Verteidigung der Pressefreiheit, noch dazu von mehr als einem Dutzend anderer Chefredakteure unterschrieben, zeigte die Entschlossenheit der "Izvestija"-Redaktion, ihre unabhängige Position zu halten. Selbst als "Lukojl" auf einer vorzeitigen, eigenmächtig anberaumten Aktionärsversammlung einen neuen AG-Vorstand bestätigen ließ, der aus vier eigenen und drei "Izvestija" - Vertretern bestand, gaben die Journalisten nicht auf. Sie riefen ein Schiedsgericht an, das die Bestätigung des Vorstandes für ungültig erklärte, und es gelang schon wenige Wochen später, ein größeres Aktienpaket der "Izvestija" an die Ölgesellschaft "Sidanko" zu veräußern, die ihrerseits durch die "Oneximbank" kontrolliert wurde. Dabei verkauften viele "Izvestija"- Mitarbeiter ihre Aktien weit unter Wert, denn es ging ihnen darum, dass "Lukojl" nicht zum Mehrheitsaktionär werden konnte. Die Redaktion nahm an, nun wieder einigermaßen freie Hand zu haben, und veröffentlichte Vermutungen über kriminelle Verbindungen leitender "Lukojl"-Angestellter sowie den Vorwurf, Dank der Patronage des Premiers habe die "Lukojl" für ihre hohen Steuerschulden keine Strafgelder bezahlt. Vom Abdruck weiterer Artikel über "Lukojl" wurde erst abgesehen, als die Firma einige Zugeständnisse machte und von ihrem bisherigen Kurs zunächst abrückte, ganz offen die Abwechslung der Führungsspitze der Zeitung zu betreiben.

 

Im Juni einigte man sich auf eine Friedenssatzung, die von der Redaktion und den beiden Großaktionären der Zeitung, "Lukojl" (49,9% der Anteile) und "Oneximbank" (50,9% der Anteile einschließlich der Sperrminorität der "Izvestija"-Aktionäre u.a.) feierlich unterzeichnet wurde. Diese "Charta" sah die Bildung eines Vorstandes vor, der wiederum aus sieben Mitgliedern bestehen sollte: drei aus dem Redaktionskollektiv und je zwei von den beiden Großaktionären. Allein dem Redaktionskollektiv sollte das Recht vorbehalten bleiben, Kandidaten für den Posten des Chefredakteurs zu benennen, die vom Vorstand zu bestätigen sind. Vor allem aber bekräftigte die "Charta" nochmals ausdrücklich die professionelle Selbständigkeit des Redaktionskollektivs im Sinne des Gesetzes "Über die Massenmedien". Die Journalisten riefen daraufhin ihren Sieg aus - jedoch zu früh. "Lukojl" hielt sich nicht an die Vereinbarung der "Charta" und bestand nach der Wahl des neuen Vorstandes darauf, dass auch die beiden Großaktionäre je einen Kandidaten für den Posten des Chefredakteurs aufstellen dürfen. Einer der drei Kandidaten sollte dann zum Chefredakteur gewählt werden. Außerdem sollten von nun an die Funktionen des Präsidenten der AG und des Chefredakteurs der Zeitung getrennt werden. Am 4. Juli 1997 setzte der Vorstand den bisherigen Chefredakteur I. Golembiovskij ab und entschied, dass die Journalisten der "Izvestija" die Kandidaten wählen und der Vorstand einen der drei erfolgreichsten Kandidaten zum Chefredakteur bestimmen werde. Der scheidende Chefredakteur Golembiovskij revanchierte sich noch kurz vor seiner Entlassung, indem er einen Artikel von L. Krutakov veröffentlichte, der A. Čubajs beschuldigte, im Februar 1996 als Mitglied der Regierung einen zinslosen Kredit der Stoličnyj Bank aufgenommen zu haben.

 

Am 18. Juli bestellte der Vorstand den bisherigen Stellvertreter des Chefredakteurs V. Zacharko zum neuen Chefredakteur der "Izvestija". Noch vor der Bekanntgabe seiner Ernennung berichtete A. Kačkaeva  (Radio Free Europe / Radio Liberty), dass die meisten "Izvestija" - Journalisten vom Vorgehen der beiden Großaktionäre enttäuscht seien und sich nur geringe Hoffnungen auf eine unabhängige Redaktionspolitik machen würden. Die Berichterstattung der "Izvestija" über die großen Privatisierungskonflikte um "Svjazinvest" und "Norilsk Nickel" im Sommer 1997 zeigten auch tatsächlich eine der Oneximbank günstige Tendenz, bis auf einige Kommentare von Journalisten, die sich offenbar schon darüber im klaren waren, dass sie aus der "Izvestija" ausscheiden würden. Insgesamt verließen im August 1997 mehr als 30 Journalisten die Zeitung, und viele von ihnen beteiligten sich am Projekt Golembiovskijs, die "Novye izvestija" aufzumachen. Schon im Oktober 1997 gelang es, mit der finanziellen Unterstützung von Berezovskijs LogoVAZ-Gruppe die Pilotausgabe herauszubringen. Die redaktionelle Unabhängigkeit der "Novye izvestija" wurde jedoch bald darauf in Frage gestellt, als L. Krutakov behauptete, er sei wegen eines kritischen Artikels über Berezovskij, der in der Tageszeitung "Moskovskij komsomolec" erschien, von der Zeitung "Novye izvestija" entlassen worden. Wie auch immer - die "Novye izvestija" fuhr jedenfalls insbesondere damit fort, diffamierende Artikel über "Lukojl" und die "Oneximbank" zu verbreiten. Wie A. Sambuk berichtet, tauchten in der "Novye izvestija" wiederholt "kritische Reportagen über soziale und ökologische Verwüstungen an Orten auf, wo Lukojl Öl fördert. Die Ölunternehmen Berezovskijs waren Konkurrenten von Lukojl."[20]

 

f) Bewertung des Falles

 

Der Konflikt zwischen dem Redaktionskollektiv der "Izvestija" und dem Großaktionär "Lukojl" ging somit letzten Endes zugunsten des Großaktionärs aus. Die beabsichtigte Auswechslung der Führungsspitze der "Izvestija" konnte durchgesetzt werden, wenn auch zu einem hohen Preis. Viele gute Journalisten verließen die "Izvestija", und die Firma "Lukojl" verlor ihren guten Ruf. Die Artikelreihe über Geschäftsinterna der "Lukojl" und über ihre Vorgehensweise gegenüber der unabhängigen Redaktion einer berühmten Zeitung haben ihrem Ansehen bleibenden Schaden zugefügt. Lange Zeit nach dem auslösenden Artikel über den Premierminister spitzte sich der Konflikt noch einmal so dramatisch zu, dass man die personellen Veränderungen bei der "Izvestija" nicht mehr in Zusammenhang mit einer zensurähnlichen Maßnahme der Regierung setzte, sondern sogar von einem "Eingriff kriminell infiltrierter wirtschaftlich-politischer Interessengruppen" sprach.[21] Neutral ausgedrückt handelte es sich jedoch um den gewöhnlichen Fall, dass die redaktionelle Führung einer Zeitung sich ahnungslos finanzielle Unterstützung ins Haus holt, die sich später als gegen die redaktionelle Linie gerichtet erweist.[22] Ein Verstoß gegen das gesetzliche Verbot der Präventivzensur ist dabei nicht feststellbar. Zunächst bleibt festzuhalten, dass der Abdruck des "Le Monde"- Artikels ungehindert veröffentlicht werden konnte. Ebenso war es möglich, dass auch nach der verärgerten Reaktion von Černomyrdin und "Lukojl" in der "Izvestija" weiterhin mehrere enthüllende Artikel zum Nachteil dieser Gesellschaft erschienen.

 

Die Frage, ob "Lukojl" als Anteilseignerin die Rolle der früheren regierungsamtlichen Medienkontrolle bzw. die Rolle staatlicher Zensoren übernahm, ist also umzuformulieren in die Frage, ob "Lukojl" gleichsam als Werkzeug der Regierung die Freiheitsrechte der Massenmedien verletzt hat und sich diese Rechtsverletzung wie ein staatlicher Eingriff darstellt. Hierauf eine Antwort zu geben ist wegen des weiteren Konfliktverlaufs nach dem Erscheinen des Sensationsartikels über den Premierminister schwierig. Im Vordergrund der Auseinandersetzungen scheint schon bald das Verhältnis zwischen der Zeitung und ihrem Großaktionär "Lukojl" selbst gestanden zu haben, und es ist nicht auszuschließen, dass "Lukojl" nicht so sehr unter staatlichem Druck stand, als vielmehr aus eigenem Antrieb die personellen Veränderung bei der "Izvestija" durchsetzen wollte, um sich nicht weiter kompromittieren zu lassen. Als Großaktionär hatte "Lukojl" außerdem jederzeit das Recht, mit den dafür zur Verfügung stehenden gesetzlichen Mitteln auf eine Umbesetzung der Zeitungsredaktion hinzuwirken. Die endgültige Ablösung des Chefredakteurs erfolgte nicht sofort, sondern erst nachträglich im Juli aufgrund der Beschlüsse einer außerordentlichen Aktionärsversammlung, die eine Satzungsänderung und die Neubesetzung des Direktorenrates der AG zur Folge hatte. An diesen Entscheidungen waren neben "Lukojl" auch die "Oneximbank" und die "Izvestija" selbst beteiligt.

 

Andererseits ist der wirtschaftliche Einfluss des damaligen Premiers und ehemaligen Gazprom-Chefs Černomyrdin in Rechnung zu stellen. Die Ölgesellschaft "Lukojl" konnte von einer entsprechenden Reaktion des großen Energieunternehmens Gazprom empfindlich getroffen werden. Die weitreichenden Einflussmöglichkeiten des Regierungsmitglieds und ehemaligen Gazprom-Chefs entziehen sich jedoch der tatsächlichen Überprüfung, und deshalb auch der rechtlichen Beurteilung. Der "Izvestija"-Fall dient als Beispiel für die große Vermischung von Industrieinteressen mit politischen Interessen, wie sie sich in Rußland entwickelt hat.

 

g) Einflussmöglichkeiten privater Anteilseigner

 

Der Einfluss der Anteilseigner von Massenmedien ist in der Regel darauf begrenzt, im Falle eines Konfliktes über die Finanz- und Personalpolitik des Unternehmens Druck auf die Redaktionen ausüben zu können. Hierbei sind sie, wenn man einmal von illegalen Praktiken absieht, auf die Steuerungsinstrumente angewiesen, die ihnen die Rechtsform des Unternehmens bietet. Bei Aktiengesellschaften bedeutet dieses zunächst, dass sie auf der Aktionärsversammlung ihre Stimmrechte wahrnehmen. Hinzutreten kann die direkte Einflussnahme über den Aufsichtsrat oder mittels des Vorstandes der Aktiengesellschaft, sie wird aber zumeist wirtschaftliche oder personelle Fragen des Unternehmens betreffen, und nicht konkrete inhaltliche Fragen, die in die Zuständigkeit der Redaktion fallen. Sofern die Redaktion nicht selbst als Gründer eines Massenmediums auftritt, ist die redaktionelle Leitung nach dem Gesetz "Über die Massenmedien" von der wirtschaftlichen Führung des Unternehmens getrennt (vgl. Art. 19). Legale Handlungsformen der Einflussnahme auf die Redaktion wirken also grundsätzlich nachträglich, sie stellen sich häufig als völlig legitime Ausübung der Eigentümerrechte dar, und die Anteilseigner oder auch die von ihnen eingesetzten Vorstände und Geschäftsführer der Medienunternehmen sehen sich dabei einer durch das Gesetz "Über die Massenmedien" gestärkten, unabhängigen Redaktion gegenüber.

 

Es ist möglich, dass der Chefredakteur als "Zensor" der Anteilseigner fungiert, aber in diesem Fall wird er - zumindest bei den größeren und angeseheneren Massenmedien - auf einige Schwierigkeiten stoßen. Die Satzungen der meisten Printmedien schreiben vor, dass der Chefredakteur von den Journalisten und Redakteuren der Zeitung gewählt wird. Er hat ihre Interessen zu vertreten und nicht die der Anteilseigner eines Medienunternehmens.[23] Er wird es in der Regel ablehnen, als einseitiger Interessenvertreter der Anteilseigner aufzutreten, da er damit im Zweifel seinen Ruf verlöre und die Chancen seiner Wiederwahl verringern würde. Die Anteilseigner können vielmehr aus naheliegenden Gründen selber daran interessiert sein, ihr Massenmedium so unabhängig wie möglich erscheinen zu lassen. Auch in Rußland gilt der Grundsatz, dass sich das Ansehen eines Massenmediums nur mehren lässt, wenn es seine Fähigkeit und seinen Willen zu objektiver Berichterstattung unter Beweis stellt. Strafmaßnahmen wie diejenigen, die "Lukojl" durchführen ließ, sind in Anbetracht der "Konkurrenzbedingungen des heutigen russischen Medienmarktes kontraproduktiv".[24] Nicht nur dem Image von "Lukojl", sondern auch dem Unternehmen "Izvestija" und seinen weiteren Erfolgsaussichten hat es eher geschadet als genützt, dass viele der besten Mitarbeiter die Zeitung verließen und die "Novye Izvestija" aufmachten.

 

Die Gründungsfreiheit und die Vielzahl der Zeitungen und Fernsehprogramme, die in der RF Verbreitung finden, bietet eine gewisse Garantie dafür, dass die Leser und Fernsehzuschauer vergleichen, kritisieren und auswählen, und dass sich auch die Massenmedien selbst untereinander kontrollieren und im Wettbewerb zueinander stehen. Je eindeutiger das einzelne Massenmedium von einem Großunternehmen allein beherrscht wird, umso notwendiger ist eine ausgewogene, objektive Berichterstattung, will man nicht die eigene Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen. Vergleicht man die heutige Situation mit dem Ende der Perestrojka, als einer großen Zahl neuer, aber nicht überlebensfähiger Medienunternehmen die staatlichen Massenmedien gegen­überstanden, so lässt sich sagen: Der Einstieg der Banken und Rohstoffkonzerne in den Markt der Massenmedien hat überhaupt erst die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass echte Angebots­vielfalt entstanden ist und dass dem staatlichen Fernsehen und den regionalen "Gouverneurszeitungen", die leicht dem starken Einfluss der Exekutive unterliegen, eine nichtstaatliche Presse und private Fernsehsender gegenüberstehen.

 

Im Ergebnis lässt sich deshalb festhalten: Anteilseigner und Großaktionäre können zwar die Firmenpolitik ihres Medienunternehmens gestalten und dessen politische Ausrichtung bestimmen, aber sie übernehmen derzeit weder die Rolle einer "regierungsamtlichen Medienkontrolle", noch stehen ihnen genügend rechtliche und tatsächliche Mittel zur Verfügung, um im eigenen Interesse die Vor- oder Präventivzensur auszuüben. Die Rußländische Föderation ist schlicht zu groß und ausländische Informationsquellen sind viel zu sehr zugänglich, als dass es gelingen könnte, den Informationsfluss wirksam zu kontrollieren. Die Zensur könnte in der Regel nur innerhalb eines Medienunternehmens bzw. Medienkonzerns wirken, sie würde von anderen Massenmedien konterkariert werden und nicht zuletzt die Glaubwürdigkeit des eigenen Massenmediums spürbar beeinträchtigen. Die starke rechtliche Unabhängigkeit der Redaktionen engt den Handlungs­spielraum der Eigentümer zudem bisher beträchtlich ein.

 

Für die Printmedien wurde daher eine weitere "Spielart der Zensur" entdeckt, nämlich die totale Konfusion, die durch das Entfachen eines Informationskrieges entsteht und es für den normalen Bürger ohne besondere Insiderkenntnisse unmöglich macht, wahres von unzutreffendem zu unterscheiden. Das Fernsehen kann sich solche Verwirrung nicht leisten. Hier kommt allenfalls das unauffällige Verschweigen oder Unterbewerten von Ereignissen sowie eine gefärbte Darstellung der Nachrichten in Frage. Im Rahmen der konzertierten Aktion, wie sie die Präsidentschaftswahlen von 1996 darstellten, gerieten auch die großen Fernsehsender in Gefahr, ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel zu setzen. Aber sie kamen dabei nicht einmal in die Nähe der früher so üblichen staatlichen Zensur sowjetischer Prägung. Bei ihnen war die gezielte Manipulation der Fernsehzuschauer das wichtigste Mittel der Informationspolitik. Das psychologisch geschickte Einwirken auf das Bewusstsein, insbesondere auch das Unterbewusstsein der Bürger, ist jedoch nach wie vor eine erlaubte Form des politischen Meinungskampfes. Sie stellt die politische Urteilsfähigkeit der Bevölkerung auf die Probe, ist aber so lange nicht zu beanstanden, wie es den politischen Gegnern solcher Informationsfeldzüge möglich ist, in ausreichendem Umfang ungehindert Stellung zu nehmen.

 

Was die Auswirkungen der Medienbeteiligungen von Fremdfirmen auf die Pressefreiheit insgesamt angeht, so lässt sich keine eindeutige Aussage treffen: Die zum Teil sehr konzentrierte Macht der Großbanken und Rohstoffkonzerne sowie die zahlreichen Verflechtungen untereinander und mit politischen Strukturen können die Unabhängigkeit der Massenmedien überhaupt in Frage stellen. Voraussetzung wäre aber eine mehr oder weniger verschworene Gemeinschaft, und nicht die zerstrittene Gesellschaft Rußlands, in der jeder für sich um Einfluss ringt. Das Ergebnis einer solchen Gesellschaft ist vielmehr eine pluralistische, sich ständig verändernde Medienlandschaft. Das Kapital der privaten Anteilseigner lässt sich zum Aufbau eigenständiger, insbesondere nichtstaatlicher Strukturen in den Massenmedien nutzen. Dieser Aspekt dürfte überwiegen, denn die wirtschaftlichen Führer des Landes gehen nicht immer mit der politischen Führung konform, und die Regierung der RF wird nicht in jedem Fall die sogenannten "Medienmagnaten" oder "Oligarchen" unterstützen. 

 

h) Fallbeispiel: ORT / Berezovskij [25]

 

B. Berezovskij bietet das bekannteste Beispiel für die vielseitige Rolle, die die privaten Anteilseigner der Medienunternehmen aufgrund der Abhängigkeiten zwischen Politik und Wirtschaft in Rußland spielen. Zugleich ist Berezovskij jedoch ein Unikum, dessen politischer Einfluss bisher beispiellos gewesen ist. Der Firmengründer von LogoVAZ und Großaktionär von ORT wurde 1996 - nach den Präsidentschaftswahlen - zum Stellvertretenden Sekretär des Sicherheitsrates des Präsidenten der RF und 1998 zum Exekutivsekretär der GUS ernannt. Nach der Finanz- und Bankenkrise des August 1998, die zentrale Großbanken schwer schädigte und mit der Regierung E. Primakovs wieder Kommunisten ins Kabinett gelangen ließ, schien sich abzuzeichnen, dass Berezovskij den Zenit seiner Macht überschritten hatte. Im März 1999 setzte B. El´cin ihn vom Posten des Exekutivsekretärs der GUS ab,[26] und die Staatsanwaltschaft der RF nahm die strafrechtliche Verfolgung Berezovskijs auf. Wie im Fall des Bankiers A. Smolenskij (SBS-Agro) verliefen die Ermittlungen aber recht bald im Sand.[27] Der Generalstaatsanwalt J. Skuratov geriet selbst unter Anklage und musste im April 1999 abtreten.[28] Mit der Entlassung des Premierministers E. Primakov im Mai 1999 hat Berezovskij schließlich seinen gefährlichsten Feind verloren. Bei den Vorbereitungen auf den kommenden Wahlkampf ist Berezovskij wieder als Mitstreiter und Helfer auf der Seite des amtierenden Präsidenten B. El´cin zu finden. Sein Einfluss bei der ORT erscheint ungebrochen. Im Sommer 1999 konnte er bei TV-6 seinen Kapitalanteil vergrößern und die einflussreiche Tageszeitung "Kommersant Daily" unter seine Kontrolle bringen.[29] Zugleich entfachte er einen neuen "Informationskrieg", der - anders als im "Svjazinvest"-Fall von 1997 - die Massenmedien selbst zur Zielscheibe machte. Er ließ im ersten Fernsehprogramm ORT Finanzierungsschwierigkeiten von NTV enthüllen und forderte zum direkten Schlagabtausch mit V. Gusinskij heraus, dem Generaldirektor der ZAO Media-Most, der seinerseits unerfreuliches über Berezovskij zu berichten wusste.

 

Wie der italienische Medienunternehmer S. Berlusconi hat sich B. Berezovskij offenbar dazu entschieden, die politischen Geschicke seines Landes selbst in die Hand nehmen zu wollen.[30] Spätestens seit den Präsidentschaftswahlen von 1996 war der erfolgreiche Geschäftsmann zu einer unersetzlichen Stütze des Präsidenten geworden. Auszüge aus einem Artikel A. Čelnokovs vom Anfang des Jahres zeigen, dass der Rückhalt, den Berezovskij beim Präsidenten der RF fand, womöglich auch negative Folgen für den Staat hatte. Die offene Aktiengesellschaft "Öffentliches rußländisches Fernsehen" (ORT) hat sich zu einem Unternehmen entwickelt, dessen Tätigkeit weder ganz dem öffentlichen Interesse noch ausschließlich privatunternehmerischen Interessen dient. Einerseits scheinen die Reklamegewinne keineswegs nur der ORT selbst zugeflossen zu sein, andererseits stimmt die politische Ausrichtung des Kanals, der aufgrund seiner unübertroffenen Größe und Reichweite das wichtigste Massenmedium der GUS darstellt, mit der des Präsidenten der RF vollkommen überein.[31] Für die vorliegende Arbeit kommt es nicht darauf an, ob alle im Artikel mitgeteilten Tatsachen der Wahrheit entsprechen. Es interessiert vielmehr die Tatsache, dass private Geschäftsmänner und Finanziers wie Berezovskij während der Präsidentschaft B. El´cins große Freiheiten genossen haben und weit in staatliche Strukturen hinein Einfluss ausübten, ohne ihrerseits von staatlicher Seite kontrolliert zu werden:

 

"Es stellt für niemanden ein Geheimnis dar, dass B. Berezovskij in den letzten Jahren der unangefochtene Herr der ORT gewesen ist und auch bleibt. Faktisch verfügt er selbst über etwa 16% der Aktien der Fernsehgesellschaft; der Erwerb kostete ihn 320.000,- US-$.[32] Indem er diese unverhältnismäßige Summe investierte, rechnete Berezovskij nicht nur mit politischer, sondern auch mit durchaus spürbarer finanzieller Dividende. Sein Kalkül ging auf: Nach der Schätzung einiger Experten betrug der durch die Fernseh-Reklame erwirtschaftete Gewinn allein im Jahr 1996 ca. 100 Mio. US-$.[33] (...) Aber am meisten fürchten sie sich bei "Ostankino" vor dem Finanzdirektor Arkadij Šalvovič Patarkacišvili, dem Protegé Berezovskijs. Es ist das Verdienst von Patarkacišvili, dass er es vermochte, bei ORT ein System zu etablieren, in dem es die Figur des Generaldirektors der Gesellschaft nur dem Namen nach gibt. List´ev, der es versuchte, die Leitung zu übernehmen, kam im Kampf mit diesem System auf tragische Weise ums Leben. Diejenigen, die der Reihe nach an seine Stelle traten, wie Blagovolin, Ponomarev sowie der jetzige Direktor Šabdurasulov, denken anscheinend gar nicht daran, es ihm gleichzutun. Man lässt ihnen nicht einmal die Illusion, über einige Spielkameraden zu befehlen, ganz zu schweigen von der Leitung des Unternehmens. (...) Allein der Reklamegewinn der ORT betrug vor der Krise um die 15 Mio. US-$ monatlich. Diese Gelder hätten bei weitem zur Finanzierung des Unternehmens ausgereicht, aber nur ein Drittel gelangte zu dessen Verfügung. Und es gab noch weitere Quellen des Gewinns. Der Verkauf von Programmaufzeichnungen, die Verwaltung der Gastspiele, der Handel mit Archivmaterial aus dem Videofonds usw. Ein großer Teil dieser Gelder wurde an den Kassen vorbei abgezweigt, und es bleibt nichts übrig, als zu raten, wohin. Auf den Schlüsselpositionen bei ORT plazierte Patarkacišvili seine eigenen Leute: Im Sicherheitsdienst - Andrej Lugovoj, in der Geschäftsleitung - Igor Baraban, bei der verwaltungsjuristischen Direktion - Marieta Martirosova, in der kommerziellen Direktion - Joseph Kay. Alle sind sie "Badri" [Patarkacišvili, Anm. d. Verf.] auf irgendeine Weise verbunden. Den einen rettete er aus dem Gefängnis, über den anderen besitzt er ein umfangreiches "Dossier", und den Mann ausländischen Namens nennt man seinen Verwandten. Diese Leute sind die Gründer der Zwischenfirmen,[34] denen ORT das Recht "überträgt", die kommerzielle Tätigkeit der Gesellschaft zu führen. Mit ihrer Hilfe hält Patarkacišvili die Situation des Kanals vollständig unter Kontrolle. (...) Den Schutzwall zu durchschlagen, den "Badri" und "BAB" [Boris Abramovič Berezovskij, Anm. d. Verf.] um ORT herum errichtet haben, ist bisher niemandem gelungen, trotz der zahlreichen Versuche. Gelingt dieses vielleicht Primakov?"[35]

 

Ein ähnliches Bild vom Finanzdirektor des ersten Kanals zeichnet A. Kačkaeva: bei ORT habe man Patarkacišvili den "grauen Kardinal" und das "Finanzgenie" genannt.[36] Als während der Regierungszeit Primakovs die Gerichtsvollzieher, die Steuerfahndung und die Staatsanwaltschaft aktiv wurden, verschlechterte sich die Lage für Berezovskij dramatisch. Die Umwandlung der ORT von einer geschlossenen in eine offene Aktiengesellschaft, die Finanzkrise, das Verbot der Staatsduma, Aktien von ORT an Ausländer zu verkaufen, die Entlassung Berezovskijs vom Posten des GUS-Exekutivsekretärs, der Haftbefehl gegen ihn und die unfreundliche Berichterstattung über ihn (sogar bei ORT) schienen das nahende Ende der politischen Schlüsselposition Berezovskijs anzukündigen. Unter Berufung auf die Zeitung "Kommersant Daily" weist A. Kačkaeva aber darauf hin, dass die ORT-Aktien, die für den staatlichen Kredit von 100 Mio. US-$ als Pfand hingegeben wurden, gerade nicht von LogoVAZ stammen, sondern zu gleichen Teilen vom Bankenkonsortium und vom staatlichen "Televisions-Technik-Zentrum" (TTC) und ITAR-TASS. Außerdem wurden weder der 65-seitige Antikrisenplan, auf dessen Grundlage der Kredit vergeben wurde, noch das präsidentielle Dekret über den Kredit veröffentlicht. Zahlt ORT den Kredit nicht wie vorgesehen innerhalb eines Jahres zurück, dann stehen die verpfändeten Aktien (Aktienanteil 12,5 %) insgesamt zum Verkauf - und könnten, wie A. Kačkaeva meint, vor allem das Interesse B. Berezovskijs wecken.

 

Die angeführten Stellungnahmen zeigen, wie vieles auf dem Markt der Massenmedien im Dunkeln liegt. Zugleich ist aber auch offensichtlich, dass die staatliche Gewalt am gegenwärtigen Zustand der Massenmedien nicht unbeteiligt ist. Transparenz ist auf dem russischen Medienmarkt bisher ein Fremdwort gewesen. Im allgemeinen legen selbst die größeren zentralen Massenmedien keine ordnungsgemäßen Jahresabschlüsse vor, noch machen sie Angaben über ihre Einnahmen und Ausgaben, ihre Beteiligungsverhältnisse usw. ORT steht hinsichtlich der Undurchsichtigkeit interner Unternehmensvorgänge nicht alleine:

 

"Der Gerechtigkeit halber ist anzuerkennen, dass die Leiter und Eigentümer der zentralen Massenmedien in den letzten zwei Jahren offener geworden sind, dass sie über die organisationsrechtliche Form ihres Unternehmens Angaben machen, über die Zusammensetzung der Aktionäre und über die Anzahl der Aktien. Sie reagieren auch weniger empfindlich auf Fragen über Einnahmen, über die Rentabilität, die Gewinne, über Reklameverträge; dennoch ändert alles dieses nichts an der Tatsache, dass mitunter auf die unschuldigste Frage die Worte "Geschäftsgeheimnis" oder "vertrauliche Informationen" erklingen. Überragende Bedeutung kommt in diesem Fall dem Umstand zu, wer fragt und weshalb er fragt, welcher Grad des Vertrauens besteht. Fast alle Manager nehmen sich vor überprüfenden Organen in acht und trauen ihnen nicht über den Weg, sei es der Rechnungshof, sei es die Steuerfahndung, denn hinter der Mehrzahl auditorischer Nachprüfungen sehen sie einen "politischen Auftrag" oder die "Begleichung alter Rechnungen" seitens ihrer Konkurrenten. Manchmal sind diese Befürchtungen leider nicht unbegründet. Nur einer der "Oligarchen" - Vladimir Gusinskij - erklärt rundheraus, dass er die Jahresabschlüsse der Gesellschaft nicht als Geheimnis betrachtet und beabsichtigt, sie zu veröffentlichen. Für ihn ist es von grundlegender Bedeutung, dass sich alle Gesellschaften der "Media-Most"-Gruppe dem Audit nach westlichen Maßstäben unterziehen."[37]

 

Aus diesem Grund soll 1999 zum ersten Mal der Jahresabschluss der "Media-Most"- Holding veröffentlicht werden. Von der zunehmenden Transparenz des rußländischen Medienmarktes hängt es ab, ob das - noch zu entwerfende - spezielle "Antimonopolgesetz" für den Medienbereich erfolgreich angewendet werden kann.

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[1] Vgl. Y. Lange (1997), Media in the CIS, S. 57 / 58: Seit 1993 wurde in Azerbajdan die staatliche Vorzensur ausgeübt. Tageszeitungen benötigten zur Veröffentlichung einer Ausgabe zwei Unterschriften. Die Massenmedien unterlagen vollständiger staatlicher Kontrolle. Im August 1998 ließ Präsident H. Aliev zumindest die formelle Zensur wieder aufheben. - Neben Azerbajdan zählen Turkmenistan, Uzbekistan, Tadikistan und Belarus zu den GUS-Ländern mit den schlechtesten Bedingungen für eine freie, unabhängige Berichterstattung durch die Massenmedien, vgl. die Rangliste bei Y. Lange, aaO. S. 25 / 26.)

[2] A. Simonov (1996), Zakonodatel´stvo o SMI v posttotalitarnych gosudarstvach i nekotorye rezul´taty praktičeskogo primenenija, in: Medunarodnyj seminar "Koncepcija zakonodatel´stva o sredstvach massovoj informacii dlja posttotalitarnych gosudarstv".

[3] H. - W. Stuiber (1998), Medien in Deutschland, Band 2, Rundfunk, 1. Teil, S. 483.

[4] Vgl. D. N. Jensen (1998), How Russia Is Ruled - 1998, Radio Free Europe / Radio Liberty, insbes. Kapitel IV. Institutions of Government.

[5] Centr "Pravo i sredstva massovoj informacii" / A. Kačkaeva (1999), Rossijskie sredstva massovoj informacii: k voprosu o koncentracii i prozračnosti SMI v Rossii (1999), Teil 2, "Osobennosti rossijskich "media-imperij".

[6] Centr "Pravo i sredstva massovoj informacii" / A. Kačkaeva, aaO. Teil 2, "Imperija Borisa Berezovskogo".

[7] Centr "Pravo i sredstva massovoj informacii" / A. Kačkaeva (1999), aaO. Teil 2, "`Gosudarstvennye´ SMI".

[8] Die meisten privaten Medienunternehmen sind als geschlossene Aktien­gesellschaften organisiert. Nach Art. 97 des Bürgerlichen Gesetzbuches der RF (Graždanskij kodeks RF) unterscheidet sich die geschlossene Aktiengesellschaft von der offenen dadurch, daß der Erwerb von Aktien in jedem Fall der Zustimmung der anderen Aktionäre bedarf, eine kapitalmäßige Beteiligung an der Gesellschaft also nicht gegen den Willen der schon vorhandenen Anteilseigner möglich ist. Außerdem sollen sich an einer geschlossenen Aktiengesellschaft nicht mehr als 50 Aktionäre beteiligen. Die geschlossene Aktiengesellschaft ist in vielen Fragen einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Rechtsform in der RF erst später gesetzlich geregelt wurde, sehr ähnlich.

[9] Vgl. E. Geißlinger (1997), Zwischen Putsch und Preissteigerung, Russische Medien auf dem Weg vom "alten" zum "neuen" Journalismus, in: Publizistik, Heft 3 (Sept. 97), S. 346 (351).

[10] Ivan Zasurskij (1998), "Predstavljajut li rossijskie SMI ugrozu dlja obščestva?", in: Russkij urnal vom 06.01.98.

[11] Vgl. A. Pankin (1999), The Anatomy of Zakazukha - A practical guide to hidden advertising in Russian media, in: Transitions February 1999, S. 48 (49): "Die verdeckte Werbung erreichte das "alle-tun-es-doch"-Niveau im Jahr 1992, als die meisten russischen Nachrichtenorganisationen herausfanden, daß ihre Budgets - aufgestellt zu Zeiten des sowjetischen Zentralsystems von 1991 - von der Inflation aufgefressen wurden, die die Einführung des Kapitalismus begleitete." - Pankin nennt eine Preisliste von 1997 für die Zeitungen Izvestija, Moskovskij komsomolec, Komsomolskaja pravda, Kommersant-daily, Moskovskaja pravda und Večernaja Moskva. Sie liegen bei etwa 300 bis über 1.000,- U.S.-$ pro gedruckte Seite.

[12] Vgl. E. Geißlinger (1997), aaO. S. 346 (350). 

[13] Ivan Zasurskij (1998), aaO.

[14] I. Maryniak, Interview mit V. Gusinskij - The man with the Most money, in: Index on Censorship 4 / 95, S. 25 (29).

[15] P. Hübner (1998), Pressefreiheit in Rußland, Großaktionäre als Zensoren? S. 26 ff.

[16] P. Hübner (1998), aaO., S. 33 ff.

[17] Nicht nur für eigene Behauptungen, sondern auch für diejenigen Dritter müssen die Medien nach dem Prinzip der Verbreiterhaftung einstehen, jedenfalls dann, wenn eine eindeutige Distanzierung von der wiedergegebenen Behauptung unterbleibt; vgl. Art. 129 UK RF, Kleveta (= Verleumdung).

[18] Vgl. P. Hübner (1998), aaO., S. 28 - 31.

[19] L. Belin (1997), Politicization And Self-Censorship In The Russian Media, Appendix 2: Changes in Editorial Policy And Ownership At "Izvestija".

[20] A. Sambuk (1998), Im Netz der Interessen, S. 18 (19), in: ZEIT-Punkte Nr. 5 / 98, Rußland am Abgrund - Staat und Wirtschaft in der Krise.

[21] P. Hübner (1998), aaO., S. 33.

[22] L. Belin (1997), aaO., Kapitel "How Financial Dependence Slants News Coverage".

[23] Im "Izvestija" - Fall gingen die Anteilseigner daher zunächst so vor, daß sie die Funktionen des Chefredakteurs und des leitenden Direktors der AG trennten und die Führung der Aktiengesellschaft ihren Gefolgsmännern überließen.

[24] P. Hübner (1998), Pressefreiheit in Rußland, Großaktionäre als Zensoren?   - In den entfernteren Regionen der RF herrschen zwar keine vergleichbaren Konkurrenzbedingungen wie in Moskau oder St. Petersburg, aber dort ist bisher auch weniger der Einfluß von Großaktionären als die Vormacht der Administrationen ein Problem für die Pressefreiheit.

[25] Vgl. das Porträt von E. Siegl (1999), Ich kann auf meinen Ruf spucken - Boris Abramovitsch Beresowskij, die graue Eminenz im Kreml, in: FAZ vom 4.9.1999, S. 17.

[26] Die eigenmächtige Absetzung durch den Präsidenten der RF ließ sich nachträglich durch die Zustimmung der weiteren GUS-Mitglieder bestätigen.

[27] Vgl. S. Plužnikov / S. Sokolov (1999), Operacija sbs - Kak oligarchi razvalivajut svoi ugolovnye dela, in: Soveršenno sekretno No 6, 1999, S. 10 - 13.

[28] Der Föderationsrat stimmte der eigenmächtigen Absetzung durch den Präsidenten der RF nicht zu, sondern wandte sich an das Verfassungsgericht. - Vgl. National´naja sluba novostej (NNS), Archivy: Krizis vlasti-99, Čast´ I, Chronika otstavki general´nogo prokurora J. Skuratova.

[29] Vgl. F. Fossato / A. Kačkaeva (1999), Rossijskie informacionnye imperii, versija V, unter: "Biznes - TV6" und "Kommersant" (Stand: Juli 1999).

[30] Als Exekutivsekretär der GUS war Berezovskij eine Art "internationaler Beamter", der aber der Regierung der RF keine Weisungen erteilen konnte.

[31] Vgl. Centr "Pravo i sredstva massovoj informacii" (1998): Televidenie i presidentskie vybory, Kapitel 13: "Vyvody".

[32] Vgl. E. Rykovceva (1999), aaO., die I. Šabdurasulov zitiert: "Berezovskij kontrolliert nicht das nichtstaatliche Aktienpaket! LogoVAZ besitzt wie bisher 11 % der ORT-Aktien. 38 % sind im Besitz des ORT-Bankenkonsortiums, das ist eine juristische Person, die andere nichtstaatliche Aktionäre vereinigt. Dieses Konsortium hat einen Präsidenten, dem die Verwaltung der Aktien anvertraut ist (Prokura). Und sein Nachname lautet nicht Berezovskij."

[33] Vgl. E. Rykovceva (1999), aaO., Zitat Lisovskij, Leiter von "Prem´er SV": "Als sich in den Jahren 1992/93 der inländische Reklamemarkt bildete, haben die westlichen Agenturen uns keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Deshalb konnten wir selbst mit den ausländischen Auftraggebern Verträge schließen und anfangen, eigenständig zu arbeiten - das gab es in keinem anderen osteuropäischen Land! Später begriffen die westlichen Agenturen ihre Fehler nur zu gut und versuchten seitdem, unseren Markt zu erobern. Jedoch vergebens. In diesem Moment, da die Krise uns sehr schwächt, können sie ihren Angriff erneuern, und es ist durchaus möglich, daß sie uns starke Klienten wegnehmen."

[34] Zum Beispiel die geschlossene Aktiengesellschaft ZAO "ORT-Reklama".

[35] A. Čelnokov (1999), A i B sideli na igle - Načalsja novyj etap borby za vlijanie na naši umy, in: "Soveršenno sekretno" No 1, 1999, S. 5 / 6 (Übers. d. Verf.).  Vgl. M. Rostovskij / I. Filatova (1999), Chit telesezona: Černye polosy - Iz-za političeskich intrig goluboj ekran moet pogasnut´, in: "Moskovskij komsomolec" No.8 (18.018), 16.01.1999: Primakov drohte der ORT mit einer Totalrevision durch das Finanzministerium; ORT kündigte im Gegenzug zeitweilige schwarze Bildschirme an. Aus dem schwelenden Konflikt entwickelte sich ein offener Kampf des "Oligarchen" mit der Regierung, vgl. auch A. Chinštejn (1999), "Lovis´, BAB, bol´šoj i malen´kij", in: Moskovskij komsomolec No. 22, 05.02.1999, S. 1.

[36] Centr "Pravo i sredstva massovoj informacii" / A. Kačkaeva (1999), Rossijskie sredstva massovoj informacii: k voprosu o koncentracii i prozračnosti SMI v Rossii (1999), Teil 2: "Imperija Borisa Berezovskogo".

[37] A. Kačkaeva (1999), aaO. Teil 2, "Ob´ektivnye dannye o rynke central´nych SMI" (Übers. d. Verf.).