IX.
Zusammenfassende Bewertung
Die
Untersuchung über die gesetzliche und tatsächliche Ausgestaltung der
Freiheitsgarantien der Verfassung von 1993 zugunsten der Massenmedien
ergibt, dass auf dem Weg Rußlands zur Umsetzung der
verfassungsrechtlichen Vorgaben zwar enorme Fortschritte erzielt wurden,
aber auch einige Rückschläge hingenommen werden mussten. Als Zeichen
des Fortschritts ist zum Beispiel die Verfassungsgerichtsentscheidung
vom 31. Juli 1995 zu werten, die noch während des andauernden
Tschetschenienkonflikts die Ausweisung von Journalisten aus der
unbefriedeten Zone und den Entzug ihrer Akkreditierung als
verfassungswidrig bezeichnete. Sogar im Bereich des ökologischen
Journalismus, der über Umweltschäden berichtet und staatliche
Sicherheitsinteressen berührt, zeigen die Fälle des A. Nikitin und
des G. Pasko, dass sich die rechtsstaatlichen Garantien der Verfassung
vor Gericht durchzusetzen beginnen.
Den Anträgen der Strafermittlungsbehörden wird nicht mehr
mit der gleichen Sicherheit entsprochen wie früher. Befreiend wirkt außerdem
die pluralistische Struktur des Marktes der Massenmedien, der nicht nur
die angesehene Tageszeitung "Kommersant Daily" oder die
investigative Monatszeitschrift "Soveršenno sekretno"
hervorgebracht hat, sondern auch erfolgreiche private Fernsehgesellschaften
wie NTV oder TV-6, die beide seit 1993 auf Sendung sind und inzwischen
den staatlichen bzw. halbstaatlichen Fernsehprogrammen RTR und ORT
Konkurrenz machen. Den
größten Rückschlag stellt sicherlich das wiederholte Scheitern des
Gesetzes "Über Fernsehen und Rundfunk" dar, und zwar nicht so
sehr, weil zwischen der Regierung und der Mehrheit der Staatsduma kein
Kompromiss erzielt werden konnte, als vielmehr aufgrund der jahrelang
herrschenden, fast schon willkürlich zu nennenden Praxis der
staatlichen Lizenzvergabe, die keine Rechtssicherheit entstehen ließ.
Als schwerer Rückschlag ist auch die Verabschiedung des
Gesetzesprojekts "Über den höchsten Rat für den Schutz der
Sittlichkeit des Fernsehens und Rundfunks" durch die
Bundesversammlung der RF zu qualifizieren. Denn obgleich das
Inkrafttreten des Gesetzes durch das Veto des Präsidenten der RF
verhindert wurde, weckt die große Zustimmung, die die geplante
Wiedereinführung staatlicher Inhaltskontrollen erfahren hat, Bedenken
und Zweifel hinsichtlich der Zukunft der Pressefreiheit. Zu kritisieren
sind zum einen die weitgehenden Vollmachten des geplanten Sittenrates
und zum anderen die Tatsache, dass seine Mitglieder auf Vorschlag der
Staatsorgane ernannt werden sollen. Der Gedanke der Selbstregulierung
der Massenmedien in Fragen der Ethik und der Moral findet bisher kaum
Anerkennung. Das Gesetzesprojekt "Über Fernsehen und
Rundfunk" vom 3. September 1997 sieht ebenfalls vor, dass die
Mitglieder der Föderalen Rundfunkkommission vom Präsidenten, von der
Regierung und der Bundesversammlung vorgeschlagen werden. Dennoch
ist die bisherige Fortentwicklung Rußlands insgesamt gesehen als
positiv zu beurteilen. Die Geltung einer demokratischen
rechtsstaatlichen Verfassung, das moderne Grundrechtskapitel und die
hohen Hürden für seine Revision stellen sicher, dass die
Errungenschaften der Perestrojka, vor allem die Freiheitsrechte der Bürger,
nicht so schnell wieder zurückgenommen werden können. In Anbetracht
der Vergangenheit Rußlands als Teil der UdSSR sind solche Garantien
notwendig, und die wechselvollen Jahre seit 1985 haben gezeigt, dass es
noch einige Zeit dauern kann, bis die Gesellschaft und ihr politisches
System ins Gleichgewicht kommen. Einerseits
ist eine stetige Entwicklung erkennbar. Sie nahm mit M. Gorbačevs
Aufforderung zu kritischerer Berichterstattung durch die Massenmedien
und zu mehr Transparenz ("glasnost´") bei den staatlichen
Institutionen ihren Anfang und führte dann über die Entideologisierung
der Politik und die Zulassung selbständiger Genossenschaften und
inoffizieller gesellschaftlicher Vereine ("neformaly") zu den
ersten, zum Teil freien Wahlen von 1989 zum Kongress der
Volksdeputierten, zum Zensurverbot des Gesetzes der UdSSR von 1990
"Über die Presse und andere Mittel der Massenkommunikation"
und zu staats- und parteiunabhängig arbeitenden Redaktionen und
Journalistenkollektiven. Viele Massenmedien gingen bald zum Präsidenten
der UdSSR in Opposition und verurteilten zu Beginn des Jahres 1991 das
Eingreifen sowjetischer Verbände in Riga und Vilnius. Die "von
oben" eingeleitete Perestrojka hatte sich verselbständigt und war
zu einem Prozess mit eigener Dynamik geworden. Andererseits
scheint zum Beispiel die Verabschiedung des genannten ersten Presse- und
Mediengesetzes durch den neugebildeten Obersten Sowjet aus der Sicht des
Zentralkomitees der KPdSU eher eine Panne und eine Überraschung gewesen
zu sein. Denn es hatte sich erstmals in der sowjetischen
Gesetzgebungsgeschichte ein inoffizieller, in privater Initiative
ausgearbeiteter Entwurf gegenüber einem ZK-Entwurf durchgesetzt. Eine
mehr oder weniger überraschende Wendung nahmen die Geschicke der
Sowjetunion außerdem mit der sog. Parade der Souveränitäten, die vom
Baltikum ausging und mit Souveränitäts- und Unabhängigkeitserklärungen
sämtlicher Unionsrepubliken endete. Die
Regierung B. El´cins stand nach dem Untergang der Sowjetunion im
Zeichen des völligen Neubeginns, als sie die Preisfreigabe ausrief und
eine radikale Wirtschaftsreform mit Freihandel und Massenprivatisierung
propagierte. Dem demokratischen Experiment der Wahlen von 1989 folgte
das wirtschaftliche Experiment des konvertiblen Rubel von 1992. Die
gerade erst zu Tausenden neugegründeten rußländischen Massenmedien
sahen sich der Inflation und den Anforderungen des freien Marktes gegenüber.
Während die Zahl der Massenmedien insgesamt relativ stabil blieb,
gingen die Abonnements wieder zurück und die Auflagenzahlen
verringerten sich. Für die meisten Massenmedien Rußlands begann der
lange, mühsame, bis heute andauernde Existenzkampf, bei dem staatliche
Unterstützungen und Investitionen von Fremdfirmen lebensnotwendig
wurden. Auch in politischer Hinsicht schien die Zukunft nicht gesichert,
denn die Regierung Rußlands musste alle Reformen zugleich in Gang
setzen, ohne auf die gesicherte Unterstützung des Parlaments zählen zu
können. Die vorhandene Wirtschaftsordnung, aber auch das Rechtssystem
verlangten nach Pionierarbeit. Viele Institutionen, darunter auch die
zentrale Zensurbehörde und der KGB, wurden aufgelöst oder umgewandelt.
Fest stand allein, dass B. El´cin am Präsidialsystem festhalten
wollte, das in der Republik 1991 nach dem Vorbild M. Gorbačevs
eingeführt worden war. Wie
das erste Presse- und Mediengesetz der UdSSR, so war auch das folgende
Gesetz der RF "Über die Massenmedien", das im Februar 1992 in
Kraft trat, nicht nur die logische Folge der bisherigen Reformen,
sondern ebenso ein Bruch mit der Vergangenheit. Es stand zwar in
Kontinuität zum freiheitlichen Unionsgesetz, andererseits aber gelang
mit ihm ein qualitativer Sprung nach vorne: Es bezieht sich nicht mehr
auf die "Freiheit des Wortes und der Presse, die den Bürgern
durch die Verfassung der UdSSR garantiert wird", sondern verkündet
die Gründungsfreiheit, die Informationsfreiheit und das Zensurverbot
ohne diese Bezugnahme und erwähnt bereits den Vorrang internationaler
Verträge vor rußländischem Recht. Erst der vollständige Machtverlust
der KPdSU ermöglichte es, mit diesem Gesetz von dem Einparteiensystem
mit seiner vielgestaltigen Kontrolle über die Presse endgültig Abstand
zu nehmen. Die
politischen Bürgerrechte der Sowjetunion, die als staatlich gewährte
Kollektivrechte keine individuellen Abwehrrechte, sondern
Mitgestaltungsrechte im Dienste des Klassenkampfes darstellten, wurden
abgelöst durch die universell geltenden Menschenrechte. Die
Massenmedien, die noch während der Perestrojka (zumindest in den Augen
der Parteiführung) die Aufgaben kollektiver Organisatoren und Erzieher
wahrzunehmen hatten, erlangten den absoluten Freiheitsanspruch der
Redaktionen, der in Art. 19 des Gesetzes "Über die
Massenmedien" seinen Ausdruck findet. Die von Lenin begründeten
revolutionären Normen der Publizistik mit ihrer kämpferischen
Propaganda und Agitation, die zu einem ausgeprägten Meinungs- und
Kommentierungsjournalismus geführt hatten, wurden weitgehend
aufgegeben, und die meisten Zeitungen bevorzugten bald den westlichen
Nachrichtenstil, der die objektive Information der Bevölkerung
bevorzugt und der Meinungsäußerung des Journalisten voranstellt. Die
Publizistik befand sich plötzlich nicht mehr im gesetzlosen
Ausnahmezustand, in dem sie unter der Aufsicht der Kommunistischen
Partei jahrzehntelang verharrt hatte. Der Primat des Staates gegenüber
dem Recht war entfallen. Anstelle des Gemeinschaftsvorbehalts zugunsten
der Entwicklung der sozialistischen Ordnung galt die Grenze des
Missbrauchsverbots, die lediglich strafgesetzlich verbotene Tätigkeiten
sowie die gegen Staat, Verfassung oder Minderheiten gerichteten
Publikationen von der Pressefreiheit ausnimmt. Und schließlich präzisierte
das Gesetz "Über die Massenmedien" das Zensurverbot und
untersagte nicht nur die staatlich organisierte Vorzensur, sondern auch
die Einrichtung entsprechender öffentlicher oder privatrechtlich
organisierter Stellen. Die weite Fassung des Zensurverbots ist notwendig
gewesen, wie das Beispiel der GUOT zeigte, die vergeblich versuchte, die
Zensur auf Vertragsbasis fortzusetzen. Auch der neuere Vorschlag zur
Einrichtung eines staatlich ernannten Sittenrates für die Bereiche
Radio und Fernsehen ist als Versuch einzuschätzen, das Zensurverbot zu
umgehen. Die
starke Rechtsstellung der Redaktionen erscheint aus westlicher Sicht übertrieben,
aber sie diente der Einführung der Pressefreiheit in der Übergangszeit.
Das Gesetz sorgte damit für rechtliche Unabhängigkeit und Schutz vor
der Einmischung der staatlichen Gründer und Herausgeber in die
Redaktionsarbeit. In der Übergangsperiode seit 1992 waren die alten
Eigentümer, nämlich die staatlichen und öffentlichen Einrichtungen
der Sowjetzeit, schon nicht mehr bestimmend, und neue Eigentümer im
Sinne von kapitalkräftigen Investoren waren noch kaum in Sicht. Das
Vakuum füllten die Journalistenkollektive und Redaktionen aus, indem
sie die Führung des Massenmediums selbst in die Hand nahmen und häufig
sogar seine Registrierung auf das Kollektiv oder die Redaktion als Gründer
erreichten und die Anteile, etwa durch die Ausgabe von Aktien, unter
sich aufteilten. Als
sich die Wirtschaft von der über sie hereingebrochenen Krise nicht
erholte und die sozialen Folgen der Liberalisierung der Märkte sichtbar
wurden, verschärfte sich der Machtkampf zwischen dem Obersten Sowjet
und der Seite des Präsidenten B. El´cin. Die Regierung der RF drang
auf eine ungebremste Fortsetzung der Reformen, während eine wachsende
Opposition, darunter auch die Anhänger der wiederbegründeten KPRF, ein
Abweichen vom bisherigen Reformkurs forderte. Zugleich ging es um die Führung
des zukünftigen politischen Systems der RF, denn die Verfassung der
RSFSR von 1978 war nur unvollkommen zur Verfassung der RF ergänzt und
umgestaltet worden und bezeichnete den Kongress der Volksdeputierten
trotz der Einführung des Präsidialsystems immer noch als höchstes
Organ der Staatsgewalt. Heute ist schwer zu sagen, welche Seite weniger
kompromissbereit war. Die Ernennung V. Černomyrdins zum Premierminister
im Dezember 1992 kam den Reformgegnern zwar ein wenig entgegen, aber im
weiteren Verlauf verfingen sich Präsident, Regierung, Parlament,
Verfassungsgericht und nicht zuletzt die Massenmedien in einer kaum
wieder aufzulösenden politischen Konfrontation. Der Präsident
unterstellte den ersten Fernsehkanal Ostankino dem "Föderalen
Informationszentrum" (FIZ), das zur Unterstützung der Regierung
neben dem Presseministerium eingerichtet wurde, und das Parlament
versuchte seinerseits, die Tageszeitung "Izvestija" wieder
seiner Kontrolle zu unterwerfen. Das Verfassungsgericht der RF entschied
zwar zugunsten der "Izvestija", aber gegen das "Föderale
Informationszentrum", und es wurde daraufhin von der Seite des Präsidenten
als parteiisch angesehen. Präsident
B. El´cin entschied den Machtkampf zu seinen Gunsten, indem er die
starke Position der Exekutive nutzte und sich auf den demokratischen
Vertrauensvorschuss bei der Bevölkerung berief, den er durch seine Wahl
zum Präsidenten der RSFSR erhalten und im Aprilreferendum von 1993 bestätigt
gefunden hatte. Er löste das Parlament mit dem Ukas Nr. 1400 vom 21.
September 1993 auf und beraumte Verfassungsreferendum und Neuwahlen zur
Staatsduma der RF für den 12. Dezember 1993 an. Die Tätigkeit des
Verfassungsgerichts wurde vorübergehend ausgesetzt. Nachdem es einigen
Widerstand gegeben hatte, sicherte die gewaltsame Vertreibung der
oppositionellen Abgeordneten um R. I. Chazbulatov und A. V. Ruckoj aus
dem Weißen Haus den Triumph des Präsidentialismus. Seitdem ist das präsidentielle
Dekret zum Zaubermittel der rußländischen Politik, und zwar auch der
Medienpolitik, geworden. Der politische und ideologische Konflikt, der
innerhalb der Gesellschaft Rußlands besteht, ist durch die vorzeitige
Auflösung des Obersten Sowjets nicht gelöst oder aus der Welt
geschafft worden. In den Wahlen zur Staatsduma obsiegte Ende 1993 die
nationalistische LDPR. 1995 siegte die KPRF und wurde zur stärksten
Fraktion. Bis zum Ende der zweiten Wahlperiode regierte im politischen
System der RF die Antinomie "Demokraten" -
"Kommunisten", die ein Zusammenwirken von Exekutive und Legislative
in vielen Fragen nahezu unmöglich gemacht hat. Die
neue Verfassung der RF von 1993 garantiert den Massenmedien umfassende
Freiheitsrechte. Die Freiheit des Wortes, die freie Meinungsäußerung,
die Informationsfreiheit, die Freiheit der Massenmedien und das
Zensurverbot sind gewährleistet. Die Verfassungsrechtsprechung befindet
sich zwar noch in den Anfängen. Aber die Auslegung dieser Grundrechte
ist durch die Geltung der allgemein anerkannten Prinzipien und Normen
des Völkerrechts auf dem Territorium der RF und insbesondere durch den
Beitritt der RF zur Satzung des Europarates bis zu einem gewissen Maß
bereits vorgegeben. Die Freiheitsrechte werden ergänzt durch das Verbot
der Propaganda und Agitation, die soziale, ethnische, nationale oder
religiöse Feindschaft und Hass schürt, sowie das Gebot, einen
ideologisch neutralen Staat zu formen. Diesem
freiheitlichen Grundrechtsteil der Verfassung stehen Bestimmungen zur
Staatsorganisation gegenüber, die dem Präsidenten der RF eine
eindeutige Vormachtstellung gegenüber dem Parlament einräumen. Die
Befugnisse des Präsidenten reichen bis weit in die Aufgabenerfüllung
der Legislative hinein. Das nicht einfach zu überstimmende Vetorecht
des Präsidenten gegen Gesetze, die von beiden Kammern des Parlaments
verabschiedet wurden, und das Recht, das Parlament nach dreimaliger
Ablehnung des Kandidaten für den Posten des Regierungschefs aufzulösen,
modifizieren den Grundsatz der Gewaltenteilung. Die Zersplitterung des
Parlaments in zahlreiche Fraktionen und noch mehr Parteien ermöglicht
es der Präsidialadministration zudem, viele Fragen relativ ungestört
mittels des präsidentiellen Dekrets zu regeln. Soweit ein solches
Dekret nicht gegen die Verfassung oder föderale Gesetze verstößt, hat
es unmittelbare Rechtswirkung. Dementsprechend
lang ist die Liste der abgelehnten Gesetze und der präsidentiellen
Dekrete, die zur vorläufigen oder endgültigen Lösung ungeregelter
Probleme erlassen wurden. Hiervon war auch der Bereich der Massenmedien
betroffen, wo grundlegende Meinungsverschiedenheiten über die
erforderliche Ausgestaltung der Freiheitsrechte und die
Aufgabenbestimmung zugunsten des Gemeinwesens bestehen. Während aus der
Mitte der Staatsduma wiederholt Vorschläge zur Verpflichtung der
Massenmedien auf das Gemeinwohl und vor allem zur "objektiven
Berichterstattung" über die Staatsorgane kamen und eine stärkere
Beteiligung der Legislative an der staatlichen Medienpolitik angemahnt
wurde, trat der Präsident der RF regelmäßig als Schutzgarant der
Pressefreiheit auf und betonte die Unzulässigkeit der Wiedereinführung
zensurähnlicher Aufsichtsmaßnahmen. Das Ergebnis der gegenseitigen
Blockade war, dass weder in der ersten noch in der bisherigen zweiten
Legislaturperiode ein Gesetz über Fernsehen und Rundfunk in Kraft
treten konnte, das die staatliche Aufsicht über die elektronischen
Massenmedien auf eine gesetzliche Grundlage gestellt hätte. Die Aufgabe
der Lizenzerteilung nahm seit Ende 1994 der "Föderale Dienst Rußlands
für Fernsehen und Rundfunk" wahr, den ein präsidentielles Dekret
zum Nachfolger des FIZ bestimmt hatte. Weitere grundlegende Dekrete
betrafen das Pressekomitee der RF, die Einrichtung der
"Gerichtlichen Kammer für informationelle Streitigkeiten beim Präsidenten
der RF" (Ende 1993), die Umwandlung von Ostankino in die
Aktiengesellschaft ORT (Anfang 1995), die Aufstellung eines
Verzeichnisses von Staatsgeheimnissen (Ende 1995), die Vergabe des
vierten Fernsehkanals an NTV (Herbst 1996) und zuletzt die
Reorganisation der VGTRK, der staatlichen Fernsehgesellschaft, die über
den zweiten Fernsehkanal verfügt (Frühjahr 1998). Der
Präsidentialismus B. El´cins ließ nicht nur einen Hang zum Regieren
per Präsidialdekret erkennen, sondern er zeichnete sich außerdem
dadurch aus, dass die Konfliktregelung oft in "außerkonstitutionellen
Nebenzentren"[1]
stattfand, wie zum Beispiel im Sicherheitsrat, der in so wichtigen
Fragen wie derjenigen über den Einsatz bewaffneter Verbände in der
Republik Tschetschenien zusammentrat. Die Schaffung neuer
Aufsichtsorgane ist ein einfaches Mittel zur Steigerung der eigenen
Kontrollmöglichkeiten. Die Einrichtung des FIZ und des FSTR, die
Berufung der Gerichtlichen Kammer für informationelle Streitigkeiten beim
Präsidenten der RF und die im Juli 1999 per Präsidialdekret verfügte
Zusammenlegung des FSTR und des Pressekomitees der RF zum neuen
"Ministerium für Angelegenheiten der Presse, des Fernsehens und
Rundfunks und der Mittel der Massenkommunikation" sind gleichermaßen
der Ausdruck einer vom Präsidenten der RF allein angeführten
staatlichen Medienpolitik. Die
gesetzliche Ausgestaltung der verfassungsrechtlichen Freiheitsgarantien
zugunsten der Massenmedien wurde also, soweit nicht ein rechtliches
Vakuum entstand, teils überlagert von der tatsächlichen Ausgestaltung
durch die Exekutive, teils ersetzt durch die eigene Gestaltung der
Massenmedien. Die Eigeninitiative und Selbstregulierung der Massenmedien
war jedoch bislang, wie bereits angedeutet, kein starker
Entwicklungsaspekt. Erst die Finanz- und Bankenkrise im Herbst 1998
scheint einen Wendepunkt für die Bildung einer stärkeren
Interessenvertretung der Massenmedien zu markieren. Der Kampf um die
Verlängerung der staatlichen Unterstützung hatte einigende Kraft, denn
anders als z.B. im Falle des Widerstands gegen das
"Notstandskomitee" von 1991 waren die wirtschaftlichen
Interessen der Medien insgesamt betroffen. Die "Charta der Fernseh-
und Radiosender" zur Verpflichtung auf ethische Mindeststandards,
die im April 1999 von den größten Fernsehgesellschaften unterzeichnet
wurde, ist ein erster Erfolg der neuen Bewegung. Zur
geltenden Gesetzeslage und zu den Änderungsentwürfen zum Gesetz "Über
die Massenmedien" gab es indessen seitens der Massenmedien bisher
wenige konstruktive Stellungnahmen. Die Vertreter der Medien beschränkten
sich hauptsächlich darauf, jeden Neuerungsversuch als Gefährdung der
Pressefreiheit oder Versuch der Wiedereinführung der Zensur
darzustellen - womit sie oft gar nicht so unrecht hatten. An der
Diskussion über die Gesetzgebung beteiligten sich vor allem
gesellschaftliche Einrichtungen wie der "Centr `Pravo i sredstva
massovoj informacii´", der "Fond Zaščity
Glasnosti", ANO "Internews", "Graždanskij Kontrol´"
usw. Ihre Veröffentlichungen zeigten, dass es eine Reihe von Miss-Ständen
und Regelungsdefiziten gibt, die die Pressefreiheit beeinträchtigen. Zu
ihrer Beseitigung ist jedoch seit dem Gesetz "Über die
Massenmedien" von 1991 und dem Inkrafttreten der Verfassung im
Dezember 1993 nicht viel geschehen.
An
erster Stelle sind die unbegründeten oder rechtswidrig begründeten
Informationsverweigerungen zu nennen. Auskunftsverweigerungen, unzulässige
Zugangsbeschränkungen bei Pressekonferenzen, öffentlichen
Sitzungen und Informationsveranstaltungen, rechtswidrige
Akkreditierungsregeln und der eigenmächtige Entzug der Akkreditierung
von Journalisten bei staatlichen und kommunalen Organen sind in Rußland
oft anzutreffen, besonders in den Regionen, aber auch in der Hauptstadt.
1997 stellten solche Informationsbeschränkungen nach den kriminellen Übergriffen
auf Angehörige der Massenmedien die häufigste Art der Verletzung der
Rechte der Massenmedien dar. Die fortschrittlichen Vorschriften des
Gesetzes "Über die Massenmedien", die den Redaktionen einen
Auskunftsanspruch und den Journalisten ein generelles Besuchs- und
Einsichtsnahmerecht gewähren, lassen sich kaum durchsetzen, da das
Gesetz keine adäquaten rechtlichen Sanktionen für den Fall ihrer
Verletzung vorsieht. Auch das Gesetz "Über Information,
Informatisierung und den Schutz der Information" von 1995 enthält
zwar Ansprüche auf den Zugang zu staatlich verwalteten Dokumenten in
Bibliotheken, Archiven und Datenbanken, verweist aber hinsichtlich der
Rechtsfolgen bei der Verletzung der Informationsansprüche lediglich auf
die strafrechtliche und zivilrechtliche Gesetzgebung sowie die Gesetze
über Amtsverletzungen. Der Schadensersatzanspruch, den beide Gesetze
gewähren, eignet sich nicht zur zügigen Durchsetzung von
Informationsansprüchen. Das
Recht auf den freien Zugang zur Information hat somit seit 1991 keine
nennenswerten gesetzlichen Verbesserungen erfahren. Das zur Stärkung
der Informationsrechte der Bürger geplante Gesetzesprojekt "Über
das Recht auf Information" gelangte nicht über das Stadium des
Entwurfs hinaus. Zudem wurde der früher sehr weitgehende
strafrechtliche Schutz der Journalisten gegen die böswillige
Behinderung ihrer "gesetzlichen professionellen Tätigkeit"
mit der Strafrechtsreform von 1996 fast vollständig zurückgenommen,
so dass die rechtswidrige Informationsverweigerung den Straftatbestand
nicht mehr erfüllt. Bei
der Berichterstattung über Umweltschäden müssen sich die Journalisten
hingegen vor dem strafrechtlichen Vorwurf der Spionage oder des
Offenbarens von Staatsgeheimnissen in acht nehmen. Der auslegungsfähige
materielle Begriff des Staatsgeheimnisses, den das Gesetz "Über
das Staatsgeheimnis" von 1993 enthält, die geheimen, dezentral geführten
Unterverzeichnisse der Staatsgeheimnisse, die Desekretierungsregeln
sowie die fehlenden Begrenzungen der Strafbarkeit hinsichtlich der
Verbreitung bereits bekanntgewordener Staatsgeheimnisse oder der
Voraussetzung eines spürbaren Schadenseintritts machen den Bereich der
staatlichen Sicherheit für den investigativen Journalismus zu einem gefährlichen
Terrain. Die verfassungsrechtliche und gesetzliche Begrenzung der
Sekretierung lebens- und gesundheitsbedrohender Ereignisse sowie der
Umweltschäden beugen zwar einer willkürlichen Ausweitung des
Geheimnisschutzes in gewissen Maße vor, aber die Regeln des Gesetzes
"Über das Staatsgeheimnis" setzen einer Überprüfung der
Rechtmäßigkeit der Sekretierung enge Grenzen. Aufgrund
der zahlreichen Informationsbeschränkungen erlangte das Widerrufs- und
Gegendarstellungsrecht besondere Bedeutung. Schlecht informierte
Journalisten verbreiten in der Regel unzutreffende
Sachverhaltsdarstellungen oder sogar ehrenrührige Behauptungen, und das
Gesetz "Über die Massenmedien" bietet den Betroffenen die Möglichkeit,
eine Gegendarstellung zu veröffentlichen oder Berichtigungsansprüche
geltend zu machen. Bei der Erfüllung dieser Ansprüche gelten
insbesondere das Glossierungsverbot und das Prinzip der
Waffengleichheit. Noch mehr als an der Gegendarstellung oder dem
Widerruf waren die Betroffenen jedoch daran interessiert, den
zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch geltend zu machen und zur
Kompensation der erlittenen "moralischen Schmerzen" hohe
Summen einzuklagen. Die in den letzten Jahren aufgekommene Praxis
massenhafter Ehrverletzungsprozesse gegen Journalisten und Redaktionen
hat sich so zu einem Missbrauch des Widerrufsrechts ausgeweitet, dem die
Gerichte kaum Einhalt geboten haben. Eine gesetzliche Einschränkung
dieser Praxis wäre jedoch denkbar. Neben
dem Mangel an Information seitens der staatlichen Stellen ist in Rußland
außerdem die fehlende Transparenz der Massenmedien selbst zu beklagen.
Die großen Unsicherheiten bei der Beurteilung des Marktes der
Massenmedien wirken auf in- und ausländische Investoren abschreckend
und verhindern den Zufluss dringend benötigten Kapitals. Während die
oft als Geheimniskrämer und "Spionomanen" bezeichneten Behörden
und Staatsorgane sich immerhin auf staatliche Sicherheitsinteressen
berufen können, gibt es für die Geheimhaltung der Jahresabschlüsse
und der Beteiligungsverhältnisse eines Medienunternehmens kaum legitime
Rechtfertigungen. Die außergewöhnliche Unübersichtlichkeit des rußländischen
Marktes der Massenmedien ist nicht nur dadurch bedingt, dass die
Marktforschung, vor allem in den Regionen, bislang unterentwickelt ist,
sondern auch durch die Gewohnheit, selbst die Basisdaten der
Massenmedien wie zum Beispiel die Auflagenzahl entweder zu verschweigen
oder unzutreffend anzugeben. Als Begründung für dieses erstaunliche
Verhalten kann zum einen die hohe und unter Umständen erdrosselnd
wirkende Besteuerung der rußländischen Unternehmen angeführt werden.
Überhaupt gilt in vielen Wirtschaftsbereichen aus den
unterschiedlichsten - und oftmals sehr verständlichen - Gründen die
Devise, je weniger über die tatsächlichen Gewinne eines Unternehmens
bekannt ist, desto besser. Das rußländische Steuersystem hat diese Übung
nicht beseitigt, und es werden vergleichsweise wenig Steuern
eingetrieben. Die militärisch organisierte Steuerpolizei, die neben der
gewöhnlichen Steuerinspektion eingerichtet wurde, um der Steuerflucht
den Kampf anzusagen, scheint zudem öfter als politisches Druckmittel
missbraucht worden zu sein. Im Sommer 1999, im Vorfeld der Wahlen zur
Staatsduma und zur Präsidentschaft, machte sie zum Beispiel
Schlagzeilen mit ihrem Vorgehen gegen die Media-Most-Gruppe (NTV, Itogi,
Segodnja usw.). Zum
anderen sind die verdeckten Beteiligungsverhältnisse bei
Fernsehgesellschaften, Verlagsgruppen und Tageszeitungen ein Mittel,
unbemerkt privates Kapital investieren und politischen Einfluss ausüben
zu können. Die Politisierung der rußländischen Massenmedien ist so
fortgeschritten, dass in Fällen wie dem der Veräußerung von 85 % der
"Kommersant"-Aktien an "American Capital" LLC, eine
bis dahin unbekannte U.S.-Firma, im Sommer 1999 sogleich gemutmaßt
wurde, dass es sich wahrscheinlich um die Strohfirma des russischen
Medienmagnaten B. Berezovskij handelte. Wie man später erfuhr, war die
Vermutung richtig.[2]
Im übrigen können unklare Beteiligungsverhältnisse aber auch zur Verhüllung
staatlicher Einflussnahme dienen, wie das Beispiel der gemischten
staatlich-privaten Medienholdings zeigt, die in letzter Zeit in den
Regionen entstanden sind. Gebietsadministrationen, Politiker und
staatliche Bedienstete engagieren sich teils offen, teils verdeckt neben
Geschäftsleuten und privaten Unternehmen. Dabei ist schwer einzuschätzen,
welche Investitionen allein im Hinblick auf die anstehenden Wahlen 1999
/ 2000 getätigt wurden und welche finanziellen Engagements zu den längerfristigen
zählen. Auch lässt sich kaum noch beurteilen, ob die Einwirkungen der
Fremdfirmen und Anteilseigner, wenn sie denn einmal festgestellt wurden,
als staatliche Einflussnahme zu qualifizieren sind oder nicht. Der
Streit der "Izvestija"-Redaktion mit dem Großaktionär
"Lukojl", der im Sommer 1997 zur Absetzung des Chefredakteurs
und zum Auszug vieler Mitarbeiter führte, veranschaulicht die neuen
Einordnungsschwierigkeiten: Der Abdruck des
"Le-Monde"-Artikels, der dem damaligen Premierminister Černomyrdin
persönliche Bereicherung im Amt vorwarf, bewirkte zwar eine sofortige
Gegenreaktion, aber man konnte allenfalls die Frage stellen, ob der Großaktionär
"Lukojl" die Rolle regierungsamtlicher Medienkontrolle übernommen
hatte. Die
fehlende Transparenz der Massenmedien ist zu einem solchen Problem
geworden, dass das zuständige Komitee der Staatsduma sogar
vorgeschlagen hat, die bisherige gesetzliche Figur des Gründers eines
Massenmediums völlig abzuschaffen und den Herausgeber in jedem Fall zum
verantwortlichen Eigentümer zu erklären. Damit würde zwar die nicht
selten anzutreffende Aufspaltung in Gründer, Herausgeber und wirkliche,
aber unbekannte Eigentümer unmöglich werden. Das Phänomen verdeckter
Beteiligungen ist auf diese Weise aber nicht zu beseitigen, denn nur schärfere
Regeln zur Publizität könnten verhindern, dass die Figur des
Herausgebers den Platz des Gründers einnimmt und - etwa mittels der
Organisationsform der Medienholding mit wechselnden Beteiligungen - neue
Unklarheiten schafft. Solange auf dem Markt der Massenmedien nicht ein
gewisses Maß an Transparenz erreicht ist, sind auch die Entwürfe für
ein spezielles, die Medien betreffendes Antimonopolgesetz zwecklos.
Regulierende Eingriffe erfordern eine gewisse Übersichtlichkeit des
Marktes, um beurteilen zu können, ob sich eine marktbeherrschende
Stellung herausgebildet hat. Und mehr als die Entstehung
wirtschaftlicher Konzentrationen beunruhigt bisher der Prozess
politischer Konzentration. Dieser Prozess fällt zwar mit demjenigen
wirtschaftlicher Konzentration zum Teil zusammen, er läuft jedoch nicht
nach den gleichen Gesetzen und Spielregeln ab. Schließlich
gelingt aufgrund der Unübersichtlichkeit des Marktes der Massenmedien
und der Unterschiedlichkeit der rußländischen Regionen auch keine
eindeutige Stellungnahme zur Rolle der staatlichen Massenmedien. Die
Bestrebungen der RF, den verlorenen "einheitlichen
Informationsraum" der früheren Sowjetunion mit staatlich gelenkten
Massenmedien zurück zu erobern, waren jedenfalls bisher nicht von
Erfolg gekrönt. Die Reorganisation der zentralen staatlichen
Fernsehgesellschaft VGTRK erscheint nachträglich nicht mehr als
aggressive, die Freiräume nichtstaatlicher Massenmedien bedrohende Maßnahme,
sondern als notwendige Sanierung eines bankrotten Staatsunternehmens.
Zwischen dem ersten präsidentiellen Dekret, das alles in Gang setzte,
und der immer noch nicht ganz abgeschlossenen Umsetzung des Vorhabens
liegen die Finanz- und Bankenkrise im Herbst 1998 und zwei
Regierungswechsel. Die beabsichtigte Stärkung der VGTRK zu einem
machtvollen "einheitlichen produktionstechnischen Komplex
staatlicher elektronischer Massenmedien" ist am Widerstand der übrigen
Fernsehgesellschaften, die halbstaatliche ORT-Aktiengesellschaft
eingeschlossen, vorerst gescheitert. Die zunächst in Aussicht
gestellten finanziellen Mittel trafen nicht ein, und der Komplex aus föderalen
und regionalen Fernseh- und Rundfunkgesellschaften sowie Sendeanlagen
umfasst deutlich weniger Anlagen und Werte, als man einplante. Es bleibt
jedoch festzuhalten, dass der produktionstechnische Vorsprung der
staatlichen Massenmedien in den meisten Regionen Rußlands nach wie vor
besteht. Staatliche Sendeanlagen, Druckereien, Papierfabriken und
Vertriebssysteme bringen die staatlichen Fernsehgesellschaften,
Radiosender und Zeitungen in Vorteil. Erst allmählich beginnen in den
Regionen nichtstaatliche Medienholdings zu entstehen, die neben einer
Fernsehgesellschaft und einer Zeitung auch Werbeagenturen und eigene
Sende- oder Produktionsanlagen umfassen, die mithin autarker und weniger
verletzbar sind. Die
Selbstbehauptung der nichtstaatlichen Massenmedien ist in Rußland
notwendiger als in anderen Ländern, um die Pressefreiheit zu
stabilisieren. Sowohl die Dekrete des Präsidenten als auch die Gesetze
und Beschlüsse der Staatsduma haben bewiesen, dass das Sprichwort
"Wer zahlt, bestimmt die Musik" nicht zuletzt im Verhältnis
der Staatsgewalt zu den staatlichen Massenmedien als gültig angesehen
wird. Das Gesetz "Über die Ordnung der Berichterstattung über die
Tätigkeit staatlicher Organe durch die staatlichen Massenmedien"
ist hierfür nur ein - wenn auch besonders einprägsames - Beispiel. In
Rußland geht der öffentlichen Aufgabe von Presse und Fernsehen im
Zweifel die Verpflichtung zur Loyalität gegenüber dem Staat vor. Den
zahlreichen Dekreten B. El´cins zur Unterstützung der Pressefreiheit
widersprechen seine personellen Entscheidungen wie die Absetzung E.
Jakovlevs (Ostankino) oder O. Popcovs (RTR).[3]
Im übrigen haben Umfragen unter Fernsehdirektoren und Chefredakteuren
ergeben, dass sie die Interessen der Zuschauer (und Steuerzahler) in der
Regel überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen.[4]
Sie orientieren sich vor allem an den Vorlieben und der Ausrichtung der
Gründer und Eigentümer, seien es private Unternehmen oder seien es
staatliche Organe - eine Folge der weithin praktizierten Gepflogenheit,
in Massenmedien zu investieren, um sich mittels des erlangten
politischen Einflusses wirtschaftliche Vorteile zu sichern. Die Frage, ob die Meinungsfreiheit sich in Rußland einen dauerhaften Platz erobert hat, wie S. von Steinsdorff schon vor einigen Jahren schrieb, oder ob das freiheitliche Gesetz "Über die Massenmedien" seine Entstehung einem vorübergehenden Machtvakuum verdankt, wie H. Wendler später meinte, lässt sich auch heute noch nicht ohne weiteres beantworten. Das Selbstbewusstsein der Perestrojka-Journalisten scheint weitgehend der Ernüchterung und dem Bewusstsein wirtschaftlicher Abhängigkeit gewichen zu sein. Das Gesetz "Über die Massenmedien" hat sie mit dem unbedingten Unabhängigkeitsanspruch der Redaktionen gewissermaßen in die Irre geführt. Andererseits spricht die lange Geltungsdauer dieses Gesetzes und die institutionelle Verfestigung seiner Freiheitsrechte durch die Verfassung von 1993 dafür, die unbestreitbar vorhandenen Tendenzen zur restriktiven, autoritären staatlichen Medienpolitik nicht überzubewerten. Inwieweit die Gesellschaft Rußlands heute schon bürgerlicher und demokratischer geworden ist, ist schwierig zu beurteilen. Aber sicher ist, dass die nichtstaatlichen Massenmedien trotz aller beschriebenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten und der dadurch bedingten Einflussnahme von außen stärker geworden sind. Ihre bisherige Entwicklung lässt hoffen, dass die Pressefreiheit in Rußland zur dauerhaften Institution wird. [1]
H. Vogel (1999), Rußland steckt in einem Rückstau ungelöster
Probleme, FAZ vom 29. Juli 1999, S. 10. [2]
Vgl. FAZ vom 7.8.99, S. 5: B. Berezovskij teilte am 6. August 1999
mit, daß er das Kontrollpaket der Aktien des einflußreichen
Verlagshauses "Kommersant" von der amerikanischen Firma
erworben habe, da er nicht zulassen wolle, daß der Moskauer Bürgermeister
J. Luškov oder der frühere Ministerpräsident E. Primakov bei den
Präsidentenwahlen im kommenden Jahr siegten. Der bisherige
Chefredakteur der Zeitung "Kommersant Daily", R. Shakirov,
wurde auf Betreiben Berezovskijs sogleich entlassen. [3]
E. Jakovlev wurde am 21. Oktober 1992 des Amtes enthoben, O. Popcov
am 15. Februar 1996. [4]
A. Kačkaeva (1999), Rossijskie sredstva massovoj informacii,
vlast´ i kapital: k voprosu o koncentracii i prozračnosti SMI
v Rossii, Kapitel "S točki zrenija auditorii".
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