Home ] Kapitel 1 ] Kapitel 2 ] Kapitel 3 ] Kapitel 4 ] Kapitel 5 ] Kapitel 6 ] Kapitel 7 ] Kapitel 8 ] Schluss ] Nachwort ] Appendix ]


 

2. Erster Änderungsentwurf zum Gesetz "Über die Massenmedien"

 

a) Konzept: Aufgabe der Figur des Gründers

b) Zur Ausgestaltung und Umsetzung des Konzeptes

c) Steigerung der Verantwortlichkeit der Massenmedien

d) Reaktionen auf das Gesetzesprojekt

e) Bewertung: Rohfassung mit pressefeindlicher Tendenz

 

2. Erster Änderungsentwurf zum Gesetz "Über die Massenmedien"

 

a) Konzept: Aufgabe der Figur des Gründers

 

Mit dem Entwurf vom Januar 1998, der in erster Lesung angenommen wurde, ging das Komitee für Informationspolitik und Fernmeldewesen an das dargestellte Problem, die Regelungen des Gesetzes "Über die Massenmedien" den neuen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten anzupassen,[1] nämlich insbesondere die Rechtsstellung des Eigentümers eines Massenmediums neu zu bestimmen, mit einem einfachen, aber klaren Ansatz heran. Der Begriff des "Gründers" wurde gestrichen und durch die Figur des "Herausgebers" ersetzt.[2] Als Herausgeber wird nunmehr jede natürliche oder juristische Person bezeichnet, die das Massenmedium registrieren lässt (d. h. gründet) und die Tätigkeit der Herausgabe und Verbreitung des Massenmediums organisiert. Bei natürlichen Personen macht der Entwurf zur Voraussetzung, dass sie sich zunächst als Einzelunternehmer registrieren lassen, bevor sie ein Massenmedium zur Registrierung anmelden. Der Herausgeber gründet, finanziert und betreibt das Massenmedium als dessen Eigentümer, und daher soll er auch die volle Verantwortung für dessen Tätigkeit übernehmen. Der Herausgeber beruft die Redaktion ein und bleibt, falls die Redaktion nicht als juristische Person auftritt, der "verantwortliche Redakteur". Insbesondere "ist der Herausgeber der Eigentümer des Massenmediums, d. h. der Eigentümer seiner individualisierenden Merkmale (Name, Logotyp, Firmenzeichen usw.) und der Produktion des Massenmediums" (Art. 18 des Gesetzesprojektes).

 

Die Redaktion wird demgegenüber zur "Eigentümerin der Produktion des Massenmediums im Stadium der Veröffentlichung" erklärt, nämlich der "fertigen Ausgabe eines periodischen Druckerzeugnisses oder eines audiovisuellen Programms, das zur Vervielfältigung oder Sendung übergeben wird".[3]  Für den Inhalt des Massenmediums soll der Chefredakteur verantwortlich zeichnen, wobei jedoch der Herausgeber zusammen mit der Redaktion die Thematik und die grundsätzlichen Anforderungen an den Inhalt des Massenmediums bestimmen darf (Art. 19 des Gesetzesprojekts).

 

Die Umsetzung dieser grundsätzlichen Neuregelung sollen Übergangsbestimmungen ermöglichen. Diejenigen Gründer, die ihr Massenmedium vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes registriert haben, erlangen den Status des Herausgebers, ohne das Massenmedium neu registrieren zu lassen. Als Herausgeber haben sie jedoch die ungeschmälerte gesetzliche Verantwortung für ihr Massenmedium zu tragen. Hierzu enthält der Entwurf noch genauere Vorgaben. Im Vertrag zwischen dem Herausgeber und der Redaktion hat sich der Herausgeber dazu zu verpflichten, die grundlegenden produktionstechnischen und sozialen Voraussetzungen für Leben und Arbeit der Redaktionsmitarbeiter sicherzustellen. Denjenigen Gründern, die keine juristischen Personen sind, gibt das Gesetz vor, innerhalb eines Jahres ihren organisationsrechtlichen Status dem Bürgerlichen Gesetzbuch entsprechend zu bestimmen und sich sowie ihr Massenmedium registrieren zu lassen. Die Gründer, die nicht Herausgeber werden wollen, dürfen die Stellung des Herausgebers an die Redaktion abtreten, und auch diejenigen, die zwar gerne Herausgeber wären, aber die Verantwortung des Herausgebers nicht tragen und seine Aufgaben nicht erfüllen können, müssen die Leitung des Massenmediums einem neuen Herausgeber überlassen (Art. 63 des Gesetzesprojekts).

 

b) Zur Ausgestaltung und Umsetzung des Konzeptes

 

Das Komitee für Informationspolitik und Kommunikationsmittel legte mit dieser Initiative ein Gesetzesprojekt vor, das so noch nicht verabschiedungsreif war. Das Komitee hatte übersehen, dass die gesetzliche Einführung des Begriffs des Herausgebers und Eigentümers eines Massenmediums nicht bedeutet, dass vorher keine Eigentümer vorhanden waren. So jedenfalls argumentierte V. Siroženko, der stellvertretende Vorsitzende des staatlichen Pressekomitees der RF, nach dessen Ansicht die Verabschiedung des vorgeschlagenen Gesetzes in der Konsequenz viele entschädigungspflichtige Legalenteignungen nach sich ziehen würde.[4] Art. 306 des Bürgerlichen Gesetzbuches der RF verpflichtet nämlich den Staat, den Verlust des Eigentums, der infolge neuer Gesetze eintritt, mit Entschädigungen auszugleichen. Viele Gründer von Massenmedien, auch einige staatliche oder kommunale, wären außerdem nicht dazu in der Lage, die finanziellen und organisatorischen Anforderungen zu erfüllen, die das Gesetzesprojekt an den allein verantwortlichen Herausgeber und Eigentümer stellt. Sie müssten ihre Besitzstände (u.a. das Recht an der eingeführten Bezeichnung eines Massenmediums) und Einflussbereiche in den Massenmedien womöglich aufgeben. Die Regierung hätte sich zum Beispiel ihrer Zeitung "Rossijskaja gazeta" zu entledigen oder aber die Lizenz für die Tätigkeit des Herausgebers zu erwerben und selbst als Herausgeber zu fungieren. Die Übergabe an die bisherigen Herausgeber, bei denen die Zeitung gedruckt wird, würde die Regierung entscheidender Einflussnahmemöglichkeiten berauben. Und im Hinblick auf die kleineren, zum großen Teil finanzschwachen privaten Massenmedien ließ sich befürchten, dass die vorgeschlagene Gesetzesänderung zu Umbildungen, Auseinandersetzungen und Geschäftsübernahmen führen könnten.

 

Aufgrund der politischen Zusammensetzung des Komitees verbietet sich zwar die Annahme, es könnte beabsichtigt haben, einen Feldzug der "Oligarchen" und "Medienbarone" gegen bankrotte Massenmedien vorzubereiten. Die möglichen Auswirkungen des Gesetzes scheinen jedoch nicht besonders kritisch berücksichtigt worden zu sein. Vielleicht handelte das Komitee in dem Wissen, das ein föderales Gesetzesprojekt aus erster Lesung häufig nach der Überarbeitung für die zweite Lesung nicht mehr wiederzuerkennen ist, so dass es auf den genauen Wortlaut der ersten Fassung ohnehin nicht ankommt. Der folgende Wortwechsel während der ersten Lesung über den Entwurf und das eindeutige Abstimmungs­ergebnis bestätigen diese Vermutung.

 

Ju. M. Nesterov, Fraktion JaBLoko, Mitglied des Komitees für Informationspolitik und Kommunikations­mittel: "Verehrte Kollegen, verehrter Vorsitzender! Ich beginne mit der Analyse, das heißt, genauer gesagt, nur mit einigen Anmerkungen hinsichtlich der Rolle der ersten und zweiten Lesung. Wie mir scheint, hätten die Diskussionen über den Inhalt auf die zweite Lesung verschoben werden können, und sie sollten es auch, dann nämlich werden durch die Korrekturen beträchtliche Veränderungen am Inhalt des Gesetzesprojektes vorgenommen. Die erste Lesung sollte grundsätzlich den politischen Willen des Parlamentes bezüglich der Regulierung der einen oder anderen Sphäre rechtlicher Beziehungen zum Ausdruck bringen. (...) Aber das wichtigste, die hauptsächliche Schlussfolgerung unserer Fraktion besteht darin, dass sich auf dem betreffenden Rechtsgebiet viele Widersprüche angehäuft haben, die es zu beseitigen gilt, und deshalb muss man dieses Gesetzesprojekt in erster Lesung unterstützen. Ich wiederhole: der reale Gesetz­gebungsprozess beginnt erst nach der Abstimmung in erster Lesung. Vor der Abstimmung in erster Lesung gibt es nur wohlgemeinte Wunschvorstellungen. Daher hat unsere Fraktion die Entscheidung getroffen: das Gesetzesprojekt in erster Lesung zu unterstützen. Das ist alles." [5] 

 

G. V. Starovojtova, Gruppe der unabhängigen Abgeordneten: "Verehrte Abgeordnete, unter keinen Umständen kann ich dem zustimmen, dass der Gesetzgebungsprozess erst nach der Annahme des Gesetzes in erster Lesung beginnt. Das ist nur bei ungebildeten Parlamentariern der Fall, dass es erst dann losgeht. Bei gebildeten fängt der Entwicklungsprozess sowohl in der Konzeption als auch im Detail um einiges früher an. Ich schlage vor, das Gesetz, d. h. die Änderungsvorschläge zum Gesetz, in der hier vorgelegten Version abzulehnen, und zwar aus mehreren Gründen

(...)." [6]

 

V. V. Žirinovskij, Fraktion LDPR: "Nun, Galina Vasil´evna, genau das wollen wir, dass das Gesetz uns vor solchen Bewertungen bewahrt, die sie über die Abgeordnetenschaft abgegeben haben, indem sie einen Teil der Deputierten als ungebildet bezeichnet haben, nur weil sie einen Teil des Gesetzgebungsprozesses nicht so wie sie bewerten. Das ist doch Ansichtssache des Deputierten, wann der Prozess beginnt. Also sie essen und sagen dann, dass sie satt sind, aber ein anderer schaut sich den Apfel nur an und spricht: ich bin satt. Ist das nicht ein Idiot, was glauben sie? Das sind die Bedürfnisse des Organismus, hier wie dort. Jeder Abgeordnete hat seine eigene Sichtweise (...)"

 

Trotz erkennbarer Unstimmigkeiten des Änderungsentwurfs[7] und einer Reihe von offenen Fragen stimmte die Staatsduma daraufhin mit 299 Abgeordneten bei zwei Gegenstimmen für die Annahme des Gesetzesprojektes in erster Lesung. Zum Beispiel blieb unklar, wie man sich die ungeteilten Eigentumsrechte des Herausgebers in Bezug auf das Massenmedium als Ganzes vorstellen soll. Die Autoren des Gesetzes "Über die Massenmedien" merkten hierzu kritisch an: "Wer Geld in die Entwicklung des Radios, des Fernsehens oder der Zeitungen und Zeitschriften investiert, erhält nur einen Anteil am Namen und einen Teil des Markenzeichens. Nach dieser Konstruktion läuft es darauf hinaus, dass jemand, der über 33 Prozent des Kapitals an der Zeitung "Vek" verfügt, das Recht an einem der drei Buchstaben der Bezeichnung erwirbt."[8] Auch in anderer Hinsicht blieb das Eigentumsobjekt "Massenmedium" unscharf. Die Definition des Massenmediums als "Form der periodischen Verbreitung von Massen­information" wurde nicht geändert, so dass der herausgebende Eigentümer nach dem Wortlaut des Gesetzes eigentlich nur über die Form des Massenmediums verfügt, aber nicht über dessen Substanz. Ebenso schwer verständlich ist der Begriff der "Computer-Information". Der Entwurfstext bezeichnet sie zugleich als Massenmedium und als dessen Produkt. Das eigentliche Ziel des Komitees für Informationspolitik und Fernmeldewesen, nämlich für die Rechtsbeziehungen der Beteiligten eines Massenmediums rechtliche Klarheit zu schaffen, ist im ersten Entwurf somit noch nicht erreicht worden.

 

c) Steigerung der Verantwortlichkeit der Massenmedien

 

Der Änderungsentwurf lässt somit im Vergleich mit den Vorschriften des bestehenden Gesetzes "Über die Massenmedien" wenige Vorteile erkennen. Andererseits enthält der Text jedoch deutliche Nachteile zuungunsten der Massenmedien. Die Verfasser des Entwurfes haben die grundsätzliche Zielrichtung des Gesetzesprojekts deutlich ausgesprochen. In der schriftlichen Erklärung, die dem Entwurf beigefügt wurde, nannten sie außer der beabsichtigten Neuregelung der Figur des Gründers auch ihr Anliegen, "einerseits die Unabhängigkeit der Massenmedien besser zu schützen, andererseits aber auch die Freiheit der Massenmedien ins Gleichgewicht zu bringen mit ihrer Verantwortung vor der Gesellschaft für das gesprochene Wort." Hiermit war die Einführung neuer Wege und Mittel gemeint, gegen unliebsame Massenmedien effizienter vorgehen zu können.

 

Das Projekt erweitert in beträchtlichem Umfang die Möglichkeiten, ein Massenmedium zu verbieten. Das Recht, die Aussetzung oder Einstellung einer Ausgabe gerichtlich zu verfolgen, wird nicht wie bisher nur dem registrierenden Organ und dem staatlichen Pressekomitee der RF eingeräumt, sondern auch jedem Staatsanwalt und überhaupt jedem Bürger, der ein eigenes Interesse vorbringen kann (Art. 16 des Gesetzesprojekts). Als Gründe für die vorübergehende Aussetzung oder die endgültige Einstellung eines Massenmediums werden u.a. die Verletzung der gesetzlichen Bestimmungen über die Verantwortlichkeit des Herausgebers und der Redaktion sowie der Missbrauch der Rechte des Journalisten angeführt. Nach der Neuregelung könnte also das Kreisgericht eine Zeitung auf Antrag des örtlichen Staatsanwalts und nach einer schriftlichen Vorwarnung vorübergehend bis zu sechs Monaten mit der Begründung außer Gefecht setzen, der Herausgeber habe seiner Verantwortung vor der Gesellschaft nicht entsprochen oder das Berichtigungsrecht eines Bürgers sei nicht beachtet worden.

 

Selbst den bisherigen gesetzlichen Begriff der Zensur wollten die Verfasser des ersten Änderungsentwurfs abwandeln. Als Adressaten des Zensurverbots des Art. 3 sollten zukünftig nur noch die Beamten staatlicher Organe und die Bediensteten der kommunalen Selbstverwaltung in Frage kommen. Das Ergebnis wäre ein verkürzter formeller Zensurbegriff gewesen, der es gestattet hätte, öffentliche Kontrollinstanzen aller Art zu etablieren, solange sie nur nicht den Staatsorganen angehören. Die gesetzlich vorgesehene Rundfunkkommission und der in einem anderen Gesetzesprojekt vorgeschlagene "Höchste Rat in Fragen der Ethik und der Sitten für die Bereiche Kino, Fernsehen und Radio" könnten dann die ihnen zugedachte Aufgabe inhaltlicher Programmkontrolle durch die eine oder andere Form der Vor- und Nachzensur wirkungsvoll erfüllen. Die neue Vorschrift gegen die Monopolisierung der Massenmedien sollte dem Staat zudem die Waffe der Lizenzentziehung an die Hand geben (Art. 4-1).[9] Zusammen mit der Erweiterung des Klägerkreises und der Ausdehnung der Klagebefugnis für Einstellungsklagen sowie der Einschränkung der Gründungsfreiheit auf registrierte Einzelunternehmer und juristische Personen enthält der erste Entwurf somit eine ganze Reihe von Regelungen, die die Freiheitsrechte außer Kraft setzen würden, die Art. 29 Verf RF garantiert.

 

d) Reaktionen auf das Gesetzesprojekt

 

Bei Ju. Baturin, M. Fedotov und V. Entin, den Autoren des Gesetzes "Über die Massenmedien", fiel das Urteil über den ersten Entwurf des Änderungsgesetzes vernichtend aus: "Zwei Schlussfolgerungen allgemeinen Charakters für die Zukunft. Erstens: Die niedrige Qualität der Gesetze ergibt sich bei weitem nicht immer aus dem politischen Kampf zwischen den einzelnen Fraktionen, ihre Früchte sind jedoch immer juristische Kollisionen, die die Entstehung einer normalen Rechtsanwendungspraxis verhindern. Zweitens: Ein Gesetz zu verderben ist leicht, wenn man dazu die Lust und die entsprechende Bevollmächtigung hat; es zu vervollkommnen ist dagegen schwer; es ganz rückgängig zu machen, ist unmöglich." [10]

 

Die Expertise der Rechtsabteilung der Staatsduma enthielt viele Anmerkungen, die einen offenen Widerspruch des Gesetzesprojektes zur Verfassung der RF, zum Bürgerlichen Gesetzbuch der RF und zu anderen Gesetzen feststellten. F. Kravčenko vom "Rechtszentrum für Massenmedien" in Moskau (Centr prava SMI) forderte eine umfassende Revision des Gesetzesprojektes.[11] Ju. Vdovin von der St. Petersburger Rechtsschutzorganisation "Bürgerliche Kontrolle" (Graždanskij kontrol´) erinnerte an die Erfahrungen aus sowjetischer Vergangenheit und formulierte seinerseits Änderungsvorschläge für das Gesetz "Über die Massenmedien".[12] Der Präsident des "Fonds zum Schutz der Glasnost´", A. Simonov, argwöhnte sogar, dass die Änderungsinitiative des Komitees für Informationspolitik eine "Strohpuppe nach der Art A. Čubajs" sei, also ein Hassobjekt, das von einem ganzen Paket anderer Gesetze ablenken soll, die die Pressefreiheit in nicht geringerem Maße einschränken.[13]

 

e) Bewertung: Rohfassung mit pressefeindlicher Tendenz

 

Die Änderungen und Ergänzungen, die das Komitee für Informationspolitik und Kommunikationsmittel im ersten Entwurf vom Januar 1998 vorschlug, befanden sich noch im Stadium der allerersten Ausarbeitung, ohne dass ein widerspruchsfreies Konzept für die eigentumsrechtliche und organisatorische Ausgestaltung der Rechtsverhältnisse sichtbar gewesen wäre. Die juristische Qualität der Änderungsvorschläge war so schwach, dass sogar bezweifelt werden konnte, dass die Verfasser des Entwurfs  juristischen Sachverstand hinzugezogen hatten. In Rußland hat sich unter den gegebenen Umständen - Lohnausfälle, Unterbezahlung, häufiger Arbeitsplatzwechsel - die Auffassung verbreitet, dass jeder alles kann (russ. "na vse ruki master"). Die Kehrseite dieser an sich sehr nützlichen Einstellung ist eine Unprofessionalität, die sich auch in staatlichen Ämtern bemerkbar macht.

 

Abgesehen hiervon zeigt der Änderungsentwurf, wie schnell einige Abgeordnete mit einem ganzen Arsenal von restriktiven Bestimmungen zur Hand sind, um die Tätigkeit der Journalisten besser kontrollieren zu können. Die antidemokratischen, gegen das freiheitliche Gesetz "Über die Massenmedien" gerichteten Tendenzen sind so alt wie das Gesetz selbst. Neu ist die frühkapitalistische Note, die bei der radikalen, notfalls zu erzwingenden Ablösung der Gründer durch die Herausgeber zum Ausdruck kommt. Die Aufweichung des Zensurbegriffs, die Erweiterung der Möglichkeiten, ein Massenmedium verbieten zu lassen und die Einschränkung der Gründungsfreiheit kennzeichnen das Anliegen der Verfasser, die staatliche Aufsicht über die Massenmedien zu verstärken und die Eingriffsmittel des Staates in beträchtlichem Umfang zu erweitern. Der erste Änderungsvorschlag des Komitees für Informationspolitik und Nachrichtenwesen richtet sich mithin eindeutig gegen die freie Meinungsäußerung und unabhängige Massenmedien.

[nächste Seite]



[1] Das Komitee nannte diese Aufgabe in der schriftlichen Erklärung, die dem Entwurf beigefügt war, als erstes Anliegen ihres Gesetzesprojektes: Pojasnitel´naja zapiska, in: ZiP 41 / 42 (mit Entwurfstext).

[2] Vgl. Ju. Baturin, M. Fedotov, V. Entin (1998), V Fokuse: Pora li `svjaščennoj korove´ na bojnju, ili čto tait modernizacija zakona o smi?: "Nach ihren Vorstellungen ist alles einfach. Es genügt, das Wort `Gründung´durch das Wort `Registrierung´zu ersetzen, und das Wort `Gründer´im entsprechenden Kasus durch das Wort `Herausgeber´ im entsprechenden Kasus. Wie sollte man sich da nicht an das Axiom Grossmans erinnern: `Für schwierige Probleme gibt es immer einfache, leicht verständliche und falsche Lösungen.´" (Übers. d. Verf.)

[3] Das Gesetzesprojekt in der Fassung vom 4. November 1998 präzisiert diese vage Bestimmung: "Die Redaktion (...) ist der Eigentümer der vorbereiteten Ausgabe oder des Programms des betreffenden Massenmediums im Stadium der Veröffent­lichung (bis zu dem Moment, in dem die fertige Ausgabe (...) zum Druck oder zur Sendung übergeben wird), es sei denn, in den Gründungsdokumenten ist etwas anderes vorgesehen."

[4] V. Siroženko (1998), in: Stenogramma Tret´ej ežegodnoj konferencii po pravy SMI, Dezember 1997. Ebenso Siroenko während der ersten Lesung über das Gesetzesprojekt am 14. Januar 1998, vgl. Sitzungsprotokoll, veröffentlicht unter: http://www.duma.gov.ru/infocom/, Gesetzesentwürfe.

[5] Sitzungsprotokoll, aaO. (Übers. d. Verf.)

[6] Die Abgeordnete Starovojtova wurde Ende 1998 im Treppenhaus ihres Wohnhauses erschossen. Der Mord ist bisher nicht aufgeklärt worden. Auch ein politischer Auftragsmord ist nicht auszuschließen.

[7] An frühzeitigen Hinweisen auf Fehler des Gesetzesprojekts scheint es nicht gemangelt zu haben, vgl. A. Richter, Kolonka redaktora, in: ZiP 41-42: "Gegen die Gesetzeskorrekturen, die für die Massenmedien eine Gefahr darstellten, traten der Fonds zum Schutz der Glasnost´, der Verband der Journalisten Moskaus, die Gebietsorganisation der Journalisten in Saratov u.a. auf. Wir lehnten die prinzipielle Möglichkeit - die sogar zu begrüßen wäre - der Einbringung einiger Änderungen des Gesetzes von 1991 nicht ab, wir riefen die Parlamentarier und ihre Berater dazu auf, die juristischen und politischen Unzulänglichkeiten des Gesetzesprojekts zu beseitigen. Man antwortete uns, daß das Dokument eine Rohfassung darstelle und nach der Ausarbeitung im Komitee in einem ganz neuen Licht erscheinen würde. Und obgleich einige der offensichtlichen Fehler letzten Endes von den Verfassern der Ausarbeitung korrigiert worden waren, beriet man über das gefährliche Projekt und nahm es in erster Lesung am 14. Januar 1998 an."

[8] Ju. Baturin, M. Fedotov, V. Entin (1998), aaO.

[9] Zur Regelung der Konzentrationsbeschränkung siehe 3. c).

[10] Vgl. Ju. Baturin, M. Fedotov, V. Entin (1998), aaO. (Übers. d. Verf.).

[11] F. Kravčenko (1998), Kommentarij: Gosduma pytaetsja ispravit´ Zakon o SMI. Naskol´ko udačno? in: ZiP 41 / 42. Vgl. auch F. Kravčenko (1997), Predloenija po zakonoproektu "O vnesenii izmenenij i dopolnenij v Zakon RF `O sredstvach massovoj informacii´", in: ZiP 37 (Sept. ´97).

[12] Ju. Vdovin (1997), Predloženija po korrektirovke zakona `O sredstvach massovoj informacii´, in: ZiP 37 (Sept. ´97).

[13] A. Simonov (1998), in: Stenogramma Tret´ej ežegodnoj konferencii po pravy SMI.