4. Gesetz "Über die Ordnung der Berichterstattung über die Tätigkeit staatlicher Organe durch die staatlichen Massenmedien" a) Einleitung: Die "Parlamentarische Stunde" Die
gesetzlichen Vorschriften zum Gebot objektiver und vollständiger
Berichterstattung über die Tätigkeit staatlicher Organe haben mit dem
Machtkampf zwischen dem Präsidenten der RF B. El´cin und dem
Vorsitzenden des Obersten Sowjets R. Chazbulatov eine längere
Vorgeschichte. Auf einem vorläufigen Höhepunkt der
Auseinandersetzungen, nämlich im Frühling 1993, begann das zweite
Fernsehprogramm, das zu diesem Zeitpunkt noch formal dem Parlament
unterstand, die Ausstrahlung der Sendung "Parlamentarische
Stunde". Dem Leiter des Programms, O. Popcov, wurde jede Woche eine
Videokassette ausgehändigt, die kommentarlos zu senden war und
ausgesprochen reformfeindliche, unversöhnliche und der damaligen
Regierung mit den verschiedensten Maßnahmen drohende Reportagen
beinhaltete.[1]
Im Juli 1993 ließ Chazbulatov noch dazu ein parlamentseigenes
Fernsehstudio einrichten ("RTV-Parlament") und verpflichtete
das zweite Programm, "Die parlamentarische Stunde" fünfmal
pro Woche auszustrahlen. Die einen Monat später folgende Aufforderung,
mit den Parlamentskassetten jeden Tag auf Sendung zu gehen, konnte
Popcov dann gerade noch so mit dem Hinweis auf die Serie "Santa
Barbara" abwehren. Trotz des für den Präsidenten erfolgreichen
April-Referendums war die Situation im Sommer 1993 äußerst angespannt.
Im Wettstreit um den staatlichen Einfluss bei den Massenmedien eilte die
Präsidialadministration dem Parlament überall einen Schritt voraus.
Der umfassenden Aufsicht des neugeschaffenen "Föderalen
Informationszentrums" (FIZ) unter der Leitung von M. Poltoranin
sollte die Gründung eines "Föderalen Kontrollrats"
entgegenwirken, und gegenüber dem ersten Fernsehprogramm des präsidententreuen
V. Bragin konnte "Die Parlamentarische Stunde" kein
ausreichendes Gegengewicht bilden. Der andauernde Machtkampf zwischen
der Exekutive und der Legislative nahm erst im Herbst 1993 mit der Auflösung
des Parlaments durch das präsidentielle Dekret Nr. 1400 ein Ende. Die
Annahme der Verfassung am 12. Dezember 1993 löste die Machtfrage
eindeutig zugunsten des Präsidenten. Die ihm direkt unterstehenden
Aufsichts- und Kontrollorgane für den Bereich der Massenmedien blieben
mehr oder weniger erhalten, während das Parlament seine Einflusssphären
bis auf weiteres verlor. Die Ausstrahlung der "Parlamentarischen
Stunde" wurde erst im November 1997 wieder aufgenommen. Einmal pro
Woche erscheinen die Parlamentsabgeordneten in den Massenmedien (RTR)
so, wie sie es wünschen. Im November 1998 feierte G. Seleznev, der
Vorsitzende der Staatsduma, das einjährige Jubiläum der
"Staatsduma-Fernsehgesellschaft".[2] b) Genaue Handlungsanweisungen an staatliche Massenmedien Eine
Maßnahme, die ähnlich wie die "Parlamentarische Stunde" die
Berichterstattung über die Tätigkeit der Parlamentsabgeordneten
verbessern soll, stellt das föderale Gesetz der RF "Über die
Ordnung der Berichterstattung über die Tätigkeit staatlicher Organe
durch die staatlichen Massenmedien" vom 13. Januar 1995 dar.[3]
Die Vorschriften dieses Gesetzes verpflichten die staatlichen
Massenmedien dazu, über die Tätigkeit sämtlicher Staatsorgane in
objektiver Form und angemessener Länge zu berichten.[4]
Die gesetzlichen Auflagen zugunsten des Parlaments sind in
gewisser Weise eine Kompensation für den geschwundenen Einfluss der
Abgeordneten auf die Massenmedien.[5]
Mit ihnen wird das staatliche Fernsehen genauestens angewiesen, welche
Handlungen föderaler Staatsorgane es in vollem Umfang zu senden hat
(z.B. jeweils die ersten Sitzungen der Staatsduma und des Föderationsrats),
über welche Handlungen und Entscheidungen auf jeden Fall in den
Tagesnachrichten zu informieren ist (z.B. die Anklage gegen den Präsidenten
der RF zum Zwecke seiner Amtsenthebung oder die Annahme eines föderalen
Gesetzes) und über welche Ereignisse informiert werden sollte (z.B.
Visiten ausländischer Staatsoberhäupter und Regierungschefs). Vor
allem aber enthält das Gesetz in Art. 7 ("Informativ-aufklärerische
Programme") die Vorschrift, dass mindestens einmal in der Woche für
mindestens 45 Minuten über die Ergebnisse der täglichen Arbeit des Föderationsrats,
der Staatsduma, ihrer Komitees und Kommissionen zu berichten ist und
dass sich die Redaktionsleitungen hinsichtlich der Sendezeit und der
Reihenfolge der Sendungen nach den Vorstellungen der Pressedienste der
beiden Parlamentskammern zu richten haben. Art. 8 präzisiert die
Anforderungen an diese Politprogramme noch durch die Regel, dass über
die Handlungen des Präsidenten, des Parlaments und der Regierung der RF
immer getrennt und en bloc informiert werden muss und, falls
Fernsehaufnahmen dazu vorhanden sind, diese auch gleichzeitig gezeigt
werden sollen. Des weiteren soll das Staatsfernsehen auch die Debatten
der Fraktionsführer der Staatsduma mindestens einmal im Monat für
mindestens 45 Minuten ausstrahlen. Hierbei wird den Journalisten die
Verpflichtung auferlegt, die Teilnehmer zu gleichen Bedingungen
auftreten zu lassen (Art. 10). Schließlich stellt Art. 11 die Forderung
nach unparteilicher, objektiver Information durch die genannten
politischen Programme. Art. 12 verlangt von den staatlichen Massenmedien
die Gewährung jeglicher professioneller Unterstützung vor und bei den
entsprechenden Fernsehauftritten, und Art. 13 verbietet Unterbrechungen
des Programms durch Werbesendungen. Über die Einhaltung dieser
Vorschriften soll die "Föderale Kommission für Fernsehen und
Rundfunk" wachen (Art. 14), also die Kommission, deren Einrichtung
das Gesetz "Über die Massenmedien" vorsieht und deren
Vollmachten durch das seit Jahren geplante Fernsehgesetz festgelegt
werden sollen. Die
zahlreichen Verpflichtungen, die in den genannten Vorschriften enthalten
sind, können leicht als gesetzliche Basis dafür dienen, von Staats
wegen gegen staatliche Massenmedien oder einzelne Journalisten
administrativ oder gerichtlich vorzugehen. Dabei stehen nicht alle
Vorschriften mit dem Gesetz "Über die Massenmedien" in Übereinstimmung.
Die Bestimmung, die den Redaktionsleitungen vorschreibt, sich bezüglich
der Sendezeit und der Reihenfolge der Sendungen mit dem Pressedienst der
Staatsduma abzustimmen, verstößt gegen das Zensurverbot. Die
Vorbesprechung der Gestaltung des Fernsehprogramms fällt eindeutig in
den Bereich der gesetzlich geschützten Redaktionsarbeit. Auch die
Vorschriften über Art und Umfang der politischen Nachrichten verletzen
die gesetzliche Garantie professioneller Selbständigkeit der
Redaktionen (Art. 19 Abs.1). Die Anforderungen an den Journalisten,
unparteilich und objektiv zu berichten und keinen Teilnehmer einer
Sendung zu benachteiligen, können leicht zum Vorwand genommen werden,
sich in die Redaktionsarbeit einzumischen. Überhaupt scheint das Gesetz
jede Kommentierung und jegliche subjektive Stellungnahme von
Journalisten ausschließen zu wollen. Vergleicht man die weitreichenden
Anforderungen des Gesetzes bezüglich der Art und Weise der
Berichterstattung mit der Resolution der parlamentarischen Versammlung
des Europarats "Über die Beziehungen staatlicher Parlamente zu den
Massenmedien", so wird deutlich, dass die Staatsduma aggressive
Vorschriften bevorzugt hat.[6] c) Schlussfolgerung: Unverhältnismäßige Regulierung staatlicher Medien Das Gesetz "Über die Ordnung der Berichterstattung über die Tätigkeit staatlicher Organe durch die staatlichen Massenmedien" schränkt in einigen Punkten die Freiheitsrechte der Massenmedien ein, ohne sich hierfür auf eine Rechtfertigung berufen zu können. Die freie und selbständige Arbeit der Redaktionen staatlicher Massenmedien wird über Gebühr staatlicher Regulierung unterworfen. Das Gebot objektiver, vollständiger und wahrheitsgemäßer Information der Öffentlichkeit wird einseitig zugunsten der staatlichen Organe und zum Nachteil der Presse eingesetzt. Der Vorsitzende des "Fonds zum Schutz der Glasnost´", A. Simonov, bezeichnete die neuen Regelungen zusammenfassend als "Unterweisung im artigen Halten des Spiegels in Anwesenheit des Hausherrn".[7] Das Gesetz gilt zwar ausschließlich für staatliche Massenmedien. Aber aufgrund der Dominanz staatlicher Fernsehprogramme, die nach wie vor über die größte Reichweite und den größten Zuschaueranteil verfügen, sowie aufgrund der vielerorts vorherrschenden Stellung staatlicher regionaler Massenmedien in den einzelnen Föderationssubjekten, muss das besprochene Gesetz als Bedrohung der Pressefreiheit angesehen werden. [1]
E. Mickiewicz (1997), Changing Channels, S. 122. [2]
Vgl. Post-Soviet Media Law & Policy Newsletter, Issue 51
(December 15, 1998), unter: "Russia". [3]
Mit
Änderungsgesetz vom gleichen Tag wurde in Art. 35 ZoSMI ein
entsprechender Absatz eingefügt, der die staatlichen Medien
verpflichtet, gemäß den Vorschriften dieses neuen Gesetzes
Informationen und Mitteilungen der staatlichen Organe zu veröffentlichen.
Hierdurch wird das Prinzip des Vorrangs des Massenmediengesetzes
jedoch lediglich formal eingehalten. [4]
Das Gesetz "Über die Massenmedien" unterscheidet - bisher
- nicht zwischen staatlichen und privaten Massenmedien. Art. 3 des
Gesetzes "Über die Ordnung der Berichterstattung ..."
bezeichnet als staatliche alle von einem föderalen oder regionalen
staatlichen Organ gegründeten Massenmedien. [5]
Vgl. M. Fedotov, SMI v otsutstvii Ariadny, S. 260: Das Gesetz "Über
die Ordnung der Berichterstattung..." zielt aus zwei Gründen
fast ausschließlich auf das Fernsehen. Erstens sind die zentralen
Tageszeitungen fast alle unabhängig und der Kontrolle staatlicher
Organe weitgehend entzogen, und zweitens gewährt das Gesetz "Über
den Status des Abgeordneten des Föderationsrats und der Staatsduma
der Bundesversammlung der RF" in Art. 16 den Abgeordneten das
Privilegium, im staatlichen Fernsehen auftreten zu dürfen. [6]
Resolution der parlamentarischen Versammlung des Europarats Nr. 820
(1984) "Über die Beziehungen staatlicher Parlamente zu den
Massenmedien". Vgl. M. Fedotov (1996), aaO. S. 261. [7]
Zitiert aus: M. Fedotov (1996), aaO. S. 206.
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