6. Organisation der Parteiaufsicht über die Massenmedien
Oberster
Dirigent des "Orchesters"[1]
der Kontrollinstrumente war - neben dem Generalsekretär - das für
ideologische Fragen zuständige Mitglied des Politbüros, des engeren Führungsgremiums
der KPdSU. In dieser Eigenschaft wurde vor allem Michail Andreevič
Suslov berühmt, der 1955 in das ZK-Präsidium Chruščevs eintrat
und diesem bzw. dem Politbüro Brežnevs bis zu seinem Tode im Jahr 1982
angehörte. Er galt als orthodoxer Marxist-Leninist und verkörperte die
erstaunliche Kontinuität der Spitzenfunktionäre der Partei nach
Stalin. Das Markenzeichen der poststalinistischen, insbesondere der
Parteiführung nach Chruščev, war ihre Unangreifbarkeit, die daher
rührte, dass sie durch den Terror des stalinistischen Systems geschult
war und sich in politischen, gesellschaftlichen und historischen Fragen
äußerste Zurückhaltung auferlegte. Alles, was an progressiven Ideen
und Reformvorschlägen vorgebracht wurde, unterzog man der sorgfältigen
Überprüfung, um sichergehen zu können, dass es der Ideologie des
Marxismus-Leninismus nicht würde schaden können. Viele Ansätze für
eine konstruktive Erneuerung der Wirtschaft oder der Wissenschaft wurden
so bereits im Stadium ihres Entstehens unterbunden.[2]
Die meisten Mitglieder des Politbüros verstanden sich als Gralshüter
des Kommunismus, wobei das für ideologische Fragen zuständige Politbüromitglied
noch darüber hinaus als Chefideologe der Partei und oberster Zensor der
Sowjetunion auftrat. Die Überwachungstätigkeit konnte bei gegebenem
Anlass bis ins Detail gehen, weshalb es erforderlich ist, die Rolle der
obersten Parteiführung bei der Kontrolle der Massenmedien hervorzuheben
und allen nachfolgenden Einrichtungen voranzustellen.[3] Das
Politbüro und das Zentralkomitee der KPdSU waren die festen
Bezugspunkte in einem System sich abwechselnder und sich überschneidender
Zuständigkeiten. Falls die Frage der Veröffentlichung eines Werkes
oder des Abdrucks eines Artikels hinsichtlich der notwendigen
politischen Konformität zweifelhaft war, wurde notfalls bis in die
obersten Etagen der Parteiführung nachgefragt.[4]
Das Prinzip, sich in jeder Frage mit ideologischem oder
gesellschaftspolitischen Bezug beim Vorgesetzten abzusichern, verhalf
dem "Gesetz der Telefone" auf allen Ebenen der Partei sowie
der von ihr abhängigen Staatsverwaltung zu universeller Geltung. Die
vorsichtige Vorgehensweise brachte einerseits ein großes Maß an Übereinstimmung
zwischen den zahlreichen Kontrollinstrumenten im Bereich der
Massenmedien hervor (Orchesterdisziplin), andererseits aber führte sie
dazu, dass sich die Presse durch geringen Informationsgehalt
auszeichnete und einen reinen Meinungs- und Kommentierungsjournalismus
mit "Politikerreden, Kreml-Bulletins und tödlich-langweiligen
Leitartikeln"[5]
betrieb (sozialistische Presseharmonie). Dabei war es keineswegs so,
dass die Chefredakteure und Programmleiter bei Radio und Fernsehen den
Kontakt zur Parteiführung immer von sich aus hätten suchen müssen.
Die führende Rolle der Partei in der Gesellschaft war
institutionalisiert und im politischen Bereich der Massenkommunikation
perfektioniert worden. Teils pflegten die Mitglieder von Politbüro und
Zentralkomitee (ZK) persönliche Kontakte zu den Exponenten der
zentralen Presse, insbesondere der führenden Parteipresse
("Pravda"), teils übermittelte die Propagandaabteilung des
Sekretariats des ZK der KPdSU die allgemeinen und besonderen
Anforderungen, die die Parteiführung an die Programmpolitik von
Fernsehen und Presse stellte, oder sie erteilte von sich aus
Anweisungen, die diesen Vorstellungen entsprachen.[6]
Die
Redaktionen der zentralen Massenmedien waren also nicht nur der
Vorzensur des Glavlit und den Instruktionskonferenzen der
Regierungsstellen ausgeliefert, sondern sie unterstanden auch der
dienstlichen Kontrolle des Sekretariats des Zentralkomitees. Die Parteiführung
besaß zugleich die Personalhoheit, d.h. die entscheidenden Stellen in
den Massenmedien blieben hochrangigen Parteiangehörigen und
Spitzenfunkionären vorbehalten, die unmittelbar der Parteidisziplin
unterworfen waren und die übrigen Mitarbeiter zur Loyalität gegenüber
der KPdSU anhielten. Dieses Nomenklatursystem pflanzte sich in den
einzelnen Regionen und Städten der Sowjetunion fort. Glavlit besaß
Unterabteilungen in allen Regionen, und die örtlichen Parteisekretäre
verkörperten nach der Moskauer Führung die höchste Autorität in
Fragen der Informationspolitik.
Die
direkte Parteikontrolle über die Massenmedien wurde ergänzt durch
zentral gesteuerte Institutionen, die ihrerseits der Parteiaufsicht
unterlagen. Zu nennen ist hier neben dem Journalistenverband[7]
vor allem die Telegraphenagentur TASS, die über das Monopol an
Nachrichten aus dem Ausland verfügte. Sie organisierte zugunsten der
Parteiführung und des höheren Funktionärskorps der Union und der
Republiken Sonderinformationsdienste,[8]
und sie stellte im Verein mit der planmäßigen elektronischen Störung
ausländischer Radiosender sicher, dass die Wirksamkeit der
ideologischen Agitation und Propaganda der Partei nicht durch
widersprechende Informationen aus anderen Teilen des Ostblocks oder aus
der Welt der kapitalistischen Staaten des Westens beeinträchtigt werden
konnte. Die Nachrichtenagenturen boten außerdem einen bequemen
Mitteilungsweg für Anweisungen der Parteiführung oder der staatlichen
Sicherheitsdienste an die Redaktionen und bewährten sich als
"besonders nützliches Mittel zur Lenkung der Presse und zur
Gleichschaltung ihres Inhalts".[9]
Für den Bürger, der sich nicht nur informieren, sondern auch selbst publizieren wollte, erlangte schließlich das "Staatskomitee für das Verlagswesen, das Druckgewerbe und den Buchhandel" Bedeutung. Diese Behörde verwaltete das staatliche Publikationswesen und kontrollierte nicht nur Druck und Papier, die unerlässlichen, im staatlichen Kollektiveigentum befindlichen Produktionsmittel, sondern auch die Verlagsprogramme. Die Verlage mussten ihre sämtlichen Druckerzeugnisse zunächst der Zensurbehörde "Glavlit" vorlegen und sodann auch dem Staatskomitee für das Verlagswesen ein Kontrollexemplar abliefern. Sollte dennoch irgendwann einmal ein allzu kritisches, auf gedankliche Abwege führendes Buch gedruckt worden sein oder aber ein Autor aus irgend einem Grund bei der Partei in Ungnade gefallen sein, wie zum Beispiel A. Sol´ženicyn, so gab es am Ende noch die Spezialmagazine der staatlichen Bibliotheken, zu denen der Zugang mit Sonderausweisen geregelt war. [1]
H. Koschwitz (1971), Pressepolitik und Parteijournalismus in der
UdSSR und der VR China, S. 39. [2]
Vgl. z.B. R. W. Davies (1991), Perestrojka und Geschichte - Die
Wende in der sowjetischen Historiographie, S. 12 / 13, zum
Eingreifen Suslovs in der Frage der historischen Darstellung des
Stalinismus. [3]
Vgl. V. Falin (1997/99), Konflikte im Kreml, S. 24: Suslov lehnte
1979 einen Entwurf Falins für einen ZK-Beschluß, in dem es um die
Grunderneuerung der Informationspolitik der Partei ging, mit den
Worten ab: "Sie möchten, daß ich zugebe, dreißig Jahre lang
irrig gehandelt zu haben." [4]
Vgl. hierzu die Beispiele bei Buzek (1965), Die kommunistische
Presse, S. 145 und 163 ff. [5]
O. Luchterhandt (1980), UN-Menschenrechtskonventionen - Sowjetrecht
– Sowjetwirklichkeit, S. 121. [6]
Vgl. L. Vladimirov (1972), Glavlit: How the Soviet Censor Works:
Glavlit erhielt auch direkte Anweisungen von M. Suslov, der nicht
immer den Umweg über die Propagandaabteilung nahm. [7]
Vgl.
C. Kunze (1978), Journalismus in der UdSSR, Anhang XII, S. 327 ff.:
Satzung des Journalistenverbandes der UdSSR, angenommen auf dem 3.
Allunionskongreß (Dezember 1971): "Das leninistische Prinzip
der Führung der Presse durch die Partei ist oberster und
feststehender Grundsatz. Der Journalistenverband der UdSSR und seine
Organisationen wirken unter der Führung der KPdSU, im Kontakt mit
allen kreativen Verbänden, den Organisationen von Gewerkschaften
und Komsomol und anderen gesellschaftlichen Organisationen." [8]
Vgl. O. Luchterhandt (1980), UN-Menschenrechtskonventionen -
Sowjetrecht - Sowjetwirklichkeit, S. 123. [9]
Buzek (1965), Die kommunistische Presse, S. 147 / 148.
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