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IV. Freiheitsrechte und Regelungen des Gesetzes "Über die Massenmedien"  

 

1. Vorrang und bestimmende Wirkung des Gesetzes

 

Das Gesetz "Über die Massenmedien" (Zakon RF "O sredstvach massovoj informacii") blieb im Gegensatz zu vielen anderen vorkonstitutionellen Gesetzen seit seiner Verabschiedung am 27. Dezember 1991 nahezu unverändert erhalten. Damals, zu Beginn der Regierung des Präsidenten B. El´cin, war die demokratische Bewegung Rußlands noch unverbraucht und stark, und das neue Mediengesetz galt als Ausdruck der freiheitlichen Reformen zur Abschaffung der parteigelenkten zentralistischen Staatsstrukturen. Die Vorschriften des Gesetzes der UdSSR "Über die Presse und andere Mittel der Masseninformation" wurden von den Überbleibseln der Erneuerung des Sozialismus und den Zugeständnissen an die KPdSU befreit, die nun nicht mehr notwendig waren. Man verfasste ein Mediengesetz, das ganz den Bedürfnissen der damaligen Massenmedien entsprechen sollte und den unabhängig arbeitenden Redaktionen wirkungsvolle Rechte an die Hand gab, insbesondere die sogenannte "professionelle Selbständigkeit". Nach der Annahme der Verfassung vom 12. Dezember 1993 galt das Gesetz zunächst gemäß Punkt 2 ihrer Schluss- und Übergangsbestimmungen in den Teilen, die der Verfassung der RF nicht widersprachen. Es wurde in den folgenden Jahren aber als gesetzliche Ausgestaltung der Freiheitsgarantien des Art. 29 Verf RF anerkannt. Bis einschließlich 1998 ergingen lediglich fünf geringfügige Änderungen und Ergänzungen (vgl. Anhang 1. a).

 

Auf den jährlichen Treffen von Medienfachleuten, die die journalistische Fakultät der Moskauer Staatsuniversität (MGU) und das Zentrum "Recht und Massenmedien" seit 1995 jeweils zum Geburts­tag des Gesetzes "Über die Massenmedien" organisierten, traf man sich zwar immer wieder in der ernsten Sorge, eine tiefgreifende Änderung dieses Gesetzes stehe unmittelbar bevor und könne sehr nachteilige Folgen für die Freiheitsrechte der Medien mit sich bringen.[1] Aufgrund der bisherigen Gesetzesentwürfe des zuständigen Komitees der Staatsduma im Medienbereich befürchtete man, dass schon einige wenige Änderungen und Ergänzungen das Regelungswerk des Gesetzes mit zahlreichen Widersprüchen versehen und so letztendlich das gesamte Gesetz wirkungslos machen könnten.

 

Das Gesetz "Über die Massenmedien" wurde jedoch bislang nicht angetastet. Es ist das grundlegende Gesetz für die russischen Medien. Es bildet bis heute die gesetzliche Basis für die Tätigkeit der Journalisten, Redaktionen und Herausgeber von Zeitungen und Zeitschriften sowie Radio- und Fernsehprogrammen. Die Verabschiedung des schon seit langem geplanten föderalen Gesetzes "Über Fernsehen und Rundfunk" ist wiederholt gescheitert, so dass das Gesetz "Über die Massenmedien", das in erster Linie ein Pressegesetz darstellt und bezüglich der elektronischen Massenmedien keine näheren Regelungen enthält,[2] über Jahre hinweg das einzige Mediengesetz geblieben ist.

 

Zugunsten dieses Basisgesetzes gilt das Prinzip des Vorrangs. Die nachfolgenden Gesetze dürfen ihm nicht widersprechen.[3] Für die Medien kommt das Gesetz "Über die Massenmedien" somit gleich nach der Verfassung und den föderalen Verfassungsgesetzen an zweiter Stelle. Alle anderen Rechtsakte, die die Freiheit der Massenmedien einschränken, sind nicht nur im Hinblick auf ihre Übereinstimmung mit der Verfassung zu beurteilen, sondern auch anhand der Maßstäbe des Gesetzes "Über die Massenmedien" zu überprüfen. Für Korrekturen ist dieses Gesetz jedoch zugänglicher als die Verfassung. Um das Gesetz "Über die Massenmedien" zu ergänzen, zu ändern oder auch völlig umzugestalten, genügt die Mehrheit der Stimmen der Mitglieder der Staatsduma[4] und des Föderationsrats, vorausgesetzt, dass der Präsident der RF nicht sein Veto einlegt.[5]

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[1] Vgl. Fakul´tet Žurnalistiki MGU (1996), Pjat´ let svobody pečati; Fakul´tet Žurnalistiki MGU (1997), Pjat´ let Zakony RF o sredstvach massovoj informacii; Centr "Pravo i sredstva massovoj informacii" (1998), Stenogramma Tret´ej eegodnoj konferencii po pravu SMI; Centr "Pravo i sredstva massovoj informacii" (1999), Zakonotvorčestvo v oblasti SMI v 1998 g.

[2] Das Gesetz "Über die Massenmedien" enthält nur wenige Grundbestimmungen hinsichtlich der Errichtung einer "Föderalen Kommission für Fernsehen und Rundfunk", die die Lizensierung übernehmen soll (Art. 30-32), es fehlen jedoch z.B. Lizensierungsregeln, Vorschriften über die Werbung, die Rechtsaufsicht über die Fernseh- und Radiosender oder über die Möglichkeit ausländischer Beteiligungen an Fernsehgesellschaften. Diese Fragen wurden bisher durch Präsidialdekrete und Regierungsverordnungen geregelt; vgl. unten 4.

[3] Art. 5 Abs. 1 Gesetz "Über die Massenmedien": "Die Gesetzgebung der RF über die Massenmedien besteht aus dem vorliegenden Gesetz und den übrigen, in Übereinstimmung hiermit verabschiedeten Akten der Gesetzgebung, sowie aus der Gesetzgebung der Republiken der RF über die Massenmedien." 

[4] Art. 105 Abs. 2 Verf RF lautet: "Bundesgesetze werden mit der Mehrheit der Stimmen der Gesamtzahl der Abgeordneten der Staatsduma angenommen, soweit durch die Verfassung der RF nicht anderes vorgesehen ist." - Das Verfassungsgericht der RF klärte am 12. April 1995 den Begriff der Gesamtzahl der Abgeordneten der Staatsduma (russ. obščee čislo deputatov), indem er die von der Verfassung vorgeschriebene Zahl von 450 Abgeordneten für die Staatsduma (Art. 95 Abs. 3) als maßgeblich bestimmte.

[5] Vgl. V. A. Krjažkov / L. V. Lazarev (1998), aaO. S. 13: Im Jahr 1997 gebrauchte der Präsident der RF nicht weniger als 40 Mal sein Vetorecht und lehnte föderale Gesetze ab (Art. 107 Abs. 3 Verf RF).