VIII. Ausblick auf neuere Entwicklungen 1. Staat: Bildung eines umfassenden VGTRK-Komplexesa) Grundlegende Normativakte von Präsident und Regierung Schaubild 10: Reorganisation der VGTRK b) Vorläufige Durchführung des Vorhabens c) Finanz- und Bankenkrise 1998 d) Zur Monopolstellung der staatlichen Fernsehgesellschaft e) Zur Staatsferne der staatlichen Fernsehgesellschaft
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VIII. Ausblick auf neuere Entwicklungen Fragt
man, welche Vorkehrungen der Staat einerseits trifft, um die Unabhängigkeit
der Presse zu fördern, und welche Mittel er andererseits aufzuwenden
gewillt ist, um den Einfluss staatlicher Organe zu mehren, betrachtet
man also die Relation zwischen eigennütziger und fremdnütziger
staatlicher Hilfestellung, so fällt ein größeres Projekt der letzten
Zeit besonders auf. Seit dem Mai 1998 besteht das Vorhaben des Staates,
die Gesamtrußländische staatliche Fernseh- und Rundfunkgesellschaft
(VGTRK), die unter anderem den zweiten Kanal "Rossija" (RTR)
betreibt, wieder zu einer landesweiten, auch in den Regionen Rußlands
starken Organisation auszubauen und so den Verlust des früheren
"einheitlichen Informationsraums" der Sowjetunion
auszugleichen. Die Zielsetzung weist darauf hin, dass hiermit ein für
alle Massenmedien folgenreiches Unternehmen geplant ist. Zusammen mit
der in Aussicht gestellten Änderung des Gesetzes "Über die
Massenmedien", die zwischen privaten und staatlichen Massenmedien
grundsätzliche rechtliche Differenzierungen einführt,[1]
könnte die Reorganisation der VGTRK zur staatlichen Ungleichbehandlung
privater und staatlicher Massenmedien führen. Ein
zweiter Problembereich berührt ebenfalls die institutionelle Seite der
Presse- und Medienfreiheit. Angesichts der außergewöhnlich starken
Verflechtung staatlicher und privatwirtschaftlicher Interessen in Rußland[2]
ist auf die Rolle der privaten Anteilseigner oder Fremdfirmen bei der
Entwicklung der Massenmedien einzugehen. Die im vorhergehenden Kapitel
wiedergegebenen Einschätzungen der Pressefreiheit weisen auf den
besonderen Einfluss der privaten Wirtschaftsunternehmen auf die
Massenmedien hin. Hier soll nun die Frage genauer erörtert werden, ob
Großbanken und Rohstoffkonzerne, die sich häufig noch überwiegend
oder zum Teil im staatlichen Besitz befinden und auf die eine oder
andere Weise vom Staat abhängig sind, die Funktionen
regierungsamtlicher Zensoren übernehmen können. Beide Fragestellungen
sind, auch wenn sie zunächst getrennt behandelt werden, letzten Endes
im Zusammenhang zu sehen. Bei der Betrachtung der Einflussmöglichkeiten
Privater dürfen die weitreichenden Kontrollbefugnisse des Staates nicht
unberücksichtigt bleiben, und bei der Einschätzung der Reorganisation
der VGTRK sind die privaten, und insbesondere die inzwischen weit in die
regionalen Märkte vorgedrungenen zentralen Moskauer Massenmedien zu
beachten. 1.
Staat: Bildung eines umfassenden VGTRK-Komplexes
a) Grundlegende Normativakte von Präsident und Regierung Das
präsidentielle Dekret Nr. 511 vom 8. Mai 1998 "Über die
Vervollkommnung der Arbeit staatlicher elektronischer Massenmedien"
stellt den Versuch des Staates dar, das staatliche Fernsehen in den
Regionen der RF wieder so weit wie möglich unter seine Kontrolle zu
bringen. Es schreibt die Vereinigung aller regionalen staatlichen
Fernseh- und Rundfunkgesellschaften (GTRK) und der regionalen
technischen Sendeanlagen (ORTPC) zu einem einheitlichen Komplex unter
der Führung der VGTRK-Holding vor, der zentralen staatlichen
Gesellschaft, die den zweiten Fernsehkanal RTR betreibt. Die
finanziellen Mittel aus dem Staatshaushalt der RF würden danach über
den FSTR der VGTRK zufließen und von ihr den einzelnen staatlichen
Massenmedien in den Regionen zugeteilt werden. Auch die Lizenzvergabe würde
von der VGTRK koordiniert werden. Es steht zu befürchten, dass die
konsequente Verwirklichung des Dekrets dem Staat eine Monopolstellung
und Vollmachten verschafft, die sogar die des früheren sowjetischen
Staatsfernsehens übertreffen.[3]
Mit
der Regierungsverordnung Nr. 844 vom 27. Juli 1998 "Über die
Bildung eines einheitlichen produktionstechnischen Komplexes staatlicher
elektronischer Massenmedien" wurde der erste Schritt zur Umsetzung
des Plans unternommen. Die Verordnung schreibt die Umwandlung der
regionalen staatlichen Fernseh- und Radiogesellschaften in
Tochterunternehmen der Muttergesellschaft VGTRK vor, sowie die
Eingliederung der staatlichen Sender in die VGTRK als deren Filialen
(vgl. Schaubild 10). Die Gründerrechte sollen in allen Fällen auf die
VGTRK übergehen, wobei der Gebrauch des Eigentums der einzelnen Föderationssubjekte
durch Verträge zu regeln ist. Die Leiter der Tochterunternehmen werden
von der VGTRK im Einvernehmen mit dem FSTR und den regionalen
Administrationen ernannt. Für die Ausführung des Vorhabens gilt nach
der Verordnung eine dreimonatige Frist. Zugleich setzt die Verordnung
hinsichtlich der Schulden der VGTRK gegenüber dem Staat mehrjährige
Zahlungsaufschübe fest und gewährt Steuer- und Zollbefreiungen, um die
Belastungen der VGTRK in der Übergangszeit zu verringern. b) Vorläufige Durchführung des Vorhabens Die
Umsetzung des präsidentiellen Dekrets zur Wiedererlangung eines
einheitlichen, vom Staat zentral überwachten Informationsraumes wurde
gleich von zwei Seiten blockiert, nämlich von den regionalen
Administrationen und von den Interessenvertretern der anderen großen
Fernsehgesellschaften. Die Regierungsverordnung Nr. 844 stellte nicht
den Reorganisationsplan dar, der ursprünglich beabsichtigt worden war.[4]
Die Regierung hatte einige Wochen zuvor bereits eine gleichnamige
Verordnung vorbereitet, in der alle notwendigen Grundlagen für eine mächtige,
nahezu konkurrenzlose VGTRK gelegt worden waren. Der damalige
Premierminister S. Kirienko wollte offensichtlich aus der Not eine
Tugend machen und die überschuldete VGTRK für alle Zeiten aus der
Krise herausführen. Diese erste Verordnung ließ sich aber nicht
durchsetzen. Sie sah vor, der VGTRK-Holding alle irgendwie verfügbaren
staatlichen Massenmedien und materiellen Ressourcen zu unterstellen und
anzugliedern: Die Fernsehprogramme "Rossija" (RTR) und
"Kultura" sowie die Radiostationen "Golos Rossii"
und "Majak", das Sendezentrum Ostankino, das Kontrollzentrum für
Radio und Fernsehen, alle staatlichen Fernsehsatelliten, fast alle
regionalen Radio- und Fernsehsendestationen und die Mehrzahl der
regionalen Radio- und Fernsehgesellschaften (GTRK). Die
Nachrichtenagentur "RIA Novosti" war bereits vorher der VGTRK
angegliedert worden. Ferner hatte man der VGTRK die größtmögliche
finanzielle Unterstützung durch den Staat zugedacht. Neben
Schuldenerlassen, Steuer- und Zollbefreiungen sowie der ständigen
Finanzierung aus dem Haushalt wurden Auslandsanleihen in Höhe von 860
Mio. US-$ in Aussicht gestellt. Ebenso sollten die Erlöse aus der
Vermietung von VGTRK-Eigentum und die Sendegebühren, die von den
privaten regionalen Fernseh- und Radiogesellschaften zu bezahlen sein würden,
der VGTRK zur freien Verfügung zustehen. Schließlich plante man die Gründung
einer landesweiten "RTR-Bank", um die über den FSTR
erhaltenen Haushaltsmittel zu konzentrieren und zu verwalten. Solche
Maßnahmen hätten nicht nur in den Markt der Massenmedien substantiell
eingegriffen und die halbstaatliche Fernsehgesellschaft ORT auf den
zweiten oder dritten Platz verwiesen, sondern es wären auch die
wirtschaftlichen Interessen der Moskauer Großbanken berührt worden.
Die sogenannten "Oligarchen" wären nicht mehr unter sich
gewesen. Der Plan wurde indessen frühzeitig bekannt und löste in der
Öffentlichkeit scharfe Proteste sowie in der Regierung eine intensive
Beratungstätigkeit aus. Man brachte dem Premierminister nahe, welche
weitreichenden Folgen die Verordnung in dieser Form für alle
Beteiligten haben könnte. Die Regierung setzte daher die Revision der
Verordnung in Gang, und insbesondere die großzügige Auslandsanleihe in
Höhe von 860 Mio. US-$ sowie die Übergabe der staatlichen Satelliten
wurden gestrichen. Auch die beiden Fernsehtürme Ostankino und Šuchov
sollten nicht mehr der VGTRK angehören. Erst nach einer gründlichen Überarbeitung
der ursprünglichen Pläne wurde etwa einen Monat später die
Regierungsverordnung Nr. 844 unterzeichnet und in Kraft gesetzt. Inzwischen
hatten auch manche Gouverneure und ihre regionalen Administrationen genügend
Zeit gefunden, die wertvollsten Bestandteile der örtlichen
Fernsehgesellschaften aus den Büchern austragen zu lassen und in
Sicherheit zu bringen - schließlich waren die regionalen GTRK´s
vorwiegend mit eigenen Mitteln aufgebaut worden und man betrachtete die
Übergabe an die zentral von Moskau aus verwaltete Holding gewissermaßen
als Enteignung. Dem VGTRK-Projekt war somit die wirtschaftliche
Grundlage zum großen Teil bereits entzogen worden, noch bevor die
Umsetzung überhaupt begann. Offensichtlich hatte die Regierung der RF
aus den früheren Versuchen, ihr staatliches Programm der
Massenprivatisierung in den Regionen umzusetzen (1992-94), nichts
dazugelernt. Darüber
hinaus richteten die Generaldirektoren und Präsidenten der anderen
zentralen Fernsehgesellschaften (ORT, NTV, Ren-TV, TV-6 usw.) am 10.
August einen offenen Brief an den Präsidenten B. El´cin, in dem sie
die Verfassungswidrigkeit der Regierungsverordnung Nr. 844 geltend
machten. Die auch nach der Revision der Verordnung immer noch sehr
weitgehende finanzielle Unterstützung durch den Staat, d. h.
insbesondere die einseitigen Steuererleichterungen und die Möglichkeit
der VGTRK, mit Hilfe des Besitzes der regionalen Sendestationen den örtlichen
privaten Massenmedien Gebühren diktieren und Bedingungen machen zu können,
stellte nach der Ansicht der Unterzeichner eine unangemessene
Bevorzugung der VGTRK dar. Artikel 8 und 34 der Verfassung der RF verböten
Monopole und unfairen Wettbewerb und garantierten allen Teilnehmern des
Marktes unabhängig von ihrer Organisationsform grundsätzlich die
gleichen Bedingungen. Der Präsident der RF ließ daraufhin von seinem
Urlaubsort aus vermelden, alle Massenmedien hätten die gleichen Rechte
und sollten prinzipiell denselben Wettbewerbsbedingungen unterliegen.
Angesichts der desolaten finanziellen Situation, in der sich die VGTRK
befand, wurde die Finanzierung ihrer Reorganisation damit überhaupt in
Frage gestellt. c) Finanz- und Bankenkrise 1998 Aufgrund
der am 17. August 1998 ausgebrochenen Banken- und Staatskrise geriet die
Ausführung der Pläne für den Aufbau des einheitlichen VGTRK-Komplexes
weiter ins Stocken. Die Mittel aus dem Staatshaushalt deckten 1998 nur
noch einen Bruchteil der gesamten Ausgaben der VGTRK ab, und die selbständige
Finanzierung des Programms wurde sehr dadurch erschwert, dass der
Reklamemarkt seit August 1998 stark rückläufig war.[5]
Alle Massenmedien befanden sich nach dem Verfall des Rubel und dem
erneuten Anstieg der Produktionskosten in beträchtlichen finanziellen
Schwierigkeiten. Auch die Situation der ORT-Aktiengesellschaft
(Staatsanteil 51%) wirkte nicht ermutigend. Im November 1998 hatten
Gerichtsvollzieher bereits damit begonnen, das Eigentum von ORT zu
sichten.[6]
Im Dezember wurde das Verfahren eingestellt, und die Regierung der RF
gewährte der ORT einen einjährigen Kredit über ca. 100 Millionen US-$
gegen Verpfändung von 5 % staatlichen und 5 % privaten ORT-Aktien. M.
Berger schrieb über die Schwächung der sogenannten
"Oligarchen", die als die eigentlichen Verlierer aus der
Augustkrise hervorgingen: "Die
Regierung ist in die Fußstapfen der Oneximbank getreten. Alles hat sich
um 180° gewendet. Vor gar nicht allzu langer Zeit halfen kommerzielle
Strukturen der Regierung damit, dass sie den Haushalt mit Krediten ergänzten
und dafür als Pfand Aktien der Staatsunternehmen erhielten. Heute
vergibt die Regierung Kredite an die Aktiengesellschaften und erhält
dafür Aktien zum Pfand. Es ist wohlbekannt, womit die Verpfändung
staatlicher Aktienpakete an die Bankgruppen endete. Der Kredit wurde
nicht zurückgezahlt; die Regierung gab sich nicht einmal den Anschein,
als wolle sie ihn zurückzahlen. Die Aktien der "Norilsk
Nickel"-AG kamen in den Besitz der Oneximbank, genauso wie die
Aktien anderer Staatsunternehmen dem Eigentum der Banken und Kreditgeber
des Staates anheimfielen. (...)" [7] Als
Ursache für diese Vorgänge - Reorganisation der VGTRK und
Konkursverfahren gegen ORT - nannte man zwar neben den wirtschaftlichen
Problemen auch politische Ambitionen im Vorfeld der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen
1999 / 2000. Es kann aber dennoch festgehalten werden, dass die längerfristige
Finanzierung zweier staatlicher Fernsehkanäle eine größere Belastung
für den russischen Staatshaushalt bedeuten würde.[8]
Die geplanten Umstrukturierungen bei der VGTRK sind nicht zuletzt auch
wegen finanzieller Schwierigkeiten ins Werk gesetzt worden. Sie sollten
der Steigerung der Wirtschaftlichkeit der staatlichen
Fernsehgesellschaften dienen. Die Verwirklichung des Vorhabens ist daher
keineswegs aufgegeben worden. Im Dezember 1998 wurde bekanntgegeben,
dass die Fernsehkanäle "Rossija" (RTR) und
"Kultura" sowie "Radio Rossii" und die
Nachrichtensendung "Vesti" in eigenständige staatliche
Tochterunternehmen der VGTRK-Holding umgewandelt werden. Im Juli 1999
gehörten der VGTRK bereits 100 regionale Sendezentren (RTPC, RC u. a.)
als Filialen an, und 68 regionale Fernseh- und Radiogesellschaften
(GTRK) waren als Tochterunternehmen registriert. In
den Tochterunternehmen der VGTRK soll - dem Vorbild der erfolgreichen
Erneuerung der RIA "Novosti" folgend - unter der Losung "Auf
des Staates Hilfe können wir uns nicht verlassen" [9]
nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen gearbeitet und Gewinn erzielt
werden. Das Vorhaben, die VGTRK durch Reorganisation zu stärken, hat
sich nach der Krise im August 1998 gewandelt. Es scheint, dass nun die
Sanierung bzw. das wirtschaftliche Überleben der beteiligten
Unternehmen im Vordergrund steht. Dementsprechend klingen auch die Äußerungen
E. Primakovs über die VGTRK bescheidener als die der früheren
Regierung. Vor Vertretern der Medien sagte der Premierminister, die
VGTRK müsse entsprechend ihrer Eigenschaft als staatliches Massenmedium
die "eigene spezielle Nische" finden, die Interessen
und Bedürfnisse des Staats befriedigen und insbesondere im Hinblick auf
die GUS integrativ wirken.[10]
d) Zur Monopolstellung der staatlichen Fernsehgesellschaft Die
verwässerte Regierungsverordnung Nr. 844, die Finanzkrise im August
1998 und das Kommen und Gehen der von Präsident B. El´cin eingesetzten
Regierungen (Černomyrdin, Kirienko, Primakov, Stepašin, Putin)
haben somit die Pläne des Staates, die VGTRK zur Wiedergewinnung des
"einheitlichen Informationsraumes" zu nutzen, in vieler
Hinsicht modifiziert. Die VGTRK hat gegenüber den übrigen zentralen
Massenmedien keine eindeutige Vormachtstellung erlangen können. Der
Reklamemarkt unterlag bis zum Frühjahr/Sommer 1998 einer klaren
Aufteilung. "Video International" besaß die exklusiven
Vermarktungsrechte der Kanäle RTR, NTV, TV-Centr und der Telenetze STS
sowie TNT. "Prem´er SV" hingegen verwaltete ORT, TV-6, den
31. Kanal und das Netz Muz-TV. Die drei größten Fernsehkanäle ORT,
RTR und NTV teilten 85 % des rußländischen Reklamemarktes unter sich
auf; der Marktanteil von ORT (rating-leader 1998) erreichte beinahe den
von RTR und NTV zusammengenommen.[11]
Dieses besondere, seit Jahren bestehende Gleichgewicht wurde auch nicht
dadurch gestört, dass "Prem´er SV" in der Folge der
Bankenkrise ´98 und des Richtungswechsels der Regierung der RF größere
Schwierigkeiten mit den Steuerbehörden bekam und der Leiter von
"Prem´er SV", S. Lisovskij, per Haftbefehl gesucht wurde. ORT
und TV-6 beschlossen, ihre Sendezeit bis auf weiteres in eigener Regie
zu vermarkten. Sogar die Gründung einer neuen Agentur mit ausländischer
Beteiligung erschien wahrscheinlicher als die Übernahme des Geschäfts
durch "Video International". TV-Centr hatte im übrigen schon
im Frühjahr 1998 beschlossen, die Rechte von "Video
International" auf die RA "Maksima" zu übertragen, die
den Status des bevollmächtigten Agenten der Moskauer Stadtregierung
erhielt. Die Aufteilung des zentralen Fernsehreklame-Marktes ließ
demnach kein Monopol entstehen; RTR befindet sich in Konkurrenz zu ORT
und NTV, deren Rating im übrigen bei weitem besser ist. Auch
in den Regionen ist keine Vormacht- oder Monopolstellung der VGTRK zu
beobachten. Lediglich hinsichtlich der staatlichen Sendeanlagen besteht
gegenüber den kleineren und mittleren privaten Fernsehgesellschaften
ein Angebotsmonopol. Der Anteil Privater an den regionalen Märkten
elektronischer Massenmedien ist hoch; er übertrifft um einiges
denjenigen der regionalen GTRK´s. In letzter Zeit war zudem eher die
Expansion privat geführter, wirtschaftlich erfolgreicher Moskauer
Massenmedien in die Regionen zu verzeichnen, als eine Ausweitung der
Machtstellung der VGTRK.[12]
Dabei erscheint die Stärkung der regionalen GTRK´s hinsichtlich der
Begrenzung der Macht regionaler Administrationen u.U. sogar als
sinnvolle Maßnahme: "An
unserer Umfrage nahmen auch 19 Vertreter staatlicher Massenmedien teil.
Fast alle Leiter staatlicher Massenmedien haben übrigens auf die Frage
"Wem gebührt die tatsächliche Kontrolle über ihr
Massenmedium?" immer mit "die Administration"
geantwortet, und nicht mit "der Steuerzahler".
Dieses offensichtlich deshalb, weil es gerade die Administration
ist, die die Haushaltsmittel verteilt und über "Sein oder
Nicht-Sein" einer Ausgabe entscheidet. In allen Regionen haben die
GTRK - die Tochterunternehmen der VGTRK - eine Sonderstellung erlangt.
Sie sind Gesellschaften, die unter föderaler Aufsicht stehen,
wenngleich auch örtliche Administrationen zu ihren Mitbegründern zählen.
Den Fragebögen der Leiter der GTRK ist zu entnehmen, dass sie allein
die "Vorgesetzten" in Moskau vorbehaltlos anerkennen und sich
traditionsgemäß für ziemlich unabhängig von den örtlichen
Exekutiven halten." [13]
Es
bleibt jedoch abzuwarten, ob die Schaffung der Super-Holding VGTRK tatsächlich
diesen positiven Effekt und nicht im Gegenteil viele andere negative
Folgen nach sich zieht. M. Fedotov stellt in seinem neuen Kommentar zur
Mediengesetzgebung der RF die VGTRK in den Zusammenhang des fortwährenden
Machtkampfes des Kreml mit den übrigen politischen Kräften des Landes,
namentlich der Staatsduma, und vergleicht die VGTRK mit dem früheren
„Föderalen Informationszentrum“ (FIZ, vgl. zweites Kapitel, 6. c),
einer schon damals im Hinblick auf die Pressefreiheit unheilvoll
erscheinenden staatlichen Machtzusammenballung. Die wahren Motive zur Gründung
der VGTRK-Holding sieht Fedotov nunmehr vor allem in der Absicht des
Kreml, den immer erfolgreicheren nichtstaatlichen Massenmedien Einhalt
zu gebieten, ihnen zumindest ein erhebliches, nicht nur politisches,
sondern auch wirtschaftliches Gegengewicht entgegenzusetzen. Zugleich
stellt er die Frage: „Aber
kann denn ein derartiges Schema der Monopolisierung des staatlichen
Fernsehens in einer einzigen Hand zu Zeiten freier Programmwahl effektiv
sein? Wo ist die Garantie dafür, dass der Zuschauer ausgerechnet die
Sendungen dieser Holding bevorzugt? Wo ist die Garantie dafür, dass die
örtlichen Fernsehgesellschaften es vorziehen werden, die Anweisungen
aus Moskau zu befolgen, und nicht die der Gebietsadministrationen? Die
Tatsache, dass sich die wichtigsten Mittel der örtlichen
Fernsehgesellschaften und Sendezentren im föderalen Eigentum befinden,
bestimmt noch bei weitem nicht die politische Ausrichtung ihrer
Sendungen. Die lokale Elite mit ihren politischen Sympathien und
Antipathien, ihren materiellen und übrigen Möglichkeiten ist immer vor
Ort, und das bedeutet, der „Arm Moskaus“ wird sicher am kürzeren
Hebel ziehen.“ [14] So berechtigt der Einwand des Heimvorteils der lokalen Eliten auch ist, gleichwohl darf man nicht übersehen, dass sich die zentrale Staatsgewalt in entscheidenden Momenten - wie denen der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen - sehr wohl durchzusetzen vermag und offensichtlich auch nicht davor zurückschreckt, die ihr zur Verfügung stehenden politischen und ökonomischen Mittel zur Erreichung von Zielen gesamtstaatlicher Bedeutung einzusetzen. Im übrigen spricht die der Pressefreiheit regelmäßig gefährlich werdende Macht der Gebietsadministrationen gerade dafür, den örtlichen GTRK´s eine übergeordnete Aufsichtsinstanz zu gewähren – erstens als Ausgleich für die hohe Abhängigkeit der GTRK´s von den Gouverneuren und Gebietsparlamenten, und zweitens zugunsten einer besseren Transparenz bei den Massenmedien selbst. Denn die föderale Staatsgewalt hat gegenüber der lokalen Elite einen entscheidenden Nachteil zu befürchten: Sie kann ihre Einflussnahme auf die Massenmedien bei weitem nicht so gut vertuschen.
e) Zur Staatsferne der staatlichen Fernsehgesellschaft Die
VGTRK genießt aufgrund ihres Mitarbeiterstabes und ihrer Geschichte
eine weitaus eigenständigere Position, als es der 100%-ige Staatsbesitz
und die faktische Personalhoheit der Regierung der RF vermuten lassen.
In der Endphase der Perestrojka rang B. El´cin in seiner Eigenschaft
als Präsident der RSFSR dem Präsidenten der UdSSR Gorbačev
Sendezeit für ein rußländisches Fernsehprogramm im zweiten Kanal ab.
Hieraus entstand unter der Leitung von O. Popcov das zweite, gegenüber
der UdSSR oppositionelle Fernsehprogramm "Rossija" (RTR). O.
Dobrodeev, der Generaldirektor von NTV, weist im Interview auf die
Tradition der unabhängigen Redaktionspolitik des zweiten Programms hin.
Auf die Frage, ob die VGTRK, die bei den bevorstehenden Wahlen
1999/2000 neben ORT und NTV zu den hauptsächlichen Medienakteuren zählt,
nicht vollständig von der Exekutive bzw. der Regierung der RF abhänge,
antwortete er: "Formal
- ja. Aber dennoch ist der Informationsdienst kein mechanisches
Spielzeug. Man darf den menschlichen Faktor nicht unberücksichtigt
lassen. Man muss sich daran erinnern, wie dieser Dienst entstand.
"Vesti" entwickelte sich als ausgesprochen unabhängiger
Informationsträger mit unmissverständlich zum Ausdruck gebrachter
eigenständiger Position. Dass diese Traditionen bei ihnen lebendig
geblieben sind, haben sie mehr als einmal im Verlauf ihrer Geschichte
bewiesen. Bei RTR kann man natürlich schon mal ein Sujet durchdrücken,
das den Generalstaatsanwalt entstellt, aber der von mir sogenannte
Faktor "des Widerstands des menschlichen Materials" erschwert
es jeder politischen Kraft beträchtlich, dem Kanal einheitliche
Verhaltensmaßregeln aufs Auge zu drücken. Damit die einheitliche Linie
wirklich deutlich wird, sind bei den Journalisten gewöhnlich Wille,
Festigkeit und der Glaube an die eigene wahrheitsgemäße
Berichterstattung vorauszusetzen. Mit banalem Druck kann man kein
Ergebnis erreichen - das Fernsehen wird von Menschen gemacht." [15] Im
Vergleich hierzu stellt A. Kačkaeva in ihrem Bericht über den
Konzentrationsprozess der rußländischen Massenmedien den
Regierungseinfluss beim zweiten Kanal sehr viel kritischer dar. Zum erwähnten
Kompromat gegen den Generalstaatsanwalt J. Skuratov, das mit
Videoaufnahmen aus einem Massagesalon den Verdacht der Bestechlichkeit
und der Verbindung zu kriminellen Strukturen nahe legen sollte, führt
sie aus: "In der letzten Zeit wurde die politische Linie der
Gesellschaft von Leuten aus der Präsidialadministration und von Michail
Lesin bestimmt, der der "Familie" [des Präsidenten, d.
Verf.] schon immer nahe stand.[16]
Gerade die staatliche Fernsehgesellschaft zeigte das berühmte
Videoband mit dem "Mann, der dem Generalstaatsanwalt ähnelte"
und provozierte damit, wie sich bald darauf zeigen sollte, eine
dauerhafte politische Krise, die der Absetzung der Regierung E. Primakov
in vieler Hinsicht den Boden bereitete. Alle Versuche, Leute aus einem
anderen, nicht zur Präsidentenseite gehörigen Lager auf leitende
Posten zu bringen, begegneten hartem Widerstand von Seiten der Präsidialadministration
(eindrückliches Beispiel - die kategorische Absage, den "Mann
Primakovs" Jurij Kabaladze zum stellvertretenden Vorsitzenden der
Gesellschaft zu ernennen."
[17]
Die
Personalhoheit des Präsidenten der RF über die VGTRK einerseits und
das Ansehen des zweiten Programms, eine relativ eigenständige
Redaktionspolitik zu betreiben, andererseits, führen also zu
Schwierigkeiten bei der Beurteilung der Frage, wie unabhängig die
staatliche Fernsehgesellschaft tatsächlich ist. Fest steht jedenfalls
aufgrund der zu beobachtenden weitreichenden Einflussmöglichkeiten des
Präsidenten der RF, dass sich die verfassungsrechtlich vorgesehene
Freiheit der staatlichen Massenmedien noch nicht ausreichend
institutionalisieren ließ. Vielleicht nicht bei der täglichen
Berichterstattung, aber doch in den entscheidenden Momenten zeigt sich
immer wieder die unmittelbare Unterordnung des staatlichen Massenmediums
unter die Staatsgewalt. Aus der Sicht des Präsidenten El´cin, der
wiederholt als Garant der Pressefreiheit aufgetreten ist und die
Massenmedien gegen einschränkende Gesetzesprojekte der Legislative
verteidigt hat, kann diese Sachlage kaum bedenklich erscheinen. Aus der
Sicht der Medien müssen aber Zweifel an der Zukunft der Pressefreiheit
laut werden. Zu viel hängt von der persönlichen Schutzmacht des Präsidenten
ab, und zu wenig haben sich die staatlichen Massenmedien neben den
privat geführten als öffentliche, regierungsunabhängige Programme
etablieren können. Dabei hat es bisher eher an der Absicht des Staates
als an den tatsächlichen Möglichkeiten gefehlt, eine konsequente
staatliche Medienpolitik zu betreiben. A. Kačkaeva charakterisiert
den Staat im übrigen nicht nur als autoritären, sondern auch als
ineffizienten Eigentümer von Massenmedien: "Nach
dem Zusammenbruch der zentralisierten Planwirtschaft hat es der Staat
nicht vermocht, sich auf dem Gebiet der Massenmedien in einen
effizienten Eigentümer zu verwandeln, obgleich er nach wie vor der bei
weitem größte Eigentümer in den Bereichen Papier und Druck,
Sendeanlagen, Produktionsfläche usw. geblieben ist. Keine Reformen oder
präsidentiellen Dekrete haben bisher die Auflagenzahlen der staatlichen
Ausgaben erhöht oder die staatlichen Fernsehgesellschaften rentabler
werden lassen. Hierzu trug in nicht geringem Umfang bei, dass sich die
"Spielregeln" beständig in Abhängigkeit von der politischen
Zweckmäßigkeit geändert haben, beeinflusst von den lobbyistischen Möglichkeiten
unternehmungslustiger Geschäftsleute und den Privatinteressen
staatlicher Bediensteter, die aufgrund der fehlenden nationalen
Medienpolitik dazu gezwungen waren, sich zu drehen und zu wenden. Daher
unterzeichnet der Präsident einmal einen Ukas über die
Vergesellschaftung des größten Staatsunternehmens
"Ostankino", ein andermal stellt er per Ukas einen nationalen
Kanal der kommerziellen Fernsehgesellschaft NTV zur Verfügung, und der
Ukas vom Mai 1998 [über die Reorganisation der VGTRK, d. Verf.] ist nun
offenbar ein Zeichen verspäteter Besorgnis über das Staatsfernsehen,
aufgrund derer eine staatliche Korporation mit dem nicht gerade
wohlklingenden Namen EPTK [russ. Abkürzung, = Einheitlicher
produktionstechnischer Komplex, d. Verf.] das Licht der Welt erblickte.
Die Lage der nationalen staatlichen Massenmedien ist äußerst instabil.
Der Personalbestand ist aufgebläht, die Finanzierung dürftig, und die
Qualität der Produktionen bleibt beträchtlich hinter derjenigen
nichtstaatlicher Massenmedien zurück. Nicht eines der offiziellen Blätter
der Regierung oder der Präsidialadministration kann man als
einflussreich bezeichnen. ORT, das sich zu 51 % im staatlichen
Aktienbesitz befindet, wurde von privaten Aktionären kontrolliert, und
zwei Jahre wurden die Mittel für seine Finanzierung überhaupt nicht in
den Haushalt eingestellt. Und der einzigen gesamtrußländischen
staatlichen Fernsehgesellschaft VGTRK teilte man in der letzten Zeit
etwa 40 % der vorgesehenen Haushaltsmittel zu. Daher erzielen die
staatlichen Medien ihre Einnahmen, wie und wo sie nur können, nehmen
alle möglichen Privilegien in Anspruch, die den Massenmedien gewährt
werden, und bleiben selbst dann in der Regel verlustbringend." [18] Bei
einer wertenden Beurteilung der Reorganisation der VGTRK sind demnach
nicht nur die zahlreichen Korrekturen in Rechnung zu stellen, denen der
anfängliche Plan des Ausbaus der VGTRK unterzogen wurde, sondern auch
die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, mit denen die staatlich
finanzierten Massenmedien kämpfen, sowie die Konkurrenzsituation mit
den anderen großen Sendern. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die
Größe des Zusammenschlusses noch nichts über die Qualität der
beteiligten Gesellschaften und den Wert ihres Vermögens aussagt. Die
technische Ausrüstung der VGTRK-Gesellschaften scheint nicht allerorten
auf dem neuesten Stand zu sein. In nichtstaatliche Massenmedien wurde in
den letzten Jahren weitaus mehr investiert als in staatliche. Das Bild
der landesweiten, allesumfassenden VGTRK-Holding wirkt somit vorerst
imposanter, als es in Wirklichkeit ist. Aber aus einem kleinen Bär wird
im Laufe der Zeit gewöhnlich ein großer. Im Konzert zusammen mit ORT
und den Gebietsadministrationen, die sich der Kreml-Partei
„Einheit“ oder „Medved´“ angeschlossen hatten, gelang bei den
Duma- und Präsidentschaftswahlen 1999/2000 binnen weniger Monate die völlige
Desavouierung der von E. Primakov und Ju. Lužkov angeführten
Oppositionsbewegung, die im Sommer/Herbst 1999 noch alle Chancen auf
einen Wahlsieg hatte. f) Neues Ministerium in Angelegenheiten der Presse, des Rundfunks und der Mittel der Massenkommunikation Die
Liquidierung des FSTR und des Staatlichen Pressekomitees und die Bündelung
ihrer Funktionen beim neuen "Ministerium in Angelegenheiten der
Presse, des Rundfunks und der Mittel der Massenkommunikation"[19]
im Sommer 1999 war eine Maßnahme, die auf den ersten Blick nichts mit
der Reorganisation der VGTRK zu tun hatte. Sie stellte sich aber bei
genauerem Hinsehen als eine Fortsetzung der staatlichen, d. h. präsidentiellen
Medienpolitik mit anderen Mitteln dar. Der FSTR, dessen Aufgabenbereich
durch die Reorganisation der VGTRK bereits beträchtlich beschnitten
worden war, wurde vollends aufgelöst, und mit ihm verschwand ein
unbequemer Kritiker der VGTRK. In einem Gutachten des FSTR über die Tätigkeit
der VGTRK hatte es geheißen: "Im Zusammenhang mit der Weigerung
der VGTRK-Leitung, die Finanzdokumente vorzulegen, die zur vollständigen
Analyse der programmlichen und finanziellen Tätigkeit notwendig sind,
ist es zweckmäßig, dass die Brigaden des Finanzministeriums der RF
eine Überprüfung durchführen." [20]
Als Sieger des Konflikts
ging M. Lesin hervor, der "Aktivist des Wahlkampfstabes El´cins
von 1996, Organisator der Reklamekampagne im Fernsehen, Gründer der größten
Reklameagentur `Video International´, Ideologe und Hauptmanager der
staatlichen Medienholding VGTRK". [21]
Seine
Ernennung zum Minister in Angelegenheiten der Presse, des Rundfunks und
der Mittel der Massenkommunikation wurde von vielen Beobachtern als
Vorbereitung des Kreml´ im Hinblick auf die Parlamentswahlen Ende 1999
und die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2000 bewertet. In die gleiche
Richtung weist auch die Ernennung I. Šabdurasulovs, des
Generaldirektors von ORT, zum ersten Stellvertreter des Leiters der Präsidialadministration.[22]
Zum anderen ist aber auch davon auszugehen, dass der neue Minister und
Werbefachmann Lesin die Finanzströme der Medienindustrie kontrollieren
und den Zentralismus der VGTRK-Holding gegenüber den Gouverneuren der
rußländischen Regionen vertreten wird.[23]
Im Interview mit E. Rykovceva von den "Moskovskie novosti"
wird deutlich, dass Lesin ein wahrer "Biznesmen" ist. Auf die
Frage, ob die Medien nicht zu recht die Konzentration der staatlichen
Kontrolle bei einem "Agitprop-Ministerium" ablehnten,
antwortete er, dass der Staat wie eine Aktiengesellschaft das Recht dazu
hätte, seine Leitungsmacht zu koordinieren und zu bündeln.[24]
Den Vorwurf des Interessenkonflikts bei seiner früheren Stellung als
Firmengründer von "Video International" und Manager der
staatlichen VGTRK wies er mit den Worten zurück, er sei erst mit seiner
Ernennung zum Minister ein Staatsbeamter geworden. Als die VGTRK einmal
dringend einen Kredit benötigte, habe er persönlich und nicht etwa
"Video International" das Geld zur Verfügung gestellt.
Hinsichtlich der zukünftigen Kontrollfunktionen des neuen Ministeriums
versicherte Lesin, dass man sich bei der Verhängung von Sanktionen
gegenüber den Massenmedien streng an das Gesetz halten müsse. Er fügte
hinzu, ein spezielles Gesetz über die politische Reklame sei so
notwendig wie die Luft zum Atmen. Wenige Wochen später, am 2. September 1999, erschütterte der erste Stillegungs-Prikaz die Medien. Die Fernsehgesellschaft "Peterburg" (früher "5. Kanal Peterburg") hatte am 30. August 1999 die Sendung A. Nevzorovs "Politika: Peterburgskij stil´" nochmals ausgestrahlt, in der die politische Sammelbewegung der Demokraten um Nemcov und Chakamada "Pravoe delo" sehr negativ dargestellt wurde. Außerdem zeigte der Film Bilder von strippenden Teenagern im Stadion, die in die Kamera sprachen, dass viele in der Menge Drogen nähmen. Da ORT kurz zuvor wegen der gleichen Sendung bereits verwarnt worden war, hob das Ministerium in Angelegenheiten der Presse, des Rundfunks und der Mittel der Massenkommunikation die Sendelizenz der Fernsehgesellschaft "Peterburg" auf und verfügte, sie dürfe erst dann wider auf Sendung gehen, wenn versichert würde, dass solche Zuwiderhandlungen nicht mehr vorkämen. Die Leitung der Fernsehgesellschaft musste eine schriftliche Erklärung unterzeichnen, in der sie einräumte, "die Medienregeln der Regierung" verletzt zu haben.[25] Daraufhin wurde das Signal nach einem Tag Sendepause wieder freigegeben. Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Vorgehensweise des Ministeriums bestehen Zweifel, denn es scheint, dass weder eine Gerichtsentscheidung über die Einstellung des Massenmediums noch eine ordnungsgemäße Verwarnung an die betreffende Fernsehgesellschaft ergangen ist. [1]
Siehe fünftes Kapitel, 3. b). [2]
Vgl. G. Luchterhandt (1998), Institutionalisierungsprozesse in der
Politik seit der Verfassungsreform 1993, in: Das neue Rußland in
Politik und Kultur, Hrsg. Forschungsstelle Osteuropa, Bremen, S. 26
(28 ff.). [3] A. Kačkaeva (1998), Rossijskie imperii SMI, in: urnalist Juni ´98, S.
24. [4] Vgl. Nezavisimaja gazeta, 13. August 1998. Übersetzung
ins Englische in: Post-Soviet Media Law & Policy Newsletter,
Issue 48-49, September 1998, Russia. [5]
Korr. RIA "Novosti", 25.12.1998: "Boris El´cin poobeščal
rukovoditeljam ORT, VGTRK i NTV političskuju i moral´nuju
podderžku": RTR soll 1998 nur zu einem Fünftel aus
Haushaltsmitteln finanziert worden sein und während der Krise einen
Rückgang der Werbeeinnahmen von über 90% verbucht haben. [6]
S. Aristarchov (1998), Den´gi dlja diktatury televidenija, in:
Izvestija 25.12.1998, stellt allerdings die Frage, wo die
monatlichen, ausschließlich von "Prem´er-SV" verwalteten
Reklamegewinne bei ORT in Höhe von ca. 9 Mio. US-$ geblieben sind. [7]
Vgl. M. Berger (1998), ORT - eto "Noril´skij Nikel´"
naoborot, in: Segodnja, 29.12.1998 (Übers. d. Verf.). [8]
Selbst dann, wenn der Reklamemarkt wieder gesundet, könnte die
Beteiligung privater Investoren unabdingbar werden. Der australische
"Medienmagnat" Rupert Murdoch bemühte sich bisher
vergeblich, Anteile an ORT zu erwerben. Vgl. E. Rykovceva (1999),
"Televizor dlja MAGNATA - Stanet li Rupert Merdok chozjainom
ORT", in: Moskovskie novosti No. 4 (31.01. - 07.02.1999), S. 12
/ 13: Die Angebote R. Murdochs stießen in Regierungskreisen nicht
nur auf Gegenliebe. [9]
Zitiert von: S. Avdeenko (1999), Chozjaeva gosudarstvennych
"novostej" - Novoe rukovodstvo RIA "Novosti" c
uspechom vnedrjaet v kazennom informacionnom agentstve kommerčeskij
opyt, in: Itogi 11. Mai 1999, S. 16 (17). [10]
Interfax Moskau, 8. Dezember 1998, in: Post-Soviet Media Law & Policy
Newsletter, Issue 51 (December 1998), Russia. [11]
Centr "Pravo i sredstva massovoj informacii" / A. Kačkaeva
(1999), Rossijskie sredstva massovoj informacii: k voprosu o
koncentracii i prozračnosti SMI v Rossii (1999), Teil 2:
"Reklamnyj rynok na obščenacional´nom urovne". [12] Vgl. Centr "Pravo i sredstva massovoj informacii" / A. Kačkaeva,
aaO. Teil 2, "Osobennosti rossijskich `medija-imperij´": Am
Konkurrenzkampf um regionale Partner und Auditorien nahmen alle fünf
Fernsehnetze teil, nämlich TNT und Media-Most, REN-TV und Lukojl,
AST und Gazprom, TV-Centr und die Moskauer Stadtregierung, STS und
die amerikanische Story First. [13] Centr "Pravo i sredstva massovoj informacii" / A. Kačkaeva,
aaO. Teil 2, "Gosudarstvennye izdanija (osnovnoj istočnik
finansirovanija - budet)". [14] M. Fedotov (1999), Pozitivnoe pravo massovoj informacii,
Naucno-prakticeskij kommentarij zakonodatel´stvu RF o SMI, Kapitel
“Bor´ba za SMI: Pravovoj kontekst”. [15] B. Stoljarov (1999), Intervju c general´nym direktorom NTV o formirujuščemcja
predvybornom media-rinke i o meste NTV v nem, in: Novaja gazeta No
22 (545), 21. - 23. Juni 1999, S. 7. [16]
M. Ju. Lesin wurde im Juli 1999 zum Minister der RF für
Angelegenheiten der Presse, des Fernseh- und Rundfunks und der
Massenkommunikationsmittel ernannt. Das durch präsidentielles
Dekret "Über die Vervollkommnung der staatlichen Leitung
auf dem Gebiet der Masseninformation und der
Massenkommunikation" vom 6. Juli 1999 neugebildete
Ministerium ersetzt das Staatliche Pressekomitee der RF und den
FSTR. Siehe unten 1. f).
[17] Centr "Pravo i sredstva massovoj informacii" / A. Kačkaeva
(1999), aaO. Teil 2, "Gosudarstvennye SMI". [18] Centr "Pravo i sredstva massovoj informacii" / A. Kačkaeva
(1999), aaO. Teil 2, "Gosudarstvennye SMI" (Übers. d.
Verf.). [19]
Präsidentielles Dekret Nr. 885 vom 6. Juli 1999 "Über die
Vervollkommnung der staatlichen Leitung im Bereich der
Masseninformation und der Massenkommunikation";
Regierungsverfügung N1141-r vom 21. Juli 1999 (betreffend die
Liquidation des FSTR und des Staatlichen Pressekomitees). [20]
Zitiert aus: O. Lur´e (1999), Sekrety Miši - o tom, kak
"novye russkie" zachvatili telebašnju, in: Soveršenno
sekretno No. 8, 1999, S. 12 (13). Lur´e teilt eine Reihe von Umständen
mit, die M. Lesin und der Produktionsfirma "Video
International" zum Aufstieg verhalfen. Nach seiner Ansicht
betrachten Geschäftsleute wie M. Lesin die großen Fernsehkanäle
des Landes als Goldesel. [21] A. Kačkaeva / F. Fossato (1999), Rossijskie informacionnye imperii,
versija V (Radio Free Europe / Radio Liberty), unter: "Pravitel´stvo". [22]
Meldung der Nachrichtenagentur RIA Novosti vom 3. September 1999.
Nachfolger von Šabdurasulov bei ORT soll K. Ernst werden. [23] A. Kačkaeva / F. Fossato (1999), aaO. [24] E. Rykovceva (1999), "Michail Lesin: `My informacionnye vojny uže
prochodili´, in: Moskovskie novosti Nr. 27 (995), 20. - 26. Juli
1999. [25]
A. Badchen (1999), State Lets Petersburg TV Back On Air, in: St.
Petersburg Times # 498, 7. September 1999.
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