10.
Zusammenfassende Bewertung
Die
gesetzlichen Ausgestaltungen der Freiheitsrechte des Art. 29 Verf RF
zeigen die Vorzüge und die Grenzen des Gesetzes "Über die
Massenmedien". Es lässt sich zwar nicht alles durch ein
grundlegendes und vorrangiges Mediengesetz regeln, aber die große
Weitreiche dieses Gesetzes erwies sich im Nachhinein gesehen als
Vorteil. Dort, wo bewusst Lücken gelassen wurden, machten sich diese später
bemerkbar. Die Regelung der Lizenzierung der elektronischen Massenmedien
und der öffentlichen Aufsicht über Fernsehen und Rundfunk blieben
einem speziellen Gesetz vorbehalten, und niemand hätte vorhersehen können,
dass es jahrelang nicht gelingen würde, sich über einen Gesetzentwurf
zu einigen. Die rechtliche Normierung dieses Regelungsbereiches durch präsidentielle
Dekrete und Regierungsverordnungen kann nur als vorläufig und behelfsmäßig
bezeichnet werden. Die Lizenzierung der Tätigkeit von Fernseh- und
Radiogesellschaften wurde nach der Beendigung des langen Machtkampfes
zwischen der Seite des Präsidenten der RF und dem Obersten Sowjet einem
direkt der Regierung unterstehenden staatlichen Dienst anvertraut, der
bei der Entscheidungsfindung keineswegs dazu verpflichtet ist, das
Parlament oder unabhängige Fachleute des Medienbereichs zu beteiligen.
Die Lizenzerteilung und die Erneuerung der Lizenzen wurde so zu einem
schwer durchschaubaren Staatsakt, bei dem die Antragsteller sich in die
Hände der Staatsverwaltung begeben mussten, ohne auf rechtliche
Sicherheiten in Form fester Anspruchsvoraussetzungen oder öffentlicher
Ausschreibungen zählen zu können. Erst im Sommer 1999 erklärte man
die Durchführung von Ausschreibungen zur notwendigen Voraussetzung der
Lizenzvergabe. Die
Praxis im Bereich der elektronischen Massenmedien führt somit deutlich
vor Augen, dass das frühe Inkrafttreten des Gesetzes "Über die
Massenmedien" zu Beginn des Jahres 1992 für die Printmedien ein Glücksfall
gewesen ist. Immer wieder wird dieses Gesetz als eines der wenigen
erfolgreichen liberalen Gesetze der RF bezeichnet, die wirklich
anwendbar sind, klare Regelungen enthalten und widerspruchsfrei
funktionieren. Die uneingeschränkte Gründungsfreiheit, der starke
Auskunftsanspruch der Redaktionen gegenüber staatlichen Stellen, das
weitreichende Zensurverbot sowie die wichtigen Rechtsgarantien gegen
den willkürlichen Entzug der Akkreditierung von Journalisten und die
unrechtmäßige Einstellung eines Massenmediums unterstützen
vorbehaltlos die verfassungsrechtlichen Freiheitsgarantien des Art. 29
Verf RF. Lediglich der Nachteil, dass das Gesetz allein die
zivilrechtliche Schadensersatzklage vorsieht, um gegen die
Informationsverweigerung staatlicher Stellen vorzugehen, schwächt die
Informationsrechte der Redaktionen und Journalisten. Das Problem liegt
aber ebenso in der offenbar kaum oder zu wenig vorhandenen Bereitschaft
der Journalisten, bei den staatlichen Informationsträgern ihre
gesetzlichen Rechte geltend zu machen. Die
eingeschränkte Rechtsstellung des Gründers eines Massenmediums diente
bislang mehr der Pressefreiheit, als dass sie den Eigentümern der
Massenmedien schadete. Die Redaktionen bedurften gegenüber den
staatlichen Organisationsstrukturen der Massenmedien aus der Sowjetzeit
einer besonders privilegierten Rechtsstellung. Sogar heute, nach der
erfolgten Teilprivatisierung des Marktes der Massenmedien, hat diese
Regelung ihre Existenzberechtigung noch nicht ganz verloren. Erstens
sind viele Massenmedien staatlich geblieben und haben nicht die Unabhängigkeit
einer öffentlichen Einrichtung erlangt, die dem Gebot der
Staatsfreiheit der Massenmedien entsprechen würde. Der
Generaldirektor der zweiten, ganzstaatlichen Fernsehgesellschaft RTR
wird nach wie vor vom Präsidenten der RF ernannt und entlassen.
Regionale staatliche Massenmedien unterliegen häufig dem direkten
administrativen Einfluss örtlicher Politiker. Und zweitens ist die
rechtliche Privilegierung der Redaktionen nur ein begrenzt wirksames
Hemmnis für private Eigentümer, gilt doch auch in Rußland das eherne
Gesetz "Wer zahlt, bestimmt die Musik". Der festgestellte Modernisierungsbedarf hinsichtlich der Regelung der rechtlichen Beziehungen zwischen dem Gründer, dem Herausgeber, der Redaktion und den Journalisten ist zwar unbestreitbar vorhanden, aber die bisherigen Lösungsversuche dieses Problems (siehe fünftes Kapitel) haben gezeigt, dass auch die bestehende Rechtslage Vorteile bietet. Vor allem sind staatliche und private Gründer im Gesetz "Über die Massenmedien" rechtlich gleichgestellt. Die Ausformung unterschiedlicher Rechtsstellungen, die sich in den Änderungsentwürfen abzeichnet, ruft erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken hervor. Der starke Einfluss der Exekutive auf die staatlichen Massenmedien droht sich eher noch zu verfestigen, als dass eine Lockerung in Sicht wäre. Insofern ist die Beibehaltung der Figur des Gründers eher zu rechtfertigen als die gesetzgeberischen Unterlassungen im Bereich der elektronischen Massenmedien. Schließlich bieten das Bürgerliche Gesetzbuch der RF sowie das Aktiengesetz und das GmbH-Gesetz der RF alle Mittel zur zweifelsfreien Bestimmung der eigentumsrechtlichen Verhältnisse einer juristischen Person - das hauptsächliche Problem scheint hier eher die fehlende Transparenz der russischen Wirtschaftsunternehmen insgesamt und der Medienunternehmen im besonderen zu sein (vgl. siebtes Kapitel 2. d).
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