2. Gesetzesprojekt "Über das Recht auf Information" a) Vorgeschichte des Gesetzesprojekts Das
Gesetzesprojekt "Über das Recht auf Information" wurde im
Auftrag des Präsidenten der RF vom Justizministerium ausgearbeitet und
zirkulierte lange Zeit in den verschiedensten staatlichen und
gesellschaftlichen Kreisen. Sowohl die Generalstaatsanwaltschaft der RF
als auch das Pressekomitee der RF, der FSTR und andere staatliche
Stellen hatten Gelegenheit, ihre Stellungnahme abzugeben. Im Herbst 1997
wurde der Text schließlich vorläufig zur weiteren Bearbeitung und
Vervollständigung in erster Lesung angenommen, und zwar unverändert in
der Form, in der das Projekt am 8. Juni 1996 im Namen des Präsidenten
der RF in die Beratung eingebracht worden war.[1]
Ein
Sprecher des parlamentarischen "Komitees für Informationspolitik
und Fernmeldewesen" erläuterte in der ersten Lesung über das
Projekt die Überlegung, aufgrund derer man sich entschloss, so
vorzugehen: Man habe ganz bewusst auf die Einarbeitung der zahlreichen
Verbesserungsvorschläge verzichtet, die seit der Einbringung des
Projektes gemacht worden sind, da man noch bei der Arbeit sei, den
Anwendungsbereich der Bestimmungen zu erweitern und erreichen wolle,
dass nicht nur der allgemeine Auskunftsanspruch des Bürgers, sondern
ganz allgemein die Förderung des Bürgerrechts auf Information besser
und breiter geregelt werde. Deshalb werde man sich auch nicht damit
beeilen, das Projekt sogleich in die zweite Lesung einzubringen, sondern
erst nach dessen umfangreicher Überarbeitung und sorgfältiger
Vorbereitung der nächsten Abstimmung mit dem Projekt fortfahren.[2] Aus
den Worten des Komiteesprechers ging nicht hervor, warum es dann überhaupt
nötig sei, das Gesetzesprojekt in erster Lesung anzunehmen, denn kein
Gesetzesentwurf ist besser als ein schlechter Gesetzesentwurf. Dieses
gilt zumindest dann, wenn das Projekt mehr Fragen aufwirft als
beantwortet und, anstatt klare Regelungen zu bieten und Gesetzeslücken
zu schließen, nur noch mehr Verwirrung stiftet. Selbst die Gewohnheit,
an einem Tag ganze Gesetzespakete zu verabschieden, erklärt im
vorliegenden Fall nicht, warum der Entwurf in erster Lesung angenommen
wurde.[3]
Schon beim ersten Durchlesen fällt auf, dass es sich hier um höchst
unvollständige Regelungen handelt. Zudem wies I. Dzjalošinskij, der
das Gesetzesprojekt analysierte, auf zahlreiche, zum Teil schwerwiegende
Mängel hin.[4]
Trotz der Vorläufigkeit des Textes ist daher zu einigen Punkten
Stellung zu nehmen. b) Kritik des in erster Lesung angenommenen Entwurfs Das
wichtigste Motiv für die Ausarbeitung des Gesetzes "Über das
Recht auf Information" war die Tatsache, dass alle bisherigen föderalen
Gesetze, die im Bereich der Massenmedien verabschiedet wurden, zum
allgemeinen Bürgerrecht auf Information, das in den Artikeln 24 Abs. 2
und 29 Abs. 4 Verf RF zum Ausdruck kommt, keine näheren Aussagen
machen. Das Gesetz "Über die Massenmedien" gewährt den
redaktionsangehörigen Journalisten einen privilegierten
Auskunftsanspruch (Art. 39). Das Gesetz "Über Information,
Informatisation und den Schutz der Information" gewährt den Bürgern
ein Zugangsrecht speziell zu den "staatlichen informationellen
Ressourcen" (Art. 12, 13), d. h. zu den in Bibliotheken, Archiven
und anderen Informationssystemen niedergelegten, auf einem materiellen
Träger fixierten einzelnen Dokumenten, soweit der Zugang zu
ihnen nicht eingeschränkt wird. Es ist also - abgesehen von den
Mindestgarantien der Verfassung[5]
- unbestimmt geblieben, auf welche Informationen der Bürger ein Recht
hat, worin dieses Recht besteht und wie es sich realisieren lässt.
Hinsichtlich der Definitionen "Staatsgeheimnis",
"Amtsgeheimnis", "Dienstgeheimnis", "Geschäftsgeheimnis"[6]
sowie "vertrauliche Information" besteht großer Klärungsbedarf.[7]
In der Praxis kommt es außerdem häufiger vor, dass der Zugang zu einer
Information, die nicht zum Staatsgeheimnis erklärt werden darf, dennoch
auf andere Weise und mit anderer Begründung wiederum eingeschränkt
wird. Schließlich wäre es auch von Vorteil, die administrative Verantwortlichkeit
für die rechtswidrige Zugangsbeschränkung zur freien Information durch
ein Gesetz zu regeln. Alle diese ungelösten Fragen bleiben auch nach
der Lektüre des Gesetzesprojekts unbeantwortet. A. Simonov fasste
zusammen: "Da
haben wir nun ein Gesetzesprojekt (...) über den Zugang zur
Information, das nach meiner Ansicht, wie man so schön sagt, schlimmer
ist als ein Diebstahl. Es ist sehr einfach. Es ist so einfach, dass es
geradezu lächerlich ist, denn es gewährt allen das Recht auf den
Zugang zur Information und verpflichtet niemanden, Informationen zu
geben. (...)" [8]
I.
Dzjalošinskij erklärte diesen Befund damit, dass der Text das Ergebnis
zu vieler Kompromisse darstelle und zuviele Interessen berücksichtigt
worden seien. Aber in Anbetracht dessen, dass die meisten
Verbesserungsvorschläge vor der ersten Lesung des Gesetzesprojektes
noch nicht berücksichtigt wurden, ist dieser Erklärungsversuch
unbefriedigend. Einige Regelungen des Gesetzesprojektes sind zudem
eindeutig zugunsten der staatlichen Stellen ausgestaltet worden und
nicht etwa zugunsten der schnellen, unkomplizierten Information der Bürger.
Zunächst
überrascht die den Behörden unterschiedslos gewährte Frist von 30
Tagen für die Beantwortung jeder Anfrage gleich welchen Inhalts (Art.
7 des Gesetzesentwurfs). Sodann wird mangels genauerer Vorgaben den
Beamten die Möglichkeit eröffnet, die Anfrage mit dem einfachen
Verweis zu beantworten, nicht zuständig zu sein. Da der
Auskunftsanspruch mit der grundsätzlichen Verschwiegenheitspflicht
der Beamten kollidieren kann und dem einzelnen Sachbearbeiter die
interne Auskunftskompetenz in der Regel fehlt, ist es erforderlich, dass
ein Gesetz über das Informationsrecht des Bürgers auf dieses Problem
zumindest eingeht. Außerdem gestattet eine Klausel ausdrücklich die
weitere Beschränkung des Zugangs zu freier Information durch neue föderale
Gesetze (Art. 8, S. 1 am Ende). Für die Beantwortung aller Fragen, die
nicht unmittelbar die Rechte und Freiheiten der Person des Anfragenden
selbst betreffen, soll eine Vergütung entrichtet werden. Für diese
Auskunftsvergütung sind jedoch keine Obergrenzen festgelegt worden
(Art. 10). Den Entwurf schließen die Blankettartikel 12 und 13 ab, die
mit den Überschriften "Gerichtlicher Schutz des Rechts auf
Information" und "Verantwortlichkeit für die Verletzung des
Rechts auf Information" versehen sind, jedoch keinen eigenen
Regelungsgehalt haben. Sie besagen lediglich, dass gegen die Verletzung
des Rechts auf Information der Rechtsweg gegeben ist (welcher
Rechtsweg?) und dass die Verletzer dieses Rechts entsprechend der
Gesetzgebung der RF verantwortlich gemacht werden können. c) Schlussfolgerung: Keine Verbesserung der Informationsrechte der Bürger Der Gesetzesentwurf "Über das Recht auf Information", der am 3. September 1997 in erster Lesung angenommen wurde, verbessert das Informationsrecht der Bürger der RF nicht in dem Maß, dass es sich lohnen würde, ihn als Gesetz zu verabschieden. Es sind keine praktikablen Regelungen vorgesehen, die bei der Durchsetzung der grundrechtlichen Informationsrechte der Art. 24 Abs. 2, 29 Abs. 4 Verf RF wirklich von Nutzen wären. Es ist nicht zu kritisieren, dass der im Entwurf vorgeschlagene allgemeine Informationsanspruch des Bürgers hinter dem privilegierten Auskunftsanspruch der Massenmedien zurückbleibt. Zu bemängeln ist, dass der Gesetzentwurf das Recht auf Information mehr deklariert als rechtlich ausgestaltet und regelt. Und selbst die Deklaration des Informationsrechts, die eigentlich schon durch die Verfassung der RF von 1993 erfolgte, bleibt hinter den geltenden verfassungsrechtlichen Anforderungen zurück: Der Gesetzentwurf geht an keiner Stelle von der Prämisse aus, dass jede Information grundsätzlich frei verfügbar ist und die Ausnahmen von diesem Grundsatz klar und konkret bestimmt werden müssen. Der Entwurf ist somit ein Dokument der Staatsbürokratie, die lieber zehn wohlklingende Deklarationen verfasst, als eine Regelung auf den Weg zu bringen, die ihr selbst letzten Endes unbequem werden könnte. [1]
ZiP 38 (Okt. ´97) enthält den Text des Gesetzesprojekts und das
Stenogramm der ersten Lesung der Staatsduma über dieses Projekt am
3.9.1997. In ZiP 32 (April ´96) ist eine frühere Variante des
Gesetzesprojektes vom 14.04.1996 abgedruckt. [2]
Ju. M. Nesterov, Fraktion "Jakloko", in der ersten Lesung
des betreffenden Gesetzesprojektes "Über das Recht auf
Information" am 03. September 1997, in: ZiP 38 (Okt. ´97),
Stenogramm der Lesung. - Das Projekt wurde jedoch bis zum Sommer
1999 nicht mehr verhandelt. - Das Gesetzesprojekt "Über das
Geschäftsgeheimnis", das ebenfalls den Zugang zur
Information regelt, wurde am 22. Januar 1999 in dritter Lesung
angenommen; der Präsident der RF legte jedoch am 1. März 1999 sein
Veto ein. [3]
Am 3.9.1997 wurde außer dem Gesetzesprojekt "Über das Recht
auf Information" auch das Gesetzesprojekt "Über Fernsehen
und Rundfunk" in erster Lesung verabschiedet. [4]
I. Dzjalošinskij, Proekt zakona "O prave na informaciju"
vyzyvaet mnogo voprosov. Budut li polučeny na nich otvety?, in:
ZiP 38 (Okt. ´97). [5]
Die strafrechtliche Verantwortlichkeit nach Art. 140 des
Strafgesetzbuches der RF setzt die vorsätzliche Verletzung der
verfassungsrechtlichen Informationsrechte des Art. 24 Abs. 2
Verf RF voraus sowie einen hieraus entstandenen Schaden des
betroffenen Bürgers. [6]
Das föderale Gesetz "Über das Geschäftsgeheimnis" wurde
am 1. März 1999 vom Präsidenten der RF mit seinem Veto abgelehnt. [7]
Zur Definition des Staatsgeheimnisses vgl. unten 7. c). [8]
A. Simonov (1996), "Zakonodatel´stvo o SMI v posttotalitarnych
gosudarstvach i nekotorye rezul´taty praktičeskogo
primenenija", in: Meždunarodnyj seminar "Koncepcija
Zakonodatel´stva o sredstvach massovoj informacii dlja posttotalitarnich
gosudarstv".
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