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4. Lizenzierung elektronischer Massenmedien

 

Im Unterschied zu den Printmedien gelten für die elektronischen Massenmedien, die am Informations- und Unterhaltungsmarkt teilnehmen wollen, härtere Zugangsvoraussetzungen. Lediglich die Verbreitung von Texten und Bildern im Internet oder "world wide web" ist hiervon ausgenommen. Zeitungen, Zeitschriften, Nachrichtenagenturen sowie Fernseh- und Radiosender veröffentlichen ihre Informationen im Netz, ohne hierfür eine besondere Genehmigung zu beantragen. Auch die Internet-Provider, die als Dienstleister den Zugang zum weltweiten Datenstrom anbieten, benötigen keine Lizenz für ihre Tätigkeit, es sei denn, sie bedienen sich nicht der vorhandenen Verbindungen, sondern richten eigene Kommunikationsnetze ein. Hierzu sind nur die größten unter den fast 70.000 russischen Internet-Providern in der Lage.[1] Die Fernseh­gesellschaften und Radiosender bedürfen dagegen für die Veranstaltung von Rundfunk- und Fernsehprogrammen nicht nur der Registrierungs­bescheinigung über ihre Eintragung als Massenmedium. Sie müssen außerdem eine befristete und an bestimmte Voraussetzungen geknüpfte Sendeerlaubnis beantragen, denn die Frequenzen zur terrestrischen Ausstrahlung von Programmen sind begrenzt.

 

Für die Erteilung dieser Erlaubnis oder Lizenz soll nach dem Gesetz "Über die Massenmedien" die "Föderale Kommission für Fernsehen und Rundfunk" zuständig sein. Sie hat die staatliche Politik im Bereich der Lizenzvergabe auszuarbeiten (Art. 30 Abs. 1) und die Lizenzen zu vergeben (Art. 31 Abs. 1). Bildung und Zusammensetzung dieser Kommission sind durch ein eigenes föderales Gesetz zu regeln (Art. 30 Abs. 2). Auf dieses Gesetz warten die elektronischen Massenmedien nun schon seit Jahren. Beabsichtigt war die Errichtung einer mit umfassenden Vollmachten ausgestatteten, regierungsunabhängigen öffentlichen Kommission. Ihre Mitglieder sollten zu zwei Dritteln aufgrund des Vorschlags der Föderalen Versammlung der RF ernannt werden, um nicht nur der Exekutive, sondern auch dem Parlament einen Einfluss auf die staatliche Politik der Zuteilung der Lizenzen zu sichern.[2] Zu Mitgliedern der Kommission sollten nicht nur die Vertreter staatlicher Ministerien und des VGTRK berufen werden, sondern auch Medienfachleute aus den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen, bekannte Journalisten, Soziologen, Juristen usw.

 

1991 wurde ein "Vorläufiges rußländisches Lizenzkomitee in Angelegenheiten der Presse und der Information" gebildet, das bis auf weiteres die Lizenzen vergab. Es blieb jedoch ohne gesetzliche Grundlage. Die Verabschiedung des Gesetzesprojekts "Über Fernsehen und Rundfunk" gelang vorerst nicht, so dass die Regierung des Ministerpräsidenten V. Černomyrdin schließlich im Dezember 1994 die Verordnung No. 1359 erließ,[3] die die Lizenzvergabe "bis zur Annahme eines föderalen Gesetzes" dem "Föderalen Dienst Rußlands für Fernsehen und Rundfunk" (FSTR) überantwortete, dem Nachfolger des verfassungswidrigen[4] "Föderalen Informationszentrums" (FIZ). Der FSTR untersteht als Teil der Exekutive der Regierung der RF.

 

Daraufhin verabschiedete die Staatsduma am 12. Mai 1995 das erste Fernsehgesetz zur Regelung der staatlichen Aufsicht über die elektronischen Massenmedien. Auch der Föderationsrat unterstützte dieses Gesetz zunächst, aber Präsident B. El´cin lehnte die Unterzeichnung ab. Die Staatsduma unternahm zwar noch den Versuch, das Präsidenten-Veto zu überwinden, sie scheiterte dieses Mal jedoch an der wiederum erforderlichen Zustimmung des Föderationsrats. Ein neuer Gesetzesentwurf konnte erst nach mehreren Anläufen am 3. September 1997 in erster Lesung angenommen werden. Die zweite Lesung fand am 13. Januar 1999 statt und endete damit, dass die Besprechung des Gesetzes auf eine andere Plenarsitzung verschoben wurde (siehe fünftes Kapitel, 5. sowie Schaubild 4: Überblick über das Verfahren zur Verabschiedung föderaler Gesetze).

 

Nach der vom Präsidenten der RF angeordneten Auflösung des Parlaments im Herbst 1993 war das erwähnte "Vorläufige Lizenzkomitee" geschlossen worden. Seitdem nahm die Exekutive die Aufgabe der Zuteilung und Erneuerung der Lizenzen wahr, ohne das Parlament zu beteiligen oder die Entscheidung einer unabhängigen Kommission zu überlassen. Zuständig war allein der FSTR, die zentrale Moskauer Behörde im Range eines Ministeriums, sowie das Ministerium der RF für Fernmeldewesen (vgl. Schaubild 2 am Ende dieses Kapitels). Die genannte Regierungsverordnung vom Dezember 1994 bestätigte die "Vorschriften über die Lizenzierung des Fernsehens und des Rundfunks in der RF" als die bis auf weiteres gültige Regelung der Lizenzvergabe. Danach wurde das Lizenzmodell beibehalten, das erstmals durch die Regierungsverordnung No. 500 vom 26. September 1991 eingeführt worden war und zwei Lizenzen erforderlich machte. Zum einen die Lizenz, den Übertragungskanal benutzen und den Sender einschalten zu dürfen (Lizenz für Sendeanlagen), vergeben vom Ministerium der RF für Fernmeldewesen nach Abstimmung mit dem FSTR.[5] Zum anderen die Lizenz, Sendungen auf dem entsprechenden Kanal bzw. dem dafür vorgesehenen Übertragungsweg auszustrahlen (Sendelizenz), vergeben vom FSTR in Absprache mit dem Ministerium der RF für Fernmeldewesen (Punkt 1 der Regierungsverordnung). M. Fedotov, einer der Autoren des Gesetzes "Über die Massenmedien", verglich dieses Modell mit einem Fahrschulauto: Ein Lenkrad, aber zwei Bremspedale.[6] A. Simonov, der Vorsitzende des "Fonds zum Schutz der Glasnost´", bemerkte seinerseits: "Die Beibehaltung des Zwei-Lizenzen-Systems für eine Welle, die den Sender an das fast hundertprozentig verpflichtende staatliche System der Übertragung und Wiedergabe kettet, begibt den Sender automatisch in die Abhängigkeit vom Ministerium der RF für Fernmeldewesen und macht ihn, falls es notwendig ist, vollkommen kontrollierbar." [7]

 

Bei der Vergabe der Sendelizenz  ist der FSTR faktisch der alleinige Entscheidungsträger. Die gesetzlich vorgeschriebene und infolge der Regierungsverordnung No. 1359 wieder eingesetzte sog. "Rundfunk-Kommission" ist ein bloßes Konsultativorgan. Sie nimmt lediglich mit Empfehlungen Stellung, wenn der FSTR sie darum ersucht und falls sich mehrere Sender um einen Kanal oder eine Sendezeit bewerben oder falls ein Streit zwischen den Antragstellern entstanden ist (Punkt 7 der Vorschriften). Die Mitglieder dieser Kommission sind ehrenamtlich tätig. Kommissionsleiter ist der Dekan der journalistischen Fakultät der MGU, J. Zasurskij. Die Kommission tritt nicht häufig zusammen, denn bei Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Antragstellern fungiert zunächst der FSTR in Moskau selbst als "Schiedsrichter". I. Sigal zitiert in seiner im April 1997 abgeschlossenen Untersuchung "Obzor RTV" I. Ivanov vom FSTR, der zu verstehen gab, dass man die Entscheidungen der "Rundfunk-Kommission" zwar ernst nehme, sich ihrer aber selten bediene.[8]

 

Zur Entlastung der Moskauer Zentrale des FSTR wurde seit 1995 die Einrichtung "Regionaler Sendekommissionen beim FSTR" zugelassen. Inzwischen gibt es über 60 solcher regionaler FSTR-Kommissionen. Sie waren in der besten Absicht konzipiert worden. Es fehlten jedoch einheitliche Bestimmungen über ihre Tätigkeit und Zusammensetzung, so dass sie von den örtlichen Administrationen organisiert wurden.[9] Neben den Vertretern der Regionalverwaltung und der regionalen staatlichen Fernsehgesellschaften räumte man nur selten auch den Vertretern nichtstaatlicher Sender ein Mitspracherecht ein.[10] Die regionalen FSTR-Kommissionen sind so zu Foren für die Verteidigung politischer Interessen geworden, denn die staatlichen Sender betrachten die privaten Fernseh- und Radiogesellschaften oft als unliebsame Konkurrenten. Aufgrund der Dominanz staatlicher Interessenvertreter gibt es keine Gewähr, dass die regionalen FSTR-Kommissionen objektive Entscheidungen treffen. Ein besonderes Verfahren zur Entscheidungs­findung ist selbst dann, wenn es offensichtlich mehrere Bewerber für eine Frequenz gibt, nicht zwingend vorgeschrieben. Im Streitfall hat zwar die Zentrale des FSTR in Moskau das letzte Wort, aber das Urteil bzw. die "gutachtliche Stellungnahme" der regionalen Kommission ist in der Regel vorentscheidend.

 

Hinsichtlich der Lizenzierungsregeln der Verordnung No. 1359 vom Dezember 1994 sind folgende Besonderheiten hervorzuheben: Als Träger der Lizenzen kommen ausschließlich juristische Personen in Frage, die in der RF registriert sind. Gesellschaften mit bis zu 100%-iger Beteiligung ausländischer Kapitalgeber wären gesetzlich jedoch zulässig.[11] Die Lizenz kann unter anderem auch deswegen versagt werden, weil es dem Antragsteller an den technischen Möglichkeiten für die beabsichtigte Tätigkeit fehlt[12] oder weil die geplanten Dienste nicht dem rußländischen oder internationalen Qualitäts­standard entsprechen (Punkt 11 der Vorschriften). Ein Lizenznehmer darf nicht mehr als zwei Kanäle in einer Region belegen, falls die Sendebereiche sich mehr als zu zwei Dritteln überschneiden (Punkt 13 der Vorschriften). Die Lizenzen gelten drei bis fünf Jahre. Entzogen werden darf die Lizenz nicht nur im Falle der Verletzung der Lizenzbedingungen,[13] sondern auch bereits bei jedem Verstoß gegen föderale Gesetze, eine schriftliche Verwarnung vorausgesetzt (Punkt 17 der Vorschriften i.V.m. Art. 32 Punkt 2 des Gesetzes "Über die Massenmedien").

 

Das allgemeine, nicht speziell auf die Medien bezogene Gesetz der RF "Über die Lizenzierung einzelner Tätigkeitsarten" vom 25. September 1998 zählt nunmehr ausdrücklich die Veranstaltung von Fernseh- und Radiosendungen zu den lizenzbedürftigen Tätigkeiten (Art. 17). Nach der Ansicht des Leiters des FSTR, M. Seslavinskij, können Lizenzen gemäß dem Wortlaut dieses Gesetzes auch ohne vorherige schriftliche Verwarnung entzogen werden (vgl. Art. 12).[14] Hiergegen sprechen jedoch die Schlussbestimmungen des Gesetzes, die einem zuvor in Kraft getretenen Gesetz den Vorrang einräumen (Art. 19 Punkt 3). Das Gesetz "Über die Massenmedien" setzt für die Annullierung der Lizenz zwingend eine schriftliche Verwarnung und eine wiederholte Verletzung der Lizenzierungsregeln voraus (Art. 32 Punkt 2).

 

Entscheidend für die rechtliche Situation der Fernsehgesellschaften sind jedoch nicht allein die vorhandenen Vorschriften. Die Praxis der Lizenzvergabe durch den FSTR wird dadurch geprägt, dass die Monatsfrist für die Bescheidung des Antragstellers nur selten und unter ganz besonderen Umständen eingehalten wird,[15] und dass der FSTR bisher die unterschiedlichsten Auswahl­methoden anwenden konnte, ohne zwingend eine offene Ausschreibung durchführen oder ein Gutachten über die Fernsehgesellschaft einholen zu müssen (vgl. Punkt 8 der Vorschriften). Für die Art der Entscheidungsfindung existieren keine genauen verbindlichen Regeln, an die sich der FSTR halten müsste, und der Entscheidungsvorgang braucht nicht offengelegt zu werden. Die Tätigkeit der elektronischen Massenmedien ist somit völlig der Kontrolle der Exekutivorgane der Regierung unterworfen, obgleich - oder gerade weil - es hierfür bisher nicht die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen gibt. I. Sigal urteilte zusammenfassend:

 

"Die Vollmachten des FSTR sind wie die der anderen bürokratischen Organe, Kommissionen und Komitees, die zur Kontrolle und Regulierung der Tätigkeit der Massenmedien geschaffen wurden, nicht genau bestimmt worden. Aber Dank der Kontrolle über die Lizenzvergabe hat der FSTR einen sehr viel größeren Einfluss auf die elektronischen Massenmedien erlangt als das FIZ. (...) Das Fehlen von Vorstellungen davon, nach welchen Regeln der Rundfunk in Zukunft kontrolliert wird, ruft in den Medien ernste Beunruhigung hervor. Viele glauben, dass das Ausbleiben des Gesetzes "Über Fernsehen und Rundfunk" die Entwicklung der elektronischen Massenmedien bremst. Die Meinung der nichtstaatlichen Fernsehgesellschaften drückte Sergej Spiridonov aus, der Programmdirektor der regionalen Fernsehstation "Nika+" aus Petrozavodsk: `Mögen die Regeln strenger sein, wenn sie nur einfacher werden´. (...) Andrej Richter vom Zentrum `Recht und Massenmedien´ bemerkte, dass die Lizenzierungsregeln bei der Erörterung des Fernseh- und Rundfunkgesetzes zum Gegenstand von Meinungsverschiedenheiten geworden sind und einen der Gründe darstellen, weshalb das Gesetz nicht verabschiedet wird." [16]

 

Der Mangel der gesetzlichen Grundlage wird verschärft durch die Schwierigkeit, den Prozess der Lizenzerteilung zu überwachen und in Frage zu stellen. Das Zusammenspiel des FSTR mit dem Ministerium für Fernmeldewesen (ggf. auch mit der Rundfunk-Kommission) wäre allenfalls insofern vorteilhaft, als es verhindern könnte, dass eine Konzentration von Vollmachten in der Hand einer staatlichen Stelle entsteht. Mangels ergänzender Vorkehrungen ist dieses jedoch gerade nicht der Fall. Festzustellen ist vielmehr, dass die Lizenzvergabe und die Verlängerung der Lizenzen hierdurch zu langwierigen und undurchschaubaren Staatsakten geworden sind.[17] Insbesondere in den Regionen Rußlands zeitigte die fehlende Transparenz der Lizenzierung negative Folgeerscheinungen. Es wurden so viele Korruptionsfälle bekannt,[18] dass das Zentrum „Recht und Massenmedien“ mit Recht die fehlende gesetzliche Grundlage der Lizenzierungsregeln als unannehmbar bezeichnete.[19] Aber auch auf föderaler Ebene wich die Praxis der Lizenz­vergabe von den üblichen Regelungen öfter ab. NTV, die größte private Fernsehgesellschaft Rußlands, erhielt die Lizenzen zum Senden und zur Benutzung eines föderationsweiten Kanals per Präsidialdekret, d.h. unter Umgehung des FSTR und des Ministeriums für Fernmeldewesen.

 

Nachdem die Verabschiedung des Gesetzentwurfs "Über Fernsehen und Rundfunk" im Januar 1999 aufgrund des Scheiterns der zweiten Lesung wiederum ungewiss geworden war, bestätigte die Regierungsverordnung vom 26. Juni 1999 die neue Vorschrift des FSTR "Über die Durchführung von Ausschreibungen zum Erhalt des Rechts, Fernseh- und Radiosendungen terrestrisch auszustrahlen, und ebenso zur Ausarbeitung und Aneignung neuer Frequenzen zu Zwecken des Rundfunks".[20] Zur Teilnahme an den Ausschreibungen werden "juristische Personen und individuelle Unternehmer" zugelassen, die auf dem Territorium der RF registriert sind. Bei der Vergabe von Lizenzen an Private sollen fortan in jedem Fall offene Ausschreibungen zu den gleichen Bedingungen erfolgen.[21] Insbesondere ist das Freiwerden von Frequenzen rechtzeitig in den Massenmedien mitzuteilen, denn die Ausschreibung soll nicht später als 60 Tage vor der Durchführung des Wettbewerbes bekanntgemacht werden. Die Entscheidung über die Lizenz­vergabe trifft eine "Föderale Ausschreibungskommission für Fernsehen und Rundfunk", die vom FSTR gebildet wird und aus neun ständigen Mitgliedern besteht. Bei regionalen Ausschreibungen kommen drei Mitglieder aus der betreffenden Region hinzu. Sie entscheiden, welcher der Teilnehmer das beste Konzept und die aussichtsreichsten Finanzierungsmöglichkeiten anbietet. Der Gewinner der Ausschreibung erhält für die "einmalige Zahlung für die Senderechte", die einige zehntausend US-$ betragen kann,[22] sowohl die Sendelizenz vom FSTR ausgehändigt als auch die Lizenz für das Betreiben der Sendeanlagen vom "Staatlichen Komitee der RF für Telekommunikation", dem früheren Komitee für Fernmeldewesen.

 

Die neue Regelung schafft also das Zwei-Lizenzenmodell nicht ab, und sie belässt die Kontrolle der Lizenzvergabe in den Händen der Exekutive. Im Juli 1999 wurde zudem der FSTR aufgelöst, der zunehmend eine eigenständige Rolle bei der staatlichen Aufsicht über die Massenmedien gespielt hatte, und das neue Ministerium der RF in Angelegenheiten der Presse, des Rundfunks und der Mittel der Massenkommunikation bestätigte im Dezember 1999 sowohl die „Arbeits­ordnung der Föderalen Ausschreibungskommission für den Rundfunk“ als auch die „Ordnung der Prüfung von Anträgen zur Bearbeitung von Rundfunk-Frequenzen und zur Frequenzvergabe“.[23] Am 26. Januar 2000 fand daraufhin die erste öffentliche Lizenzvergabe durch die Föderale Ausschreibungskommission statt. Wie das Zentrum „Recht und Massenmedien“ kritisiert, steht zu befürchten, dass die neue Ordnung der Lizenzerteilung, die sich nunmehr maßgeblich an ökonomischen Kriterien orientiert und von den Bewerbern nicht nur die besten finanziellen Voraussetzungen, sondern auch eine recht hohe Lizenzgebühr verlangt, die kleineren und mittleren nichtstaatlichen Sender ungebührlich benachteiligt. Die neuen von der Exekutive aufgestellten Regelungen wirkten sich dahingehend aus, dass zur technischen und politischen Behinderung nunmehr auch die ökonomische noch hinzutreten könne.[24] Dieser scharfen Kritik ist insofern zuzustimmen, als die Einführung der offenen Ausschreibung noch nicht das Hauptproblem beseitigt, dass die Lizenzerteilung in Rußland weiterhin ohne gesetzliche Grundlage dem ständigen Wechsel der Registrierungsorgane und den sich oftmals ändernden Spielregeln unterliegt. Mit dem Zentrum „Recht und Massenmedien“ als Koordinator wurde deshalb ein Projekt unter der Bezeichnung „Hilfsprogramm für unabhängige rußländische Fernseh- und Radiosender zur Bildung günstiger gesetzgeberischer Bedingungen im System der rechtlichen Regulierung der Lizenzerteilung für elektronische Massenmedien“ ins Leben gerufen, an dem sich neben ausländischen Einrichtungen auch die ANO „Internews“ und die Nationale Assoziation der Radio- und Fernsehsender (NAT) beteiligen.

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[1] O. Judincev (1999), Elektronnyj Feliks, ili Budet li cenzura v Internete?, in: Novaja gazeta No. 15 , S. 1 (24). Vgl. Art. 17 des Gesetzes der RF "Über die Lizensierung einzelner Tätigkeitsarten" vom 25. September 1998. Zur erzwungenen Einrichtung von Zugangstechnik zugunsten des FSB (SORM 1 und 2) als Voraus­set­zung für die Erteilung der Lizenz an Internet-Provider vgl. Kapitel VI. 7 a). 

[2] M. Fedotov (1996), aaO. S. 209.

[3] Regierungsverordnung vom 7. Dezember 1994 No. 1359 "Über die Lizensierung von Fernsehsendungen, Radiosendungen und der Tätigkeit der technischen Übertragung im Bereich des Fernsehens und Rundfunks der RF", in: ZiP 5 (Jan. 1995).

[4] Entscheidung des Verfassungsgerichts der RF N 11-P vom 27. Mai 1993.

[5] Der überwiegende Teil der kleineren Sender besitzt keine eigenen Sendeanlagen und keine eigene Lizenz zur Übertragung von Signalen, sondern schließt einen Vertrag mit den örtlichen Radio- und Fernsehübertragungszentren (RTPC), die dem Ministerium für Fernmeldewesen angehören und ihre Sendezeit verkaufen. Um über das Freiwerden einer Frequenz und die Erwerbsmöglichkeit der entsprechenden Lizenz etwas in Erfahrung zu bringen, sind persönliche Kontakte von großem Nutzen.

[6] M. Fedotov (1996), aaO. S. 230.

[7] A. Simonov (1995), Kommentarij, in: ZiP 5 (Jan. 1995, Übers. d. Verf.).

[8] Vgl. I. Sigal (1997), Obzor RTV, Kapitel IX.

[9] Vgl. "Primernij reglament raboty Regional´noj komissii po veščaniju pri FSTR Rossii", allgemeiner Regelungsentwurf, unterschrieben vom Leiter der Registrierungs- und Lizensierungsabteilung des FSTR I. S. Ivanov (ZiP 18, Febr. 1996). Vgl. A. Simonov, Ostorono: proekt! in: ZiP 18 (Febr. 1996). Abschnitt VI. dieser Regelungen besagt, daß die Mitglieder der Kommissionen von den regionalen Administrationen vorgeschlagen werden und vom FSTR zu bestätigen sind.

[10] I. Sigal (1997), aaO. Kapitel IX.

[11] I. Sigal (1997), aaO. Kapitel IX., bemerkt hierzu, daß der FSTR bei der Lizenzvergabe umfassende Vollmachten besitzt und die Lizenzerteilung an Gesellschaften mit ausländischer Beteiligung ohne weiteres ablehnen kann. 

[12] M. Fedotov (1996). aaO. S. 230, weist darauf hin, daß Art. 15 Abs. 3 des föderalen Gesetzes "Über das Fernmeldewesen" vom 16. Februar 1995 einerseits zwar bestimmt, daß die Lizenz zur Benutzung des Kanals auf der Grundlage der Sendelizenz erteilt wird, die der FSTR vergibt, andererseits aber vorausgesetzt wird, daß der Antragsteller bereits über die nötigen technischen Mittel der Nachrichtenübertragung verfügt, d.h. daß ihm ein Sender gehört bzw. gehören wird. Das Gesetz bewahrt also das 2-Lizenzen-Modell und unterstützt die staatliche Vorherrschaft im Bereich der elektronischen Massenmedien.

[13] Vgl. hierzu "Priloenie k licenzii na osuščestvlenie tele- ili radioveščanija na territorii RF No. 638 ot 24 marta 1995 goda", in: ZiP 10. Diese Vorschrift stellt besondere Anforderungen an das Programm des Senders hinsichtlich des Umfangs kultureller und Bildungsprogramme sowie andere Eingriffe in die professionelle Selbständigkeit der Redaktion. 

[14] Kommentarij Centra "Pravo i SMI" (1999), Veščatel´mež dvuch ognej: Vybor nakazanija ostaetsja za FSTR, Zitat einer Rede Seslavinskijs vor zahlreichen Vertretern von Radiostationen am 15. Januar 1999, in: Centr "Pravo i SMI", Pravovye aspekty licenzirovanija teleradioveščanija i telekommunikacij.

[15] I. Sigal, aaO. Kapitel IX., schildert den Fall der Fernsehgesellschaft "Noty" aus Jakutsk, die sechs Monate auf die Lizenz wartete, dreimal in Moskau vorsprechen mußte und sogar auf die stattgebende Entscheidung des Zivilgerichts hin die Lizenz nicht erhielt, weil der in diesem Verfahren unterlegene Konkurrent dennoch beim FSTR weiterhin insistierte. Die Gesellschaft gelangte erst mit der besonderen Unterstützung durch persönliche Kreml-Kontakte zum Ziel.    

[16] I. Sigal, aaO. Kapitel IX (Übers. d. Verf.). Vgl. A. G. Richter, Einleitung zur Konferenz "Pravovye aspekty licenzirovanija teleradioveščanija i telekommunikacij" vom 19. Dezember 1998: "Gesetze über Fernsehen und Rundfunk sind notwendig wie die Luft zum Atmen, und sogar ein unvollkommenes Gesetz erscheint uns besser als Voluntarismus. Merkwürdig, daß unsere Abgeordneten das nicht verstehen und einen Kompromiß mit dem Präsidenten und seiner Administration eingehen."

[17] Vgl. A. Kačkaeva (1999), in: Pervoe zasedanie konferencii "Pravovye aspekty licenzirovanija teleradioveščanija i telekommunikacij": Gerade die Kompliziertheit der Lizensierungsregeln hat es immer wieder ermöglicht, daß "energische und unternehmungslustige" Leute sich die Lizenzen unter Umgehung der Regeln verschafft haben.

[18] I. Sigal (1997), aaO.

[19] ZiP Tematiceskoe prilozenie “Licenzirovanie”, Vypusk 1, Januar 2000.

[20] Polozenie "O provedenii konkursov na polučenie prava na nazemnoe efirnoe teleradioveščanie, a take na razrabotku i osvoenie novogo radiočastotnogo kanala dlja celej teleradioveščanija", utverždeno postanovleniem Pravitel´stva RF ot 26 ijunija 1999 No. 698, in: ZiP 58 (Juni 1999). - Diese neue Ausschreibungs-Vorschrift wurde allerdings zehn Monate lang vorbereitet.

[21] Die Vorschrift gilt nach der Regierungsverordnung Nr. 698 für die Hauptstädte aller 89 Subjekte der RF und für Städte mit über 200 Einwohnern.

[22] Vgl. hierzu Kommentar des Zentrums "Recht und Massenmedien", ZiP 58 (Juni 1999): Nach dem allgemeinen Gesetz "Über die Lizensierung einzelner Tätigkeits­arten" darf die Lizenzgebühr bisher nicht mehr als 400 US-$ betragen - es könnte also noch eine Gesetzesänderung nötig werden.

[23] Prikazy No. 86 ot 28.12.99, No. 90 ot 31.12.99, zusammen mit den bestätigten Ausschreibungs- und Lizenzvergabeordnungen abgedruckt in: Centr „Pravo i sredstva massovoj informacii“, ZiP: Tematiceskoe prilozenie „Licenzirovanie“, Vypusk 1, Januar 2000.

[24] Centr „Pravo i sredstva massovoj informacii“, ZiP: Tematiceskoe prilozenie „Licenzirovanie“, Vypusk 1, Januar 2000.