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d) Ökonomische Abhängigkeiten und gedrückte Stimmung (Belin)

 

Der im November 1997 präsentierte Kurzbericht "Politisierung und Selbstzensur in den russischen Medien" von Laura Belin (Radio Free Europe / Radio Liberty) hebt gleichfalls die ökonomische Abhängigkeit der Massenmedien als einen der wichtigsten Gesichtspunkte bei der Beurteilung der Pressefreiheit in Rußland hervor. Die neuere Entwicklung schildert Belin folgendermaßen: Die privaten Medien haben von ihrem Recht, die Behörden zu kritisieren, über Jahre hinweg freimütig Gebrauch gemacht. Während des Tschetschenienkonflikts sind die staatlich kontrollierten Medien durch die ungeschönte Berichterstattung der privaten gezwungen worden, von unzutreffenden offiziellen Versionen Abstand zu nehmen. Eine Ausnahme galt nur für den Präsident­schaftswahlkampf von 1996, in dem sich private wie staatliche Massenmedien vehement für die Wiederwahl B. El´cins einsetzten. Im Jahr 1997 erscheint der Markt der Massenmedien jedoch spürbar unfreier als noch zwei Jahre zuvor; unter den Journalisten herrscht eine gedrückte Stimmung.

 

Belin resümiert, dass zwar die Errungenschaften der post-sowjetischen Periode nicht zurückgenommen worden sind. Das staatliche Eigentumsmonopol an den Massenmedien ist nicht wieder hergestellt worden und Regierungsvertreter üben nur selten die politische Zensur aus. Die finanzielle Abhängigkeit von Industrie- oder Bankgruppen hat aber zu einer merklichen Erosion der Autonomie der Massenmedien beigetragen.[1] Vor allem der Wahlerfolg B. El´cins entfachte das Interesse der Geschäftsleute, ihre Beteiligungen bei den Massenmedien zu erhöhen und mehr in ihre Medien-Holdings zu investieren. Eine Reihe von Zeitungen sind immer noch formal im Besitz und unter der Leitung von Redaktionskollektiven, aber nur die wenigsten haben jede Hilfestellung von Finanz- und Industriegruppen ablehnen können. Nach Belins Worten sind sogar für elektronische Massenmedien die laufenden Kosten zu hoch und die Werbeeinnahmen zu gering, um auf fremde Unterstützung verzichten zu können; auch NTV ist nur durch Gusinskijs Most-Gruppe groß geworden.[2] 

 

Die Tendenz eines Massenmediums und die Selbstzensur der Journalisten machen sich grundsätzlich auch jenseits der Reporte über Privatisierungsskandale und der Machtkämpfe im Kreml` bemerkbar. Der Einfluss eines Sponsors ist jedoch, wie Belin sagt, oft subtil und schwierig zu entdecken. Hinter dem Eintreten für ein Gesetz oder hinter einer Medienkampagne gegen Personen stehen nicht selten handfeste, auf den ersten Blick noch unsichtbare ökonomische Interessen.[3] Die Öffentlichkeit hat inzwischen jedoch erfahren, wie oft hinter einem Kompromat wirtschaftliche Motive stehen, so dass nunmehr auch die echten Enthüllungen von merkwürdiger Folgenlosigkeit gekrönt sind. Im Vordergrund des Interesses steht vielmehr zunächst immer die Frage: "Wem nützt dieses?" (komu eto vygodno?).[4] Diese Entwicklung schadet nicht nur dem Ansehen des Staates, sondern vor allem auch dem investigativen Journalismus, dessen Früchte in der Regel als Auftragsarbeit erscheinen.

 

Insgesamt kann nach Belin zwar festgestellt werden, dass keine politische oder Finanzgruppe ein Medienmonopol erlangt hat, dass der Markt der Massenmedien mithin im Gegensatz zur sowjetischen Periode pluralistischer und freier geworden ist. Die Bindungen an die Anteilseigner und Fremdfirmen lassen jedoch wenig Spielraum, und der von einigen Journalisten gefundene Ausweg, häufiger die Zeitung zu wechseln, kann nicht immer in Anspruch genommen werden. Zudem werden die kommenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen, die für 1999 bzw. 2000 angesetzt sind, nach Belins Prognose sehr wahrscheinlich wiederum negative Effekte für die objektive Berichterstattung mit sich bringen.[5] Was die Massenmedien in den Regionen Rußlands anbetrifft, so sind sie, abgesehen von wenigen Ausnahmeregionen mit einer vibrierenden Medienlandschaft, üblicherweise noch eingeschränkter und abhängiger von den lokalen Eliten als die zentralen Moskauer Medien. Eine Reihe von Großstädten im Ural und in Sibirien verfügen dagegen über eine ganze Bandbreite privater Fernsehstationen, die auch in der Lage sind, ihre eigenen Nachrichtensendungen auszustrahlen.[6]

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[1] L. Belin (1997), Politicization And Self-Censorship In The Russian Media, Introduction.

[2] L. Belin, aaO., Kapitel: Media Squeezed By Market Realities.

[3] L. Belin, aaO., Kapitel: How Financial Dependence Slants News Couverage.

[4] L. Belin, aaO., Kapitel: The Impact Of Media Coverage.

[5] L. Belin, aaO., Kapitel: Prospects For Development.

[6] L. Belin, aaO., Kapitel: Regional Media Even Less Free.