8. Schlussbetrachtung
Der
Parteijournalismus und das parteistaatliche System der
Massenkommunikation ermöglichten der politischen Führung der
Sowjetunion eine umfassende Kontrolle über Nachrichten und
Publikationen aller Art. Das leninistisch-stalinistische Pressekonzept,
das die Mittel der Massenkommunikation als ausführende Instrumente von
Parteibeschlüssen sah und als Erziehungsinstrumente im Dienste der
sozialistischen Agitation und Propaganda gebrauchte, war weitgehend
verwirklicht worden. Der Presse wurde keine eigenständige Überwachungsfunktion
im Gefüge der staatlichen Gewalten zugestanden - sie hätte auch wenig
genützt, da sich die KPdSU als Staatspartei etabliert hatte, die keine
Gewaltenteilung zuließ. Ein Blick auf die Präambel der letzten
Sowjetverfassung von 1977 zeigt, dass an der Notwendigkeit einer
klassen- bzw. parteibestimmten Struktur des Staates nicht gezweifelt
werden durfte: "Es
festigten sich das Bündnis der Arbeiterklasse, der Kolchosbauernschaft
und der Volksintelligenz sowie die Freundschaft zwischen den Nationen
und Völkerschaften der UdSSR. Es bildete sich die
gesellschaftspolitische und ideelle Einheit der Sowjetgesellschaft
heraus, als deren führende Kraft die Arbeiterklasse auftritt. Der
sowjetische Staat wurde zum Staat des gesamten Volkes, nachdem er die
Aufgaben der Diktatur des Proletariats erfüllt hatte. Es wuchs die führende
Rolle der Kommunistischen Partei als Avantgarde des gesamten
Volkes"
(Abs. 4 Satz 2 - 5 Präambel Verf UdSSR 1977). "Das
höchste Ziel des Sowjetstaates ist der Aufbau der klassenlosen
Gesellschaft, in der sich die gesellschaftliche kommunistische
Selbstverwaltung entwickeln wird"
(Abs. VI Satz 1 Präambel Verf UdSSR 1977). Die
sowjetische Verfassung ging von einem negativen Staatsbegriff aus. Sie
war final auf die Abschaffung des Staates gerichtet. Das Endziel der
klassenlosen Selbstverwaltungsgesellschaft ermöglichte es, den Staat
als Herrschaftsinstrument der Partei zu sehen. Die KPdSU war in
Wirklichkeit eine überstaatliche Partei, die den Staat, die
Rechtsordnung und die Grundrechte des Sowjetvolkes, diesen ganzen Überbau
der sozialökonomischen Basis, nach den von ihr bestimmten Gesetzen der
Entwicklung der Gesellschaft zur sozialistischen Gemeinschaft formte.
Der Satz "Der sowjetische Staat wurde zum Staat des gesamten
Volkes, nachdem er die Aufgaben der Diktatur des Proletariats erfüllt
hatte" verdeutlicht den relativen Wert des Staates und des
Einzelnen. Nach sowjetischem Verständnis war der Staat eine historisch
notwendige Herrschaftsform, aber kein Wert an sich. Der Staat war auch
nicht dazu berufen, als Schutzgemeinschaft von selbstbestimmten
Individuen aufzutreten, denn sein einziger Zweck war es, die "führende
Rolle der Kommunistischen Partei als Avantgarde des gesamten
Volkes" mit den staatlichen Herrschaftsinstrumenten zu
verwirklichen. In einem solchen Gemeinwesen liegt die Rechtfertigung des
staatlichen Gewaltmonopols nicht darin, die Staatsbürger vor privater
Willkür zu schützen und den Rechtsfrieden zu bewahren, sondern in der
Festschreibung der historisch notwendigen Führungsrolle der
Arbeiterklasse bzw. der Sicherung der Herrschaft der KPdSU. Diesem
negativen Staatsbegriff entsprach ein relativer, klassengebundener und
kollektivistischer Grundrechtsbegriff, der absolute subjektive Rechte
faktisch ausschloss und politische Rechte zu bloßen Beteiligungsrechten
bei der Erfüllung der Anliegen der Partei machte. Die sowjetische
Pressekonzeption, die von der "aktiven Teilnahme der
sowjetischen Journalisten am Kampf für den Sieg des Kommunismus in der
UdSSR" [1]
ausging, stimmte demnach mit der Forderung nach zweckgebundener Ausübung
der Grundrechte überein. Die kurze Darstellung der sowjetischen Parteikontrolle, der staatlichen Zensur und der journalistischen Selbstzensur hat gezeigt, dass die Subordination der Massenmedien nicht etwa lediglich als ergänzender Baustein zur Errichtung einer möglichst vollständigen oder "totalitären" Ordnung hinzutrat, sondern dass die dienende Rolle der Redaktionen eine Grundvoraussetzung des Systems war. In der sozialistischen Gesellschaft war der Erziehungsgedanke besonders stark entwickelt, und er konnte aufgrund der Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln wirkungsvoll durchgesetzt werden. Viele Grundzüge und Eigenheiten der sozialistischen Medienordnung der UdSSR finden sich auch in der postsowjetischen Gesellschaftsordnung der Rußländischen Föderation wieder - in präsidentiellen Dekreten, in Beschlüssen und Gesetzentwürfen der Staatsduma, in neuen staatlichen Kontrolleinrichtungen oder im Verhalten der Journalisten und in der positiven (oder negativen) Erwartungshaltung der Zeitungsleser und Fernsehzuschauer. [1]
Satzung des
Journalistenverbandes der UdSSR (Dezember 1971), Punkt I: Aufgaben
des Journalistenverbandes der UdSSR.
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