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5. Erfolgloser Putschversuch und Machtübernahme El´cins

 

a) Dilettantischer Putsch: Massenmedien außer Kontrolle

 

Am 12. Juni 1991 wurde B. El´cin, der sich seit 1987 als entschiedener Gegner der KPdSU und radikaler Reformer profiliert hatte, in einer Volkswahl zum ersten Präsidenten der Rußländischen Republik (RSFSR) gewählt. Der Präsident der Sowjetunion Gorbačev plante währenddessen für den 20. August die Unterzeichnung eines neuen Unionsvertrages. Als das „Staatskomitee für den Notstand in der UdSSR”, bestehend aus den Leitern der Exekutive, Mitarbeitern und Stellvertretern Gorbačevs, in der Nacht vom 18. auf den 19. August 1991 den Ausnahmezustand zur Rettung des Vaterlandes verkündete, befand sich Gorbačev auf der Krim im Urlaub, um sich auf die Unterzeichnung des Unionsvertrages vorzubereiten.[1] Panzer wurden in die großen Städte geschickt und die Massenmedien der Kontrolle des Notstandskomitees unterstellt. Nur prokommunistische und nationalistische Zeitungen sollten erscheinen dürfen.

 

Der Putsch war jedoch schlecht vorbereitet: Weder für das Radio noch für das Fernsehen waren im voraus neue Leiter bestimmt worden. Im ersten Fernsehkanal wurden handgeschriebene Direktiven verlesen. Der zweite Kanal (RTR), den El´cin erst im Frühling 1991 nach dem "Neun-Plus-Eins-Abkommen" der neun Republiken mit der Union für die Russische Republik gewonnen hatte, sollte ganz abgeschaltet werden. Die Ausstrahlung der Pressekonferenz des Notstandskomitees am Nachmittag zeigte den Vizepräsidenten G. Janaev mit zitternden Händen[2] und das Gelächter des Pressekorps. Obgleich Ostankino von den Soldaten der Putschisten bewacht wurde, gelang es der Redaktion der 21:00- Nachrichtensendung „Vremja” (1. Kanal) schon am ersten Tag des Putsches, Bilder mit El´cin zu senden, der vor dem Weißen Haus auf einem Panzer stehend zum Nationalstreik aufrief und eine Sondersitzung des Parlaments verlangte.[3] Das St. Petersburger Fernsehen sendete offen oppositionelle Nachrichten. CNN konnte ungehindert filmen. Am 20. August gaben die Redaktionen von 11 Zeitungen gemeinsam eine illegale vierseitige Widerstandszeitung mit dem Titel „Obščaja gazeta” (Allgemeine Zeitung) heraus. Vier unabhängige Zeitungen druckten Notausgaben.[4]

 

El´cin erklärte das Notstandskomitee kurzerhand für illegal, und zwei Tage später wurden seine Mitglieder verhaftet. Am 23. August suspendierte El´cin die kommunistische Partei in der Russischen Republik. Am 24. August trat Gorbačev als Generalsekretär der KPdSU zurück. Er blieb bis zu seiner Abdankung am 25. Dezember 1991 der Präsident eines Geisterstaates. Der armenische Präsident L. Ter-Petrossjan bemerkte später: „Mit dem Putsch beging das Zentrum am 19. August Selbstmord.” Der Restaurationsversuch scheiterte jedoch nicht allein aufgrund seiner dilettantischen Planung und Ausführung, sondern vor allem am entschlossenen Widerstand der Zivilbevölkerung. Die Journalisten der Perestrojka, die ihre Freiheit verteidigten, spielten hierbei eine wichtige, vielleicht sogar die entscheidende Rolle.

 

b) "Neobolschewistische Tendenzen" B. El´cins

 

Das Revolutionskomitee der Bolschewisten hatte wenige Tage nach der Oktoberrevolution die bürgerliche Presse, eine der „wirksamsten Waffen der Bourgeoisie”,[5] verboten und die Verlagshäuser, Druckmaschinen und Papiervorräte beschlagnahmt. B. El´cin, ehemaliges Mitglied des Zentral­komitees der KPdSU und im Juli 1990 aus Unzufriedenheit über den schleppenden Gang der Reformen Gorbačevs aus der Partei ausgetreten, nahm nach dem gescheiterten Putschversuch als Präsident der RSFSR das Heft in die Hand und beendete die Geschichte der UdSSR so, wie sie begonnen hatte: durch eine Revolution. Zunächst unterstellte er alle Institutionen auf dem Territorium der RSFSR der russischen Regierung, sodann untersagte er in einem vorläufigen Dekret jede Tätigkeit der kommunistischen Partei. Das Parteivermögen wurde eingezogen.[6] Das russische Presse- und Informationsministerium übernahm alle staatlichen Druckereien und Verlagshäuser. Der Leiter des staatlichen Fernsehens L. Kravčenko wurde durch den Perestrojka-Aktivisten J. Jakovlev abgelöst. Alle der Kollaboration mit den Putschisten verdächtigten Zeitungen, darunter auch die „Pravda” und die „Sovetskaja Rossija”, wurden bis zur staatsanwaltlichen Klärung ihrer Rolle im Zusammenhang mit dem Putsch verboten. Die staatlichen Nachrichtenagenturen TASS und APN erhielten neue Direktoren. Einige leitende Chefredakteure wurden von ihren Redaktionen für abgesetzt erklärt oder traten von sich aus zurück. Die Presse erfasste ein wahres Unabhängigkeitsfieber. Viele Massenmedien trennten sich von den früheren Herausgebern und staatlichen Kontrollorganen.[7]  Ein großer Teil der Journalisten wurde zum erklärten Anhänger der „radikaldemokratischen” Regierung El´cins. Ein Teil der liberalen Presse übte aber auch eindeutige Kritik am Vorgehen des russischen Präsidenten gegenüber den Massenmedien.[8] A. Kabakov bezichtigte El´cin sogar „neobolschewistischer Ten­denzen”.[9] Im September 1991 ließ El´cin die Publikationsverbote für die genannten Zeitungen wieder aufheben. In der folgenden Zeit entwickelte sich das Präsidialsystem; es entstanden einige neue Aufsichtsorgane, die nicht nur der Verteidigung der Pressefreiheit dienten, sondern auch die staatliche Kontrolle über die Massenmedien bis zu einem gewissen Grade wieder herstellten. Die russischen Massenmedien befanden sich von nun an zwar nicht mehr unter der doppelten Kontrolle von Staat und Partei, aber sie fielen unter die Schutzherrschaft des russischen Präsidenten.

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[1] Vgl. V. Kostikov (1997), Roman s prezidentom, S. 37: „Nachdem ich eine Menge Fakten analysiert hatte, kam ich zu der inneren Überzeugung, daß der wahre Urheber des Putsches Gorbačev selbst gewesen ist, der von dem Maßstab der demokratischen Welle erschreckt war.” M. Malia (1994), Vollstreckter Wahn, S. 562, zufolge ging Gorbačev dagegen der endgültigen Kraftprobe im August 1991 eher schlafwandelnd entgegen. Malia schreibt aber auch, daß die Notstands-Option innerhalb der Regierung seit langem in Erwägung gezogen wurde und für Gorbačev schwerlich überraschend kommen konnte (aaO. S. 563).

[2] Vgl. V. Vesenskij (1999), Ot `Lebedinogo ozera´ pachlo pochoronami svobody..., (Interview mit G. Janaev), in: Literaturnaja gazeta No. 31 - 32, 11. - 17. August 1999, S. 5: Janaev erklärt seine zitternden Hände damit, daß man seitens des Notstandskomitees auf eine Erklärung Gorbačevs gewartet hatte, die Leitung des Landes wegen Krankheit vorübergehend in die Hände des Komitees zu legen. Der erhoffte Brief kam aber nicht, und die Pressekonferenz mußte ohne die Absolution durch den Generalsekretär stattfinden.

[3] E. Mickiewicz (1997), aaO. S. 105 / 106.

[4] A. Nivat (1997), aaO. S. 111 - 113,  weist insbesondere darauf hin, daß auch viele Repräsentanten der konservativen Medien ihre Opposition gegenüber der harten Linie des Notstandskomitees zum Ausdruck brachten.

[5] Pressedekret vom 10.11.1917, veröffentlicht in: T. Gorjaeva (1997), Istorija sovetskoj političeckoj cenzury, Dokumenty i kommentarii, S. 27.

[6] Auf die Klage der Kommunisten hin urteilte das Verfassungsgericht der RF am 30. November 1992, daß die Suspendierung der KP verfassungsmäßig gewesen sei, das endgültige Verbot vom 6.11.1991 aber nicht für die territorialen Grundorganisationen der KPdSU gelten könne. Die Verstaatlichung des KP-Vermögens wurde insoweit für verfassungswidrig erklärt, als es durch Mitgliedsbeiträge entstanden sei.  

[7] A. Nivat (1997), aaO. S. 113 / 114.

[8] A. Nivat (1997), aaO. S. 116 / 117.

[9] H. Wendler (1995), aaO. S. 90.