c) Folgen der Bankenkrise 1998 (Nationales Presseinstitut der RF)
aa) Erster Bericht
Der
Geschäftsentwicklungsservice des Rußländischen Nationalen
Presseinstituts (NPI) veröffentlichte einen Monat nach dem Beginn der
Rubel- und Bankenkrise eine erste Studie über ihre Auswirkungen auf die
Massenmedien mit dem Titel: "Regionale Zeitungen und die
russische Krise".[1]
Grundlage der Studie war eine informelle Umfrage unter privaten
regionalen Zeitungen, die das Institut vom 2. bis 9. September durchführte,
"um die unmittelbaren Auswirkungen der wirtschaftlichen und
politischen Unordnung im Land" einschätzen zu können. Gemeint
war die Finanz- und Bankenkrise des August 1998. Die
Regierung der RF hatte am 17. August erklärt, die Verpflichtungen aus
ihren kurzfristigen Staatsanleihen (GKO) nicht mehr einhalten zu können.
Der Kurs des Rubel sei nicht mehr in dem festgelegten Korridor zwischen
6 und 9,5 Rubel pro Dollar zu halten, und über die Auslandsschulden der
kommerziellen Banken werde ein zweimonatiges Moratorium verhängt. Nach
den Erschütterungen der Finanzmärkte im März und Mai 1998 bedeutete
dieser Schritt den Eintritt in eine politische Krise großen Ausmaßes.
Binnen einer Woche dankte die reformorientierte Regierung des
Premierministers Sergej Kirienko ab, und als Regierungsvorsitzender
wurde nach längeren Verhandlungen Evgenij Primakov berufen, ein
Kompromisskandidat, der sich nicht nur der Zustimmung des Präsidenten,
sondern auch und vor allem der Unterstützung der Mehrheit der
Staatsduma erfreute. Die fortlaufende Verringerung der industriellen
Produktion und die starke Inflation machten außerordentliche
Regierungsmaßnahmen notwendig, und diese sollten von einer möglichst
breiten Basis der politischen Kräfte der RF mitgetragen werden. Die
Abwertung des Rubel erreichte während der Zeit der Untersuchung ihren Höhepunkt:
Der Rubel-Dollar-Kurs hatte Mitte August noch 6:1 betragen, Anfang
September fiel er auf 28:1.[2]
Panikkäufe der Bevölkerung und viele sofortige Geschäftszusammenbrüche
waren die unmittelbare Folge. Hinzu kam eine länger anhaltende
Bankenkrise, denn die Entscheidung der Regierung, ihre Schulden nicht
mehr zu bedienen, machte mittelbar auch einige zentrale Großbanken
zahlungsunfähig. Viele Anleger konnten ihre Bankguthaben monatelang
nicht abheben, und der später angebotene Kurs entwertete ihre
Ersparnisse beträchtlich. Die
Maßnahmen der Printmedien zur Bewältigung der wirtschaftlichen Krise
haben Licht auf ihre finanzielle Situation geworfen. Der Verfall des
Rubel entwertete die für die nächste Jahreshälfte bereits erhaltenen
Abonnementszahlungen der Leser. Nahezu keine der Zeitungen und
Zeitschriften verfügte über ausreichend Liquidität oder hatte genügend
Reserven, um auch nur die erste Woche der Krise ohne drakonische
Einsparungsmaßnahmen überstehen zu können. Angespartes, soweit es überhaupt
vorhanden war, verlor an Wert und wurde nicht selten für laufende
Rechnungen verwendet. Frühere Erfahrungen mit den verschiedenen vor Ort
ansässigen Kreditinstituten hatten immerhin dazu geführt, dass kaum
eine der befragten Zeitungen ihre Geschäftskonten bei den zahlungsunfähigen
Banken unterhielt. Die meisten Redaktionen kauften sofort soviel
Zeitungspapier wie möglich, was einen schnellen Preisanstieg bewirkte.
Zugleich stiegen die Kosten bei den staatlichen Druckereien. Nur zwei
der befragten Zeitungen besaßen eigene Druckerpressen. Nahezu alle
regionalen Zeitungen sind auf die staatlichen Druckereien und die
staatlichen Vertriebssysteme angewiesen, sie können sich also gegen
Preiserhöhungen kaum zur Wehr setzen. In vielen Fällen waren die
finanziellen Verhältnisse so schlecht, dass sie sogleich nach dem
Ausbruch der Krise ihre Auflagen verringerten und die Ausgaben
reduzierten oder vorübergehend sogar ganz einstellten. Viele Zeitungen
schickten einen Teil der Mitarbeiter in unbezahlten Urlaub. Einige
bestellten sogar die nationalen Nachrichtenagenturen ab und schlossen
bis auf weiteres ihren Internet-Anschluss.[3]
Vor allem aber kam es infolge der allgemeinen wirtschaftlichen Krise zu
schweren Einbrüchen auf dem Reklamemarkt. Viele Werbeverträge, die für
September und Oktober bereits unterzeichnet waren, wurden wieder rückgängig
gemacht. Das NPI kommentiert, dass hier die schicksalhafte Verbindung Rußlands
privater regionaler Zeitungen mit dem lokalen Kleinunternehmertum
offenbar wurde. Die Herausgeber hatten sich eben erst mit der Idee
vertraut gemacht, dass man Zeitungen durch Werbeeinkünfte finanzieren
kann. Ein wahrscheinlicher Effekt der Krise werde sein, diesen
psychologischen Durchbruch wieder zu gefährden. Die Herausgeber, die in
letzter Zeit öfter bei den lokalen Handelskammern als in den
verrauchten Räumen des Bürgermeisters geweilt hatten, sahen sich nun
wieder dazu veranlasst, auf die alten wahren Methoden zurückzugreifen,
d. h. sich staatlicher Hilfe zu versichern.[4]
bb) Zweiter Bericht
Die
vorsichtigen, aber eher pessimistischen Prognosen in Bezug auf die Überlebensfähigkeit
der privaten Massenmedien in den Regionen werden später durch das NPI
zum Teil wieder relativiert. Der Bericht
"Die Massenmedien in der Periode der Krise (August 1998 -
Februar 1999)" beschreibt im Nachhinein die Auswirkungen der
Krise auf alle, also auch die zentralen Massenmedien.[5]
Das NPI bewertet die Zeit August - September - Anfang Oktober 1998 als
Phase der Panik, die unterschiedslos sämtliche Massenmedien befallen
hatte und durch die Sperrung vieler Bankkonten und die plötzlichen Ausfälle
bei den Einkünften aus Werbung hervorgerufen wurde. In diese Zeit
fielen auch die düsteren Vorahnungen und Prognosen über ein
massenhaftes Absterben "unabhängiger" Zeitungen, die
Verstaatlichung der Massenmedien und die Zurücknahme der Freiheit des
Wortes. Als dann Anfang Oktober die Wirtschaft, insbesondere die
regionale und lokale Geschäftstätigkeit, langsam wieder auflebte und
die Nachfrage nach Anzeigen und Reklamesendungen zunahm, folgte der
Aufregung die Phase der mühsamen Adaption an die Zustände der Krise.
Die Reaktionen der Massenmedien wurden überlegter, die Hilfsmaßnahmen
zielgerichteter. Anfang Dezember war es schon gewiss, dass es nicht zu
massenhaften Zusammenbrüchen auf dem Markt gekommen war und dass die
Massenmedien ihre Attraktivität für wirtschaftliche und politische
Investitionen nicht eingebüßt hatten. Im Gegenteil, der politische
Einfluss auf die Massenmedien ist billiger geworden. Das NPI bezeichnet
die Zeit Dezember 1998 - Frühjahr 1999 als Ruhe vor dem Sturm, denn mit
den neuen, in der Krise entwickelten Strategien und mit den
bevorstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen sind zukünftig
größere Veränderungen möglich.
Die
Einleitung des Berichts macht darauf aufmerksam, dass es aufgrund der Unüberschaubarkeit
des Marktes der Massenmedien sowie der Undurchsichtigkeit der einzelnen
Medienunternehmen, ihrer Beteiligungen und ihrer Einkünfte, schwierig
ist, konkrete Aussagen über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise
zu machen. Die zentralen Moskauer und viele größere regionale
Massenmedien haben ihre Konten zudem nicht selten in Dollar geführt,
und sofern diese nicht gesperrt wurden, kam ihnen in der Zeit der Krise
die stärker werdende Kaufkraft des Dollars zugute. Und die Situation
der Massenmedien in den Regionen ist so unterschiedlich, dass es sich
geradezu verbietet, eine Einschätzung über eine nicht vorhandene
allgemeine Lage abzugeben. Ärmere Verwaltungsgebiete mit depressiver Ökonomie
haben die Augustkrise kaum zu spüren bekommen ("padat´ prosto
nekuda"),[6]
reichere Gouvernements verzeichneten hingegen große Gewinnausfälle und
entwickelten daraufhin die verschiedensten Überlebensstrategien. Insbesondere
die fehlende Transparenz des Werbemarktes und wenige verlässliche
Informationen über die tatsächlichen Gewinne aus Werbung - vorher
ebenso wie nach der Krise - machen eine genauere Beurteilung der
Krisenauswirkungen zum problematischen Unterfangen. Einerseits weigerten
sich die Massenmedien, die Preislisten für Reklameanzeigen und
Werbeminuten nach unten zu korrigieren, andererseits gewährten sie den
Reklameagenturen jedoch versteckte Rabatte in Höhe von bis zu 90% und
weiteten die heimliche und die schwarze Reklame ungeniert aus. Auch gab
es zwar besorgtes Gerede darüber, dass viele Zahlungen von
Reklameagenturen bei nunmehr zahlungsunfähigen Banken verloren gegangen
seien. Unklar blieb aber, in welchem Umfang es sich dabei um
Scheinbankrotte gehandelt hat, mit welchen das Krisenchaos ausgenutzt
wurde, um Gelder entweder überhaupt nicht oder aber unbemerkt und an
der Steuer vorbei an ihren Bestimmungsort gelangen zu lassen. Sicher
vertreten lässt sich lediglich die Aussage, dass das Reklamevolumen in
den zentralen Massenmedien im Oktober 1998 verglichen mit dem Oktober
1997 insgesamt um wenigstens 25 - 30 % zurückgegangen ist.[7]
Genauere Daten liegen für die zentrale Presse vor. Bei einer Reihe von
Zeitungen und Zeitschriften waren die Einnahmeausfälle deutlich höher
als der genannte Mittelwert. Obgleich einige Tages- und Wochenzeitungen
in den Krisenmonaten im freien Verkauf am Kiosk beträchtlich zulegten,
kompensierte der Mehrverkauf nicht die sprunghaft gestiegenen
Herstellungskosten, denn die Verkaufspreise konnten nicht entsprechend
angepasst werden. Umfragen des NPI unter den regionalen Printmedien
brachten wie erwähnt sehr unterschiedliche Resultate. Sie waren
einerseits nicht so stark vom Abzug der Ausländer betroffen wie die
Moskauer Medien und kannten ein bescheideneres Preisniveau, andererseits
führten sie weniger Dollarkonten und bekamen die Inflation mehr zu spüren. Nach
der Ansicht A. Pankins, des Direktors des Forschungszentrums
Massenmedien beim NPI, lässt sich nicht einmal auf die Frage, ob der
staatliche Druck auf die Massenmedien zugenommen hat, eine eindeutige
Antwort geben. Das russische Mediensystem stamme zum großen Teil aus
alten Zeiten und werde von politischen Zweckmäßigkeiten geprägt. Der
Präsident ernennt und entlässt den Direktor der VGTRK per Dekret, ohne
sich um die Satzung der staatlichen Gesellschaft zu kümmern, die eine fünfjährige
Amtszeit vorsieht. Die Versuche der Staatsduma, in der VGTRK politische
Aufsichtsräte einzuführen, seien eine Angelegenheit, die man sehr
unterschiedlich bewerten könne, je nachdem, ob man die ausländischen
Vorbilder solcher Medienräte heranzieht oder auf die Gefahr der
Staatszensur abstellt. Nach der Abstimmung über die Verlängerung des
Gesetzes "Über die staatliche Unterstützung der
Massenmedien" seien diejenigen Abgeordneten, die dagegen stimmten
(z.B. S. Kovalev, G. Javlinskij, J. Ščekočichin, V. Irgunov),
in den Medien laut als "Feinde der Pressefreiheit" beschimpft
worden. Zugleich habe man verschwiegen, dass die Befürworter des
Gesetzes vor allem aus den Reihen der Fraktionen der KPRF und der LDPR
kamen, die seit langem für eine stärkere staatliche Kontrolle der
Massenmedien eintreten.[8]
Dennoch sind die allgemeinen Tendenzen der wirtschaftlichen und ökonomischen
Entwicklung der Massenmedien nach der Augustkrise aufgrund der
gesammelten Daten und unter Berücksichtigung der genannten Einschränkungen
erkennbar. Nach A. Pankin lassen sich einige objektive, ideologiefreie
Aussagen machen. Zunächst
ist festzustellen, dass vielen negativen Auswirkungen der Krise allein
durch neue Lenkungsmethoden der Unternehmensführung begegnet werden
konnte. Dieser Befund trifft nach der Ansicht Pankins gerade auf die
regionalen Massenmedien zu: vielfach habe sich das Management gewandelt
- eine an sich positive Folge der Krise. Die Massenmedien haben lange
eine privilegierte Sonderrolle in der russischen Wirtschaft gespielt,
und in gewisser Weise hat jede größere Krise hinsichtlich ökonomischer
Fehlentwicklungen die Kraft eines reinigenden Gewitters: "(...)
die gesamten Medien gingen von der Vorstellung ihrer Sonderrolle in der
Gesellschaft aus und erreichten durch aktiven Lobbyismus auf föderaler
und regionaler Ebene ein System von Vergünstigungen und Privilegien
gegenüber den anderen Wirtschaftsbranchen. Im Ergebnis verfügten die
Massenmedien tatsächlich über eine der angenehmsten Besteuerungsarten,
und ebenso über direkte Dotationen, hauptsächlich aus den regionalen
Budgets. Indem sie die Vielfalt und den Pluralismus der Medien bewahrte,
verringerte eine solche Vorzugstellung zugleich den Anreiz, sich auf die
Bedingungen des Marktes einzurichten. Auf gesamtwirtschaftlicher Ebene
betrachtet wurden die Medien zu einer jener lobbyistischen Gruppen in
der Gesellschaft, die für sich immer wieder ein besonderes
Ordnungsregime aushandelten und dabei recht eigentlich die liberalen
Reformen begruben, die bekanntlich mit so unterschiedlichen Spielregeln
auf dem Markt nicht in Übereinstimmung zu bringen sind. Die negative
Rolle der Presse verstärkte sich dadurch, dass ihre Blüte nicht vom
realen Zustand der Wirtschaft getragen werden konnte. Die Krise selbst rührte
in Wirklichkeit daher, dass zwischen der tatsächlichen Nachfrage und
der Vorstellung der Medien darüber, wie viele der Markt ernähren könne,
eine große Kluft herrschte."[9] Entsprechend skizziert das NPI den Vorkrisenzustand des Medien- und Reklamemarktes mit den folgenden Stichworten:
Zu
den Krisenfaktoren, die sich besonders auf die Lage der Massenmedien
ausgewirkt haben, zählt das NPI vor allem fünf Umstände:
Das
Ergebnis der Untersuchung über die Auswirkungen der Krise lautet
zusammengefasst, dass es auf dem Medienmarkt wider Erwarten nicht zu
massenhaften Zusammenbrüchen gekommen ist, und dass in erster Linie die
Moskauer Medienimperien der sogenannten "Oligarchen" gelitten
haben. Sie hatten im Vertrauen auf die Kontinuität der damaligen
wirtschaftlichen Entwicklung langfristige Investitionen getätigt und
sahen sich nun mit einer völlig anderen Wirklichkeit konfrontiert; mit
anderen Worten, sie hatten sich verkalkuliert. Weitaus weniger betroffen
waren die Massenmedien der fortgeschritteneren Regionalmärkte, denn
selbst die Budgets vergleichsweise großer regionaler Medienunternehmen
sind bescheidener und orientieren sich mehr an den Möglichkeiten örtlicher
Auftraggeber für Anzeigen und Werbesendungen. Hier können neue
Managementmethoden, evtl. auch ein verringerter Personalbestand und eine
größere Diversifikation des Unternehmens schnelle Resultate bringen. Im
Verlauf der Krise wurde sichtbar, dass sich viele Unternehmen der
Medienbranche nicht an wirtschaftlichen Kriterien orientieren. Die
Verschärfung des Wettbewerbs führte zur Desorganisation vieler Märkte,
offizieller wie inoffizieller. Einige Moskauer Werbeagenturen mussten
entdecken, dass sie irreale Preise bildeten. Erneut machte man die
Erfahrung, dass die Preisbildung sehr durch Angebot und Nachfrage
reguliert werden kann; als Kampfmittel wurden das Dumping und kartellähnliche
Absprachen eingesetzt. Wie das NPI feststellt, wurde so von vielen
Medienunternehmen das Problem des Überlebens auf die eine oder andere
Weise gelöst; das Problem mangelnder Investitionen konnte indessen
nicht mit gleichem Erfolg bewältigt werden. Neben der fehlenden
Transparenz des Marktes und der Unternehmen, die insbesondere auf ausländische
Investoren eher abschreckend wirkt, scheinen es gerade die gewählten Überlebensstrategien
zu sein, die einer erfolgreichen wirtschaftlichen Umstrukturierung
entgegenstehen. Das
NPI beobachtete eine Tendenz zur Verstaatlichung der Massenmedien, die
auf Gegenseitigkeit beruht. Staatliche Organe aller Ebenen und
politischen Ausrichtungen nutzen die gegenwärtige ökonomische Schwäche
der Medienunternehmen aus, um die "herrenlosen" unter ihnen in
ihren Bannkreis zu ziehen, und viele Herausgeber und Journalisten folgen
ihrem Ruf nur allzu bereitwillig, weil sie die Sicherheit des
Arbeitsplatzes der redaktionellen Unabhängigkeit vorziehen. In der Zeit
der bevorstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen wirken das
traditionelle Vertrauen in den Staat und die Politisierung der
Massenmedien zusammen, und die vielen während der Krise neu
entstandenen Sammlungsbewegungen und Interessenverbände der Medien
scheinen sich bisher vorrangig zur Wahrung der bestehenden Privilegien
und zum Empfang neuer staatlicher Hilfen gebildet zu haben. Auch das
Entstehen größerer Medienholdings dient offensichtlich nicht nur der
Ermöglichung einer vorteilhaften Zusammenarbeit von Zeitungen, Sendern
und Werbeagenturen, sondern geschieht in vielen Fällen zu Zwecken der
mehr oder weniger unauffälligen Beteiligung des Staates und der
Verteilung von finanziellen Unterstützungen in einem einheitlich
gelenkten Zusammenschluss. Diese
Form des Zusammenwirkens der Medien mit staatlichen Strukturen, die A.
Pankin als "gegenseitige Erpressung und gegenseitige
Schmeichelei" bezeichnet, ist nach seinen Worten eher vorübergehender
Natur und könnte mit dem Ablauf der Präsidentschaftswahlen im Jahr
2000 ein vorläufiges Ende nehmen. Seine Hoffnung gründet sich auf die
Annahme, dass den regionalen und föderalen Haushalten keine
unbegrenzten Finanzmittel zur Verfügung stehen. Die eher unabhängig
und nach wirtschaftlichen Kriterien arbeitenden Medienunternehmen
stellen die Existenzberechtigung überwiegend staatlich finanzierter
Medienholdings spätestens dann in Frage, wenn diese Verluste machen und
die Notwendigkeit staats- oder administrationstreuer Medien nicht mehr
so dringend erscheint wie zur Wahlzeit. Gleichwohl ist es noch keine ausgemachte Sache, dass nach einer immerhin zweijährigen Phase wichtiger Volkswahlen die privat geführten Medienunternehmen triumphieren und die Interessenverbände der Medien sich in Vorkämpfer der Unabhängigkeit vom Staat verwandeln. Die kurzfristigen Vorteile staatlich finanzierter Medienholdings könnten ebenso zu einer dauerhaften Verfestigung gemischter staatlich-privater Strukturen führen. Unabhängige regionale Zeitungen sind gefährdet; gerade auf regionaler Ebene sind staatlich unterstützte Massenmedien den privaten in vieler Hinsicht überlegen. Sie haben die Möglichkeit des Dumpings und sind zugleich weniger dem Preisdiktat staatlicher Druck- und Vertriebsmonopole oder gewissen behördlichen Repressionen ausgeliefert. Die rein privaten Gesellschaften können sich dagegen hauptsächlich durch ihr gutes Ansehen und ein besseres rating wehren. Sie müssten außerdem mit dem jetzt schon zu beobachtenden Trend fortfahren und sich besser organisieren, sei es, dass sich Verlagshäuser mit nichtstaatlichen Druckereien verbinden und eigene Verteilungssysteme aufbauen, sei es, dass sich die Redaktionen von Zeitungen mit anderen Massenmedien und Werbeagenturen in privaten Medienholdings zusammenschließen. Beide Vorgehensweisen erfordern den Zufluss von Kapital, zumindest die Möglichkeit der Kreditaufnahme. Als Schlüsselfrage betrachtet das NPI deshalb den Erfolg oder Misserfolg der Zentralbank bei dem Versuch, das System umzustellen und die kreditgebende Funktion der Banken wiederzubeleben. Langfristige Darlehen müssen sich wieder rechnen, sonst fahren die Kreditinstitute - wie vor der Augustkrise - damit fort, sich mit kurzfristigen Spekulationsgewinnen zu beschäftigen. Ebenso muss zugunsten ausländischer Investoren ein Mindestmaß an Transparenz gewährleistet werden, damit sich diese trauen, den Fuß wieder über die Grenze zu setzen. Bewegt sich die Entwicklung in diese Richtung, so sieht das NPI im Prozess der Politisierung der Massenmedien während der Zeit der Wahlen keinen ausschließlich negativen Prozess in Richtung auf eine einseitige Verstaatlichung der Massenmedien, sondern vielmehr ein pluralitätsförderndes Ereignis, das aufgrund der kurz- und mittelfristigen politischen Investitionen allen Massenmedien zugute kommt. [1]
The Business Development Service of the Russian National Press
Institute (1998), Regional Newspapers and the Russian Crisis,
16.9.98. [2]
Auch im Februar 1999 hatte sich dieser Kurs kaum wieder erholt,
sondern war weiterhin bei etwa 23:1 stehengeblieben. Die Kaufkraft
des Dollars verdoppelte sich. [3]
The Business Development Service of the Russian National Press
Institute, aaO., Kapitel: "How Newspapers Have Responded". [4]
The Business Development Service of the Russian National Press
Institute, aaO., am Ende des Berichts, unter "Prognosen". [5]
NPI / A. Pankin (1999): Sredstva massovoj informacii Rossii v period
krizisa (avgust 1998 - fevral´ 1999). [6]
Übersetzung etwa: "Tiefer kann man nicht fallen." [7]
Das NPI stützt diese Aussage auf das Monitoring der "Russian
Public Relations Group", in dem die Veränderung der Anzahl der
Anzeigen oder Werbesendungen, der Anzeigenfläche bzw. der
Werbeminuten sowie der "Ausgaben" in US-$ einzeln aufgeführt
und nach Monaten verglichen werden. Die offiziellen Daten der Rußländischen
Assoziation der Reklameagenturen (RARA) vergleichen 1998 insgesamt
mit 1997, so daß sie lediglich eine gewisse Umverteilung der
Reklameaufträge unter den einzelnen Werbeträgern ausweisen
(Fernsehen - 13 %, Presse + 5 %), aber keinen Rückgang der Werbung
an sich. [8]
NPI / A. Pankin, aaO. unter "Vstuplenie". [9]
NPI / A. Pankin, aaO. unter "Otvetstvennost´ SMI za
krizis" (Übers. d. Verf.). [10]
Vgl. FAZ vom 27. Mai 1999, S. 18: Rußlands Mittelstand läßt kräftig
Federn: Eine Umfrage des Russischen Unabhängigen
Forschungsinstituts für Sozialpolitische und Sozialökonomische
Probleme ergab, daß vor der Krise noch knapp 25 % der erwachsenen
arbeitsfähigen Bevölkerung in Rußland zur Mittelschicht zählten,
danach nur noch etwa 16 - 18 %. In die Erhebung gingen 1765 Personen
ein; zu den Kriterien zählte ein monatliches Pro-Kopf-Einkommen von
nicht weniger als 1000 Rubel (rund 40 US-$) pro Familienmitglied.
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