3.1.1. Phrygien

 

3.1.1.1. Einführung

 

Literarische Quellen zu Phrygien sind nur spärlich überliefert. Zeitgenössische Nachrichten bieten die Annalen des assyrischen Königs Sargon II (R 721-705), dessen Tatenberichte für die Jahre 717 bis 709 v. Chr. einen aufsässigen König namens Mita von Mushki überliefern, der anfangs mit einigen Nachbarkönigen der Länder Tabal und Karkemisch gegen das assyrische Reich Ränke spann, um letztendlich doch tributpflichtig zu werden.[1] Sargon betont dabei, daß er diese Zwistigkeiten bereits von seinen Vorgängern geerbt habe. Den Phrygerkönig Mita der assyrischen Texte hat man seit langem mit dem Midas der griechischen Überlieferung identifiziert, der einige Zeit vor dem lydischen König Gyges in Phrygien herrschte und einen Thron, auf dem er Gericht zu halten pflegte, an das Apollonheiligtum in Delphi schickte.[2] Einem Aristoteles-Fragment und einer kaiserzeitlichen Quelle zufolge, war Midas mit einer griechischen Prinzessin aus dem aeolischen Kyme verheiratet.[3] Das Ende dieses Königs hat Strabon beschrieben, der überliefert, daß Midas sich beim Einmarsch der Kimmerier durch das Trinken von Stierblut das Leben genommen habe.[4]

Für die Dauer der Regierung des Midas gibt es zwei Quellen: Zum einen den Kirchenvater Eusebios, dessen Chronologie in einer lateinischen und einer armenischen Abschrift erhalten ist, die abweichende Daten nennen: Die lateinische Fassung gibt den Regierungsantritt mit 742 v. Chr. und ihr Ende mit 696 v. Chr. an. Die armenische Version setzt hier 738 respektive 695 v. Chr. fest. Ein hiervon beträchtlich abweichendes Jahr für den Tod des Midas nennt der Chronograph Julius Africanus mit 675/4 v. Chr.[5] Die Regentschaft hätte nach Eusebius 48 bzw. 43 Jahre gedauert, nach Julius Africanus über 50 Jahre, wenn man die Angabe aus Sargons Annalen über den Beginn der phrygisch-assyrischen Streitigkeiten noch in die Zeit von Sargons Vorgängern legt.[6] Seit den Forschungen der Brüder Koerte wurde immer wieder die ungewöhnlich lange Regierungszeit von Midas nach der Rechnung von Julius Africanus als Argument für die eusebischen Daten angeführt.[7]

Die archäologische Erforschung der Phryger begann mit den umfangreichen Expeditionen englischer, französischer und schließlich auch deutscher Gelehrter, die im 19. Jahrhundert das Land bereisten und erste Reisebeschreibungen und Zeichnungen veröffentlichten.[8] Im Vordergrund standen hierbei zunächst die großformatigen Felsdenkmäler und erst ab 1900 begann mit der Grabungskampagne der Brüder Koerte in der ehemaligen phrygischen Hauptstadt Gordion auch die wissenschaftliche Erforschung der Grabhügel.[9] Inzwischen gehört die gordische Nekropole mit über 20 vollständig publizierten Einzelgräbern zu den am besten dokumentierten antiken Tumulusfriedhöfen überhaupt (Taf. 1).

Nach den Forschungen der Brüder Koerte, die fünf der insgesamt über 80 im Umfeld von Gordion gezählten Gräber freilegten und einen ersten Schnitt in der zugehörigen Siedlung öffneten, nahm 1950 das Pennsylvania University Museum unter der Leitung von Young die Untersuchung der Tumuli wie auch des Siedlungshügels in Gordion wieder auf. Die Ergebnisse erschienen seit 1955 fortlaufend in Form von Grabungsberichten im American Journal of Archaeology. Nach dem tragischen Tod des Ausgräbers Young im Jahre 1974 verzögerte sich die Endpublikation und erst 1981 erschien posthum die erste Monographie über die drei größten gordischen Tumuli W, P und MM („Midas mound“).[10] 1995 schloß sich ein Band über 15 Grabhügel mit Körperbestattungen an.[11]

Zwei weitere Fundplätze phrygischer Hügelgräber - Ankara und der Friedhof auf dem Kerkenes Dag - sind weit weniger gut erforscht. In mehreren Etappen erfolgte die wissenschaftliche Untersuchung der Nekropole von Ankara, die sich im Westen der antiken und modernen Stadt auf einer Gruppe von natürlichen Hügeln namens Beatepeler („Die fünf Hügel“) befindet (Taf. 26). Einen ersten Plan der zu diesem Zeitpunkt sichtbaren 16 Tumuli erstellte R.C. Thompson 1909.[12] 1926 ging Makridi dann an die erste planmäßige Ausgrabung dreier Grabhügel (Büyük Tümülüs, türk. „Großer Tumulus“ = B.T., Makridi II und Makridi III).[13] Weitere Einblicke in die phrygische Nekropole erhielt man in den 40er Jahren, als im Zuge der Planierungsarbeiten für das Atatürk-Mausoleum auf dem Anittepe in Ankara durch Özgüc und Akok zwei kleinere Tumuli (Anittepe I+II) in der Nachbarschaft des Mausoleums ausgegraben wurden (Taf. 27,1).[14] In den 60er Jahren untersuchte dann ein Team der Middle East Technical University (METU) unter der Leitung von Akurgal drei Tumuli, darunter den größten Grabhügel Ankaras (B.T.), den Makridi bereits in den 20ern angeschnitten hatte, ohne eine Grabkammer zu finden (Taf. 29.30,1).[15] Der letzte von Buluc 1979 vorgelegte Plan der phrygischen Gräber in Ankara weist insgesamt 20 Gräber aus, von denen acht Exemplare bisher mehr oder weniger umfangreich publiziert sind (Taf. 26).[16]

Die Nekropole auf dem Kerkenes Dag, südöstlich von Boaazköy gelegen, wurde erstmals 1928 von Erich F. Schmidt für das Oriental Institute von Chicago untersucht.[17] Von den 69 gezählten Tumuli, die eine Meile westlich der Siedlung auf einem nordöstlich-südwestlich orientierten Hügelband liegen, grub Schmidt vier kleinere Gräber von 2 m Höhe aus und publizierte die Funde in knapper Form. Alle Grabhügel haben eine im Grundriß runde konische Gestalt und sind von 20 cm bis 10 m hoch. Schmidt fand unter einem Tumulus (Tepe I) eine Brandschicht mit Eisen- und Bronzefragmenten, ein zweiter (Tepe IV) enthielt eine Bronzeschale und bemalte Keramik.

Neben den genannten Orten gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Fundplätze phrygischer Grabhügel, deren Publikationsstand es aber leider nicht zuläßt, sie in die Materialsammlung dieser Arbeit aufzunehmen.  Darunter das nordöstlichvon Gordion gelegene Yenidogan, das bisher nur durch zwei kurze Fundanzeigen bekannt gemacht wurde.[18] Es handelt sich um eine phrygische Zitadelle, die bis ins 7./6. Jahrhundert v. Chr. bewohnt war und größere Ausmaße hat als die gordische. In der Umgebung befinden sich fünf bisher nicht untersuchte Tumuli.

Ebenfalls unausgegraben sind auch die Grabhügel in den ostphrygischen Orten Dökmetepe und Cayköy.[19]

Ein weiterer Tumulus wurde im ostphrygischen Pazarli gefunden.[20] Über verbrannten (?) Mauerresten erhob sich ein 7 m hoher Hügel, der durch einen Raubgräberschacht im Zentrum geplündert worden war. In der Aufschüttung fanden sich phrygische Funde.

Aus dieser Zusammenstellung wird ersichtlich, daß bisher für zwei Regionen phrygische Tumuli belegt sind: Zum einen Zentral-Phrygien mit den Fundorten Gordion (türk. Yassihüyük), Yenidogan und Ankara (türk. Ankyra), zum anderen Ost-Phrygien, wo in Pazarli und auf dem Kerkenes Dag Gräber untersucht worden sind und sich phrygische Keramik und Bronzearbeiten fanden.[21]

Diese beiden Regionen decken jedoch nicht das gesamte phrygische Gebiet ab. Prayon und Wittke haben im Rahmen der Arbeit am Tübinger Atlas des Vorderen Orients auf dieses Problem aufmerksam gemacht.[22] Sie definieren den engeren Kulturraum „Phrygien“ über die Verbreitung gewisser Leitformen, die bei den Grabungen im phrygischen Kerngebiet zutage getreten sind und als einheimisch angesehen werden können. Hierunter fallen Objekte der Kleinkunst (Fibeln, Schalen, Metallgürtel, Keramik etc.), Felsdenkmäler und phrygische Inschriften. Für den so bestimmten Kulturbereich fehlen Fundplätze für Tumuli aus West-Phrygien, d. h. der gut erforschten Umgebung von Midasstadt, völlig.[23] Ist dieses Phänomen nicht erhaltungs- oder forschungsbedingt, so läßt es sich vielleicht mit dem Nebeneinander verschiedener Grabsitten innerhalb der Einzelregionen Phrygiens erklären.[24]

 



[1] Eine englische Übersetzung der betreffenden Textstellen findet sich bei D.D. Luckenbill, Ancient Records of Assyria and Babylonia II (1968) Nr. 8.16.18.25.42.43.55.71.80.92.99.118.214.; Prunkinschrift aus Khorsabad (Luckenbill 71): „...and while I was waging bitter warfare against the land of Iatburu [...] my official, the governor of Kue (Kilikien) made a raid against Mita of the land of Muski and three of his provinces. His cities he destroyed, devastated and burned with fire. Their heavy spoil he carried off. And that Muskean Mita, who had not made his submission to the kings who went before me, without changing his mind, sent his messenger to me, [...] to do service and to pay tribute and gifts.“

[2] Hdt. 1, 14.

[3] Aristoteles, fr. 611, 37 (V. Rose) nennt sie Hermodike; Pollux, Onomastikon IX 83 überliefert ihren Namen mit Demodike. Sie sei die Tochter des Königs Agamemnon von Kyme gewesen. Beide Quellen bringen mit ihrem Namen die früheste Münzprägung Kymes zusammen; für den frühen Ansatz der phrygisch-griechischen Kontakte, bereits in der Midaszeit, spricht sich O.W. Muscarella, King Midas of Phrygia and the Greeks, in: K. Emre u.a. (Hgg.), FS T. Özgüc (1989) 333 ff. aus. Der Verfasser macht hierfür den Fund von griechischer Keramik des späten 8. Jahrhunderts v. Chr. und von ostgriechischen Fibeln der gleichen Zeit geltend.

[4] Strab. 1, 3, 21; Eusebios nennt den Kimmeriereinfall nicht.

[5] E.-M. Bossert, Zum Datum der Zerstörung des phrygischen Gordion, IstMitt 43, 1993, 287 ff.

[6] Vor Sargon II (R 721-705) regierten Salmanassar V (R 726-722) und Tiglatpileser III (R 745-727). Midas muß also wenigstens seit der Regierungszeit Tiglatpileser III König von Phrygien gewesen sein.

[7] G. Koerte-A. Koerte, Gordion, 5. Ergh. JdI (1904) 24 hält eine derart lange Regierungszeit nicht für unmöglich aber „unwahrscheinlich“; dem schließt sich F. Prayon, Phrygische Plastik (1987) 25 A 39 an.

[8] F. Prayon, Phrygische Plastik (1987) 17.

[9] G. Koerte-A. Koerte, Gordion, 5. Ergh. JdI (1904) passim; zugunsten einer möglichst großen Übersichtlichkeit wird bei der Benennung der hier behandelten Grabhügel möglichst die Bezeichnung der Ausgräber beibehalten oder es werden die in der Forschung bereits vorgeprägten „nicknames“ übernommen. So erhielten die von den Koerte-Brüdern lateinisch durchnummerierten Gräber durch die amerikanischen Ausgräber von Gordion ein zusätzliches K: KI, KII, KIII, KIV, KV. Die übrigen gordischen Tumuli sind nach den Lettern des Alphabets durchgezählt, wobei die Gräber des Southridge ein S und eine Zahl tragen. Wo noch kein Name vergeben worden ist, werden die Gräber hier durch ihren Fundort und die Zählung des jeweiligen Ausgräbers identifiziert. Das Material der Koerte-Grabung war 1992 die Grundlage einer Ausstellung im Istanbuler Archäologischen Museum, die auch eine Rekonstruktion der Grablege von KIII vorstellte. Vgl. AJA 96, 1992, 121.

[10] R.S. Young, Three Great Early Tumuli (1981).

[11] E.L. Kohler, The Lesser Phrygian Tumuli I: The Inhumations (1995): B, C, G, H, J, KY, N, Q, S, X, Y, S1, S2, S3, Z; ein weiterer Band über die Brandbestattungen in den Tumuli A, D, E, F, I, K, M, R und U ist angekündigt. (Ein vorläufigen Bericht über die Gräber A, F, E, I und M bei E.L. Kohler, Cremations of the Middle Phrygian Period at Gordion, in: K. de Vries (Hrsg.), From Athens to Gordion, FS R. S. Young (1980) 65 ff. an.).

[12] Ein Abdruck des alten Plans findet sich bei T. Özgüc-M. Akok, Die Ausgrabungen an zwei Tumuli auf dem Mausoleumshügel bei Ankara, Belleten 11, 1947, Taf. 23, Abb. 55.

[13] T. Makridi, Ankara Höyüklerindeki Hafriyata Dair Rapor, Maarif Vek. Mecmuas, No. 6 (1926) 38-45; ein kurzer Bericht über Grabung und Ergebnisse von M. Schede erschien im AA 1930, 479-483.

[14] T. Özgüc-M. Akok, Die Ausgrabungen an zwei Tumuli auf dem Mausoleumshügel bei Ankara, Belleten 11, 1947, 57 ff.

[15] METU I+II; die Ergebnisse dieser Grabungen sind durch kurze Notizen im AJA von Mellink und die Habilitationsschrift von S. Buluc, Ankara frig nekropolünden üc tümülüs buluntulari (1979) zugänglich. Für die Zusendung der Schrift von Frau Buluc möchte ich mich bei Frau Dr. Nalan Akyurek Vardar vom METU Museum an dieser Stelle herzlich bedanken.

[16] S. Buluc, Ankara frig nekropolünden üc tümülüs buluntulari (1979) Taf. 1.

[17] E.F. Schmidt, AJSL 45, 1929, 221 ff. zur Nekropole 250 ff.; seit 1993 existiert ein türkisch-britisches Survey-Projekt der METU und des British Institute of Archaeology at Ankara, das sich die siedlungsarchäologische Erforschung des Kerkenes Dag zum Ziel gesetzt hat, M.E.F. Summers-K. Ahmet, AnatSt 45, 1995, 43 ff.

[18] M. Mellink, AJA 77, 1973, 179 f.; dies., AJA 84, 1980, 508 f.

[19] Hierzu AnatSt 21, 1971, 123.119.

[20] H. Koaay, Les fouilles de Pazarli (1941) 19.

[21] Vgl. die Verbreitungskarte 6.1.1. Die Fundorte phrygischer Tumuli sind bei F. Prayon-A.-M. Wittke, Kleinasien vom 12.-6. Jh. v. Chr. (1994) Karte 12 und mit Literatur im Textband verzeichnet.  Die Autoren kartieren über die hier genannten Plätze hinaus noch Bogazköy, Prayon-Wittke a. O. 113. Gegen phrygische Grabsitten in Bogazköy spricht sich Mellink, IstMitt 43, 1993, 293 aus.

[22] F. Prayon-A.-M. Wittke, Kleinasien vom 12.-6. Jh. v. Chr. (1994) 86.

[23] Zur geographischen Ausdehnung Phrygiens vgl. G. Koerte-A. Koerte, Gordion, 5. Ergh. JdI (1904) 2 ff.; R. D. Barnett, Phrygia and the Peoples of Anatolia in the Iron Age, CAH II (1967) Kapitel 30, 5; F. Prayon, Phrygische Plastik (1987) 20 ff. bes. 23 und die Karte a. O. Abb. 1; F. Prayon-A.-M. Wittke, Kleinasien vom 12.-6. Jh. v. Chr. (1994) 85; zu Midasstadt und Umgebung C.H.E. Haspels, The Highlands of Phrygia (1971). Haspels spricht sich für die Existenz einer phrygischen Siedlung im ausgehenden 8. Jahrhundert v. Chr. aus. Zeugnisse hierfür sind Keramikfunde und das Midas-Monument, eine über 16 m hohe Felsfassade, deren Inschrift den Namen Midas nennt, s. Haspels a. O. 104. 108 f.

[24] F. Prayon-A.-M. Wittke, Kleinasien vom 12.-6. Jh. v. Chr. (1994) 20 halten die Verteilung von Grabhügeln für ein forschungsbedingtes Problem, „da die Tumuli in Mittel- und Südost-Anatolien noch weitgehend unerforscht sind.“