5.2. Die Stellung von Elitegräbern zwischen Tradition und Repräsentation

 

Innerhalb dieser Arbeit spielten Überlegungen zum religiösen Gehalt von Grabanlagen nur am Rande eine Rolle. Zum einen liegt das an der Natur des archäologischen Materials, das zum Verständnis dieses Bereiches nur ausnahmsweise einen Beitrag leisten kann, da die Überreste einen Einblick in die materielle Kultur, nicht aber in die Vorstellungswelt bieten können. Zum anderen betont die religionswissenschaftliche Forschung die enge Durchdringung von gesellschaftlicher Realität und religiösen Vorstellungen. Demnach ist es nicht sinnvoll, die Welt der Toten von der der Lebenden zu scheiden und sie getrennt als voneinander unabhängige Gebiete zu betrachten.

Dem traditionellen Verständnis zufolge sind Gräber ein tendenziell träges Medium, das sich nur nach und nach verändert und an alten Gebräuchen und Formen noch festhält, während in anderen Bereichen bereits neue Ausdrucksformen eingesetzt werden. Bei der Durchsicht der beschriebenen Elitegräber scheint hier Vorsicht geboten zu sein. Nur selten erschließt sich die Grabform in befriedigender Weise aus dem bereits vorhandenen Repertoire. Als Beispiel mögen hier die Tumuli Etruriens dienen: Zwar gibt es in Caere als Vorform der großen Grabhügel die tumuletti archaici, en detail wird der große Sprung zum monumentalen Tumulus mit gebauter Kammergrabanlage aber deutlich.

Gerade anhand der etruskischen Tumuli läßt sich auch sehr schön die Vielfältigkeit der Einflüsse konkret darlegen, die bei der Gestaltung des Elitegrabes eine Rolle spielten. Auf der Suche nach möglichst repräsentativen Einzelformen bediente man sich in Zypern, Griechenland und dem Alten Orient. Es waren also offenbar nicht die althergebrachten Traditionen und Vorschriften, sondern das Bedürfnis nach einer ästhetisch möglichst wirksamen, d. h. neuen und überraschenden Inszenierung von Besitz und Sozialprestige, das bei der Ausgestaltung der monumentalen Tumuli entscheidend war.

Ähnlich aufgebaute und ausgestattete Grablegen erklären sich nach diesem Modell nicht aus kultureller Abhängigkeit oder durch Wanderungsbewegungen, sondern aus vergleichbaren Bedürfnissen heraus. Aus diesem Grunde wurde auch darauf verzichtet, eine auf die Form abhebende Typologie des Tumulusgrabes vorzulegen.

 

Verschiedene Problembereiche, die am Anfang der Beschäftigung mit dem gewählten Thema von Bedeutung waren, konnten nicht weiterverfolgt werden. So muß die Beantwortung der Frage nach den möglichen Ursachen für die Wahl eines Erd- oder Steinhügels als Elitegrabform hypothetisch bleiben.

Leider ist die Anzahl der antiken Quellen, die hierzu herangezogen werden können sehr klein und betrifft überwiegend Griechenland. Dort ist der Tumulus seit den Homerischen Epen vor allem ein Ehrenmal, das ganz konkret durch seine Größe die Anzahl der an seinem Bau beteiligten Personen, d. h. der potentiellen Anhängerschaft des Toten wiedergibt. Solange Freie diesen letzten Dienst verrichteten, war der Erdhügel ein dauerhaftes und sicheres Kennzeichen des Elitegrabes und ist durch die Inschrift von Troizen[1] auch als Gemeinschaftsleistung der Hetairoi belegt.[2]

Erst schemenhaft zeichnet sich die Funktion des Tumulus abgesehen von seiner Aufgabe als Schutz und Kennzeichnung der Bestattung ab. Um Fragen beantworten zu können, die sich mit dem Tumulus in seiner Eigenschaft als Monument beschäftigen, wäre es wünschenswert, das Augenmerk zukünftig vermehrt auf die Aufschüttung selbst und die nähere Umgebung des Grabhügels zu lenken.

Die neuesten Forschungen beispielsweise zum frühhallstattzeitlichen Glauberg in Hessen belegen, daß Elitebestattungen unter Umständen in riesige Kultbezirke eingebunden waren.[3] Der Glauberg ist - ähnlich dem Alyattesgrab in Sardis - das Ziel eines breiten Prozessionsweges und befindet sich in einem durch Gräben und Pallisaden geschützten Terrain. Eine systematische Erforschung der Umgebung könnte Hinweise auf den rituellen Rahmen geben, der für die dauerhafte Wirkung des Grabes von Bedeutung war. Das Statuen- und Reliefprogramm etwa des hellenistischen Nemrud Dag bietet ein anschauliches Beispiel dafür, daß die äußere Gestaltung der königlichen Grablege einen wichtigen Schlüssel zum Selbstverständnis des Herrschers bieten kann.[4]

Noch zu wenig ausgeschöpft sind auch die Aussagemöglichkeiten von beraubten oder teilerforschten Tumuli. Häufig befinden sich besonders interessante Befunde außerhalb der eigentlichen Grabkammer. So beim Tschertomlyk-Kurgan und dem Tumulus B.T. in Ankara.[5] Die Überreste von Wagen und dazugehörigen Gespannen konnten überzeugend als Teile des Trauerzuges gedeutet werden, die ebenfalls unter dem Grabhügel beigesetzt worden waren.

Natürlich müssen bei einer weitgehenden Durchforschung der Aufschüttung auch denkmalpflegerische Gesichtspunkte berücksichtigt werden.

Besonders umstritten ist die Frage nach der Bauzeit von monumentalen Tumuli. Verschiedene Berechnungsversuche gründen auf Schätzungen zur Anzahl der zur Verfügung stehenden Arbeiter und des Tagespensums.[6] M. E. sind entsprechende Rechnungen für den Großteil der hier vorgestellten Tumuli wenig erfolgversprechend, da für die Frühzeit nur äußerst lückenhafte Kenntnisse zur Bevölkerungszahl, den Anbaumethoden und den technischen Möglichkeiten bestehen. Allzuoft ist nicht einmal die zugehörige Siedlung bekannt.

Zumindest im Hinblick auf die Aufschüttungstechnik, d. h. ob etwa Tragekörbe, Karren oder Gespanne zum Einsatz kamen, müßte eine genauere Beobachtung der Grabungsprofile weiterhelfen.

Zusammenfassend läßt sich also sagen, daß sowohl die aufgeworfenen technischen Detailfragen, als auch der rituelle Aspekt des Tumulusgrabes bei genauerer Analyse der Befunde durchaus zu klären sind.

 



[1] Kapitel 4.1.2.

[2] Nur für Skythien kann dem Tumulus darüber hinaus noch eine ganz konkrete Bedeutung zugemessen werden. Die beim Bau der Aufschüttung verarbeiteten Rasenplaggen bestehen aus fettem Weideland und bezeugen so den Reichtum des Verstorbenen. Vgl. R. Rolle-V.Ju. Murzin-A.Ju. Alekseev, Königskurgan Tschertomlyk. Ein skythischer Gabhügel des 4. vorchristlichen Jahrhunderts, Hamburger Forschungen zur Archäologie 1, 1997 (1998) 60.

[3] F.-R. Herrmann, Die Keltenfürsten vom Glauberg. Ein frühkeltischer Fürstengrabhügel am Hang des Glaubergs bei Glauburg-Glauberg, Wetteraukreis, Archäologische Denkmäler in Hessen 128/129 (1996) 53; ein gepflasterter Weg führte auch zum Tschertomlyk-Kurgan. Vgl. R. Rolle-V.Ju. Murzin-A.Ju. Alekseev, Königskurgan Tschertomlyk. Ein skythischer Gabhügel des 4. vorchristlichen Jahrhunderts, Hamburger Forschungen zur Archäologie 1, 1997 (1998) 56.

[4] T.B. Goell u. a., Nemrud Dagi. The Hierothesion of Antiochos I of Commagene (1996).

[5] R. Rolle-V.Ju. Murzin-A.Ju. Alekseev, Königskurgan Tschertomlyk. Ein skythischer Gabhügel des 4. vorchristlichen Jahrhunderts, Hamburger Forschungen zur Archäologie 1, 1997 (1998) 66; AJA 93, 1989, 119; AJA 94, 1990, 140.

[6] Lefkandi: M.R. Popham-P.G. Calligas-L.H. Sackett, Lefkandi II, 2 (1993) 55 f.; Magdalenenberg: M. Eggert, AKorrBl 18, 1988, 263 ff.; R. Rolle-V.Ju. Murzin-A.Ju. Alekseev, Königskurgan Tschertomlyk. Ein skythischer Gabhügel des 4. vorchristlichen Jahrhunderts, Hamburger Forschungen zur Archäologie 1, 1997 (1998) 64 Abb. 24.