5. Tumulusbestattungen vom 8. bis zum 6. Jahrhundert v. Chr. - Monumentale Grabanlagen für aufstrebende Eliten

 

5.1. Der gesellschaftliche Kontext

 

Auf eine umfangreiche Zusammenfassung kann bei dieser Arbeit verzichtet werden, da jedem Einzelabschnitt bereits Ergebniskapitel angehängt sind. Am Ende bietet es sich jedoch an, noch einmal auf die in Kapitel 1 formulierten übergreifenden Fragestellungen zurückzukommen. Das Hauptanliegen dieser Arbeit bestand darin, den Sepulkralbereich als Quelle für das Verständnis von gesellschaftlichen Mechanismen heranzuziehen. Von besonderem Interesse war dabei das Elitegrab, das in Form des monumentalen Tumulus für viele Mittelmeerkulturen vom 8. bis zum 6. Jahrhundert v. Chr. bezeugt ist und eine relativ gut publizierte Materialgrundlage bot.

Die Grabstätte wird als Ort der sozialen Interaktion verstanden, wo - man denke nur an das prominente Beispiel der homerischen Epen - zum einen der Rang der verstorbenen Person ausgelotet wurde, aber auch das Kräftegefüge zwischen Hinterbliebenen, befreundeten und widerstreitenden Parteien seinen Ausdruck fand. Eine Steigerung des Aufwandes in diesem Bereich mußte demnach als Botschaft gelesen werden, die den beanspruchten Rang gegenüber Konkurrenten sinnfällig machte und eine Spirale des Wettbewerbs einleitete.

Doch durch welche Faktoren kann ein solcher Konkurrenzkampf ausgelöst werden? In Untersuchungen zu monumentaler Architektur wird die Hypothese aufgestellt, daß auf diesem Gebiet nicht ein persönliches Repräsentationsbedürfnis ausschlaggebend ist, sondern konkrete gesellschaftliche Veränderungen zugrundeliegen. Geänderte ökonomische und politische Strukturen werden durch einen erhöhten Güterverbrauch kompensiert und kommentiert.

Dies belegen die in den Kapiteln 3 und 4 vorgelegten Beispiele aus Phrygien, aus Lydien, von der Insel Zypern, aus Südspanien, aus Etrurien und Griechenland. Es ist die Erschütterung der alten Ordnung, die durch vielerlei Umstände hervorgerufen wird und die sinnfällige Darstellung von Besitz und daraus resultierender Macht nötig macht. Ein sehr wichtiger Auslöser ist immer wieder die Veränderung der ökonomischen Bedingungen. Der Handel mit Rohstoffen, die gegen Luxuswaren eingetauscht werden, führte zum Aufklaffen der sozialen Schere und unter Umständen auch zum Erstarken von gesellschaftlichen Kräften, die vorher keine große Rolle gespielt hatten. Besonders deutlich ist dieser Zusammenhang für Etrurien und Südspanien zu belegen, wo der Metallreichtum der Länder eine rege Handelstätigkeit begünstigte.

Soziale Spannungen sind auch für die im Verhältnis geringe Anzahl von monumentalen Tumulusbestattungen in Griechenland ursächlich. Hierbei ist vorab zu bemerken, daß ein Großteil der archaisch griechischen Welt keinen auffallenden Grabluxus betrieb. Nur bei den kleinasiatischen Griechen, in Attika und in einigen Kolonien konnten Tumulusgräber nachgewiesen werden.

In Attika war es die Schicht der traditionell aristokratisch gesinnten Landbesitzer, deren kulturell und politisch bestimmende Position durch die Polis in Frage gestellt wurde und die im Sepulkralbereich einen Wettbewerb um die Spitzenpositionen führten. Man argumentierte dabei mit der Leistungsfähigkeit des Oikos und lebte einem Ideal nach, das Jahrhunderte früher von Homer besungen wurde.

Obwohl die Welt des aristokratischen Einzelkämpfers eigentlich bereits der Vergangenheit angehörte, wurden einige Formen der öffentlichen Repräsentation von der Polis übernommen. Dazu gehörte auch das Tumulusgrab, das in den Kolonien als Ehrengrab für Städtegründer und in Athen als Monument für Kriegsgefallene diente.

Die bei weitem größten Tumuli entstanden aber außerhalb Griechenlands für die Könige der Flächenstaaten und zeitweiligen Großreiche Phrygien und Lydien. Ihre überragende Position findet ihr Äquivalent in den aufgeschütteten künstlichen Bergen, für deren Errichtung eine jahrelange Bauzeit veranschlagt werden muß und deren moderat dimensionierte Kammergräber wahrscheinlich nur für eine Person (und nicht etwa als Gruftanlage) konzipiert waren. Die monumentalen Tumuli bezeichnen die Gräber von militärisch äußerst aktiven Königen aus relativ jungen Dynastien. Es wird daher vorgeschlagen, diese Grabhügel als Mittel der herrscherlichen Repräsentation zu lesen, das Anspruch und Legitimation dauerhaft belegen sollte. Es erstaunt auch nicht, daß diese Vorbilder von einigen ostgriechischen „Tyrannen“ für eigene Grablegen zum Vorbild genommen wurden.

Betrachtet man die materielle Kultur, die in den Inventaren hervortritt, fallen auf den ersten Blick die Ähnlichkeiten ins Auge. Natürlich ist zu berücksichtigen, wie sehr die Möglichkeiten der einzelnen Erbauer auseinanderklaffen. Dennoch wird in diesem Bereich ein mittelmeerisches Koinon deutlich, das die Formen des gehobenen Lebensstils vom 8. bis zum 6. Jahrhundert v. Chr. von den Kulturen des Alten Orients, erst Assyrien und Ägypten, später vom Lyder- und Achämenidenreich bezieht: Schminkpaletten, Kämme, Bronzekessel, Schmuckstücke, Siegel, Parfümbehälter und Edelmetallgefäße sind häufig einem östlichen Motivspektrum verpflichtet und ihre weite Verbreitung belegt den großen Reiz, den diese Luxuswaren ausgeübt haben. 

Tendenziell treten die Grabhügel mit Waffenbeigabe etwas gegenüber denen ohne zurück. Sollte dies nicht nur mit dem schlechten Erhaltungszustand der Inventare zusammenhängen, läßt sich hierin vielleicht ein Zurücktreten des Kriegerideals beobachten, daß noch für die frühe Eisenzeit im Männergrab als verbindlich bezeichnet werden kann.

Bestätigt sich diese Beobachtung, so könnte die Betonung der kooperativen Tugenden, wie sie durch Kleidung, Parfüm und den Verweis auf den gemeinschaftlichen Weingenuß naheliegt, als eine grundsätzlich veränderte Grundhaltung der untersuchten Eliten verstanden werden, die etwa im griechischen Bereich den Polisbürger hervorbringt.

Der in dieser Arbeit behandelte Zeitraum vom 8. bis zum 6. Jahrhundert v. Chr. deckt die Periode ab, in der das Tumulusgrab bei den mittelmeerischen Eliten ausgesprochen beliebt war; mit dem Ende des 6. Jahrhunderts geht diese Phase in den besprochenen Regionen zuende.

Zum einen liegt dies sicher daran, daß die von den kleinasiatischen Herrschern aufgetürmten Gräber in ihrer Größe ohnehin nicht mehr zu übertreffen waren. Ein zweiter Gesichtspunkt sind die geänderten Ansprüche an das Grabmonument, das nun in Form von Werksteinbauten und mit reichem Skulpturenschmuck versehen verfeinerte Aussagemöglichkeiten zuließ, die einem bloßen Erd- oder Steinhügel abgehen.

Nur noch vereinzelt wurden in hellenistischer und römischer Zeit monumentale Tumulusgräber gebaut, die als bewußter Rückgriff auf ältere Traditionen zu lesen sind und in stark modifizierter Form auftreten.