4.3. Zusammenfassung des archäologischen Befundes
Das Ziel dieser Arbeit besteht darin, die Bedeutung des monumentalen Tumulusgrabes als Forum der Selbstdarstellung gesellschaftlicher Eliten herauszuarbeiten und die Hintergründe zu beleuchten, die zu ästhetisch aufwendigen Bestattungen führten.
Vor einer Zusammenfassung des archäologischen Befundes in Griechenland sollen hier noch einmal kurz die Ergebnisse des ersten Hauptteils angerissen werden: Aristokratien und Monarchien standen dort im Vordergrund, da diese Herrschaftssysteme häufig mit der Herausbildung eines aufwendigen Grabkultes in Verbindung gebracht werden. Es zeigte sich, daß der monumentale Tumulus im hier behandelten Zeitraum die Grabform ist, die ein Höchstmaß an Material, Arbeit und Zeit beanspruchte und besonders in Zeiten auftrat, in denen der hohe Status des Toten augenfällig dargestellt werden mußte und eine Abgrenzung gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen vorgenommen werden sollte. Es konnte herausgearbeitet werden, daß der monumentale Tumulus als Indikator für gesellschaftliche Spannungen gelten kann, die mit wirtschaftlichen und politischen Veränderungen einhergehen. Weitere Symptome der weit geöffneten gesellschaftlichen Schere sind ein intensivierter Außenhandel und eine aggressive Außenpolitik.
Gleichzeitig wohnt Monumentalbauten unter Umständen aber ein integratives Potential inne, das die Kooperationsfähigkeit unterschiedlicher Gruppen stärkt und das Gemeinschaftsgefühl fördert. Gerade das Königsgrab konnte durch seine oft jahrelange Bauzeit hierzu beitragen.
Betrachtet man das Lebensideal, das sich an den Beigaben in den Gräbern der männlichen Oberschichten ablesen läßt, so finden sich im großen und ganzen alle Arten von aristokratischen Betätigungsfeldern, wie Jagd, Krieg und Sport, sowie eine große Vorliebe für Prestigegüter, die durch ihre Seltenheit oder das verwendete Material auffielen.
Eine besonders weite Verbreitung erfuhr allerdings die Trinkgemeinschaft der Männer in ihrer ursprünglichen Bedeutung, d. h. als Zusammenkunft der Oberschicht im Rahmen eines Festes. Diesbezügliche Hinweise konnten sowohl für die östlichen Monarchien wie für Etrurien gesammelt werden. Die Bedeutung dieses gesellschaftlichen Bezugssystems ist in einigen Fällen sogar so groß, daß die Sepulkralarchitektur Elemente aus dem Speiseraum übernimmt und Totenbetten und Sarkophage die Form von Bankettklinen imitieren (Lydien, Etrurien). Um welche Form des Banketts es sich gehandelt hat, läßt sich an den Grabbeigaben allein nicht ablesen. Das private Fest scheidet jedoch, da für den gesellschaftlichen Status insgesamt nicht relevant, aus. Viel eher ist hier an zeremoniell durchorganisierte Veranstaltungen nach Vorbild des assyrischen Hofes zu denken.
Vergleicht man die hier kurz skizzierten Ergebnisse des ersten Hauptteils mit dem archäologischen Befund in Griechenland, so sind sowohl Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten zu benennen.
Auch in Griechenland ist der Tumulus die aufwendigste bekannte Grabform, deren Umfang allerdings bei weitem nicht die Dimensionen kleinasiatischer Grabmonumente erreicht. Monumentale Gräber waren bereits in mykenischer Zeit bekannt, dort dienten sie aber als Gruftanlagen und waren vor allem als Innenraum und damit nicht für den normalen Betrachter erfahrbar. Mit Ende der mykenischen Palastkultur ging auch das monumentale Grab unter und wird in den folgenden Jahrhunderten nur selten und unter anderen Vorzeichen neu belebt. Nun überdeckt der Tumulus entweder das Grab von hervorragenden einzelnen oder er markiert einfache Familiengräber.
Griechische Grabhügel treten in den dunklen Jahrhunderten überall dort auf, wo die Wirtschaftskraft durch gute Böden und Handelsaktivitäten offenbar zu einer sozialen Differenzierung führte. Dabei verteilen sich die Fundorte über beinahe alle Regionen des Mutterlandes: vom abseits liegenden Makedonien nach Thessalien, über Böotien bis auf die Peloponnes und nach Naxos. (Fundlücken können vielleicht dem mangelhaften Publikationsstand angelastet werden.)
Die Beigaben belegen für diese älteren Grabhügel, daß es sich um die Bestattungen der lokalen Eliten handelt, deren Status sich auch in der Größe der Aufschüttung niederschlägt. Die männlichen Bestatteten werden durch die Beigabe von Waffen als Krieger und Jäger bezeichnet, die Frauengräber durch Schmuck und Kultgegenstände differenziert.
Insgesamt betrachtet, sind die Grabhügel von bescheidenen Ausmaßen. Nur das Heroon von Lefkandi, das ein ganzes Haus überdeckte und sicher nicht nur als Grabmonument für das unter ihm bestattet Paar anzusehen ist, macht hier eine Ausnahme.
Im späten 8. Jahrhundert v. Chr. kommt es zu einem erneuten Interesse an monumentalen Gräbern. War der Tumulus bisher jedoch ein gesamtgriechisches Phänomen, so gibt es nun einen klaren Schwerpunkt im attisch-ostgriechischen Raum.
Das Bedürfnis nach einer heroischen Vorzeit, das für den (fiktiven) Sepulkralbereich Ausdrucksformen hervorbringt, die weit über das durch zeitgenössische Sitten bekannte hinausgeht, schlägt sich in den homerischen Epen nieder. Die Welt der ruhmreichen Basileis, die auf Kriegszügen Reichtümer für sich erwerben und deren Ansehen sich in weithin sichtbaren Grabdenkmälern perpetuiert, bildet einen krassen Gegensatz zur Gegenwart des späten 8. und frühen 7. Jahrhunderts. Landknappheit, ein rapider Bevölkerungszuwachs und Rivalitäten innerhalb der Oberschicht bedrohten in diesem Zeitraum die aristokratische Überlegenheit und man suchte seine Privilegien durch die Absicherung bei höheren Kräften zu erhalten. Die Niederlegung von Opfern bei den kyklopischen Hinterlassenschaften der mykenischen Kultur ist in diesem Zusammenhang als Legitimation von Landbesitz zu verstehen. Das aristokratische Prunkgrab existierte jedoch erst nur in der Vorstellungswelt. Angelegt wurden monumentale Grabhügel dann zuerst in Attika ab dem frühen 7. Jahrhundert und in Kleinasien seit dem 6. Jahrhundert v. Chr.
An die Stelle der Nachahmung Homers, die immer wieder als Motiv bei der Errichtung von Tumulusbestattungen in Griechenland angeführt wird, soll hier ein differenzierteres Modell der kulturellen Selbstbehauptung vorgestellt werden, die sich durch die Grabform Tumulus ausdrückt. Wiederum spielen dabei gesellschaftliche Krisenmomente eine Rolle. Zum einen die Bedrohung der Ostgriechen durch die kleinasiatischen Monarchien, zum anderen der innergesellschaftliche Hader zwischen der alten aristokratischen Ordnung und der neuen Polis, in dessen Verlauf nach symbolischen Ausdrucksformen gesucht wurde.
In Kleinasien ist das Tumulusgrab vor dem Hintergrund der Monumentalbauten von Lydern und Phrygern zu sehen. Es erscheint daher plausibel, entsprechende griechische Gräber als bewußte Rezeption lydischer Vorbilder zu deuten und sie Stadtfürsten zuzuordnen, die sich mit der Hegemonialmacht verständigten.
Verteilung und Zahl der attischen Tumuli belegen, daß diese Gräber nur für einen Teil der Oberschicht interessant waren. Der attische Landadel führte bewußt das konservative Werterepertoire der homerischen Epen im Zeitalter der erstarkenden Polisinstitutionen fort. Der wirtschaftliche Aufwand, den der einzelne Oikos leisten mußte und die ideelle Botschaft, die uns durch die Grabinschriften zugänglich ist, tradieren Vorstellungen, die aus den Epen vertraut sind. Auch die Luxusartikel ostgriechischer Provenienz passen sich einer aristokratischen Lebensführung ein. Die Beigabe von Importstücken und Luxusbetten in den wenigen monumentalen Grabhügeln Athens aus dem mittleren 6. Jahrhundert v. Chr., belegt den Einfluß, den der Osten auf die athenische Adelskultur hatte.
Allen Entwicklungssträngen gemein ist die durch Beigaben und Ausstattung betonte Hinwendung zu einem im Sepulkralbereich neuen Repräsentationsforum: Die Bestimmung des eigenen Status fand nun vorrangig beim Symposion, dem Trinkgelage der Männer statt, dessen politische Implikationen nicht unterschätzt werden dürfen. Das archaische Symposion war das zentrale gesellschaftliche Ereignis, in dessen Rahmen die soziale Hierarchie herausgebildet und politische Entscheidungen getroffen wurden.
Doch nicht nur in den gewachsenen aristokratisch geführten Gemeinwesen des griechischen Mutterlandes bot der Grabhügel vielfältige Identifikationsmöglichkeiten, auch die Kolonien konnten sich von dem alten symbolischen Repertoire nicht lösen, bzw. sie griffen bewußt darauf zurück. In Form des besonders ehrenvollen Sondergrabs auf der Agora war der Tumulus den Oikisten vorbehalten und wurde im Rahmen des Oikistenkultes zu einer Polisinstitution. Als Mnema des Heros Ktistes kündigt sich eine neue Funktion den Tumulusgrabes an, das nun nicht mehr die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schicht belegt, sondern leistungsorientiert von der Bürgerschaft verliehen werden kann. Die frühesten Belege stammen aus den Kolonien Ambrakia und Kerkyra und sind der Zeit um 600 v. Chr. zuzuordnen. Wenig später legte man in Kyrene das Grab des Battos an.
Der Schritt zum Ehrengrab wird auch von Athen vollzogen, wo das Staatsgrab für die Kriegsgefallenen zuerst um 500 v. Chr. die Form eines Tumulus erhält. Der Grabhügel ist aber nur ein Beispiel für die Übernahme aristokratischer Lebens- und Ausdrucksformen durch die Polis. Die Ausrichtung prunkvoller Leichenspiele und die Veranstaltung von für jedermann zugänglichen Symposien im Rahmen der wichtigen Feste wäre gleichfalls in diesem Zusammenhang zu nennen.
Es zeigt sich, daß auch in Griechenland die Herausbildung aufwendiger Sepulkralformen mit gesellschaftlichen Krisensituationen zusammenhängt. Die Gräber erfüllten dabei die Funktion der gesellschaftlichen Abgrenzung und der Statusdemonstration gegenüber bedrohlich empfundenen Kräften, die auch der eigenen sozialen Schicht angehören können. Versucht man die mit dem Bau eines monumentalen Grabhügels verbundene Botschaft zu entziffern, so enspricht diese Grabform einem ausgesprochen konservativen und rückgewandten Wertesystem, das durch Luxusartikel die Nähe zum ostgriechischen Wohlleben demonstriert.
Das Fehlen eines neuen progressiven Symbolschatzes führte jedoch zu der paradoxen Situation, daß sich die neugegründeten Kolonien und die athenische Polis in der Anfangsphase der alten und ästhetisch äußerst wirkungsvollen Formen bedienen mußten, um dann auch auf dieser Ebene den Adelsstaat abzulösen.