4.2.3.2. „Städtische“ Grabhügel: Athen

 

Grabhügel können in ihrer Funktion als Markierung für den Bestattungsplatz seit dem ausgehenden 8. Jahrhundert v. Chr. im Kerameikos von Athen nachgewiesen werden. Die allgemeine Entwicklung hat Kübler wie folgt zusammengefaßt:[1] Am Anfang stehen kegelförmige Erdhügel (A/II, B/III) mit einem Durchmesser von 4 - 5 m, die gelegentlich einen Porosverputz am Hügelfuß haben (A/II). Knigge weist dieser ältesten Phase noch den sogenannten Rundbau am Eridanos zu, der im frühen 7. Jahrhundert v. Chr. entstanden ist und für dessen Dimensionen (Ø: 18-20 m) keine zeitgenössischen attischen Parallelen bekannt sind. Bis zur Mitte des 7. Jahrhunderts v. Chr. steigerte sich der Durchmesser der Grabhügel allmählich auf 4, 5 m bis 6, 5 m bei einer Höhe von 0, 5 m (G/IV, D/V, Z/VII, H/VIII). Bis in die 40er Jahre des 7. Jahrhunderts wurden dann Erdaufschüttungen bis zu einer Höhe von 1, 4 m angelegt. Das Material der Hügel (Q/IX, K/XIV) ist nun ungleichmäßig und besteht aus Schutt, der aus einiger Entfernung herangebracht wurde.[2] Der Fuß der Aufschüttung erhielt zur besseren Haltbarkeit einen Porosverputz und die Hügelspitze wurde durch Stelen und Kratere geschmückt.

Gegen Ende des Jahrhunderts führte der zunehmende Platzmangel dazu, den Aufschüttungen eine steile Schauseite zu geben und sie ungleichmäßig aufzuhöhen. Insgesamt nimmt die Anzahl der Grabhügel jetzt ab. Nachzügler sind die Hügel X/XXIX, O/XXX und, um 580 v. Chr., P/XXXIV. Monumentale Tumuli mit Höhen von mehreren Metern (G und Südhügel: beide circa 5 m) werden im Kerameikos jedoch erst in einem gewissen zeitlichen Abstand zu dieser älteren Serie von Grabhügeln im mittleren 6. Jahrhundert v. Chr. errichtet (Taf. 62,2).

 

Das älteste Hügelgrab des Kerameikos, der sogenannte Rundbau am Eridanos, wurde von Knigge 1980 aus der kreisförmigen Anlage einer Reihe von Schachtgräbern rekonstruiert (Taf. 63).[3] Dem Heiligen Tor zunächst, nördlich der Heiligen Straße gelegen, wurde hier das erste Grab (Rb 6) wahrscheinlich im späten 8. Jahrhundert v. Chr. eingetieft. Der Eridanos floß seit mittelhelladischer Zeit nördlich am späteren Grabbezirk vorbei. Der Zugang erfolgte daher von Süden über die Heilige Straße. Die Kanalisierung des Flußbettes im Zuge der Errichtung der themistokleischen Mauer leitete das Wasser später südlich an den Grabstellen vorbei, die nun von der Akademiestraße her besucht werden konnten.

Es fanden sich insgesamt 22 Bestattungen, von denen Knigge elf der frühesten Phase, spätes 8. bis 1. Viertel des 6. Jahrhunderts v. Chr., zuordnet.[4] Die Reste des ersten Tumulus sieht sie in einer Schicht roter Erde, deren Keramikfunde bis ins frühe 7. Jahrhundert v. Chr. reichen. Diese Erde, die nur noch im Westteil des Hügels nachgewiesen werden konnte, wurde wahrscheinlich über dem beraubten Grab Rb 5 aufgehäuft, das sich annähernd im Zentrum des Hügels befindet. Die Ausgräberin rekonstruiert einen Tumulus mit einem Durchmesser von 18 bis 20 m, der im frühen 7. Jahrhundert v. Chr. angelegt wurde.[5] Einen in der Größe vergleichbaren ebenso alten Hügel gibt es weder im Kerameikos selbst noch in Attika. Der fast ebenso große Hügel 1 in Vari entstand gegen Ende des Jahrhunderts und die Durchmesser der Tumuli im Kerameikos überschreiten erst in der 2. Hälfte des 7. Jahrhunderts die 10 m-Marke.

Im 4. Jahrhundert v. Chr. erhielt die der Straße zugewandte Seite des Rundbaus eine Steineinfassung. Pausanias sah hier das Grab des Anthemokritos, eines athenischen Herolds, der 431 v. Chr. in Megara ermordet wurde.[6] Knigge identifiziert den Rundbau aufgrund dieser Nachricht mit dem Familiengrab der Familie der Kerykes, der Anthemokritos angehört haben könnte.[7]

 

Die Dimensionen des archaischen Rundbaus am Eridanos werden erst fast 150 Jahre später durch den Hügel G aus dem mittleren 6. Jahrhundert v. Chr. übertroffen, der sich zwischen der Heiligen Straße und der Gräberstraße, westlich des Tritopatreion befindet.[8] Die Aufschüttung hatte einen Durchmesser von 32 m und war ursprünglich circa 5 m hoch. Im Westen des Hügels fand sich eine Stelenbettung in situ, deren Zugehörigkeit jedoch umstritten ist und die eine Hauptansichtsseite nach Westen belegen würde.[9] Die aus groben Steinen gelegte Fundamentierung trug einen bearbeiteten Kalksteinblock, der als Auflager für die Stelenbasis gedient hat. Ebenso wie der sogenannte Rundbau am Eridanos befanden sich unter Hügel G mehrere Schachtgräber, die innerhalb eines Zeitraums von circa 20 Jahren angelegt wurden (Taf. 64). Das erste Grab dieser Serie lag im Hügelzentrum und enthielt ein Skelett und die Überreste einer mit Elfenbein beschlagenen Kline. Der Grabschacht maß 3, 8 m x 2, 2 m x 3 m und war in seinem unteren Bereich mit Holz verschalt. Man hatte den 1, 67 m großen Toten mit dem Kopf nach Süden hin ausgerichtet und mit angelegten Armen auf dem Rücken niedergelegt. Da sich die Elfenbeinappliken nur in der Südwest- und Nordwestecke des Grabschachtes befanden, geht Kübler davon aus, daß die Kline eine Schauseite hatte und der Tote auf ihr nach Art der Prothesisbilder auf geometrischen Vasen aufgebahrt wurde.

Kübler verband mit diesem Grab eine Nachricht des Sophisten Aelian aus dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert, derzufolge sich das Grab des Solon in Sichtweite der Tore „bei den Mauern“ links vom herannahenden Besucher befand.[10] Für diese Interpretation zog er auch ein Stelenfragment, das in der Nähe entdeckt wurde, einen langhaarigen Mann mit Schwert zeigt und stilistisch in die Jahre um 560 v. Chr. gehört heran.[11] Kübler schreibt diese Stele der oben beschriebenen Stelenbettung im Westen des Tumulus zu. Gegen die Deutung der Anlage als Staatsgrab des Solon hat es jedoch von verschiedener Seite berechtigte Einwände gegeben.[12]

Der Grabhügel, der auf älteren Grabbauten des 8. bis 6. Jahrhunderts aufliegt, wurde in der Folgezeit bis ins 5. Jahrhundert v. Chr. für weitere Bestattungen genutzt. Am interessantesten sind hierunter die Schachtgräber 2-12, die sich durch ungewöhnliche Beigaben auszeichnen.[13]

Die Gräber sind zwischen 550 und 530 v. Chr. entstanden und enthielten die Skelette von zwei Kindern und vier Erwachsenen, darunter wahrscheinlich einer Frau.[14] Lydische Salbgefäße fanden sich als Beigabe in den Gräbern 2, 3, 5, 6, 8 und 10. Zwei attische Lekythen waren dem Toten in Schachtgrab 4 beigegeben. Das Kind in Schachtgrab 5 erhielt neben einem lydischen Salbgefäß zwei schwarzfigurige Lekythen und ein Glasalabastron. Allein dem Toten in Schachtgrab 2 hatte man eine Waffe mit ins Grab gegeben, eine Lanze, von der sich der eiserne Lanzenschuh erhalten hat. Bernsteinbeschläge, die mit großer Wahrscheinlichkeit von einer Kline stammen, wurden in den Gräbern 2 und 5 gefunden. Nicht auf einer Kline, sondern auf einer Bahre aus Zypressenholz hatte man die 1, 60 m große Tote aus Grab 10 bestattet.

Ähnlich Schachtgrab 1 waren die Bestattungen in 2, 3 und 4 durch einen hölzernen Einbau vor der Füllerde geschützt.

Knigge interpretiert diese Abfolge von Bestattungen als die Grabstelle einer großen attischen Familie. Zusammen mit einem großen Grabbau im Südwesten des Tumulus sei dies der Begräbnisplatz der Alkmaioniden.[15] Die Identifikation erfolgt über die Trapeza einer Hipparete, die im genannten Grabbau entdeckt wurde und vielleicht das Grab der gleichnamigen Tochter von Alkibiades IV markierte. Houby-Nielsen hat sich jedoch mit guten Gründen gegen diese Benennung ausgesprochen: Alkibiades war zwar über seine Mutter mit den Alkmaioniden verwandt, doch ging man nach attischem Brauch bei der Bestattung nach dem patrilinearen Prinzip vor. D. h. Alkibiades wäre in der Familiengrabstelle seines Vaters bestattet worden und Hipparete entweder ebenfalls dort oder unter den Familienmitgliedern ihres Mannes.[16]

 

Kurz nach der Errichtung des Hügels G wurde gegenüber dem Tritopatreion auf der anderen Seite der Gräberstraße der sogenannte Südhügel aufgeworfen. Er mißt 30 m im Durchmesser und 5 m in der Höhe und kennzeichnet zwei Schachtgräber, von denen eines (HW 52) beraubt, die Beigaben des anderen (HW 87) aber unversehrt geborgen werden konnten (Taf. 65,1). Da beide Gräber vom gleichen Niveau aus circa 2, 5 m in den Mergelfels eingetieft wurden, ist für beide Bestattungen ein Zusammenhang anzunehmen.[17] Die Beigaben des unversehrten Grabes weisen nach Ionien: Die Wände des Grabschachtes waren verschalt und dem Toten zehn samische Lekythen, drei lydische Salbgefäße und eine Kanne beigegeben.[18] Das mit dem Kopf nach Osten orientierte Skelett eines knapp 2 m großen Mannes lag neben den Resten einer mit Elfenbein, Knochen und Bernstein geschmückten Kline.[19] Die importierte Keramik wird von Knigge dahingehend gedeutet, daß der Südhügel ein Gesandtengrab überdeckt, wie auch einige jüngere Bestattungen im Norden des Grabhügels durch ihre Inschriften als Gräber von Gesandten identifiziert werden konnten.[20] Diese Interpretation muß Hypothese bleiben, da der bloße Besitz von ostgriechischen Importen keineswegs als ausreichender Beweis für einen Nichtathener gelten kann. Es kann sich bei den Beigaben auch um eine Mode handeln. Hierfür spricht der Fund von lydischen Salbgefäßen in einigen Schachtgräbern des beinahe zeitgleichen Hügels G, den Knigge mit der Familie der Alkmeioniden in Verbindung bringt.

Die Hänge des Südhügels, der ebenso wie Hügel G aus roter Erde aufgeworfen war, wurden zum Ende des 6. Jahrhunderts hin abgeflacht, mit einer grauen Erdschicht bedeckt und auf ihnen eine „Bürgernekropole“, d. h. eine Anzahl von ärmlich ausgestatteten Bestattungen angelegt. Knigge sieht hierin den Versuch des Kleisthenes die Erinnerung an die privilegierten Toten der Tyrannenzeit zu tilgen.

 

Der Südhügel und Hügel G sind die mit Abstand größten Tumuli der Kerameikosnekropole. Ungefähr gleichzeitig ist aber noch ein weiterer monumentaler Tumulus entstanden, der durch eine interessante architektonische Fassung auffällt.[21] Der ehemalige Standort des sogenannten Rundbaus im Kerameikos ist nicht mehr zu ermitteln. Insgesamt 27 Bauglieder werden ihm zugeordnet, die im Dipylon und im Pompeion als Spolien verbaut wurden. Es fanden sich die Fragmente eines dorischen Triglyphenfrieses, Quadersteine und Torusblöcke.

Diese Teile fügt Koenigs zu einem stattlichen Monument zusammen: Über einer zweistufigen Krepis läuft ein Torus um, auf dem eine Wand aus Quadermauerwerk ruht, die von Triglyphenfries, Geison und Sima bekrönt wird (Taf. 65,2). Koenigs rekonstruiert aus der Krümmung der Einzelteile einen Durchmesser von 8, 4 m für den Rundbau. Stilistisch entsprechen die dorischen Architekturteile am besten den archaischen Porosgliedern von der Akropolis. Koenigs datiert das Monument daher in das Jahrzehnt zwischen 550 und 540 v. Chr.

 

Es folgen im Bereich von Hügel G der um 540 v. Chr. errichtete kleinere Hügel J (Ø: 7 m, H: 1, 7 m) und eine Reihe von Tumulusbestattungen im 5. Jahrhundert, die zum Teil wieder von ansehnlicher Höhe sind.[22]

 



[1] K. Kübler, Kerameikos VI 1 (1959) 89.

[2] S. Humphreys, Familiy Tombs and Tomb Cult in Ancient Athens: Tradition or Traditionalism? JHS 100, 1980, 106 f.

[3] U. Knigge, Der Rundbau am Eridanos, Kerameikos XII, 1980, 57-98. Die Erweiterung des Monuments im 4. Jahrhundert v. Chr. wurde durch W. Koenigs a. O. 95-98 bearbeitet.

[4] U. Knigge, Kerameikos XII 1980, 61.

[5] U. Knigge, Kerameikos XII 1980, 63 und A17.

[6] Paus. 1, 36, 3.

[7] U. Knigge, Kerameikos XII 1980, 72 ff.; gegen die These vom Familiengrab der Kerykes F. Seiler in seiner Rezension zu Knigge, Gno 55, 1983, 521. Eine Kontinuität der Belegung sei mit den wenigen datierten Gräbern der Anlage, insgesamt nur neun von 22, nicht zu belegen. Seiler hält die Interpretation des Rundbaus als Grab des Anthemokritos hingegen für plausibel.

[8] K. Kübler, Die Nekropole der Mitte des 6. bis Ende des 5. Jahrhunderts, Kerameikos VII 1 (1976) 5 ff.

[9] K. Kübler, Eine archaische Grabanlage vor dem heiligen Tor und ihre Deutung, AA 1973, 182 f. Abb. 14-16.

[10] Ail. var. 8, 16; K. Kübler, Eine archaische Grabanlage vor dem heiligen Tor und ihre Deutung, AA 1973, 172-193; einer anderen Überlieferung zufolge wurde Solon verbrannt und seine Asche auf der Insel Salamis verstreut. Die einschlägigen Quellen sind bei A. Martina, Solon, Testimonia vetera collegit (1968) gesammelt.

[11] U. Knigge, Der Kerameikos von Athen. Führung durch die Ausgrabungen und Geschichte (1988)104 Abb. 98.

[12] Die verschiedenen Argumente sind bei S. Houby-Nielsen, „Burial Language“ in Archaic and Classical Kerameikos, Proceedings of the Danish Institute at Athens 1, 1995, 156 ff. zusammengetragen und erweitert worden.

[13] K. Kübler, Kerameikos VII 1 (1976) 16 ff.

[14] Eine Körpergröße von 1, 1 m deutet bei den Toten in Grab 5 und 9 darauf hin, daß hier Kinder bestattet wurden; männlich: 2, 3 und 4; als weiblich ist anhand der Beigabe von drei weiblichen Terrakottastatuetten und einem Körbchen das Skelett in Grab 10 anzusprechen.

[15]U. Knigge, Der Südhügel, Kerameikos IX, 1976, 10 A 26; Dies., Der Kerameikos von Athen. Führung durch die Ausgrabungen und Geschichte (1988) 105. 109 f.

[16] S. Houby-Nielsen, „Burial Language“ in Archaic and Classical Kerameikos, Proceedings of the Danish Institute at Athens 1, 1995, 158 f.

[17] U. Knigge, Der Südhügel, Kerameikos IX (1976).

[18] U. Knigge, Der Südhügel, Kerameikos IX (1976) 84 f.

[19] U. Knigge, Der Südhügel, Kerameikos IX (1976) 60 ff. Taf. 101 ff.

[20] Grabstele des Pythagoras aus Selymbria: ca. 451 v. Chr.; Stele für Thersandros und Simylos aus Kerkyra: um 375 v. Chr.

[21] W. Koenigs, Ein archaischer Rundbau, Kerameikos 12 (1980) 1 ff.

[22] K. Kübler, Die Nekropole der Mitte des 6. bis Ende des 5. Jahrhunderts, Kerameikos VII 1 (1976) 65 ff. 174 f. 183 f. K Ø: 12 m, H: 3 m, um 490 v. Chr.; M Ø: 10-11 m, H: 3 m, 460er Jahre; N Ø: 13-18 m, H: 2, 5-3, 5 m, 440er Jahre. I. Morris, Death-Ritual and Social Structure in Classical Antiquity (1992) 132 sieht in diesen Gräbern die Bestattungen aristokratischer Familien, die sich der sonst zu beobachtenden allgemeinen Zurückhaltung im Sepulkralbereich widersetzten. Morris a. O. 132 A 5 nennt weitere Beispiele für Tumulusbestattungen in Athen im 5. Jahrhundert v. Chr. außerhalb des Kerameikos.