3.2.2. Tartessos
Tumuli sind auf der spanischen Halbinsel keine seltene Erscheinung und ihre Gesamtzahl wird laufend durch Neufunde erweitert.[1] Die letzte zusammenfassende Arbeit zu Aufkommen und Verbreitung früheisenzeitlicher Hügelgräber in Spanien hat Almagro-Gorbea im Jahre 1973 erstellt. Seine Aufstellung umfaßt insgesamt 36 Fundorte, die er in sieben regional geschiedene Gruppen unterteilt.[2] Die meisten der angeführten Gräber werden allerdings nur von einem kleinen runden oder eckigen Steinhügel überwölbt, der als bloße Grabmarkierung anzusprechen ist und hier nicht weiter berücksichtigt werden soll.
Am besten sind monumentale Tumuli der hier interessierenden Epoche, d. h. des 8. bis 6. Jahrhunderts v. Chr., für den Süden des Landes, besonders das Tal des Baetis (modern: Guadalquivir), bearbeitet.[3] In diesem Bereich wird das legendäre Königreich Tartessos angesiedelt, das ungefähr vom 8. bis zum 6. Jahrhundert v. Chr. existierte und in griechischen und orientalischen Quellen als Metallieferant genannt wird. George Bonsor führte in den Nekropolen dieser Region die ersten archäologischen Untersuchungen durch und veröffentlichte sie in den Jahren 1899 und 1928.[4] Die Ergebnisse dieser alten Grabungen an verschiedenen Fundorten der Hügelkette Los Alcores wurden in den 60er und 70er Jahren dieses Jahrhunderts noch durch Ausgrabungen in Setefilla (bei Sevilla) und La Joya (bei Huelva) erweitert.[5]
Die Los Alcores liegen östlich von Sevilla und die an ihren östlichen Hängen befindlichen Fundplätze für Tumulusbestattungen wurden im späten 19. Jahrhundert erforscht.[6] An diese in nordöstlich-südwestlicher Richtung verlaufende Bodenwelle schließt sich im Osten eine weite Ebene an, die - wie das gesamte Tal des Baetis - schon in der Antike für ihre Fruchtbarkeit bekannt war (Taf. 44,1).[7]
Die Grabhügel und Bestattungen der Los Alcores sind von großer Verschiedenartigkeit. Ihre Dimensionen reichen von kleinen Grabmarkierungen bis hin zum Tumulus von Alcaudete, der circa 30 m in der Höhe maß und dessen Erforschung für Bonsors Expedition zu kostspielig war. Daneben wurde auch in flachen Fossagräbern und Urnen bestattet. Bonsor untersuchte im Bezirk der Hügelkette Los Alcores 65 sogenannte motillas und er fand sowohl Körper- als auch Brandbestattungen vor.
Insgesamt elf Grabhügel bilden die Nekropole von Acebuchal, von denen zehn durch einen Einwohner von Carmona geöffnet und unzureichend veröffentlicht wurden.[8] Bonsor faßt die sicheren Ergebnisse wie folgt zusammen: Innerhalb der Gruppe setzen sich zwei Tumuli, G und L, durch besondere Größe ab. Unter dem 3, 4 m hohen Hügel G befand sich ein in den Fels geschlagenes flaches Fossagrab, das zwei Skelette enthielt (Taf. 44,2). Den Toten waren ein mit rotem Puder gefülltes halbes Straußenei, eine große silberne Fibel und einige Goldperlen beigegeben. Außerdem fanden sich die Reste zweier Gürtel aus Kupfer und Silber. Nach der Beisetzung hatte man erst eine Steinschüttung über dem Grab aufgebracht und dann den Erdhügel aufgeschüttet.
Der zweite Tumulus, L, überwölbte ebenfalls ein Fossagrab, das in diesem Fall nur ein Skelett enthielt, dem zwei Lanzenspitzen zur Seite lagen. Oberhalb der Steinschüttung, die wie bei G das eigentliche Grab bedeckte, befanden sich die Überreste von Tierknochen, Asche und Keramikgefäßen, die als die Überbleibsel eines Totenmahls gedeutet werden.
Die übrigen Tumuli (A, B, C, F, H, I, J) waren erheblich kleiner als G und L und wurden über primären Brandbestattungen und Urnengräbern errichtet. Ihre Inventare lassen sich nicht mehr im einzelnen rekonstruieren, es wurden aber Elfenbeinarbeiten in Form von Täfelchen mit figuralem und ornamentalem Dekor sichergestellt. Palmetten, Lotus, Flechtbänder, Löwen, Fische, Gazellen und Löwengreifen bilden das Repertoire.[9]
Eine Nachuntersuchung der Nekropole und ihres Umfeldes, die von Bonsor im Jahre 1869 durchgeführt wurde, erweiterte die Zahl der Gräber um weitere neun Bestattungen.[10] Wie bei den beiden großen Tumuli G und L enthielten diese Fossagräber Körperbestattungen, denen Elfenbein- und Knochenschnitzereien beigegeben waren, die die zeitliche Nähe zu den Grabhügeln belegen.
Die Nekropole von Bencarrón liegt auf einer Anhöhe und besteht aus über 20 Tumuli, deren Höhe von ein bis vier Meter reicht.[11] Wie schon bei Acebuchal gibt es auch in Bencarrón eine kleine Gruppe, die sich durch ihre Größe von den anderen absetzt. Tumulus 1 hat eine Höhe von drei Metern und wurde über einer flachen Steinmulde aufgeschüttet, die zehn nebeneinander beigesetzte Skelette, darunter mindestens ein Kind, enthielt (Taf. 45,1). Den Toten waren nur geringe Mengen an Schmuck und einige Feuersteinobjekte beigegeben worden. Die eigentliche Grabstelle war durch aufrecht stehende Steinplatten gekennzeichnet und Bonsor geht davon aus, daß durch diese Markierung die Nachbestattung im Hügel erleichtert wurde. Die ungewöhnlich große Anzahl der Toten und ihre Altersstruktur legen nahe, diesen Tumulus als Sondergrab und nicht als Elitebestattung zu interpretieren.
Der Nachbarhügel hatte eine Höhe von circa 2, 3 m und kennzeichnete ein Fossagrab mit Leichenbrand. An Beigaben fanden sich ein kupferner Fingerring und sechs zum Teil stark fragmentierte Elfenbeinpaletten mit figuralen Szenen.[12] Tierkampfgruppen, Gazellen und Löwengreifen, aber auch ein bärtiger behelmter Krieger und ein Reiter mit Perückenfrisur zieren die meist aus drei Figuren aufgebauten rechteckigen Täfelchen.[13]
Brandbestattungen enthielten auch die Tumuli anderer Fundorte der Los Alcores, die Bonsor untersuchte. Funde von Straußeneiern und Elfenbein innerhalb der Leichenbrände legen den Schluß nahe, auch diese Gräber der gleichen Epoche wie Bencarrón und Acebuchal zuzuordnen. Monumentale Grabhügel mit Höhen von bis zu 6 m wurden neben Acebuchal und Bencarrón auch in Santa-Lucía, ebenfalls einem Ort auf der Hügelkette Los Alcores, von Bonsor entdeckt.[14] Er öffnete einen kleineren Tumulus der Gruppe, der 2, 35 m in der Höhe maß und ein flaches Fossagrab mit Leichenbrand markierte. In der Asche befanden sich die Fragmente einer Elfenbeinschachtel, vier Kämme und drei Täfelchen aus dem gleichen Material, eine in Ritztechnik verzierte Muschel und ein dekoriertes Straußenei.
Die Vorliebe für Importe innerhalb der spanischen Oberschicht belegt auch der vier Meter hohe Tumulus von Alcantarilla, unter dem Bonsor wiederum eine Brandbestattung in einem flachen Fossagrab freilegte (Taf. 45,2). Ein Teil der Keramik, die sich in der Aufschüttung fand, konnte als punische Amphoren identifiziert werden. Im Leichenbrand selbst entdeckte Bonsor noch einige Stoffreste und Elfenbeinarbeiten. Die Elfenbeinfragmente zeigten diesmal Lotosblüten, geometrische Figuren und eine Reihe von langgewandeten Gestalten, die zu einer Prozession zu ergänzen sind.
Der Tumulus von Cañada de Ruiz Sanchez hatte eine Höhe von 3, 6 m und bedeckte eine primäre Brandbestattung in einem Fossagrab (Taf. 45,3).[15] Das Beigabeninventar umfaßte zwei eiserne Lanzenspitzen, eine kupferne Kanne und eine große Schale (Ø 42 cm) aus dem gleichen Material. Das Kupfergeschirr ist mit Rosetten, Palmetten, Widderköpfchen und Händen verziert.
Vergleichbare Tumuli fanden sich auch an den Fundorten Carmona, Mazagoso und Manta.[16] Letzterer war wahrscheinlich ursprünglich von einer Krepis aus Quadersteinen umgeben. Detaillierte Beschreibungen gibt Bonsor leider nicht.
Die Tumuli von Setefilla (bei Lora del Río) sind wie die vorhergenannten von Bonsor um die Jahrhundertwende ausgegraben worden.[17] Mit den Gräbern der Los Alcores ist die Nekropole am Rand einer fruchtbaren Ebene durch ihre Lage im Tal des Guadalquivir und den Fund ähnlicher Beigaben zu verbinden. Insgesamt zehn Grabhügel wurden von Bonsor und Thouvenot teilweise ausgegraben, von denen Tumulus A und H je ein Kammergrab überdeckten. Leider ging ein Großteil der Funde und Unterlagen zu dieser Kampagne verloren.
Seit den späten 60er Jahren untersuchte Aubet-Semmler den Fundplatz und die nahegelegene Siedlung erneut, wobei sie die Aufschüttungen der Grabhügel A und B nun fast vollständig abtrug und in diesem Bereich Urnengräber entdeckte.[18]
Grabhügel A hatte bei einem Durchmesser von 27 bis 29 m eine Höhe von circa 3, 2 m (Taf. 46). B war etwas kleiner. Er war nur 1, 3 m hoch und hatte eine ovale Grundfläche mit einem Durchmesser von 14, 6 bis 16, 7 m. Die vorausgegangenen Grabungen hatten die Grabkammer von A fast fundleer hinterlassen, nur ein einzelnes Fibelfragment konnte noch entdeckt werden. Ein kleiner Teil der Funde von Bonsor und Thouvenot ist allerdings noch in Form einer Privatsammlung erhalten und belegt, daß sich die Ausstattung mit Elfenbeinarbeiten, Gürteln, Fibeln und Bronzen nicht von dem Material aus den Los Alcores unterscheidet.[19]
Besonders interessant ist der Fundplatz Setefilla, weil man hier offenbar Rangunterschiede in der gewählten Grabform fassen kann. Eine Vielzahl von Urnengräbern mit Brandbestattungen werden von einem einzelnen Tumulus mit einem Kammergrab überdeckt und vereinnahmt (Taf. 46,1). Aubet Semmler vergleicht diese Anordnung mit bronzezeitlichen Bestattungen, wie sie in Atalaia (Portugal) beobachtet wurden. Setefilla ähnlich gibt es dort Tumulusareale, die auf eine zentrale Bestattung ausgerichtet sind.[20] Sie interpretiert die Tumuli von Setefilla als Grablegen von Familiengruppen, deren streng hierarchisches Sozialsystem sich auch in den Begräbnissitten niederschlägt, indem das Familienoberhaupt die aufwendigste Grabform erhält, dem alle anderen Toten beigeordnet werden.
Die reichste Nekropole der orientalisierenden Phase fand sich in La Joya (bei Huelva).[21] Ob diese Gräber jedoch durch Tumuli gekennzeichnet waren, ist durch den Erhaltungszustand nicht mehr zu entscheiden. Die Beigaben sind hier noch reicher als in den Los Alcores oder Setefilla: Waffen, Goldschmuck, Gürtel, Bronzegeschirr und sogar ein reich verzierter Wagen, der an die Wagengräber auf Zypern erinnert, bestimmen die Inventare.
Die Erstellung einer relativchronologischen Abfolge all dieser Bestattungen ist bisher noch nicht geleistet worden. Innerhalb der groben Epochenfolge Spätbronzezeit, orientalisierende Zeit und iberische Phase werden die besprochenen Gräber der orientalisierenden Zeit, d. h. grob dem 7. und der 1. Hälfte des 6. Jahrhunderts v. Chr. zugeordnet. Der Versuch anhand der Elfenbeinarbeiten eine weitere Unterteilung dieser Epoche vorzunehmen, hat sich nicht als sinnvoll erwiesen.[22]
Die literarische Überlieferung zu dem sagenumwobenen Land Tartessos, dessen Existenz den Griechen in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts durch die Irrfahrt des Kolaios bekannt wurde, verweist schon auf seine vorrangige Bedeutung als Lieferant von Bodenschätzen.[23] Kolaios hatte aus dem zehnten Teil des enormen Gewinns seiner aus Tartessos mitgebrachten Waren (wahrscheinlich Silber) im Heiligtum der Hera von Samos ein kostbares Weihgeschenk aufgestellt. Ungeheurer Reichtum ist auch in der zweiten bei Herodot überlieferten Episode das zentrale Thema: Diesmal unterstützte der langlebige tartessische König Arganthonios die unter Kyros leidenden Phokäer großzügig.[24]
Wahrscheinlich noch vor den Griechen hatten die Phönizier hier Fuß gefaßt.[25] Traditionell wird die phönizische Westexpansion mit der Gründung von Gades (heute: Cádiz), um das Jahr 1100 v. Chr., verbunden.[26] Die archäologische Überlieferung setzt am Ort allerdings erst Jahrhunderte nach diesem Datum, zwischen 770 und 760 v. Chr. ein. Tarsis war auch für die Phönizier vor allem ein Wirtschaftsfaktor, da das Land außerordentlich reich an Metallen ist. Neben Silber wurden hier auch Gold, Kupfer, Eisen, Blei, Zinn und Quecksilber abgebaut.[27] Neben Gades gab es noch weitere phönizische Ansiedlungen entlang der spanischen Südküste, deren Anlage bis ins 7. Jahrhundert hinaufreicht.
Das Tartessos der griechischen und das Tarsis der orientalischen Überlieferung wird als das Tal des Baetis identifiziert, da Südspanien mit den Angaben der antiken Texte am besten übereinstimmt.[28]
Insgesamt kam den Grabhügeln eine wichtige Rolle in der Diskussion um den Prozeß der Akkulturation der tartessischen Eliten zu, wobei man versuchte, die auf die indigene Bevölkerung wirkenden Kultureinflüsse am archäologischen Material abzulesen.
Das Tal des Baetis hatte bereits in der Bronzezeit eine kulturelle Blüte erlebt.[29] Die Zahl und Größe der Siedlungen war aber in den darauffolgenden Jahrhunderten stark zurückgegangen, um erst im 9./8. Jahrhundert erneut anzusteigen.[30] Kennzeichnend für diese Anfangsphase der tartessischen Kultur ist eine qualitativ hochwertige geglättete Keramik, die an den Siedlungsplätzen entdeckt wurde. Erst in der darauffolgenden Schicht, d. h. um 700 v. Chr., setzen phönizische Importe ein. Doch auch schon früher verweisen Funde von sogenannten Herzsprungschilden und Kniefibeln auf Kontakte mit dem Mittelmeergebiet.
Rouillard hat herausgearbeitet, daß die ältesten phönizischen Importe zwar noch vor den griechischen datiert werden können, das frühe Fundmaterial aber in seiner Gesamtheit betrachtet ein weites Spektrum von phönizischer über griechischer bis hin zu zyprischer und italischer Provenienz aufweist. Erst im 7. Jahrhundert dominieren eindeutig die phönizischen Stücke.[31]
Vor dem Hintergrund der intensivierten Wirtschaftsbeziehungen mit den Phöniziern wird das Auftreten von Importwaren und Stücken einheimischer Produktion, die einem östlichen Formen- und Darstellungsrepertoire verpflichtet sind, beurteilt. Palmetten, Lotus, Flechtbänder, Löwen, Greife und Gazellen sind Motive, deren Ursprung nach Moscati im Orient zu suchen ist.[32] Hinzu kommen importierte Materialien, wie Elfenbein und Straußeneier; auch sie ganz typische Waren im phönizischen Kontext.[33]
Bronzegefäße, Elfenbeinschnitzereien, Schmuck, importierte Keramik und Wagengräber werden dabei als Beleg für einen gesteigerten Bedarf der einheimischen Eliten an Luxuswaren gewertet. Einen grundlegenden Beitrag zum Verständnis des sogenannten orientalisierenden Horizontes hat Aubet Semmler 1982 geliefert.[34] Ihr zufolge setzt diese Periode des kulturellen Austauschs zwischen Indigenen und Phöniziern um die Wende vom 8. zum 7. Jahrhundert v. Chr. ein und führte zur ersten streng hierarchisch geordneten Gesellschaft auf der spanischen Halbinsel. Es handelte sich hierbei jedoch nur um eine Vertiefung von ohnehin vorhandenen sozialen Unterschieden. Gegen eine ältere egalitäre Ordnung sprechen spätbronzezeitliche Bestattungen, die zumindest im Grab sehr wohl Rangunterschiede herausstellten.
Aubet Semmler belegt, daß die kulturellen Veränderungen, die aus dem Kontakt mit den Phöniziern resultierten, eher oberflächlicher Natur waren. Erst im 6. Jahrhundert hielten neben Prestigegütern auch technische Neuerungen, wie die Töpferscheibe Einzug. Sie spricht daher von einem Wechsel des Lebensstils der wirtschaftlich Mächtigen.[35] Betrachtet man die Gräber, so scheint es in der Tat um eine stark nach außen wirkende Repräsentation von bestimmten Luxusgütern zu gehen, die die tartessischen Eliten interessierte. Aufwendige Kleidung, die durch große Metallfibeln und Gürtel gehalten wurde, Schmuck, Elfenbeinkämme, -pyxiden und -täfelchen, Thymiaterien, importierte Amphoren und Metallgeschirr wurden in das Grab gegeben. All diese Objekte passen zur Überlieferung bei Diodor, nach der die Phönizier Waren geringen Wertes gegen das tartessische Silber eintauschten.[36] Aubet Semmler vermutet, daß diese Güter als phönizisches Entgelt für das Durchzugsrecht und dringend benötigte agrarische Produkte interpretiert werden müssen.[37] Es eröffnet sich das Bild einer bäuerlichen Stammeskultur, die durch die Nähe zu wichtigen Metallminen in den Kontakt mit hauptsächlich phönizischen Händlern geriet und sich ihre Unterstützung durch seltene Luxusgüter bezahlen ließ.
Dieser Handel muß das Kräftegleichgewicht in Südspanien für eine Zeit empfindlich gestört haben, denn nur so sind die plötzlich auftretenden Elitebestattungen unter Tumuli zu erklären. Da es sich jeweils nur um wenige Gräber handelt, die eine Spitzenposition innerhalb der Nekropolen einnehmen, scheint der Kampf um die gesellschaftliche Hierarchie in diesem Bereich verhältnismäßig schnell entschieden worden zu sein. Es sieht so aus, als hätte der Handel mit den Phöniziern die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen nur kurzzeitig aus dem Gleichgewicht gebracht. Die daraus resultierenden Spannungen wurden dann mit erhöhtem Aufwand im Sepulkralbereich, der die Rangunterschiede für alle sichtbar herausstellte, beigelegt.
Fragt man nach möglichen Vorbildern für die monumentalen Bestattungen der tartessischen Elite, so dachte man auch hier zuerst an den Einfluß der Phönizier. Der bloße Erdhügel ist dabei jedoch zu wenig spezifisch und häufig zu schlecht erhalten, um bei dieser Frage hilfreich zu sein. Der Vergleich wurde daher in bezug auf das Kammergrab (Setefilla A und H) angestellt.
Kammergräber in phönizischen Kontexten sind seit der 2. Hälfte des 7. Jahrhunderts v. Chr. belegt, wie das Beispiel Trayamar zeigt. Die Ausgräber vermuten darüber hinaus, daß die Gräber oberirdisch durch Tumuli gekennzeichnet waren.[38] Weitere phönizische Kammergräber wurden auch etwas weiter östlich in Villaricos gefunden.[39] Diese Grabform könnte sich dann von den phönizischen Küstenniederlassungen ausgehend ins Binnenland weiterverbreitet haben.
So lassen sich die jüngeren Kammergräber in Galera/Tútugi (Provinz Granada) und Toya/Tugia vielleicht am besten durch den phönizischen Einfluß erklären.[40] Während vom Fundort Toya bisher nur ein Grab aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. publiziert ist, scheint die Nekropole in Galera auch über das 5. Jahrhundert v. Chr. hinauszugehen.[41] Auf ein älteres Datum verweisen der Fund einer Astartefigur aus dem 7. Jahrhundert, die Sitte der Nachbestattung, die im phönizischen Kontext gut belegt ist und mehrere Fragmente schwarzfiguriger Vasen. Der Ausgräber Cabré hatte derartige Funde als Erbstücke bezeichnet. Sollten sich in der Nekropole von Galera, d. h. eines Ortes im unmittelbaren Hinterland von Trayamar, tatsächlich Kammergräber aus dem 6. Jahrhundert finden, so liegt es in der Tat nahe, hierfür das Vorbild aus der phönizischen Nachbarschaft geltend zu machen.[42]
Das Bruchsteinmauerwerk der Kammergräber von Setefilla hat jedoch mit dem Quadermauerwerk in Trayamar oder den Felskammergräbern in Villaricos nur wenig gemein. Da die Anlage eines Innenraums sonst in der Sepulkralarchitektur der tartessischen Eliten nicht belegt ist, für die westphönizische Kultur aber als Charakteristikum bezeichnet werden kann, möchte man auch hier eine Abhängigkeit annehmen.
Ein Aufklaffen der gesellschaftlichen Schere, das für Tartessos durch das Eindringen der Phönizier in das Landesinnere erklärt wurde, ist auch anderswo auf der spanischen Halbinsel belegt. In diese Richtung weisen neuere Funde aus dem spanischen Nordosten, wo eine Tumulusnekropole in der Provinz Tarragona von der 2. Hälfte des 7. Jahrhunderts bis zum frühen 6. Jahrhundert in Benutzung war.[43] Da über den gesellschaftlichen Hintergrund in dieser Region noch zuwenig bekannt ist, sollen diese Befunde aus der Arbeit ausgeschlossen werden. Es steht aber zu vermuten, daß auch hier der Einfluß der griechischen Emporia eine entscheidende Rolle gespielt hat.
Zusammenfassend stellen sich die Tumulusgräber des orientalisierenden Horizontes in Südspanien als Ausdruck der veränderten ökonomischen Grundlagen des Reichtums der tartessischen Eliten dar. Die sprunghaft gesteigerte Bedeutung des Metallhandels, der hauptsächlich durch die phönizischen Küstenniederlassungen abgewickelt wurde, zog Rangkämpfe innerhalb der Oberschichten nach sich, die mittels orientalischer Prestigegüter und repräsentativer Grabanlagen geführt wurden. Die Palette der statusträchtigen Besitztümer reicht dabei vom Elfenbeinkamm bis hin zum mit figural verzierter Bronze beschlagenen Wagen.
[1] So beispielsweise zwei Nekropolen in den Provinzen Tarragona (D. Molas-N. Rafel-F. Puig, Orientalisierende Funde von der Grabung 1984 in der Nekropole des Coll del Moro de Gandesa (Provinz Tarragona), MM 28, 1987, 51 ff.) und Granada (G. Quattrocchi, Tumuli preistorici in Andalusia, Archeo 111, 1994, 16 f.)
[2] M. Almagro Gorbea, Los campos de tumulos de Pajaroncillo (Cuena). Aportacion al estudio de los tumulos de la peninsula Iberica (1973).
[4] G. Bonsor, Les colonies agricoles pré-romaines de la Vallée du Bétis, RA 35, 1899, 126 ff. 232 ff. 376 ff.; Ders.-R. Thouvenot, Nécropole ibérique de Setefilla, Lora del Río (Sevilla) (1928).
[5] M.E. Aubet Semmler, La necrópolis de Setefilla en Lora del Río, Sevilla (1975); Dies., La necrópolis de Setefilla en Lora del Río, Sevilla (Túmulo B) (1978); J.P. Garrido Roiz, Excavaciones en la necropolis de La Joya, Huelva (1970); Ders., Excavaciones en la cecropolis de La Joya, Huelva II (1978).
[6] G. Bonsor, RA 35, 1899, 140 ff. Abb. 2.
[7] Strab. 3, 2, 3.
[8] G. Bonsor, RA 35, 1899, 146 ff. Abb. 3.
[9] M.E. Aubet Semmler, Marfiles fenicios del Bajo Guadalquivir II: Acebuchal y Alcantarilla (1980).
[10] G. Bonsor, RA 35, 1899, 285 ff.
[11] G. Bonsor, RA 35, 1899, 237 ff.
[12] Ders., RA 35, 1899, 242 ff. Abb. 42-47.
[13] Die Elfenbeinarbeiten von Los Alcores befinden sich heute zum Großteil im Archäologischen Museum von Sevilla. Einige Stücke sind in New York im Besitz der Hispanic Society of America. Vgl. die s/w-Abbildungen bei S. Moscati, in: Ders. (Hrsg.), Die Phönizier, Ausstellungskatalog Palazzo Grassi, Venedig (dt. 1988) 542. Die abgebildeten Stücke stammen aus Grab 2 von Bencarrón und der Nekropole von Cruz del Negro; zu Elfenbeinarbeiten der orientalisierenden Zeit allgemein M.E. Aubet, Marfiles fenicios del Bajo Guadalquivir I (Cruz del Negro) (1979); Dies., Marfiles fenicios del Bajo Guadalquivir II (Acebuchal y Alcantarilla (1980).
[14] G. Bonsor, RA 35, 1899, 246 f.; M.E. Aubet Semmler, HBA 9, 1982, 38 f.
[15] G. Bonsor, RA 35, 1899, 251 ff.
[16] Carmona: G. Bonsor, RA 35, 1899, 266; Mazagoso: Bonsor a. O. 270 f.; Manta (Ø 14, 75 m): Bonsor a. O. 272 f.
[17] G. Bonsor-R. Thouvenot, Nécropole ibérique de Setefilla, Lora del Río (Sevilla) (1928).
[18] M.E. Aubet Semmler, La necrópolis de Setefilla en Lora del Río, Sevilla (1975); Dies., La necrópolis de Setefilla en Lora del Río, Sevilla (Túmulo B) (1978).
[19] M.E. Aubet-Semmler, Materiales púnico-tartesios de la necrópolis de Setefilla en la Colección Bonsor, StA 27 (1974) (=BVallad 39)
[20] M.E. Aubet Semmler, Zur Problematik des orientalisierenden Horizontes, in: H.G. Niemeyer (Hrsg.), Die Phönizier im Westen, KB Köln 1979 (1982) 321.
[21] J.P. Garrido-Roiz, Excavaciones en la necropolis de La Joya, Huelva (1970); Ders.-E.M. Orta García, Excavaciones en la necropolis de La Joya, Huelva II (1978).
[22] M.E. Aubet-Semmler, Die westphönizischen Elfenbeine aus dem Gebiet des unteren Guadalquivir, HBA 9, 1982, 15 ff.
[23] Hdt. 4, 152; C. Domergue, Catalogue des mines et des fonderies antiques de la Péninsule Ibérique, 2 Bde (1987) Domergue weist a. O. Bd. I, VII darauf hin, daß der Beleg für Minentätigkeit (Silber, Kupfer) in der älteren Zeit bisher nur in der Umgebung von Huelva (a. O. Bd. I, 193 ff.) möglich ist.
[24] Hdt. 1, 163.
[25] Zum Problemkreis der phönizischen Westexpansion vgl. die Beiträge zum Kölner Colloquium Die Phönizier im Westen; vgl. auch J. Boardman, Kolonien und Handel der Griechen (1981) 251 ff.
[26] Veleius Paterculus 1, 2, 3; E. Lipinski (Hrsg.), Dictionnaire de la Civilisation Phénicienne et Punique (1992) 181 ff. s. v. Gadès (P. Rouillard).
[27] A. Schulten, Iberische Landeskunde 2(1974) 469 ff.; C. Domergue, Catalogue des mines et des fonderies antiques de la Péninsule Ibérique, 2 Bde (1987).
[28] P. Rouillard, Les Grecs et la Péninsule Ibérique du VIIIe au IVe siècle avant Jésus-Christ (1991) 51 ff.; E. Lipinski (Hrsg.), Dictionnaire de la Civilisation Phénicienne et Punique (1992) 440 f. s. v. Tarshish (E. Lipinski).
[29] Die folgenden Ausführungen zu tartessischen Siedlungen orientieren sich an M.E. Aubet Semmler in: H.G. Niemeyer (Hrsg.), Die Phönizier im Westen, KB Köln 1979 (1982) 314 ff.
[30] Vgl. M. Pellicer Catalán, Siedlungsplätze in der orientalisierenden Epoche am unteren Guadalquivir, HBA 8, 1981, 35 ff.
[31] P. Rouillard, Les Grecs et la Péninsule Ibérique du VIIIe au IVe siècle avant Jésus-Christ (1991) 361 ff.
[32] S. Moscati in: S. Moscati (Hrsg.), Die Phönizier, Ausstellungskatalog Palazzo Grassi, Venedig (dt. 1988) 542 ff. als orientalisierend werden die Objekte bezeichnet, die einen östlichen, d.h. phönizischen Einfluß erkennen lassen. Die Frage, wer diese Stücke hergestellt hat, ob phönizische oder einheimische Handwerker, muß dabei hypothetisch bleiben. Zusammenfassend zu dieser Frage mit Literaturhinweisen: R. Etienne-F. Mayet (Hgg.), Histoire et archéologie de la Péninsule Ibérique antique (1993) 103 ff.
[33] Vgl. S. Moscati (Hrsg.), Die Phönizier, Ausstellungskatalog Palazzo Grassi, Venedig (dt. 1988).
[34] M.E. Aubet Semmler, Zur Problematik des orientalisierenden Horizontes auf der Iberischen Halbinsel, in: H.G. Niemeyer (Hrsg.), Die Phönizier im Westen, KB Köln 1979 (1982) 309 ff.
[35] M.E. Aubet Semmler, in: H.G. Niemeyer (Hrsg.), Die Phönizier im Westen, KB Köln 1979 (1982) 330.
[36] Diodor 5, 35, 4-5.
[37] M.E. Aubet Semmler, in: S. Moscati (Hrsg.), Die Phönizier, Ausstellungskatalog Palazzo Grassi, Venedig (1988) 228 f.
[38] H.G. Niemeyer-H. Schubart, Trayamar. Die phönizischen Kammergräber und die Niederlassung an der Algarrobo-Mündung (1975) 114 ff.
[39] M. Astruc, La necrópolis de Villaricos (1951); M.J. Almagro Gorbea, La necrópolis de Baria (Almería) (1984).
[40] Galera: J. Cabré-F. Motos, Junta Superior de Excavaciones y Antiguedadas, Memoria XXI, 1918 (1920); M. Bendala Galán (Hrsg.), Historia General de España y América I 2 (1987) 236; Toya: G. Lilliu-H. Schubart, Frühe Randkulturen des Mittelmeerraumes (1967) 176 Abb. 6 In Toya wurde bisher nur ein Kammergrab entdeckt und publiziert. Die Anlage stammt aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. Vgl. J.M. Blázquez Martínez, La cámera sepulcral de Toya y sus paralelos etruscos, Oretania 2, 1960, 233 ff.
[41] W. Schüle-M. Pellicer Catalán, Ein Grab aus der iberischen Nekropole von Galera (Prov. Granada), MM 4, 1963, 40.
[42] Weitere Aufschlüsse sind von den neu angelaufenen Forschungen in der Tumulusnekropole von Pinos Puente, einem weiteren Ort bei Granada, zu erwarten. Vgl. G. Quattrocchi, Archeo 111, 1994, 16 f.
[43] D. Molas-N. Rafel-F. Puig, Orientalisierende Funde von der Grabung 1984 in der Nekropole des Coll del Moro de Gandesa (Provinz Tarragona), MM 28, 1987, 51 ff.