2.3. Quellenkritik und Methode
Eine Zusammenstellung der monumentalen Grabhügel des 8. bis 6. Jahrhunderts v. Chr. aus dem Bereich der Mittelmeerkulturen gibt es bisher nicht. Tumuli werden heute in erster Linie als singuläre Einzelmonumente verstanden und bearbeitet, bei denen die Identifikation als Grabstätte einer bekannten historischen Persönlichkeit im Vordergrund steht. Je größer die Aufschüttung und mutmaßlich prunkvoller das Inventar desto intensiver das Forschungsinteresse. Kleinere oder offensichtlich beraubte Gräber werden oftmals nur im Zuge von Notgrabungen untersucht und unzureichend publiziert.
Dieser Ansatz führt dazu, daß die in dieser Arbeit im Mittelpunkt stehenden monumentalen Tumuli zwar verstreut, aber in einem für eine erste Zusammenschau ausreichendem Maß publiziert sind. Spektakuläre Grabungsaktionen und Funde sichern ihnen eine gewisse Aufmerksamkeit, doch nur an wenigen Fundorten - etwa Gordion und Caere - ist es möglich, diese imposanten Monumente in den Kontext der zeitgleichen, weniger aufwendigen Grabarchitektur einzuordnen und zu relativieren.
Schmerzlich sind auch die in diesem Bereich große Zahl von Altgrabungen (z. B. Ankara, Südspanien, Etrurien) und eine Reihe von Fundlücken; so vermag beispielsweise der Befund in Kleinasien und Spanien nicht zu befriedigen. Dem stehen Grabungsplätze wie das phrygische Gordion gegenüber, die in umfassender Weise auch durch Einzelstudien veröffentlicht sind.
Durch archäologische Funde und Befunde kann nur ein kleiner Teil der umfassenden Totenfeiern erfaßt werden, die laut Auskunft der Schriftquellen oftmals viele Tage und Wochen dauerten. Die Feierlichkeiten nach dem Tode des Patroklos, die von Homer im 23. Buch der Ilias beschrieben werden, gehören einer heroischen Sphäre an, verdeutlichen aber anschaulich diese Diskrepanz. Weder die Totenwaschung, noch die Aufbahrung, die Totenklage oder die Wettspiele zu Ehren des Verstorbenen lassen sich im Regelfall dem archäologischen Befund ablesen.
Ebenso steht es um die genaue Bestimmung des sozialen Rangs des/der Toten. Sein/Ihr Platz innerhalb der Elite ist nur selten eindeutig zu klären, etwa wenn die verstorbene Person durch Inschriften oder literarische Quellen bekannt ist.[1] Häufig ist die Analyse ausschließlich auf die Grabbeigaben angewiesen. Innerhalb der Oberschicht können dabei nur unzureichend einzelne Gruppen differenziert werden. Politisch Mächtige, deren Status durch Abkunft, Rangbewußtsein und Nähe zu den Göttern definiert ist und ihre Angehörigen, die Mitglieder wirtschaftlich potenter Familien und religiöse Funktionsträger können nur ausnahmsweise durch die Zusammensetzung eines Inventars bestimmt werden.
Verschiedene Anzeichen deuten aber darauf hin, daß man bei den hierarchisch geordneten antiken Gesellschaften davon ausgehen kann, daß die politische Elite Paradigmen schaffte, die für alle als besonders erstrebenswert galten. Die Fälle, in denen ein reicher Grabherr inschriftlich eine Selbsteinschätzung hinterlassen hat, belegen, daß er seiner erreichten gesellschaftlichen Position einen besonders hohen Wert beimaß. Beispiele hierfür finden sich in Ägypten, wo Privatgräber seit dem Alten Reich bekannt sind, und in der römischen Kaiserzeit.[2]
Mögliche Unterscheidungskriterien zwischen der politischen Elite und der reichen Oberschicht sind neben den inschriftlichen Zeugnissen besondere, den Herrschenden vorbehaltene Würdezeichen, wie Zepter und Diadem, aber auch die Verwendung bestimmter Materialien und Farben, z. B. Porphyr und Purpur.[3] Bei der oft fragmentarischen Überlieferung der Grabinventare sind die Möglichkeiten des Archäologen, statusträchtige Zeichen als solche zu erkennen, jedoch begrenzt.[4] Es ist also nicht möglich, das vorliegende Material in Gräber politisch Mächtiger auf der einen Seite und (nur) wohlhabender Grabinhaber auf der anderen Seite zu differenzieren. Die Gemeinsamkeit beider Gruppen liegt in ihrer ökonomischen Potenz, und es soll in dieser Arbeit davon ausgegangen werden, daß bei beiden ein ähnlicher Wertekanon vorliegt. Zumal gerade in den hier behandelten Jahrhunderten nicht davon auszugehen ist, daß Reichtum um des Reichtums willen angehäuft wurde, sondern immer zur Erhöhung des eigenen Ranges innerhalb des sozialen Gefüges diente.
Die Ähnlichkeit in der Ausstattungssymbolik zwischen Bestattungen, die oft weit voneinander entfernt sind, ist frappant. Die Vorstellungen darüber, welche Tätigkeiten als dem gehobenen Lebensstil der leisure class entsprechend angesehen und folglich auch im Sepulkralbereich in Form von Beigaben zitiert wurden, stimmen überein. Als Beispiel mag hier die Verbreitung von Wagenbeigaben in Gräbern dienen, die sich vom äußersten Westen des Mittelmeerraums, Spanien, über dessen Osten, Zypern, hin zum Schwarzmeergebiet erstreckte.[5] Ein weiterer Grabtypus, das Holzkammergrab unter einem Tumulus, zusammen mit reichen Bronzebeigaben findet sich in Phrygien und der Hallstattkultur Europas. Voluminöse Bronzekessel, auf deren Rand Protomen aufgesetzt waren, sind Teil der Inventare reicher Gräber in Etrurien, auf Zypern und in Phrygien. All diese Einzelbeobachtungen werden als Beleg für die Existenz einer mittelmeerischen Koiné in der frühen Eisenzeit gewertet, deren Handelsbeziehungen konkret anhand von einzelnen Leitformen untersucht worden sind.[6]
Doch dieses einheitlich gezeichnete Bild täuscht über die großen regionalen und überregionalen Unterschiede hinweg, die das Material aufweist. Schon innerhalb eines einzigen Fundplatzes ist die Variationsbreite der Gräber oftmals groß, über größere Entfernungen hin, sind die Parallelen dann erst recht partieller Natur.[7] Während die Blütezeit der phrygischen Exemplare um 700 v. Chr. anzusiedeln ist, entstanden die größten Beispiele für das attische Tumulusgrab erst im 6. Jahrhundert v. Chr. In Phrygien und Lydien überdecken Tumuli vorwiegend Kammergräber, der sogenannte Südhügel und der Hügel G aus dem Kerameikos enthalten Schachtgräber. Etruskische Tumuli sind Familiengrabstellen, die über mehrere Generationen in Gebrauch waren, phrygische Holzkammergräber bergen gewöhnlich nur eine Einzelbestattung. All diese Eigenheiten müssen als signifikant für die sie hervorbringenden Gesellschaften gewertet werden. Es ist daher ein Grundsatz dieser Arbeit, die Bestattungen nicht unter einem Einzelaspekt zu analysieren, sondern sie zunächst innerhalb ihres spezifischen gesellschaftlichen Umfeldes zu betrachten.
Die Erstellung eines gesellschaftlichen Rasters muß plakativ bleiben, da über die einzelnen Systeme oft nur unzureichende Informationen vorliegen. Wenn also im folgenden vom phrygischen oder lydischen König die Rede sein soll, so orientiert sich diese Benennung an den assyrischen und griechischen Quellen, die eine Einzelperson an der Spitze der jeweiligen Ethnie verzeichnen.
Verschiedene Untersuchungen haben die Existenz einer mittelmeerischen Koiné herausgearbeitet, die vom äußersten Westen bis nach Kleinasien und zur Levante reichte. Da es in dieser Arbeit um die Auswirkungen von ähnlichen gesellschaftlichen Mechanismen geht, für die die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen von besonderem Interesse sind, wurden bei der Materialauswahl nur die Kulturen berücksichtigt, die sich in diesem Bereich befinden. Es handelt sich um die kleinasiatischen Königreiche Phrygien und Lydien, die Stadtaristokratien auf Zypern und in Etrurien und die präurbane Kultur in Südspanien, die unter der Bezeichnung des halbmythischen Königreichs Tartessos firmiert. Von den genannten Regionen unterscheidet sich der Befund in Griechenland erheblich, da monumentale Tumuli hier nie den Stellenwert erreicht haben wie andere Großprojekte, beispielsweise der Tempelbau. Dennoch soll gerade die Gegenüberstellung der unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexte die allen gemeinsamen Wurzeln bei der Errichtung monumentaler Grabhügel verdeutlichen.
Das Material wurde nach den potentiellen wirtschaftlichen Ressourcen gegliedert, die den Grabherren zur Verfügung standen. Der Vergleich erfolgt dann auf einer strukturellen Ebene. In wieweit ähneln sich die Gräber in Aufbau und Ausstattung tatsächlich? Wo liegen die Gemeinsamkeiten, wo die Abweichungen?
Der Katalogteil dieser Arbeit umfaßt für jedes Kapitel eine eigene Verbreitungskarte und eine Kurzbeschreibung der genannten Tumulusgräber in Tabellenform. Da eine systematische Materialsammlung zu diesem Grabtyp bisher nicht vorliegt, werden - wenn möglich - Grund- und Aufrißpläne beigegeben. Das Hauptinteresse gilt dabei zum einen dem Tumulus selbst, der als Bauaufgabe nur unzureichend wahrgenommen wurde und zum anderen den Inventaren, die als Materialbasis zum Verständnis der Selbstdarstellung der Eliten herangezogen werden.
Es gelten die Abkürzungen und Siglen, die im Abkürzungsverzeichnis des Archäologischen Anzeigers des Deutschen Archäologischen Instituts 1997, 611 ff. angeführt sind. Antike Quellen wurden nach den Angaben in Der Kleine Pauly I, xxi ff. zitiert; Zeitschriften nach der Archäologischen Bibliographie 1993 (1994) ix ff.
Auf eine Bibliographie und ein eigenes Abkürzungsverzeichnis wurde verzichtet, dafür aber innerhalb der Fußnoten vollständig zitiert.
[1] G. Kossack, Prunkgräber in: G. Kossack u.a. (Hgg.), FS J. Werner (1974) 13 ff.
[2] Reichtum diente in erster Linie dem Erwerb von Status; für den römischen Bereich vgl. H. von Hesberg, Römische Grabbauten (1992) 231 ff. bes. 239 f. zu Bestattungen von Freigelassenen, die keine römischen Bürger waren; ein literarisch verbrämtes Beispiel liefert Petrons Satyrikon, das in neronischer Zeit entstanden ist und in Kapitel 71 die Beschreibung des Grabmals des reichen Freigelassenen Trimalchio samt Inschrift enthält: Ich selber will in meiner Amtskleidung mit fünf goldenen Ringen im Richterstuhl sitzen, wo ich aus einem Säckchen Geld unter das Volk austeile; du weißt ja, daß ich öffentliche Speisungen finanziert habe, die mich zwei Denare pro Kopf gekostet haben. (...) »Hier ruht C. POMPEIUS TRIMALCHIO der Mäzen. In absentia zum Sevir ernannt, verzichtet er auf alle Ämter, die ihm angetragen wurden. Fromm tapfer treu, aus bescheidenen Anfängen zu hohen Ehren gelangt, hinterließ er dreißig Millionen und hat nie eine Schule besucht«. (Übers. C. Fischer 1983).
[3] Purpur: M. Bieber, Entwicklungsgeschichte der griechischen Tracht 2(1967) 13; A. Alföldy, Der römische Reiteradel und seine Ehrenabzeichen (repr. 1979) 74; Porphyr: R. Delbrueck, Antike Porphyrwerke (1932) 11; für das Neue Reich in Ägypten gilt der Anspruch an das Pharaonengrab die umfangreichste Grabanlage zu sein und den Bau des Vorgängers in seiner Größe zu übertrumpfen. Dahinter steht der Gedanke, daß Pharao das Überkommene mehrt. Vgl. D. Arnold, Lexikon der ägyptischen Baukunst (1994) 131 s.v. Königsgrab; E. Hornung, Tal der Könige. Die Ruhestätte der Pharaonen (1982) bes. 37.51.
[4] R. Rolle, Totenkult der Skythen I (1979) 146 f.; S. Burmeister, Die jüngere Hallstattzeit in Württemberg. Kulturgeschichte im Spiegel der Grabfunde, unpublizierte Magisterarbeit Hamburg 1993, 78 f.
[5] P.F. Stary, Eisenzeitliche Wagengräber auf der Iberischen Halbinsel, MM 30, 1989, 152.
[6] P.F. Stary, Eisenzeitliche Wagengräber auf der Iberischen Halbinsel, MM 30, 1989, 151 ff. Wenn auch häufig nicht alle Elemente zugleich in diesen Grab- und gleichermaßen Kultstätten nachzuweisen sind, so verdeutlicht die überregionale Verflechtung des Grabkults und in diesem Falle auch der Statussymbolik Gemeinsamkeiten in den Vorstellungen der Führungsschicht über große Entfernungen hinweg. Die politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen und Hintergründe sind zum Teil bekannt: die Expansion der Phönizier ins westliche Mittelmeergebiet, die griechische Kolonisation in Unteritalien, Südfrankreich und im Nordosten der Iberischen Halbinsel, das Aufblühen der etruskischen Kultur und die daraus folgende geographische Annäherung der mediterranen und mitteleuropäischen Kulturbereiche, was eine Ausweitung des Fernhandels und einen regen wirtschaftlichen und kulturellen Austausch nach sich zog.; Literatur zum wirtschaftlichen und kulturellen Austausch a. O. 152 A 2.
[7] Als Beispiel könnte man an dieser Stelle die Bestattungen anführen, die bisher für das homerische Begräbnis in Anspruch genommen worden sind. Vgl. hierzu das Kapitel 4.1.1.