4.1.2. Das Tumulusgrab bei Herodot, in den Grabluxusgesetzen und das Zeugnis der Inschriften
Neben der epischen Dichtung Homers sind es die Historien Herodots, einige Passagen aus Grabluxusgesetzen und vereinzelte epigraphische Zeugnisse, die im Zusammenhang mit Tumulusbestattungen des hier behandelten Zeitraums von Interesse sind. Die für den Grabhügel verwendeten Begriffe wurden im Vergleich mit den Textstellen bei Homer erweitert. Zusätzlich zu Tymbos und Sema setzte man in der jüngeren Überlieferung den Ausdruck cwma[1] oder auch cwma gnV[2] für den künstlich aufgeschütteten Erdhügel über dem Grab ein.
Nur ausnahmsweise werden Quellen zitiert, die jünger als das 5. Jahrhundert v. Chr. sind. Besonders ergiebig wäre hier die antike Reiseliteratur, die aber eine zeitliche Einordnung der genannten Tumuli nur dann zuläßt, wenn sie mit einem historischen Datum zu verbinden sind oder (was nur selten der Fall ist) archäologisch untersucht sind.[3] Als besonders interessante Gruppe wären hier die Gräber von Gründerheroen zu nennen, deren archäologischer und literarischer Befund aber in einem gesonderten Kapitel (4.2.4.) bearbeitet wird.[4]
Herodot bezeichnet die Sitte des Grabhügelbaus als unter den Skythen und Thrakern verbreitet.[5] Bei beiden Völkern erhalten die gesellschaftlich Angesehensten einen Grabhügel, wobei der Historiker für Skythien das Bestattungsritual der gesellschaftlichen Spitze, der Könige, und des gemeinen Volks beschreibt, in der Schilderung der thrakischen Verhältnisse aber nur das Bild eines Oberschichtenbegräbnisses entwirft, in das er auch das Moment des individuellen Reichtums einfließen läßt.
In Skythien läßt sich eine Wechselbeziehung zwischen der Größe des Tumulus und dem sozialen Rang des unter ihm Bestatteten ableiten, da man versucht, dem König einen möglichst großen Hügel aufzuwerfen.[6] Nach umfangreichen Vorbereitungen, so ist der einbalsamierte König auf einem Wagen aufgebahrt durch ganz Skythien gefahren worden, wird der Leichnam schließlich in eine viereckige Grube auf Stroh gebettet und von einer Holzkonstruktion umgeben. Dies geschieht in der Landschaft Gerrhos, in der alle Königsgräber liegen.[7] An Beigaben erhält er seine persönlichen Bediensteten, Pferde, Vieh und goldene Schalen mit in das Schachtgrab. Nach einem Jahr wird um das Königsgrab einen Kranz aus 50 getöteten und ausgestopften Reitern aufgestellt.
Die Bestattungsriten der Thraker ähneln stark denen der homerischen Helden, ohne daß Herodot diese Ähnlichkeit eigens betont: Drei Tage wurde der Tote aufgebahrt und betrauert wenn er ein reicher Mann war, danach folgte ein Totenschmaus und die Inhumation oder Kremation der Leiche. Über dem Grab errichtete man einen Grabhügel und es wurden Totenspiele mit Preisen zu Ehren des Verstorbenen abgehalten.
Die Ausführenden eines großen Tumulusbaus nennt Herodot an anderer Stelle bei der Beschreibung der Bestattung des Artachaies, der als Aufseher des Kanalbaus auf der Chalkidike während des Xerxeszuges ums Leben kam.[8] Da er der königlichen Familie der Achämeniden angehörte, von überragender Körpergröße war und eine durchdringende Stimme besaß, bekam er auf Xerxes Geheiß ein besonders prächtiges Begräbnis als dessen letzter Akt das ganze Heer den Grabhügel aufwarf.[9] Neben der Bestattung unter einem Tumulus überliefert Herodot für die Perser auch die Sitte des Aussetzens des Leichnams.[10]
Am ausführlichsten beschreibt Herodot jedoch die lydischen Grabhügel, die sich mit den Namen des Königs Alyattes und des Prinzen Atys verbinden lassen.[11] Die entsprechenden Textpassagen wurden in Kapitel 3.1.2.2. ausgewertet.
Im griechischen Bereich nennt Herodot das Aufwerfen von Grabhügeln nur an einer Stelle: Nach der Schlacht von Platää, als auch die Städte, die nicht an den Kämpfen beteiligt waren aus Scham leere, d. h. Erdhügel ohne Bestattung, am Ort aufhäuften.[12]
Die angeführten Textstellen machen Herodots Interessenschwerpunkt deutlich. Er nimmt nur besonders große und aufwendige Tumulusbestattungen in seine Geschichtsschreibung auf, die mit bestimmten Ereignissen oder bekannten Persönlichkeiten zu verbinden sind: Das Königsgrab des Alyattes, der Tymbos für den Sohn des berühmten Lyderkönigs Kroisos und die Bestattungsfeierlichkeiten des Artachaies, der am persischen Feldzug gegen Griechenland teilgenommen hatte. Darüber hinaus berichtet er von Sitten und Gebräuchen fremder Völker, die seinem griechischen Publikum wenig geläufig und vielleicht auch etwas unheimlich waren, so die Bestattungsrituale der Thraker und Skythen. Grabhügel aus dem griechischen Kulturraum, wie es sie in Kleinasien, auf den Inseln und in Attika im 6. und 5. Jahrhundert v. Chr. gab, sind für Herodot daher nicht von Interesse. Ebensowenig der Soros der Gefallenen von Marathon.
Die ältesten bei Herodot erwähnten Tumuli sind die des Alyattes und des Atys in Lydien aus der 1. Hälfte des 6. Jahrhunderts v. Chr.[13] Ins frühe 5. Jahrhundert gehört das Hügelgrab des Artachaies und die Kenotaphe bei Platää. Für die thrakischen und skythischen Gräber gibt Herodot keine Datierung, sein Text scheint zeitgenössische Phänomene, d. h. die Grabsitten des 5. Jahrhunderts v. Chr. der bezeichneten Ethnien wiederzugeben.
Die Informationen, die Herodots Historien zu entnehmen sind, können helfen, Licht auf durch das archäologische Material wenig erforschbare Aspekte des Tumulusbaus zu werfen. Dazu zählen die Fragen nach möglichen Auftraggebern und dem logistischen Problem der Ausführung der umfangreichen Erdarbeiten, die zur Aufschüttung von monumentalen Tumuli nötig waren.
In den homerischen Epen war es in erster Linie Aufgabe der Familie des Toten für dessen Bestattung zu sorgen. War der Betreffende auf einem Feldzug gestorben, so kümmerten sich der oder die Basileis darum, daß der Tote zu seinem Recht kam. Im Fall des Artachaies war der Perserkönig Xerxes gleichzeitig sein Verwandter und sein König, der ihn für die ihm geleisteten Dienste mit einem prunkvollen Begräbnis belohnte. Könnte man hier also noch die familiäre Bindung zwischen Xerxes und Artachaies in den Vordergrund stellen, so zeigt sich am Beispiel des Grabs des Alyattes, daß auch ganze Bevölkerungsgruppen die Kosten für den Tumulus übernehmen konnten. Ob dies freiwillig geschah und als Dank für erfolgte Wohltaten gegen die genannten gesellschaftlichen Randgruppen zu verstehen ist oder ob es sich um eine Zwangsabgabe handelte, kann hier nicht entschieden werden. Wichtiger ist, daß es gerade bei den größeren Grabhügeln nicht immer die Familie sein muß, die für die Bestattung aufzukommen hatte. Als Ausführende der anfallenden Erdarbeiten überliefert Herodot beim Grabmal des Artachaies das anwesende Heer des Perserkönigs. Dieses Vorgehen entspricht den Angaben Homers für die Gräber der griechischen Basileis vor Troja.
Neben den von Herodot beschriebenen fremdländischen, d. h. nichtgriechischen Tumulusgräbern, meist monarchisch strukturierter Gemeinwesen wie Skythen, Lyder, Thraker und Perser wurden nach Auskunft der Grabungsbefunde auch in Attika Mitglieder der Aristokratie auf diese Art beigesetzt. Doch schon seit dem frühen 6. Jahrhundert v. Chr. sind Ausschnitte von Gesetzestexten erhalten, die eine Beschränkung des Grabluxus zum Gegenstand haben. Die relevanten Passagen sollen hier angeführt werden, weil in ihnen ausdrücklich vom Arbeitsaufwand einer solchen Bestattung die Rede ist und man aus ihnen von Maßnahmen erfährt, die das Errichten von Prunkgräbern ausschließen sollen. Zusätzlich läßt sich aus den Verboten ein Bild von der Ausstattung eines athenischen Begräbnisses aus der Zeit um 600 v. Chr. gewinnen. Hierbei ist aber die besondere Natur der Quellengattung Rechtstext zu bedenken. Es ist mehrfach darauf hingewiesen worden, daß Grabluxusgesetze nicht der eigentliche Grund für eine Änderung im Bestattungswesen sein können, da Gesetze nur der Ausdruck eines vorherrschenden Bedürfnisses sind.[14] Es gilt daher, die Vorschriften in einen gesamtgesellschaftlichen Rahmen zu stellen und sie nicht als erschöpfende Antwort auf Veränderungen im archäologischen Befund zu betrachten.
Die literarische Hauptquelle findet sich bei Cicero, der in seiner Abhandlung über die Gesetze eine Zusammenfassung der Entwicklung von Vorschriften zum Grabluxus bietet.[15] Ausgehend von der 11. Tafel des römischen 12-Tafelgesetzes, das weitgehend von der Gesetzgebung Solons abhänge,[16] faßt Cicero seine Kenntnisse zu einschlägigen griechischen Rechtstexten zusammen.[17]
Auf die Bemühungen des athenischen Urkönigs Kekrops folgte Solon, der sich in seinem auf das Jahr 594 v. Chr. datierten Gesetzeswerk gegen einen übertriebenen Aufwand bei der Bestattung und der Totenklage, aber auch gegen Grabfrevel, d. h. die Zerstörung von tymboi, monumenta und columnae richtete.[18]Eine Reihe von Verboten betraf die Zusammensetzung und das Verhalten der Trauergäste, vornehmlich der anwesenden Frauen: Grundsätzlich waren nur Frauen zum Begräbnis zugelassen, die zur Vetternschaft gehörten. Entferntere weibliche Verwandtschaft durfte ein Alter von 60 Jahren nicht unterschreiten. Anderen Frauen war es auch verboten im Anschluß an die Trauerfeier das Haus des Toten zu besuchen.[19] Der Gesetzgeber drang auf Zurückhaltung in den Traueräußerungen der Frauen, indem er ihnen verbat, sich beim Begräbnis das Gesicht zu zerkratzen und lautes Klagegeschrei anzustimmen. Gleichzeitig wurde das Singen von im voraus komponierten Klageliedern abgeschafft und die Begleitung der Trauergemeinde auf zehn Flötenspieler beschränkt. Es durften keine Ochsen geopfert werden und dem Toten nicht mehr als drei Mäntel ins Grab gelegt werden.[20] Ein weiterer Punkt betrifft den zügigen Ablauf der Bestattung: Nur ein Tag war für die Prothesis im Haus vorgesehen. Schon am Folgetag sollte der Leichnam vor Sonnenaufgang zum Friedhof gebracht werden, wobei die Männer vor und die Frauen hinter dem Toten gehen sollten.[21]
Betrachtet man dieses Bündel von Einzelmaßnahmen, so zielt es insgesamt darauf ab, das im Sepulkralbereich enthaltene Konfliktpotential zu entschärfen. Den Gesetzen müssen heftige Streitigkeiten innerhalb der Oberschicht über die Verletzung von Grabstellen, die öffentliche Zurschaustellung von Reichtum und das Halten von Reden zu Ehren einzelner Mitglieder der Oberschicht vorausgegangen sein. Auch die Anwesenheit von jungen Frauen wurde als fragwürdig empfunden. Solon beschnitt mit seinen Gesetzen systematisch die Möglichkeiten der Aristokratie Bestattungsfeierlichkeiten zur Bühne ihrer Statuskämpfe zu machen, in denen Kleidung, Frauen, Totenmähler, eine große Gefolgschaft und Eulogien eine wichtige Rolle gespielt hatten. Es ist bemerkenswert, daß Grabbeigaben in diesem Zusammenhang nur wenig Aufmerksamkeiten erregten und nur in Form von überzähliger Kleidung, also wiederum einem für die öffentliche Repräsentation wichtigen Mittel, Erwähnung finden.
Einige Zeit später, Ciceros Formulierung lautet: post aliquanto, wurde dann erneut ein anonymer Gesetzgeber in Athen aktiv und traf eine Regelung für die Ausgestaltung der Grabmonumente, da die amplitudo sepulcrorum so groß geworden sei, wie sie noch zu Zeiten Ciceros im Kerameikos beobachtet werden konnte.[22] Hierbei wurde bestimmt, daß der Arbeitsaufwand den von zehn Männern in drei Tagen zu leistenden[23] nicht übertreffen dürfe. Außerdem sei Grabschmuck in Form von opus tectorium und Hermen[24] verboten.[25]
Die meiste Mühe bei der Interpretation dieser Cicerostelle machen seine Terminologie und die zeitliche Einordnung. Was hat man sich unter opus tectorium und Hermen im Zusammenhang mit Grabbauten vorzustellen und wie ist das sogenannte post aliquanto-Gesetz zu datieren? Vorgeschlagen wurden hier unter anderen Kleisthenes und Themistokles.[26]
Hier interessiert vor allem, ob sich die wenigen Angaben zur Arbeitsleistung im post aliquanto-Gesetz sicher auf das Aufschütten von Grabhügeln beziehen lassen und nicht auf das Bearbeiten von Grabstatuen und Stelen gemünzt sind, wie vermutet wurde.[27] Für erstere Deutung spricht eine Textstelle bei Platon, der im 12. Buch seines Werkes über die Gesetze auch auf das Thema Grabfrevel und Grabluxus zu sprechen kommt.[28] Er wählt dabei eine Formulierung, die dem Wortlaut bei Cicero entspricht: Ein Grabhügel darf nur so hoch sein, wie ihn fünf Männer in fünftägiger Arbeit aufschütten können, und die Grabsteine soll man nicht größer machen, als daß sie gerade für ein Lobgedicht auf das Leben des Verstorbenen Raum bieten, das nicht mehr als vier Hexameter umfaßt.
Platons Wortwahl macht deutlich, daß die genannten 25 Tagewerke nur für die Erdarbeiten am Tumulus gelten. Auch die Bedenken, die Stupperich gegen einen so pauschalen Tagessatz in Anbetracht der vielfältigen Möglichkeiten bei der Ausgestaltung von Grabmonumenten der späten Archaik (Stelen, Pinakes, Grabstatuen etc.) geäußert hat, fielen weg, wenn es sich hier wirklich nur um den ganz konkreten Erdhügel gehandelt hat, wie bereits Eckstein 1958 vorschlug.[29]
Es bleibt zusammenzufassen, daß die solonischen Grabluxusgesetze den Tatbestand der Grabschändung kennen und dabei ganz explizit Tymboi genannt werden, die durch das Gesetz geschützt werden mußten[30], also offenbar zu einem Politikum innerhalb der Statuskämpfe der Aristokratie geworden waren. Solons Hauptziele bestanden zum einen darin, den Zustand der stasis innerhalb der athenischen Oberschicht zu beenden, zum anderen den Unterschied zwischen arm und reich durch ein verbindliches Recht zu entschärfen.[31] Sein Grabluxusgesetz zielte auf den ersten Problemkreis. Die Größe der Gräber selbst schränkte Solon nicht ein, wohl aber die Menge der Beigaben sowie Größe und Zusammensetzung des Leichenzuges. Sein besonderes Augenmerk galt hierbei den Frauen, denen die Möglichkeit für einen prunkvollen öffentlichen Auftritt auf diese Art entzogen wurde.[32] Einige Zeit später wurde dann auch das Ausmaß der Gräber selbst reglementiert. Rekonstruiert man aus den wenigen Hinweisen der Grabluxusgesetze eine Entwicklung innerhalb der reichen Gräber in Athen von 600 bis 500 v. Chr., so stehen am Anfang relativ kleine Grabmonumente, Tymboi und ähnliches, die sich gegenseitig überschnitten, und die Einzelbestattungen markierten, denen mehrere Sätze Kleidung beigegeben waren. Bedeutsamer als das eigentliche Grabmonument waren hierbei die die Bestattung begleitenden Aktivitäten: Der/Die Verstorbene wurde mehrere Tage aufgebahrt und von vielen Frauen, die teilweise nicht zum Haus gehörten, beweint. Am Tag der Beisetzung begleitete eine große Menschenmenge unter Musikbegleitung die Überführung des/der Toten, an dessen/deren Grab vorbereitete Klagelieder rühmenden Inhalts gesungen wurden.
Nachdem die Feierlichkeiten durch die Solonischen Gesetze auf ein Mindestmaß gekürzt wurden, ist es denkbar, daß sich der Ehrgeiz nun auf die Größe und Ausgestaltung des Grabmonuments selbst richtete, die den Gegenstand des nachfolgenden post aliquanto-Gesetzes darstellten.[33]
Demzufolge führten in Athen einschneidende Vorschriften den Grabritus betreffend dazu, daß das Grabmonument selbst sprechen mußte. Das Totenlob, vorher durch die umfangreiche Trauergemeinde im Haus des Verstorbenen und auf dem Friedhof vorgebracht, drückte nun auch das Grabmonument aus. Dessen Größe und künstlerische Ausgestaltung hatten von jetzt an die Aufgabe die Person des Toten zu benennen und seine Qualitäten herauszustreichen.[34]
Es ist daher auch nicht überraschend, daß durch das epigraphische Zeugnis der Gräber selbst nur geringe Aufschlüsse über das Grabmonument, den Tumulus, zu erlangen sind, da die Inschriften sich vor allem mit den Vorzügen des Verstorbenen beschäftigen. Zwei Texte bilden hiervon eine Ausnahme. Einen Einblick in die Motivation und Aufstellungspraxis eines Tymbos bietet die Inschrift des Menekrates-Monuments auf Korfu[35]: Des Tlasias Sohnes Menekrates (ist) dieses Mal (sema), eines Oiantheers seiner Herkunft nach. Dies errichtete ihm das Volk; denn er war Proxenos, des Volkes Freund. Indes auf dem Meer fand er den Tod, Unglück über das Volk ... Praximenes kam für ihn aus der Heimat und errichtete zusammen mit dem Volk dieses Grabmal des Bruders. [36]Die Inschrift wird nach dem epigraphischen Befund in das ausgehende 7. Jahrhundert v. Chr. datiert und stammt von einem Rundbau, der aus großen Steinquadern gebaut ist (Taf. 66,2). Der Demos von Kerkyra und der Bruder des Verstorbenen ehren durch ihn Menekrates, der als Gastfreund und Wohltäter auf dem Meer den Tod gefunden hat. Es handelt sich hierbei um einen Kenotaph, der für besondere Verdienste gegenüber dem Demos erbaut worden ist. Die Rechte der Familie des Verstorbenen vertrat dabei der Bruder, der aus der Heimatstadt in der Westlokris angereist war. Es ist interessant, daß die Ehrung des Toten in der Fremde der Bestattung in der Heimat vorgezogen wird und dieses außergewöhnliche Bauwerk, immerhin einer der frühesten griechischen Werksteinbauten[37] von der Bürgergemeinschaft errichtet worden ist.
Eine zweite Inschrift stammt aus Troizen und war auf einer 2, 15 m hohen Granitsäule eingemeißelt, die bei oder auf einem Tumulus stand: Für Praxiteles, den toten, errichtete Vison dieses Mal (mnema). Diesen Grabhügel (sema) schütteten (ihm) die Gefährten (hetairoi) unter schwerem Stöhnen auf für seine hervorragenden Taten und vollendeten ihn selbigen Tags.[38]Diese erzählende Inschrift, die um 600 v. Chr. entstand, führt uns den eigentlichen Akt des Hügelbaus vor Augen und belegt zumindest für diesen Fall, daß das Grab nicht von Sklaven oder persönlich Unbeteiligten vollendet wurde, sondern daß die Freunde des Verstorbenen selbst Hand anlegten. Das Aufschütten des Tumulus kann nach dieser Inschrift ganz wortwörtlich als Teil der Trauerarbeit verstanden werden.
[1] Hdt. 4, 71; 5, 8; 9, 85; Aischyl. Choeph. 723; Plat. leg. 958 D; Athen. 625 F.
[2] Hdt. 1, 93.
[3] Eine Liste der bei Pausanias u. a. überlieferten Gräber auf der Agora gibt R. Martin, Recherches sur lagora grecque (1951) 200 A 5; einen Erdhügel mit steinerner Basis haben bei Pausanias das Grab des Phokos auf Aigina (2, 29, 9); das Grab des Oinomaos in Olympia (6, 21, 3); das Grab der Auge in Pergamon (8, 4, 9) und das Grab des Aipytos am Berg Sepia in Arkadien (8, 16, 3). Aus der Tatsache, daß es sich bei den genannten Grabherren und -damen um Gestalten aus der Mythologie handelt, läßt sich folgern, daß der Tumulus zu Zeiten des Pausanias als besonders altehrwürdige Grabform galt. Ob diese Gräber als touristische Attraktion errichtet wurden, oder auf alten Kultmalen, bzw. -gräbern standen, läßt sich nicht mehr entscheiden.
[4] Eine Liste der literarisch erwähnten Heroengräber findet sich bei F. Pfister, Reliquienkult im Altertum II (1912) 404 ff.
[5] Skythen: Hdt. 4, 71 ff.; eine nach inhaltlichen Gesichtspunkten geordnete Übersetzung aller die Skythen betreffenden Textstellen bei Herodot findet sich in: R. Busch (Hrsg.), Gold der Skythen, Katalog Hamburg (1993) 253 ff.; Thraker: Hdt. 5, 8.
[6] Hdt. 4, 71 Darauf türmen sie einen großen Grabhügel (cäma) auf und suchen ihn so gewaltig wie möglich zu machen. (Übersetzung A. Horneffer, 1955); zustimmend R. Rolle-V.Ju. Murzin, in: R. Rolle-M. Müller-Wille-K. Schietzel (Hgg.), Gold der Steppe. Archäologie der Ukraine, Katalog Schleswig (1991) 171.
[7] Die Identifizierung von Gerrhos mit dem Gebiet des Dneprknies lehnt R. Rolle, Totenkult der Skythen I (1979) 157 f. aufgrund der wenigen archaisch-skythischen Funde ab.
[8] Hdt. 7, 117.
[9] Das Grab des Artachaies ist auf einer Karte des Isthmos des englischen Leutnants T. Spratt eingezeichnet. Vgl. B. S. J. Isserlin, BSA 86, 1991, 83 ff. Abb. 1. Eine archäologische Erforschung des Terrains steht noch aus.
[10] Hdt. 1, 140.
[11] Hdt. 1, 45; 1, 93; Strab. 13, 4, 7 fügt dem von Herodot bekannten nichts Wesentliches hinzu.
[12] Hdt. 9, 85.
[13] Zu den Quellen Herodots für das lydische Königshaus vgl. W. Burkert, Lydia Between East and West Or How to Date the Trojan War, in: J.B. Carter-S.P. Morris (Hgg.), The Ages of Homer, FS E. Vermeule (1995) 139 ff.
[14] I. Morris, Law, Culture and Funerary Art in Athens 600-300 B.C., Hephaistos 11/12, 1992/3, 35 ff.
[15] Cic. leg. 2, 59 ff. (Übersetzung E. Bader und L. Wittmann, 1969); nach I. Morris, Law, Culture and Funerary Art in Athens 600-300 B.C., Hephaistos 11/12, 1992/3, 36 bezieht Cicero sich in seiner Schrift wahrscheinlich auf eine Zusammenfassung des athenischen Rechts, die in der Zeit Demetrios von Phaleron angefertigt worden ist.
[16] Bedenken gegen einen derart frühen Kontakt zwischen Rom und Athen meldet I. Morris, Law, Culture and Funerary Art in Athens 600-300 B.C., Hephaistos 11/12, 1992/3, 37 an.
[17] Cic. leg. 2, 63.
[18] Die Grabgesetzgebung Solons ist neben den Angaben bei Cicero auch durch Plut. Solon 21 und Demosth. 43, 62 zu ergänzen. Die einzelnen Fragmente sind bei E. Ruschenbusch, Solonos Nomoi (1966) F 72 a bis c zusammengestellt. Ruschenbusch, a. O. 53 ff. hegt starke Zweifel an der Authentizität des Demosthenes-Zitats F 109 (=Demosth. 43, 62). Die Angaben gründen auf einem Gesetzes-Code, der 403 v. Chr. verfaßt wurde und nicht auf Primärquellen.; Cic. leg. 2, 64: poenaque est, si quis bustum - nam id puto appellari tymbon - aut monumentum inquit aut columnam violarit, deiecerit, fregerit.; zum gesellschaftlichen Kontext der solonischen Reformen allgemein vgl. K.-W. Welwei, Athen. Vom neolithischen Siedlungsplatz zur archaischen Großpolis (1992) 161 ff.; I. Morris, Law, Culture and Funerary Art in Athens 600-300 B.C., Hephaistos 11/12, 1992/3, 36 ff.
[19] Demosth. a. a. O.
[20] Cic. leg. 2, 59; Plut. a. a. O.
[21] Demosth. a. a. O.; Die Beschreibung eines aristokratischen Begräbnisse findet sich bei E. Stein-Hölkeskamp, Adelskultur und Polisgesellschaft (1989) 117.
[22] Cic. leg. 2, 64; I. Morris, Law, Culture and Funerary Art in Athens 600-300 B.C., Hephaistos 11/12, 1992/3, 38 ff.
[23] Plat. leg. 12, 9 (O. Gigon-R. Rufener (Hgg.), Platon, Die Gesetze (1974)) legt eine ganz ähnliche Größe fest: Ein Grabhügel (choma) soll nur so groß sein, wie ihn fünf Männer in fünftägiger Arbeit aufschütten können. In Plat. leg. 12, 9 werden auch die Kosten für die Bestattung innerhalb der einzelnen Schätzungsklassen festgelegt. Danach soll ein Grab für die 1. Vermögensklasse 5 Minen, die 2. Klasse 3 Minen, die 3. Klasse 2 Minen und die 4. Klasse 1 Mine kosten. Neben diesen Einzelbestattungen beschreibt Plat. leg. 12, 3 auch die Bestattung der höchsten Beamten, der Euthynen. Sie werden in einem Sarkophag beigesetzt, der in einem Gewölbe unter der Erde zusammen mit anderen steht. Über der Anlage erhebt sich ein Grabhügel (choma), der für jeden neuen Toten erweitert wird und ein Hain.
[24] H. Wrede, Die antike Herme (1985) 43 hält diese Textstelle für verdorben. Hermas hos vocant könne sich nur auf andere plastische Grabaufsätze (Stelen ?) beziehen.
[25] Cic. leg. 2, 65.
[26] Einen Überblick über die Forschungssituation bietet R. Stupperich, Staatsbegräbnis und Privatgrabmal im klassischen Athen, Diss. Münster 1977, 71 ff.
[27] So F. Bourriot, Recherches sur la nature du genos (1976) 941 ff., der das post aliquanto-Gesetz auf Einzelgräber bezieht, die von Neureichen im 6. Jh. v. Chr. gebaut worden sind und mit Grabstatuen dekoriert waren; R. Stupperich, Staatsbegräbnis und Privatgrabmal im klassischen Athen, Diss. Münster 1977, 73 f. sieht hierin den Gesamtaufwand für ein Grab, wobei die Arbeitszeit der Steinmetze, die an Stelen und Kouroi gearbeitet haben, nicht enthalten gewesen sein dürfte; so auch S. C. Humphreys, Familiy Tombs and Tomb Cult in Ancient Athens: Tradition or Traditionalism?, JHS 100, 1980, 102.
[28] Plat. leg. 12, 9; F. Eckstein, Die attischen Grabmälergesetze, JdI 73, 1958, 27.
[29] R. Stupperich, Staatsbegräbnis und Privatgrabmal im klassischen Athen, Diss. Münster 1977, 73 f; F. Eckstein, Die attischen Grabmälergesetze, JdI 73, 1958, 23.
[30] Cic. leg. 2, 64 poenaque est, si quis bustum - nam id puto appelari tumbon - aut monumentum inquit aut columnam violarit, deiecerit, fregerit. Wer die Einhaltung der Vorschriften überprüft hat, ist unbekannt. Bei Platon fällt diese Aufgabe in den Zuständigkeitsbereich der Euthynen, d.h. der obersten Herrscher, vgl. E. Bayer, Demetrios Phalereus (1942) 66.
[31] Solon Frgt 30, 18 (Ausgabe Gentili-Prato) fordert gleiche Satzungen für agathoí und kakoí; E. Stein-Hölkeskamp, Adelskultur und Polisgesellschaft (1989) 71 ff.; zu den Zielen der solonischen Gesetze auch K.-W. Welwei, Athen. Vom neolithischen Siedlungsplatz zur archaischen Großpolis (1992) 96 f.164. Der Autor a. O. 205 weist nachdrücklich darauf hin, daß der Begriff stasis nicht als der Kampf von festen Parteien oder Gentilgruppen zu verstehen ist. Die athenische Oberschicht zeichnete sich zu diesem Zeitpunkt durch wechselnde Allianzen von mehr oder weniger dauerhaften Gruppen aus, die von einem Wortführer und seiner Hetairie gebildet wurden.
[32] O. Murray, Das frühe Griechenland (1982) 52 skizziert die Entwicklung von der politisch und kulturell aktiven Frau bei Homer bis zu der auf den Oikos beschränkten Ehefrau des athenischen Politen. Er macht hierfür den fortschreitenden Prozeß der Urbanisierung verantwortlich. Mir erscheint der Ansatz von S. B. Pomeroy, Goddesses, Whores, Wives, and Slaves (1975) 57 einleuchtender, die im öffentlichen Auftreten von Frauen eine ständige Gefahr für die Eintracht einer männlich dominierten Gesellschaft sieht. Den Frauen blieb das Mitwirken an religiösen Feierlichkeiten. vgl. L.A. Schneider, Zur sozialen Bedeutung der archaischen Korenstatuen (1975) 31.
[33] In wieweit dieses aus den literarischen Quellen gezogene Bild dem archäologischen Befund entspricht vgl. Kapitel 4.2.3.
[34] C. Sourvinou-Inwood, Reading Greek Death (1995) 289 f. verweist darauf, daß neben den soziopolitschen Implikationen der Grabluxusgesetze Solons auch ein Wandel in der Funktion von Grabmonumenten zu verzeichnen ist. Sie hat 70 archaische Grabepigramme auf ihren Inhalt hin untersucht und verzeichnet einen starken kommemorativen Zug in den Texten. Die große Zahl von Epigrammen für junge Verstorbene erklärt die Autorin damit, daß gerade die Erinnerung an junge Menschen wach gehalten werden muß, im Gegensatz zu berühmten Persönlichkeiten, von denen man ohnehin spricht.
[35] U. Ecker, Grabmal und Epigramm (1990) 88 ff; W. Koenigs u. a., Rundbauten im Kerameikos, Kerameikos XII (1980) 42 f.; K. Mataranga, Un étrange proxène à Corcyre, RA 1994, 111 ff.
[36] IG IX 1, 867; zitiert nach U. Ecker, Grabmal und Epigramm (1990) 89; W. Peek, Griechische Grabgedichte (1960) Nr. 18 datiert die Inschrift ins frühe 6. Jahrhundert v. Chr.
[37] W. Koenigs u. a., Rundbauten im Kerameikos, Kerameikos XII (1980) 43.
[38] IG IV 800; zitiert nach U. Ecker, Grabmal und Epigramm (1990) 120, W. Peek, Griechische Grabgedichte (1960) Nr. 28.