4.2.3.1. „Ländliche“ Grabhügel: Zusammenfassung des Befundes in Amarousion, Anavyssos, Petreza, Vari, Velanideza und Vourva

 

Die attischen Tumuli enthalten, mit Ausnahme des Grabhügels in Petreza und des Tymbos 1 in Vari, in denen nur je ein Grab lokalisiert werden konnte, gewöhnlich eine Vielzahl von unterschiedlichen Bestattungen, wobei einige meist noch vor dem Grabhügel angelegt wurden.[1] So gehen in Vourva die unterschiedlich ausgeführten Brandgräber des frühen 6. Jahrhunderts v. Chr. A, B und G der Aufschüttung, die wahrscheinlich für das Brandgrab D im mittleren 6. Jahrhundert aufgeworfen wurde, voraus (Taf. 59). In der zweiten Jahrhunderthälfte folgten dann die in den Hügel eingetieften Gräber E, Z und H. Eine ähnliche Abfolge von Brandbestattungen kann auch in Velanideza festgestellt werden (Taf. 60): In der Nähe der ältesten Bestattung, dem Doppelgrab E/Z, das um 580 v. Chr. angelegt wurde,  folgte im mittleren 6. Jahrhundert das Grab H, dem der Hügel zuzuordnen ist. 15 jüngere Bestattungen, A - D, Q - O, P - T, orientieren sich in ihrer Ausrichtung an dem Hügelrund und erweitern die Zahl der insgesamt vom Hügel überdeckten Bestattungen auf 18. Die außerhalb des Peribolos angelegten Sarkophaggräber gehören der römischen Epoche an. Mehrere Bestattungen markierte auch ein Tymbos in Anavyssos, der von Mastrokostas als Fundort des Kroisos-Kuros im Athener Nationalmuseum angesehen wird.[2] In der Hügelaufschüttung entdeckte der Ausgräber mehrere Brand- und Körpergräber, unter denen die Beigaben eines Kistengrabes beinahe unversehrt waren. Ebenfalls in Anavyssos wurde 1983 ein Tumulus ausgegraben, der insgesamt 38 archaische Bestattungen enthielt.[3] Die Angaben zu den Tumuli in Vari sind recht undurchsichtig, doch scheinen die Tymboi 3 und 5 mehrere Gräber enthalten zu haben.

Über die Größe der Tumuli gibt es nur selten Angaben, was auch mit der bereits zum Untersuchungszeitpunkt schlechten Erhaltung zusammenhängt. Milchhoefer sagt 1889 über die Nekropole von Vari, daß es sich um insgesamt sechs Tymboi handele, von denen einige von „hervorragender Größe“ seien.[4] Nimmt man den Maßstab der Karte des Grabungsareals zu Hilfe, so ist der Durchmesser der Tumuli 1 bis 3 mit über 15 m anzusetzen (Taf. 62,1).[5] Einen weiteren großen archaischen Tumulus in Lathuresa (Ø: 17 m), der im 4. Jahrhundert v. Chr. von einer rechteckigen Grabterrasse überbaut wurde, veröffentlichte Lauter 1985.[6] Noch größer war der Grabhügel in Velanideza, dessen Durchmesser circa 20 m erreichte und der zum Zeitpunkt der Grabungen von Stais noch 3, 6 m hoch war.[7] Diesen Dimensionen entsprechen auch die Grabhügel in Anavyssos, die nach den Angaben von Kastriotis und Philadelpheus 3 - 5 m in der Höhe massen.[8] Es folgen der Tymbos von Vourva (Höhe: 4 m, Ø: 26 m) und der Tumulus von Amarousion, der von Stais 1897 veröffentlicht wurde und die stattliche Höhe von 8 m und einen Durchmesser von 46 m aufwies.[9]

Die zeitliche Einordnung der genannten Grabhügel hängt weniger vom schlecht beobachteten Schichtbefund als von der Datierung der ihnen zugeordneten Gräber ab. Bestattungen mit eigenem Grabbau, wie das Doppelgrab E/Z in Velanideza, das durch einen rechteckigen Lehmziegelaufbau oberirdisch gekennzeichnet war, müssen dem Tumulus zeitlich vorangehen. Für die Grabhügel in Vourva und Velanideza hatte Kübler daher, Stais folgend, die nächstjüngere Bestattung der Aufschüttung des Hügels zugeordnet: Velanideza H und Vourva D. Beide wurden im mittleren 6. Jahrhundert v. Chr angelegt. Die älteste Bestattung in Tymbos 5 in Vari entstammt ebenfalls dieser Periode. Noch in das späte 7. Jahrhundert v. Chr weist hingegen die Datierung der Beigaben eines Einzelgrabes, das zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt von dem größten Grabhügel in Vari überdeckt wurde. Nebeneinander existierten Brand- und Körpergräber, wobei die Brandgräber meist die älteren Bestattungen stellten.

Der Platz, den schon vor Errichtung des Tumulus Grabbauten aus Lehmziegeln (Velanideza E/Z, Vourva A mit der Opferrinne Q-Q, die Material aus dem frühen 6. Jahrhundert v. Chr. enthielt) und Stein (Vourva B mit Steinkreis G) einnahmen, wurde nach der Anlage des Tumulus weiter für Nachbestattungen genutzt.

Bezüglich ihres äußeren Erscheinungsbildes boten die attischen Nekropolen des 7. und 6. Jahrhunderts ein recht vielseitiges Bild. Kleine Gruppen von monumentalen Grabhügeln wurden von Grabbauten, kleinen Mäuerchen, die einzelne Bezirke abtrennten und Grabplastik umgeben. Der Tumulus konnte befestigt sein, wie es für den Tymbos 1 in Vari und den Tumulus in Velanideza belegt ist (Taf. 60). In Vari sind es Mauerzüge, die im Norden und Osten den Grabhügel umschließen, der Tumulus von Velanideza wurde auf einer Seite von aufrecht stehenden Orthostaten eingefaßt, deren Zwischenräume mit Lehmziegelmauerwerk ausgefüllt waren (Taf. 61).[10] Eine weitere Außengliederung erfolgte durch angrenzende Grabbezirke (Vari, Velanideza) und Statuen wie sie als Grabschmuck für Vourva und Anavyssos sicher belegt sind. Der Fundort Vourva ist in diesem Zusammenhang besonders interessant, weil hier das Nebeneinander der unterschiedlichen Grabformen und des Grabschmucks besonders gut nachvollzogen werden kann (Taf. 59). Am westlichen Rand des Tumulus fanden sich eine Stufenbasis mit einer Inschrift und ein marmornes Fußfragment der zugehörigen Korenstatue.[11] Die Inschrift weist die Kore als Werk des Phaidimos aus, der als Bildhauer durch zwei weitere Inschriften bekannt ist. Vor der Kore, die im mittleren 6. Jahrhundert v. Chr. entstand, erstreckte sich die lange Opferrinne I-I, die das älteste keramische Material des Hügels enthielt, darunter einen Skyphoskrater des Malers Berlin A 34 von 630/20 v. Chr. und einige Vasen des Sophilos von 580/70 v. Chr. Stais wies Kore und Opferrinne dem Grab H zu, dessen Beigaben auf eine weibliche Bestattung hindeuten.

Auch vom Fundort Anavyssos (Phoinikia) ist Grabplastik bekannt: Von hier stammen wahrscheinlich der Kuros in New York, MMA 32.11.1, und der Kroisos-Kuros, der sich im Athener Nationalmuseum, Inv. Nr. 3851, befindet.[12] Über Vourva und Anavyssos hinaus ist eine enge räumliche Verbindung von Grabstatue/-stele und Tumulus noch für die Fundorte Velanideza und vielleicht Merenda zu belegen.[13]

Eine weitere Möglichkeit die Grabstelle zu markieren war die Stele. Die nur roh bearbeitete Rückseite der dem Velanideza-Tymbos zugewiesenen Stelen des Lyseas und des Aristion geben einen Hinweis auf ihre Anbringung. Die durchbrochen gearbeitete Krepis des Tumulus könnte diese Reliefs ursprünglich aufgenommen haben.[14]

 



[1] Eine Zusammenfassung der Befunde in Vourva, Velanideza und Vari gibt K. Kübler, Die Nekropole des späten 8. bis frühen 6. Jahrhunderts, Kerameikos VI 1 (1959) 95 ff.

[2] E. Mastrokostas, Die Basis des Kroisos Kouros, AAA 7, 1974, 215-228, dt. Resümé 225 ff.

[3] O. Kakavoigianni, ADelt 39, 1984, 43-45. Der Tumulus hatte einen Durchmesser von 25 m und wies neben archaischen auch drei Gräber geometrischer Zeit auf. 

[4] Im Beiheft zu E. Curtius-J. A. Kaupert, Karten von Attika (1889) 15.

[5] AA 1940, 177/178 Abb. 34.

[6] H. Lauter, Lathuresa. Beiträge zur Architektur und Siedlungsgeschichte in spätgeometrischer Zeit (1985) 64 f.

[7] ADelt 1890 Pin. A.

[8] Prakt 1911 (1912) 111.

[9] Vourva: A. Milchhöfer in: E. Curtius-J. A. Kaupert, Karten von Attika (1889) Heft III-VI, 5 zum „großen Grab“,  ADelt 1890, Pin. G Abb.1.; Amarousion: Prakt 1896 (1897) 23 ff.

[10] ADelt 1890 Pin. B Abb. 3.

[11] Athen, NM 81. Euthynterie und die zwei untersten Stufen sind aus grobem Kalkstein, die Basis selbst aus Marmor. Der Fundort ist bei Stais, ADelt 1890 Pin. G Abb. 1 L eingezeichnet. Zur Inschrift „[...] errichtete mich [als Grabmal] seiner lieben Tochter, schön anzusehen. Phaidimos aber schuf (mich)“ vgl. U. Ecker, Grabmal und Epigramm. Studien zur frühgriechischen Sepulkraldichtung (1990) 138 ff.

[12] G. M. A. Richter, Kouroi 3(1970) Abb. 25-32.60-62.395-398.400-401; E. Mastrokostas, AAA 7, 1974, 215 ff.

[13] Velanideza: Stele des Lyseas, Athen, NM 30 (um 500 v. Chr.) und Aristion des Aristokles, Athen, NM 29 (spätes 6. Jahrhundert v. Chr.). Zum Fundort von Lyseas und Aristion s. A. Milchhöfer, AM 12, 1887, 291 „Beide Denkmäler stammen aus einer sehr ausgedehnten und ausgebeuteten Grabstätte rechts vom Wege zum Meer, [...] Über dem ganzen wölbte sich ein flacher Hügel“. Einem weiteren Tumulus in Velanideza weist A. M. D’Onofrio, AnnAStorAnt 10, 1988, 87 Abb. 10, 1 u. 2 die Stelenfragmente von Anthemion & Philodemos (circa 530 v. Chr.) und von Xenophon (circa 500 v. Chr.) zu; Merenda: Kuros Athen, NM 4890 und Phrasikleia, Athen, NM 4889. Beide nur in einer Notiz von E. Mastrokostas, AAA 1972, 298-314 (franz. Resümé 315-324) publiziert. Nach Hinweis des Ausgräbers weisen weitere Bruchstücke auf eine Konzentration von Statuen an dem Fundort hin. Hilfreiche Kataloge attischer Grabplastik einschließlich der Fundorte finden sich bei Chr. Karusos, Aristodikos (1961) 59 ff. (insg. 36 Katalognummern) und A. M. D’Onofrio, AnnAStorAnt 4, 1982, 140 ff. (46 Einzelposten).

[14] Eine derartige Anbringung wurde bereits von F. Bourriot, Recherches sur la nature du genos (1979) 923 vorgeschlagen.