3.1.3. Zusammenfassung des Befundes in Phrygien und Lydien
Die Übersicht über Grabhügel in Phrygien und Lydien hatte zum Ziel, den Bestand an sicheren Königsgräbern zu klären und ihre Stellung innerhalb der Nekropolenverbände zu untersuchen. Der erste Teil stellte daher den archäologischen Befund vor und grenzte die Königsgräber gegen andere zeitgenössische Grabformen ab. Der zweite Schritt bestand darin, den gesellschaftlichen Kontext der Gräber zu beleuchten, was auf einen Vergleich zwischen den Befunden und den literarischen Quellen hinauslief. Da die bruchstückhafte Überlieferung nur selten die Identifizierung eines bestimmten Tumulus als sicheres Königsgrab zuläßt, kam bei den wenigen ausgemachten Beispielen den spezifischen historischen Hintergründen ein besonderes Gewicht zu. Im folgenden sollen die Ergebnisse zusammengefaßt werden.
Sowohl für Phrygien als auch für Lydien gilt, daß die Anzahl der Gräber, die mit einiger Sicherheit als Grablege eines Königs angesprochen werden können, sehr klein ist. Nur je ein Grab kann nach konservativen Maßstäben als sicheres Königsgrab gelten. Es handelt sich jeweils um das mit Abstand größte Grab der Nekropole, dessen Bauzeit mehrere Jahre in Anspruch nahm. Die Bestattungen liegen an den Hängen von Flußtälern in Sichtweite der Siedlung und der jeweilige Bauplatz ist infrastrukturell gut erschlossen. Das Material der Aufschüttung stammt bei beiden Gräbern aus dem nahebei liegenden Flußtal. Ein Teil des Baumaterials (Holz und Marmor) wurde aber auch importiert.
Eine äußere Gliederung des Tumulus ist - leider nur unzureichend - für den Alyatteshügel in Sardis belegt. Sollten die Beobachtungen von Spiegelthal, der an diesem Bau ein Fundament von circa 18 m und eine Krepis von über 5 m Höhe gemessen haben will, stimmen, hätte der Hügel eine festumrissene architektonisch gegliederte Steinbasis. Der artifizielle Charakter des Monuments wäre stark betont und seine Wirkung auf den Betrachter erhöht. Hierzu paßt auch gut das Steinmal auf der Spitze. Durch seine Dimensionen konkurriert der Hügel mit der Landschaft.
Beide Bauwerke konnten nur mit einem erheblichen Einsatz von Material und Menschen realisiert werden, wobei das Herstellen der Inventare und Grabkammern hochqualifizierte Arbeiter verlangte. In Lydien kam noch die Nivellierung des Bodens, das Brechen und Bearbeiten von Quadern und das Aufmauern von Fundament und Krepis hinzu. Die weitaus längste Zeit nimmt in jedem Fall das Aufschütten des eigentlichen Hügels in Anspruch, das auch Ungelernte unter Anleitung ausführen konnten. Leider liegen keine Informationen über die hierbei zur Anwendung gekommene Technik vor, da die Aufschüttung selbst nur unzureichend untersucht ist. Spiegelthal hat einen erhöht liegenden Fahrweg beobachtet, der von Süden auf das Alyattesgrab trifft. Vielleicht ist hierin der Überrest einer Rampenanlage zu erkennen.
Besonders geeignet erscheint das Militär für die Verrichtung solch umfangreicher Erdarbeiten, wie es von Herodot für Persien und Griechenland und in epischer Form durch Homer überliefert ist. Dieser Einschätzung muß die Beschreibung Herodots nicht widersprechen, der ausdrücklich Handwerker, Kaufleute und Prostituierte als die Auftrag- bzw. Geldgeber benennt.
Midasgrab und Alyatteshügel sind Einzelgrabanlagen, deren Grabkammern exzentrisch zur Aufschüttung liegen und nach Errichtung des Tumulus vollkommen abgeschlossen waren. Beide Anlagen sind auf eine Person zugeschnitten und nicht als Grüfte für zukünftige Herrschergenerationen geplant worden, da ihnen der Dromos und damit die Möglichkeit zur Wiederbelegung fehlt.
Die bei der Errichtung und Ausstattung der Grabkammer verwendeten Materialien sind exquisit: Riesige Marmorquader werden beim Alyattesgrab verbaut; ein Baustoff, der sonst nur noch einmal für ein lydisches Kammergrab Verwendung fand. Das Holz für das Midasgrab besteht aus jahrhundertealten Stämmen, die mit großer Kunstfertigkeit zusammengefügt wurden. Auch die in der äußeren Gestalt alles sonstige überragenden Dimensionen finden sich in der Grabkammer wieder. Auf 31 Quadratmetern wird Midas beigesetzt, fast das Doppelte des in der Größe folgenden Grabes. Weniger deutlich ist der Unterschied in Lydien: Hier sind es nur 2 qm, um die das Alyattesgrab vergrößert ist. Es muß an dieser Stelle aber noch einmal betont werden, daß der aufwendigen Ausgestaltung der Grabkammer und ihres Inventars zum Trotz das Gros der für das Königsgrab eingesetzten Arbeitskraft in die Hügelaufschüttung fließt. Es läßt sich also ein Mißverhältnis zwischen der auf die Ausgestaltung des unmittelbares Umfelds des toten Königs verwendeten Energie für das Innere auf der einen Seite und dem für alle kommenden Generationen sichtbaren Außen der Grabanlage beobachten.
Sowohl in Phrygien als auch in Lydien ist das Tumulusgrab zu Zeiten der Grablegen für Midas und Alyattes schon seit einigen Jahrzehnten bekannt. Das Königsgrab stützt sich in beiden Fällen also auf ältere Traditionen, nimmt diese auf und steigert sie zu riesenhaftem Format. Während das Midasgrab als Tumulus bereits monumentale Vorläufer (KIII und W) hat, scheint der Grabhügel des Alyattes für Lydien neue Größenstandards zu setzen.
Grabhügel von extremer Größe wie die Tumuli für Midas und Alyattes erscheinen nur über einen kurzen Zeitraum. Beide Nekropolenverbände weisen eine Spitzengruppe von je drei Gräbern auf, die wahrscheinlich innerhalb weniger Jahrzehnte entstanden sind. W, KIII und MM überspannen circa 50 Jahre, die drei großen lydischen Tumuli entstammen wahrscheinlich einer noch kürzeren Zeitspanne.
Die Inventare sind leider nur aus der phrygischen Perspektive zu beurteilen. Wie erwartet, bekommt der König eine besonders kostbare und vielfältige Ausrüstung mit ins Grab. Es fehlen jedoch vollkommen Edelmetallbeigaben, die für das phrygische Königtum als Grabausstattung anscheinend keine Rolle spielten. Statt dessen erhält der König eine Löwenkopf- und eine Widderkopfsitula, die dem nordsyrischen Kunstraum entstammen und bildlich als Requisit des assyrischen Staatsbanketts überliefert sind. Die übrigen Beigabentypen - hier sind bronzene Fibeln, Kessel und Schalen, aber auch hölzernes Mobiliar zu nennen - entsprechen den Funden älterer Prunkgräber und nehmen wiederum einheimische Sitten auf. Ebenso fügen sich die wenigen Fragmente von lydischen Gefäßen aus dem Alyattesgrab in das keramische Repertoire anderer zeitgenössischer sardischer Gräber ein. Für beide Kulturen konnte wahrscheinlich gemacht werden, daß der soziale Kontext des Banketts wichtige Anstöße für die Gestaltung des Sepulkralbereichs geboten hat. Hingegen fehlen Beigaben, die auf eine harte leistungsorientierte Königsideologie verweisen könnten: beispielsweise Waffen und Streitwagen.
Weit weniger detailliert muß eine Zusammenfassung der gesellschaftlichen Umstände, unter denen diese monumentalen Königsgräber entstanden sind, ausfallen. Da weder für Phrygien noch für Lydien eigene schriftliche Quellen zur Verfügung stehen, ist es vornehmlich die Ereignisgeschichte, die durch griechische und assyrische Texte überliefert ist. Beide Königsgräber sind demnach in einer prosperierenden Phase entstanden, die durch militärische Expansion und Handel gekennzeichnet ist. Midas mußte sich schließlich mit dem Status eines Vasallenkönigs gegenüber Assyrien zufriedengeben; Alyattes war der Herrscher eines autonomen Landes, dessen Königsgeschlecht mit den Medern verschwägert war. Der mehr oder weniger erfolgreiche Auftritt auf der internationalen Bühne hatte beide Herrscher mit den großen orientalischen Reichen im Osten und mit den griechischen Stadtstaaten im Westen in Kontakt gebracht. Beide Länder pflegten diesen Kontakt auch durch Handelsbeziehungen, da sie an der Königsstraße lagen, der Landverbindung zwischen Sardis und Susa, die quer durch das nördliche Kleinasien führte. Der Tod der Herrscherpersönlichkeit muß nach dem erfolgten Aufschwung und den damit einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen als einschneidendes Erlebnis von Phrygern und Lydern empfunden worden sein. Ob die Thronfolge in Phrygien zum Zeitpunkt von Midas Tod geklärt war, ist nicht überliefert, für sein Grab banden die nachfolgenden Machthaber jedoch riesige Produktivkräfte auf Jahre an den alten König, die offenbar als überschüssig (weil vielleicht potentiell gefährlich?) eingestuft wurden. Der Tod des alten langjährigen Königs, dessen Person mit aggressiver Außenpolitik und ökonomischen Veränderungen verknüpft wurde, muß bis zur Konsolidierung der neuen Machthaber ein heikles Erbe gewesen sein und die Verherrlichung und Überhöhung des verblichenen Herrschers durch ein monumentales Grabmal kann als probates Mittel zur Entschärfung dieser Situation angesehen werden.
Es gibt noch einen weiteren Punkt, der eine Ähnlichkeit zwischen Midas und Alyattes erkennen läßt: Ebenso wie der phrygische entstammte der lydische König einem verhältnismäßig jungen Geschlecht. Konnte der Achämenide Kyros auf die Pracht des Alten Orients verweisen, so bedurften Midas und Alyattes erst noch der sichtbaren Zeichen ihrer Herrschaft bzw. ihrer persönlichen Verdienste. Daher erscheint es nur konsequent, wenn sie nicht in einer Gruftanlage ihres Palastes, dem eigentlichen Verwaltungs- und Herrschaftszentrum beigesetzt wurden, sondern eine monumentale Einzelgrabbestattung wählten.