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Titel: Phänomenologische, kriminologische und epidemiologische Aspekte der Kindesmisshandlung im Großraum Hamburg. Eine retrospektive Analyse der klinisch rechtsmedizinischen Untersuchungen 1988 bis 2004
Sonstige Titel: Phenomenological, criminological and epidemiological aspects of child abuse in greater Hamburg from 1988 to 2004. A retrospective Analysis
Sprache: Deutsch
Autor*in: Wahl, Nicole
Schlagwörter: soziale Aspekte; misshandlungsbedingte physische Verletzungen
GND-Schlagwörter: Schütteltrauma
Kindesmisshandlung
Angewandte Kriminologie
Erscheinungsdatum: 2011
Tag der mündlichen Prüfung: 2011-06-29
Zusammenfassung: 
Mehr als die Hälfte der lebenden Kinder mit Verdacht auf Misshandlung, die im Institut für Rechtsmedizin von 1988 bis 2004 untersucht wurden, wurden nach rechtsmedizinischer Beurteilung tatsächlich misshandelt. Die bekannt gewordenen Fälle von Kindesmisshandlung zeigen eine deutliche Zunahme ab dem Jahre 1999. Diese Studie ist darauf ausgerichtet, die Prävention der Kindesmisshandlung anhand der gewonnenen Erkenntnisse zu unterstützen und Verdachtsfälle besser und sicherer aufklären zu können.

Die meisten Kinder werden vom ersten Lebenstag bis zum vollendeten zweiten Lebensjahr misshandelt. Vorwiegend sind Kinder männlichen Geschlechts betroffen. Die misshandelten Kinder zeigten in 90% der Fälle Hämatome. Nur ein minimal kleiner Anteil der misshandelten Kinder zeigt keine Verletzungen. Äußere Verletzungen sind somit der wichtigste und häufigste somatische Hinweis auf eine Misshandlung.
Es sollte das Gesamtbild der Verletzungen betrachtet werden. Es zeigt sich in unserer Studie ein eindeutiger Trend in Richtung des mehrzeitigen Geschehens bei misshandelten Kindern.

Frakturen treten bei einem Viertel der misshandelten Kinder auf, vor allem bei Kindern unter zwei Jahren. Mehrfachfrakturen sind deutlich häufiger bei misshandelten Kindern und sprechen nach unseren Ergebnissen klar für eine Misshandlung.
Rippenfrakturen treten bevorzugt bei mehrfach misshandelten Kindern auf. Insgesamt werden sie in unserer Studie jedoch selten diagnostiziert. Extremitätenfrakturen entstehen häufig misshandlungsbedingt. Bei Kindern unter einem Jahr sind sie nahezu beweisend für eine Misshandlung bei einer fehlenden Unfallanamnese.
Warum es zu Hirnschädelfrakturen vorwiegend im ersten Lebensjahr kommt, ist durch anatomische Gegebenheiten und somit den Schwachstellen des Säuglingskopfes zu erklären. Auch ein Sturz aus geringer Höhe kann im Einzelfall eine Hirnschädelfraktur erklären.

Intracranielle Blutungen bei Kindern sind immer dann verdächtig, wenn eine adäquate Anamnese oder ein Unfallgeschehen fehlen. Sie treten, egal ob unfall- oder misshandlungsbedingt, auch hier vorwiegend bei männlichen Kindern und unter einem Jahr auf. Subdurale Blutungen deuten stark auf eine Misshandlung hin.
Selten wurden Fundoskopien bei diesen schwer verletzten Kindern durchgeführt. Sie sollten hier Standarduntersuchung werden. Beim Verdacht auf Misshandlung soll auf eine ausreichende Diagnostik geachtet werden, um einen vollständigen aussage-kräftigen Befund zu erlangen. Diagnostik wird in allen Verdachtsfällen der Kindes-misshandlung zu selten angewandt.

Trotz vieler Befunde ist ein Schütteltrauma nicht immer sicher zu diagnostizieren. In 75% der Schütteltraumafälle wird eine unzureichende oder gar keine Anamnese angegeben. Eine inadäquate oder fehlende Anamnese sollte immer Hinweise auf eine Misshandlung geben. Es sind immerhin 20 derartige Fälle in unsere Studie eingeflossen. Die Schütteltraumafälle stellen 16% der Misshandlungsfälle dar. Das Schütteltrauma wird deutlich häufiger bei männlichen und Kindern unter einem Jahr festgestellt. Eine mehrzeitige Misshandlung mit Schütteltrauma wird bei der Hälfte dieser Kinder diagnostiziert.
Absolut notwendig bei Kindesmisshandlung mit Verdacht auf Schütteltrauma ist eine ausführliche und komplette Diagnostik mit Röntgen, cranieller Computertomografie und Fundoskopie. Leider wird dies nicht bei allen Verdachtsfällen durchgeführt.
In jedem Fall sollte ein Augenarzt hinzugezogen werden. Weiterhin muss die genaue Ausprägung der retinalen Blutungen dokumentiert werden, um eine Unterscheidung zwischen traumatischer oder misshandlungsbedingter Blutung festzustellen. Beidseitige oder ausgeprägte einseitige retinale Blutungen sprechen für ein Schütteltrauma. Retinale Blutungen treten in über 50% der Schütteltraumafälle auf und betreffen bevorzugt Kinder im Alter von unter einem Jahr. Intracranielle Blutungen treten gehäuft im Symptomenkomplex „Schütteltrauma“ auf und zeigen sich als subdurale Blutungen. Frakturen bei Kindern mit Schütteltrauma sind meistens multipel auftretend. Die Aussage, dass das Schütteltrauma meist nicht durch äußere Verletzungen begleitet wird, kann in unserer Studie nicht bestätigt werden.

Das Motiv der Misshandlung liegt überwiegend im familiären Bereich, vor allem bei Kindern unter dem zweiten Lebensjahr. Die sexuelle Misshandlung wird bei 20% der vorgestellten Kinder vermutet, jedoch selten bestätigt. Der Verdacht auf sexuelle Misshandlung wird vermehrt ab dem dritten Lebensjahr geäußert.

Das soziale Umfeld des Kindes wird für Misshandlungstaten mit verantwortlich gemacht. Dies kann in unserer Studie nicht bestätigt werden. Es war eine gleichmäßige Verteilung in sozial durchschnittlich und schwächer gestellte Familien zu verzeichnen, jedoch kein Extremtrend zu sozial schwachen Familien.
URL: https://ediss.sub.uni-hamburg.de/handle/ediss/4086
URN: urn:nbn:de:gbv:18-51922
Dokumenttyp: Dissertation
Betreuer*in: Sperhake, Jan (PD Dr.)
Enthalten in den Sammlungen:Elektronische Dissertationen und Habilitationen

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