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Titel: Gewalt und Mimikry : destruktive Aspekte der Selbstkontrolle bei amokartiger Gewalt
Sonstige Titel: Violence and Mimicry : destructive issues of self-control in amok-like violence
Sprache: Deutsch
Autor*in: Prokop, Andreas
Schlagwörter: Bindung; Trauma; Aggression; Ressentiment; Stress; Scham; Symbiose; Triebtheorie; Anpassung; Reifung; Symbol; Perversion; Attachment; social bond
GND-Schlagwörter: Kriminologie
Psychoanalyse
Selbstkontrolle
Narzissmus
Borderline
PsychiatrieGND
AngstGND
Gewalt
Mord
Mimikry
Kultur
PhilosophieGND
Amok
Erscheinungsdatum: 2015
Tag der mündlichen Prüfung: 2015-07-08
Zusammenfassung: 
Die Arbeit unternimmt es, Phänomene amokartiger Gewalt unter Berücksichtigung kriminologischer, psychoanalytischer und kulturphilosophischer Perspektiven zu untersuchen und die implizite, den „Protagonisten“ selbst kaum einsichtige Motivationslage idealtypisch zu rekonstruieren. Als entscheidendes Moment erscheint hier eine phänomenale Ichschwäche und eine daraus folgende psychosexuelle Unreife, die allerdings als ursprünglich intentional zu verstehen ist. Denn das Ich im psychoanalytischen Sinne stellt eine Grenzstruktur dar, die Innen und Außen scheidet, während nach der hier vertretenen Position frühe kumulative Beziehungstraumata im Sinne einer nicht kompensierbaren Übererregung die entwicklungsnotwendige Trennung von Subjekt und Objekt zur Vernichtungsdrohung werden lassen. Dies bezieht sich auf die psychoanalytische Kategorie der narzisstischen und Grenzfälle. Diese Problematik wird jedoch keineswegs als „Krankheit“ im psychiatrischen Sinne verstanden, sondern eher als der conditio humana einer anatomisch bedingten vorzeitigen Geburt geschuldet. Die narzisstischen und Grenzphänomene erscheinen eher wie eine freigelegte Tiefenstruktur des Menschen per se, die im „Normalfall“ allerdings durch Triebkonflikte im psychoanalytischen Sinne mehr oder weniger überformt und gezähmt sind sowie als Energiequelle fungieren. Die Anpassungsforderungen der Gesellschaft müssen dann als Bedrohung wirken, weil die Trennungsangst keine ausreichende Stabilisierung des Ichs gegenüber dem Äußeren gestattet. Äußere Anpassung im Sinne von Winnicotts falschem Selbst kann dann mit sich steigerndem inneren Hass einhergeht, der besonders dann zum Ausbruch kommen kann, wenn die Anpassung keine Belohnung (mehr) findet.
Von daher wird auch eine Kritik der kriminologischen General Theory of Crime unternommen, die die Anpassung vorbehaltlos affirmiert und Kriminalität im Allgemeinen als Folge zu geringer Selbstkontrolle versteht. Demgegenüber zeigen die „Protagonisten“ amokartiger Gewalt mitunter einen hohen Grad an Selbstbeherrschung, was gegenüber dem undifferenzierten Rekurs auf mangelnde Selbstkontrolle eine Unterscheidung von bloßer Affektrigidität und einer reifen, flexiblen Selbstkontrolle als sinnvoll erscheinen lässt. Die von den Autoren empfohlene Erziehung durch Bestrafung von unangemessenem Verhalten scheint per se eher Affektrigidität zu befördern, als eine reife Selbstkontrolle. Gegenüber der neuropsychologischen Kritik an dieser Theorie wird eingewendet, dass frühe motorische Auffälligkeiten nicht zwangsläufig eine biologisch-neurophysiologische Erklärung evozieren, sondern vielmehr ein Scheitern der frühesten Mutter-Kind-Bindung wahrscheinlich ist.
In diesem Zusammenhang wird auch auf die Unzulänglichkeit einer empiristischen Betrachtungsweise eingegangen, die unter Umständen zu problematischen Prä- und Interventionspraxen führt, die die Trennungs- und Fusionsängste sowie den Zwang zur Mimikry – dem äußerlichen Wohlverhalten bei innerem Vorbehalt – bei manchen Kindern bzw. Menschen nicht genügend beachtet. So werden auch gesellschaftliche Tendenzen zur forcierten Anpassung kritisiert.

The aim of this work is a better understanding of the motivational foundation of phenomena known as rampage killings in respect of criminological, psychoanalytical, cultural and philosophical perspectives. It is supposed that the motivational foundation of such deeds is not clear to the perpetrators themselves, but can be reconstructed on the basis of psychoanalytical theories. As the most crucial moment in this respect a phenomenal weakness of the ego and an equivalent psychosexual immaturity is proposed. For the ego in psychoanalytic sense is a borderline structure, that separates an inner from an outer world, while early attachment-traumata may cause an unbearable arousal that hinders the process of separation and gaining autonomy. This refers to the psychoanalytical category of the narcissistic and borderline cases and is not understood as an illness in the psychiatric sense. Rather it is seen as an outcome of the human condition of premature birth, a depth structure of man that commonly is transformed and tamed by instinct conflicts early in life. When there is no adequate development in the direction of autonomy because of traumatogenic separation anxiety, then societal demands for alignment must be experienced as a threat for the self. So mimicked alignment in the sense of Winncott’s false self might result accompanied by growing hatred that can lead into violence, if alignment is not rewarded anymore.
From this point of view a critic of the criminological General Theory of Crime is attempted that is affirming alignment without reservation. According to this theory a lack of self-control is responsible for crime in general. But in certain situations the “protagonists” of amok-like violence seem to show a high grade of self-control, and so it might be useful to differentiate a mere affect rigidity from a more mature self-control. An education by surveilling and punishing as recommended by the authors under circumstances might be shortsighted as it can support affect rigidity and the development of a false self.
In respect of the neuro-psychological critic of this theory it is objected that early senso-motor problems not obligatory have to be interpreted as an outcome of a biological or neuro-physiological impairment, but also of a failure of the early mother-child bonding.
In this respect, the inadequacy of a purely empiricistic approach is stressed, which occasionally may lead to inappropriate pre- and intervention practices. For the prevalence of separation and fusion anxiety might cause a compulsion to mimicry; seemingly good conduct without real maturing. Also societal tendencies of forced behavior control are criticized.
URL: https://ediss.sub.uni-hamburg.de/handle/ediss/6408
URN: urn:nbn:de:gbv:18-74064
Dokumenttyp: Dissertation
Betreuer*in: Scheerer, Sebastian (Prof. em. Dr.)
Enthalten in den Sammlungen:Elektronische Dissertationen und Habilitationen

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