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Titel: Todesfälle von Inhaftierten in Hamburg 1996–2012 unter besonderer Berücksichtigung der Suizide mit Vorschlägen zur Suizidprävention im Gefängnis
Sonstige Titel: Deaths of detainees in Hamburg 1996-2012 with special consideration given to suicides and suggestions for suicide prevention
Sprache: Deutsch
Autor*in: Petersen, Johannes
Schlagwörter: Gefangenentodesfälle; Inhaftierung; Suizidprävention; Gefängnis; prison fatalities; incarceration; suicide prevention; prison
Erscheinungsdatum: 2016
Tag der mündlichen Prüfung: 2016-07-21
Zusammenfassung: 
Es wurden 130 Todesfälle von Inhaftierten in Hamburg aus den Jahren 1996-2012 (zuzüglich 13 Fälle aus dem Jahr 1995) unter besonderer Berücksichtigung der Suizide untersucht und Vorschläge zur Suizidprävention in Gefängnissen unterbreitet. Ausgewählte Ergebnisse wurden mit denen anderer Autoren (Granzow 1996, Bennefeld-Kersten 2012) verglichen.

Im Vergleich zu Voruntersuchungen (Granzow 1996) ist festzustellen, dass die soziale Ausgangssituation der Gefangenen in Hamburger Gefängnissen sich über die Jahre nicht verbessert hat. Vor Strafantritt standen nur 10,8% der Suizidenten in einem festen Arbeitsverhältnis. Über regelmäßige Einkünfte verfügten 16,2%. Verheiratet/verpartnert war jeder Fünfte. Die meisten waren hafterfahren und verbüßten in Strafhaft eine eher kürzere Strafe.

Es ist eine „Umkehrung“ der Zahlenverhältnisse Suizid/natürlicher Tod eingetreten: Während bei Granzow die Haupttodesursache mit 43,6% der Suizid ist (natürliche Todesfälle: 37,1%), sind es in der vorliegenden Untersuchung mit 43,1% die natürlichen Todesfälle (Suizide: 38,5%). Außerdem hat sich das Maximum des Sterbealters der natürlichen Todesfälle bei der vorliegenden Untersuchung zum höheren Alter hin verschoben. Bei Granzow waren es im Alterssegment 41-45 Jahre 17,6% in der vorliegenden Untersuchung im Alterssegment 51-55 Jahre 21,4%. Ursache der meisten natürlichen Todesfälle sind Herzerkrankungen. Die Häftlinge werden älter und sterben eher an natürlichen Todesursachen, meistens am Herzinfarkt. Die medizinische Versorgung der Häftlinge in Hamburger Haftanstalten ist gut, für manche Insassen besser als in Freiheit.

Ein Einsitzender hat in den Jahren 2003-2010 ein achtfach höheres Suizidrisiko als die in Freiheit lebende Bevölkerung. Für die Hamburger Bevölkerung ergibt sich eine Suizidrate von 15,8 Suizidenten pro 100.000 Einwohner. Die Suizidrate für die Hamburger Gefangenen beträgt im Zeitraum 2003-2010 123,5. Im Zeitraum 1962-1995 lag sie bei 138. Sie hat sich also gesenkt.

Die Ergebnisse der bundesweiten Untersuchung von Bennefeld-Kersten und die der vorliegenden Arbeit zeigen große Übereinstimmungen. In beiden Untersuchungen suizidierten sich die meisten(Bennefeld-Kersten: 58,7%, Petersen: 58,0%) der Häftlinge in der Altersgruppe 20-40 Jahre. Bei der Suizidart „Erhängen“ weichen sie voneinander ab, bundesweit erhängten sich 89,6% der Suizidenten, in der vorliegenden Untersuchung, Hamburg betreffend, „nur“ 84,0%. In den ersten 30 Tagen ereignen sich 55,1% der Suizide, die in Untersuchungshaft stattfinden. Die mit Abstand meisten Suizide ereigneten sich sonntags (Bennefeld-Kersten: 20,3%, Petersen: 26,0%), die bevorzugte Methode ist das Erhängen.

Die Arbeit hat die Wichtigkeit von Sektionen bestätigt: In drei Fällen konnten die Todesursache „Suizid“ und in einem Fall die Todesursache „natürlicher Tod“ erst dadurch eindeutig bestimmt werden.

Zur Suizidprävention werden 15 Vorschläge unterbreitet:

- Datenlage verbessern
- Wissenschaftliche Untersuchungen weiter führen
- Sektionsrate erhöhen
- Strukturelle Maßnahmen verbessern und konsequent anwenden
- Dokumentierte Befragung zu Beginn der Haft
- Vereinfachte Möglichkeiten zur Erkennung von Suizidrisiken schaffen
- Erfahrungen aus psychiatrischen Kliniken nutzen
- Psychologische und psychiatrische Versorgung verbessern
- Kommunikation und seelischen Beistand am Sonntag verbessern
- Verstärkung positiver Impulse durch Bildungs- und Kulturmaßnahmen
- Netzwerke aus Verantwortlichen und Laienhelfern bilden
- Trainings-, Schulungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen
- Anlaufstelle für Notfälle
- Verantwortungsvolle Berichterstattung in der Öffentlichkeit
- Weitere Humanisierung des Strafvollzuges

Der „typische“ Selbstmordkandidat im Gefängnis ist nach vorliegender Datenlage ein lediger Mann mit Hauptschulabschluss zwischen 20 und 45 Jahren, der vor der Haft keiner regelmäßigen Arbeit nachgegangen ist, sich nicht zum ersten Mal im Gefängnis befindet, als “nicht suizidgefährdet“ eingestuft worden ist und sich im Monat April in einer Sonntagnacht während der ersten 30 Tage in seiner Einzelzelle in der Untersuchungshaftanstalt erhängt. Hautfarbe, Herkunftsland und Religion sind ohne Präferenz.

Die Tendenz bei den Todesursachen in Hamburger Gefängnissen scheint sich allerdings weg vom Suizid zu entwickeln. Die Gefangenen leben länger und sterben, wie die meisten Menschen in Freiheit auch, an Zivilisationserkrankungen, allen voran dem Herzinfarkt.

This dissertation examined 130 cases of prisoner deaths in Hamburg over the period from 1996-2012 (plus 13 cases from 1995), with special attention paid to suicides and suggestions made for suicide prevention in correctional facilities. Results were compared to those of other researchers, where applicable.

As compared to prior research on the topic (Granzow 1996) findings show that inmates’ social standing prior to their incarceration is similarly low. Merely 10.8% of inmates held a steady job and only 16.2% received any regular income. 20% of inmates were married. Most of the prisoners had been to prison before and were in the process of serving a relatively short sentence.

There is a reversal of the number of suicides vs. natural deaths: While in Granzow’s study the main cause of death is suicide with 43.6% of cases (natural causes: 37.1%), in this study natural deaths are most common at 43.1% (suicides: 38.5%). Furthermore, the maximum age at death has risen. In Granzow’s study 17.6% died in the age bracket 41-45 years old, while in this study 21.4% died in the age group of 51-55 years old. The main cause of death among those cases dying of natural causes is heart disease. Inmates reach an older age and are more likely to die of natural causes, mostly heart diseases. Medical care for inmates in Hamburg’s prisons is good, for some prisoners better than outside of jail.

An inmate for the period from 2003-2010 has eight times as high of a suicide risk as compared to people living in freedom. Hamburg’s population has a suicide rate of 15.8. For inmates in Hamburg’s prisons the suicide rate between 2003 and 2010 was 123.5 as compared to 138 for the period from 1962-1995, so it has decreased.

Results of the study by Bennefeld-Kersten that considered data from the whole Federal Republic of Germany, and those of this dissertation show great consistency. In both studies inmates of the age group 20-40 years old represented the largest group of suicides (Bennefeld-Kersten: 58.7%, Petersen: 58%). The differ in the method of suicide with the federal data showing 89.6% of suicides by hanging, in Hamburg “only” 84% of inmates committed suicide by hanging. Within the first 30 days 55.1% of suicides occur, of those suicides that occur in pre-trial custody. Most suicides occur on Sundays, by a wide margin (Bennefeld-Kersten: 20.3%, Petersen: 26.3%), the preferred method is by hanging.

The study at hand has reinforced the importance of autopsies: In three cases, the cause of death “suicide” and in case the cause of death “natural causes” could only be determined after performing an autopsy.

15 suggestions for suicide prevention were made:

- Improving data availability
- Continue scientific research into the subject
- Increase autopsy rate
- Improve structural measures and apply them consistently
- Documented questioning at the beginning of detention period
- Create easier detection mechanisms for suicide risks
- Draw on experiences from psychiatric clinics
- Improve psychological and psychiatric care
- Improve communication and spiritual/mental care on Sundays
- Increase positive impulses achieved through educational and cultural offerings
- Build networks of designated coordinators and assistants
- Measures to improve training, schooling and sensibility
- Emergency contact point
- Responsible media reporting
- Further humanization of the penal system

The typical suicide candidate, according to this set of data, is a single man between the age of 20-45, who did not hold a regular job prior to his incarceration, who does not serve his first prison term, was labeled “not suicidal” and commits suicide by hanging, on a Sunday night in the month of April, in a solitary cell, during pre-trial confinement. Ethnicity, heritage and religion do not seem to hold any significance.

The trend in terms of causes of death within Hamburg’s prisons seems to be going away from suicides, however. Inmates tend to live longer and die as most people on the outside do, as well of lifestyle diseases, first and foremost heart disease.
URL: https://ediss.sub.uni-hamburg.de/handle/ediss/6981
URN: urn:nbn:de:gbv:18-82203
Dokumenttyp: Dissertation
Betreuer*in: Püschel, Klaus (Prof. Dr.)
Enthalten in den Sammlungen:Elektronische Dissertationen und Habilitationen

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