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Titel: Gewaltdelinquenz und Opfererfahrungen im Leben älterer Menschen
Sprache: Deutsch
Autor*in: Dietz, Eric
Erscheinungsdatum: 2017
Tag der mündlichen Prüfung: 2018-01-23
Zusammenfassung: 
Der Komplexität der Thematik von „Gewaltdelinquenzen und Opfererfahrungen im höheren Lebensalter“ entsprechend, wurde vor dem Hintergrund der dargestellten Ergebnisse bisheriger Untersuchungen, die sich insbesondere mit der Frage zur Auftretenshäufigkeit von Gewalterfahrungen im Leben älterer Menschen beschäftigten, versucht, das Phänomen der „Gewalt gegen ältere Menschen“ zu objektivieren bzw. in all seinen Formen zu erfassen. Dies vor dem Hintergrund, die Diagnosefindung zu erleichtern, um präventives Handeln mit dem Ziel der Risikovermeidung zu ermöglichen.

Grundlage für die vorliegenden Untersuchungen bildeten hierbei die Daten der Basis-Dokumentationsbögen der über 21-jährigen Opfer von Gewalt, die in einem nahezu sechs Jahre umfassenden Zeitraum (Januar 2006 bis Oktober 2011) im Institut für Rechtsmedizin Hamburg untersucht wurden. Insgesamt konnten so 4103 patientenbezogenen Datensätze für analytische Zwecke herangezogen werden; 270 Datensätze für die Gruppe der 60-Jährigen und Älteren und 3833 Datensätze für die Referenzgruppe der 21- bis 59-Jährigen.

Zwar wird die Aussagekraft der vorliegenden Ergebnisse zu Gewalterfahrungen von älteren Menschen dadurch begrenzt, dass sich die Fallzahlen der Altersgruppe der ab 60-Jährigen, in Abhängigkeit bzw. zu spezifischen Teilaspekten des Untersuchungsgegenstandes, teilweise nur auf wenige einzelne beschränken; dennoch liefern die Ergebnisse dieser Untersuchung Aufschluss über das Ausmaß der Gewalt im Leben älterer Menschen. Sie bieten zugleich handlungsorientierte Ansatzpunkte zur Verbesserung der Erkennung und Bewertung von Viktimisierungen bei dieser schwer zugänglichen Opfergruppe.

Grundsätzlich zu bedenken gilt, bei der Betrachtung dieser Untersuchungsergebnisse, dass die erhobenen Fallzahlen nicht die tatsächlichen Opferbelastungen in der Bevölkerungsgruppe der älteren Menschen (60 Jahre und älter) widerspiegeln, da ein Großteil ihre erlittenen Viktimisierungen nur ungern erfassen lassen oder nicht in der Lage sind, sich ärztlich oder polizeilich zu offenbaren bzw. in anderer Weise Hilfe zu suchen.

Gesamthaft können aus der klinisch-rechtsmedizinischen Betrachtung, als Kontrastierung und Ergänzung zu den bislang überwiegenden Untersuchungen zur Identifizierung des strukturellen Problemfeldes „Gewalt im Leben älterer Menschen“, u.a. folgende Erkenntnisse gewonnen werden: Die Opfergruppe der älteren Menschen, insb. jene, die auf fremde Hilfe angewiesen ist und nicht mehr am öffentlichen Leben teilnimmt, zeigt sich im Untersuchungskollektiv unterrepräsentiert. Vor dem Hintergrund, dass die überwiegende Anzahl an Untersuchungen durch die Opfer selbst und in nur geringem Maße durch andere Dritte initiiert bzw. in Auftrag gegeben wird, ergibt sich die Annahme eines großen Dunkelfeldes an Straftaten, u.a. im Bereich der Körperverletzungsdelikte, die der Polizei und anderen Kontrollinstanzen nicht bekannt wird. Externe Untersuchungen und Unterstützungsanforderungen der Rechtsmedizin als professionelle Berufsgruppe bei der Überprüfung und Überwachung des Gesundheits-, Pflege- und Altenhilfesystems durch andere Instanzen der formellen Sozialkontrolle, bilden eine selten vorkommende Ausnahme. Opfer-Werdungen stellen eine schicht-/herkunfts-, alters- und geschlechtsübergreifende Problematik dar, wobei sich gruppenspezifische Unterschiede – im Hinblick auf die Formen, Arten, Motive und Täter – feststellen lassen. Des Weitern können alters- und geschlechtsspezifische Unterschiede hinsichtlich prädisponierender, vermittelnder und auslösender Gewaltfaktoren identifiziert werden. Die unweigerlich mit dem Altern einhergehenden körperlichen Veränderungen und die hiermit verbunden gesundheitlichen Auswirkungen diverser Prädiktoren, macht Ältere zu einer besonderen Patientengruppe, die Kenntnisse auf dem Gebiet der Gerontologie, Geriatrie und Gerontopsychiatrie – insb. im Hinblick auf die Befundinterpretation – erfordert. So können gruppenspezifische Faktoren identifiziert werden, die für bestimmte Patienten- bzw. Opfergruppen – z.B. für diejenigen mit erhöhter Vulnerabilität aufgrund organischer und psychosozialer Einflüsse – kennzeichnend sind. Unweigerlich mit der individuellen erhöhten Verwundbarkeit auf körperlicher Ebene verbunden, ist die Ausprägung von Verletzungen nach stattgehabter Traumatisierung sehr unterschiedlich, weshalb nicht selten charakteristische Verletzungsmuster und geformte Verletzungen, die mitunter Rückschlüsse auf die Entstehung/das Zustandekommen zulassen, fehlen und zugleich die Interpretation erschweren. Neben den primären Viktimisierungsfolgen (erlittene körperliche Verletzungen infolge des Schädigungsereignisses) sind auch die sekundären Viktimisierungsfolgen (die aus der körperlichen Schädigung resultierenden Beeinträchtigungen auf körperlicher, psychosozialer, gesellschaftlicher und ökonomischer Ebene), aufgrund von körperlichen und psychischen Ressourcen in ihrem Ausgangszustand, different zur jüngeren Generation.

Due to the complexity of the work's subject „Violent Delinquency and Experiences of Victims in Higher Ages“ and against the background of the results of previous scientific works dealing only with the frequency of violent experiences of older people, this work aims at objectifying the phenomena „violence against older people“ and to grasp it in all of its forms. Thus, diagnostic results shall be facilitated to enable preventive action for reasons of risk avoidance.

The present study is based on documentation forms of examinations of victims of violence which were over 21 years old at the time of the respective examination. These forms have been evaluated by employees of the Department of Legal Medi-cine of the University Hospital Hamburg-Eppendorf (UKE) over a period of almost six years, from January 2006 to October 2011. In total, 4103 patient-related data records have been used for analytical purposes; thereof 270 records for the reference group of the 60 years old and older people and 3833 records for the reference group of people aged between 21 and 59 years.

The validity of the present results concerning the experience of violence by older people is in part limited due to the fact that the case numbers in the reference group of the 60 years old and older people depending on the specific investigation or the object of the respective substudy are quite low, i.e. only comprising few patients. Nonetheless, the findings obtained provide important information on the extent of violence in the life of older people. In addition, these findings provide action-orientated approaches to improve the identification and assessment of victimisations within this hard-to-reach reference group.

It needs to be considered that the collected case numbers do not reflect the actual situation of victimisations within the reference group of older people (60 years and older) as many older victims do not want to or are not able to reveal their victimisation towards doctors, the police or others.

In addition and in contrast to previous studies mainly dealing with the identification of the structural problem area „violence in the life of older people“, the clinical-forensic approach set out in this work led, among others, to the following findings: The victim group of older people, especially the ones who are dependent on help from others and do not participate in public life anymore, is underrepresented in the study. Against the background that the majority of examinations is initiated by the victims themselves and only to a small extent by third par-ties, it is assumed that there is a high number of unreported cases of offences, e.g. in the field of offences involving bodily harm which are unknown to the police or other supervisory bodies. External investigations and support of the Department of Legal Medicine as professionals/experts with respect to the inspection and monitoring of health, nursing care and geriatric care systems (private/domestic care, outpatient treatment and inpatient treatment) requested by other entities and institutions dealing with older people as a form of formal social control are rare. Becoming a victim is a problem of each social class, origin, age and gender. However, there are group-specific differences with regard to the forms and types of and motives and reasons for the offences as well as with regard to the offenders. Moreover, age- and gender-related differences with regard to predisposing, mediating and triggering factors for violence have been identified. Elderly people constitute a specific group of patients due to age-related physical changes and herewith related health implications. Therefore, special knowledge in the field of gerontology, geriatrics and geriatric psychiatry is required, especially with regard to the correct interpretation of medical reports. Thus, group-specific factors have been identified which are characteristic for specific groups of patients or groups of victims, e.g. for those with increased vulnerability due to organic or psychosocial influences. The increased individual physical vulnerability is inevitably related to varying forms of injuries after traumatisation. Therefore, characteristic injury patterns and shaped injuries which provide insight into the origination/occurrence of certain injuries are so far missing and thus complicate the interpretation of the injuries. Besides the primary consequences of victimisations (suffered physical injuries as a result of the incident), also secondary consequences of victimisations (impairments on a physical, psychosocial, social and economic level resulting from physical damage) older people suffer substantially differ from those of younger people due to their better physical and mental resources at the initial state, i.e. before the violation took place.
URL: https://ediss.sub.uni-hamburg.de/handle/ediss/7643
URN: urn:nbn:de:gbv:18-90842
Dokumenttyp: Dissertation
Betreuer*in: Püschel, Klaus (Prof. Dr.)
Enthalten in den Sammlungen:Elektronische Dissertationen und Habilitationen

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