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Titel: Welchen Einfluss haben soziodemografische Faktoren auf die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen bei PatientInnen mit Verdacht auf eine depressive Störung?
Sprache: Deutsch
Autor*in: Javaheri-Širić, Afsaneh
Schlagwörter: Depressive Störung; Soziodemografische Faktoren; Gesundheitsleistung
Erscheinungsdatum: 2023
Tag der mündlichen Prüfung: 2024-04-02
Zusammenfassung: 
Hintergrund: Depressive Störungen gehören in Deutschland zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Trotz der hohen Prävalenz wird nur rund die Hälfte der Fälle im hausärztlichen Setting korrekt erkannt. Dies kann zu einem langwierigen Krankheitsverlauf und einer erhöhten Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen führen. Ziel dieser Dissertation war es des Einflusses soziodemographischer Faktoren, komorbider psychischer Belastungen sowie des Schwerpunkts der depressiven Symptomatik auf die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistung zu untersuchen. Dadurch soll das Inanspruchnahmeverhalten besser verstanden werden, um eine Einsicht in die Adäquatheit der Versorgungssituation bei PatientInnen mit Verdacht auf eine depressive Störung im primärärztlichen Setting zu erhalten.

Material und Methoden: Die Arbeit führt eine längsschnittliche, prospektive Untersuchung bei StudienteilnehmerInnen mit Verdacht auf eine depressive Störung durch. Dazu wurde in 64 Hausarztpraxen in Deutschland im Rahmen eines alltäglichen Arztbesuches ein Depressionsscreening mittels PHQ-9 durchgeführt. Eingeschlossen wurden PatientInnen, mit einem PHQ-9 Score ab 10 Punkten, ab 18 Jahren, mit persönlichem Kontakt mit dem/der Hausarzt/Hausärztin, die Deutsch sprechen und verstehen und eine gültige Einwilligung geben können. Zu den Ausschlusskriterien zählten die Diagnose einer depressiven Störung und akute Suizidalität. Die eingeschlossenen StudienteilnehmerInnen wurden in drei Feedbackarme randomisiert, welche sich hinsichtlich der Rückmeldung des Screening Ergebnisses unterschieden. Die vorliegende Arbeit untersucht den dritten Feedbackarm ohne Rückmeldung des Screening Ergebnisses. Im Rahmen der Analyse wurden Daten zum Alter, Geschlecht, höchsten Bildungsabschluss, dem PHQ-9, GAD-7, SSS-8 und der Anzahl an Arztbesuchen bei AllgemeinmedizinerInnen, HausärztInnen, PsychiaterInnen und PsychologInnen/PsychotherapeutInnen erhoben. Die statistische Auswertung erfolgte mittels Poisson-Regression mit dem Summenwert der Inanspruchnahme als abhängige Variable und den soziodemografischen Faktoren, den komorbiden psychischen Belastungen und dem Schwerpunkt der depressiven Symptomatik als unabhängige Variablen. Der Schwerpunkt der depressiven Symptomatik beschreibt in diesem Zusammenhang, ob die depressive Störung eher durch Symptome, welche die Motivation beeinflussen oder Symptome, welche somatische Beschwerden verursachen, geprägt ist.

Ergebnisse: Die Stichprobe umfasste 345 StudienteilnehmerInnen. Bei 343 StudienteilnehmerInnen lagen Daten zum Geschlecht vor. Davon waren 220 (64,1%) weiblich, 122 (35,6%) männlich und eine Person (0,3%) identifizierte sich als divers. Das Durchschnittsalter betrug 40 Jahre mit einer Standardabweichung von ca. 15 Jahren. 36 (10,5%) StudienteilnehmerInnen hatten keinen Berufsabschluss, 26 (7,6%) befanden sich noch in der Berufslehre, 158 (46,1%) hatten eine Ausbildung abgeschlossen, 9 (2,6%) hatten einen Meisterabschluss, 99 (28,9%) hatten ein abgeschlossenes Studium und 15 (4,4%) hatten einen sonstigen höchsten Bildungsabschluss. Bei 254 (73,6%) StudienteilnehmerInnen lag ein SSS-8 von ≥ 12 Punkten vor, was einer hohen somatischen Symptombelastung entspricht und bei 228 (68,3%) lag ein GAD-7-Score ≥ 10 Punkten vor, was einer erhöhten Ängstlichkeit entspricht.
In Bezug auf den Einfluss des Alters konnte gezeigt werden, dass StudienteilnehmerInnen ab 45 Jahren signifikant häufiger Gesundheitsleistungen in Anspruch genommen haben. Bei Betrachtung des Geschlechts konnte kein signifikanter Unterschied in der Inanspruchnahme festgestellt werden. Die Untersuchung des Faktors Bildung ergab, dass StudienteilnehmerInnen, welche sich noch in der Berufslehre befinden, die höchste Inanspruchnahmerate aufwiesen. Die Untersuchung komorbider psychischer Belastungen ergab, dass die StudienteilnehmerInnen, die zusätzlich zu ihrer depressiven Symptomatik noch unter einer weiteren psychischen Belastung litten, eine signifikant höhere Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen im Vergleich zu den StudienteilnehmerInnen ohne zusätzliche psychische Belastungen angegeben haben. Die Untersuchung des Schwerpunkts der depressiven Symptomatik ergab keinen signifikanten Gruppenunterschied.

Schlussfolgerung: In frühere Studien haben die Ergebnisse ebenfalls gezeigt, dass in der Allgemeinbevölkerung und bei PatientInnen mit depressiver Störung die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen mit zunehmendem Alter zunehmen. Die Auswirkung des Geschlechts auf die Inanspruchnahme von Gesundheitsleitungen zeigte in bisherigen Studien, dass Frauen im Vergleich zu Männern mehr Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmen. Diese Beobachtung konnte im Rahmen der untersuchten Stichprobe nicht repliziert werden. Bisherige Studien zeigten, in Bezug auf den höchsten Bildungsabschluss heterogene Ergebnisse. Auch die vorliegende Arbeit konnte keinen eindeutigen Einfluss des höchsten Bildungsabschlusses auf die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen feststellen. Komorbide psychische Belastungen führen zu einer höheren Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen. Dieser Zusammenhang wurde sowohl in früheren Studien als auch in der vorliegenden Arbeit beobachtet. Die erstmalig durchgeführte Untersuchung, inwiefern der Schwerpunkt der depressiven Symptomatik auf die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen Einfluss nimmt, zeigte in der vorliegenden Arbeit kein signifikantes Ergebnis und kann aufgrund fehlender früheren Forschungsarbeiten nicht mit vorherigen Studienergebnissen verglichen werden.
Mögliche Limitationen dieser Arbeit sind ein hoher loss to follow-up, da lediglich bei 196 von 345 untersuchten StudienteilnehmerInnen Informationen bezüglich der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen innerhalb von sechs Monaten dokumentiert wurden. Jedoch zeigt die Posthoc-Poweranalyse sich dadurch keine relevante Einschränkung der Power ergab. Als weitere Limitation könnte das Fehlen einer Kontrollgruppe angesehen werden, da so kein Abgleich mit einem Vergleichskollektiv erfolgt ist. Eine weitere Limitation ist der Selbstbericht der Inanspruchnahme. Dadurch kann sowohl ein Memory Bias als auch ein mögliches Zurückhalten aufgrund von Angst vor Selbststigmatisierung zu einer Verzerrung der angegebenen Informationen geführt haben.
Zur Replikation der Studienergebnisse sollte in zukünftigen Studien eine standardisierte Dokumentation der Anzahl an Besuchen bei AllgemeinmedizinerInnen, HausärztInnen, PsychiaterInnen, PsychotherapeutInnen und PsychologInnen erfolgen, damit die möglichen Limitationen durch den Selbstbericht umgangen werden und die Inanspruchnahme zu den Follow-Up-Zeitpunkten korrekt dokumentiert werden kann und so auch der loss to follow-up reduziert werden kann.
URL: https://ediss.sub.uni-hamburg.de/handle/ediss/10910
URN: urn:nbn:de:gbv:18-ediss-117639
Dokumenttyp: Dissertation
Betreuer*in: Kohlmann, Sebastian
Enthalten in den Sammlungen:Elektronische Dissertationen und Habilitationen

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