Titel: Die häusliche naturwissenschaftliche Lernumgebung für 4- bis 7-jährige Kinder
Sonstige Titel: The home science learning environment for 4 to 7-year-old children
Sprache: Deutsch
Autor*in: Junge, Katharina
Schlagwörter: Häusliche Lernumgebung; Häusliche naturwissenschaftliche Lernumgebung; Häusliche naturwissenschaftliche Lernumgebung von Vorschulkindern; Frühe naturwissenschaftliche Bildung; naturwissenschaftliches Lernen in der Familie
GND-Schlagwörter: Naturwissenschaftliche BildungGND
FamilieGND
VorschulkindGND
WissenserwerbGND
LernumweltGND
Erscheinungsdatum: 2025-02
Tag der mündlichen Prüfung: 2025-07-08
Zusammenfassung: 
Kinder machen bereits lange vor dem Schuleintritt Erfahrungen mit naturwissenschaftlichen Phänomenen, sind interessiert an ihrer Umwelt und in der Lage ein erstes prozess- und inhalts- bezogenes naturwissenschaftliches Wissen aufzubauen, welches prädiktiv für den weiteren Bildungsverlauf ist. All dies wird neben genetischen und individuellen Voraussetzungen in den Vorschuljahren vor allem durch die häusliche Lernumgebung geprägt, da dies der zentrale Ort ist, an dem Kinder aufwachsen (Hart & Risley, 1995; Melhuish, 2010). Das Modell der häuslichen Lernumgebung, welches dieser Arbeit zugrunde liegt, basiert auf den theoretischen Erklärungsgrundlagen des bioökologischen Modells von Bronfenbrenner & Morris (2006) sowie des soziokulturellen Ansatzes Vygotskys (1978; 1987) zum Zusammenhang zwischen der Familie und der kindlichen Kompetenzentwicklung. Dabei werden distale Faktoren (z. B. familiäre Strukturmerkmale, elterliches Interesse) und proximale Prozesse (z. B. gemeinsame Aktivitäten) als bedeutsam für die Entwicklung des Kindes angesehen. Es wird angenommen, dass distale Faktoren die Entwicklung des Kindes indirekt beeinflussen und durch proximale Prozesse vermittelt werden, die eine Schlüsselrolle in der häuslichen Lernumgebung spielen (Bronfenbrenner & Morris, 2006). Auch die individuellen kindlichen Voraussetzungen (z. B. sprachliche Fähigkeiten, Vorwissen, Intelligenz) haben einen Einfluss darauf, wie sie die von den Eltern angebotenen Lernangebote nutzen.
Dieses Modell wurde bereits mehrfach für die Domänen Schriftsprache und Mathematik herangezogen und die bedeutende Rolle der häuslichen Lernumgebung für die kindliche Kompetenzentwicklung dokumentiert (z. B. Kluczniok et al., 2013; Lehrl, 2018; Niklas et al., 2020). Insbesondere weisen die Ergebnisse auf die Mediatorrolle domänenspezifischer Aktivitäten zwischen den distalen Merkmalen der Familien und den domänenspezifischen Kompetenzen der Kinder hin. Für die Domäne der Naturwissenschaften ist dieser Zusammenhang bisher jedoch weitgehend ungeklärt. Im Vorschulkontext weisen zwar erste Studien auf die bedeutende Rolle der häuslichen Lernumgebung für die kindliche naturwissenschaftliche Kompetenzentwicklung hin, konzentrieren sich jedoch vor allem auf einzelne Aspekte der häuslichen Lernumgebung, ohne das Gesamtmodell zu berücksichtigen. Darüber hinaus gibt es bisher nur wenige Studien, die sich explizit mit der Untersuchung der häuslichen naturwissenschaftlichen Aktivitäten im Vorschulalter beschäftigt haben, wobei es vor allem um die Abfrage von (vorgegebenen) Aktivitäten und die Nutzung von Materialien handelte und Aspekte wie die Ausprägungen, Ziele und Unterstützungsmaßnahmen kaum im Fokus standen.
Vor diesem Hintergrund verfolgte die Arbeit zwei zentrale Ziele. Erstens sollten die Aspekte der häuslichen Lernumgebung, deren Zusammenspiel und Einfluss auf das kindliche naturwissenschaftliche Wissen untersucht werden. Zweitens galt es, vertiefte Einblicke in die naturwissenschaftlichen Aktivitäten innerhalb der häuslichen Lernumgebung zu gewinnen. Dabei stellten sich die leitenden Forschungsfragen: 1.) nach den Zusammenhängen zwischen naturwissenschaftlichen Aktivitäten und Merkmalen der Familie, 2.) nach dem mediierenden Einfluss häuslicher naturwissenschaftlicher Aktivitäten auf das kindliche naturwissenschaftliche Wissen, sowie 3.) nach Geschlechterunterschieden hinsichtlich der Häufigkeit der Durchführung häuslicher naturwissenschaftlicher Aktivitäten. Die weiteren leitenden Forschungsfragen zielten auf vertiefte Einblicke in die häuslichen naturwissenschaftlichen Aktivitäten ab. Dabei wurden die Ausprägungen der häuslichen naturwissenschaftlichen Aktivitäten (Inhalte, Frequenz) (Forschungsfragen 4 a bis d), die Ziele der Eltern bei den häuslichen naturwissenschaftlichen Aktivitäten (Forschungsfrage 5) sowie die Unterstützungsmaßnahmen der Eltern bei der Umsetzung naturwissenschaftlicher Aktivitäten mit den Kindern (Forschungsfragen 6 a bis c) näher untersucht.
Das erste Ziel betreffend wurden quantitative Querschnittsdaten aus Elternfragebögen von zwei unterschiedlichen Stichproben (Stichprobe 1: N = 431, Stichprobe 2: N = 257) herangezogen sowie ein im Rahmen von Stichprobe 2 eingesetzter naturwissenschaftlicher Wissenstest für Kinder. Das zweite Ziel wurde mithilfe von Daten aus semi-strukturierten Interviews (N = 33) bearbeitet, die mithilfe der inhaltlich-strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse (Kuckartz 2016) ausgewertet wurden.
Die Auswertungen der quantitativen Daten das erste Ziel dieser Arbeit betreffend weisen auf vier zentrale Ergebnisse hin: 1.) Zusammenhänge zwischen dem sozioökonomischen Status (SES) (erfasst über Bildungsabschluss der Eltern, Familiensprache/Migrationshintergrund) und der Häufigkeit häuslicher naturwissenschaftlicher Aktivitäten (Forschungsfrage 1), 2.) Zusammenhänge zwischen dem elterlichen Interesse an Naturwissenschaften und der Häufigkeit häuslicher naturwissenschaftlicher Aktivitäten (auch unter Kontrolle des SES) (Forschungsfrage 1), 3.) die vermittelnde Rolle der häuslichen naturwissenschaftlichen Aktivitäten zwischen den distalen Merkmalen der Familie (SES: Migrationshintergrund und elterliches Interesse an Naturwissenschaften) und dem naturwissenschaftlichen Wissen der Kinder (unter Kontrolle der kindlichen kognitiven Fähigkeiten sowie des Geschlechts) (Forschungsfrage 2), 4.) einen statistisch signifikanten Mittelwertsunterschied bezüglich der Häufigkeit naturwissenschaftlicher Aktivitäten zwischen Mädchen und Jungen hin, zugunsten der Jungen (Forschungsfrage 3). Es handelt sich dabei allerdings um einen kleinen Effekt (Cohen, 1988), der wenig praktische Relevanz hat.
Die Ergebnisse unterstützen das Modell der häuslichen Lernumgebung auch für die Domäne der Naturwissenschaften und damit die vermittelnde Rolle naturwissenschaftlicher Aktivitäten zwischen Merkmalen der Familie (SES und elterlichem naturwissenschaftlichen Interesse) und dem kindlichen naturwissenschaftlichen Wissen.
Die Ergebnisse der semi-strukturierten Interviews weisen hinsichtlich der Ausprägungen der häuslichen naturwissenschaftlichen Aktivitäten (Fragestellungen 4 a bis d) insbesondere auf Aktivitäten im Bereich Biologie (vor allem zum Themenbereich Tiere) hin, bei denen es sich überwiegend um (Tier)Beobachtungen handelte. Etwas weniger Aktivitäten wurden im natur- wissenschaftsbezogenen Bereich der Geografie (hier insbesondere das Thema Wetter und Wetterphänomene) sowie Physik/Chemie (hier insbesondere das Thema: Aggregatzustände bzw. Schmelzen und Gefrieren) berichtet. Aktivitäten aus dem Bereich Bildung für nachhaltige Entwicklung erwähnten nur wenige Interviewte. Bei den Aussagen zu den Aktivitäten in diesen drei Bereichen (Geografie, Physik/Chemie, Bildung für nachhaltige Entwicklung) war erkennbar, dass bei den Aktivitäten einer (dahinterliegenden) naturwissenschaftlichen Fragestellung nachgegangen und/oder naturwissenschaftliche Zusammenhänge besprochen wurden (Aussagen mit einem naturwissenschaftlichen Fokus).
Die Interviewten berichteten in der Regel von spontanen Aktivitäten, die nach Einschätzung der Eltern sowohl von den Kindern als auch von den Eltern initiiert wurden. Die Anwendung und Nutzung naturwissenschaftlicher Denk- und Arbeitsweisen war im Großteil der Familien erkennbar, eine systematische und reflektierte Nutzung jedoch kaum.
Die Ergebnisse der Interviews deuten vor allem auf folgende Ziele der Eltern (Fragestellung 5) bei den häuslichen naturwissenschaftlichen Aktivitäten hin: das Ermöglichen von Naturerfahrungen, die Vermittlung von Respekt vor der Natur und einem schonenden Umgang mit Ressourcen und damit verbunden einem ersten naturwissenschaftlichen Wissen. Diese Ziele wurden auch bei der Frage nach den Zielen in einer konkreten (von den Interviewten vorher benannten) naturwissenschaftlichen Aktivität genannt, wobei hier vor allem die Vermittlung von naturwissenschaftlichem Wissen und naturwissenschaftlichen Zusammenhängen entweder auf einer eher allgemeinen oder konkreten Ebene im Fokus stand. Insgesamt betrachtet gaben nur wenige der Befragten an, dass ihnen ein naturwissenschaftliches Verständnis für die Schulvorbereitung oder eine entsprechende Berufsorientierung wichtig sei oder dass die naturwissenschaftliche Bildung mit einem kritisch-rationalen Verständnis einhergehe.
Die Analysen betreffend der Unterstützungsmaßnahmen bei den naturwissenschaftlichen Aktivitäten (Fragestellungen 6 a bis c) weisen vor allem auf die Nennung und Verwendung spezifischer Hilfsmittel (analoge und digitale Medien) und weniger auf Unterstützungsmaßnahmen aus einer stärker didaktischen Perspektive (z. B. kognitive Unterstützung) hin. Hinsichtlich der Mediennutzung gaben nahezu alle Eltern an, Filme/Videos und Serien zu nutzen, dicht gefolgt von Büchern mit unterschiedlichen naturwissenschaftlichen Inhalten. Computerspiele und Apps kamen bisher selten zum Einsatz und hatten nicht immer einen expliziten naturwissenschaftlichen Bezug.
Insgesamt ist es im Rahmen dieser Arbeit gelungen, die Aspekte der häuslichen Lernumgebung, deren Zusammenspiel und Einfluss auf das kindliche naturwissenschaftliche Wissen näher zu beleuchten und das Modell der häuslichen Lernumgebung für die Domäne der Naturwissen- schaften zu konkretisieren. Zudem wurden vertiefte Einblicke in die naturwissenschaftlichen Aktivitäten innerhalb der häuslichen Lernumgebung gewonnen, die sowohl Anknüpfungspunkte zur Förderung des naturwissenschaftlichen Lernens in Familien, als auch für weitere Forschung in diesem Bereich bieten. Die Ergebnisse verdeutlichen die zentrale Rolle der häuslichen Lernumgebung und insbesondere der häuslichen naturwissenschaftlichen Aktivitäten hinsichtlich der naturwissenschaftlichen Bildung von Kindern.
URL: https://ediss.sub.uni-hamburg.de/handle/ediss/11795
URN: urn:nbn:de:gbv:18-ediss-129718
Dokumenttyp: Dissertation
Betreuer*in: Steffensky, Mirjam
Schwanewedel, Julia
Enthalten in den Sammlungen:Elektronische Dissertationen und Habilitationen

Dateien zu dieser Ressource:
Datei Prüfsumme GrößeFormat  
Dissertation_Katharina Junge.pdf6ec33963259599dd708a44b9f27ac6f09.4 MBAdobe PDFÖffnen/Anzeigen
Zur Langanzeige

Info

Seitenansichten

Letzte Woche
Letzten Monat
geprüft am null

Download(s)

Letzte Woche
Letzten Monat
geprüft am null
Werkzeuge

Google ScholarTM

Prüfe