Titel: Frühe Keramik im Ostseeraum - Die Rolle binnenländischer Ertebølle-Plätze bei der Einführung von Keramik und der Neolithisierung in Norddeutschland und Südskandinavien
Sonstige Titel: Early pottery in the Baltic sea region - The role of inland Ertebølle sites for the introduction of ceramic technology and neolithisation in Northern Germany and Southern Scandinavia
Sprache: Deutsch
Autor*in: Meyer, Ann-Katrin
Schlagwörter: Keramiktechnologie; Mesolithikum; Wildbeutergesellschaften; Flinttechnologie; Erteböllekultur
GND-Schlagwörter: ArchäologieGND
MesolithikumGND
Vor- und FrühgeschichteGND
ErteböllekulturGND
SteinzeitGND
WildbeuterGND
Erscheinungsdatum: 2020
Tag der mündlichen Prüfung: 2021-10-22
Zusammenfassung: 
Das Dissertationsprojekt „Frühe Keramik im Ostseeraum“ untersucht bis dato unveröffentlichte Fundinventare aus Schleswig-Holstein und dem zentralen Jütland hinsichtlich ihrer Position im endmesolithischen Besiedlungssystem und ihrer Rolle bei der Einführung von Innovationen. Damit wird eine bisher weitgehend vernachlässigte Fundplatzkategorie aufgearbeitet, die einen wichtigen Beitrag zur Diskussion um Siedlungsmuster und soziale Komplexität der späten Wildbeutergruppen im Arbeitsgebiet leistet. Neben archäologischer Grundlagenforschung im Rahmen technologisch-typologischer Untersuchungen greift die vorliegende Arbeit dabei auch die Methoden der behavioral archaeology, der agency- und entanglement-Theorie sowie Verfahren der sozialen Netzwerkanalyse auf. Im Fokus stehen hierbei Fragen nach Subsistenzmustern und Besiedlungszyklen in Norddeutschland und Dänemark sowie nach der Herkunft der Keramiktechnologie und deren Auswirkungen auf das mesolithische Lebensgefüge und den Neolithisierungsprozess. Die Arbeit untersucht die Fundplätze Schlamersdorf LA 15 und Kayhude LA 08 im südlichen Schleswig-Holstein, sowie die Stationen Dværgebakke P-plads, Enggaard II, Blåkær und Sminge Sø III im zentralen Jütland. Zusätzlich wurden Sammelfundinventare aus Bargum LA 07 und Aventoft LA 06, die beide an der (mesolithischen) Nordseeküste liegen, aufgenommen. Die Auswertung der Flint- und Keramikfunde konnte im Vergleich mit Inventaren aus dem Ostseeküstenraum signifikante Unterschiede in Größe, Funktion und Struktur der einzelnen Plätze aufzeigen. Die dänischen Plätze besitzen ähnlich wie jene an der Nordseeküste selten bauliche Strukturen oder Abfallzonen. Sie liegen häufig an Flussystemen und wurden kurzfristig und temporär genutzt, was sich in kleinen, funktional geprägten Flintstreuungen äußert. Die Zusammensetzung der Klingengeräteinventare verweist hier auf funktionale Differenzierungen zwischen Ressourcenbeschaffung, Ressourcenverarbeitung und anderen spezifischen Tätigkeiten (z. B. Geräteherstellung, Übernachtungsplätze usw.). Das dänische Binnenland wurde daher offensichtlich im Rahmen eines logistisch organisierten Besiedlungssystems genutzt, wobei der hauptsächliche Siedlungsschwerpunkt mit permanenteren und wiederholt aufgesuchten Plätzen im Ostseeküstenraum zu finden ist. Demgegenüber finden sich in Schleswig-Holstein mittelgroße, wenig spezifische Siedlungsplätze im Gebiet der östlichen Seenplatte, deren Flintinventare ein breites Aktivitätsspektrum widerspiegeln. Ebenso weisen die binnenländischen Plätze eine intensive, wiederholte Nutzung im Mesolithikum und frühen Neolithikum nach, die sich häufig im Vorkommen von stratifizierten Abfallzonen äußert. Diese Lokalitäten wurden zwar nicht permanent genutzt, entsprechen aber auch nicht einem mobilen (spätmesolithischen) Siedlungsmuster. Dies geht nicht mit den bisher vorgelegten Siedlungsmodellen konform und erweitert somit das archäologische Verständnis von Land- und Ressourcennutzung der EBK im südlichen Verbreitungsgebiet. Zudem lassen diese Fundinventare eine stärkere Anbindung an südlich und östlich benachbarte Regionen erkennen, die möglicherweise zur Verbreitung von Innovationen im Einzugsgebiet der EBK beigetragen hat. Nach derzeitigem Kenntnisstand tritt die erste Keramik ab 4700 cal BC sicher im südlichen Küstenraum der EBK auf. Im Binnenland ist in einem ähnlichen Zeitfenster mit den frühesten Funden zu rechnen. Die Keramik aus Kayhude LA 08 und Schlamersdorf LA 15 entspricht dabei der technologischen Tradition der EBK, zeigt im Vergleich mit Funden aus Norddeutschland und Dänemark aber auch eine fundplatzspezifische Variabilität. Ein detaillierter technologisch-typologischer Vergleich der ertebøllezeitlichen Keramiktradition mit jenen der Nachbargruppen (u. a. Swifterbant, LBK, Stichbandkeramik, Rössen und östliche Wildbeutergruppen) konnte die östlichen Wildbeutertraditionen als wahrscheinlichsten Ursprung der EBK-Keramiktechnologie identifizieren, wobei Verbindungen zur Swifterbant-Kultur nicht ausgeschlossen werden können. Es ist wahrscheinlich, dass besonders die südliche EBK die hauptsächliche Kontaktzone in diese Regionen darstellt und daher auch die binnenländischen Fundplätze eine wichtige Rolle bei der Verbreitung von Ideen und Wissen eingenommen haben. Die Analyse des archäologischen und sozialen Kontextes der EBK-Keramik hat ergeben, dass die Gefäße vornehmlich einen praktischen Hintergrund besitzen und nur selten mit symbolischen Handlungen o. Ä. assoziiert werden können. Stattdessen handelt es sich um Töpfe zum Verkochen von terrestrischen und aquatischen Ressourcen, wobei besonders im Küstenraum ein Fokus auf marine Ressourcen gegeben ist. Ebenso erleichtert die Keramiktechnologie das Zubereiten von (kleinteiliger) Nahrung auch in großen Mengen. Zudem geht das Verwenden der Wildbeuterkeramik mit einem ausgeprägten Selbstverständnis sowie einem Konzept von cuisine einher, welches im endmesolithischen Kontext verhaftet ist. In keinem Fall ist die Keramik der EBK mit einem neolithischen Hintergrund im kulturellen oder wirtschaftlichen Sinne in Einklang zu bringen. Das materielle Gefüge der EBK wurde mithilfe einer entanglement- und einer Netzwerkanalyse untersucht um die sozialen und materiellen Auswirkungen der Keramiknutzung sichtbar zu machen. Dabei zeigte sich, dass Keramik im Endmesolithikum einen zentralen Platz einnimmt und diverse Aktivitäten des täglichen Lebens maßgeblich beeinflusst. Die Nutzung von Keramik führte in der EBK zu einer Intensivierung bestehender Subsistenzmuster und Ressourcenpräferenzen, die das endmesolithische Siedlungsgefüge und dessen materiellen Niederschlag stabilisieren. In diesem Sinne ist Keramik auch an der Herausbildung komplexer Gesellschaftsstrukturen beteiligt und nicht das Ergebnis selbiger. Diese Entwicklungen führten jedoch auch zur Ablösung traditioneller mesolithischer Strukturen, die das graduelle Etablieren neolithischer Subsistenzweisen und Sozialkonzepte erleichterten, was eine neue Perspektive auf den Neolithisierungsprozess komplexer Gesellschaften darstellt. Die Ablösung mesolithischer Keramikformen durch das frühtrichterbecherzeitliche Gefäßspektrum verlief dagegen wesentlich abrupter. Technologisch besteht zwar eine Kontinuität, jedoch wandelt sich das Formesnspektrum der Gefäße grundlegend und wird zudem variantenreicher. Darüber hinaus werden Trichterbecher nun mit rituellen Deponierungen verbunden und erhalten somit eine neue Bedeutungsdimension. Es ist sehr wahrscheinlich, diese Änderungen auf die Bedeutung neuer, „neolithischer“ Ressourcen wie beispielsweise Milchprodukte zurückzuführen, die neue Ansprüche an das Kochgeschirr stellten und eine neue Symbolik beinhalteten. Eine entanglement- und Netzwerkanalyse konnte hier zeigen, dass frühneolithische Gefäßformen zwar immer noch viele Lebensbereiche berühren, neue „neolithische Ressourcen“ und Subsistenzmuster aber ebenso stark an Einfluss gewinnen. Die sich im Rahmen der neuen Wirtschaftsweise und deren materiellem Niederschlag ergebenden Abhängigkeiten machen den Neolithisierungsprozess ab einem gewissen Punkt unumkehrbar. Die vorliegende Arbeit konnte daher zeigen, dass die Einführung und Nutzung von Keramik im Verlauf des Nordischen Endmesolithikums eine zentrale Rolle bei der Herausbildung der als typisch endmesolithisch wahrgenommenen Strukturen spielte und auch den Neolithisierungsprozess maßgeblich beeinflusst hat. Verstärkt wird dies durch die unterschiedliche Ausprägung der Siedlungsmuster im Verbreitungsgebiet der EBK, wobei die südlichen Fundplätze aufgrund ihrer Nähe zu verschiedenen mesolithischen und neolithischen Nachbargruppen eine zentrale Rolle in der Verbreitung von Innovationen besitzen.

The PhD project “Early pottery in the Baltic Sea Region” analyses previously unpublished find inventories from Schleswig-Holstein and central Jutland with regards to their function in the Terminal Mesolithic settlement system and their role in the introduction of innovations. This puts a previously neglected site category cewntre-stage, which makes an important contribution to the discussion about settlement patterns and the social complexity of late hunter-gatherer groups in the study area. In addition to technological-typological investigations, the present work also makes use of behavioral archeology, agency and entanglement theory, and methods of social network analysis. The focus lies on questions regarding subsistence patterns and settlement cycles in northern Germany and Denmark as well as the origin of ceramic technology, its effects on the structure of Mesolithic life and the Neolithisation process. The project analyses the sites Schlamersdorf LA 15 and Kayhude LA 08 in southern Schleswig- Holstein, as well as the sites of Dværgebakke P-plads, Enggaard II, Blåkær and Sminge Sø III in central Jutland. Additionally, the surface site assemblages of Bargum LA 07 and Aventoft LA 06, both located on the former (Mesolithic) North Sea coast, were examined. The analyses of the flint and pottery assemblages and their comparison to eastern coastal finds showed significant differences in size, function and structure of the individual sites. Similar to those on the North Sea coast, the Danish sites rarely have remains of structures or dump zones. They are often located along river systems and saw short-term and temporary use, as shown by small, functionally restrcited flint scatters. The characteristics of the blade tool inventories and their respective compositions show functional differentiations between the sites regarding resource procurement, resource processing or other specific activities (e.g. tool manufacturing, stop-over camps, etc.). The Jutland interior was thus obviously used within a logistically organised settlement system, with the main settlement focus being located among the more permanent and repeatedly occupied sites along the Baltic Sea coast. In contrast, in Schleswig-Holstein there are medium-sized, less specific settlements around the eastern lake and river systems, whose flint inventories reflect a broad spectrum of activity. Likewise, the inland places show an intensive, repeated use in the Mesolithic and early Neolithic, which often manifests itself in the occurrence of stratified dump zones. These localities were not used permanently, but they also do not correspond to a mobile (late Mesolithic) settlement pattern. This does not conform to the settlement models presented so far and thus expands the archaeological understanding of Ertebølle land and resource use in the southern regions. In addition, these find assemblages reveal a stronger connection to neighbouring regions to the south and east, which may have enabled the diffusion of innovations. According to the current state of research the earliest pottery in the southern coastal area of the Ertebølle culture dates from 4700 cal BC. In the interior, the earliest finds can be expected at a similar date. The pottery from Kayhude LA 08 and Schlamersdorf LA 15 corresponds to the technological tradition of the Ertebølle culture, but also show a site-specific variability compared to finds from northern Germany and Denmark. A detailed technological and typological comparison of the Ertebølle ceramic tradition with those of the neighbouring groups (including Swifterbant, LBK, Stichbandkeramik, Rössen and eastern hunter-gatherer groups) identified the eastern hunter-gatherer traditions as the most likely origin of Ertebølle ceramic technology, although connections to the Swifterbant culture cannot be ruled out. It is likely that the southern Ertebølle culture represents the main contact zone to these regions and that the inland sites therefore also played an important role in the diffusion of ideas and knowledge. The analysis of the archaeological and social context of the Ertebølle ceramics has shown that the vessels have a primarily practical background and only rarely involve symbolic actions or other ritual behaviours. Instead, they represent tools for boiling terrestrial and aquatic resources, with a focus on marine resources especially in coastal areas. Ceramic technology also makes it easier to prepare (small-sized) food, even in large quantities. In addition, the use of hunter-gatherer ceramics can be connected to concepts of identity as well as of cuisine, anchored in the final Mesolithic cultural context. In no case can the ceramics of the Ertebølle culture be associated with a Neolithic origin in the cultural or economic sense. The material structure of the Ertebølle culture was examined with the help of an entanglement and network analysis in order to visualise social and material effects of ceramic use. The analyses showed that ceramics played a central role in the final Mesolithic and significantly influenced various activities of daily life. The use of pottery in the Ertebølle culture led to an intensification of existing subsistence patterns and resource preferences, which stabilised the final Mesolithic settlement patterns and its material signature. In this sense, ceramics are also involved forming complex social structures rather than resulting from them. These developments also led to the replacement of traditional Mesolithic structures, facilitating the gradual establishment of Neolithic modes of subsistence and social concepts. This provides a new perspective on the Neolithisation process within complex societies. The replacement of Mesolithic ceramic types by Early Funnel Beaker types was much more abrupt. Technologically there is continuity, but the vessel shapes change fundamentally and also become more varied. In addition, funnel beakers are associated with ritual depositions and thus acquire a new dimension of meaning. It is very likely that these changes were due to the importance of new, “Neolithic” resources such as dairy products, which put new demands on cooking gear and involved a new symbolism. Here, an entanglement and network analysis showed that early Neolithic vessel forms still influence many areas of life, but dependence on material objects and new, “Neolithic” resources increases, thus creating a new network of relationships, which makes the Neolithisation process irreversible after a tipping point. The PhD project was therefore able to show that the introduction and use of pottery in the study area during the course of the final Mesolithic played a central role in the formation of the structures perceived as typical of the Ertebølle culture and also significantly impacted the Neolithisation process. These developments have also been influenced by the different characteristics of various settlement patterns in the area of distribution of the Ertebølle culture, with the southern sites playing a central role in spreading innovations due to their proximity to various Mesolithic and Neolithic neighbouring groups.
URL: https://ediss.sub.uni-hamburg.de/handle/ediss/10471
URN: urn:nbn:de:gbv:18-ediss-112020
Dokumenttyp: Dissertation
Betreuer*in: Hofmann, Daniela
Nikulka, Frank
Enthalten in den Sammlungen:Elektronische Dissertationen und Habilitationen

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