Titel: Die Belastung von Eltern behinderter oder chronisch erkrankter Kinder: Eine vergleichende Studie der Krankheitsbilder frühkindlicher Autismus, Asperger- und Rett-Syndrom
Sprache: Deutsch
Autor*in: Scheerer, Moritz Maximilian
Schlagwörter: familiäre Belastung; Rett-Syndrom
GND-Schlagwörter: Frühkindlicher AutismusGND
Rett-SyndromGND
Asperger-SyndromGND
Psychosoziale BelastungGND
Chronisch KrankerGND
ElternGND
Erscheinungsdatum: 2023
Tag der mündlichen Prüfung: 2024-01-23
Zusammenfassung: 
In Deutschland sind je nach Studienlage (2, 13, 120) bis zu 25 % der Kinder und Jugendlichen chronisch erkrankt. 3,2% aller Kinder, also 440.000 leiden an einer oder mehreren chronischen Erkrankungen, die sie stark im täglichen Leben einschränkt (3). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass eine derartige chronische Erkrankung und die damit verbundenen Konsequenzen für das Familienleben und die betroffenen Eltern eine erhöhte Belastung zur Folge haben werden.
Ziel der vorliegenden Dissertation war es, das Ausmaß dieser Belastungen für Eltern von chronisch kranken Kindern in Abhängigkeit von der Art der Störung der Kinder quantitativ zu bestimmen und ihre Auswirkungen auf die Familie zu analysieren. Die zugrundeliegende Hypothese war, dass Eltern von Kindern mit frühkindlichem Autismus eine höhere Belastung erfahren als Eltern von Kindern mit anderen dissoziativen Störungen. Diese Hypothese wurde anhand eines Modells zur familiären Belastung, basierend auf Sekundärdaten des Fragebogens der Kindernetzwerkstudie von 2014 (13), überprüft und bestätigt (N = 186). Eine einfaktorielle Varianzanalyse mit dem sozioökonomischen Status als Kovariate ergab, dass Eltern von Kindern mit frühkindlichem Autismus (n1 = 93) signifikant höher belastet sind als Eltern von Kindern mit Rett- (n3 = 56) oder Asperger-Syndrom (n2 = 37) (p < 0,05; eta2 = 0,051). Zwischen Eltern von Kindern mit Rett-Syndrom und Eltern von Kindern mit Asperger-Syndrom ergab sich kein signifikanter Unterschied (p > 0,05). Im Odds Ratio ergab sich eine 2,5- bzw. 2,4-fach erhöhte Wahrscheinlichkeit für eine hohe Belastung für Eltern von Kindern mit frühkindlichem Autismus im Verhältnis zu Eltern von Kindern mit Rett- bzw. Asperger-Syndrom.
In einem weiteren Schritt wurde überprüft, inwieweit diese höhere Belastung zu Auswirkungen auf die Gesundheit der Eltern führt. So wurde bereits verschiedentlich beschrieben (102-105), dass Eltern von chronisch kranken Kindern im Durchschnitt eine schlechtere Gesundheit als die Normalbevölkerung aufweisen, ein Befund, welcher auch durch diese vorliegen-de Untersuchung belegt werden konnte. Hiervon ist nicht nur die körperliche Gesundheit, sondern insbesondere auch die psychische Gesundheit der Eltern betroffen. Mittels einer linearen Regressionsanalyse wurde der Zusammenhang zwischen familiärer Belastung und der gesundheitsbezogenen Lebensqualität der Eltern, aufgeteilt in einen physischen und psychischen Score (SF-12), überprüft. Beide erwiesen sich als signifikant. Den größeren Einfluss hat dabei die familiäre Belastung auf die psychische Lebensqualität der Eltern (βpsych = -0,47; r2 = 0,220; p < 0,01), aber auch die körperliche Lebensqualität ist betroffen (βkörper = -0,325; r2 = 0,106; p < 0,01). Dieser Befund deckt sich mit dem aktuellen Stand der Forschung, demnach Stress sowohl negative Auswirkungen auf den Körper als auch auf die Psyche hat, aber stärker auf Letztgenannte.
Die familiäre Belastung übt somit einen entscheidenden Einfluss auf die Gesundheit aus. Jedoch basiert die erhöhte Belastung nicht ausschließlich auf dem erhöhten Pflegeaufwand der Kinder. So haben fast alle Kinder mit Rett-Syndrom einen hohen pflegerischen Aufwand, entsprechend den Einschränkungen der Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL), dennoch sind deren Eltern im Vergleich zu den Eltern von Kindern mit frühkindlichem Autismus deutlich weniger belastet. Insbesondere die ADL haben keinen signifikanten Einfluss (univariate Varianzanalyse p < 0,36; R2 = 0,11). Das legt den Schluss nahe, dass die körperlichen Einschränkungen entweder per se als weniger belastend empfunden oder durch die existierenden Hilfen im Rahmen der Pflegeversicherung kompensiert werden.
Des Weiteren war eine Frage, ob die Differenz der Belastung der Eltern zwischen den unterschiedlichen Krankheitsbildern nicht auch durch einen unterschiedlichen sozioökonomischen Status bedingt sei. Im oben genannten Modell wurde mit Hilfe der einfaktoriellen Varianzanalyse mit Kovariate unter vorheriger Bildung eines sozioökonomischen Index diese These überprüft und es ließ sich kein signifikanter Einfluss nachweisen. In der Odds Ratio ließ sich jedoch ein positiver Effekt von höherem Einkommen bzw. höherem Bildungsgrad auf die familiäre Belastung nachweisen. Insgesamt darf man somit davon ausgehen, dass Bildung und Einkommen einen gewissen Einfluss auf die Belastung haben, dieser aber nicht so groß ist wie die Belastung durch die einzelnen Krankheitsbilder, insbesondere Autismus.
Vielmehr scheint die soziale Wahrnehmung der verschiedenen Erkrankungen einen Einfluss auf die Belastung der Eltern zu haben. Weiter zu untersuchen wäre demnach, welche Unterstützung angeboten werden kann, um die Belastung der Eltern zu reduzieren. Dies führt zu der weiteren Frage, ob nicht generell untersucht werden sollte, ob Eltern von chronisch kranken Kindern mit Einschränkung des Sozialverhaltens bzw. der Kognition mehr Unterstützung bedürfen, um deren Belastung zu reduzieren.
Mit Fokus auf praktische Ansätze sollte man das Betreuungsangebot (Kita, Tageskrippe, Babysitter, etc.) für Eltern von Kindern mit frühkindlichem Autismus verbessern, da 86 % der Befragten große Probleme haben, eine Betreuung zu finden.
Generell ist zu wünschen, dass die sozialen Stigmata von Kindern mit chronischen Erkrankungen reduziert werden. Unter anderem wurde deutlich, dass die Betroffenen, z.B. durch die Nachbarschaft, gemieden werden.
Fazit: Eltern von Kindern mit frühkindlichem Autismus sind stärker belastet als Eltern von Kindern mit anderen dissoziativen Störungen. Diese Belastung resultiert in einer Einschränkung der eigenen körperlichen und vor allem psychischen Gesundheit. Das bestehende Unterstützungsangebot scheint für diese Elterngruppe nicht ausreichend. Umso dringender scheint es, die Eltern insbesondere von Kindern mit frühkindlichem Autismus, durch Unter-stützungsangebote zu entlasten, um somit auch ihre Gesundheit zu erhalten.
URL: https://ediss.sub.uni-hamburg.de/handle/ediss/10828
URN: urn:nbn:de:gbv:18-ediss-116704
Dokumenttyp: Dissertation
Betreuer*in: von dem Knesebeck, Olaf
Enthalten in den Sammlungen:Elektronische Dissertationen und Habilitationen

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