Titel: | Ökologie und Energetik der Pfeifente (Anas penelope L. 1758) im schleswig-holsteinischen Wattenmeer | Sonstige Titel: | Ecology and Energetics of the Eurasian Wigeon (Anas penelope L. 1758) in the Schleswig-Holstein Wadden Sea | Sprache: | Deutsch | Autor*in: | Brunckhorst, Hendrik | Schlagwörter: | Pfeifente; Anas Penelope; Mareca Penelope; Wattenmeer; Schleswig-Holstein; Energiehaushalt | GND-Schlagwörter: | PfeifenteGND Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer <Motiv>GND EnergetikGND ÖkologieGND |
Erscheinungsdatum: | 1996 | Tag der mündlichen Prüfung: | 1996-02-09 | Zusammenfassung: | Pfeifenten (Anas penelope Linné 1758) befinden sich aus zwei Gründen in einem energetischen Engpaß: Zum einen ernähren sie sich überwiegend von schlecht verdaulichen Gräsern. Zum anderen sind sie die kleinste Art unter den insgesamt nur 24 Vogelarten, die sich grasend ernähren. Ziel dieser Arbeit ist es, das Leben im schleswig-holsteinischen Wattenmeer (SHW) überwinternder Pfeifenten energetisch zu bilanzieren und Schlüsselfaktoren für die Ökologie dieser Art zu ermitteln. Das SHW bildet etwa die Nordgrenze des Winterverbreitungsgebietes der Pfeifente in NW-Europa. Seit den 1960er Jahren haben die herbstlichen Maximalbestände von 50.000 auf derzeit 140.000 Individuen zugenommen. Die wichtigste Ursache dieser Bestandszunahme wird in dem vermehrten Anbau von Wintersaaten gesehen, deren Anbaufläche sich im selben Zeitraum nahezu verdreifachte. Seit 1988 erhöhten sich insbesondere die Winter- und Frühjahrsbestände der Pfeifente, was durch eine Serie milder Winter erklärt wird. Im SHW nutzen Pfeifenten Wintersaaten in einem Umfang, der schätzungsweise 2,2-9,2 Mio. Vogeltagen entspricht. Da Pfeifenten insgesamt etwa 15,5 Mio. Vogeltage/Jahr im SHW verbringen, wird die Umweltkapazität wesentlich durch die Veränderungen in der Landwirtschaft beeinflußt. Die Geschlechts- und Altersanteile betragen im Winter 50 % adulte Männchen, 36 % adulte weibchen und jeweils 7 % immature Männchen und Weibchen. Der geringe Anteil adulter Weibchen kann durch ihre höhere Mortalität während der Brutzeit erklärt werden. Im Bereich der Inseln und Vorländer sowie in großen Trupps ist der Anteil adulter Männchen besonders hoch. Durch 50 komplette Tages- und 15 komplette Nachtbeobachtungen sowie durch die Beobachtung von Dämmerungsflügen wurden Aktivitätsbudgets für den gesamten Verlauf des Winters erstellt. Pfeifenten fressen im SHW im Mittel 15,4 h/d. Dies erfolgt vorwiegend nachts. Ein Zusammenhang mit der Mondphase besteht nicht. Die Dauer der Nahrungsaufnahme ist länger als bei jeder anderen Vogelart. Als Anpassung an ihre nächtliche Lebensweise haben Pfeifenten vermutlich eine gute Dämmerungssehfähigkeit. Ihre Augen reflektieren einfallendes Licht, was bei Dunkelheit ein rötlich schimmerndes Leuchten bewirkt (Fundusreflex). Ringel-, Nonnen- und Kanadagänse zeigen dieses für Nachttiere typische Phänomen nicht, und auch für andere Anseriformes wurde es bisher nicht beschrieben. Eine Untersuchung des Augenhintergrundes von Pfeifenten und Ringelgänsen bestätigte diese Beobachtungen. Das chorioidale Pigmentepithel von Pfeifenten ist deutlich geringer pigmentiert, was eine stärkere Reflexion des Lichtes ermöglicht. Aufflugreaktionen ("Störungen"), die während der Aktivitätsbeobachtungen erfaßt wurden, waren zu 85 % durch andere Vögel und zu 15 % durch Menschen verursacht (mittlere Störreizhäufigkeit am Tage: 1,53/h, in der Nacht 0,35/h). Mantelmöwen verursachten die häufigsten Aufflugreaktionen, Wanderfalken die nachhaltigsten. Die Anzahl der in verschiedenen Gebieten des SHW rastenden Mantelmöwen ist mit der Häufigkeit von Störreizen bei Pfeifenten positiv korreliert. Beobachtungen erfolgreicher Angriffe belegen die herausragende Bedeutung beider Arten als Prädatoren für Pfeifenten. Aufgrund dieser Beobachtungen wurde für Pfeifenten, die im SHW überwintern, eine prädationsbedingte Mortalität von 9,6 % geschätzt. Pfeifenten fressen im Gegensatz zu anderen Entenarten nahezu ausschließlich an Land. Deshalb sind sie besonders durch Prädatoren gefährdet. Sie reagieren auf diese Situation u.a. durch die enge Bindung an Fluchtgewässer (mittlere Entfernung nahrungssuchender Tiere von entsprechenden Gewässern: 20 m), durch große Truppgrößen am Tage (250 Individuen gegenüber 100 Individuen in der Nacht) sowie durch kollektive Schreckhaftigkeit (20 % der Störungen wurden von Limikolen verursacht, beruhten also auf „Fehlalarmen“). Am Tage fressen Pfeifenten in den Uferbereichen ihrer Fluchtgewässer. Dort wird die Vegetation von ihnen so kurz gegräst, daß das Nahrungsangebot stark verringert wird. Dies bewirkt eine verminderte Nahrungsaufnahme. Die Kotabgabefrequenz kann sich im Vergleich zu Gebieten mit normaler Vegetationsdichte mehr als halbieren. Die energetischen Einnahmen wurden anhand der Aktivitätsbudgets, der Kotabgabefrequenz, des Energiegehaltes der Nahrung (21,1 kJ/g org. Masse; zwischen verschiedenen Nahrungspflanzen bestanden keine Unterschiede) und ihrer Verdaulichkeit (Salzgräser 21 %, Süßgräser 37 %, Winterweizen 45 %, Winterraps 74 %) ermittelt. Sie sind im Mittwinter leicht erhöht und betragen im Mittel 630 kJ/d. Energetische Ausgaben bestehen für überwinternde Pfeifenten durch Grundumsatz, Thermoregulation, die Erwärmung und Verarbeitung der Nahrung sowie durch Kosten von Aktivitäten. Bei 10 Pfeifenten wurden Grundumsatz (Männchen 3,5 W, Weibchen 2,8 W) und thermostatische Kosten durch Respirationsmessungen im Labor bestimmt. Im Freiland wurden die thermostatischen Kosten mit Heated Taxidermic Mounts (HTM; beheizbare Pfeifenten-Präparate) ermittelt. Hieraus wurde ein Regressionsmodell entwickelt, das diese Kosten bei beliebigen Kombinationen von Temperatur, Wind und Globalstrahlung beschreibt. Entscheidender Klimafaktor ist die Temperatur. Wind erhöht die thermostatischen Kosten im Winterhalbjahr um durchschnittlich 10,0 %, Wärmestrahlung senkt sie um 3,0 %. Die thermostatischen Kosten sind im Mittwinter am größten und mit den energetischen Einnahmen positiv korreliert. Die energetischen Kosten von Aktivitäten konnten für 3 Tiere unter semi-natürlichen Bedingungen durch telemetrische Bestimmung der Herzschlagraten (HR) bestimmt werden, da individuelle Korrelationen zwischen den HR und dem Sauerstoffverbrauch bestanden. Für 10 Verhaltenskategorien (ohne Fliegen) wurden - erstmals für herbivore Anseriformes - Aktivitätsfaktoren als Vielfaches vom Grundumsatz (BMR) und Ruheumsatz (RMR) bestimmt. Die Qualität dieser Aktivitätsfaktoren wurde durch parallel durchgeführte Messungen des Energieumsatzes unter Anwendung der als Standard verwendeten Methode mit doppelt-markiertem Wasser (DLW) bestätigt: Die mittlere Differenz des Energieumsatzes in 24 h zwischen HR- und DLW-Messungen betrug 2,6 %. Die ebenfalls parallel durchgeführten HTM-Messungen zeigten, daß die bei Bewegung entstehende Wärme nahezu vollständig für die Thermoregulation genutzt wird. Bei freilebenden Pfeifenten, die 19-22 h/d lokomotorisch aktiv sind, decken die energetischen Kosten von Aktivitäten über 90 % der thermostatischen Kosten mit ab. Die Anlagerung oder der Abbau von Depotfett wurden für die Erstellung einer Energiebilanz nicht berücksichtigt, da die Körpermasse freilebender Pfeifenten sich bei keiner der 4 Alters- bzw. Geschlechtsgruppen im Winter änderte (von 333 Pfeifenten wurde die Körpermasse bestimmt). Die Kosten der energetischen Ausgaben freilebender Pfeifenten ergaben eine gute Übereinstimmung mit den analog hierzu berechneten energetischen Einnahmen. Freilebende Pfeifenten haben von September bis April eine mittlere Leistung von 2,2 x BMR. Im Vergleich zu anderen Vogelarten ist dies niedrig. Die von Pfeifenten kurz geweideten Uferbereiche, auf denen sie am Tage fressen, ermöglichen einen energetischen Nettogewinn von 9 kJ/h. Während der Nacht fressen Pfeifenten überwiegend auf Weiden im Binnenland. Dort betragen die Netto-Einnahmen 32 kJ/h. Besonders hohe Energiegewinne erzielen Pfeifenten auf Winterweizen (51 kJ/h) und Winterraps (205 kJ/h). Der sehr hohe Nettogewinn auf Wintersaaten stellt einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Anbau von Wintersaaten und der Zunahme des Pfeifentenbestandes im SHW her. Energetische Defizite können Pfeifenten vor allem bei geschlossener Schneedecke erleiden, weil dann keine Nahrung zugänglich ist. Sie haben energetische Reserven für etwa 4-6 Tage. Ein Zufrieren der Gewässer (Fluchtgewässer) blockiert lediglich die Nahrungsaufnahme am Tage und ist weniger schwerwiegend, da im Winter nur 15 % der energetischen Einnahmen tagsüber erzielt werden. Die energetischen Kosten von Störungen betragen 0,45 kJ/Störreiz. Bei einer mittleren Störreizhäufigkeit entspricht dies 1,3 % der täglich aufgenommenen Energie. Im Hinblick auf ihre unterschiedliche Körpergröße werden ökologische Unterschiede zwischen nachtaktiven Pfeifenten und tagaktiven Gänsen diskutiert. Die geringe Körpergröße der Pfeifenten erfordert wegen der relativ großen Wärmeverluste eine erheblich längere Nahrungsaufnahme als bei Gänsen. In einer Hypothese wird der evolutive Vorteil der geringen Größe von Pfeifenten mit einer besseren Wendigkeit im Flug erklärt. Die durch Prädatoren besonders gefährdeten Pfeifenten können deshalb schwerer von Vögeln erbeutet werden. Dieser Vorteil der Kleinheit wird mit einer langen Dauer der Nahrungsaufnahme erkauft, die bei der Pfeifente die Grenze des zeitlich Möglichen erreicht. Eurasian Wigeons (Anas penelope Linnaeus 1758) experience an energetic bottleneck for two main reasons: firstly, their diet consists predominantly of poorly digestible grasses; secondly, they are the smallest among the 24 bird species that are predominantly grazers. The aim of this study is to assess the energy budget of Wigeons hibernating in the Schleswig-Holstein Wadden Sea (SHW) in Germany and to identify key ecological factors relevant to this species. The SHW marks approximately the northern limit of the winter distribution range of the Eurasian Wigeon in north-western Europe. Since the 1960s, the autumnal peak numbers have increased from 50,000 to approximately 140,000 individuals. This rise is primarily attributed to the expansion of winter-sown crop cultivation, which has nearly tripled in area during the same period. Since 1988, especially the winter and spring numbers of Wigeons have increased, a development linked to a series of mild winters. In the SHW, Wigeons make use of winter crops to an extent corresponding to an estimated 2.2 to 9.2 million bird-days. Considering that Wigeons spend a total of about 15.5 million bird-days per year in the SHW, environmental carrying capacity is significantly influenced by agricultural change. The age and sex structure in winter is composed of 50% adult males, 36% adult females, and 7% each of immature males and females. The low proportion of adult females is likely due to higher breeding-season mortality. The proportion of adult males is particularly high around islands and salt marshes, and in large flocks. Fifty full-day and fifteen full-night observations, supplemented by records of dusk flights, were used to construct activity budgets across the winter. Wigeons in the SHW feed for an average of 15.4 hours per day, primarily during the night. There is no correlation with the lunar phase. Their feeding duration is longer than that of any other bird species. As an adaptation to nocturnal life, Wigeons likely possess excellent low-light vision. Their eyes reflect light, producing a reddish glow in darkness (a tapetal reflection). This trait, typical of nocturnal animals, is absent in Barnacle, Brent, and Canada Geese and has not been documented in other Anseriformes. A comparative study of the eye structures of Wigeons and Brent Geese confirmed this observation: the choroidal pigment epithelium in Wigeons is much less pigmented, allowing greater light reflection. Flight reactions ("disturbances") recorded during behavioural observations were caused 85% of the time by other birds and 15% by humans (mean disturbance rate: 1.53/h during the day, 0.35/h at night). Great Black-backed Gulls caused the most frequent flight responses, while Peregrine Falcons triggered the most prolonged ones. The number of gulls resting in different parts of the SHW positively correlates with disturbance frequency in Wigeons. Observations of successful attacks underline the significant role of both species as predators. Based on these data, predation-related mortality for overwintering Wigeons in the SHW is estimated at 9.6%. Unlike other duck species, Wigeons feed almost exclusively on land, making them especially vulnerable to predators. They counter this threat by staying close to escape waters (mean distance: 20 m), forming large daytime flocks (250 individuals compared to 100 at night), and responding collectively to disturbances. Notably, 20% of flight reactions were triggered by waders and represent false alarms. During the day, Wigeons graze in the shoreline zones near escape waters. These areas are grazed so intensively that the food supply is heavily depleted, resulting in reduced intake. Dropping frequency can be more than halved compared to areas with normal vegetation density. Energy intake was calculated based on activity budgets, dropping frequency, the energy content of food (21.1 kJ/g organic matter; no significant differences between food plants), and digestibility (salt marsh grasses 21%, pasture grasses 37%, winter wheat 45%, winter oilseed rape 74%). Intake increases slightly during midwinter, averaging 630 kJ/day. Energetic expenditure in hibernating Wigeons includes basal metabolic rate (BMR), thermoregulation, warming and digestion of food, and the cost of activity. Basal and thermoregulatory metabolism were measured in ten Wigeons (males 3.5 W, females 2.8 W) through laboratory respirometry. In the field, thermoregulatory costs were assessed using Heated Taxidermic Mounts (HTM). From these, a regression model was developed to predict costs for varying combinations of temperature, wind, and global radiation. Temperature was found to be the most significant factor; wind increased costs by an average of 10.0% during the winter half-year, while radiant heat reduced them by 3.0%. Thermoregulatory costs peak in midwinter and correlate positively with energy intake. The energy costs of activity were estimated in three semi-free-ranging individuals via telemetric heart rate (HR) monitoring, based on individual correlations between HR and oxygen consumption. For ten behavioural categories (excluding flight), activity factors were calculated as multiples of BMR and resting metabolic rate (RMR) – a first for herbivorous Anseriformes. The accuracy of these activity factors was confirmed by parallel measurements of energy expenditure using the standard doubly labelled water (DLW) method. The mean difference in 24-hour expenditure between HR and DLW measurements was 2.6%. Parallel HTM measurements also showed that the heat produced during movement is almost entirely used for thermoregulation. In free-living Wigeons, which are active for 19–22 hours per day, over 90% of thermoregulatory costs are offset by activity-related heat production. Fat reserves or changes in body mass were not included in the energy budget, as no seasonal weight changes were observed in any of the four age or sex groups (body mass was recorded for 333 individuals). Overall, the calculated energy expenditure of free-living Wigeons was consistent with the estimated intake. Between September and April, Wigeons maintain a mean energy turnover of 2.2 × BMR — low in comparison to other bird species. Grazed shoreline areas used for daytime feeding yield a net energy gain of 9 kJ/h. At night, Wigeons mainly feed on inland pastures, where net gains average 32 kJ/h. Particularly high energy returns are obtained from winter wheat (51 kJ/h) and winter oilseed rape (205 kJ/h). These extremely high returns from winter-sown crops are seen as a key driver of the population increase of Wigeons in the SHW. Energetic deficits may occur during periods of snow cover, when food becomes inaccessible. Wigeons possess energy reserves sufficient for approximately 4–6 days. Freezing of escape waters mainly affects daytime foraging and is less critical, as only 15% of daily energy intake is achieved during daylight hours. The energetic cost of disturbance is 0.45 kJ per stimulus. At average disturbance frequencies, this corresponds to 1.3% of daily energy intake. Differences in body size are considered in discussing ecological distinctions between nocturnal Wigeons and diurnal geese. Due to their smaller size and relatively greater heat loss, Wigeons must forage much longer than geese. A hypothesis is proposed that the evolutionary advantage of small size lies in improved agility in flight, reducing susceptibility to predation. This advantage is, however, balanced by the necessity for prolonged feeding, which in Wigeons approaches the limit of what is temporally possible. |
URL: | https://ediss.sub.uni-hamburg.de/handle/ediss/11650 | URN: | urn:nbn:de:gbv:18-ediss-127896 | Dokumenttyp: | Dissertation | Betreuer*in: | Reise, Karsten Bairlein, Franz |
Enthalten in den Sammlungen: | Elektronische Dissertationen und Habilitationen |
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