Titel: | Religionszuschreibungen. Eine sozio-rhetorische Studie zu geflüchteten Menschen in Hamburg im Kontext des deutschen Säkularitätsregimes | Sonstige Titel: | Attributions of religion. A socio-rhetorical study on refugees in Hamburg in the context of the German secular regime | Sprache: | Deutsch | Autor*in: | Willenberg, Annika | Schlagwörter: | antimuslimischer Rassismus; Flüchtlingswelle; Islamophobie; Säkularitätsregime | GND-Schlagwörter: | MigrationGND ReligionGND FluchtGND SäkularismusGND OtheringGND |
Erscheinungsdatum: | 2024 | Tag der mündlichen Prüfung: | 2024-11-07 | Zusammenfassung: | Die große Zahl geflüchteter Menschen, die im Zeitraum vor allem von 2015 bis 2017 aus Syrien, Afghanistan und Irak nach Deutschland gekommen ist, hat die Gesellschaft nicht nur mit der Herausforderung betraut, die Zugezogenen unterzubringen und zu versorgen, sondern ihnen darüber hinaus eine Integration in die deutsche Gesellschaft zu ermöglichen. Die vermeintliche Religiosität der Geflüchteten stellte dabei von Beginn an ein zentrales Thema in der öffentlichen und medialen Debatte dar und wurde vor allem als Integrationshemmnis oder gar als regelrechte Bedrohung für die öffentliche Sicherheit stilisiert. Den Geflüchteten selbst entgeht die sie betreffende öffentliche und mediale Debatte keineswegs und auch in direkten, alltäglichen Interaktionen mit Vertreter:innen der Aufnahmegesellschaft werden sie immer wieder mit ihrer vermeintlichen muslimischen Identität konfrontiert und regelrecht dazu genötigt, sich zu diesem Thema zu verhalten. Dabei wissen sie entsprechende Nachfragen nicht mit aufrichtiger Neugier zu verwechseln, sondern empfinden diese stetige Konfrontation als eine Form von Diskriminierung. Das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit war es, Zuschreibungen von „Religion“ und „Religiosität“ gegenüber geflüchteten Menschen seitens der deutschen Aufnahmegesellschaft darzustellen und zu untersuchen, welche (bewussten oder unbewussten) Motivationen diesen Zuschreibungen zu Grunde liegen, sowie ihre Auswirkungen auf das Leben der Geflüchteten zu beschreiben. Ein zentrales Ergebnis der vorliegenden Arbeit ist, dass solche Zuschreibungen gegenüber geflüchteten Menschen auf allen Ebenen des Sozialen stattfinden. In der vorliegenden Arbeit wurden sie anhand von drei unterschiedlichen Ebenen analysiert, die teilweise überlappen können: Die Ebene der Gesellschaft, der Organisation und der Interaktion. In den Auseinandersetzungen auf allen drei Ebenen werden „Religion“ bzw. „der Islam“ nicht immer explizit benannt, was bedeutet, dass die Betroffenen nicht immer konkret mit dem Label „Muslim:a“ angesprochen werden. In der Analyse wurde jedoch deutlich, dass dieses Label für beide Parteien insofern einen bedeutenden Grundpfeiler des Otherings bildet, als dass das vermeintliche „Muslimsein“ der Geflüchteten in entsprechenden Situationen untrennbar verwoben ist mit anderen Klassifikationen, über die ein systematisches Othering der Betroffenen stattfindet: „Araber:in“, „Ausländer:in“ und „Flüchtling“. In diesen Situationen ist es gleichhin unerheblich, ob die betroffenen Geflüchteten sich tatsächlich als muslimisch identifizieren oder beispielsweise arabischstämmig sind. Diese Zuschreibungen basieren allein auf phänotypischen Merkmalen, was dadurch belegt ist, dass beispielsweise auch afghanische oder jesidische Geflüchtete pauschal mit diesen Labeln belegt werden, obwohl sie nicht arabisch und bzw. oder nicht muslimisch sind. Die dominanten Labels sind dabei „Araber:in“, „Ausländer:in“, „Migrant:in“ und „Muslim:in“. Das Label „Flüchtling“ kommt je nach Kontext dann hinzu, wenn die Betroffenen (die in dem Fall der vorliegenden Arbeit ja tatsächlich alle Geflüchtete sind) sich in bzw. in der Nähe einer Unterkunft aufhalten und wenig bis keine deutschen Sprachkenntnisse besitzen. Das Othering geht von der in der Aufnahmegesellschaft dominanten Bevölkerungsgruppe aus, die im Kontext dieser Arbeit als weiße deutsche Staatsbürger:innen ohne Migrationsgeschichte verstanden wurden und sowohl direkt als Deutsche bzw. als Vertreter:innen des deutschen Säkularitätsregimes und seiner Organisationen Zuschreibungen vornehmen. Ihnen stehen also neben dem Label „Religion“ noch andere, gleichsam potente Klassifikationen zur Verfügung deren Verwendung als rhetorische Strategien zur Aushandlung sozialer Wirklichkeit dienen. Dies führt zu einer Ausgrenzung geflüchteter Menschen durch die Betonung ihrer Andersartigkeit in Bezug auf die Norm, die die Deutschen als Kollektiv darstellen, wobei sie ihre eigene Gruppenidentität gleichzeitig in Abgrenzung zu den Outgroups (in diesem Fall vermeintlich muslimische geflüchtete Menschen) definieren und festigen. Es lässt sich festhalten, dass die Ablehnung von Muslim:innen seitens der deutschen Gesellschaft sich im Kern nicht auf eine tatsächliche Religiosität der Geflüchteten bezieht, sondern diese nur eines von unterschiedlichen Labels darstellt, welche dazu dienen, die Andersartigkeit und Unterlegenheit geflüchteter Menschen zu markieren und die eigene Identität als Gegenpol dazu zu definieren. Auf der Ebene der Gesellschaft führt die Verwendung dieses Labels für geflüchtete Menschen dazu, dass sie als tendenziell unzivilisiert, rückständig und als Gefahr für die öffentliche Sicherheit dargestellt werden. Die deutsche Aufnahmegesellschaft wird im Kontrast als eine friedfertige, moderne und säkulare Gesellschaft stilisiert. Auf der Ebene der Organisation kommt durch die Verwendung des Labels die Einstellung zum Ausdruck, dass geflüchtete Menschen eine homogene muslimische Gemeinschaft darstellen, deren Glauben ein inhärentes Konfliktpotenzial im Zusammenleben mit Anders- bzw. Nichtgläubigen berge. In diesem Zusammenhang wird betont, dass Religionsfreiheit gewährleistet werden muss, die offenbar dadurch definiert wird, dass andere Gemeinschaften sich nicht durch die muslimischen Geflüchteten eingeschränkt fühlen dürfen. Auch auf der Ebene der Interaktion wird das Label „Muslim:in“ verwendet, um geflüchtete Menschen pauschal als radikale Muslim:innen darzustellen, wodurch sich eine Gefahr für die Freiheit aller anderen ergebe. Verbunden ist diese Zuschreibung ebenfalls mit der Behauptung einer Neigung zu Gewalt und Straffälligkeit, die mit der Zugehörigkeit zum Islam verbunden wird. |
URL: | https://ediss.sub.uni-hamburg.de/handle/ediss/11691 | URN: | urn:nbn:de:gbv:18-ediss-128420 | Dokumenttyp: | Dissertation | Betreuer*in: | Dehn, Ulrich Hermann, Adrian |
Enthalten in den Sammlungen: | Elektronische Dissertationen und Habilitationen |
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