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Titel: Rechtspopulismus als mythologische Krisendeutung
Sonstige Titel: Right-wing populism as a mythological interpretation of crisis
Sprache: Deutsch
Autor*in: Roepert, Leo
Schlagwörter: Rechtspopulismus; Populismus; Rassismus; Antisemitismus; Mythos
Erscheinungsdatum: 2020
Tag der mündlichen Prüfung: 2020-03-18
Zusammenfassung: 
In den letzten zehn Jahren ist ein Aufstieg rechtspopulistischer Parteien zu beobachten, der nicht nur Politik und Öffentlichkeit, sondern auch die Sozialwissenschaften und insbesondere die Soziologie beschäftigt. Im Mittelpunkt stehen dabei die Fragen, wie der Rechtspopulismus zu beurteilen ist und was die gesellschaftlichen Ursachen für sein Erstarken sind. Einen Beitrag zu ihrer Beantwortung zu leisten, ist das Ziel dieses Dissertationsprojekts.
Der erste Teil setzt sich dabei kritisch mit der aktuellen sozialwissenschaftlichen Debatte um den Rechtspopulismus auseinander. Zunächst werden die gängigsten Definitionen des Rechtspopulismus vorgestellt und kurz die zentralen Themen und Aspekte des rechtspopulistischen Diskurses skizziert. Anschließend werden ökonomische, politische und kulturelle Erklärungsansätze kritisch diskutiert. Dabei wird herausgestellt, dass insbesondere die rechtspopulistische Ablehnung von MigrantInnen und Minderheiten von den gängigen Deutungsansätzen nicht erklärt werden können.
Der zweite Teil rekonstruiert auf Grundlage der verfügbaren empirischen Literatur den Kern des rechtspopulistischen Weltbildes: den Diskurs über die Fremden und den Diskurs über die Elite. Die Fremden werden im Rechtspopulismus als eine „barbarische“ Gemeinschaft beschrieben, die mit dem Eigenen, das als zivilisierte Gesellschaft gedacht wird, nicht vereinbar ist. Daneben existiert jedoch ein zweites Selbstbild, in dem nun das Eigene als Gemeinschaft erscheint, die fundamental bedroht scheint. Im Gegensatz zu vielen anderen AutorInnen, die die Ablehnung der Fremden als Migrations- oder Islamfeindlichkeit beschreiben, argumentiere ich, dass es sich bei dem Bild der Fremden und dem doppelten Selbstbild (Gesellschaft, Gemeinschaft) um eine aktualisierte Form von Rassismus handelt.
Anschließend untersuche ich das rechtspopulistische Bild der Elite. Der Elite wird zugeschrieben gegen die Interessen und Werte des Eigenen zu handeln. Imaginiert wird ein Niedergang des Eigenen, für den die Eliten verantwortlich gemacht werden. Das von der Elite gezeichnete Bild trägt zum Teil konspirationistische Züge und weist Übereinstimmungen mit antisemitischen Stereotypen auf. Ich spreche daher von einem strukturellen Antisemitismus und vertrete die These, dass das rechtspopulistische Elitenbild eine Ersatzbildung für den offenen Antisemitismus darstellt.
Im dritten Teil entwickele ich einen eigenen Deutungsansatz. Meine zentrale These lautet, dass der Kern des rechtspopulistischen Weltbildes als eine mythologische Form der Krisendeutung und Krisenverarbeitung verstanden werden muss. Der Rechtspopulismus reagiert auf die gesellschaftlichen Krisenentwicklungen der letzten Dekaden. Er hat polit-ökonomische Ursachen, folgt jedoch keiner polit-ökonomischen Logik, sondern deutet die Krise als Handeln von Kollektivsubjekten. Um die These auszuführen, erläutere ich zunächst den Begriff des Mythos. Im Anschluss an Adorno und Horkheimer gehe ich davon aus, dass mythologisches Denken nicht nur in vormodernen Gesellschaften existiert, sondern auch die moderne bürgerliche Gesellschaft eigene Mythen hervorbringt. Das zentrale Merkmal von Mythen besteht darin, dass sie die Ereignisse in der Welt auf Geist und Intentionalität zurückführen und auf diese Weise in der Logik der Handlung interpretieren und mit subjektivem Sinn versehen. Der Grund dafür liegt darin, dass die bürgerliche Gesellschaft zum einen Freiheit und Aufklärung hervorbringt, zum anderen aber auf heteronomen Strukturen basiert. Individuen müssen in ihnen als autonome Subjekte handeln. Die bürgerlichen Mythen tragen zur Reproduktion dieser Strukturen bei, indem sie sie als ewige Substanzen symbolisieren. Im Falle einer ökonomischen Krise können mythologische Denkformen an die Stelle rationalen Wissens treten. Abschließend wird der Rechtspopulismus als mythologische Krisendeutung analysiert. Die Vorstellung vom Niedergang des Eigenen stellt eine Form dar, den Krisenprozess in substantialistischen Kategorien wahrzunehmen. Die Feindbilder liefern zum einen eine Erklärung für Krisenprozesse, indem sie deren Ursachen personifizierend im bösen Willen der Elite und der Fremden verorten. Zugleich erfüllen sie die sozialpsychologische Funktion, das Krisenpotential moderner Gesellschaften zu veräußerlichen.

The past decade has seen a rise of right-wing populist parties, which not only concerns politics and the public, but also social sciences and sociology in particular. The main questions are how right-wing populism can be assessed and what kind of social mechanisms are responsible for its rise. This dissertation project is intended to provide a valuable contribution to answering these questions.
The first section critically examines the current social science debate about right-wing populism. First, the most common definitions of right-wing populism as well as the central topics and aspects of the right-wing populist discourse are described. This is followed by the demonstration of three types of explanatory approaches for right-wing populism: Economic, political and cultural explanations. It is emphasized that the right-wing populist rejection of migrants and minorities cannot be explained by these approaches.
The second part reconstructs the core of the right-wing populist world view based on the available empirical literature: the discourse on the others and the discourse on the elite. In right-wing populism the others are described as a "barbaric" community that is not compatible with the own society, presumed to be civilized. In addition, however, there is a second self-image whereas right-wing populists see themselves as a community that seems to be fundamentally threatened. In contrast to many other authors who describe the rejection of others as migration hostile or islamophobic, I argue that the image of the others and the double self-image (society, community) is a renewed form of racism.
After that I examine the right-wing populist image of the elite. The elite is accused for acting against the interests and values of the society, which will lead into collective breakdown.
Conspiratorial stereotypes about the elite circulate which are very similar to anti-Semitic ones: The "cosmopolitan elites" are attributed with excessive political, media, and financial power. They are accused of operating secretly and worldwide with the overall goal to destroy societies which are imagined as harmonious communities. I am therefore speaking of a structural anti-Semitism and I argue that the right-wing populist image of the elite is a substitute for an open anti-Semitism.
In the third part, I develop my own approach, which is based on considerations from the social-theoretical tradition from Marx to the Critical Theory. My central thesis is that the essence of the right-wing populist world view must be seen as a mythological form of crisis interpretation. Right-wing populism reacts to the social crisis of recent decades. It has political-economic causes but does not follow any political-economic logic. In support of this theory, I first explain the concept of myth. Following Adorno and Horkheimer, I assume that mythological thinking does not only exist in pre-modern societies but that modern societies still create their own myths.
The central characteristic of myths is that they see all events in the world as intentional and therefore provide them with a subjective meaning. Even if the bourgeois society creates freedom and truth, it is still based on heteronomous structures; individuals must act within them as autonomous subjects. Bourgeois myths contribute to the reproduction of these structures by symbolizing them as eternal substances. Examples of bourgeois myths are economic myths, gender myths, and national myths. In the event of an economic crisis, mythological ways of thinking can take the place of rational knowledge. In conclusion, right-wing populism is analyzed as a mythological interpretation of crisis. The idea of the decline of the society is a way of perceiving the process of a crisis in substantialist categories. On the one hand, concepts of the enemy provide an explanation for crisis by finding their causes in the evil will of the elite and the others. On the other hand, concepts of the enemy fulfil the socio-psychological function to deny the crisis potential of modern society. The right-wing populist crisis myth declares: if the invasion of the others is repelled and the elite is eliminated, the good order will not be lost forever – it can be restored.
URL: https://ediss.sub.uni-hamburg.de/handle/ediss/8376
URN: urn:nbn:de:gbv:18-104096
Dokumenttyp: Dissertation
Betreuer*in: Adloff, Frank (Prof. Dr.)
Enthalten in den Sammlungen:Elektronische Dissertationen und Habilitationen

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