Titel: Entwicklung einer umfangreichen Analysenmethode zur Untersuchung von Urinproben zum Nachweis einer K.-o.-Tropfen-Beibringung
Sprache: Deutsch
Autor*in: Szewczyk, Anne
Schlagwörter: K.-o.-Mittel-Beibringung; drug facilitated crime; Urinproben; urine; Medikamente; pharmaceuticals
GND-Schlagwörter: Tandem-MassenspektrometrieGND
LC-MSGND
Fest-Flüssig-ExtraktionGND
BetäubungsmittelGND
ScreeningGND
Erscheinungsdatum: 2022
Tag der mündlichen Prüfung: 2022-06-10
Zusammenfassung: 
Zentral wirksame Medikamente und Drogen, die einer Person ohne deren Wissen und Zustimmung verabreicht werden, um eine Bewusstseinseintrübung bis hin zur Handlungsunfähigkeit herbeizuführen, werden unter dem Begriff „K.-o.-Mittel“ bzw. „Date-Rape Drugs“ zusammengefasst. Dabei kommt die Verabreichung von K.-o.-Substanzen nicht nur im öffentlichen Raum wie in Bars oder in Clubs vor, sondern auch aus dem privaten Kreis werden immer wieder Fälle berichtet. Bisher gibt es keine einheitlichen Vorgaben an die Labore im Hinblick auf das durchzuführende Untersuchungsspektrum und die Art der Proben (Blut, Urin oder Haare) im Falle des Verdachtes einer K.-o.-Mittel-Beibringung. Ziel dieser Arbeit war es, eine sensitive, umfassende Analysenmethode zur Untersuchung von Urinproben auf potentielle K.-o.-Substanzen zu entwickeln, die sich gleichzeitig durch eine praktikable Probenvorbereitung auszeichnet. Im Anschluss daran sollte durch die retrospektive Untersuchung realer K.-o.-Verdachtsfälle aus dem Institut für Rechtsmedizin Hamburg gezeigt werden, ob sich mit der neu entwickelten Methode alle bisher detektierten Substanzen ebenfalls bestätigen, aber auch zunächst möglicherweise falsch negative Ergebnisse aufdecken lassen.
Im ersten Schritt wurde durch intensive Literaturrecherche und in Anlehnung an die Empfehlung der Society of Forensic Toxicology (SOFT) eine Liste von Substanzen mit potentieller K.-o.-Mittel-Wirkung erstellt. Es folgte zur besseren Übersicht eine Einteilung der Wirkstoffe in elf Stoffgruppen. Unter Berücksichtigung pharmakokinetischer und -dynamischer Eigenschaften, der Zulassung auf dem deutschen Markt sowie der Verfügbarkeit von Referenzsubstanzen wurden die Analyten im nächsten Schritt einer Kategorisierung unterzogen und damit die Entscheidung getroffen, ob der Wirkstoff in die Methode aufgenommen werden sollte und wenn ja, ob nur eine Untersuchung auf die Muttersubstanz, nur den Metaboliten oder auf Muttersubstanz und Metabolit erfolgen soll.
Die Methode sollte auf einem LC-MS/MS-Gerät entwickelt werden. Hierfür wurden alle 143 Analyten nacheinander in das Massenspektrometer infundiert und optimale Einstellungen für eine möglichst sensitive Detektion der Substanzen festgelegt. Zur Entwicklung der Flüssigchromatographie-Methode wurden verschiedene Laufmittel, Gradienten, Laufzeiten sowie
Chromatographie-Säulen getestet. Um eine ausreichende Trennung der vielen Substanzen zu gewährleisten, wurden final vier Methoden (A, B, C und D) entwickelt, wobei die Analyten der Methoden A und B jeweils in einem 20-minütigen Gradientenlauf und die Analyten der Methoden C und D jeweils in einem achtminütigen Gradientenlauf über eine 10 cm Biphenyl-Säule vermessen wurden.
Für die Extraktion der Urinproben wurden Verdünnungsversuche und verschiedene Festphasen-Materialien miteinander verglichen. Final wurden die Substanzen der Methoden A, B und C über die Chromabond® HLB-SPE-Säule und die Substanzen der Methode D über die Chromabond® HR-XA-SPE-Säule extrahiert. Insgesamt wurden für die Untersuchung eines K.-o.-Falls 2 mL Urin benötigt und die Extrakte in den vier Methoden bei einer Gesamtlaufzeit von 56 Minuten vermessen.
Es folgte die Validierung der neu entwickelten qualitativen Screening-Methode. Hierbei stellte vor allem die Untersuchung auf Matrixeffekte eine große Herausforderung dar. Durch eine nochmalige Verdünnung der Extrakte vor der Injektion ließen sich diese Störungen noch einmal deutlich verringern. Dennoch zeigten einige wenige Analyten weiterhin eine starke Ionen-Suppression oder ein starkes Ionen-Enhancement. Trotzdem ließ sich mit der neu entwickelten Methode eine sehr gute Sensitivität für die meisten der 143 Substanzen mit Nachweisgrenzen kleiner 5 ng/mL ermitteln und somit die von der SOFT empfohlenen Detektionslimits erreichen oder unterschreiten.
Anschließend wurde die neu entwickelte Methode für reale K.-o.-Verdachtsfälle aus dem Institut für Rechtsmedizin Hamburg eingesetzt. Insgesamt wurden 166 K.-o.-Verdachtsfälle aus den Jahren 2017 bis April 2020 nachuntersucht. Neben der Auswertung der Fälle im Hinblick auf demographische Daten, lag das Augenmerk auf den, mit der neu entwickelten Methode detektierten Substanzen. So konnten in 60 von 166 Fällen (36,1 %) mit der neuen Methode eine oder mehrere Substanzen nachgewiesen werden. Am häufigsten ließen sich Vertreter aus der Gruppe der Benzodiazepine (n= 14), aber auch Morphin (n= 13) und Cetirizin (n= 12) detektieren. Aus der Gruppe der Psychopharmaka wurden Citalopram (n= 5), Fluoxetin (n= 4) und Pipamperon (n= 4) am häufigsten nachgewiesen. GHB war dagegen nur in drei Fällen (1,8 %) in Konzentrationen oberhalb des physiologischen Bereiches messbar. Gleichzeitig ergab sich aus den Untersuchungsergebnissen der K.-o.-Verdachtsfälle eine hohe Prävalenz für illegale Betäubungsmittel (36,1 %), Alkohol wurde in 26 % der Fälle nachgewiesen.
Überwiegend ließ sich aus den Falldaten nicht ermitteln, ob Substanzen wie illegale Betäubungsmittel freiwillig aufgenommen wurden oder andere Wirkstoffe zum Beispiel der Medikation der Geschädigten entsprachen. Daraus zeigte sich deutlich, dass eine ausführliche Befragung der Betroffenen, einschließlich der Anamnese zur Medikation, für die Interpretation von Untersuchungsergebnissen besonders wichtig ist.
Der Fokus der Arbeit lag auf der Entwicklung einer sehr empfindlichen Screening-Methode für einen qualitativen Nachweis eines großen Spektrums potentieller K.-o.-Substanzen.
Da es bei der Untersuchung von K.-o.-Verdachtsfällen in erster Linie um die Fragestellung geht, welche Substanzen möglicherweise unbemerkt von den Geschädigten aufgenommen wurden, ist eine qualitative Analytik ausreichend.
Durch die neue Methode ließen sich die mit den bisher angewendeten Methoden detektierten Substanzen ebenfalls nachweisen. Damit konnte gezeigt werden, dass die neu entwickelte Methode, trotz der Beschränkung auf 143 Substanzen, einem „General Unknown Screening“ mittels GC-MS in keiner Weise nachsteht, da diese auf die für K.-o.-Fragestellungen besonders relevanten Analyten ausgerichtet ist. Darüber hinaus konnten auch weitere, bisher nicht detektierte Substanzen identifiziert werden. Es konnte somit gezeigt werden, dass sich mit der neu entwickelten Methode auch sehr geringe Spuren von Substanzen nachweisen ließen. Vor allem wenn zwischen dem Vorfall und der Probenasservierung viel Zeit vergangen ist, ist eine möglichst hohe Sensitivität von großer Bedeutung.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich mit der neu entwickelten Methode potentielle K.-o.-Substanzen sehr sensitiv nachweisen ließen, die Methoden (A, B und C) aufgrund ihrer Praktikabilität mittlerweile in die Laborroutine aufgenommen wurden und damit bisher angewendete Untersuchungsmethoden in K.-o.-Verdachtsfällen ersetzt wurden. In Zukunft sollten auch weiterhin neue Fallberichte und die Entwicklungen auf dem Arzneimittelmarkt sowie illegale Substanzen Beachtung finden, um die Untersuchungsmethode auf dem aktuellen Stand zu halten.

Central nervous system depressants – prescription medications, over-the-counter pharmaceuticals and recreational drugs of abuse – that are administered to a person without their knowledge and consent in order to render the victim become defenseless are summarized under the term “knockout drugs” or “date rape drugs”. The administration of “knockout drugs” does not only occur in public spaces such as bars or clubs, DFC (drug facilitated crime) cases are also repeatedly reported taking place in private settings. Until now, there are no standardized requirements for laboratories with regard to the range of toxicological tests to be carried out and the type of specimens (blood, urine or hair) being analyzed in cases of drug facilitated crime.
The aim of this work was to develop a sensitive, comprehensive analytical screening method for potential “knockout”-substances in urine samples. The method should also be characterized by practicable sample preparation. Subsequently, a retrospective study of real suspected DFC cases from the Institute of Forensic Medicine Hamburg was to show whether the newly developed method can also confirm all previously detected substances, but also whether false negative results can initially be uncovered.
In the first step, a list of substances with effects on the central nervous system was created through intensive research of literature and based on the recommendation of the Society of Forensic Toxicology (SOFT). For a better overview, the analytes were divided into eleven groups of substances. Taking into account pharmacokinetic and pharmacodynamic properties, drug approval in Germany and availability of reference substances, the analytes were categorized in the next step. The decision was made as to whether the substance should be included in the method and, if so, whether only an analysis for the parent substance, only the metabolite or for the parent substance and metabolite should be carried out.
The method should be developed on an LC-MS/MS instrument. Therefore, all 143 analytes were infused into the mass spectrometer one after the other and optimal settings were determined for the most sensitive detection of the substances. For the development of the liquid chromatography method, different mobile phases, gradients, run times as well as columns were tested. Finally, four methods (A, B, C and D) were developed to ensure adequate separation of the many substances, with analytes from method A and B each measured in a gradient run of 20 minutes and analytes from method C and D each measured in a gradient run of eight minutes. Separation was performed on a biphenyl column with a length of 10 cm for all four methods.
Afterwards, dilution tests and different solid phase materials were compared for the extraction of urine samples. Finally, the substances of methods A, B and C were extracted via Chromabond® HLB SPE material and the substances of method D via Chromabond® HR-XA SPE material. A total of 2 mL of urine is required for the analysis of a DFC case and the extracts are measured with a total run time of 56 minutes.
The validation of the newly developed qualitative screening method followed. Here, especially the test for matrix effects was a great challenge. By diluting the extracts again before injection, matrix effects could once more be significantly reduced. Nevertheless, a few analytes continued to show strong ion-suppression or ion-enhancement. Despite this, the newly developed method allowed to determine a very good sensitivity for most of the 143 substances with limits of detection lower than 5 ng/mL, thus achieving the detection limits as recommended by the SOFT.
Subsequently, the new method was performed on real suspected DFC cases from the Institute of Forensic Medicine Hamburg. A total of 166 suspected DFC cases from 2017 to April 2020 were included in the study. In addition to the evaluation of the cases with regard to demographic data, the focus was on the substances detected with the newly developed method. Thus, in 60 of 166 cases (36.1 %) one or more substances could be detected by the new method. Most frequently, representatives from the group of benzodiazepines (n= 14) but also morphine (n= 13) and cetirizine (n= 12) could be detected. From the group of psychotropic drugs, citalopram (n= 5), fluoxetine (n= 4) and pipamperone (n= 4) were mostly verified. In contrast, GHB was measurable in concentrations above the physiological range in only three cases (1.8 %).
Besides that, the retrospective study of the suspected DFC cases revealed a high prevalence for illegal drugs (36.1 %), alcohol was detected in 26 % of the cases.
For the most part, it was not possible to determine from the case data whether substances, such as illegal drugs, were ingested voluntarily, or whether other substances corresponded to the victim’s medication, for example. This clearly showed that a detailed questioning of the victim, including the medical history on medication, is particularly important for the interpretation of toxicological results.
The focus of the work was on the development of a very sensitive screening method for qualitative detection of a wide range of potential “knockout”-substances in urine samples. Since the investigation of suspected DFC cases is primarily concerned with the question of which substances may have been ingested unnoticed by the victims, qualitative analysis is sufficient.
All substances being detected by the previously used methods were also confirmed with the newly developed method. Thus, it could be shown that the new method, despite the limitation to 143 analytes, is in no way inferior to a general unknown screening by means of GC-MS, since the new method is directed towards the substances that are particularly relevant for DFC cases. In addition, other previously undetected substances were also identified with the newly developed method. It could thus be shown that even very small traces of analytes could be detected. Especially if a lot of time has passed between the incident and the sample collection, the highest possible sensitivity is of great importance.
In summary, it can be said that potential “knockout”-substances could be detected very sensitively with the newly developed method, and that the methods A, B and C have now been included into laboratory routine due to their practicability, thus replacing previously used methods investigating suspected DFC cases.
In the future, new case reports and developments in the drug market (prescription and illegal substances) should continue to receive attention in order to keep the newly developed method up to date.
URL: https://ediss.sub.uni-hamburg.de/handle/ediss/9688
URN: urn:nbn:de:gbv:18-ediss-101565
Dokumenttyp: Dissertation
Betreuer*in: Maison, Wolfgang
Andresen-Streichert, Hilke
Enthalten in den Sammlungen:Elektronische Dissertationen und Habilitationen

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